Wer einmal aus dem Blechnapf frißt - Hans Fallada - E-Book

Wer einmal aus dem Blechnapf frißt E-Book

Hans Fallada

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Beschreibung

Wer einmal aus dem Blechnapf frißt erschien erstmals 1934. In diesem Werk verarbeitet Hans Fallada detailliert und facettenreich seine Erfahrungen im Gefängnis. »Eine der ersten Taten der Nazis war es, dass sie dieses Buch vom Blechnapf auf die schwarze Liste setzten. Eine der ersten Taten des neuen demokratischen Deutschlands ist es, dieses Buch wieder zu drucken. Dies scheint mir beinahe symbolisch: jede Zeile in diesem Roman widerstreitet der Auffassung, die von den Nationalsozialisten über den Verbrecher gehegt und durchgeführt wurde an ihnen. Jetzt ist wieder Platz für Humanität, für eine Humanität, die wohl frei ist von jeder Gefühlsduselei, die aber des Satzes eingedenk bleibt: ihr lasst den Armen schuldig werden …« Hans Fallada, 1945

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HANS FALLADA

Wer einmal aus dem Blechnapf frißt

Der vorliegende Text folgt der Ausgabe

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt,

erschienen 1946 im Aufbau Verlag, Berlin.

Eindeutige Druck- und Satzfehler

wurden korrigiert.

© 2018 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,

Hamburg

Alle Rechte, auch das der fotomechanischen Wiedergabe

(einschließlich Fotokopie) oder der Speicherung auf

elektronischen Systemen, vorbehalten.

All rights reserved.

ISBN: 978-3-86820-903-7

www.nikol-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Erstes Kapitel: Reif zur Entlassung

Zweites Kapitel: Die Entlassung

Drittes Kapitel: Friedensheim

Viertes Kapitel: Der Weg ins Freie

Fünftes Kapitel: Schreibstube Cito-Presto

Sechstes Kapitel: Selbst ist der Mann

Siebtes Kapitel: Der Zusammenbruch

Achtes Kapitel: Ein Ding wird gedreht

Neuntes Kapitel: Reif zur Verhaftung

Zehntes Kapitel: Nord, Ost, Süd, West – to hus best

Vorwort

Eine der ersten Taten der Nazis war es, daß sie dieses Buch vom Blechnapf auf die Schwarze Liste setzten. Eine der ersten Taten des neuen demokratischen Deutschlands ist es, dieses Buch wieder zu drucken. Dies scheint mir beinahe symbolisch: Jede Zeile in diesem Roman widerstreitet der Auffassung, die von den Nationalsozialisten über den Verbrecher gehegt und durchgeführt wurde an ihnen. Jetzt ist wieder Platz für Humanität, für eine Humanität, die wohl frei ist von jeder Gefühlsduselei, die aber des Satzes eingedenk bleibt: Ihr laßt den Armen schuldig werden ...

Ich habe bei diesem Neudruck keine Zeile geändert der ersten Auflage gegenüber. Vielleicht denke ich heute in manchen Dingen anders als damals vor elf Jahren, als ich dieses Buch schrieb. Um so mehr ein Grund, nichts zu ändern. Wir können unsere Bücher nicht in jeder Lebensphase umschreiben. Und im großen ganzen hat für mein Gefühl noch Gültigkeit, was ich damals schrieb.

So gehe dann hinaus, Buch, in die Welt. Ich hoffe, daß auch du für dein Teil ein weniges beiträgst zur Humanisierung der Menschen – nach zwölf Jahren der Verrohung.

Berlin, am 1. Dezember 1945

Erstes Kapitel:Reif zur Entlassung

1

Der Strafgefangene Willi Kufalt geht in seiner Zelle auf und ab. Fünf Schritte hin, fünf Schritte her. Wieder fünf Schritte hin.

Einen Augenblick bleibt er unter dem Fenster stehen. Es ist schräg aufgestellt, soweit die eisernen Blenden das zulassen, und herein dringt das Scharren vieler Füße, auch einmal der Ruf eines Wachtmeisters: »Abstand halten! Fünf Schritte Abstand!«

Station C 4 hat Freistunde, eine halbe Stunde gehen sie dort im Kreis, an der frischen Luft.

»Nichts haben Sie zu reden! Verstanden?!« ruft der Wachtmeister draußen, und die Füße scharren weiter.

Der Gefangene geht zur Tür, nun bleibt er dort stehen und lauscht in den Bau, der still ist.

›Wenn Werner heute nicht schreibt‹, denkt er, ›muß ich zum Pfaffen gehen und betteln, daß sie mich in das Heim aufnehmen. Wohin soll ich sonst? Über dreihundert Mark macht mein Arbeitsverdienst sicher nicht. Die sind bald alle.‹

Er lauscht immer noch. In zwanzig Minuten ist die Freistunde vorbei. Dann kommen w i r runter. Sehen, daß ich vorher noch was Tabak krampfe. Ich kann doch nicht die letzten zwei Tage ohne Tabak sein.Er öffnet das Schränkchen. Sieht hinein. Aber natürlich ist kein Tabak da. Die Eßschüssel muß ich auch noch wienern, sonst kotzt Rusch mich an. Putzpomade –? Besorgt mir Ernst.Auf den Tisch legt er Jacke, Mütze, Halstuch. Wenn draußen auch ein strahlender, warmer Maitag ist, Halstuch und Mütze sind Vorschrift.

In zwei Tagen ist es ja überstanden. Dann kann ich mich anziehen, wie ich mag.Er versucht sich vorzustellen, wie sein Leben dann sein wird, aber er kann es nicht. Da gehe ich also die Straße lang und da ist eine Kneipe und ich mache einfach die Tür auf und sage: Ober, ein Glas Bier ...

Draußen, in der Zentrale, der Hauptwachtmeister Rusch schlägt mit dem Schlüssel gegen das Eisengitter. Es hallt durch den ganzen Bau, in sechshundertvierzig Zellen ist es zu hören.

›Schwein, das, mit seiner ewigen Krachmacherei‹, murrt Kufalt. ›Stimmt wieder was nicht, Ruschecken? Wenn ich nur wüßte, was ich anfange, wenn ich rauskomme! Die werden mich doch fragen, wohin ich entlassen werden will ... Und wenn ich keine Arbeit weiß, wird mein Verdienst von hier an die Wohlfahrt überwiesen, und ich darf mir alle Wochen ein bißchen holen. Euch hust’ ich was! Lieber dreh’ ich noch mit Batzke ein großes Ding –?‹

Er schaut gedankenverloren auf seine Jacke, deren blauer Ärmel mit drei weißen Streifen Wäscheband geziert ist. Was bedeutet, daß er »dritte Stufe« ist, ein Gefangener also, dessen Führung auf »nachhaltige Besserung und Wohlverhalten in der Freiheit« schließen läßt.

Hab’ ich kriechen müssen, um die zu kriegen! Und hat es gelohnt? Das bißchen Tabak und eine halbe Freistunde mehr und Radio einmal in der Woche abends und daß sie die Zelle nicht abschließen tagsüber ...Das ist so: Kufalts Zellentür ist nicht abgeschlossen, die Zellentüren der dritten Stufe werden nicht abgeschlossen, sondern nur angelehnt. Aber das ist eine seltsame Art Vergünstigung: Beileibe darf er die Tür nicht aufstoßen, auf den Gang treten und auch nur zwei Schritt dort machen! Das ist verboten. Wenn er das tut, wird ihm die dritte Stufe wieder entzogen. Sie ist eben offen die Tür, daß er das weiß, das ist Vorbereitung auf das Leben draußen, wo ja auch die Türen nicht abgeschlossen sind ... eine allmähliche Akklimatisierung, erdacht von einem Geheimratshirn.

Der Gefangene steht wieder unter dem Fenster und überlegt einen Augenblick, ob er hochklettern soll und hinaussehen. Vielleicht sieht er jenseits der Mauern eine Frau –?

Nee, lieber nicht, sparen wir uns auf bis Mittwoch.Ruhelos nimmt er das Netz in die Hand und strickt sechs, acht, zehn Maschen. Dabei fällt ihm ein, daß er sowohl Putzpomade wie Tabak beim Netzekalfaktor schnorren kann – und er läßt die Holznadel wieder fallen und geht zur Tür.

Einen Augenblick steht er und überlegt, ob er es wagen soll. Dann fällt ihm was ein, er knöpft schnell die Hosen ab, geht auf den Kübel und legt sein Morgenei. Er kippt einen Schuß Wasser darüber, schließt den Deckel, knöpft die Hosen wieder an und nimmt den Kübel in beide Hände.

›Wenn er mich schnappt, sag’ ich, die haben heute früh vergessen, bei mir zu kübeln‹, überlegt er und drückt mit dem Ellbogen die angelehnte Tür auf.

2

Er wirft über die Schulter einen Blick gegen den Glaskasten der Zentrale, wo, wie eine Spinne in ihrem Netz, sonst der Hauptwachtmeister Rusch sitzt und alle Gänge, alle Zellentüren überschaut. Aber Kufalt hat Dusel: Der Hauptwachtmeister ist fort. Statt seiner sitzt ein Oberwachtmeister da, den der ganze Krempel langweilt: Er liest Zeitung.

Kufalt geht möglichst leise über den Gang zum Spülraum. Dabei kommt er an der Zelle des Netzekalfaktors vorbei und zögert einen Augenblick: Da streiten zwei drin. Die eine Stimme kennt er, die ist ölig: Das ist der Netzemeister. Aber die andere ...

Er steht und lauscht. Dann geht er weiter.

In der Spülzelle ist Hochbetrieb. Die Kalfaktoren von C 2 und C 4 haben sich heraufgeschlichen, eine stoßen.

Und noch jemand ist hier:

»Gott, Emil, Junge, Bruhn, sieht man dich wirklich mal wieder?! Du mußt doch deinen Knast auch bald abgerissen haben?!« Dabei kippt Kufalt seinen Kübel in das Spülbecken.

