Westlich des Sunset - Stewart O′Nan - E-Book
SONDERANGEBOT

Westlich des Sunset E-Book

Stewart O'Nan

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein fesselnder Roman über die Traumfabrik Hollywood und die letzten drei Lebensjahre des berühmten amerikanischen Schriftstellers Francis Scott Fitzgerald. Mit «Der große Gatsby» hatte er Weltruf erlangt. Doch das ist lange her. Als er einundvierzigjährig in Hollywood ankommt, scheint seine Alkoholsucht unbezähmbar, seine Frau Zelda lebt, mit einer offenbar unheilbaren bipolaren Störung, in einer psychiatrischen Klinik in Montgomery, das Verhältnis zu seiner Tochter Alabama ist schlecht. Er zieht in die Villenanlage Garden of Allah, wo sich abends eine muntere Schar aus den umliegenden Hollywood Hills am Pool trifft: Humphrey Bogart, Valentino, Joan Crawford, Gloria Swanson, die Marx Brothers u.a. Man ist, beginnt man dieses Buch zu lesen, gleich mitten drin in dieser farbigen Welt der Stars, im Reich der Superreichen und Erfolgreichen, um Zeuge zu werden, wie Fitzgerald sich als zweifelnder Beobachter zu behaupten versucht und in der Klatschreporterin Sheilah Graham noch einmal eine große Liebe findet. Eine universelle Geschichte über den Kampf des Künstlers um sein kreatives Potenzial, gegen die Nichtigkeit des Lebens und die Macht des Todes, aber auch über die persönliche Tragik eines Mannes, der alles hatte, Reichtum, Ruhm, Glück, alles verlor und am Ende seines Lebens um seine persönliche Integrität kämpfen muss. O'Nan macht daraus ein packendes Drama. Und dazu die farbige Szenerie, die Stars, die Gelage am Hotelpool, die nächtliche Brandung des Ozeans bei Mondschein, die Filmkulissen in den Studios, wo sogar die Palmen aus Pappe sind.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 514

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Stewart O'Nan

Westlich des Sunset

Roman

Aus dem Englischen von Thomas Gunkel

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Ein fesselnder Roman über die Traumfabrik Hollywood und die letzten drei Lebensjahre des berühmten amerikanischen Schriftstellers Francis Scott Fitzgerald. Mit «Der große Gatsby» hatte er Weltruf erlangt. Doch das ist lange her. Als er einundvierzigjährig in Hollywood ankommt, scheint seine Alkoholsucht unbezähmbar, seine Frau Zelda lebt, mit einer offenbar unheilbaren bipolaren Störung, in einer psychiatrischen Klinik in Montgomery, das Verhältnis zu seiner Tochter Alabama ist schlecht.

Er zieht in die Villenanlage Garden of Allah, wo sich abends eine muntere Schar aus den umliegenden Hollywood Hills am Pool trifft: Humphrey Bogart, Valentino, Joan Crawford, Gloria Swanson, die Marx Brothers u.a. Man ist, beginnt man dieses Buch zu lesen, gleich mitten drin in dieser farbigen Welt der Stars, im Reich der Superreichen und Erfolgreichen, um Zeuge zu werden, wie Fitzgerald sich als zweifelnder Beobachter zu behaupten versucht und in der Klatschreporterin Sheilah Graham noch einmal eine große Liebe findet.

Über Stewart O'Nan

Stewart O’Nan wurde 1961 in Pittsburgh/Pennsylvania geboren und wuchs in Boston auf. Er arbeitete als Flugzeugingenieur und studierte an der Cornell University Literaturwissenschaft. Heute lebt er wieder in Pittsburgh. Für seinen Erstlingsroman «Engel im Schnee» erhielt er 1993 den William-Faulkner-Preis.

Inhaltsübersicht

WidmungMottosChimney RockDie Eiserne LungeDas Garden of AllahDie Geheimnisse der StarsA Yank in AmericaDer größte Schatz aller ZeitenDer Friedhof des AtlantiksDas reiche MädchenLilyRobinson Crusoe in MalibuOstern 1928UntreueDie KurMarie AntoinetteBelly AcresKatzenjammer, New HampshireLa Via BlancaChère françoiseThis Thing Called LoveDanksagung

Abermals für Trudy

In einem amerikanischen Leben

gibt es keinen zweiten Akt.

F. Scott Fitzgerald:

Meine verlorene Stadt

 

Nichts war ausgeschlossen, alles fing eben erst an.

F. Scott Fitzgerald: Verrückter Sonntag

Chimney Rock

In jenem Frühling verkroch er sich in den Smokies, in einem reizlosen Ferienhotel unweit der Anstalt, damit er ihr näher sein konnte. Über Weihnachten war durch eine Lungenentzündung seine TB wieder ausgebrochen, und er musste sich noch erholen. Die Bergluft sollte ihm dabei helfen. Tagsüber schrieb er im Morgenmantel, trank Coca-Cola, um durchzuhalten, wartete mit dem Gin bis zur Abenddämmerung – ein kleiner Grund zum Stolz – und saß dann trinkend auf der dunklen Veranda, während inmitten der vom Golfplatz aufsteigenden Glühwürmchen Paare spazieren gingen. Auf dem Bergrücken hinter der Stadt thronte das Highland Hospital, ein in Wolken gehüllter gotischer Palast mit Spitztürmen, der einer verzauberten Prinzessin würdig gewesen wäre. Zeldas Unterbringung dort konnte er sich ebenso wenig leisten wie in den anderen Privatkliniken, die sie ausprobiert hatten, doch unter Verweis auf seine Mittellosigkeit hatte er mit dem Kuratorium einen Preisnachlass ausgehandelt und seinen Agenten um das Geld gebeten – ein belastender Kredit als Vorleistung für Erzählungen, die er sich erst noch einfallen lassen musste.

Ihm war nichts anderes übriggeblieben. In Pratt hatte man sie zu oft allein gelassen. Dort wäre es ihr fast gelungen, sich mit einem zerrissenen Kissenbezug zu strangulieren, woran noch der graublaue Streifen erinnerte, der sich quer über ihre Luftröhre zog. Eines Nachts war ihr, während sie am Bett festgeschnallt war, in strahlendem Licht der Erzengel Michael erschienen und hatte verkündet, wenn sie die sieben Völker nicht dazu bringen könne zu bereuen, stehe das Ende der Welt bevor. Danach hatte sie begonnen, sich weiß zu kleiden und die Bibel auswendig zu lernen. Auf ihren Bildern hatten sich die gesichtslosen Verdammten im Feuer gekrümmt.

Ihr neuer Arzt in Highland glaubte an Schonkost und körperliche Ertüchtigung. Keine Zigaretten, keine Süßigkeiten. Tagtäglich mussten die Patienten eine vorgeschriebene Strecke wandern, angespornt von stämmigen Schwestern, als seien sie ihre Trainer. Sie nahm ab, ihre Haut war straff über die Wangenknochen gespannt, die Nase scharf wie eine Messerklinge, und er musste an das schreckliche Jahr in Paris denken, wo sie sich völlig heruntergehungert hatte, um wieder die richtige Figur fürs Ballett zu haben. Doch sie war nicht manisch, nicht so überreizt wie damals, als ihre Knie voll blauer Flecke und ihre Füße vom Üben ganz rissig gewesen waren. Nach ihrer Insulinbehandlung war sie ruhig, gebändigt aus schierem Energiemangel. Statt Sündern malte sie nun Blumen, große zerzauste Blüten, die ebenso entstellt waren. Inzwischen könne sie schlafen, sagte sie, eine Gnade, um die er sie beneidete. Ihre Kursivschrift kehrte zurück, saubere Linien, die wie Wellen über die Seite glitten, anstelle der dichtgedrängten, schiefen Buchstaben, vor denen er sich so fürchtete.

Ach Goofo, jeden Tag denke ich an die warme Haut des Meeres und daran, wie ich unsere Blicke füreinander zerstört habe. Du warst wütend und hast mich eingesperrt, obwohl ich mich nach der Sonne sehnte. Vielleicht sollte ich kein Salamander sein, sondern bloß das Geschöpf, das man in Bettlaken wickelt und, wenn es klingelt, füttert. Tut mir leid, dass ich dich um all die Städte, all die perfekten Boulevards gebracht habe, deren Lichter in der Nacht rings um uns herableuchteten.

Sie sprachen meistens durch Briefe zueinander. Obschon er die Klinik von den Stufen der Stadtbücherei aus sehen konnte, bekam er Zelda nur selten zu Gesicht, wodurch die Veränderungen auffälliger waren. Dr. Carroll beschränkte Scotts Besuche, erlaubte sie wie jedes Privileg nur selten, nach einem strengen Belohnungssystem. An den Wochenenden konnte es vorkommen, dass man ihnen ein paar außerplanmäßige gemeinsame Stunden zugestand, in denen sie auf dem Gelände spazieren gehen, ja sogar den Berg verlassen konnten, um in einem Diner oder einem ruhigen Winkel des Hotelrestaurants zu Mittag zu essen und danach wieder in seinem Roadster die kurvige, von Rhododendren gesäumte Straße zum Gipfelblick auf die langen Sonnenuntergänge hinaufzubrausen. Doch die Wochentage waren der Mühsal ihrer Genesung reserviert. Wie Farmer erwachten die Patienten schon vor dem Morgengrauen. Um neun spielten sie Tennis, um elf malten sie. Es ging darum, ihren Tagesablauf straff zu organisieren, und das verstand er, da er sich zum Schreiben zwang, obwohl sein Leben ansonsten jeden Anschein von Ordnung verloren hatte.

