Wer sündigen will, muss leiden... - Roland Lukas Franz - E-Book

Wer sündigen will, muss leiden... E-Book

Roland Lukas Franz

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Beschreibung

Ein verregneter Herbsttag auf dem englischen Land, im Matsch und Dreck neben der Landstraße liegt William Richardson, ein reicher Unternehmer. Er ist nicht nur schlammverschmiert, sondern vor allem tot. Detective Sergeant Matthew Cartwright sieht sich zusammen mit seinen Kollegen mit einem seltsamen Fall konfrontiert. Noch Minuten vor dem Todeszeitpunkt soll Mr. Richardson Kilometer vom Fundort entfernt in seinem Arbeitszimmer gewesen sein. Und obwohl seine Familie und die Leute, mit denen er zu tun hatte, einige kuriose Geheimnisse zu verbergen haben, scheint keiner für den Mord verantwortlich zu sein. Diejenigen, die tatsächlich ein Motiv aufweisen, scheinen wasserdichte Alibis zu haben…

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Seitenzahl: 195

Veröffentlichungsjahr: 2021

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ROLAND LUKAS FRANZ

***

WER SÜNDIGEN WILL, MUSS LEIDEN…

© 2021 Roland Lukas Franz

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback:      978-3-347-24009-4

Hardcover:      978-3-347-24010-0

e-Book:            978-3-347-24011-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Kapitel 1 – Ein Toter am Straßenrand

An diesem Morgen wurde ich von einem Anruf um kurz nach sechs geweckt. Eigentlich hätte ich bis neun oder so schlafen können, weil mir der Chef für den Vormittag frei gegeben hatte. Naja, er hatte mir nicht direkt frei gegeben, viel mehr hatte er gesagt, ich hätte den ganzen Vormittag Zeit, einen Auftrag zu erledigen, aber ich hatte die versteckte Nachricht darin verstanden.

Leider konnte ich meine freie Zeit nicht nutzen, weil eben dieser Anruf kam. Ich schreckte hoch und schnappte mir mein Handy. Es war Johnson. Flink sprang ich auf und rannte aus dem Schlafzimmer. Im Gehen zog ich mir eine Hose an und schnappte mir ein Hemd.

„Ja?“

Ein Lachen antwortete.

„Habe ich dich geweckt?“, er klang nicht wirklich besorgt.

„Nein, ich bin gerade unterwegs.“, log ich und streifte mir das Hemd über.

„Dann wird es dich ärgern, denn dahin, wohin du unterwegs bist, wirst du nicht fahren. Wir haben einen Fall.“

Ich kritzelte eine Notiz auf einen alten Einkaufszettel, der auf der Küchenfläche lag, und schnallte den Gürtel zu.

„Wo?“, fragte ich hastig und schlüpfte in meine Schuhe.

„Auf der Landstraße nach Adger’s Hill. Ich schicke dir die genaue Adresse.“

„Danke, ich bin schon auf dem Weg.“

„Keine Ursache.“, sagte er hämisch und legte auf.

Ich fluchte leise und nahm mir meinen Mantel. Ich konnte mir sein blödes Grinsen genau vorstellen. Ihm gefiel es nur zu gut, mich zu ärgern und vor dem Chef schlecht dastehen zu lassen. Es piepte und ich erblickte die Adresse auf meinem Bildschirm. Mit schlecht geschnürten Schuhen und halb offenem Hemd lief ich auf die Straße und auf mein Auto zu. Mein schlechtes Gewissen sagte mir, ich sollte hier bleiben und nicht einfach wegfahren, ohne mich zu verabschieden, aber leider überwiegte meine Angst, Johnson könnte über mich herziehen.

Ich setzte mich auf den Fahrersitz, startete den Motor und fuhr aus der Parklücke heraus. Regen prasselte wie feine Perlenschnüre auf den Boden. Der Himmel war grau und es war unangenehm kalt. Auf dem Weg aus der Stadt heraus bemerkte ich viele Passanten, die in dicke Regenjacken gekleidet und geduckt über die Straße huschten. Heute mochte man nicht lange draußen bleiben. Und genau heute hatten wir einen Fall. Mitten auf dem Land. Statt dem gemütlichen Frühstück und einem warmen Kakao erwartete mich eine Leiche und kalter, perverser Seitenwind. Tolle Aussichten.

