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Im Gefängnis hatte Lance Jones viel Zeit, um über den letzten Abschnitt seines Lebens nachzudenken. Man wollte ihn aus dem Weg räumen, darüber bestand kein Zweifel. Es wurden gegen ihn falsche Anschuldigungen vorgebracht und Meineide geschworen.
Seine Gegner wussten, dass der Tod des alten Mannes ein Unglück gewesen war. Auch der Marshal kannte die Wahrheit, aber vielleicht bekam er Geld von jenem Mann, der sich im Hintergrund hielt und dessen Machtgier schon eine ganze Stadt zum Opfer gefallen war. Er schreckte vor keinem Mord zurück...
Der Roman Jones kehrt zurück des US-amerikanischen Western-Autors Paul Evan Lehman (* 1885; † 30. Januar 1961) erschien erstmals im Jahr 1950; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1970.
Dieser Western-Klassiker erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe WESTERN-COLT.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
PAUL EVAN LEHMAN
JONES KEHRT ZURÜCK
Roman
Western-Colt, Band 25
NordheimBücher
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
JONES KEHRT ZURÜCK
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Im Gefängnis hatte Lance Jones viel Zeit, um über den letzten Abschnitt seines Lebens nachzudenken. Man wollte ihn aus dem Weg räumen, darüber bestand kein Zweifel. Es wurden gegen ihn falsche Anschuldigungen vorgebracht und Meineide geschworen.
Seine Gegner wussten, dass der Tod des alten Mannes ein Unglück gewesen war. Auch der Marshal kannte die Wahrheit, aber vielleicht bekam er Geld von jenem Mann, der sich im Hintergrund hielt und dessen Machtgier schon eine ganze Stadt zum Opfer gefallen war. Er schreckte vor keinem Mord zurück...
Der Roman Jones kehrt zurück des US-amerikanischen Western-Autors Paul Evan Lehman (* 1885; † 30. Januar 1961) erschien erstmals im Jahr 1950; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1970.
Dieser Western-Klassiker erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe WESTERN-COLT.
Als er die Straße entlangritt, gewahrte er deutlich, dass vieles in Mustang anders geworden war. Zwar hatte er die Stadt vor diesem Tag nur einmal gesehen, und das war vor sechs Jahren gewesen, aber er hatte allen Grund, sich daran zu erinnern. Er erinnerte sich an eine schmutzige kleine Landstadt, die sich von anderen der gleichen Größe nur durch die Arroganz und Brutalität jener Bewohner unterschied, denen zu begegnen er das Unglück gehabt hatte.
Zuerst fielen ihm die hölzernen Gehsteige auf. So etwas hatte es vor sechs Jahren noch nicht gegeben. Dann bemerkte er den frischen Anstrich zahlreicher Häuser, zudem waren mehrere ebenso neue wie protzige Gebäude errichtet worden. Zu diesen gehörte auch der große Ziegelbau gegenüber dem Hotel. Der Blick des Mannes blieb an dem Schild über dem Eingang hängen, und mit einem plötzlichen Ruck brachte er sein Pferd zum Stehen.
Die erste Bank von Rossiter stand darauf. Rossiter? Hatte er sich in der Stadt geirrt? Vor sechs Jahren hieß sie noch Mustang. Er blickte rasch um sich und sah das weite Talbecken jenseits der Stadt. Nein, es war keine Verwechslung. Aber warum Rossiter?
Er band sein Pferd vor dem Hotel an und ging hinein. Es war früher einmal das Mustang-Hotel gewesen und hieß jetzt Taylor House, aber es war dasselbe, welches er an jenem bedeutungsvollen Abend so hoffnungsvoll betreten hatte. Hinter dem Empfangspult saß ein junger Mann mit schmalem Schnurrbart, der eine künstliche Nelke im Knopfloch trug. Auch an diesen erinnerte er sich genau.
Der Clerk hob seine lange Nase und betrachtete den Cowboy gelangweilt. Der staubige Stetson, die einfache dunkle Kleidung und die ledernen Chaps des Mannes vor ihm deuteten auf einen arbeitslosen Cowboy hin.
»Bitte?«, fragte er kühl.
»Abendessen und Unterkunft für mich und mein Pferd.«
Der Clerk nickte, reichte ihm das Gästebuch und sagte: »Tragen Sie sich ein!« Dann wandte er sich zum Schlüsselbrett um.