»Sauerei! Wo wir hier rauchen!« schimpft ein Kalfaktor.

Kufalt gibt an: »Du hältst dein Maul, Stubben! Seit wann bist du denn überhaupt im Bunker? Ein halbes Jahr? Und so was reißt hier die Fresse auf von wegen Sauerei?! Hättest ja draußen bleiben können, wenn du Wasserspülung gewohnt bist! Ach, halt die Klappe! Ich bin dritte Stufe! – Hat einer von euch Tabak für mich?«

»Hier, Willi«, sagt der kleine Emil Bruhn und gibt ihm ein ganzes Paket Flaggenstolz und Blättchen. »Kannst du behalten. Ich hab’ bis Mittwoch stief.«

»Mittwoch? Kommst du Mittwoch raus? Ich auch!«

Bruhn fragt: »Sag’ mal, Willi, bleibst du eigentlich hier im Kaff?«

»Ausgeschlossen! Hier, wo lauter Wachtmeister rumlaufen! Ich fahre nach Hamburg.«

»Hast du denn da Arbeit?«

»Nee, noch nicht. Aber ich krieg’ sicher was. Ich denke, meine Verwandten ... Oder der Pfaffe ... Ich komme immer durch!« Und Kufalt lächelt, aber etwas kümmerlich.

»Ich habe schon was. Ich fange hier in der Holzfabrik an. Fallennester im Akkord. Ich komme mindestens auf fünfzig Mark die Woche, hat mir der Meister gesagt.«

»Das schaffst du«, bestätigt Kufalt. »Das kannst du. Das hast du ja nun neun Jahre gemacht.«

»Zehneinhalb«, sagt der kleine, blonde Bruhn und blinzelt mit seinen wasserblauen Augen. Er hat einen Seehundskopf, kuglig, gutmütig. »Elf Jahre waren’s. Ein halbes haben sie mir geschenkt auf Bewährung.«

»Mensch, Emil, das hätte ich doch nicht angenommen! Ein halbes Jahr geschenkt – und wie lange sollst du dich bewähren?«

»Drei Jahre.«

»Schön dumm bist du. Und wenn du ’ne Kleinigkeit machst, wenn du nur ’ne Scheibe einschmeißt in der Besoffenheit oder Krach schlägst auf der Straße, schon mußt du dein halbes Jahr abreißen. Das hätte ich doch noch gleich mit runtergerissen.«

»Na, Willi, wenn man zehneinhalb Jahr Knast geschoben hat ...«

»Mir haben sie ewig gesagt, der Direktor und der Lehrer und der Pfaffe, alle: Ich soll ein Gesuch auf Bewährung machen. Aber ich bin nicht so dumm. Wenn ich Mittwoch rauskomme, dann hab’ ich freie Bahn ...«

Ein Kalfaktor mischt sich ein: »Ich denke, dir haben sie dein Gesuch abgelehnt?«

»Abgelehnt? Gar keins gemacht habe ich, hast du Dreck in den Ohren?«

»Mir hat’s aber der Hausvaterkalfaktor erzählt.«

»Der? Was der weiß! Die dünken sich was, die vom Hausvater! Weißt du, was das für einer ist? Kleine Kinder stößt der vor den Hintern und nimmt ihnen die Mark weg, die ihnen ihre Mutti für Besorgungen gegeben hat. Von so einem läßt du dir Geschichten erzählen! – Hast du Putzpomade?«

»Der Kaliebe hat aber auch gesagt ...«

»Quatsch! Ob du Putzpomade hast? Zeig’ mal her. Gut, die hab’ ich. Kriegst du nicht wieder. Ich muß noch wienern. Red’ hier bloß keine Töne, Mensch. Außerdem hab’ ich bei meinen Sachen ein großes Stück Toilettenseife, das geb’ ich dir dafür. Komm Mittwoch zur Abgangszelle. Soll ich dir auch einen Brief mit rausnehmen? Gut, gemacht. Mittwoch morgen Abgangszelle.«

Der Kalfaktor von C 3 läßt sich vernehmen: »Der gibt ja heute an, noch und noch. Richtig durchgedreht, weil er übermorgen rauskommt.«

Aber Kufalt plötzlich stockwütend: »Ich und durchgedreht wegen Rauskommen? Du spinnst ja. Mir ist das so Scheiße, ob ich noch ein paar Wochen hier bleibe oder nicht. 260 Wochen abgerissen – 1825 Tage – da staunste – und ich soll angeben wegen Rauskommen?!«

Dann wendet er sich ruhiger zum kleinen Bruhn: »Also, hör’ mal, Emil – ach, willst du dich verdrücken? Freistunde muß gleich alle sein. Sieh doch, daß du dich heute mittag in die dritte Stufe mogelst ...«

»Das kann angehen. Bei uns auf F hat Petrow Dienst. Der macht es.«

»Schön. Ich möcht’ noch was mit dir reden. Also, hau jetzt ab.«

»Wiedersehen, Willi.«

»Wiedersehen, Emil.«

»Da will ich auch gleich ...« sagt Kufalt und nimmt seinen geleerten Kübel. »Ach so! Weiß einer, was mit dem Netzekalfaktor los ist?«

»Den hat wer in die Pfanne gehauen. Der schiebt Arrest.«

»Ei wei! Wieso denn?«

»Hat Briefe durchgeschmuggelt mit der schmutzigen Wäsche an eine im Weibergefängnis.«

»An welche?«

»Weiß ich auch nicht. Eine kleine Schwarze soll es sein.«

»Kenn’ ich«, sagt Kufalt. »Die ist aus Altona. Das ist die Räuberbraut. Die hat ein halb Dutzend Jungens für sich auf Bruch gehen lassen und sie hat die Sore ... Wer ist denn jetzt Kalfaktor?«

»Den kenn’ ick noch nicht. Der ist neu, der ist ’ne Schiebung vom Netzemeister. So ein dicker Jude, eine faule Pleite soll er gemacht haben ...«

»Nee?« sagt Kufalt und ihm fällt ein Wortfetzen ein, den er vorhin hörte, als er mit seinem Kübel an der Zellentür vorbeikam. »So ist das also. Na, den schleimigen Netzeonkel habe ich lange auf dem Strich, den will ich jetzt mal in Salz legen. – Kneiste mal, du Neuer, ob die Luft rein ist. – O Gott!« ruft er verzweifelt, »was für Säuglinge schicken die uns hier in den Bau! Reißt die Tür auf, daß der ganze Bunker zusammenfällt! Kneisten sollst du! – Ist der Rusch in seinem Glaskasten? Nicht? Na, dann will ich mal die Netzeonkels besuchen. Morgen.«

Er nimmt seinen Kübel und tritt den Rückweg zur Zelle an.

3

Auf seinem Rückmarsch hat Kufalt einen Blick zum Glaskasten geworfen: Dort ist die Lage unverändert, Oberwachtmeister Suhr studiert den Stadt- und Landboten.

Vor der Zelle des Netzekalfaktors tritt Kufalt einen Schritt seitlich, drückt sich fest in die flache Türnische und lauscht.

Da steht er nun, in blauer Beiderwandhose und gestreiftem Anstaltshemd, die Füße in Schlappen, mit spitzer, gelblicher Nase, blaß, magere Glieder, aber ein Bauch. Etwa achtundzwanzig Jahre. Eigentlich hat er freundliche, braune Augen, nur spuken sie, irrlichterieren, verweilen nirgends. Sein Haar ist auch braun. Er steht so da, horcht, versucht zu verstehen, was sie da reden. Den Kübel hält er noch immer mit beiden Händen vor dem Bauch.

Einer sagt drinnen erregt: »Und Sie werden mir die zehn Mark geben! Wozu schickt Ihnen meine Frau ständig Geld?«

Und die ölige, sachte Stimme des Netzemeisters: »Ich tu’ ja für Sie, was ich kann. Daß ich Sie beim Arbeitsinspektor zum Netzekalfaktor durchgedrückt habe, das können Sie mir nicht genug danken!«

»Ach was, danken!« sagt der andere böse. »Viel lieber wäre ich zu den Tüten gekommen. Hier an dem Bindfaden reißt man sich die ganzen Hände blutig.«

»Das ist nur die ersten Wochen«, tröstet der Netzemeister. »Das werden Sie gewöhnt. Bei den Tüten ist es viel schlechter. Die wollen alle zu mir, die Tüten kleben.«

»Eine Hautschere müssen Sie mir auch besorgen, überall kriege ich Reißnägel ...«

»Da müssen Sie sich am Mittwoch zum Hausvater vormelden. Der hat eine Hautschere. Da werden Sie vorgeführt und können sich die Reißnägel abschneiden.«

»Wann werde ich denn da vorgeführt?«

»Wie der Hausvater Zeit hat. Sonnabend oder Montag, vielleicht auch schon Freitag.«

»Meschugge sind Sie!« schreit der andere. »Nächsten Montag und meine Hände bluten schon jetzt! Das ganze Netz ist blutig, sehen Sie!« Er schreit immer lauter.

Kufalt vor der Tür grinst. Er kennt das, wie es ist, wenn die Hände von dem scharfen Sisalgarn zu bluten anfangen, und morgens ziehen sich die feinen, haften Fäserchen durch die Risse. Freilich, ihm hat niemand gesagt, daß der Hausvater eine Hautschere hat, er hat sich die Reißnägel mit zwei Scherben abgeklemmt.