Die Adresse, die mir Johnson geschickt hatte, war ein Parkplatz am Straßenrand. Von hier aus gingen mehrere Wanderwege durch die Wiesen und Hügel in die Ferne. Keine zweihundert Meter weiter erkannte ich das Aufblitzen des Blaulichts mehrerer Streifenwagen. Ich hielt auf dem Parkplatz und lief den Rest des Weges mit den Händen in den Taschen zu den anderen.

Natürlich waren alle anderen schon anwesend. Ich erblickte den Wagen vom Chef, Johnsons Wagen und den Wagen der Spurensicherung, sowie einen Krankenwagen. Flatterndes Absperrband zog sich quer über die Straße und verband zwei nahestehende Bäume. Ich duckte mich darunter hinweg und lief zwischen den Constables durch zum Chef. Er stand, in der Hand einen Regenschirm, über der Leiche und unterhielt sich mit Dr. Franklin.

„Da bist du ja.“

Ich drehte den Blick zur Seite. Johnson grinste mich an.

„Vielen Dank für den pünktlichen Anruf.“, entgegnete ich verärgert und schob mich an der Krankenliege vorbei, „Tag, Chef.“

Der Inspektor sah auf.

„Ah, Cartwright, da sind Sie ja. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, Johnson hätte Sie nicht erreicht.“

„Nein, nein. Ich war nur gerade in die andere Richtung unterwegs.“, winkte ich ab, „Was haben wir?“

„Dr. Franklin, was haben wir?“, er blickte zu Franklin, die über der Leiche hockte.

„Das kann ich noch nicht sagen. Auf den ersten Blick deutet nichts auf äußere Einwirkungen hin, aber bei dem Dreck kann ich Genaueres erst im Labor herausfinden, wenn wir ihn gesäubert haben.“, antwortete sie den Leichnam auf seinen Rücken drehend.

Das Gesicht war schlammverschmiert und die Augen geschlossen. Dunkle, kurze Haare klebten auf der nassen Stirn. Es war wirklich schwer zu sagen, wie der Mann lebendig ausgesehen hatte. Der ganze Drecke klebte überall.

„Wer hat ihn gefunden?“, fragte ich und sah mich nach Zivilisten um.

„Eine Dame, Johnson hat sich schon um sie gekümmert. Ihr Name ist Clarissa Friars, sie kam mit dem Wagen hier vorbei und hat die Leiche entdeckt. Dann habe sie gleich den Krankenwagen gerufen.“, erzählte der Inspektor.

„War er noch am Leben?“, erwiderte ich überrascht.

„Nein. Sie wusste in der Aufregung nicht, was sie tun sollte.“

Ich nickte.

„Wissen wir schon, wer er ist?“

„Angeblich ein Mann namens William Richardson, er soll hier in der Nähe wohnen.“

„Familie?“

„Da sind wir dran.“

Ich unterdrückte ein Gähnen. Normalerweise erzählten wir dem Chef, was vorgefallen war und was wir schon wussten, nicht andersherum. Dank Johnson war ich heute der, der die Fragen stellte.

„Was kann ich tun?“, ich wollte mich nützlich machen.

„Rufen Sie in der Zentrale an und fragen Sie, ob wir ein Foto von Richardson bekommen könnten.“

„Alles klar, Sir-“

„Schon geschehen. Hier, das ist er.“, Johnson kam von hinten und hielt uns sein Handy hin. Wieder grinste er mich schadenfroh an.

„Danke, Johnson. Geben Sie mal her.“, der Chef betrachtete das Foto und dann den Leichnam, „Dr., können Sie das Gesicht säubern? Ich möchte sicher gehen, dass er der Tote ist.“

„Hat er keinen Ausweis dabei gehabt?“, fragte ich verwundert.

„Weder Ausweis noch Portemonnaie oder Handy.“, antwortete Johnson.

„So recht?“, Dr. Franklin hielt den Kopf des Toten hoch.

„Ja, das ist er. Davis, machen Sie ein Foto und schicken es in die Zentrale. Außerdem möchte ich seine Adresse. Cartwright, das machen Sie. Johnson, Sie bleiben hier und suchen mit mir die Umgebung ab. Vielleicht gibt es Fußspuren oder ähnliches.“, befahl der Chef.

„Wird gemacht, Sir.“, ich drehte mich um und ging auf Abstand zu dem Rest der Mannschaft. Froh darüber, dass ich keinen Ärger vom Chef bekommen und jetzt endlich etwas zu tun hatte, holte ich mein Handy hervor und wählte eine Nummer. Es war nicht die Nummer der Zentrale.

