Wetterbericht - Klaus Dornath - E-Book

Wetterbericht E-Book

Klaus Dornath

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Beschreibung

Der Wetterbericht sagt die Zukunft voraus, alle anderen Nachrichten die Vergangenheit. Könnte man die Berechnung des Wetterberichts auf alle Nachrichten anwenden? Dann wäre die Voraussage von Revolutionen, Umstürzen und Putschen möglich. Diesen Gedanken versucht Ralf Winkler, Student der Meteorologie, in die Tat umzusetzen. Sein Programm nimmt mehr und mehr Gestalt an. Seine Voraussagen werden immer präziser. Das ruft Regierung und Geheimdienste auf den Plan, denn für sie hätten solche Voraussagen unschätzbaren Wert. Mit wachsender Aggressivität versuchen sie Zugriff auf das Programm zu bekommen. Wird ihnen das gelingen? Dieser spannende Thriller spiegelt den Zustand unserer Gesellschaft wider. Bestehende Ähnlichkeiten sind gewollt.

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Seitenzahl: 388

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Studentenbude einer WG in Berlin

Lageraum des Kanzleramts

Ralfs und Michaels Studentenbude

Studentenclub nahe der Hochschule

Ein verlängertes Wochenende bei Michael zu Hause

Vergnügungsmeile zwischen Zeil und Bleichstraße in Frankfurt

Michaels Elternhaus am nächsten Morgen

Dienstzimmer Professor Theodor Riemann-Eberlin

Ralfs und Michaels Studentenbude

Tagungsraum der meteorologischen Fakultät

Ralfs und Michaels Studentenbude

Fakultätsgebäude der Meteorologie

Ralfs und Michaels Studentenbude

Konspirative Wohnung des Verfassungsschutzes

Studentenclub nahe der Hochschule

Tagung der Sonderarbeitsgruppe

Dienstzimmer von Isolde Wegner

Ralfs und Michaels Studentenbude

Lageraum des Kanzleramts

Ralfs und Michaels Studentenbude

Konspirative Wohnung des Verfassungsschutzes

Studentenclub nahe der Hochschule

Ralfs und Michaels Studentenbude

Tagung der Sonderarbeitsgruppe

Studenten Café in der Nähe der TU Berlin

Studentenbude von Jana und Carola

Redaktion des Täglichen Beobachters

Tagung der Sonderarbeitsgruppe

Ralfs und Michaels Studentenbude

Dienstzimmer von Isolde Wegner

Studentenbude von Jana und Carola

Dienstzimmer von Isolde Wegner

Ralfs und Michaels Studentenbude

Konspirative Wohnung des Verfassungsschutzes

Gaststätte Orion 24

Lageraum des Kanzleramts

Dienstzimmer von Isolde Wegner

Ralfs und Michaels Studentenbude

Konspirative Wohnung des Verfassungsschutzes

Ralfs und Michaels Studentenbude

Dienstzimmer von Isolde Wegner

Ralfs und Michaels Studentenbude

Redaktion des Täglichen Beobachters

Lageraum des Kanzleramts

Klimademonstration vor dem Kanzleramt

Verhörraum in der Untersuchungshaftanstalt Moabit

Studentenbude von Jana und Carola

Vor dem Central City Einkaufszentrum in der Stadtmitte

Konspirative Wohnung des Verfassungsschutzes

Gefangenentransporter abseits der Demo

Studentenbude von Jana und Carola

Revier Abschnitt 14

Revier Abschnitt 14

Revier Abschnitt 14

Revier Abschnitt 14

Lageraum des Kanzleramts

Revier Abschnitt 14

Konspirative Wohnung des Verfassungsschutzes

Untersuchungsgefängnis Moabit,

Untersuchungsraum

Vor dem Revier Abschnitt 44