Der Fremde hieß Lancelot Jefferson Jones. Er schrieb L. J. Jones, zögerte einen Moment und fügte dann Tombstone, Arizona, hinzu. Der Clerk legte einen Schlüssel auf die Theke, drehte das Buch herum und blickte auf die Eintragung. Er erschrak ein wenig und unterzog L. J. Jones nochmals einer gründlichen Musterung.
Er sah einen kräftigen Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, dessen gebräuntes, glattrasiertes Gesicht mit den blaugrauen Augen und dem welligen braunen Haar einen angenehm offenen Eindruck machte. Im Augenblick allerdings strahlte der Fremde Kälte und Ablehnung aus.
»Ich möchte das beste Zimmer des Hauses«, erklärte L. J. Jones.
»Ja, Sir.« Der Clerk griff nach einem anderen Schlüssel. »Nummer eins. Macht zwei Dollar.«
Lance Jones sagte: »Ich zahle vor der Abreise«, nahm den Schlüssel und ging hinaus. Nachdem er sein Pferd dem Stallburschen übergeben hatte, trug er seine Satteltaschen und seine Deckenrolle ins Zimmer hinauf. Er fühlte, wie die Blicke des Clerks ihm die Treppe hinauf folgten und lächelte schwach. Das hatte die Adresse Tombstone bewirkt. Tombstone war eine berüchtigte Stadt, und es war ein Zeichen von Klugheit, ihre Bürger respektvoll zu behandeln.
Er hatte gerade seine Sachen vom Staub gesäubert und sich oberflächlich gewaschen, als die Glocke zum Abendessen rief. Er ging in den Speisesaal hinunter und nahm einen Platz an der langen Tafel ein. Sechs oder sieben andere Gäste waren anwesend, von denen er zwei wiedererkannte. Einer war schwer und untersetzt, mit langen Bartkoteletten und buschigem Schnauzbart. Der andere stellte ein Gegenstück zu ihm dar, war aber rund fünfundzwanzig Jahre jünger. Beide ähnelten dem hochmütigen Hotelclerk in der Halle, und Lance vermutete, dass der ältere Mann der Hotelbesitzer war, die beiden jüngeren seine Söhne. Die zwei musterten ihn verstohlen, aber er war ziemlich sicher, dass sie ihn nicht erkannt hatten.
Ein neuer Gast betrat den Speisesaal. Er blieb im Eingang stehen und ließ seinen Blick durch den Raum gehen. Er war groß und schwer, hatte ein rotes Gesicht mit einem zerkauten Schnauzbart und wasserhelle, unergründliche Augen. Er hatte seine Daumen in die Westentaschen gehakt, so dass der zurückgeschlagene Rock den Metallstern des Marshals an seiner linken Brustseite enthüllte.
Lance spürte seine Pulse rasend klopfen. An diesen Mann erinnerte er sich gut. Er kannte sogar seinen Namen. Es war Dave Schultz, der Mann, der Lance damals mit vorgehaltenem Revolver die Straße entlang und aus der Stadt hinausgetrieben hatte. Lance senkte den Blick und wandte sich dem Essen zu, bis er seine Gefühle wieder unter Kontrolle gebracht hatte. Als er wieder aufblickte, begegnete er Dave Schultz' ausdruckslosen Augen. Er bemühte sich, den Mann genauso ausdruckslos anzusehen, und Schultz blickte weg. Er trat an den Tisch und setzte sich.
Nach und nach beendeten die Gäste ihre Mahlzeit und gingen, aber Lance Jones aß sehr langsam. Er hoffte, dass noch andere von denen, die er an jenem Abend kennengelernt hatte, hereinkommen würden. Er hatte sich getäuscht. Als er sich schließlich vom Tisch erhob und dem Ausgang zustrebte, sah er plötzlich Schultz neben sich, der hastig gegessen hatte und nun gleichfalls der Halle zustrebte.
»Sie sind fremd hier, was?«, fragte der Marshal.
»Sie sollten es doch wissen, denn Sie sind der Marshal.«
Schultz' Gesicht verdüsterte sich. »Werden Sie bloß nicht komisch! Wir in Rossiter mögen keine vorlauten Burschen.«
»Und ich mag keine neugierigen Marshals.«
Beide sahen sich nun an und maßen sich abwägend. »Stellen Sie nichts an, solange Sie in der Stadt sind«, knurrte der Marshal. Er nickte kurz und ging durch die Halle hinaus.