„Matthew, wo bist du?“

Ich seufzte und blickte über die verregneten Wiesen.

„Tut mir leid, wir haben einen Fall. Ich musste schon los.“

„Du hättest mich wenigstens wecken können. Dann hätte ich dir Frühstück gemacht oder zumindest einen Kaffee.“, sie klang vorwurfsvoll, aber nicht so sehr, dass ich Angst haben musste.

„Dafür war leider keine Zeit. Ich war ohnehin schon spät dran.“

„Hm…“, sie stöhnte müde, „Kommst du heute noch mal vorbei?“

„Mal sehen, ich weiß nicht, wie lange ich hier gebraucht werde. Aber wenn ich Zeit finde, liebend gern.“, antwortete ich und biss mir auf die Zunge. Eigentlich wollte ich heute nicht wieder zu ihr. Ich hatte schon Pläne.

„Dann ruf mich bitte vorher an. Ich möchte nicht, dass du einfach hereinplatzt, wenn ich gerade Besuch habe oder so.“

„Versprochen. Ich rufe vorher an.“

„Na gut…dann will ich dich nicht weiter stören. Fang mal schön die bösen Jungs.“

„Aber du störst ni-“

Sie hatte aufgelegt. Ich fluchte und spuckte auf den Boden.

Dann wählte ich die Nummer der Zentrale und verdrängte sie aus meinem Kopf.

Kapitel 2 – Überbringer schlechter Nachrichten

William Richardson war 53 Jahre alt. Er war ein reicher Unternehmer gewesen, der mit seiner Frau, seinen zwei Töchtern und zwei Söhnen ein Landhaus unweit des Fundorts bewohnt hatte. Er hatte eine Instagramseite und einen Twitteraccount, wo er ab und zu von seinen Geschäftsreisen, von Treffen mit anderen Reichen und Dinners mit wichtigen Leuten berichtete. Außerdem war er Mitglied in einem teuren Golfclub und Veranstalter eines jährlichen Weihnachtsballs, zu dem angeblich ganz England gerne kam. Laut Laura aus der Zentrale war das alles schnell herauszufinden gewesen. Zu seiner Frau hingegen hatte sie nur wenig gefunden.

Sie hieß Penelope Richardson und war 52 Jahre alt. Sie schien nicht zu arbeiten und in den sozialen Medien nur eine unbedeutende Rolle zu spielen.

Auch die Adresse der Richardsons konnte Laura mir geben. Es war ein großes Grundstück wenige Kilometer vom Fundort der Leiche entfernt.

Ich berichtete dem Chef und er wies Johnson, Davis und mich an, ihn zu begleiten. Wir hatten die unangenehme Aufgabe, der Familie die Nachricht des Todes von Mr. Richardson beizubringen. Bzw. hatte der Inspektor die Aufgabe, das der Familie mitzuteilen. Wir waren nur als Verstärkung da, für das Aussehen und die Befragungen danach.

Johnson und der Chef fuhren voraus. Ich fuhr mit Davis hinterher.

Leona Davis war eine nette und gesprächige, junge Frau, die sich als sehr wertvoll bei so manchen Einsätzen erwiesen hatte. Allerdings war sie sehr gesprächig. Zu gesprächig für meine Verhältnisse. Sie erzählte von ihrem Treffen mit einer alten Schulfreundin, wie es ihrer Mutter ging und wie gut ihre Schulfreundin eigentlich aussah.

Ich war mir nicht sicher, ob sie mich mit ihrer Freundin verkuppeln wollte oder selbst in ihr gesteigertes Interesse hatte, denn sie hörte sich an, als würde sie das Profil einer Datingapp durchgehen.

Als wir auf dem Grundstück der Familie Richardson ankamen, verstummte sie.

Eine hohe Backsteinmauer verlief dutzende, wenn nicht mehr Meter links und rechts eines breiten, eisernen Tores entlang. Der Chef stieg aus und suchte nach einer Klingel. Schließlich drückte er einfach das Tor auf und fuhr hindurch. Ich wunderte mich, dass ein so offensichtlich reicher Mann – sein Grundstück war riesig – sein Tor einfach so offen ließ, aber irgendeinen Grund wird es gehabt haben, dass er nun tot war.