Mit vierzig war er durch eine Reihe von Rückschlägen, die er als Pech betrachtete, zu einem Heimatlosen geworden. Da Scottie im Internat wohnte, brauchte er keinen Haushalt mehr zu führen, eine Erleichterung, weil sich damit seine Ausgaben verringerten, doch gab es jetzt keinen Ort mehr, an den sie zurückkehren konnten, und die Dinge, die ihnen am meisten bedeuteten, waren in muffigen Räumen gelagert. Er hatte sich so weit wie möglich eingeschränkt, und dennoch reichte sein Geld nicht zugleich für die Klinik und Scotties Schulgeld, aber er weigerte sich – aus falschem Ehrgefühl oder schlichter Verblendung –, seine Pflichten zu vernachlässigen. Das wäre zu einfach. Allmonatlich bat ihn Zeldas Mutter, sie nach Montgomery kommen zu lassen. Doch sie war noch nicht so weit, falls sie es je sein würde. Er hoffte, Dr. Carroll würde ihr helfen, wieder gesund zu werden, damit er selbst nach Hollywood gehen und genug verdienen konnte, um seine Schulden zu begleichen und vielleicht den Roman zu schreiben, den er Max schuldig war.

Bei Metro bestand Interesse, die Aussicht auf tausend Dollar pro Woche, doch bisher hatte Ober noch nichts festmachen können. Um ehrlich zu Scott zu sein, das Studio mache sich Sorgen wegen seiner Alkoholprobleme – da sei er selbst schuld, weil er im Esquire diese Mea culpas veröffentlicht habe. Den ganzen März hatte er Ober genervt und ihm versichert, er habe keinen Tropfen angerührt, obwohl seine Schublade von leeren Flaschen überquoll.

Mit Zelda war alles eine Prüfung. Zu ihrem Hochzeitstag hatte man ihnen erlaubt, einen Tagesausflug zum Chimney Rock zu machen. Er musste zugleich ihr Ehemann und ihr Aufpasser sein und hatte den Auftrag, ihr Verhalten, alles, was sie sagte und zu sich nahm, aufzulisten – Dinge, die er unwillkürlich wahrnahm, aber nur ungern weitererzählte, als hätten sie nach so langer Gefangenschaft noch ein letztes Stück Privatsphäre. Es war ein milder Samstag, der Hartriegel rosa gerüscht, der Besucherparkplatz voll herausgeputzter Angehöriger mit Picknickkörben. Dr. Carroll brachte Zelda persönlich zum Empfang und übergab sie Scott wie ein abgöttisch liebender Vater.

Als sie noch in den Zwanzigern gewesen war, zierlich, mit einem Kindergesicht, hatte sie ausgesehen wie ein junges Mädchen. Sie konnte gut tanzen, war sportlich gewesen, bekannt dafür, dass sie gern flirtete, ihre Ausdauer und Unerschrockenheit waren unwiderstehlich. Jetzt, mit fast siebenunddreißig, wirkte sie verhärmt und ausgezehrt wie eine alte Hexe, ihr Lächeln war verunstaltet durch einen abgebrochenen Zahn. Eine wohlmeinende Seele hatte ihr zu diesem Anlass das Haar frisiert und den widerborstigen honigblonden Wust mit einem gestrickten schwarzen Haarnetz gebändigt, das wie eine Katze auf ihrer Schulter saß – ein Stil, den sie bei Verkäuferinnen und Kellnerinnen gesehen hatte, für den sie sich aber nie selbst entschieden hätte, besonders weil es ihre Gesichtszüge noch schärfer, ja geradezu raubvogelhaft machte. Das karminrote Sommerkleid war ein altes Lieblingsstück, auch wenn es vom kräftigen Waschen ausgeblichen war und wie ein Talar an ihr herabhing, das Joch des Schlüsselbeins ausgehöhlt, ein dünnes Tuch zu einem Halsband geknotet, um ihre Kehle zu verbergen. Als er sich zur Begrüßung vorbeugte, wandte sie ihm das Gesicht zu, und ihre Lippen streiften seine Wange.

Sie zog den Kopf zurück und sagte «Danke», als hätte er ihr einen Gefallen getan.

«Alles Gute zum Hochzeitstag.»

«Oh, Dodo. Alles Gute zum Hochzeitstag.» Es überraschte ihn jedes Mal, von dieser runzligen Fremden ihren weichen Dixie-Tonfall zu hören, als würde, irgendwo im Innern versteckt, seine jugendliche wilde Zelda immer noch existieren.

Der Arzt gratulierte ihnen. «Wie lange sind Sie schon verheiratet?»

«Siebzehn Jahre», sagte sie und setzte darauf, dass Scott nachrechnete.

«Siebzehn Jahre», bestätigte er und nickte, unsicher, ob das ein Grund zur Freude war. Die Zahl war so imaginär wie ihre Ehe. Die Hälfte dieser Zeit hatte sie in Kliniken verbracht, und in verdrießlichen Augenblicken beunruhigte ihn die Frage, ob sie schon die ganze Zeit verrückt gewesen war und er das anziehend gefunden hatte.

«Viel Spaß», sagte der Arzt.

«Werden wir haben», sagte sie und ergriff Scotts Hand, drückte sie, während sie durch die gewölbte Eingangshalle in den klaren Tag hinausgingen, und ließ sie erst los, als er die Wagentür öffnete und ihr wie ein Diener beim Einsteigen half.

Auf ihrem Sitz lag ein Geschenk, das er im Souvenirladen des Hotels gekauft hatte.

«Dodo, das wär doch wirklich nicht nötig gewesen.»

Beim Schließen der Tür ergriff er den Knopf der Verriegelung und drückte ihn lautlos nach unten. «Ist nichts Besonderes – nur eine kleine Geste.»

«Und ich hab dir gar nichts besorgt.» Sie wartete nicht länger, sondern streifte das Papier ab und brachte eine flache Schachtel Süßigkeiten zum Vorschein. «Wenn es das ist, was ich glaube … Du Teufelsbraten. Du weißt doch, ich kann Erdnusskrokant nicht widerstehen.»

«Pekannusskrokant.»

«Das ist toll, Liebling, aber ich glaube, es ist verboten.»

«Ich verspreche, nichts zu verraten.»

«Dann musst du mir aber helfen.»

«Beim Beseitigen des Beweismaterials.»

«Genau.»

Wie schnell sie sich in Verschwörer verwandelten, als sei das ihr Naturzustand. Zusammen, in einer anderen Zeit, waren sie für ihre extravaganten Eskapaden berühmt gewesen, Stoff für Zeitschriftencover und Skandalblätter, und vielleicht weil sein eigener Sturz nicht so spektakulär und bei weitem nicht so einschneidend gewesen war, bekam er in derart nostalgischen Momenten ein schlechtes Gewissen, als hätte er sie, so unmöglich es auch gewesen war, retten müssen.

Als sie das Gelände verließen, hatte er das Gefühl, sie seien geflüchtet. Obwohl er wusste, dass es genau die falsche Einstellung war, tat er, sobald sie zum Tor hinaus waren, gern so, als wären sie ein x-beliebiges Paar, das einen Ausflug machte. Eine ähnliche Verleugnung traf auf seinen Fahrstil zu. In Princeton war er Zeuge eines tödlichen Unfalls geworden, und wenn er spätnachts die dunklen Straßen Long Islands oder der Riviera entlanggerast war, in den Händen aufgeputschter Freunde, hatte er um sein Leben gefürchtet, mit der Folge, dass er, ob nüchtern oder betrunken, übervorsichtig wurde und so langsam fuhr, dass er für andere eine Gefahr darstellte. Statt ihre neue Anonymität zu schützen, gelang es ihm jetzt, sich den Zorn aller zuzuziehen, die hinter ihm feststeckten.

Ein Fahrer warf beim Überholen beide Hände hoch, als wollte er fragen, was das solle.

«Verschwinde von der Straße, du alter Sack!», rief ein junger Hohlkopf.

Scott winkte sie vorbei.

Neben ihm, blinzelnd wie ein Matrose, ihr Tuch im Wind flatternd, saß Zelda, einen Ellbogen auf die Tür gestützt, und deutete auf die rauschenden Bäche und die blühenden Birnbäume. Er wandte seine Konzentration von der Straße ab, um etwas Anerkennendes zu murmeln, und betrachtete verstohlen den Knopf, der noch immer heruntergedrückt war. An der Steilküste auf Cap Ferrat hatte sie einmal mitten in einer Kurve die Tür geöffnet und war, ehe er anhalten konnte, aufs Trittbrett gestiegen. Sie hatte gelacht wie ein Kind, das jemandem einen frechen Streich spielt. Sie war bloß wegen einer Bemerkung wütend gewesen, die er zu Sara und Gerald über Marion Davies gemacht hatte, das hatte er zumindest gedacht. Im Rückblick konnte er sich zu seiner Schande nicht mehr an den genauen Zeitpunkt erinnern, an dem sie die Kontrolle über sich verloren hatte, und auch nicht daran, wann es ihm schließlich aufgefallen war. Jetzt beobachtete er sie genau, da er aus schrecklicher Erfahrung wusste, dass sie jeden Moment einen Satz auf ihn zu machen und das Lenkrad ergreifen konnte.

Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und aalte sich in der Sonne. Er sah einen frisch verheilten himbeerroten Kratzer unter ihrem flatternden Halstuch hervorschauen. Als sie ihn dabei ertappte, wie er sie ansah, streckte sie übermütig die Zunge heraus und setzte sich dann demonstrativ anders hin, um ihn zu betrachten.

Unten in der Stadt mussten sie an der einzigen Ampel warten.

«Du siehst müde aus», sagte sie.

«Bin ich auch.»

«Du trinkst nicht.»