Lance wandte sich an den Clerk. »Wenn ich mich nicht täusche, so hat diese Stadt doch früher Mustang geheißen.« Der Clerk nickte. »Sie hieß tatsächlich einmal Mustang. Vor etwa drei Jahren jedoch wurde sie nach Mr. Mark Rossiter umbenannt, unserem Bürgermeister und Bankier.«
Lance nickte und ging hinaus. Vor dem Hotel stieg ein Reiter ab und kam die Stufen herauf. Er war mittelgroß, breitschultrig und kräftig und einige Jahre älter als Lance. Seine Augen blickten herausfordernd, er hatte einen gewachsten Schnurrbart und trug maßgefertigte Cowboykleidung. Auf Sattel und Zaumzeug blitzten Metallbeschläge und Zierat. Lance spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Auch ihn kannte er.
Der Mann bedachte ihn mit einem beiläufigen uninteressierten Blick und verschwand in der Hotelhalle. Lance hörte, wie er den Clerk begrüßte.
»Hallo, Ed. Ist heute Abend was los?«
»Guten Abend, Ben. Ja, ich hoff' schon. George und ich werden zwischen acht und halb neun Uhr drüben sein.«
Lance setzte sich auf die Veranda und drehte sich eine Zigarette. Rauchend beobachtete er die Passanten, sah aber keine Bekannten. Die Nacht brach herein, und schließlich kam der junge Mann namens Ben aus dem Hotel. Jetzt war er wie damals gekleidet, in einen Straßenanzug. Er schritt forsch an Lance vorbei und auf die Straße hinaus. Lance wurde neugierig, wohin der andere in seinem Aufzug wollte, und folgte ihm vorsichtig in einigem Abstand.
Ben erreichte den Wildcat-Saloon, warf einen Blick über die geschlossenen Flügeltüren ins Innere, zögerte einen Augenblick und ging dann hinein. Als Lance eintrat, hatte Ben gerade die Theke erreicht. Marshal Dave Schultz stand schon dort und begrüßte ihn. Ben trat neben ihn und drängte einen kleinen Mann mit weißen Haaren und verrunzeltem Gesicht beiseite. Lance hörte den Protest des Alten.
Ben wandte den Kopf, sah den aufbegehrenden Alten und bestellte nach einem verächtlichen Blick auf ihn einen Whisky. Lance suchte sich seinen Platz an der anderen Seite des Oldtimers, der noch immer wütend vor sich hin brummte.
Ben unterhielt sich mit dem Marshal zu seiner Linken und nahm das Whiskyglas von der Theke, ohne richtig hinzusehen. Als er es zum Mun^ heben wollte, stieß sein Ellenbogen gegen die Schulter des Alten, und Whisky ergoss sich über sein Jackett.
»Verdammter Trottel!«, brüllte er aufgebracht und schüttete dem Alten mit einer raschen Bewegung seines Handgelenks den restlichen Whisky ins Gesicht.
Der alte Mann taumelte gegen Lance, der ihn stützte. »Der Mann hatte keine Schuld. Sie selbst haben nicht aufgepasst«, sagte er scharf zu Ben.
Der Alte wischte sich das Gesicht mit seinem Jackenärmel ab und warf sich auf Ben. Lance sah, wie Ben zornig wurde, während er die schwachen Schläge mit einem Arm abwehrte. Zuletzt brüllte er: »Du willst es ja nicht anders, alter Trottel!« und kam mit einer linken Geraden heraus, die den Alten an die Kinnseite traf und ihn zu Boden schleuderte.
»Und du willst es auch nicht anders«, sagte Lance und traf mit einem Aufwärtshaken Bens Kinnspitze. Darauf war Ben nicht gefasst. Er prallte gegen den Marshal, der ihn festzuhalten versuchte. Doch Ben sank auf den Boden und blieb bewusstlos im schmutzigen Sägemehl vor der Bar liegen.
»Verdammter Kerl!«, schimpfte Schultz. »Ich habe Sie gewarnt...!« Seine Hand griff nach dem Revolver.