Büro des Dekans der Meteorologischen Fakultät

Konspirative Wohnung des Verfassungsschutzes

Büro von Dietmar Krüger in der Hochschule

Lageraum des Kanzleramts

Auf Janas Weg zu ihrer Studentenwohnung

Ralfs und Michaels Studentenbude

Alt-Berliner Eckkneipe im Zentrum

Tagungsraum der meteorologischen Fakultät

Demonstration von Regierungsgegnern im Berliner Zentrum

Büro von Dietmar Krüger in der Hochschule

Lageraum des Kanzleramts

Studentenbude von Jana und Carola

Demonstration von Umweltschützern in der Nähe

Zentrale von „Preserve Environment“

Tagung der Sonderarbeitsgruppe

Ralfs und Michaels Studentenbude

Büro von Dietmar Krüger in der Hochschule

Zentrale von Preserve Environment

Lageraum des Kanzleramts

Ralfs und Michaels Studentenbude

Zentrale von Preserve Environment

Lageraum des Kanzleramts

Konspirative Wohnung des Verfassungsschutzes

Tagung der Sonderarbeitsgruppe

Ralfs und Michaels Studentenbude

Gaststätte Orion 24

Ralfs und Michaels Studentenbude

Kabinettsitzung im Bundeskanzleramt

Ralfs und Michaels Studentenbude, Kanzleramt

Kanzleramt, Ralfs neues Arbeitszimmer

Ralfs und Janas Studentenbude

Vor dem Kanzleramt

Studentenbude von Ralf und Jana

Gefangen in einem Raum an einem unbekannten Ort

Ralfs sogenanntes Appartement

Polizeirevier in der Nähe von Ralfs und Janas Studentenbude

Ralfs sogenanntes Appartement

Kabinettsitzung im Bundeskanzleramt

Ralfs sogenanntes Appartement

In einer Ruine mitten im Wald

Ralfs und Janas Studentenbude

Ralfs sogenanntes Appartement

Redaktion des Täglichen Beobachters

Lageraum des Kanzleramts

Ralfs sogenanntes Appartement

Carolas und Michaels Studentenbude

Ralfs sogenanntes Appartement

Kabinettsitzung im Bundeskanzleramt

Ralfs sogenanntes Appartement

Das Gefängnis der CIA

Ralf irrt durch den Wald

Das Gefängnis der CIA

Ralfs Unterschlupf im Wald

Ralfs und Janas Studentenbude in Berlin

Ralfs Unterschlupf im Wald

Jana und Michael auf dem Weg nach Polen

Ralfs Unterschlupf im Wald

Jana und Michael nähern sich der Hütte

Wieder zu Hause

Handelnde Personen:

Ralf Winkler: Computerfreak, Student der Meteorologie, Technische Hochschule

Michael Schüttke: Ralfs WG Genosse, Student der Meteorologie, technische Hochschule, nicht sehr ehrgeizig aber mit reichen Eltern

Andreas Schüttke: Michaels Vater, Besitzer einer Aktienhandelsgesellschaft

Dr. Frank Schirrmacher: Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung

Martin Gotzkowski: Kanzleramtsminister

Jana Meißner: Ralfs Freundin

Carola: Michaels Freundin

Theo Wunder: Journalist der Tageszeitung „Täglicher Beobachter“

Professor Theodor Riemann-Eberlin: Dekan der Fakultät IT der Meteorologie der Hochschule

Dietmar Krüger: Dozent Seminargruppe von Ralf und Michael

Isolde Wegner: Leiterin der Arbeitsgruppe Meteorologietransformation

Connor: Isoldes Verbindungsmann zum Verfassungsschutz

John Winsley: geheimnisvoller Besucher bei Isolde

Sven Müller: Anführer der Bewegung „Preserve Environment“, genannt Silberlippe

Studentenbude einer WG in Berlin

„Micha schnell, mach mal bei deinem Laptop die Tagesschau an!“

Michael war in der Küche und hörte nichts. Der Mixer lief.