Eine lange Auffahrtsstraße brachte uns auf einen runden Platz vor einem großen, prächtigen Herrenhaus. Große Fenster zierten die mächtige Fassade und eine große Eingangstür thronte in der Mitte. Neben dem Platz war ein deutlich kleineres Gebäude, dass aussah als bestünde es aus einer Garage und einem anliegenden Schuppen.

Wir parkten und stiegen aus. Der Regen prasselte noch immer ununterbrochen. Ich blickte zum Himmel. Es sah aus, als würde das auch noch länger so bleiben.

Der Inspektor klingelte. Es dauerte ein bisschen, bis man uns öffnete.

„Ja, bitte?“, hinter der Tür stand eine in Dienstmädchenuniform gekleidete Frau und musterte uns misstrauisch.

„Detective Inspector John Clarke, ich möchte mit Mrs. Richardson sprechen. Ist sie da?”, der Inspektor zeigte ihr seinen Ausweis.

„Was wollen Sie von Mrs. Richardson? Sie ist momentan sehr beschäftigt.“, entgegnete die Frau.

„Das würden wir gerne mit Mrs. Richardson persönlich besprechen. Ist sie denn zu Hause?“

„Ja, warten Sie. Ich hole Sie.“, das Dienstmädchen schloss die Tür wieder.

Clarke drehte sich zu uns um und verdrehte die Augen. Ein belustigtes Grunzen ging durch die Gruppe.

Als das Dienstmädchen wieder öffnete, stand eine Frau neben ihr. Sie hatte braunes Haar, das zu einem Dutt verknotet war, und trug einen Morgenmantel. Ihr Blick war forsch und abweisend. Mir war sie sofort unsympathisch.

„Was kann ich für Sie tun, Inspektor? Wenn mein Mann wieder irgendetwas angestellt hat, möchte ich das von ihm selbst erfahren.“, sagte sie als wäre die Sache damit erledigt.

„Ich befürchte, Ma’am – es ist besser, wenn wir die Angelegenheit drinnen besprechen.“

„Was wollen Sie denn? Kann das nicht warten, bis ich zumindest mein Frühstück beendet habe?“

„Ich fürchte nicht. Es geht um ihren Mann. Er ist –“, der Inspektor zögerte, „Können wir nicht wirklich reinkommen? Es ist für Sie wahrscheinlich auch besser, wir reden nicht zwischen Tür und Angel.“

„Wenn es so dringend ist, kommen Sie herein, aber achten Sie darauf, dass Sie keine Abdrücke auf dem Teppich hinterlassen. Der ist frisch geputzt.“, sie trat beiseite, um uns Platz zu machen.

„Vielen Dank, Ma’am.“, murmelte der Inspektor und wies uns an, ihm zu folgen. Ohne Protest stiefelten wir in den großen Eingangsbereich. Keiner von uns hatte Lust, länger im Regen stehen zu bleiben.

„Dann schießen Sie los, Inspector. Womit kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte Mrs. Richardson, als ich die Tür hinter mir schloss.

„Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Ihr Mann wurde heute Morgen…heute Morgen tot aufgefunden.“

Für einen Moment herrschte Stille in dem großen Eingangsbereich. Richardson starrte den Inspektor mit einer Mischung aus Empörung und Verwirrung an. Das Dienstmädchen hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund und blickte von einem Polizisten zum nächsten. Ich nutzte die Zeit, um einen Blick auf die teure Einrichtung zu werfen. Sie war geschmackvoll und schien ziemlich alt zu sein. Zumindest einige Dinge. Der goldumrahmte Spiegel, die Landschaftsgemälde und die Kommode neben der Tür sahen alle aus, als wären sie schon lange im Besitz der Familie. Der Teppich, auf den wir Acht geben sollten, war neu. Der weiße, flauschige Stoff sah nicht nach etwas aus, dass ein stilvoller, reicher Herr gerne erben würde.

„Wie bitte?“, fragte Mrs. Richardson endlich.

„Ihr Mann ist tot.“, antwortete Clarke.

„Oh, Gott!“, die Erkenntnis hatte bei ihr einen ähnlichen Effekt wie ein Stöpsel in der Badewanne. Ihr herablassender Gesichtsausdruck, ihre erhabene Haltung und ihre stolze Brust lösten sich in einem Anflug von Entsetzen und Trauer auf. Zitternd schien sie zu schrumpfen. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie drohte umzukippen. Schnell kam das Dienstmädchen und stellte einen Stuhl für sie bereit. Schwer atmend setzte sich die Dame und fuhr sich durch die Haare.