Er kam nicht dazu, die Waffe zu ziehen. Eine harte Faust traf seinen Mund und ließ ihn zurücktaumeln. Mit beiden Händen musste er sich an der Bar festhalten. Lance folgte ihm geschmeidig wie ein Panther, packte seine Rechte und verdrehte ihm blitzschnell den Arm auf den Rücken.
»Geben Sie's auf, Schultz«, sagte er gepresst. »Hier sind zu viele Zeugen, die für mich aussagen können, falls Sie mich verhaften wollen.«
Vom anderen Ende der Bar rief jemand: »Sehr richtig, Fremder! Wir haben alle gesehen, was passiert ist.« Zustimmende Zurufe kamen von allen Seiten. Es war offensichtlich, dass der Marshal von Rossiter sich keiner großen Beliebtheit erfreute.
»Sie haben die Leute gehört«, sagte Lance Jones. »Damit ist der Fall hier und jetzt erledigt. Verstanden?«
Schultz machte einen vergeblichen Versuch, sich zu befreien, und knurrte schließlich widerwillig: »Ich habe kapiert. Diesmal kommst du ungeschoren davon.«
Lance ließ den Arm des anderen los und trat einen Schritt zurück. Der alte Mann war inzwischen wieder auf die Beine gekommen, rieb sich das Kinn und starrte aufgebracht in die Runde. Schultz machte langsam kehrt. Sein Gesicht war stärker gerötet als gewöhnlich, und seine Augen glitzerten. Lance beobachtete ihn scharf. Schultz spuckte aus und rückte seinen Patronengurt zurecht.
»Mit mir springt keiner ungestraft so um. Ich habe Sie gewarnt, Fremder, Sie sollten nichts anstellen, solange Sie in dieser Stadt sind. Ich kenne Herumtreiber wie Sie, und ich werde Sie im Auge behalten. Noch so ein Ausrutscher, und Sie landen an einem Ort, wo Sie sehr plötzlich abkühlen werden: Entweder im Gefängnis oder beim Leichenbestatter.«
Lance Jones beschloss, im weiteren Umgang mit dem Marshal vorsichtig zu sein.
»Für Gefängnisse habe ich nichts übrig«, erwiderte er knapp. »Was den Leichenbestatter angeht, so werde ich bei unserem nächsten Zusammentreffen einen Revolver tragen. Bis dahin werde ich ein Auge auf die dunklen Seitengassen haben.«
»Ich bin kein Heckenschütze«, erklärte Schultz zornig. »Wenn ich schieße, bekommt mein Gegner immer seine Chance. Mach mir weiterhin Ärger, und du bekommst die deine.«
Sie tauschten noch einige weitere Sekunden lang drohende Blicke aus, dann hob Schultz zum Zeichen, dass hier weitere Diskussionen überflüssig seien, seine mächtigen Schultern, schlenderte an der Theke entlang und verschwand in der Dunkelheit der Straße.
Ben hatte inzwischen das Bewusstsein wiedererlangt und sich aufgesetzt. Er hielt eine Weile seinen Kopf zwischen beiden Händen, dann rappelte er sich mühsam auf, lehnte sich gegen die Theke und sagte undeutlich: »Gib mir einen Drink.« Er stürzte den Whisky hinunter, stellte das Glas auf die Theke zurück und drehte seinen Kopf zu Lance Jones. »Das werde ich nicht vergessen, Fremder.«
»Hoffentlich«, erwiderte Lance trocken. Ben bückte sich und hob seinen steifen Hut vom Boden auf. Er wischte mit dem Rockärmel darüber und setzte ihn auf. Wortlos und mit etwas unsicheren Schritten wankte er zur Tür.
Der Alte starrte ihm erbost nach. »Eine Melone! Ich wollte, ich hätte sie ihm zertreten!« Sein Blick wanderte zu Jones weiter. »Freund, das verlangt nach einem Drink. Du bist mein Gast.«
Sie tranken zusammen. »Wer ist dieser aufgeblasene Kerl mit der Melone?«, forschte Lance.
»Ben Clark. Betreibt mit seinem Vater eine kleine Ranch im Tal.« Er warf Lance einen besorgten Blick zu. »Ich bin dir dankbar für dein Eingreifen, Freund, aber du hättest dich lieber heraushalten sollen. Ben steht sich gut mit dem herrschenden Ranchern hier. Du hast dir was Böses eingebrockt.«
»Das soll mir nur recht sein. Ich suche solche Schwierigkeiten. Übrigens, mein Name ist Jones. Lance Jones.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Jones. Ich bin Abner Stacy.«
Sie schüttelten einander herzlich die Hände.