«Ich schlafe nicht», sagte er.

«Verbring doch mal eine Woche mit mir. Das wirkt Wunder.»

«Einer in der Familie muss aber arbeiten.»

«Sei kein Dummkopf, Dodo. Mama kann helfen.»

«Mama hat ihre eigenen Sorgen.»

Sie wandten sich nordwärts, verließen Tryon und fuhren wieder in die Berge hinauf, die Luft in den grünen Senken war kühl und feucht. Sie sahen einen Farmpächter, der mit einem schlappohrigen Maultier einen Hang pflügte, eine Kette wild lebender Truthähne und ein Waldmurmeltier, das davonhuschte, als sie näher kamen, und jede Ablenkung erleichterte ihr Zusammensein und verlieh ihm etwas Besonderes, als könnten sie sich an diesen Tag irgendwann mal als glückliches Intermezzo erinnern.

Um sie nicht unnötig aufzuregen, hatte er es hinausgeschoben, ihr von Hollywood zu erzählen. Wie bei jeder heiklen Angelegenheit war es eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Aus Feigheit oder Hoffnung glaubte er, dass es ungefährlicher sei, sobald sie zu Hause war. Der heutige Tag war ein weiterer Schritt zu diesem Ziel, und obwohl er wachsam blieb, war er bisher zufrieden.

Genauso verzwickt war die Frage, wann er das Thema anschneiden sollte, dass Scottie vielleicht nach den Prüfungen zu Besuch kommen würde. Als sie letztes Mal in Virginia Beach zusammen gewesen waren, hatte sich Zelda nicht wohl gefühlt, Scottie war verärgert und kurz angebunden gewesen, und das Ganze hatte zu einem Streit auf der Uferpromenade geführt, den er törichterweise schlichten wollte. Seitdem hatte er Scottie drängen müssen, ihr zu schreiben, wobei er sich für die Umstände entschuldigte und in ihr ein Pflichtgefühl zu wecken versuchte, das er gegenüber seiner eigenen Mutter nie empfunden hatte. All seine Gedanken kreisten darum, dass die beiden sich versöhnen mussten, doch wie er das bewerkstelligen sollte, war ihm ein Rätsel. Ein Großteil seines Lebens bestand jetzt darin, Regelungen zu treffen, und das war noch nie seine Stärke gewesen.

Sie überquerten den Gipfel und fuhren auf der anderen Seite hinunter. Es ging in Serpentinen hinab, und Haarnadelkurven wechselten sich mit steilen Gefällstrecken ab. Weit unten lag die schmale blaue Pfütze des Lake Lure, der das Tal säuberlich teilte. Sie schlichen dahin, und Zelda genoss die Aussicht. Eine Schar Habichte schwebte in Schräglage über den Felsen. Er war damit beschäftigt, den Wagen in der Fahrspur zu halten, und als plötzlich ein roter Reisebus hinter ihnen auftauchte und immer näher kam, bis er den gesamten Spiegel ausfüllte, war er überrascht. Der Fahrer schwenkte den Arm seitwärts über die Windschutzscheibe, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen.

Zelda drehte sich auf dem Sitz um. «Ich glaube, er will, dass du zur Seite fährst.»

«Da ist kein Platz.»

Er beschleunigte leicht, überzeugt von seinem Recht, auf der Straße zu bleiben. Niemand konnte ihn zwingen, etwas Dummes zu tun. Er beugte sich übers Lenkrad, konzentrierte sich, hatte Angst, nach hinten zu blicken. Er fuhr zu schnell, um in eine der Abfahrten zu den Aussichtspunkten biegen zu können, und während der Bus sie durch die Kurven hetzte und er ruckelnd bremste, fragte er sich, warum es die Fahrgäste, wenn sie Touristen waren, so verdammt eilig hatten.

Am Fuß des Berges war die Straße nicht mehr so kurvig und hatte wieder einen Seitenstreifen. Der Busfahrer betätigte die Lichthupe. Dennoch machte Scott nicht Platz.

«Da», rief sie und deutete auf einen weiter vorn gelegenen ländlichen Kramladen. «Bitte, Liebling.»

Er bremste und bog auf den ungeteerten Parkplatz ab, schlitterte seitlich weg und wirbelte eine Staubwolke auf, die sie umhüllte, während der Bus laut hupend vorbeirauschte.

Er schüttelte die erhobene, geöffnete Hand, ein Fluch, den er in Rom gelernt hatte. «Dem sollte man den Führerschein abnehmen!»

Ihr Gelächter – heiser, den Kopf vor Freude zurückgeworfen – bestürzte ihn. Die Geste kam ihm falsch und theatralisch vor, wie ein typisches Symptom.

«Was denn?»

«Weißt du noch in Westport? Da hast du das ständig gesagt. Denen sollte man allen den Führerschein abnehmen. Und was ist dann passiert?»

Auf einer Spritztour mit Ring hatte man ihm selbst den Führerschein entzogen, weil er ihren Marmon in einen Teich gelenkt hatte. Ring, der wie Scotts Mutter tot war. Das schien einer anderen Zeit anzugehören, damals war er ein anderer Mensch gewesen – leichtsinnig, vom Glück gesegnet.

«Danke, dass du mich daran erinnerst.»

«Tut mir leid, Dodo. Dich kann man so leicht ärgern.»

«Zu leicht.»

«Aach, sei doch nicht sauer.»

Er war nicht sauer, nicht auf sie. Es war erniedrigend, wie schnell sein Zorn ihn in einen Idioten verwandelte, und wie immer beschloss er, sich nicht von seiner Enttäuschung überwältigen zu lassen – ein Gelöbnis, das noch passender zu sein schien, als er nach seiner Entschuldigung an der offenen Tür des Blockhauses vorbeifuhr und sah, dass es eine Bar war, deren neonbeleuchtete Dunkelheit einladend wirkte. Als sie wieder auf der Straße waren, erwähnte es keiner von beiden.

Die Sonne hatte Scharen von Menschen zum Chimney Rock gelockt. Auf einer Seite des Parkplatzes waren dicht an dicht vier Reisebusse geparkt, was es ihm unmöglich machte, den Schuldigen zu ermitteln. Auf der anderen Seite fand er ein schattiges Plätzchen und parkte mit der Schnauze an einem Weidezaun, als könnte er den Wagen verstecken. Sie wartete, bis er herüberkam, ließ ihn die Tür entriegeln und ihr beim Aussteigen helfen.

Inmitten der in Jeans und Latzhosen gekleideten Touristen, von denen es auf den Fußwegen wimmelte, wirkten sie seltsam förmlich, als wollten sie ins Theater oder in die Philharmonie, doch als sie die Kirschbäume hinter sich ließen und die hohe Steinsäule vor ihnen in den Himmel ragte, kippelig wie von Kindern aufgetürmte Bauklötze, blieben sie wie alle anderen stehen und beschirmten die Augen. Der Fels stand allein, und von hinten zog sich eine Reihe von Treppen die Felswand hinauf. Ganz oben wurde die letzte Kluft von einem schmalen Steg überspannt, dessen Umrisse sich schwarz vor dem Himmel abzeichneten. Die Unmengen winziger Menschen, die dieses Gerüst erklommen, erinnerten ihn an eine Ameisenfarm. Der Gedanke, sich dieser Masse anzuschließen, erschreckte ihn, und er dachte vorsichtshalber ans Mittagessen.

Sie war bereits unterwegs zur Treppe.

«Hast du keinen Hunger?»

«Komm schon», spottete sie, und bevor er widersprechen konnte, war sie schon zwischen den anderen Leuten hindurchgestürmt und eilte die erste Treppe hinauf, wobei ihr Haarnetz auf und ab hüpfte wie ein Schwanz.

Er folgte ihr und versuchte, sie im Auge zu behalten, doch die Medikation des Arztes hatte Wirkung gezeigt. Zudem war er nicht völlig gesund. Er verbrachte zu viel Zeit an seinem Schreibtisch, rauchte zu viel, trank zu viel, und schon an der zweiten Biegung hatte er sie verloren. Er wusste, sie würde nicht stehen bleiben: Es war ein Spiel. Je höher er stieg, inzwischen längst außer Atem, umso öfter sagte er sich, dass sie bloß die alte, ausgelassene Zelda war. Er schwitzte und zog sein Jackett aus, streifte seine Krawatte ab. In der Weihnachtszeit war ihm Scottie einmal bei Macy’s entwischt, und jetzt verspürte er die gleiche Hilflosigkeit und panische Angst. Er kraxelte weiter, zog sich am Geländer hinauf, ruhte sich auf den Treppenabsätzen aus und spähte nach oben, in der Hoffnung, sie auf dem Steg warten und über ihn lachen zu sehen. Er hatte die diffuse und doch reale Angst, dass sie, wenn er oben ankäme, nicht mehr da wäre und sich an der Stelle, wo sie aufs Geländer geklettert und hinabgesprungen war, eine Menschenmenge gebildet hätte.

Doch sobald er den Steg überquert hatte, entdeckte er sie sofort, ihr rotes Kleid war unübersehbar. Sie stand auf der anderen Seite des Felsens, den Bauch ans Geländer gedrückt, und blickte wie alle anderen über das Tal. Als er neben sie glitt, legte sie ihre Hand auf seine. Jetzt, wo er stehen geblieben war, lief ihm der Schweiß in Strömen, und die Tropfen sammelten sich in seinen Brauen.

«Du wirst langsam alt, Dodo.»

«Du warst schon immer schneller als ich.»

«Du solltest wirklich besser auf dich achtgeben. Ist wohl zum Teil meine Schuld. Ich sollte mich um dich kümmern, stimmt’s? In dieser Hinsicht bin ich leider eine große Enttäuschung.»