So laut er konnte rief Ralf zum zweiten Mal: „Micha, komm schnell her!“

Jetzt hatte Michael den Hilferuf seines Studienkumpels gehört, aber nicht verstanden, worum es ging: „Ist was passiert? Warum schreist du hier so rum?“

„Schnell, mach die Tagesschau an. Es ist was passiert! Ich muss wissen, was. Bei deinem Laptop kenne ich das Passwort nicht.“

Spöttisch erwiderte Michael: „Du weißt nicht, was passiert ist? Wie schrecklich, sonst bist du doch immer auf dem Laufenden.“

„Zum Teufel, mach das Ding endlich an. Vielleicht stimmt der Wetterbericht heute endlich. Mein Computer sagt mir, dass ein Putsch gegen die Regierung von Bahrein stattgefunden hat. Ich muss wissen, ob sie darüber berichten.“

Während er seinen Laptop einschaltete, spottete Michael weiter: „Dein Wetterbericht stimmt genau so wenig, wie der im Fernsehen. Der Unterschied ist nur, dass die ihre Arbeit bezahlt kriegen und du dir das Gehirn kostenlos verrenkst.“

Es war kurz vor zwanzig Uhr. Gerade noch rechtzeitig hatte Michael den Livestream der Tagesschau in Gang gesetzt. Gespannt schauten beide auf den Bildschirm. Die ersten drei Meldungen zeigten belanglose Ereignisse. Von Bahrein war nirgendwo die Rede.

Enttäuscht lehnte sich Ralf zurück: „Wenn wirklich ein Putsch stattgefunden hätte, wäre das in den ersten drei Meldungen berichtet worden. Leider hat mein Wetterbericht wieder nicht gestimmt.“

Michael meinte spöttisch: „Vielleicht haben die Virenscanner zu viel von deinen illegalen Viren rausgefischt. Warum du noch nicht aufgeflogen bist, ist mir ein ewiges Rätsel.

Lageraum des Kanzleramts

Dr. Frank Schirrmacher, der smarte Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung stand vor einem überdimensionalen Bildschirm im Büro des Kanzleramtsministers. Er war eine elegante Erscheinung, denn er legte viel Wert auf seine Garderobe.

Auf dem Bildschirm gegenüber dem wuchtigen Schreibtisch des Kanzleramtsministers war eine Karte des Nahen Ostens zu sehen. Hinter dem Schreibtisch saß Minister Martin Gotzkowski höchst selbst, ein bulliger Typ mit Glatze. Er hatte schon einige Höhen und Tiefen der gegenwärtigen Regierung überstanden und ließ sich deshalb nicht so leicht erschüttern.

Während auf der Karte des Bildschirms in Wellen hunderte Lichter aufflammten und wieder verloschen, referierte Schirrmacher: „Herr Minister, sie sehen hier die Netzwerkaktivitäten aller im Moment eingeschalteten Computer im Nahen Osten. Wir beobachten dieses Phänomen seit einigen Wochen.“ Er schaltete eine Karte von Deutschland ein: „Auch hier ist wellenförmiges Aufleuchten in Berlin, München, Frankfurt und in einigen ländlichen Gebieten der Bundesrepublik zu beobachten. Es scheint, als würden die Computeraktivitäten miteinander koordiniert.“

„Ja und? Was geht das die Bundesregierung an? Sollen sich doch die einschlägigen Virenspezialisten damit befassen.“, sagte Gotzkowski ungeduldig.

Schirrmacher lächelte überheblich: „Es könnten illegale Aktivitäten sein. Wenn hunderte Computer in unserem Land mit tausenden Computern im Ausland gleichgeschaltet agieren, müssen wir uns schon damit befassen. Es scheint von Deutschland auszugehen. Wenn davon die Presse erfährt, dürfen Sie wieder Kraft Ihres Amtes die Affäre als beendet erklären und das möchte ich Ihnen nicht schon wieder zumuten.“

„Sind hier die Russen aktiv, die Chinesen oder die CIA? Unsere dickfälligen Dienste haben mal wieder die Zeit verschlafen.“, motzte Gotzkowski wegwerfend.

„Zurzeit können wir die Aktivitäten nicht zuordnen, Herr Minister. Aber wir arbeiten dran.“

„Ach Sie arbeiten dran? Ist ja mal was ganz Neues. Dann informieren Sie mich, wenn sie damit fertig sind. Ich habe noch einen Termin beim Kanzler.“, stand auf und ging aus dem Raum.

Ralfs und Michaels Studentenbude

Ralf drehte sich um und wollte sich wieder seinem Computerprogramm zuwenden.