»Ich hörte vorhin, dass man den Namen der Stadt in Rossiter geändert hat.«
Abner spuckte verächtlich aus. »Yeah. Aber für mich wird sie immer Mustang bleiben.«
»Ich würde gern mehr darüber erfahren. Vielleicht kannst du mir etwas erzählen.«
»Und ob ich kann, Junge. Ich lebe hier seit mehr als zwanzig Jahren. Da weiß man über alles Bescheid.«
»Wer ist dieser Mark Rossiter, und wo lebt er?«
»Er kam vor sechs Jahren aus dem Osten, eröffnete seine Bank und ließ sich einen Mordskasten von Wohnhaus hinstellen. Dann ließ er seine Frau und seine Tochter nachkommen. Mit ihnen kam ein ganzer Schwarm verdammter Yankees. Er wohnt - ich kann es dir besser zeigen als erklären.«
»Klar, Gehen wir.«
Sie verließen den Saloon, und kurze Zeit später blieb Abner stehen. »Dort ist es; dieses große Haus im Hintergrund. Irgendetwas scheint da drin los zu sein. Wieder ein Empfang oder eine Party, nehme ich an. Das ist bei denen nichts Seltenes.«
Sie blieben vor einem eingezäunten Garten mit offenstehendem Tor stehen. Das Haus war hell erleuchtet, die große Eingangstür geöffnet. Im Vestibül stand ein großer, distinguiert aussehender Mann mit gepflegtem braunem Vollbart, eine kurzbeinige, dicke Frau, die eine Lorgnette in der Hand hielt, und ein schlankes blondes Mädchen mit blassem, ausdruckslosem Gesicht.
»Die Herrscher von Mustang«, bemerkte Abner Stacy spöttisch. »Mark Rossiter mit Frau und Tochter. Mark ist unser unehrenwerter Bürgermeister und Besitzer des örtlichen Ausbeutungsinstituts. Das kleine Flusspferd neben ihm ist seine Frau und das dünne Etwas ihre Tochter Stella.«
»Ich sehe, dass du nicht zur Creme der hiesigen Gesellschaft zählst, Oldtimer.«
»Da hast du verdammt recht. Es sind insgesamt zwölf von dieser Sorte, die unsere Stadt regieren. Ich und der Rest der Einwohner müssen nach der Pfeife tanzen. Sie haben den Handel und das Geld dieser Stadt an sich gebracht, und wir können nichts machen.«
»So schlimm ist es?«, sagte Lance nachdenklich. Es bestätigte die Meinung, welche er sich über diese Leute gebildet hatte.
»Noch schlimmer, mein Lieber. Es hat mal eine Zeit gegeben, da konnte man in Mustang frei leben; jetzt zahlen wir Steuern. Steuern für den Bürgermeister und den von ihm ernannten Gemeinderat, Steuern für Gehsteige und Straßenreinigung, Steuern für einen Marshal. Dass ich nicht lache! Was tut eine Stadt dieser Größe mit einem Bürgermeister und einem Gemeinderat? Und wenn sie gebraucht werden, warum verwalten sie ihre Ämter nicht ehrenamtlich? Und warum legen die Ladeninhaber und Saloonbesitzer nicht zusammen und bezahlen den Marshal, wenn sie die Stadt für so verkommen halten, dass sie einen braucht?«
»Und sie haben den Namen Mustang in Rossiter verwandelt?«
»Ja. Sie haben ihre Wähler abstimmen lassen, gewiss, aber damals kannten wir sie noch nicht, und den Leuten war es ganz egal, ob ihre Post nach Mustang, Rossiter oder Patagonien adressiert war, weil sie nie welche bekamen. Diese Burschen sind eine Bande geldgieriger Yankees, die fest Zusammenhalten. Unsere Kleider sind ihnen nicht gut genug. Wenn du Mark Rossiter einen Stetson aufsetzen würdest, möchte ich wetten, dass er diese Demütigung nicht überleben würde.«
Lance Jones legte seinen Arm um des Oldtimers Schultern. »Abner, ich glaube, du und ich, wir werden ihnen noch gewaltig auf die Hühneraugen treten.« Er blickte aufmerksam um sich. »Wer sind die Leute, die eben angekommen sind?«