«Ich kann selbst auf mich achten.»

«Von wegen.»

«Wir müssen uns umeinander kümmern», sagte er.

«Ich will nicht, dass du dich um mich kümmern musst. Ich will bloß nach Hause.»

«Ich weiß.»

«Ich hab mich doch gut benommen, oder?»

«Ja.»

«Ich gebe mir so viel Mühe, aber dann geht alles schief, und ich kann nichts dagegen tun. Ich wünschte, ich könnte es.»

«Das weiß ich doch.»

«Wirklich?», fragte sie.

«Natürlich. Ich bin der König des Schiefgehens.»

«Und ich deine Königin.»

«Stimmt», sagte er, denn obwohl der Thron viele Jahre lang leer geblieben und das Schloss, wie auch das Reich, längst zerstört war, war sie seine Königin. Trotz allem, was sie vergeudet hatten, würde er nie bestreiten, dass sie füreinander geschaffen waren.

Auf dem Rückweg zum Steg begegneten sie einer Gruppe Schulkinder, die vor Papierbögen knieten und mit Zeichenkohle etwas durchpausten. Der Felsen war voller Fossilien – Trilobiten und Fischskelette –, der Beweis, dass all das einmal unter Wasser gewesen war.

«Wie schön!», säuselte sie, ein Urteil, das er unwillkürlich als rührselig abtat. Als sie wie eine Lehrerin von einem Kind zum anderen ging und jedes einzelne lobte, glaubte er, mehr Verständnis zeigen zu müssen. War nicht jede Welt letztlich eine untergegangene Welt, jede Erinnerung ein Schatz? Als Autor konnte er das in ästhetischer Hinsicht glauben, aber hier, im richtigen Leben, empfand er es nicht so. Was vorbei war, war vorbei.

Der Abstieg kam ihm länger vor, und danach mussten sie im Lärm der Cafeteria warten. Das Tagesgericht war Gulasch mit Nudeln. Er sagte, das Essen schmecke nicht viel besser als die Krankenhauskost, und erwartete, dass sie ihm widersprechen würde. Doch sie sagte nichts, sondern kaute geistesabwesend weiter, als hätte sie es nicht gehört. Er beugte sich über seinen Teller und wedelte mit der Gabel, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Dennoch musste er sich Mühe geben, um sie aus ihrer Trance zu reißen.

«Tut mir leid, Liebling», sagte sie. «Ich bin einfach müde.»

Er war es gewohnt, auf Anzeichen zu lauern. Er verstand sie. Auch er war müde.

Als sie zum Wagen zurückkamen, war die Sonne weitergewandert. Der Pekannusskrokant war zu einer klebrigen Masse geschmolzen, die die Form der Schachtel angenommen hatte.

«Du kannst warten, bis alles wieder hart ist», schlug er vor, «und es dann abbrechen.»

«Ich sollte es sowieso nicht essen.»

Neuerlich hatte er das Gefühl, als würden sie flüchten und die vielen Menschen und den vollen Parkplatz hinter sich lassen. Sie fuhren an dem Blockhaus und den wachsenden Reihen parkender Automobile vorbei, erklommen in ihrem eigenen Tempo die Serpentinenstraße, hielten auf dem Gipfel, um die Aussicht und die exklusive Stille zu genießen, und teilten sich eine verbotene Zigarette. Weit unten, im Trog des Tals, funkelte der Lake Lure in der Sonne. Ein paar einzelne Wolken überzogen die Hänge mit schwarzen Schatten, und er fühlte sich an die Schweiz gemahnt.

«Kannst du dich noch an unser Chalet in Gstaad erinnern?»

«Das, wo sich Scottie das Kinn aufgeschlagen hat.»

Er hatte an den Geweihkronleuchter, an den verrußten Kamin und die Daunendecke auf ihrem Bett gedacht, doch plötzlich sah er die gebohnerte Hartholztreppe vor sich und wie Scottie in ihrem Doctor-Denton-Schlafanzug hinaufsteigen wollte, wie sie die Stufe verfehlte und der heftige Aufprall der Knochen ihn und Zelda aufschreckte wie ein rappelnder Wecker. Seltsam, dass die Vergangenheit ihnen zugleich offen und verschlossen war, doch sie hatte sich erinnert. Sehr oft gelang ihr das nicht.

«Ich hab nachgedacht», sagte er. «Was hältst du davon, wenn Scottie eine Weile herkommt, bevor sie ins Ferienlager geht?»

Sie senkte den Kopf und zog mit der Schuhspitze eine Linie in den Staub. «Sie will mich nicht sehen.»

«Doch. Ich glaube, es ist eine gute Gelegenheit. Könnte sein, dass sie danach nicht kommen kann.»

«Aber du zwingst sie nicht.»

«Sie will dich sehen – wenn du dazu imstande bist. Ich glaube, das bist du.»

«Ich würde mich freuen.»

«Hab ich mir gedacht.»

«Ich wünschte, ich könnte dir versprechen, dass ich es hinbekomme.»

«Ich verstehe», sagte er und sah sie an, um den Pakt zu besiegeln. Sie konnte richtig vernünftig sein. Einen Augenblick lang dachte er daran, sie auf die Wange zu küssen, befürchtete aber – besonders heute –, sie könnte es missverstehen. Sie genossen wieder die stille Aussicht, und nachdem Zelda ein letztes Mal an der Zigarette gezogen und sie dann in den Staub geworfen hatte, damit er sie austrat, wandten sie sich um und kehrten zum Wagen zurück.

Als sie auf der anderen Seite hinabfuhren, sagte er: «Ich frage mich, ob Murmeltiere gern Pekannusskrokant fressen.»

«Im Süden schon. Aber für euch Yankees kann ich nicht sprechen.»

«Ich glaube, sie fressen lieber Erdnusskrokant.»

«Ach, Dodo, das war ein so schöner Tag, dass ich gar nicht zurückwill.»

«Ich weiß.»

«Siebzehn Jahre», sinnierte sie. «Kommt mir gar nicht so lange vor.»

«Nein», sagte er, doch er hätte ihr widersprechen können.

Er spürte, wie mit dem Tag zugleich die Augenblicke dahinschwanden, in denen sie zusammen allein waren. Seine Besuche waren stets anstrengend, doch diese Ausflüge waren eine Qual, erst recht, wenn alles gut lief. Am Ende wartete stets die Aufgabe, sie in ihr Kloster zurückzubringen. Das hatte etwas von einer Kapitulation, die sein Ehrgefühl aufzehrte, als müsste er für sie kämpfen. Den ganzen Weg durch die heiße, öde Stadt und die lange, kurvenreiche Bergstrecke hinauf verspürte er keinerlei Erleichterung, sondern hatte das Gefühl, an seiner eigenen Niederlage mitzuwirken und sie beide zu verraten.

Er brachte sie hinein. Der Arzt war mit anderen Besuchern beschäftigt, und eine ausgelassene Schwester nahm sie in Empfang und fragte, ob sie sich gut amüsiert hätten.

«Sehr gut», sagte Scott.

«Wir haben Hochzeitstag», fügte Zelda hinzu.

«Ich weiß», sagte die Schwester. «Alles Gute.»

«Danke. Alles Gute zum Hochzeitstag, Dodo.»

«Alles Gute zum Hochzeitstag», sagte er, umarmte sie züchtig und ließ sie dann los.

«Armer Dodo. Guck doch nicht so. Ich seh dich nächstes Wochenende. Ich werde mich gut benehmen, versprochen.»

«Ich rede mit Scottie.»

«Tu das, bitte. Bis dann, mein Lieber.» Sie warf ihm eine Kusshand zu, ließ sich von der Schwester durch die Tür zum Frauentrakt führen, und er war wieder allein.

Draußen schlenderte er lustlos zum Wagen. Ihr Pekannusskrokant lag auf dem Rücksitz, Zeichen seines kläglichen Bemühens. Später, auf der dunklen Veranda, würde es sein Abendessen sein.

Als er sich am Montag mit dem Arzt traf, berichtete er, es sei ihr gutgegangen. Sie seien gut miteinander ausgekommen. Sie habe ein scharfes Gedächtnis, eine klare Aussprache und zusammenhängende Gedanken gehabt. Er erwähnte weder die Zigarette noch den Pekannusskrokant, weder ihren wilden Galopp die Treppe hinauf noch ihr ausdrucksloses Gesicht beim Kauen des Gulaschs. Der Arzt wirkte zufrieden und stimmte zu, dass es ihr guttun würde, Scottie zu sehen. Doch nachdem sich Scott erfolgreich für ihren Besuch eingesetzt hatte, ging Zelda plötzlich mit dem Schläger auf ihre Tennispartnerin los, brach ihr die Nase und wurde auf die geschlossene Station verlegt. Scottie fuhr wie geplant ins Ferienlager, und als Ober anrief und sagte, Metro wolle, dass er zu einem Vorstellungsgespräch nach New York komme, nahm er in Asheville den ersten Zug. Zwei qualvolle Tage lang blieb er stocknüchtern und wurde eingestellt. Sechs Monate für tausend Dollar pro Woche. Er wollte es Zelda von Angesicht zu Angesicht erzählen, doch sie war auf der Isolierstation. Der Arzt ließ ihn nicht zu ihr, ein Affront, doch zugleich eine Rettung. Er wartete bis zum letzten Augenblick – genau genommen, bis er seine Sachen gepackt und die Stadt verlassen hatte – und setzte den Brief im Roosevelt Hotel in New Orleans auf, gegenüber der Union Station.

Mein Schatz, schrieb er. Bitte verzeih mir. Ich muss abreisen, um unser Vermögen aufzubessern. Ich wünschte, es gäbe eine andere Möglichkeit. Streng dich weiter an und versuche, dich gut zu benehmen, ich werde da, wo ich bin, dasselbe tun.