›Ärgere dich nur, Freundchen‹, denkt er. ›Hoffentlich schiebst du einen langen Knast, daß du alles auch richtig lernst. – Mein Kübel stinkt aber wieder mal gemein. Muß ich noch mit Salzsäure rein machen. Wenn ich heute vor den Arzt komme, muß mir der Lazaretfkalfaktor welche ausspucken ...‹

»Und nun geben Sie mir endlich die zehn Mark. Ich lasse mich nicht dumm reden von Ihnen. Mein eigen Geld werde ich doch noch kriegen können.«

»Machen Sie sich und mich nicht unglücklich, Herr Rosenthal«, sagt der Meister bittend. »Was wollen Sie mit Geld im Bau? Ich besorge Ihnen doch alles, was Sie wollen. Ich kauf Ihnen auch die Hautschere – aber bar Geld im Bau – das kann ja Kopp und Kragen kosten.«

»Stellen Sie sich nur nicht so an«, sagt der Gefangene Rosenthal. »Sie sind ja gar kein Beamter, Sie sind doch nicht vereidigt. Sie sind hier bloß von der Netzefirma, um die Arbeit auszugeben. Gar nichts kann Ihnen passieren.«

»Was wollen Sie bloß mit Bargeld? Das müssen Sie mir wenigstens sagen!«

»Tabak will ich mir kaufen.«

»Das ist bestimmt nicht wahr, Herr Rosenthal. Tabak können Sie doch von mir kriegen. Wozu wollen Sie das Geld?«

Der andere schweigt.

»Wenn Sie es mir sagen, so sollen Sie es kriegen. Aber ich will wissen, wer es kriegt und wofür. Manche sind, die sind stiekum, da kann man es machen.«

»Stiekum?«

»Die machen keine Lampen, Herr Rosenthal, die hauen uns nicht in die Pfanne, die scheißen uns nicht an, die verpfeifen uns nicht – die verraten uns nicht. So heißt das hier.«

»Ich will Ihnen sagen«, flüstert der andere – und Kufalt muß sein Ohr ganz dicht an den Türspalt legen, um zu verstehen –, »aber Sie dürfen nichts verraten. Da ist ein großer Schwarzer, ein Gewalttätiger, sage ich Ihnen, der schlägt mich tot, wenn ich ihn verrate, hat er mir gesagt. In der Heizung ist er, er hat sich an mich herangemacht, in der Freistunde ...«

»Der Batzke«, sagt der Meister. »Da haben Sie den richtigen Ganoven gefaßt.«

»Er hat mir versprochen, wenn ich ihm zehn Mark gebe – Meister, Sie verraten uns nicht, nein? Gerade gegenüber von meinem Fenster, auf der anderen Seite von der Straße, jenseits der Mauer, steht ein Haus.« Der Rosenthal schluckt, holt tief Atem. Dann: »Ich kann gerade in die Fenster reinsehen. Und zweimal habe ich dort ‚ne Frau gesehen. Und der Schwarze hat mir geschworen, wenn ich ihm die zehn Mark gebe, so steht sie morgen früh um fünf am Fenster, ganz nackt, und ich darf sie sehen. Ach, Meister, geben Sie die zehn Mark! Ich komme hier um, ich bin schon halb verrückt! Meister, Sie müssen!«

»Diese Jungen«, sagt der Netzemeister bewundernd und stolz, »was die für Dinger drehen! Aber wenn der Batzke es Ihnen sagt, der macht es! Und der verpfeift uns auch nicht. Hier haben Sie ...«

Kufalt zwängt den Fuß in den Spalt, drückt die Tür auf, ist mit einem Schritt drin, sagt halblaut: »Kippe oder Lampen!« und steht abwartend.

Die starren verdonnert. Der Meister mit seinen vorquellenden Fischaugen, dem runden Gesicht, dem Walroßbart, hat seine Brieftasche in der Hand. Er glotzt. Unterm Fenster, bleich, gedunsen, schwarz, etwas fett, steht der neue Netzekalfaktor Rosenthal und hat Angst.

Kufalt setzt mit einem Ruck den Kübel ab.

»Keine langen Geschichten, Meister, oder ich verpfeif dich, daß du selber Knast schiebst. Hier von wegen dem alten Netzekalfaktor Arrest besorgen und den Speckjäger ins Fett setzen. – Hab’ doch keine Angst, du dummes Schwein, es kostet ja bloß dein Geld! Ich bin morgen früh um fünf selber am Fenster. Also raus, Meister, mit der Marie! Kippe? Teilen können wir nicht, ich weiß ja nicht, wieviel du gekriegt hast. Ich bin billig: hundert Mark!«

»Da ist nichts zu machen, Rosenthal«, sagt der Meister gottergeben. »Das Geld müssen wir ausspucken, wenn Sie nicht mindestens acht Wochen Arrest schieben wollen. Der Kufalt ist so.«

»Kalt ist es da, Jungchen«, grinst Kufalt. »Lieg’ du mal erst drei Tage auf der Steinpritsche, da wird dir das Mark in den Knochen zu Eis. Also wie wird’s?«

»Sagen Sie ja, Herr Rosenthal«, drängt der Meister.

Zwei Glockenschläge hallen durchs Haus. Auf der ganzen Station rührt es sich, Riegel knallen ...

»Nu aber fix – oder ich bin in einer Minute beim Hauptwachtmeister!«

»Sagen Sie doch ja, Herr Rosenthal!«

»Ich hetze den Batzke auf dich, du dickes Schwein, der ist mein Kumpel. Der beißt dir die Nase ab.«

»Bitte, sagen Sie ja, Herr Rosenthal!«

»Also geben Sie ihm ... aber ich trage den Schaden nicht allein, Meister!«

»Handgeld«, sagt Kufalt und spuckt auf den Hunderter, »übermorgen bin ich draußen, Dicker, da denke ich bei den kleinen Mädchen an dich. – Du, Meister, stell mir den Kübel auf die Zelle während der Freistunde. Und Salzsäure stellst du daneben, sonst donnert’s! Morgen!«

Kufalt huscht über den Gang in seine Zelle.

4

Lärmend, klappernd, schwatzend sind achtzig Gefangene die vier Eisentreppen hinuntergeschusselt zum Erdgeschoß. Nun, am Tor zum Freihof, stehen zwei Wachtmeister und wiederholen wie die Automaten: »Abstand nehmen! Es wird nicht gesprochen. Nehmen Sie Abstand! Wer spricht, kriegt eine Anzeige.«

Die Gefangenen schwatzen doch. Nur in nächster Nähe der Wachtmeister werden sie stumm, aber kaum vorbei, unterhalten sie sich schon wieder in jenem lauten Flüsterton, der gerade über fünf Schritte Abstand reicht und bei dem nur der Mund nicht bewegt werden darf, denn das ist Grund zu einer Anzeige.

Kufalt ist hoch in Form. Er unterhält sich gleichzeitig mit Vorder- und Hintermann, die von ihm, dem Drittstufler, Neues hören wollen.

»Das ist eine Scheißhausparole, daß die zweite Stufe jetzt auch zum Radio darf. Glaub’ doch so was nicht, Mensch!«

»Ja, übermorgen komm’ ich raus. – Weiß ich noch nicht. Vielleicht dreh’ ich ein Ding, vielleicht geh’ ich auch zu meinem Schwager aufs Büro.«

»Wie sollen die denn hundertfünfundzwanzig Mann aus der zweiten Stufe in dem Schulzimmer unterbringen?! Da haben doch höchstens fünfzig Platz! Du bist ja doof, Mensch. Jeden Dreck glaubst du!«

»Mein Schwager? Möchtste wissen, glaub’ ich. – Der hat ein Filzlatschenbergwerk, wenn du’s wissen willst. Da kannst du auch ’nen Posten kriegen.«

»Halten Sie den Mund, Kufalt«, sagt der Wachtmeister. »Immer die Herren von der dritten Stufe, die auffallen.«

»Ich hab’ nicht geredet, Herr Wachtmeister, ich hab’ nur tief geatmet.«

»Den Mund sollen Sie halten, sonst ist ’ne Anzeige fällig.«

»Meine Sachen hab’ ich beim Hausvater. Alles tiptop, Frack auf Seide, Lackstiefel – Mensch, wird das einem vorkommen, nach den fünf Jahren!«

»Ach, laß doch den Affen von Wachtmeister quatschen! Wenn der was will, verpfeif’ ich ihn. Der hat sich heimlich von mir ein Einholnetz und eine Hängematte stricken lassen.«

»Ich hab’ ja nur eine Angst ... Wie lange bist du drin? Drei Monate? Sag’ mal, tragen die Weiber noch so kurze Röcke? Mir ist erzählt, sie tragen jetzt wieder lange Röcke ...«

»Das kann ich ihm nicht beweisen? Das kann ich ihm doch beweisen! Ich sag’ einfach zum Direktor: In der vierten Reihe vom Einholnetz ist eine Masche doppelt gestrickt, und schon ist er drin!«

»Na, Gott sei Dank! Ist das so, kann man die ganzen Schinken sehen, wenn sie sich setzen? Und beim Radeln das bloße Fleisch?«

»Treten Sie raus, Kufalt, Sie sind ja heute rein verrückt! Wollen Sie die letzten Tage noch Arrest schieben? Gehen Sie hier an der Mauer, Sonderloge für die Herren von der dritten Stufe.«

Kufalt geht solo. Die im Kreis verspotten ihn: »Natürlich die dritte Gruppe! – Die Speckjäger! Die Radioherren! Biste stolz auf deine drei Streifen, Arschlecker?«

»Ihr könnt mir alle ...« Und er denkt: ›Hundert Mark. Fein! Nun habe ich schon mindestens vierhundert Mark und wenn Werner Pause heute schreibt und Geld schickt ...‹ »Sie, Herr Wachtmeister Steinitz, was kostet eigentlich die Fahrt Dritter bis Hamburg?«

»Wollen Sie sich jetzt mit mir unterhalten? Seien Sie ruhig, oder ich lasse Sie auf die Zelle abführen.«

»Herr Wachtmeister, Herr Wachtmeister! Ich hätte heute so schön Zeit, Ihnen noch ’ne Einholtasche zu stricken.«

»Frech willst du werden?! Warte, Jungchen, ich schlage dir die Schlüssel über den Schädel! Machst du, daß du ...«

»Ich hätte heute wirklich Zeit, Herr Wachtmeister! Und das Pfund Margarine, das Sie mir für die Hängematte versprochen haben, ist auch noch nicht übergekommen.«

»Schweinekerl! Erpresser! Jetzt willst du Lampen machen, was? Letzten Tag? Feiges Aas! – Ach was, tritt da rein. Werd’ ich mich noch mit dir ärgern! – Fünf Schritte Abstand – und daß Sie den Mund halten, Kufalt!«

»Ich bin stiekum, Herr Wachtmeister, ich rede keinen Ton!«

Es ist Mai, der Himmel ist blau, jenseits der Mauer, über sie hin, blühen die Kastanien. Das Rund, das die Gefangenen umkreisen, hat der Gärtner mit Wruken bepflanzt, die gerade angegangen sind, ein spärliches Gelbgrün in diesen traurigen, fahlen Farben von Schlacke, pulvriger Erde, Zement.