„Was?“, gab sie mit schwacher Stimme von sich. Ihr ganzer Körper schien an Halt und Kraft zu verlieren.

„Stimmt das, was Sie sagen?“, fragte das Dienstmädchen ungläubig.

Clarke nickte ernst.

„Ja, leider.“

„Oh, Gott. Oh, Gott. Oh, Gott…”, gab Mrs. Richardson murmelnd von sich, „Oh, Gott, nein. Nein, nein, nein.“

Einige Minuten lang saß die frische Witwe weinend, zitternd und vor sich hinmurmelnd auf dem Stuhl. Das Dienstmädchen ging, um ein Glas Wasser zu holen, und wir standen da wie Statisten in einem Film. Während der Inspektor auf die Dame einredete und das Dienstmädchen wieder davon lief, um einen Vodka zu holen, starrten Davis und ich uns an. Johnson betrachtete das Gemälde eines kleinen Bächleins.

„Meinst du, das ist –?“

– nur Show, wollte Davis sagen, aber nicht aussprechen.

Ich zuckte kaum merklich mit den Schultern. Ich hatte schon einige Menschen in dieser Situation gesehen. Nie reagierten sie wirklich, wie man es sich gedacht hatte. Es gab starke Männer, die weinten. Frauen, denen es fast egal war. Es gab gute Schauspieler und schlechte, aber welchen man vor sich hatte, war meist erst nach den ersten Befragungen zu erkennen. Oder manchmal auch gar nicht.

Kapitel 3 – Aber ein Blinder findet auch keinen Mörder

Schließlich beruhigte sich Mrs. Richardson und konnte wieder einigermaßen selbstständig gehen. Der Chef beauftragte uns, die Befragungen der Angestellten durchzuführen, und Johnson, mit ihm die Familie zu befragen.

Davis und ich suchten uns das Kaminzimmer als Befragungsraum aus. Zum einen, weil es gegenüber der Küche lag, wo die Angestellten warten sollten, bis sie an der Reihe waren, zum anderen, weil es hier ein sehr gemütliches Sofa gab.

Als erstes bestellten wir das Kindermädchen zu uns. Dass es eines gab, hatte Mrs. Richardson erzählt.

Ihr Name war Emily Ali. Sie war 29 Jahre alt und seit ungefähr zwei Jahren bei der Familie Richardson angestellt.

„Ich wurde primär für Florence eingestellt. Sie ist ein echter Wirbelwind und macht eine Menge Arbeit, aber das ist nichts im Vergleich zu Isaac. Obwohl er deutlich älter ist und man meinen könnte weitaus reifer, macht er mir mehr Arbeit als die Kleine.“, erzählte sie.

„Florence ist die jüngste?“, hakte ich nach.

„Ja, sie ist jetzt zweieinhalb.“

„Und Isaac ist der zweitjüngste?“, fragte Davis.

„Ja, er ist dreizehn – fürchterliches Alter.“

„Haben Sie mit den anderen Kindern auch zu tun?“, ich sah sie freundlich an.

„Kinder kann man da kaum noch sagen. Abbigail ist eigentlich noch selbstständiger als ihre Eltern. Würde mich nicht wundern, wenn sie die Firma übernimmt. Und Harrison ist alt genug, dass er seine Probleme selbst in die Hand nehmen kann.“

„Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Probleme in der Familie bemerkt? Irgendetwas, das anders war als sonst? Irgendwelche Streitigkeiten?“

„Streitigkeiten? Die gibt es andauernd. Zwischen Harrison und Isaac, zwischen Abbigail und ihrem Vater, zwischen Mrs. Richardson und Ella. Das ist nichts Besonderes. Jeder kommt sich hier wegen Kleinigkeiten in die Haare.“

„Gab es gestern Abend auch solche Kleinigkeiten? Sind sich Abbigail und Mr. Richardson wieder in die Haar gekommen?“, fragte Davis.