Am nächsten Tag fuhr er auf Kosten von Metro mit dem Argonaut westwärts.

Die Eiserne Lunge

Der Zug hielt in El Paso, Tucson und Yuma und brauchte drei Tage. Er hatte sogar dem Bier abgeschworen, und das unaufhörliche Rattern und Schaukeln ergriff allmählich Besitz von ihm wie eine Krankheit. Er schrieb an Scottie, Ober und Max, las, rauchte und schlief. Beim Frühstück sah er Palm Springs flirren wie eine Fata Morgana. Nach den Salzflächen der Wüste waren die Berge eine willkommene Abwechslung, im Schneckentempo die Steigung hinauf, dann die stürmische Fahrt zwischen staubigen Ranches und Orangenhainen, durch Gartenvorstädte mit Wanderarbeiterunterkünften und endlosen Reihen von Stuckbungalows. Als sie die Stadtgrenze überquerten, donnerte ein ostwärts fahrender Güterzug vorbei, der den Waggon zum Schaukeln brachte, dann brausten sie an den dichtbesiedelten Straßen L.A.s entlang, und das Signalhorn ließ an jedem Bahnübergang eine Warnung ertönen. Er suchte die Skyline nach dem elfenbeinfarbenen Prachtbau des Rathauses ab, als sie plötzlich, als hätte der Zug seine Kraft eingebüßt, langsamer wurden und in den Rangierbahnhof rollten, an den stehenden Güterzügen und den hin und her fahrenden Rangierloks vorbei in den dunklen Schuppen des Bahnhofs einliefen, an bernsteingelben Warnleuchten und rußbedeckten Säulen entlangglitten, bis sie mit einem letzten, schrillen Quietschen ruckelnd zum Stillstand kamen.

Er war schon zweimal hier gewesen, jeweils als ganz anderer Mensch. Beim ersten Mal hatte er triumphal in die Stadt Einzug gehalten, das goldene Wunderkind und seine Flapper-Braut, hatte beim Aussteigen aus dem Zug Autogramme gegeben und mit Zelda für die Kameras posiert. Beim letzten Mal, nach dem Crash, erholte sie sich in Montgomery, und er war in Pasadena ausgestiegen, um den Reportern zu entgehen. Doch als er jetzt den Bahnsteig betrat, war niemand da, um ihn zu begrüßen. Er nahm sein Gepäck, hielt ein Taxi an und verschwand im Verkehr.

Wie um ihn unter Quarantäne zu stellen, hatte ihn das Studio in Santa Monica untergebracht, an der letzten Straßenbahnhaltestelle, im Miramar, einem prächtigen Herrenhaus am Meer, das seinen Bauherrn, einen Silbermagnaten, überlebt hatte. Die neue Geschäftsführung hatte das Gebäude in Wohnungen unterteilt, und die Flure waren feucht und leer, das einzige Lebenszeichen war das Scheppern des Fahrstuhlgitters. Aus Gewohnheit gab er dem Pagen ein zu hohes Trinkgeld, schloss dann die Tür ab und räumte seine wenigen Sachen weg, eine Aufgabe, die er, sobald sie erledigt war, irgendwie entmutigend fand. Er hatte einen sehr langen Weg zurückgelegt, um in diesem Zimmer zu sein. Von dem geschwungenen Turmfenster aus beobachtete er, wie der blaue Pazifik schäumend unter dem Pier heranrollte. Es war Mittwoch, und der Strand war voller Menschen, eine Fülle gestreifter Sonnenschirme. Die unerbittliche Sonne brannte auf die Badenden herab, die kitschigen Palmen zu beiden Seiten des Boulevards und die gelbbraunen, zum Meer hin abfallenden Berge erinnerten ihn an Cannes und jene Vagabundenjahre, die ihm jetzt wie ein Fiebertraum vorkamen.

An jenem Nachmittag fuhr er, um sich besser orientieren zu können, mit der Straßenbahn nach Hollywood, eine nicht enden wollende Fahrt, von der er verschwitzt und durstig wurde. Die anderen Fahrgäste waren hauptsächlich Mexikaner in Hemdsärmeln und Latzhosen, und er kam sich in seinem Anzug idiotisch vor. In seiner Abwesenheit hatte sich die Stadt ausgebreitet, und das zweckmäßige Straßennetz war von einem Gewirr neuer Schnellstraßen und Boulevards überwuchert. Am Wilshire Boulevard zogen sich meilenweit, von Wimpeln und Lametta umgrenzt, Asphaltparkplätze hin, auf denen die polierten Kotflügel und die Windschutzscheiben in der Sonne funkelten. Mit dem Geld, das er für den Roadster bekommen hatte, kaufte er sich ein gebrauchtes Ford Coupé, eine robuste, wenn auch hässliche Kiste, mit der er sich prompt verfuhr.

Zum Abendessen wagte er sich unter die vielen trägen, sonnenverbrannten Leute, die ihre Strandsachen nach Hause schleppten, und musste an Scottie denken, an die müßigen Tage in Saint-Tropez. Er fuhr auf dem Ocean Boulevard südwärts, an den Klippen entlang, und überquerte die Trasse, die wie eine Rutsche zum Pier hinabführte. Er fuhr an einem Spirituosenladen vorbei, während im Radio ein Baseballspiel übertragen wurde, und nachdem er eine nicht weiter bemerkenswerte Seezunge gegessen hatte, fuhr er auch auf dem Rückweg daran vorbei.

Er hatte vergessen, wie lange die Sonne über dem Pazifik verweilte, und dass sich, sobald sie untergegangen war, die Nacht herabsenkte wie ein Bühnenvorhang. Draußen auf dem Pier drehten sich ausgelassen die Lichter des Riesenrads. Von seinem offenen Fenster aus hörte er leise Schreie und das Pfeifen einer Dampforgel. Weiter draußen, jenseits des Jachthafens und seiner schützenden Mole, in der Bucht selbst, lag das Glücksspielschiff Rex vor Anker, die kahlen Masten mit Lampions geschmückt, und lockte Wogen und High Roller an. Eines Nachts war er dort einmal wegen einer Wette in Abendgarderobe über Bord gesprungen. Als er wieder aufgetaucht war, vom Schock des kalten Wassers noch ganz außer Atem, hatte er gesehen, wie sich Zelda in ihrem weißen Seidenkleid wie ein hauchzarter Engel von der Reling stürzte. Doch sie sprang nicht wie er. Sie machte einen Kopfsprung.

«Ich hab gewonnen», sagte sie, im Wasser strampelnd. «Worum haben wir gewettet?»

Er konnte sich nicht mehr erinnern – als hätte es eine Rolle gespielt. Sie würde ihn stets übertreffen, zumindest hatte er das gedacht. Auch jetzt, ein Jahrzehnt später, konnte er noch nicht recht glauben, dass sie einen Nervenzusammenbruch gehabt hatte, doch schon bald hatte ihr älterer Bruder Anthony auf brutale Weise bestätigt, dass ihnen das Erbe der Sayres gemeinsam war. In eine Irrenanstalt in Mobile verbannt, hatte er sich lieber aus einem hochgelegenen Fenster gestürzt, als in der Klinik zu verrotten. Trotz all ihrer persönlichen Ambitionen war ihr Leben von der Familie bestimmt. Schon die Griechen wussten: Seiner Abstammung kann man nicht entfliehen. Vielleicht, dachte er, kann man vor gar nichts fliehen, doch hier war er.

Mein Schatz, schrieb er im Morgenmantel. Endlich bin ich auf der gesegneten Seite des Kontinents angelangt, gesund, erholt und bereit, den Kampf aufzunehmen mit Goldwyn und Mayer und jedwedem dritten Zerberuskopf, der das Tor bewacht.

Wie ein neuer Schüler, der sich vor seinem ersten Tag fürchtet, hatte er Angst, zu spät zu kommen, wachte um halb vier, um Viertel nach vier und noch mal um fünf in dem fremden Zimmer auf und hörte die Vögel in den Bäumen zwitschern. Er packte frisch gekaufte Notizblöcke und Bleistifte in seine Aktentasche, machte sich früh auf den Weg und traf lange vor der vorgeschriebenen Zeit ein. Die Fassade des Studios war eine imposante Kolonnade korinthischer Säulen, doch wie alles dort eine monumentale Attrappe, aus Lattenwerk und Gips. Am Tor wartete sein Pass auf ihn, ausgestellt auf jemanden namens Mr. Francis Fitzgerald. Bei seinem letzten Aufenthalt auf dem Gelände war er Gast des wahren Wunderknaben Irving Thalberg gewesen und wie ein wertvolles Haustier in dessen Rolls überall herumgefahren worden. Jetzt, wo Thalberg tot war und Metros beste Vorhaben ebenso, musste sich Francis Fitzgerald selbst einen Parkplatz suchen.

Er ließ den Ford hinter der Malerwerkstatt stehen, ging die Main Street zurück zwischen den nummerierten lagerhallenähnlichen Tonstudios hindurch und schloss sich dem Strom der Techniker, Bühnenarbeiter und für einen Western gekleideten Komparsen an. An der Ecke 5th Avenue quasselten etliche unglaublich hochgewachsene Hulatänzerinnen in künstlichen Kokosnuss-BHs und ließen ihre Kaugummis knallen, während sie darauf warteten, dass ein Requisiteur, der einen goldenen Sarkophag schob, die Straße überquerte, dann gingen sie mit raschelnden Grasröcken weiter und verloren einzelne Palmblätter. Gab es etwas Herzzerreißenderes als Starlets? Ihre schwesterliche Kameradschaft, ihr gemeinsamer Traum, so offen zur Schau gestellt? Als alter Hase konnte er seinen Ehrgeiz und seine Angst besser verbergen. Er hatte sich Sorgen gemacht, war sich nicht sicher gewesen, ob es klug war zurückzukehren, doch das überkandidelte Beiwerk der Produktionen beruhigte den Sänger und Tänzer in ihm. Hier waren eine angeschlagene Firma und eine wartende Bühne, alles, was sie brauchten, waren ein anständiges Buch, ein paar eingängige Melodien. Er musste daran glauben, dass er dazu noch imstande war.