»Jacob Ordman und seine Frau. Ordman ist Rechtsanwalt und hat sich zum Manager von Pendletons Sternranch draußen im Tal auf geschwungen. Hinter ihnen sind Henry und Jack, ihre Söhne, und das Mädchen ist Sue Ordman, ihre Tochter.«
»Nancy Pendleton«, murmelte Lance. Sein Gesicht hatte sich verdüstert. »Auch über sie muss ich alle Neuigkeiten wissen. Abner, wo können wir uns in Ruhe unterhalten?«
»In meiner Hütte. Ich habe noch eine halbe Flasche Bourbon. Wir werden sehen, ob wir ihr nicht auf den Grund schauen können.«
»Das passt mir gut. Ich habe einen schlechten Geschmack im Mund.«
Abners Hütte erwies sich als ein recht stabiles, wenn auch altes Blockhaus. Auf dem Weg dorthin erzählte der alte Mann, dass er vor zehn Jahren Gold gefunden und sich daraufhin zur Ruhe gesetzt hatte. Seine Frau war seit vielen Jahren tot, und er besaß einen Sohn, der in Texas Vormann auf einer Ranch war. Abner hatte ihn eigentlich als Goldgräber und Prospektor anlernen wollen, aber Joe Stacy wollte eine andere Laufbahn einschlagen.
Abner holte die Flasche mit goldgelbem Bourbon hervor, und sie tranken auf ihre Gesundheit. »Also, was soll ich dir erzählen, Lance?«, fragte Abner endlich.
»Alles. Zuerst über die Pendletons, dann über diese Hombres, die die Macht an sich gerissen haben.«
»Nun, die Pendletons sind gleich nach dem Bürgerkrieg aus Kentucky gekommen. Es sind feine Leute, und der Alte war Colonel in General Lees Armee. Er hatte durch den Krieg alles verloren, aber sein Sohn Nathan heiratete ein reiches Mädchen. Sie kauften ein großes Stück Land im Tal und bauten die Sternranch auf.«
»Kauften? War es denn kein freies Land?«
»Sie kauften es von Don Esteban Gutierrez, dem das ganze Tal gehörte, noch aus den Zeiten der Spanier. Don Esteban ist ein spanischer Caballero, und es gab eine Zeit, zu der er schwerreich war. Aber seine Söhne heirateten und zogen nach Mexiko, und nun ist der alte Herr ganz allein.«
»Glaubst du, dass er eventuell noch mehr von seinem Land verkaufen würde?«
Abner warf ihm einen schnellen Blick zu. »Weißt du einen Käufer?«
»Ja. Einer der Gründe für mein Kommen war, hier im Tal Land für eine Viehgesellschaft zu finden.«
»Nun, vielleicht kannst du mit Don Esteban ein Geschäft machen. Sein Betrieb ist heruntergekommen, und er sehnt sich wohl auch nur noch nach einem ruhigen Lebensabend. Ja, du könntest Glück bei ihm haben.«
»Erzähl weiter von den Pendletons.«
»Also, da ist der Colonel, und da ist seine Enkelin Nancy. Nancy wurde auf der Ranch geboren, aber ihre Mutter starb, als Nancy noch ein Kind war. Ihr Vater wurde vor vier, fünf Jahren getötet, als sein Pferd mit ihm in ein ausgetrocknetes Bachbett stürzte. Es war kein schlimmer Sturz, aber irgendwie brachte er es fertig, unter seinem Pferd zu landen. Er hatte die Sternranch zu einem großen Betrieb gemacht und hinterließ sie Nancy. Der Colonel sollte sie verwalten, bis das Mädchen entweder heiratete oder einundzwanzig war. Der Colonel ist ein Gentleman alter Schule, genauso wie Don Esteban. Er denkt, das Geld wächst auf immergrünen Bäumen. Er ist stolz und würdevoll und hat keinen Sinn für so vulgäre Dinge wie Geschäfte und Finanzen. Er leitet die Ranch seit Nates Tod, aber leiten ist wohl zu viel gesagt. Er ruiniert sie.«
»Ist er ein so schlechter Verwalter?«