Sie gehen im Kreis und flüstern. Sie gehen und flüstern. Sie gehen und flüstern.

5

Zurück in seiner Zelle, fällt Willi Kufalt zusammen. So geht’s ihm immer. Wenn er mit anderen zusammen ist, redet er, erzählt er, gibt an, ist der große Ganove und allbefahrene Knastschieber, aber allein mit sich ist er sehr allein, wird klein und verzagt.

›Hätte nicht so sein sollen zu Wachtmeister Steinitz‹, denkt er. ›Gemein war das. Bloß damit die grünen Jungens, die Stubben, sehen, daß ich ihn in der Tasche habe. Es lohnt nicht, alles mache ich verkehrt – wie wird’s draußen gehen?‹

Wenn der Schwager doch erst schriebe –! Aber so ... da ist die Welt draußen, all diese Städte und die Zimmer, von denen man eines mieten muß, und die Arbeitsstellen und das Geld, das viel zu schnell alle wird – und was dann?

Er starrt vor sich hin. Keine achtundvierzig Stunden trennen ihn vom Entlassungstermin, den er so heiß herbeigesehnt hat seit fünf Jahren. Nun ist ihm angst. Hier ist er gern gewesen, er hat sich rasch gefunden in den Ton und die Art, er hat schnell gelernt, wo man demütig sein muß und wo man frech werden kann. Seine Zelle ist immer blank gewienert gewesen, sein Kübeldeckel hat stets geglänzt wie ein Spiegel und den Zementboden seiner Zelle hat er zweimal die Woche mit Graphit und Terpentin geputzt, daß er geschimmert hat wie ein Affenarsch.

Sein Pensum hat er immer gestrickt, oft zwei, manchmal sogar drei, er hat sich Zusatzlebensmittel kaufen können und Tabak. Er ist in die zweite Stufe gekommen und in die dritte, ein vertrauenswürdiger Mustergefangener, in dessen Zelle die Kommissionen geführt wurden und der stets angemessen und bescheiden geantwortet hat.

»Ja, ich fühle mich sehr wohl hier, Herr Geheimrat.«

»Nein, ich merke, es tut mir gut, Herr Oberstaatsanwalt.«

»Nein, ich habe über nichts zu klagen, Herr Präsident.«

Aber manchmal – jetzt grinst er, er denkt daran, wie er den kleinen Studentinnen, die Wohlfahrtsfürsorgerinnen werden wollten und ihn so gierig nach seiner Straftat fragten, wie er denen demütig statt Unterschlagung und Urkundenfälschung geantwortet hat: »Blutschande. Hab’ mit meiner Schwester geschlafen. Leider.«

Er denkt an das entzückt über diesen Witz grinsende Gesicht des Polizeiinspektors und an die eine Studentin, die ihm mit flammendem Blick immer dichter auf den Leib rückte. Nettes Mädchen, hat ihm guten Stoff für manches Einschlafen geliefert.

Und die feine Zeit, als er beim katholischen Pfaffen immer den Altar rüsten mußte, trotzdem der sich heftig gegen einen ›Evangelischen‹ gewehrt hatte. Aber es gab ›keine vertrauenswürdigen Katholiken‹ im Bau, das war ein Hieb der evangelischen Beamten gegen den katholischen Pfarrer.

Wie er da hinter der Orgel gestanden und Luft in die Bälge gepustet hatte, und der Kantor gab ihm jedesmal eine Zigarre und einmal war der katholische Kirchenchor oben und die Mädels schenkten ihm Schokolade und feine Toilettenseife. Hinterher nahm sie ihm freilich der Hauptwachtmeister Rusch wieder ab. »Puff! Puff!« hatte er in Kufalts Zelle geschnuppert, »riecht hier wie Puff.« Und hatte so lange gesucht, bis er sie gefunden hatte und die olle Sodaseife wieder Trumpf war.

Nein, eine gute Zeit hatte er gehabt, alles in allem, eigentlich kam die Entlassung etwas Hals über Kopf. So recht vorbereitet war nichts, er würde ganz gerne noch so sechs oder acht Wochen bleiben, sich auf die Entlassung rüsten. Oder war es, daß er auch schon meschugge war, zu spinnen anfing –?Er hatte es ja hundertmal erlebt, die Vernünftigsten, die Ruhigsten wurden kurz vor der Entlassung durchgedreht, fingen an zu spinnen. War er auch soweit?

Vielleicht ja, das mit dem Netzemeister und dem dicken Juden, da so einfach in die Zelle, das hätte er früher nicht riskiert, und das mit Wachtmeister Steinitz auch nicht.

Wenn nur erst der Schwager schriebe! Hatte der Hauptwachtmeister heute schon die Post verteilt? Schwein das, auf den konnte man sich auch nie verlassen, hatte er keine Lust, gab er drei Tage keine Post aus!

Kufalt macht ein paar Schritte und stutzt. Er hat doch die Waschschüssel stets so auf dem Schränkchen stehen, daß ihr Rand millimetergenau mit der Schrankkante abschneidet? Und jetzt steht sie mindestens einen Zentimeter zurück?

Er öffnet die Schranktür.

Kieke da, der hat meine Zelle durchgefilzt, das olle Stielauge, der Netzemeister! Hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben auf seinen Hunderter! Na, warte, mein Junge, wenn du dich da man nicht schneidest!Kufalt wirft einen argwöhnischen Blick gegen den Spion und greift dann rasch an sein Halstuch. Es knittert beruhigend darin. Aber nun fällt ihm ein, daß in spätestens einer halben Stunde Vorführung beim Arzt ist, und da muß er sich ausziehen und darf also den Hunderter nicht bei sich haben. Das weiß der Netzemeister auch, dann wird er die Zelle noch mal filzen ...

Kufalt zieht grübelnd die Stirn in Falten. Er weiß natürlich, daß es in der Zelle kein Versteck gibt, das die Beamten nicht kennen. Die haben da vorne eine Liste, ein Wachtmeister hat es ihm mal erzählt; zweihundertelf Möglichkeiten gibt es, in dem Dreckding von Zelle was zu verstecken.

Aber für ihn handelt es sich jetzt nur darum, ein Versteck zu finden, das anderthalb Stunden vorhält. Länger dauert die Vorführung beim Arzt nicht, und länger hat der also auch keine Zeit zu suchen.

Im Rücken vom Gesangbuch? Nein, das ist schlecht. In der Kapokmatratze? Das wäre nicht dumm, aber dafür ist die Zeit jetzt zu kurz, er kann nicht auftrennen und zunähen in der halben Stunde bis zur Vorführung. Außerdem müßte er sich erst das passende Garn von den Sattlern besorgen.

Nun zeigt es sich, daß es dumm war, den Kübel zu leeren, anderthalb Stunden in dem Dreck auf dem Boden zu liegen, das hätte dem Hunderter nichts geschadet, das wäre wieder rauszukriegen gewesen, aber nun war der Kübel leer.

Unter den Tisch kleben?

Am besten unter den Tisch mit Brotkrumen festkleben!

Er dreht schon an den Kügelchen, aber dann läßt er es wieder: Es ist zu bekannt und ein Blick genügt. Lieber nicht.

Kufalt wird nervös. Es klingelt schon zum Schluß der letzten Freistunde, in einer Viertelstunde geht die Vorführung los. Ob er den Schein doch mit zum Arzt nimmt? Er könnte ihn ganz fest zusammenrollen und sich hinten reinstecken. Aber vielleicht gibt der Netzemeister dem Hauptbullen vom Lazarett einen Wink, und dann wird er so gefilzt – die sind imstande und untersuchen ihn auf Mastdarmkrebs!

Er ist ratlos. Es ist genau, wie wenn er rauskommen wird. Da sind auch so viele Möglichkeiten und bei allen ist ein »Aber« dabei. Man muß sich entscheiden können, aber das eben kann er nicht. Wie soll er auch? Die haben ihm doch hier fünf Jahre lang jede Entscheidung abgenommen. Die haben gesagt: »Friß!« und da hat er gefressen. Die haben gesagt: »Geh durch die Tür«, und da ist er durchgegangen, und »Schreib heute«, und da hat er heute seinen Brief geschrieben.

Die Luftklappe ist auch nicht schlecht. Nur zu bekannt, viel zu bekannt. In dem einen Bettbrett ist ein Riß – aber wenn einer zufällig hinsieht, sieht er sofort den Schimmer vom Papier. Er könnte den Schemel auf den Tisch stellen und das Ding auf den Schirm der Deckenlampe legen, aber das machen alle und außerdem kann gerade einer durch den Spion linsen, wenn er auf dem Tisch steht.

Kufalt dreht sich rasch um und sieht nach dem Spion. Richtig, er hat’s gefühlt, da ist ein Glotzauge, das ist dem seines, das Fischauge!