Das alte Autorengebäude, ein Stuckklotz in der Farbe kleingeschnittener Leber, hatte man durch ein Mausoleum aus gegossenem Beton ersetzt, das so groß wie eine Highschool und zu Unrecht nach Thalberg benannt war. Im Foyer war es so kühl wie in einem Theater. Als Zeichen der Ehrlichkeit war auf der Liste neben dem Aufzug kein einziger Autor aufgeführt, sondern nur die Schar der Produzenten im dritten Stock.

Eddie Knopf, mit dem er das Vorstellungsgespräch in New York geführt hatte, hatte ein Büro in der zweiten Etage, sein Name in Goldschrift an der Milchglastür. Vom Großraumbüro der Dramaturgie, wo er einen Schreibtisch in einem Raum voll junger Skriptbearbeiter gehabt hatte, war das ein riesiger Sprung. Dass er Scotts einziger Befürworter war, ein Überbleibsel der alten Zeiten, hatte Ober ihm klargemacht, und obwohl Scott dankbar war, ärgerte ihn die veränderte Hierarchie in ihrer Beziehung, als müsse das Ganze ein Fehler sein.

Scott strich sich mit der Hand das Haar glatt, klopfte und trat einen Schritt zurück, wie ein Vertreter.

«Herein!»

Er öffnete die Tür und streckte den Kopf hinein, als könnte man ihn abweisen.

«Scott!», sagte Eddie, stand auf und eilte ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. Er besaß nur noch die eine. Die andere hatte er durch eine Granate in der Argonne verloren, sein Ärmel war untergefaltet und mit einer Sicherheitsnadel befestigt, um den Stumpf zu verbergen. Er war groß und schwerfällig, und ohne Jackett, in Hemdsärmeln und Hosenträgern, wirkte er noch stämmiger. Er trug einen schmalen Schnurrbart, mit dem er Gable nachahmte, und eine handbemalte Krawatte, kastanienbraun mit einer weißen Schwertlilie. «Schön, Sie zu sehen, Sie sehen toll aus. Kommen Sie, setzen Sie sich. Sie sind früh dran. Gefällt Ihnen die neue Bude – schick, was? Sie werden sehen, jeder hat sein eigenes Fenster.» Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Drehbücher, von denen er eins mit blauem Stift überarbeitete. Er trank Kaffee und aß einen Donut, bot Scott das Gleiche an.

«Danke, ich habe im Hotel gefrühstückt.»

«Wann sind Sie denn angekommen? Alles in Ordnung? Wie gefällt Ihnen das Miramar? Hervorragender Krabbensalat, falls Sie den noch nicht gegessen haben. Sie kommen genau richtig. Am Wochenende sollen wir die neuen Seiten erhalten.»

«Ach?», sagte Scott, denn er hatte angenommen, das Drehbuch sei bereits fertig. A Yank in America hieß der Film. Sie hatten ihn wegen seines geübten Auges fürs Campusleben hinzugezogen, um die Dialoge aufzupeppen. Es spielte keine Rolle, dass er schon vierzig war und keinen Collegeabschluss hatte.

«Spätestens Montag oder Dienstag – allerspätestens Mittwoch. Keine Sorge, Sie haben mehr als genug Zeit, ein Profi wie Sie. Eigentlich hätte ich Sie gern für ein anderes Projekt, mit dem wir gerade beginnen. Sagen Sie mir, was Sie davon halten. Es geht um drei Soldaten, die aus dem Krieg in ihr Städtchen in Bayern zurückkehren, und jeder muss seinen Weg nach Hause suchen oder herausfinden, was jetzt sein Zuhause ist. Zwei von ihnen sind in dasselbe Mädchen verliebt, aber einer kommt als Krüppel zurück. Wunderbare Rolle für Tracy.»

Scott behielt für sich, dass er nicht am Krieg teilgenommen hatte und im Gegensatz zu Eddie weder aus Deutschland stammte noch ein Krüppel war. Er hatte nicht damit gerechnet, schon am ersten Tag ein Projekt vorgestellt zu bekommen, doch das zeigte nur, wie lange er weg gewesen war und wie viel er vergessen hatte. Er kannte den Roman, hatte ihn bei seiner Veröffentlichung vor einem Jahr oberflächlich und kitschig gefunden. Während Eddie lang und breit die Handlung erzählte, lächelte Scott, nickte an den richtigen Stellen und stellte ein paar kritische Fragen, damit er nicht zu schmeichlerisch wirkte, mit dem Ergebnis, dass er, wie es inzwischen sehr oft geschah, das Gefühl hatte, absolut unaufrichtig zu sein und, obwohl ihn niemand dazu gezwungen hatte, benutzt zu werden. Noch während er sich fragte, ob er je Eddies gesinnungslosen Enthusiasmus besessen hatte, rief er sich ins Gedächtnis, dass er bereits dafür bezahlt wurde, dort zu sitzen und ihm zuzuhören. Er dachte, dieser Gedanke sollte ihn eigentlich aufrecht halten.

Obwohl es noch nichts gab, woran er arbeiten konnte, wartete ein Büro auf ihn. Als Eddie ihn den Flur entlangführte, kamen sie an den goldgeränderten Namen mehrerer alter Freunde vorbei. Aldous Huxley war da, Anita Loos und Dottie Parker mit ihrem Mann Alan Campbell – oder auch nicht, denn ihre Büros waren dunkel und die einzigen Tippgeräusche, die er hörte, drangen aus irgendeinem Fenster.

«Das ist Oppy», sagte Eddie mit einer wegwerfenden Handbewegung, als würde der Schreiber nie seine Zelle verlassen.

An seinem eigenen Büro stand kein Name, man blickte von dort über den Culver Boulevard hinweg auf eine Reklametafel, die auf einem Baugelände eine raffinierterweise Edendale getaufte künftige Wohnsiedlung ankündigte, und, in ihrem Schatten, wie als Gegenbeweis, auf eine Reihe bröckelnder Stuckbungalows und einen kleinen Drugstore, vor dem, an einem Fallrohr angekettet, ein Holzindianer wie ein Wachposten stand. Auf dem Schreibtisch wartete eine beeindruckende neue Royal, die ihm, obschon er keine Schreibmaschine benutzte, wegen ihrer Bauart gefiel. Neben dem Schreibtisch ein halbvolles Bücherregal, und an den Wänden hingen wie in einer Galerie gerahmte Fotos von Metros Kassenmagneten. Garbo und Lon Chaney, keiner von beiden für geistreiche Schlagfertigkeit bekannt, waren gut vertreten, genauso wie Buster Keaton und John Gilbert, die inzwischen aus der Mode waren, Opfer des Tonfilms. In einer Ecke gesellten sich eine Bogenleuchte und ein Beistelltisch zu einem thronartigen Ledersessel.

«Was hab ich gesagt?»

«Sehr elegant», gestand Scott, als plötzlich die Klimaanlage ruckelnd ansprang. Die Lüftung in der Wand stieß einen langen, tiefen Basston aus, der wie das Seufzen eines Leviathans klang.

«Dieses Geräusch ist normal. Kaffee und Donuts gibt’s in der Lounge, die Abstellkammer ist am Ende des Flurs. Falls Sie was brauchen, bedienen Sie sich. Gewöhnen Sie sich erst mal ein. Zum Mittagessen hole ich Sie ab.»

«Danke, Eddie.» Aus Pflichtgefühl und Höflichkeit schüttelte Scott ihm noch mal die Hand. «Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das zu schätzen weiß.»

«Das ist auch nicht nötig. Schreiben Sie einfach was Tolles.»

«Ich versuch’s.»

«Sie schaffen das schon», sagte Eddie und deutete mit dem Finger auf ihn.

Als er wieder allein war, durchstöberte er den Schreibtisch und dann das Bücherregal, wo er zu seiner Überraschung inmitten der jüngsten Meisterwerke von Kathleen Norris und Edna Ferber auch ein kaffeefleckiges Exemplar von Nostromo entdeckte. Der Sessel war bequem, doch so früh war Conrad ein zu gewichtiges Unterfangen, und er ließ bald davon ab und trat ans Fenster, von wo er den Verkehr auf dem schattenlosen Boulevard betrachtete und dem asthmatischen Keuchen der Lüftung lauschte. Am Seiteneingang ein Stück die Straße entlang spuckte eine Straßenbahn, die gegenüber einer Reklame für Oxydol hielt, Arbeiter in Latzhosen aus und verleibte sich andere ein. Sonst war nicht viel los. Ab und zu parkten vor dem Drugstore Automobile, und dann stiegen Kunden aus, die später mit ihren geheimnisvollen Einkäufen zurückkehrten und ihre Fahrt fortsetzten. In St. Paul hatte er als kleiner Junge vom Giebelfenster aus die Nachbarn beobachtet. Jetzt kontrollierte er jeden Atemzug wie ein Scharfschütze und verspürte die gleiche innere Ruhe. Zwischen den Bungalows stapfte ein Postbote über den Rasen. Scott behielt die Briefkästen im Auge wie beköderte Fallen und wurde belohnt, als ein alter Japaner barfuß und im Unterhemd auf seine Veranda heraustrat, sich oben an die Treppe stellte und durch das Megaphon seiner Hände «Iiii-to, Iiiiii-to» rief. Kurz nachdem er hineingegangen war, tauchte eine graue Katze aus dem Unkrautdschungel hinter der Reklametafel auf, zockelte den Weg hinauf und blieb im letzten Augenblick stehen, um sich stocksteif noch mal umzuschauen, als fühlte sie sich verfolgt.