Michael hatte andere Pläne: „Wir waren doch heute mit Carola und Jana im Studentenclub verabredet. Die können wir nicht schon wieder versetzen.“

Ralf nuschelte abwesend: „Geh alleine, ich glaube, ich weiß woran es liegt.“

„Nichts da, du kommst heute mit. Du musst endlich mal raus aus deinem Programmierkäfig.“ Michael versuchte, ihm die Tastatur wegzunehmen. Das stieß auf heftige Gegenwehr.

„Kannst du mich nicht wenigstens dieses Modul zu Ende programmieren lassen, sonst mache ich immer neue Fehler. Dann komme ich nie zum Ende!“, antwortete Ralf erbost über so viel Unverständnis.

„Hör doch einfach auf! Heute wirst du sowieso nicht mehr fertig! Meinst du wirklich, deine Computerhockerei macht Sinn?“

„Ich will die Zukunft der Gesellschaft vorhersagen. Klar macht das Sinn!“, Ralf hatte sich in diese Idee verbissen. Sie ließ ihn nicht mehr los.

„Ich gebe dir noch fünf Minuten. Wenn du dann nicht aufhörst, gehe ich allein los. Jana und Carola warten bestimmt nicht, bis der Herr Superprogrammierer endlich die Tastatur zerhackt haben.“

„Ich verstehe das nicht. Wo liegt die Ursache für das Problem? Ob ich noch nicht genügend Computer zusammengeschaltet habe? Ich brauche einfach mehr Daten, um ausreichend Durchgänge rechnen zu können.“, sagte Ralf abwesend zu sich selbst und laut an Michael gewandt: „Es ist auch eine Zeitfrage. Wenn jemand hinter einem steht und drängelt, wird das im Leben nichts.“

Michael antwortete in seiner schnoddrigen Art: „Irgendeinen Grund wird es schon geben. Jedenfalls freut es mich für die Bewohner von Bahrein, dass sie von einer brutalen Militärjunta offenbar verschont bleiben. Heute wirst du das Problem nicht mehr lösen. Mach die verdammte Kiste aus und komm endlich. Die Mädels warten nicht ewig.“

Widerwillig schaltete Ralf seinen Computer ab. In Eile machten sich die beiden auf den Weg.

Studentenclub nahe der Hochschule

Im Club war es brechend voll, die Luft stickig, die Bässe dröhnten. Jana und Carola hatten nicht auf die zwei Nachzügler gewartet. Sie standen inmitten einer Gruppe von Studenten, hielten jede ein Glas Bier in der Hand und amüsierten sich prächtig.

Michael sprach die Mädchen an: „Da seid ihr ja. Entschuldigt bitte. Ralf ist mal wieder mit seiner Programmierung nicht fertig geworden. Wenn ich ihn nicht losgeeist hätte, wären wir noch nicht da.“

Jana und Carola hätten unterschiedlicher nicht sein können. Jana war eine vollschlanke Brünette mit braunen Augen. Trotz ihrer Jugend entwickelte sie bereits ein Gespür dafür, wann ein Mann weibliche Unterstützung benötigte. Das war der Grund, warum sie sich mehr für Ralf interessierte.

Carolas blonde Haare bildeten einen schönen Kontrast zu ihren braunen Augen. Sie hatte eine schlanke Figur und trug gern weit ausgeschnittene, enganliegende Blusen und Kleider. Mit ihrem Sexappeal war sie das natürliche Ziel von Michaels Bemühungen um das weibliche Geschlecht.

Jana fragte Ralf neugierig: „Was programmierst du denn? Ich hätte nicht die Geduld, mich stundenlang vor einen Computer zu setzen, wenn ich es nicht müsste.“

„Ach, es ist nur so eine Idee. Ich versuche, die Methoden der Meteorologie auf andere Gebiete zu übertragen.“

Michael ergänzte: „Ralf ist ein richtiger Nerd geworden. Ich konnte ihn nur mit Mühe überreden, mitzukommen. Stell dir vor, heute hat er versucht, den Sturz der Regierung von Bahrein vorherzusagen. Aber es war mal wieder nichts. Jedenfalls gab es in der Tagesschau darüber keine Meldung. Wenn das so weiter geht, wird bei uns der Bundeskanzler von einer entfesselten Meute abgesetzt, ohne dass er es vorhersagen kann. Das wäre eine Pleite für sein Projekt.“

Aus Michaels spöttischer Erklärung wurden die Mädels nicht schlau.