„Nein, nicht das ich wüsste. Gestern war alles ziemlich ruhig. Nach dem Essen sind alle getrennte Wege gegangen. Wenn es irgendetwas gegeben hat, haben sie es nicht offen ausgetragen.“, Ms. Ali runzelte die Stirn, „Glauben Sie einer von uns hat…es getan?“

„Was wir glauben und was nicht, tut hier nichts zur Sache. Wir machen nur unseren Job und würden uns freuen, wenn Sie unsere Fragen erstmal nur beantworten.“, entgegnete ich, „Sie sagten, alle sind gestern getrennte Wege gegangen. Wo haben sich denn die verschiedenen Familienmitglieder aufgehalten?“

„Florence habe ich gleich nach dem Essen ins Bett gebracht. Ich glaube, Abbigail ist auf ihr Zimmer gegangen und die Jungs haben noch bis spät in die Nacht Videospiele gespielt. Mr. und Mrs. Richardson waren nach dem Dinner noch hier. Ich weiß nicht, was sie gemacht haben, aber auf jeden Fall haben sie nicht viel miteinander gesprochen.“

„Und Mr. und Mrs. Richardson sind die ganze Zeit zusammen gewesen?“

„Nein, er ist nach einiger Zeit auf sein Zimmer gegangen. Mrs. Richardson ist allein zu Bett gegangen.“

Ich nickte und schrieb etwas ins Notizbuch.

„Gut, vielen Dank. Das war schon eine große Hilfe. Können Sie uns jetzt noch sagen, wo Sie und die anderen Angestellten nach dem Abendessen waren?“, Davis rutschte auf dem Sofa nach vorne.

„Wir drei, also Maisie, Ella und ich waren noch eine Weile in der Küche. Als Maisie dann gegangen ist, sind Ella und ich nach oben in unser Zimmer gegangen. Fred war die ganze Zeit bei sich in der Hütte.“, sie deutete aus dem Fenster.

Ich warf einen kurzen Schulterblick auf das Gebäude. Es war die Garage.

„Und Maisie ist die -?“, ich hob eine Augenbraue.

„Köchin, Maisie ist die Köchin.“

„Und sie ist gestern Abend noch weg gegangen?“

„Ja, sie geht immer. Sie wohnt hier nicht. Morgens kommt sie und bleibt bis zum Mittag. Dann geht sie und kommt erst zum Abendessen wieder.“

„Und Fred ist der Gärtner?“, riet Davis.

„Ja, so was in der Art. Er ist eigentlich für alles zuständig, was so anfällt. Das Waschbecken reparieren, den Wagen vorfahren, den Rasen mähen, den Zaun instand setzen, all solche handwerklichen Dinge vor allem.“

„Gut, vielen Dank. Dann können Sie erst mal gehen, aber bitte bleiben Sie in der Nähe. Am besten gehen Sie zurück in die Küche. Da wissen wir, wo wir sie finden.“, ich wies zur Tür, „Und sagen Sie bitte, Ms. Harris darf kommen.“

„Okay, danke.“, sie lächelte kurz und stand auf.

Während wir allein waren, fragte ich Davis nach ihrer Meinung.

„Ich finde, sie macht einen ehrlichen Eindruck. Besonders beeindruckt von dem Tod ihres Arbeitgebers scheint sie aber nicht zu sein.“, sagte sie und zuckte mit den Schultern.

„Ich glaube, Sie hat bei den kleinen Streitigkeiten gelogen.“, meinte ich.

„Wieso?“

„Nur ein Gefühl.“

„Ich hatte auch so ein Gefühl.“, Davis schmunzelte.

„Sie ist ganz hübsch.“, gab ich zu.

„Ach, das meine ich nicht.“, sie schüttelte den Kopf, „Ich dachte, sie würde etwas zurückhalten. Etwas über Mr. und Mrs. Richardson.“

„Mag sein.“

Es klopfte.

„Herein.“

Ms. Ella Harris betrat den Raum. Sie war das Dienstmädchen, das uns geöffnet hatte.

„Setzen Sie sich bitte. Wir haben ein paar Fragen an Sie.“, Davis zeigte auf den Sessel vor uns.

„Und schließen Sie die Tür.“, fügte ich hinzu.

Ms. Harris wirkte ganz anders als Ms. Ali. Sie schien irgendwie schüchtern. Als sie uns erzählte, dass sie schon acht Jahre für die Familie arbeitete, sah sie aus, als würde sie am liebsten gleich aufhören zu reden. Mir kam das verdächtig vor, aber ich ließ mir nichts anmerken.

Ms. Harris erzählte uns einen ähnlichen Ablauf des Abends wie Ms. Ali. Auch bei ihr gingen die Richardsons nach dem Dinner getrennte Wege. Allerdings wusste sie nichts davon, dass Mr. Richardson seine Frau im Kaminzimmer allein gelassen hatte, um in sein Zimmer zu gehen.