Als es klopfte, schreckte er wie ertappt zusammen. Er setzte sich an den Schreibtisch und tastete nach einem Stift. «Ja?»

Es war Dottie Parker, mit Alan im Schlepptau. Er erhob sich, um die beiden zu begrüßen.

«Scott, Darling. Tut mir leid, dass ich so reinplatze – Eddie hat gesagt, du wärst da. Willkommen in der Eisernen Lunge.»

«Danke», sagte er und beugte sich vor, um ihren Kuss zu empfangen. Sie sah müde aus, faltig um die Augen und etwas dicker, beinahe matronenhaft, nicht mehr die dunkle Elfe, die er in der wirren Zeit in New York gekannt hatte. Ein-, zweimal waren sie betrunken im Bett gelandet, doch inzwischen konnte er sich, vielleicht zum Glück, kaum noch an Einzelheiten erinnern. Sie waren Freunde geblieben, teils weil er ihren Esprit und ihren Mut bewunderte und teils weil sie nie darüber gesprochen hatten.

«Schön, dich wiederzusehen», sagte Alan. Sein Händedruck sollte männlich wirken, hatte aber etwas Angestrengtes. Er besaß die schlanke Figur und den wohlwollenden Gesichtsausdruck eines Hauptdarstellers. Es war eine seltsame Paarung. Beide standen auf jüngere Männer und stritten sich wie Mungos, dennoch waren sie unzertrennlich.

«Eddie hat gesagt, du warst schon um acht da», sagte Dottie. «Du weißt, dass du das nicht tun darfst.»

«Sonst hält man den Rest von uns für stinkfaul», führte Alan den Gedanken fort.

«Und das seid ihr nicht.»

«Vor zehn können nur Milchmänner gut arbeiten.»

«Er spricht aus Erfahrung», sagte Dottie. «Wo haben sie dich untergebracht?»

«Im Miramar.»

«Nein», sagte Alan schockiert.

«Doch.»

«Da willst du nicht wohnen», sagte Dorothy. «Da gibt’s in der Nähe rein gar nichts.»

«Der Strand liegt in der Nähe.»

«Der Strand ist was für Leute, die nicht lesen können», sagte Alan.

«Der Strand ist was für Leute, die sich keinen Pool leisten können», sagte Dottie. «Da, wo wir wohnen, gibt’s einen Pool, und es ist billiger als das Miramar.»

«Klingt gut.»

«Wer kommt schon den ganzen Weg nach Hollywood, um in Santa Monica zu leben? Du solltest wirklich nicht allein da draußen wohnen. Darüber reden wir beim Mittagessen. Wir wollten bloß kurz hallo sagen. Du weißt doch, dass Ernest morgen in der Stadt ist.»

Gott, nein. «Hab ich nicht gewusst.»

«Bei Freddie March steigt eine kleine Spendenparty für Spanien. Ernest will seinen Film zeigen, aber das sollte einen nicht abhalten, hinzugehen.»

«‹Damit alles gedeiht›», intonierte Alan mit ernster Stimme, «‹brauchen die Bauern des Dorfes Regen.›»

«Echt grausig, aber es sorgt dafür, dass die großen Fische hohe Schecks ausstellen.»

«Klingt, als bräuchten sie dort drüben nicht bloß Schecks.»

«Ich wünschte, Hollywood würde Flugzeuge bauen», sagte Dottie. «Aber hier werden allenfalls Filme gedreht, deshalb müssen wir uns jetzt wieder an die Arbeit machen.»

«Zurück in die Tretmühle.» Alan winkte spielerisch. «Schön, dass du wieder da bist.»

Scott nahm seinen Wachposten am Fenster ein. Die Katze war verschwunden. Vor dem Drugstore stand mit tuckerndem Motor ein Cord Roadster mit einer Wasserstoffblondine auf dem Beifahrersitz. Das Paradies von Edendale lockte. Die Lüftung ächzte.

Es sah Dottie ähnlich, sich seiner anzunehmen, aber warum musste ausgerechnet Ernest zu Besuch kommen, und warum war seine erste Reaktion Bestürzung gewesen? Er war es, der wütend sein sollte, nach dem Witz über ihn und die Reichen in Ernests Erzählung – obendrein eine schrille, vorhersehbare Geschichte. Was inzwischen für alles galt. Die präzise Gelassenheit, die Scott in seinem Frühwerk begeistert hatte, war derberen, marktschreierischen Attitüden gewichen. Sein letzter Roman hätte auch von Steinbeck oder einem dieser New-Masses-Nachahmer verfasst worden sein können, doch weil er sich besser verkaufte als Zärtlich ist die Nacht, war er es, der zu Max sagte, dass Scott seine Gabe verraten habe. An diesem Urteil Ernests, das zum Teil stimmte und dennoch völlig ungerecht war, lag es, dass Scott ihn nicht sehen wollte.

Als die Mittagssirene ertönte, die alle zum Essen rief, las er gerade Nostromo. Türen wurden geöffnet, und wie am Ende einer Schulstunde war der Flur plötzlich von Stimmen erfüllt. Nach der Stille hatte der Lärm etwas Beängstigendes. Er wartete, bis Eddie ihn abholen kam, und dachte, dass er in letzter Zeit zu viel allein gewesen war.

Eddie hatte einen gedrungenen Mann mit schütterem Haar dabei, der ein orangefarbenes, hawaiiartiges Polohemd trug – Oppy: George Oppenheimer. Eddie sagte, er sei ein alter Profi. Sei schon vor Ben Hur da gewesen. Doch Scott konnte sich nicht an ihn erinnern.

«Willkommen an Bord, Kumpel.» Am kleinen Finger trug Oppenheimer einen Rubinring, als wäre er Buchmacher in Brooklyn. Er hatte einen schlaffen, feuchten Händedruck, und während sie den halben Block weit zum Restaurant gingen, tupfte er sich mit einem zerknitterten Taschentuch die Stirn trocken. Auch wenn Scott gern gefragt hätte, welches Projekt ihn veranlasste, schon früh um acht auf seiner Maschine herumzuhämmern, befolgte er die Regeln der Höflichkeit und ließ es den Autor selbst erzählen. Wie erhofft, zwang ihn Oppenheimer nicht zu dem Geständnis, dass er eine kranke Frau und eine heranwachsende Tochter verlassen hatte, um an A Yank in America herumzudoktern.

Das Restaurant war nicht neu, sie hatten es bloß außen umgestaltet. Im Gegensatz zur übrigen Welt war Metro in den letzten zehn Jahren gut zurechtgekommen und hatte wie jedes erfolgreiche Regime nicht widerstehen können, sich herauszuputzen. Sehr viele Gebäude waren in eleganter Streamline-Moderne renoviert worden, und das Gelände sah aus wie ein Hafen voll ankernder Schiffe.

Das erste bekannte Gesicht, das er im Lion’s Den erblickte, war das von Joan Crawford, die mit einem Lunchpaket auf dem Weg nach draußen war. Aus Gewohnheit spielte er den Portier für sie, was ihm ein Lächeln und ein Nicken eintrug. Früher hätte sie auch sein Gesicht gekannt, doch das lag schon fünfzehn Jahre zurück, war noch in der Stummfilmzeit gewesen, und so ging sie wortlos weiter.

Während sich das Innere des Restaurants farblich in einen Art-déco-Saal aus Chrom und blassgrünem Resopal verwandelt hatte, war der Grundriss, genau wie der Geruch – der salzige Dampf von Hühnerbrühe und Abwaschwasser –, unverändert geblieben. Dottie und Alan hatten ihnen Plätze am Dramaturgentisch auf der anderen Seite frei gehalten, ein perfekter Platz, um die Produzenten am Haupttisch in der Mitte des Raums beobachten zu können. Die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt, ließ sich der maulwurfhafte L. B. Mayer gegenüber einer Gruppe, zu der auch George Cukor gehörte, über irgendein bedeutendes Thema aus, doch Scott interessierte sich mehr für die luchsäugige Myrna Loy, mit der gepuderten Perücke und dem dicken Make-up einer Kurtisane, die gerade das hartgekochte Ei aus ihrem klein geschnittenen Salat pflückte.

«Na, wie kommst du mit Louie Pasteur klar, Oppy?», fragte Dottie.

«Der Kerl geht mir auf den Sack. Nur zu, lach ruhig, du kommst als Nächstes dran. Versuch mal, einen französischen alten Knacker als Hauptrolle zu verkaufen.»

«Oppy ist unser Experte für Romantik», sagte Alan. «Wenn dein Produzent fragt: ‹Wo ist denn die Liebesgeschichte?› Hier ist er.»

«Junge lernt Bazillus kennen, Junge verliert Bazillus», sagte Dottie.

Dottie und Alan arbeiteten an Sweethearts für Jeanette MacDonald und Nelson Eddy, besetzt als geliebtes Gesang-und-Tanz-Team, das sich im Privatleben nicht ausstehen kann.

«Wie läuft’s?», fragte Eddie.

«Sehr gut, danke», sagte Alan.

«Das Ganze ist absoluter Mist», sagte Dottie. «Es wird dir gefallen.»