Jana wandte sich an Ralf: „Was hat es mit Meteorologie zu tun, wenn in Bahrein die Regierung stürzt?“

„Auf den ersten Blick nichts. Beim Studium habe ich erkannt, dass man für den Wetterbericht immer die Zukunft vorhersagen muss. Im Gegensatz dazu betreffen normale Nachrichten meist nur die Vergangenheit. Dabei wäre es super, wenn man auch hier künftige Entwicklungen vorhersehen könnte. In der Geschichte gibt es genügend Beispiele, dass Staaten zerfallen, wenn die Grundlage verschwindet, die die Gemeinschaft zusammenhält. Eine rechtzeitige Erkenntnis würde den Menschen viel Leid ersparen. Man könnte eher gegensteuern.

Mir ist der Gedanke gekommen, solche Vorhersagen mit den Methoden der Meteorologie zu gewinnen. Eigentlich geht es immer um Statistik. Mit welchen Daten man die Statistik füllt, ist prinzipiell egal. Es können Wetterdaten sein. Es können aber auch Wirtschaftsdaten sein, dann erhält man ein Bild der wirtschaftlichen Entwicklung. Oder man versucht aus Meinungsäußerungen einer größeren Bevölkerungsgruppe ein Stimmungsbild zu bekommen.“

Jana schaute ihn ungläubig an: „Und heute hast du versucht, die Regierung von Bahrein zu stürzen? Ist das nicht gefährlich?“

„Erstmal: ich sehe das völlig unpolitisch. Ich will keine Politik machen, sondern Entwicklungen beobachten. Zweitens: ich habe nicht versucht, die Regierung zu stürzen. Durch die bloße Vorhersage ändert sich schließlich auch nicht das Wetter. Ich sammle Daten und analysiere sie, genau wie beim Wetter. Daraus versuche ich die künftige Entwicklung zu erkennen.“

„Das hast du heute wohl nicht gekonnt!“ Jana grinste. Sie glaubte offenbar nicht an Ralfs Fähigkeiten.

„Eigentlich sprach alles für meine Vorhersage. Es waren nur zu wenig Daten. Die Unsicherheit kommt daher, dass man ein großes Archiv braucht, um Vergangenheit und Zukunft zu verbinden. Außerdem muss man Variationen berechnen können, um am Ende einen Mittelwert zu erhalten. Wegen Michaels Drängelei hatte ich dafür leider keine Zeit.“

Michael konterte: „Jetzt bin ich wohl schuld? Wenn ich dich nicht regelmäßig von deinem Computer losstemmen würde, kämst du gar nicht mehr aus unserer Wohnung raus. Du solltest mir dankbar sein.“

Jana wollte die Situation entspannen: „Lass uns tanzen!“ forderte sie Ralf auf.

Weil es sehr laut war, mussten sich Jana und Ralf direkt ins Ohr sprechen. Das schien beiden ganz recht zu sein. Sie begannen die Nähe zu genießen. Jana war nicht klar, was Ralf mit seinem Programm erreichen wollte: „Warum ist es so wichtig, gesellschaftliche Entwicklungen vorherzusehen?“

„Mir geht es darum zu beweisen, dass die Vorhersagemethoden der Meteorologie auch auf andere Bereiche anwendbar sind. Das würde uns erlauben, die Zukunft vorherzusehen. Künftige Entwicklungen ließen sich genauer erkennen.“

„Ist es wirklich wünschenswert die Zukunft zu kennen? Ich möchte lieber nicht wissen, was alles auf mich zukommt. Solange das positiv ist, alles OK. Aber was, wenn mir ein schweres Leben vorhergesagt würde, der frühe Tod, Krieg oder Krankheit. Ich fände gut, wenn das im Dunkeln bliebe.“

„Da musst du keine Angst haben. Es geht nicht um einzelne Personen. Ich bin kein Wahrsager.“

Jana nickte und hatte eine Idee: „Würde so eine Vorhersage die Regierungsarbeit verändern? Möchtest du das?“

„Soweit habe ich noch nicht gedacht. Aber ja, möglich wäre es.“

„Dann pass gut auf, dass dir die Geheimdienste nicht auf die Zehen treten! Das könnte böse enden.“

„Ach, dazu bin ich ein viel zu kleines Licht.“, beruhigte Ralf seine Tanzpartnerin.