„Nein, ich habe davon nichts mitbekommen. Die anderen können so etwas hören, aber ich achte nicht so auf die Geräusche. Außerdem lausche ich nicht gerne. Worüber Mr. und Mrs. Richardson privat bereden, soll auch privat bleiben. Ich habe damit nichts zu tun.“

„Na gut. Aber Sie sind, nachdem Mrs. Cooper gegangen ist, mit Ms. Ali auf Ihr Zimmer gegangen?“, fragte ich.

„Ja, das stimmt. Wir haben uns noch eine Weile unterhalten und dann bin ich so gegen halb elf, elf ins Bett gegangen. Emily hat da noch gelesen.“

„Haben Sie irgendetwas von Streits oder Uneinigkeiten mitbekommen, die in letzter Zeit stattgefunden haben? Etwas außergewöhnliches, das gestern oder diese Woche passiert ist?“

„Diese Woche nicht, nein, aber schon ein bisschen länger her…“, sie überlegte, „Es ist vielleicht zwei, drei Monate her. Da ist Mr. Richardson mit einem Lehrer ziemlich aneinander geraten. Ich weiß nicht genau, worum es gegangen ist. Irgendetwas mit Harrison und einer Note. Angeblich soll der Lehrer ihn schikaniert haben – aber wie gesagt, ich weiß es nicht genau. Es stand, glaube ich, sogar etwas darüber in der Zeitung.“

„Wie hieß der Lehrer?“, fragte Davis.

„Das weiß ich nicht. Tut mir leid, keine Ahnung.“

„Hm, okay. Danke – und können Sie noch etwas über Mr. Richardson selbst sagen? Wie war er so? Wie ist er mit Ihnen und den anderen Angestellten klargekommen? Wie mit seiner Familie?“, wollte ich wissen.

„Mit uns ist er immer gut klargekommen. Es gab nie wirklich Probleme. Er hat uns und unsere Arbeit respektiert und war immer freundlich zu uns.“, sie stockte und wischte sich eine Träne von der Wange, „Er war ein guter Mensch, wissen Sie. Nur war er manchmal sehr stur. Das hat andere dann gestört. Nicht zuletzt seine Tochter.“

„Abbigail?“

„Ja, er und sie haben öfters ihre Meinungsverschiedenheiten gehabt. Sie wollte mehr Freiheiten von ihm und er wollte, dass sie die Schule abschließt und etwas richtiges lernt, vielleicht studiert. Ich glaube, das will sie auch, aber eben nach ihren Ansichten und auf ihre Art und Weise.“, erklärte Ms. Harris.

„Gut, vielen Dank. Das soll es fürs Erste gewesen sein. Sie können gehen und bitte Mrs. Cooper Bescheid geben.“, sagte Davis und nickte zur Tür.

„Warten Sie, eine Sache noch.“, ich gab meiner Kollegin einen entschuldigenden Blick.

„Was denn?“, Ms. Harris war schon aufgestanden.

„Wie stehen Sie zu Mrs. Richardson? Verstehen Sie sich genauso gut mit ihr wie mit ihrem Mann?“

Sie zögerte und blickte aus dem Fenster.

„Nicht wirklich…sie, sie mochte mich von Anfang an nicht richtig. Ich weiß auch immer noch nicht, warum. Ich habe ihr nie etwas getan, aber sie kritisiert jede Kleinigkeit meiner Arbeit und…“, sie wandte den Blick durch den Raum, als ob sie erwartete, Mrs. Richardson stünde hinter ihr, „Sie würde mich wahrscheinlich am liebsten entlassen.“

Ich nickte, schrieb es auf und entließ sie.

„Damit ist sie raus.“, meinte Davis.

„Sie hat auf jeden Fall kein offensichtliches Motiv.“, erwiderte ich und kratzte mich am Kinn, „Viel eher das Gegenteil. So wie es sich angehört hat, war Richardson der Grund, warum sie noch hier ist. Ohne ihn-“

„Für mich sah sie nicht so aus, als würde sie lügen.“

„Nein, für mich auch nicht. Aber wie der Chef sagt: Vertrauen ist gut, aber ein Blinder findet auch keinen Mörder.“

„Sagt er das? Habe ich noch nie gehört?“, Davis lachte.