Und in gespielter Wut springt er gegen die Tür, ballert daran und brüllt: »Willst du weg vom Spion, Kalfaktor, verdammter!«

Es geht knallbumms, die Tür fliegt auf und in ihr steht der Hauptwachtmeister Rusch.

Nun heißt es theatern, denn Rusch liebt nur die eigenen Späße. Bei Hauptwachtmeister Rusch muß man demütig sein, und so ist Kufalt ganz hübsch betreten, als er stottert: »O Verzeihung, Herr Hauptwachtmeister! HerrHauptwachtmeister verzeihen, ich dachte, es wäre das Biest von Kalfaktor, der kneistet immer, wo ich meinen Tabak lasse.«

»Wat denn? Wat denn? Krach gibt’s nicht. Der Lack geht von der Tür.«

Kufalt schmeichelt: »Herr Hauptwachtmeister wissen doch, bei mir ist immer alles in Butter, kein Ratzer im Lack.«

Der Hauptwachtmeister, ein etwas stoppliger Napoleon, der wahre Herrscher über das Gefängnis, wortkarg, stets voller Überraschungen, erbitterter Feind jeder Neuerung, des Stufenstrafvollzugs, des Direktors, der Beamten, jedes Gefangenen – der Hauptwachtmeister Rusch antwortet nicht, sondern geht zum Schränkchen, an dem die Personalien- und Vergünstigungstafel hängt. »Was ist mit Vögeln?« fragt er.

»Mit Vögeln?« fragt Kufalt, halb verwirrt, halb grinsend.

»Vögeln! Vögeln!« knarrt der Despot ärgerlich und tippt mit dem Finger auf die Vergünstigungstafel. »Hier steht zwei Kanarienvögel. Wo sind die? Verschoben, was?«

»Aber, Herr Hauptwachtmeister«, sagt Kufalt vorwurfsvoll und denkt dabei voll Angst an den Hunderter, der immer noch in seinem Halstuch steckt. »Die gelben Spatzen sind doch draufgegangen, als im Winter die Zentralheizung kaputt war. Ich hab’s Ihnen doch noch gesagt!«

»Gelogen. Gelogen. Erstunken. Gelogen. Der Schuster, der Maaß, hat zweie zuviel. Das sind deine. Verschoben!«

»Aber, Herr Hauptwachtmeister, ich habe es Ihnen doch gesagt, daß sie krepiert sind! Ich bin im Glaskasten bei Ihnen gewesen und habe es Ihnen gemeldet.«

Der Hauptwachtmeister steht unterm Fenster. Er dreht dem Gefangenen den Rücken, der sieht nur die dicken, weißen Hände, die mit den Schlüsseln spielen.

›Wenn er doch ginge!‹ fleht Kufalt. ›Jeden Augenblick kommt die Vorführung zum Arzt und ich mit dem Schein im Halstuch! Ich bin ja geplatzt! Ich komme gleich wieder in Untersuchungshaft!!‹

»Die dritte Stufe!« knurrt das Haupt. »Immer die dritte Stufe. Alle Unordnung im Bau. Ihr Geld, Ihre Arbeitsbelohnung ..«

»Ja –?« fragt Kufalt, als nichts mehr kommt.

»Aufs Wohlfahrtsamt. Da kannst du dir jede Woche fünf Mark holen.«

»Herr Hauptwachtmeister«, fleht Kufalt, »das werden Sie doch nicht tun, wo ich meine Zelle immer so fein gewienert habe!«

»Wat denn! Tu’ ich. Mach’ ich. Mir ganz egal. Wienern –? Ordnung mit Vögeln – hahaha!«

»Haha«, lächelt auch Kufalt gehorsam.

»Was ist«, fragt der Hauptwachtmeister und kann plötzlich Deutsch, »mit dem Netzemeister und dem neuen Netzekalfaktor?«

»Neuer Netzekalfaktor?« fragt Kufalt. »Ist denn ein neuer da? Den hab’ ich noch gar nicht gesehen.«

»Viole! Scheiß die andern an! Zehn Minuten warst du bei denen in der Zelle!«

»Aber nein, Herr Hauptwachtmeister, ich war heute überhaupt nur zur Freistunde aus meiner Zelle!«

Der Hauptwachtmeister streicht mit dem Finger nachdenklich über das Schrankdach. Er besieht den Finger, nicht unbefriedigt, dann beriecht er ihn. Nein: Es hat auch nicht eine Spur von Staub auf dem Schrank gelegen. Er besinnt sich und geht zur Tür. »Also Arbeitsbelohnung durch Wohlfahrt.»

Kufalt überlegt fieberhaft: ›Sag’ ich jetzt nichts, so geht er und ich kann den Hunderter verstecken, aber hänge ewig bei der Wohlfahrt. Hau’ ich die aber in die Pfanne, bin ich zwar den Hunderter los, kriege aber übermorgen meine Arbeitsbelohnung hier bar ausbezahlt. Aber auch nur vielleicht.‹

»Herr Hauptwachtmeister ...«

»Heh –?«

»Ich war in der Zelle – bei denen.«

Der wartet. Schließlich: »Was ist –?«

»Der kriegt für den dicken Juden Briefe. Da müssen Sie mal filzen gehen.«

»Nur Briefe?«

»Er wird’s ja nicht tun für die schöne Nase von dem.«

»Weißt du was?«

»Filzen müssen Sie, Herr Hauptwachtmeister. Heute noch, gleich – da finden Sie was.«

Die Tür geht auf: »Kufalt zum Arzt!«

Kufalt sieht auf den Hauptwachtmeister.

»Los!« sagt der gnädig. »Vögel krepieren hier alle im Bau.«

›Dem Aas, dem Netzemeister, habe ich das fein besorgt‹, denkt Kufalt, als er die Treppe hinunterschlurrt. ›Nun hat er keine Zeit, in meiner Zelle zu suchen. Ach Gott, das wäre ja jetzt auch egal! Nun habe ich den Schein doch noch bei mir, verdammt!‹

6

Der Wachtmeister sieht Kufalt über das Geländer weg nach.

»Ein bißchen dalli, Kufalt! Tut, als wüßte er nicht Bescheid. Bist doch wahrhaftig genug zum Arzt gelaufen!«

›Ist ja gar nicht wahr‹, denkt Kufalt. ›Seit der mich damals angezeigt hat wegen Simulieren, als ich den Daumen verknackst hatte und nicht stricken konnte, bin ich keine dreimal mehr bei ihm gewesen. Und ich hatte nicht Viole geschoben, ich hatte den Daumen wirklich verknackst!‹

Nein, es sind schlechte Aussichten, den Schein noch irgendwie loszuwerden. Auf allen Gängen ist Hochbetrieb. Vorführung zum Direktor, zum Polizeiinspektor, zum Arbeitsinspektor, zum Arzt, zum Pastor, zum Lehrer – auf allen Stationen knallen die Riegel, knacken die Schlösser, laufen Beamte mit Listen, schieben sich Gefangene in ihren blauen Schlotterhosen lang.

Mir geht eben alles schief. Wenn ich einmal wirklich keß bin und schneide mir eine Scheibe ab – ein richtiger Ganove werde ich doch nie ...

Unten begrüßt ihn Oberwachtmeister Petrow, ein oller Posener, schon in der Vorkriegszeit Kittchenhengst gewesen, Liebe aller Gefangenen.

»Na, Kufalt, olles Haus, is sich Zeit rum? Siehst du, is gewesen ein Blitz! Warum hat Hauptwachtmeister dir Zelle gegeben? Hättest du machen können auf der Treppe ab das kleine Endchen Knast! – Wie lange? Fünf Jahre? Mensch, Kufalt, Zeit läuft sich wie Auto; was sich kleines Mädchen freuen wird, daß du alles hast aufgespart für sie.«

Der dicke Petrow schnauft strahlend und die Gefangenen grinsen beifällig.

»Nein, stell dich dort hin, Kufalt, Haus. Nich zu Batzke, denn ihr schwatzt und der Olle kuckt aus Glaskasten, kuckt, kuckt! – Siehst du, hier, und drei Schritte Abstand. – Komm her, du Neuer mit Brille, willst du zu Fuß gehen auf Hamburg –? Bleib hier, mein Söhnchen, mach ein bißchen halt hier bei uns, Liebling ... Geh nicht mehr weiter.«

An die dreißig Gefangene stehen schon da, wartend auf die Arztvisite, und noch kommen immer mehr von allen Stationen dazu. Kufalt hat den kleinen Tischler, den Emil Bruhn, entdeckt und winkt ihm aus der Ferne zu.

»Das wird ja heute wieder endlos«, stöhnt er zu seinem Vordermann, »totsicher ist der Fraß eiskalt, wenn wir auf die Zelle kommen. Und heute gibt’s Erbsen.«

Der vor ihm dreht sich um. Er ist ein langes Reff in einer unglaublichen Kledage, Röhren aus lauter hell- und dunkelblauen Flicken, eine Weste, die so kurz ist, daß zwischen Hosen- und Westenrand eine Handbreit Hemd hervorsieht, und eine Jacke mit Ärmeln nur bis an die Ellbogen. Darüber ein kleiner, blasser, böser Kopf.