Für Jana und Ralf wurde es nicht langweilig. Sie tanzten den ganzen Abend lang. Weit nach Mitternacht drängte Jana, den Abend zu beenden. Auch Carola und Michael wollten nach Hause. Morgen früh rief wieder das Studium. Da sollte man ausgeschlafen sein, wofür es eigentlich zu spät war.

Ein verlängertes Wochenende bei Michael zu Hause

Michaels studentischer Eifer hielt sich wieder mal in Grenzen. Es zog ihn nach Hause zu seinen Eltern. Ab und zu überkam ihn der Drang, dort die Beine unter den Tisch zu stellen. Er wurde verwöhnt. Das Essen stand immer pünktlich da, ohne dass man sich mit Einkaufen, Kochen und Abwaschen Mühe machen musste. Seine Eltern tolerierten auch seine abendlichen Eskapaden. In seiner Heimatstadt Frankfurt gab es reichlich Möglichkeiten, sich zu amüsieren und neue Mädchen aufzureißen. Das dafür nötige Kleingeld war kein Problem. Seine Erzeuger ließen sich nicht lumpen, wenn Michaels Bedarf zu befriedigen war.

Für das kommende Wochenende hatte er Ralf eingeladen. Er meinte, sich bei ihm für die ständige Hilfe beim Studium revanchieren zu müssen. Ein Besuch zu Hause würde ihn nichts kosten und Ralf hätte die Gelegenheit Frankfurt kennenzulernen, was ihm bisher nicht vergönnt war.

Die beiden beschlossen, auf die Vorlesungen am Freitag zu verzichten. Damit wäre auch der wichtigste Abend der Woche gerettet, denn die Vergnügungsmeile Frankfurts sollte unsicher gemacht werden.

Michael liebte sein Kabrio über alles. In Berlin gab es selten Gelegenheit, so zu fahren, wie Michael sich das wünschte. Der dichte Großstadtverkehr und die ständig lauernden Geschwindigkeitskontrollen bremsten ihn zu oft aus.

Zum Glück spielte am Reisetag das Wetter mit. Es war warm und der Himmel wolkenlos. Sie fuhren oben ohne.

Der Fahrtwind auf der Autobahn machte ab einhundertfünfzig Kilometer eine Unterhaltung unmöglich. Die beiden hingen ihren Gedanken nach. Ralf dachte an sein Projekt und wie er es weiter voranbringen könnte. Michael sortierte die Möglichkeiten des Frankfurter Nachtlebens vor.

Irgendwann kam in der Ferne die Skyline von Frankfurt in Sicht. Michael hatte bei diesem Anblick immer ein Gefühl von Heimat. Ralf hatte das noch nie gesehen. Er staunte, wie weit vor der Stadt die Wolkenkratzer bereits die Landschaft bestimmten.

Endlich war es so weit und Michael steuerte sein Kabrio zielsicher durch die Vororte Frankfurts auf der dem Bankenviertel gegenüber liegenden Mainseite. Eine breite Einfahrt öffnete sich auf Befehl aus der Fernbedienung im Auto, gab den Blick auf eine kubistische Villa mit großen Fenstern und einer Fassade aus grauem Sichtbeton frei.

Drinnen begrüßte sie eine junge Frau mit dunkelblauem Faltenrock, steifer Bluse und moderner Kurzhaarfrisur: „Guten Tag Herr Schüttke. Schön, sie wieder zu Hause zu sehen. Ihre Mama befindet sich in der Bibliothek. Der Papa ist leider noch nicht anwesend.“

„Svetlana, zeigen sie bitte Herrn Winkler das Gästezimmer. Er möchte sich bestimmt ein bisschen frisch machen, bevor er zum Abendessen kommt.“, und zu Ralf gewandt: "Lass dir Zeit. Wir treffen uns in einer halben Stunde im Salon. Klingele einfach nach Svetlana, dann zeigt sie dir den Weg.“ Und an Svetlana gewandt: „Bringen sie bitte das Gepäck in mein Zimmer und lassen sie die Wäsche waschen.“

Ralf war solche Förmlichkeiten von zu Hause nicht gewöhnt. Bei ihm ging es direkter zu und Personal gab es sowieso nicht. Dieses Haus strahlte einen gediegenen Luxus aus. Gut gepflegte Zimmerpflanzen wechselten sich mit antiken Skulpturen ab. Im Foyer stand eine Sitzgruppe mit weißen Sesseln. Die Atmosphäre machte ihn befangen.