Da er nichts beitragen konnte und den ganzen Raum vor Augen hatte, verlor sich Scott im Betrachten der Stars. In nächster Nähe von Ronald Colman verschlang Spencer Tracy ein Club Sandwich; neben ihm, die berühmten Lippen gespitzt, blies Katharine Hepburn auf einen Löffel Tomatensuppe. Mayer und Cukor schüttelten theatralisch einen sanduhrförmigen Würfelbecher, um zu sehen, wer bezahlen musste. Es hatte große Ähnlichkeit mit dem Cottage, seinem Speiserestaurant in Princeton: Obwohl es allen offenstand, wurden die besten Tische stillschweigend für die Auserwählten reserviert. Alle anderen waren Komparsen.

Seit er trocken war, holte er sich seinen mittäglichen Energieschub durch Süßigkeiten. Er entschied sich für das Schinken-Salat-Sandwich und überlegte gerade, einen Tapiokapudding zu bestellen, als ein korpulenter, in roten Seidenumhang und Kimono gekleideter Fu Manchu mit langen schwarzen Zöpfen und steif gespraytem Schnurrbart den Stuhl gegenüber unterm Tisch hervorzog.

«Na, wen hat denn die Wirtschaftskrise da angespült?», sagte Fu Manchu und streckte die Hand aus.

Scott nahm seine Serviette, stand auf und stellte dann mit Entsetzen fest, dass in dieser Kluft kein Schauspieler steckte, sondern Bob Benchley, Dotties alter Gefährte aus dem Algonquin. Vor Jahren hatte Scott ihn und den ganzen Runden Tisch in der New York World getadelt, weil sie nichts Ernsthaftes zustande brachten. Doch inzwischen war er halbwegs bekannt und fungierte in seinen eigenen skurrilen Kurzfilmen als Hauptdarsteller.

«Wie läuft das Geschäft?», fragte Scott.

«Prächtig, einfach prächtig. Hem und ich wollen morgen Mittag zusammen essen. Ich soll dich fragen, ob du Lust hast mitzukommen.»

«Ich weiß nicht, ob ich weg darf.» Er sah Eddie an.

«Geht schon in Ordnung. Bis Montag haben wir sowieso noch keine Seiten für Sie.»

«Perfekt», sagte Benchley. «Komm gegen Mittag bei mir vorbei.»

Sie wohnten alle im Garden of Allah in Hollywood, direkt am Sunset Boulevard. Alle waren dort – Sid Perelman und Don Stewart und Ogden Nash. Dottie kannte mindestens zwei Villen, die noch frei waren.

«Sie kriegt eine Provision», sagte Alan mit so todernster Miene, dass Scott nicht genau wusste, ob es ein Scherz war.

Als die Kellnerin kam, bestellte Benchley, ohne in die Speisekarte zu schauen, Wolfsbarsch a la meunière mit Kartoffelbrei und Mais und den Tapiokapudding. Scott nahm nur das Sandwich, das trocken war, und beobachtete, wie Fu Manchu alles hinunterschlang.

«Ich wünschte, ich könnte noch bleiben», verkündete Benchley, während er seinen Schnurrbart abtupfte und den Stuhl zurückschob, «aber ich muss eine Dynastie aufrechterhalten.»

«Die Phallus-Dynastie», sagte Alan, denn die war Gerüchten zufolge gewaltig.

«Die aufsteigt und fällt», sagte Dottie.

«Hab ich auch gehört.»

«Ich persönlich hab sie noch nie gehört», sagte Benchley. «Aber wenn sie zu sprechen anfängt, erfährst du’s als Erster, Alan.»

Als Scott wieder in seinem Büro saß und Conrad las, wusste er nicht genau, ob es gut war, dass Ernest ihn sehen wollte, und dennoch fühlte er sich geschmeichelt, weil er nach ihm gefragt hatte. Er glaubte, eine Sensibilität für und eine selbstlose Ehrfurcht vor Talent zu haben – oder war es bloß eine Schwäche für Erfolg? Ein Leben lang hatte er sich von den ganz Großen angezogen gefühlt, in der Hoffnung, sein beflissenes Verständnis könnte ihm einen Platz unter ihnen einbringen. Inzwischen fiel es ihm schwerer, daran zu glauben, und doch, wenn er Ernest noch immer als Freund und Rivalen betrachten konnte, war er vielleicht nicht der Versager, für den er sich hielt. Er hatte nie an Ernests Fähigkeiten gezweifelt, nur ihren falschen Gebrauch kritisiert, ein Urteil, das vermutlich auf Gegenseitigkeit beruhte.

Trotz der Klimaanlage schläferte ihn Nostromo ein. Er brauchte eine Cola und schlich sich zum Seiteneingang hinaus über den Culver Boulevard zum Drugstore. Hitzewellen flimmerten über den Straßenbahngleisen und der Straße und erinnerten ihn an den Sommer in Montgomery, an die Häuser mit den geschlossenen Fensterläden und den tiefen Schatten unter den Bäumen. Abends hatte er wie die anderen jungen Lieutenants seine Ausgehuniform zugeknöpft und war in den Country Club gefahren, wo sich die örtlichen Schönheiten für einen von ihnen entschieden und unter den bunten Laternen so eng tanzten, dass noch bei der Inspektion am nächsten Morgen ihr Parfüm an ihm haftete, ein schwindelerregendes Andenken. Immer so begünstigt zu werden, das war als junger Mann sein Traum gewesen. In der Hitze ging er das unkrautbewachsene Grundstück entlang, wohl wissend, dass ihn jemand aus dem zweiten oder sogar dem dritten Stock der Eisernen Lunge beobachtete, um zu sehen, ob er mit einer Flasche aus dem Drugstore kommen würde, und fragte sich, wann er aufgehört hatte, das Leben als romantisches Unterfangen zu betrachten.

Wie als Antwort darauf sprang dieselbe Katze, die er am Morgen gesehen hatte, auf die Fensterbank des Hauses und beobachtete mit zuckendem Schwanz, wie Scott vorbeiging.

«Hallo, Mr. Ito. Ja, ich finde auch, dass es zu heiß ist.»

In dem Laden gab es Gordon’s, seine Lieblingsmarke. Der Preis, den sie verlangten, kam ihm hoch vor, genau wie bei der Cola und dem Hershey-Riegel, dem er nicht widerstehen konnte. Wegen der Lage, direkt neben dem Eingang, war alles überteuert. Er bezahlte, schlug die angebotene Tüte aus und überquerte wieder die Straße und die Gleise, die Colaflasche in seiner Hand, der sichtbare Beweis seiner Tugendhaftigkeit.

Der Zucker gab ihm den Schub, den er brauchte, um durch den Nachmittag zu kommen. Da man ihn in dem kalten Raum in Ruhe ließ, gelang es ihm, die Geschichte eines Reserve-Halfbacks zu skizzieren, der im wichtigsten Spiel versagt und am College zu einem Ausgestoßenen wird. Er wusste, dass es nichts Besonderes war, ein oberflächliches Zeitschriftenstück, doch es war ein gutes Gefühl zu arbeiten, und als um sechs die Sirene ertönte, hatte er volle vier Seiten geschafft. Noch befriedigender war das Wissen, an diesem Tag zweihundert Dollar verdient zu haben.

Auf den Stufen der Eisernen Lunge verabschiedete er sich von Eddie, Dottie, Alan und Oppy und ging die Main Street entlang, gegen den Strom der Techniker und Eintagsschauspieler, der sich aufs Tor zubewegte. Das Studio leerte sich wie eine Stadt, die evakuiert wurde. Je tiefer er sich aufs Gelände vorwagte, umso weniger Leute sah er, und als er links in die 5th Avenue bog und am Wasserturm vorbeiging, war er schließlich allein. Über der Tür von Bühne 11 drehte sich ein vergittertes rotes Licht, um alle Unbefugten fernzuhalten, die die Erschaffung eines Traums stören könnten. Der Klappe zufolge hieß der Regisseur BEVINS, doch was hier gedreht wurde, war ein Rätsel, und auch wenn es sich vermutlich nur um ein völlig seichtes Melodrama handelte, dessen Hauptdarsteller er gerade beim Verzehr von Hackbraten und Hähnchenauflauf gesehen hatte, musste er zugeben, dass das Ganze von außen betrachtet noch immer einen Glamour und Reiz besaß, den er sonst nur am Broadway gefunden hatte. Es war mehr als das bloße Zusammentreffen der klassischen Zutaten Geld und Schönheit. Sein kürzlich verstorbener Gönner Thalberg hatte etwas gewusst, das der robuste L. B. Mayer nie begreifen würde. So vulgär die bewegten Bilder auch waren, in den besten von ihnen zeigte sich, wie in der besten Literatur, unbestreitbar das Leben. Zweimal war er in den Westen gekommen, ohne etwas, das diesem Geist nahekam, einfangen zu können. Jetzt, wo er vor diesem geschlossenen Set stand, beschloss er, seine Zeit hier nicht als Verbannung, sondern als Herausforderung zu betrachten.

Im Innern seines wartenden Wagens war es stickig. Als er den Schlüssel drehte, passierte nichts. Er hatte getankt, das war nicht das Problem. Er zog den Choke heraus und trat die Kupplung durch. Nichts. Er versuchte es nochmals, diesmal schnell, als könnte er den Motor überrumpeln – vergeblich. Dabei besaß er das verdammte Ding erst seit einem Tag. Er dachte an den Verkäufer am Wilshire Boulevard zurück, sah, wie er lächelte und ihn taxierte, einen Trottel aus dem Osten im Wollanzug. Mit beiden Händen rieb er sich das Gesicht, als würde er sich waschen, stieg aus, knallte die Tür zu und machte sich, bereits schwitzend, auf den Weg zurück zum Haupteingang.

Das Garden of Allah

S