»Dich haben sie ja beim Hausvater fein in der Mache gehabt« sagt Kufalt. »Hast ihn wohl geärgert. – Wie lange reißt du ab?«

»Sprechen Sie mit mir?« fragt das Reff. »Darf man denn hier sprechen?«

»Nee. Aber du darfst ruhig du zu mir sagen, unsre Kübel werden doch alle zusammen ausgeschüttet. – Wieviel mußt du abreißen?«

»Ich bin zu zwei Jahren Gefängnishaft verurteilt. Aber ich bin unschuldig, zwei Zeugen haben einen Meineid geschworen. Ich habe schon Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet.«

»Das mit dem Meineid sagen wir alle, wenn wir reinkommen«, tröstet Kufalt. »Das gibt sich. – Was hat auf deinem Schild über der Zelle gestanden, vor der Verhandlung?«

»Schild –? Wie meinen Sie das? Ach so! Untersuchungsgefangener, also ein ›U‹.«

»Quatsch, das ›U‹ heißt doch nicht Untersuchungsgefangener, das heißt Unschuldiger. Und was hängt jetzt an deiner Zelle?«

»Strafgefangener. ›S‹.«

»Wieder Quatsch. Schuldiger! Das ist alles ganz einfach. Wenn du verknackt bist, bist du auch schuldig, da hilft kein Reden. Urteil ist Urteil. Rede hier bloß keinen Stuß von wegen Meineidsanzeigen, auf die süße Tour fallen wir hier nicht rein. Da sind ’ne ganze Menge, die nehmen das gewaltig sauer, wenn du so daherredest.«

»Na, erlauben Sie mal, ich bin unschuldig, meine Frau und mein Prokurist würden ein paar Jahr Zuchthaus wegen Meineid kriegen. Hören Sie mal zu, ich werde Ihnen das erzählen ...«

Aber er kommt nicht mehr zum Erzählen. Vom Glaskasten her klingt heftiges Schlüsselgeklopfe. »Herr Petrow, passen Sie gefälligst auf! Der Lange da, der Menzel, schwatzt immerzu mit dem Kufalt.«

Petrow stürzt sich wutentbrannt auf den »Unschuldigen«: »Soll ich dir Giftzahn ausreißen, Laster, langes, geklebtes? Bist du in Judenschule, denkst du? Glaubst du? Marsch, marsch, marsch, Linken, Rechten, Linken, Rechten, in Arrestzelle, kannst du reden mit Eisen, bis Arzt kommt, Schwätziges, du!«

Knack, knack, die Zellentür fliegt zu, der ganz verstörte Lange ist verschwunden und im Vorbeigehen flüstert Petrow strahlend dem Kufalt zu: »Hat er Schiß gekriegt, der Neue? Bin ich schrecklich wütend? Söhnchen, mach mit dem nicht Kumpelage, immer ist das bei Direktor und Inspektor und schwätzt alles, was es hört.«

Und Petrow ist schon zehn Schritte weiter. Da stehen isoliert zwei Braune, schmucke Zuchthaushusaren, sicher auf Transport hier. Und die beiden Isolierten hatten drei Schritte vorwärts gemacht, vom Linoleum herunter auf den gewachsten Zementboden, wohl um etwas Anschluß zu finden bei den anderen Gefangenen, vielleicht wegen Tabak ...

»Bleibt sich hier die Herren, auf dem braunen Linolei, immer auf dem Linolei! Hier, die Herren!«

Die Zuchthäusler sehen nicht auf, sie sehen starr vor sich in die Luft, hören nichts, rühren sich nicht. Kufalt stellt wieder fest, daß Zuchthäusler eine ganz andere Art haben, mit Beamten umzugehen. Gefängnisgefangene schmusen sich an, suchen auf du und du zu kommen, der Zuchthäusler hat nie einen Beamten gesehen, die sind alle Luft für ihn.

Petrow empört sich ernstlich: »Auf den Linolei! Auf den Linolei!«

Die beiden hören nichts, sehen nichts. Nur wie zufällig machen sie gerade jetzt einen Schritt, zwei Schritte, drei Schritte – und stehen wieder auf dem Linoleum. Den Beamten haben sie gar nicht gesehen.

Die Tür zum Lazarett tut sich auf. In seinem weißen Mantel erscheint der Lazaretthauptwachtmeister: »Vorführung zum Arzt!«

»Paarweise antreten!« schreit Petrow. »Einrücken ins Lazarett!«

Und im selben Augenblick bricht die sorgfältig bewahrte Ruhe und Ordnung zusammen. An die fünfzig Gefangene rücken mit Gelärm und Geschwätz durch die enge Schlucht eines Ganges über eine Treppe ins Lazarett. Petrow versucht, wenigstens die beiden Zuchthäusler im Auge zu behalten, aber sofort sind die untergetaucht zwischen den anderen, tauschen Worte, ihre Hände fassen zu.

»Na, wartet! Werde ich filzen euch auf Tabak, Schweine, miserablige! – Na, laß sie! – Stellt euch hierhin, ihr beide!«

»Alles in zwei Gliedern aufstellen, die Gesichter zur Wand, die Rücken gegeneinander. Schuhe und Pantoffeln ausziehen und vor sich stellen!« kommandiert der Lazaretthauptwachtmeister.

Es geschieht, ein Name wird aufgerufen und der Gefangene verschwindet im Arztzimmer, der Hauptwachtmeister hinterher.

»Das wird heute wieder endlos dauern«, haucht Kufalt zum kleinen Bruhn, der neben ihm steht.

»Weiß man nicht, Willi«, flüstert Bruhn. »Manchmal macht er sechzig in einer halben Stunde fertig. Siehst du, geht der Krach schon los.«

Aus dem Arztzimmer tönt Geschimpfe, Geschrei, der Gefangene erscheint, wutrot: »Aber ich bin wirklich krank, ich beschwere mich beim Strafvollzugsamt, das lasse ich mir nicht gefallen!«

»Gehen Sie schon, gehen Sie«, drängelt der Hauptwachtmeister.

»Simulantengesindel«, hört man den Arzt schreien. »Ich besorg’s euch! Der Nächste!«

»Riecht heute sauer«, sagt Batzke auf der anderen Seite von Kufalt. »Wenn er schon beim Ersten so anfängt ...«

»Wenigstens kommen wir dann schneller dran. Ich will noch zum Fußball. Du doch auch?«

»Weiß noch nicht. Mein Affenfett ist alle, ich muß erst noch mal auf die Anschaffe.«

»Müssen wir uns eigentlich ganz ausziehen?« fragt Kufalt.

Und Batzke: »In Fuhlsbüttel mußten wir’s. Wie’s hier bei den Preußen ist, weiß ich nicht.«

»Unsinn«, flüstert Bruhn von der anderen Seite. »Gar nichts wird gemacht. Der sieht uns gar nicht an.«

»Glaub’ ich nicht«, sagt wieder Kufalt. »In der Strafvollzugsordnung steht doch, daß die Gefangenen vor ihrer Entlassung gründlich auf Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zu untersuchen sind.«

»Da steht viel.«

»Also du meinst, wir brauchen uns nicht auszuziehen?«

Batzke flüstert: »Na, was für heiße Sore hast du denn in deinen Lumpen, Kufalt? Machen wir Kippe oder –?«

»Stille seid ihr, Klatschtanten«, ruft Petrow. »Mit Schlüssel in Genick schlag ich!«

»Ach, Herr Oberwachtmeister, darf ich nicht mal austreten? Herr Oberwachtmeister, es zieht mir ja so durch den Bauch! Ich hab’ ja so ’ne Angst vor dem Arzt!« grinst Kufalt.

»Na, geh scheißen, altes Haus. Drüben in Spülzelle. Daß du aber keine drinnen stößt, sonst alles Qualm und Doktor schimpft.« »Bestimmt nicht, Herr Oberwachtmeister.«

Und Kufalt verschwindet in der Spülzelle, deren Tür er anlehnt. Der Sicherheit halber zieht er die Hosen runter, aber dann stellt er sich mit dem Rücken gegen den Spion, nimmt hastig den Schein aus dem Halstuch, schiebt ihn tief in die Socken (so, Batzke, Kippe is nich), macht sich zurecht, läßt einen Augenblick die Wasserleitung laufen und stellt sich wieder in Reih und Glied.

Petrow steckt den Kopf prüfend in die Spülzelle und zieht ihn befriedigt zurück. »Nicht geraucht, keine gestoßen, braver Kerl. Kufalt.«

Und Kufalt fühlt sich ob dieses Lobes richtig gerührt.

Doch Batzke flüstert: »Na, Mensch, Kufalt, wie is –? Kommst du rüber mit der Sore oder soll ich –?«

Und Kufalt dagegen: »Und was ist mit dem dicken Juden und der nackten Schickse? Mensch, hau bloß ab, bei mir immer Fehlmeldung!«

»Na also«, grinst Batzke. »Hast du den Stubben auch hochgenommen? Sauber! Sauber!«

Aus der Ecke grollt eine drohende Stimme: »Wie lange sollen wir hier noch in Socken auf dem kalten Fußboden stehen? Eine Schweinerei ist das! Beschweren werde ich mich!«

Petrow grinst: »Die Herren aus dem Zuchthaus? Hat sich Medizinalrat so angeordnet. Kann ich nichts machen, Herren. Beschweren sich bei Medizinalrat.«

»Möchte ich auch wissen«, sagt Kufalt leise zu Bruhn, »warum diese Schweinerei ist. Zehnmal habe ich mir schon den Husten bei dieser Steherei auf dem kalten Fußboden geholt.«

»Daß wir den Herren Lazarettkalfaktoren ihr Linoleum nicht zerkratzen«, meint Batzke.

»I wo«, erklärt Bruhn, der alles weiß. »Das ist schon sechs, acht Jahre her, da hat mal ein Gefangener dem Arzt die Latschen um den Kopf gehauen. Seitdem darf kein Gefangener mehr in Latschen zu ihm.«

»Verdammte Schweinerei«, knurrt Kufalt. »Wir dürfen uns hier erkälten, weil ...«

»Wir sind eben Vieh«, sagt Batzke. »Aber ich will’s denen draußen auch fein zeigen, was ich für ein Vieh bin!«

Die Gefangenen sind dahingeschmolzen wie Schnee an der Sonne, es hat mehr Krach gegeben, mehr Geschrei, empörte Proteste oder weinerliches Gewinsel, aber zum Schluß hat immer die dicke Schulter des Lazaretthauptwachtmeisters die Leute aus der Tür gekantet, Petrow hat sie weiterbefördert, hat mitfühlend ihre Klage angehört und ist froh gewesen, wenn er sie aus dem Lazarett raus hatte.