Svetlana forderte ihn auf, ihr zu folgen. Zielstrebig steuerte sie einen Aufzug an.

Sein Zimmer lag im dritten Stock. Selbstverständlich gab es ein eigenes Bad. Der Balkon bot einen fantastischen Blick über den Main. Im Hintergrund waren die Wolkenkratzer des Bankenviertels zu sehen. Früh würde die Morgensonne ins Zimmer scheinen.

Ralf hatte seine besten Sachen mitgebracht. Kritisch begutachtete er sich im Wandspiegel. Er war mit seiner Erscheinung nicht zufrieden. Die Kleidung sah alt und zu oft gewaschen aus. Das Gefühl, unpassend angezogen zu sein, war in diesem Luxustempel besonders stark.

Was soll‘s, dachte er, zuckte die Schultern und klingelte nach Svetlana.

Im Salon saß Frau Schüttke und wartete auf das Erscheinen der Familie. Die Hausherrin hatte sich bereits einen Drink gemixt. Ralf gab sie, ohne seine Antwort abzuwarten ebenfalls einen, hob ihr Glas und sagte: „Willkommen in Frankfurt.“

Frau Schüttke war neugierig. Nachdem sie Ralfs Namen abgefragt hatte, wollte sie wissen, welche Berufe seine Eltern hätten.

„Meine Mutter ist Altenpflegerin und mein Vater arbeitet bei BMW in der Motorradproduktion.“, bekannte Ralf offenherzig. Das brachte ihm ein verstehendes Nicken von Frau Schüttke ein.

„Und was machen sie?“, Ralf dachte, er hätte eine verwöhnte Hausfrau vor sich.

„Frankfurt ist ein gutes Pflaster für bekannte und unbekannte Künstler. In meiner Galerie fördere ich junge Talente mit Ausstellungen und gebe ihnen die Chance, bekannt zu werden.“

Ungeduldig schaute sie auf ihre Uhr: „Ich möchte mal wissen, wo mein Mann und mein Sohn bleiben. Sie wissen genau, dass wir um sieben essen.“

„Was macht denn ihr Mann beruflich?“, wollte Ralf wissen.

„Er hat eine Firma für Aktienhandel. Im Commerzbank Tower hat er eine Etage gemietet. Wenn es länger dauert, kann ich von meinem Schlafzimmer die erleuchteten Büros in der dreiundvierzigsten Etage sehen. Euretwegen hätte er sich auch mal loseisen können.“

Michael betrat den Raum. Sein Outfit sah sportlich und teuer aus.

„Entschuldige Mama. Nach der langen Fahrt brauchte ich ein heißes Bad. Weil ich weiß, dass du Wert auf adrette Kleidung legst, hat es etwas länger gedauert. Papa ist auch noch nicht erschienen.“

„Papa ist entschuldigt. Schließlich verdient er das Geld, das du in Berlin auf den Kopf haust!“, sagte sie spitz und: „Setz dich, wir wollen essen!“

Während der Mahlzeit drehte sich das Gespräch vorwiegend um Michaels Studienergebnisse. Es glich eher einer Examination. Offenbar war Michaels Mutter mit den Noten ihres Sohnes unzufrieden. Der antwortete einsilbig, um keine Ansatzpunkte für weitere Kritik zu bieten. Das Erscheinen seines Vaters erlöste ihn von der peinlichen Befragung.

Hartmut Schüttke begrüßte als erstes seine Frau mit einem Kuss auf die Stirn. Dann wandte er sich Ralf zu. Der sprang auf, machte einen Diener und sagte artig: „Ralf Winkler.“

Michaels Papa grinste amüsiert und nannte seinen Namen: „Behalten sie ruhig Platz, Herr Winkler, nicht so förmlich.“

Michael schaute missbilligend. Fehlte nur noch, dass er die Hacken zusammengeknallt hätte, dachte er.