»Überhaupt kein Verwalter. Von der Plantagenwirtschaft her ist er es so gewohnt, dass er alles seiner Crew und Jake Ordman überlässt, dem Mann, der ihn sogar dazu gebracht hat, die Finanzangelegenheiten der Ranch von ihm regeln zu lassen. Nancy ist sein ein und alles, und für sie ist ihm nichts zu teuer. Zuerst hat er sie auf ein feines Institut für höhere Töchter in Louisville geschickt. Das kostet natürlich eine Stange Geld, aber es handelt sich nicht nur um die Kosten ihrer Verpflegung, Unterkunft und Ausbildung. Sie braucht Unterhaltung, eine Menge Kleider, ein eigenes Reitpferd und Gott weiß, was sonst noch alles.«
»Und die Ranch kommt dafür auf.«
»Natürlich. Wenn sie in den Ferien da ist, geht es erst richtig los. Fast jeden Abend Parties auf der Ranch, bei den Rossiters oder den Ordmans oder anderen; Einkaufsreisen in die Städte, und was man sich nur ausdenken kann. Sie werfen mit dem Geld bloß so herum.«
»Die Ranch muss allerhand einbringen.«
»Muss wohl. Aber wenn der Colonel Geld braucht, verkauft er nicht etwa Vieh. Er geht zu Jake Ordman, unterschreibt eine Quittung, und Jake rennt zur Bank und holt das Geld. Ich weiß nicht, was er macht, wenn die Rückzahlung fällig wird, aber er muss bestimmt berappen, sonst würde ein Hai wie Rossiter ihm den Kredit sperren.«
»Was für Leute sind die Pendletons?«
»Du meinst Aussehen und so? Nun, der Colonel ist lang und hager, aber für sein Alter noch recht beweglich. Muss an die Siebzig sein. Immer elegant gekleidet und würdevoll. Weiße Haare und buschige weiße Brauen und scharfe schwarze Augen. Trägt einen Spitzbart wie General Custer. Nancy - nun, sie ist einfach schön. Um die Zwanzig, vermute ich. Hübsches braunes Haar und wunderbare violette Augen. Aber furchtbar verwöhnt und verzogen. Was ich gegen sie habe, ist eigentlich nur, dass sie mit diesen zugewanderten Angebern verkehrt. Mit der Zeit werden sie von denen angesteckt.«
»Das darf man annehmen. Ist Nancy noch in der Schule?«
»Im nächsten Monat wird sie fertig. Der Colonel ist hingefahren und bringt sie nach Hause.«
»Jetzt erzähl mir noch etwas über die Yankee-Invasion.«
»Invasion ist das richtige Wort! Mark Rossiter kam vor etwa sechs Jahren nach Mustang, lungerte eine Zeitlang hier herum und erklärte dann, er wolle sich niederlassen und eine richtige Metropole aus dem Ort machen. Er baute die Bank und sein Haus und ließ die Familie nachkommen. Und als sie dann kamen, brachten sie ein ganzes Rudel Freunde mit. Jake Ordman fing eine Rechtsanwaltspraxis an, Caleb Bennet eröffnete sein Warenhaus, Percy Dunn einen Frisiersalon, und Leander Taylor kaufte das Mustang-Hotel und nannte es Taylor House. Zwei alte Mädchen namens Luella und Priscilla Hargrave machten eine Schneiderei mit Textilgeschäft auf. Sie sind mehr oder weniger harmlos.«
Abner fuhr fort, die einzelnen Charaktere zu beschreiben. Er wusste, dass Lance Jones nicht einfach fragte, um Konversation zu treiben. Als der alte Mann geendet hatte, nahmen sie schweigend einen zweiten Drink. Zuletzt sagte Lance: »Du hast noch einen ausgelassen. Was hat Ben Clark mit der Sache zu tun?«
»Ach, der! Wie ich schon sagte, er betreibt mit seinem Vater eine kleine Ranch neben der Sternranch. Sie haben Don Esteban fünfzig Hektar abgekauft und treiben ihr Vieh auf sein Land. Ben hat ein Auge auf Nancy Pendleton geworfen und steckt mit der Bande aus der Stadt unter einer Decke. Durch die dauernden Vergnügungen und die feinen Kleider, die er sich kaufen muss, wird er seinen Vater eines Tages bankrott machen. Sie stammen aus Illinois.«