Nun kommen nur noch die beiden Zuchthäusler und die Entlassungen dran.

»Paß auf, jetzt gibt’s Krach«, rät Kufalt.

»Glaub’ ich nicht«, zweifelt Bruhn. »Sollte mich wundern.«

Und nach fünf Minuten erscheinen die beiden wieder aus dem Arztzimmer, mit denselben ausdruckslosen Gesichtern, und diesmal taucht der Herr Medizinalrat selbst hinter ihnen auf: »Der Hauptwachtmeister bringt Ihnen gleich die Medizin rauf. Ja, auch Watte. Jawohl.«

»Die können’s besser, die Jungen«, beneidet sie Kufalt.

»Ach was«, sagt Bruhn, »feige ist er bloß, der Doktor. Das können doch Lebenslängliche sein – und was riskieren die schon, wenn sie ihm in die Fresse schlagen? Lebenslänglich bleibt immer lebenslänglich. Das weiß der Doktor ganz gut.«

»Kehrt! Den Arzt anschauen! Das sind die Leute, die diese Woche zur Entlassung kommen, Herr Medizinalrat.«

»Schön.« Der Medizinalrat sieht nicht hoch. »Die Leute können abgeführt werden. Alle gesund, alle arbeitsfähig, Herr Hauptwachtmeister.«

»Dafür haben wir hier nun eine Stunde gewartet«, sagt Bruhn.

»Aber ich schreibe eine dicke Beschwerde, wenn ich raus bin«, erklärt Kufalt.

»Vieh muß wie Vieh behandelt werden«, grinst Batzke. »Recht hat er, der Pflasterkasten!«

7

Als Kufalt in seine Zelle kommt, hat er schon wieder Grund zum Ärger. Da haben sie unterdessen Essen ausgegeben und ihm seinen Eßnapf auf den Tisch gestellt, aber nur einen Schlag haben sie hineingetan! Hunde, die verdammten! Soll er Kohldampf schieben noch in den letzten Tagen? Und gerade Erbsen, die er so gerne ißt!

Aber als Kufalt dann sitzt und hastig löffelt – er muß schlingen, denn es kann jede Minute klingeln zur Freistunde der dritten Stufe –, widersteht ihm das Essen plötzlich. Das hat er ein paarmal gehabt in diesen Jahren: Wochenlang, monatelang konnte er den breiigen Fraß nicht runterbringen.

So wühlt er nur appetitlos in der Schüssel, ob sich vielleicht ein Stückchen Schweinefleisch hineinverirrt hat – aber nichts.

Er kippt das Essen in den Kübel, macht die Schüssel sauber und schmiert sich einen Kanten mit Schmalz. Sein Schmalz schmeckt deftig, die Schneider braten es ihm unten auf dem Bügelofen mit Äpfeln und Zwiebeln aus. Zu ihm sind sie anständig, bei ihm nehmen sie nicht mehr als ein Viertel vom Pfund für ihre »Arbeit«, andere müssen die Hälfte oder gar drei Viertel geben, und wer grün ist, der kriegt überhaupt nichts zurück. Da hat es eben der Hauptwachtmeister beschlagnahmt. Die Schneider sind noch anständig gewesen und haben alle Schuld auf sich genommen. Erzählen die. Mach’ da schon was!

Kufalt hockt auf seinem Schemel und gähnt. Am liebsten haute er sich eine Weile aufs Bett, aber der Hauptwachtmeister kann jeden Augenblick an die Glocke schlagen, es wäre schon längst Zeit.

Wie sich die Zeit dehnt, diese letzten Tage und Wochen! Sie geht nicht hin, sie geht nicht hin, sie bleibt, sie klebt, sie geht nicht hin. Sonst hat er jede freie Minute gestrickt, aber er mag nicht mehr, nicht eine Masche mehr wird er denen stricken! Nichts mag er mehr. Auch nicht draußen sein. Sicher schreibt Werner überhaupt nicht und dann darf er beim Pfaffen um Unterkunft betteln.

Das Beste wäre ein gutes, sicheres Einkommen, es braucht nur klein zu sein, aber sicher. Nichts mehr von den Ganoven sehen, irgendwo ganz unauffällig hausen, ein gewisser, gleichgültiger Willi Kufalt, und man hat sein Zimmer und sitzt warm durch den Winter. Vielleicht mal Kino. Und nette Büroarbeit und so weiter und so weiter. Er wünscht sich nichts Besseres. Amen.

Die Glocke schlägt an.

Er fährt hoch, greift nach Mütze und Halstuch, fühlt noch mal, ob der Schein fest im Strumpf sitzt – da macht schon Steinitz die Tür auf: »Freistunde dritte Stufe!«

Unterm Glaskasten sammeln sie sich, elf Männlein von sechshundert.

»Seid ihr alle?« fragt Petrow.

»Nein, Batzke fehlt noch.«

»Der pennt, muß extra geweckt werden.«

»Nein, der will nicht kommen.«

»Einen feinen Begriff kriegen die vorne. Die werden uns rasch wieder die Extrafreistunde abknöpfen, wenn sie sehen, daß wir nicht mal hingehen.«

»Wer hat den Fußball?«

»Einen neuen brauchen wir auch wieder. Den kann man nicht mehr flicken.«

»Halt’s Maul, Schuster, gut ist der noch zu flicken, sei bloß nicht so faul!«

»Wenn die feinen Herren übermorgen rauskommen, können sie schon mal zehn Mark schmeißen von ihrer Arbeitsbelohnung.«

»Ich brauch’ mein Geld für mich.«

»Nanu, Herr Oberwachtmeister, warum gehen wir denn heute durch den Keller?«

»Is sich näher.«

»Und verboten ist es auch.«

»Wer verboten? Gar nicht verboten!«

»Rusch!«

»Was der verbietet, ich hust’ in die Hosen.«

»Da steht doch wer!«

»Mensch, Bruhn, kommst du mit uns mit?«

»Au fein, Emil, da können wir schön miteinander klöhnen.«

»Petrow hat mich rausgeschmuggelt, Rusch ist jetzt nicht im Bau. Fein, was, Willi?«

»Das gibt es gar nicht! Der ist noch nicht mal zweite Stufe! Herr Oberwachtmeister –!«

»Ich nichts sehen. Nicht wissen, wie Bruhn rausgekommen.«

»Hältst du den Sabbel, neidischer Hund! Gönnst das dem Bruhn wohl nicht, daß er ein einziges Mal mit uns rauskommt?«

»Stubben, dämlicher, wenn i c h mal was will, gibst du an, noch und noch.«

»Bei Bruhn ist das anders, bei Bruhn sagt kein Wachtmeister was.«

»Anders – weil er dein Süßer ist, was? So was gibt’s gar nicht, ich werde dir Lampen machen!«

»Tu’s doch, wenn du’s wagst! Ich weiß auch was von dir ...«

Sie sind draußen. Es ist der Freihof vom Jugendgefängnis, auf dem sie Fußball spielen und spazierengehen dürfen, ohne Aufsicht – Petrow hat sich schleunigst gedrückt –, als Vorbereitung für die Freiheit, allerdings von einer fünf Meter hohen Mauer umgeben.

»Komm, Willi, laß ihn doch reden, ich bin ja jetzt draußen.«

»Ja, komm. Wir gehen hier die Mauer lang, da stören wir sie nicht beim Spiel.«

»Dir muß man eine in die Fresse schlagen, du hochnäsiger Hund, du!«

»Schlag’ doch, schlag’ doch, wenn du eine Courage hast!«

»Das will ich dir beweisen, du Priemmaul, du elendes –!«

»Spielen wir nun Fußball oder nicht, Schuster –?«

»Viel zu elend bist du mir, hau bloß ab mit deinem Puppenjungen. Aber ich sag’ es dem Rusch –!«

»Also komm endlich, Willi!«

»Dieser elende Schuster, Emil! Ich will dir auch sagen, warum er so stänkert. Meine beiden gelben Spatzen hab’ ich ihm verkauft für vier Pakete Tabak. Und der Rusch hat es gerochen. Nun ist er die Vögel u n d den Tabak los. Darum ist er so giftig, nicht deinetwegen.«

»Wann kommt er raus, der Schuster? Der spinnt ja schon.«

»Und ob. Drei Jahre muß er noch abreißen. Aber er schmiert sich ja an jeden ran, den Beamten besohlt er heimlich die Schuhe, noch und noch, und jetzt will er ja auch wieder in die katholische Kirche eintreten, da kriegt er sicher Bewährungsfrist!«

»Ja, der kommt immer wieder raus, der versteht den Bogen.«

Sie gehen in der warmen Maisonne immer unter der Mauer auf und ab. Grün ist kein Gräserl, kein Zweig zu sehen, aber der Himmel ist schön blau und nach den trüben Zellen ist die Sonne doppelt hell und warm. Sie wärmt bis in die Knochen, die Glieder werden schlaff und lässig, die immer gespannte, sprungfertige, abwehrbereite Stimmung entspannt sich, die beiden werden weich und ruhig.

»Du, Willi«, sagt der kleine Bruhn.

Er ist ein dicker, molliger Junge, erst achtundzwanzig, mit siebzehn in den Bau gekommen. Mit seinen hellblauen Augen, dem rosigen, vollen Gesicht, dem fast weißen Haar sieht er aus wie ein großes Kind. Auf seinem Schild in der Zelle steht aber »Raubmord«, und er hat auch die Höchststrafe für Jugendliche bekommen, damals noch fünfzehn Jahre. Doch nach so was sieht er nicht aus, er ist ein guter Junge, alle im Bau mögen ihn. Nie hat er sich angeschmiert und doch mögen sie ihn.

Übrigens behauptet er, wenn er auf die Sache, sehr selten und sehr hilflos, zu sprechen kommt, daß er zu Unrecht verurteilt ist. Es war kein Raubmord, es war Totschlag, in Wut und Verzweiflung hat er seinen Kahnschiffer, der den Schiffsjungen Bruhn bis aufs Blut peinigte, erschlagen. Daß es ihm dann leid tat, mit dem toten Schiffer die goldene Uhr ins Wasser zu werfen, das steht seiner Ansicht nach auf einem anderen Blatt. Nicht um die Uhr hat er den erschlagen.

Da gehen die beiden jungen Leute, fünf Jahre und elf Jahre Knast haben sie hinter sich, jetzt sind sie in der Sonne und in zwei Tagen ist alles überstanden und alles wird wieder gut.

»Du, Willi?« fragt der kleine Bruhn.

»Ja, Emil?«

»Ich hab’ dich schon in der Spülzelle gefragt: Willst du nicht hier bleiben? Hier am Ort, meine ich. Nein, sag’ noch nichts, ich denke mir, wir nehmen uns zusammen ein Zimmer, das wird billiger. – Und wenn du nicht gleich Arbeit kriegst, kochst du und wäschst und machst die Hausarbeit. Ich werd’ gut verdienen. Und abends werfen wir uns fein in Schale und gehen aus.«

»Ich muß doch sehen, daß ich Arbeit kriege, Emil. Ich kann doch nicht ewig deine Hausarbeit machen.«

»Arbeit kriegst du. Nur so für den Anfang, dachte ich. Wenn du kräftiger wärst, würde ich dich in der Holzfabrik unterbringen, aber du mußt wohl Schreibkram machen oder so was ... Der Alte mag dich doch gerne, der besorgt dir sicher was.«

»Ach, der Direktor, der kann auch nicht, wie er möchte. Und dann, Emil, hier das kleine Nest, überall laufen die Wachtmeister rum und die blauen Jungens auf Außenarbeit, und ewig hast du den Bunker vor Augen und nach drei Tagen wissen die Krimschen, woher du bist. Und dann schwatzt es sich rum und die Wirtin erfährt’s und dir wird gekündigt .. .«

»Wir gehen gleich zu einer, die’s nicht stört.«

»Ach, das sind doch auch wieder solche, die wollen uns dann gleich hochnehmen.«

»Braucht nicht zu sein, Willi, glaub’ mir, braucht nicht zu sein. Es gibt auch andere. – Ich denk’ immer, ich krieg’ noch mal ein anständiges Mädel, nicht solch Nuttenpack, und heirate und werde Meister und hab’ Kinder ...«

»Würdest du’s ihr denn sagen?«

»Weiß nicht. Müßte man mal sehen. Aber besser nicht.«

»Aber du mußt es ihr sagen, Emil! Sonst hast du ja immer Angst, es kommt raus und sie läuft dir weg.«

Sie stehen in der vollen Sonne, sie sehen sich nicht an, sie sehen vor sich hin in den grauen Sand, Kufalt wühlt mit seinem Pantoffel darin.

Bruhn bittet noch einmal: »Also, Willi, mach’, komm mit mir!«

Und Kufalt: »Nein. Nein. Nein. Das mit dir, Emil, wäre doch auch wieder Kittchen. Wir würden immer nur vom Bau reden und vom Knast. Nee, nicht.«

»Nein!« sagt nun auch Bruhn.

»Man hat ja hier alles mitgemacht und man hat schön mitgeschoben und beschissen und hat andere in die Pfanne gehauen und ist denen in den Arsch gekrochen, denen vorne, aber nun Schluß!«

»Ja«, sagt Bruhn.

»Und dann, wegen des anderen auch ... Weißt du, als ich auf der Penne war, auf der Schule, verstehst du, da habe ich ’ne Liebe gehabt, ganz von weitem, wir haben höchstens zweimal miteinander gesprochen und einmal hab’ ich gesehen, wie sie ihr Strumpfband wieder festmachte in den Anlagen. Das war damals, als die Mädchen noch lange Röcke trugen, weißt du ...«

»Ja«, sagt Bruhn.

»Aber das war nichts gegen das erste Jahr hier, als du mir gegenüber auf der anderen Seite die Zelle hattest und ich sah dich morgens. Du hattest nur Hemd und Hose an und setztest den Kübel raus und den Wasserkrug. Und dein Hemd stand offen über der Brust. Dann fingst du an, mir zuzulächeln, und ich hab’ immer auf das Schließen gewartet, ob ich dich zu sehen kriegte ... Und dann schicktest du mir den ersten Kassiber .. .«

»Ja«, sagt Bruhn, »das war damals noch durch den langen Kalfaktor, den Tietjen, der wegen Raub saß. Der war stiekum, der machte es selber so.«

»Und dann das erstemal, als du im Duschraum, wie der Wachtmeister sich umdrehte, zu mir unter meine Dusche krochst und wie du dich immer hinter dem Schirm verstecktest, wenn der linste ... Gott, es waren doch manchmal schöne Zeiten hier im alten Bau ...«

»Ja«, sagt Bruhn, »aber ein Mädchen ist doch besser.«

Kufalt besinnt sich: »Siehst du, darum hab’ ich mich daran erinnert: Wenn wir beide zusammen wären, es ginge gleich wieder los wie früher ...«

»Nein«, sagt Bruhn. »Nicht, wenn Mädchen da sind.«

»Doch«, sagt Kufalt. »Und es soll alles vorbei sein. So schön es gewesen ist, es soll alles vorbei sein. Jetzt geht es ganz neu los und ich will genauso sein wie alle anderen.«

»Also du gehst bestimmt nach Hamburg?«

»Nach Hamburg, ja, da fragt keiner nach mir.«

»Na schön, bleib’ bloß fest in Hamburg, Willi. – Gehen wir noch ein Stück?«

»Ja, gehen wir, die Sonne ist schon richtig heiß.«

Der kleine Bruhn sagt: »Dann werde ich also mit Krüger zusammenziehen. Der kommt am 16. Mai raus.«

Kufalt fragt erschrocken: »Hast du den jetzt, Emil? Der ist aber nicht gut.«

»Nein, ich weiß. Er klaut uns auch immer unseren Tabak. Und er hat drei Strafen, weil er Arbeitskollegen bemaust hat.«

»Na also!«

»Aber was soll ich machen? Einen muß ich haben, ganz allein halt’ ich’s nicht aus. Und die meisten wollen draußen nichts von mir wissen, von wegen Raubmord, weißt du.«

»Aber nicht gerade mit Krüger!«

»Wer kommt denn schon mit mir! Du hast doch auch nein gesagt.«

»Aber doch nicht darum, Emil!«

»Und ich muß auch jemanden haben, der mir hilft, Willi. Ich bin doch elf Jahre im Bunker, ich weiß doch von nichts, Mensch. Manchmal habe ich direkt Angst, ich denke, ich mach’ was falsch, und es geht gleich wieder schief und ich sitz’ mein’ Lebtag drin.«

»Schon darum ginge ich nicht mit Krüger.«

»Also zieh du zu mir.«

»Nein. Ich kann nicht. Ich will nach Hamburg.«

»Dann nehme ich Krüger.«

Eine Weile gehen sie stumm nebeneinander. Dann sagt Bruhn: »Ich muß dich auch noch was fragen, Willi. Du weißt doch mit solchen Sachen Bescheid ...«

»Mit was für Sachen?«

»Mit Geld. Mit Sparkassenbüchern.«

»Ein bißchen. Vielleicht.«

»Wenn jemand – also einer hat ein Sparkassenbuch auf meinen Namen und er hat auch die Marke dazu, kann er da Geld abheben darauf? Nicht wahr, das kann er doch nicht?«

»Meistens wird er’s können, wenn das Sparbuch nicht gerade gesperrt ist, oder es ist Kündigung ausgemacht. Meistens kann er’s. Hast du ein Sparbuch?«

»Ja. Nein. Es ist eins angelegt worden für mich ...«

»Vor deinem Knast?«

»Nein, hier ...«

»Quatsch dich rein aus, Emil, ich halt’ schon den Sabbel. Vielleicht kann ich dir was helfen?«

»Ich hab’ doch immer in Schuppen drei gearbeitet, erst bei den Möbeltischlern und nachher für die Firma Steguweit die Geflügelställe ...«

»Ja?«

»Und dann hat doch Steguweit auf der Großen Geflügelausstellung die goldene Medaille gekriegt auf seine Fallennester und mußte liefern, noch und noch. Und damit wir ordentlich was fertigkriegten, haben seine Werkmeister uns heimlich Tabak zugesteckt. Das war damals, als im Bau überhaupt noch nicht geraucht werden durfte.«

»Vor meiner Zeit ...«

»Ja, und dann kam es raus, es gab einen Riesenkrach, und mit dem Tabak war es alle. Aber sie hatten sich was anderes ausgedacht. Wir hatten ja nun keine Lust mehr, uns das Leder von den Händen zu arbeiten, bloß damit Steguweit Geld verdiente, und schlugen so Nest für Nest zusammen, gerade, daß der Tag hinging. Und da kamen dann die Werkmeister und sagten: ›Jungens, für jedes Nest, das ihr über fünfzehn abliefert pro Tag und Mann, kriegt ihr zwanzig Pfennig. Und das Geld wird für jeden von euch eingezahlt auf ein Sparkassenbuch mit seinem Namen. Und wenn ihr entlassen seid, dann kommt ihr zu uns und holt euch das Geld ab’«

»Saubere Sache das? Da wurden Nester fertig?«

»Mensch, ich sage dir! Wir haben Tage gehabt, da haben wir zweiunddreißig, ja, fünfunddreißig pro Nase extra abgeliefert. Na, es war auch Schinderei, meine Pfoten hättest du sehen sollen, das hat was gekostet!«

»Und das Geld ist richtig für dich eingezahlt?«