Das Abendbrot verlief weniger steif, als Ralf befürchtet hatte. Andeutungsweise erzählte er von seiner Idee mit Hilfe der Meteorologie die Zukunft vorherzusagen. Das schien Herrn Schüttke besonders zu interessieren. Er bat Ralf, ihm am nächsten Tag Einzelheiten zu verraten.

Endlich war das Essen beendet und die Freunde entlassen.

Vergnügungsmeile zwischen Zeil und Bleichstraße in Frankfurt

Michael hatte sich mit Ralf in die Bibliothek zurückgezogen. Das Vorglühen wollten sie gleich zu Hause erledigen. Der elterliche Vorrat an alkoholischen Getränken unterstützte es und half, Geld zu sparen.

Michael hatte von beiden Erzeugern je einen großzügigen Zuschuss für den Abend zugesteckt bekommen, jeweils mit dem Hinweis, dem anderen nichts zu verraten. Aber wegen des teuren Pflasters in Frankfurt sollte der noch geschont werden.

Endlich war es so weit und Michael rief ein Taxi, das sie zum ersten Club bringen sollte.

Das Etablissement hatte eben erst aufgemacht. Sie wurden von dröhnenden Bässen und gähnender Leere empfangen. Die Damenwelt war noch nicht vertreten.

Mit den Worten: „Nichts ist schlimmer als eine leere Kneipe.“, bugsierte Michael seinen Studienkumpel wieder hinaus. Das üppige Eintrittsgeld war verschossen, aber das schien ihn nicht zu stören.

Im nächsten Club war mehr los und Michael offenbar bekannt. Mit lautem Hallo wurde er begrüßt. Das Publikum war jung, teuer und lässig angezogen. Bei Ralf löste das Minderwertigkeitskomplexe aus. Die Mädels begrüßten Michael mit Küsschen, Küsschen. Ralf streiften abschätzige Blicke.

Sein Partner erwies sich als guter Kumpel und stellte ihn vor: „Das ist Ralf. Er arbeitet daran, die Zukunft wissenschaftlich vorherzusagen. Behandelt ihn gut! Er wird mal helfen, unsere Regierung zu stürzen.“

Kritische Einstellungen gegenüber dem Establishment waren bei den Kindern dieser Schicht traditionell beliebt. Mit feinem Gespür für die richtigen Worte hatte Michael das Interesse an Ralf geweckt. Der musste nun erklären, wie ihm die Vorhersagen gelingen sollten. Die meisten der ihn umringenden Mädchen verstanden nicht, worum es ging. Das war allerdings nebensächlich. Das Interesse der holden Weiblichkeit tat ihm gut und kitzelte sein Ego. Seine wenig hippe Kleidung war vergessen.

So zogen sie die ganze Nacht durch die Clubs, ohne sich auf eine nähere Bekanntschaft einzulassen.

Michaels Elternhaus am nächsten Morgen

Ralf erwachte mit einem höllischen Kater am Sonnabend gegen halb elf. Vor dem Bett stand Michael, der zum Aufstehen nötigte.

„Los, komm raus aus dem Kahn. Svetlana macht dir Frühstück und danach wollte ich dir Frankfurt zeigen.“

Nachdem Ralf mit Mühe eine Scheibe Toastbrot mit Kaffee heruntergewürgt hatte, wollte ihn Vater Schüttke sprechen. Auch das noch, dachte er. Lieber wäre ihm ein Spaziergang an frischer Luft gewesen.

„Sagen sie mir, falls ich zu neugierig bin. Sie haben gestern etwas angedeutet, was mich sehr interessiert. Sie wissen vielleicht, dass meine Firma Aktienhandel betreibt. Dabei sind Schwankungen der entscheidende Faktor. Entweder es passiert ein Unglück oder etwas Gutes. Je größer die Schwankung, desto größer der Gewinn. Solange alles bleibt, wie es ist, kann man kein Geld verdienen. Wir arbeiten heutzutage im Millisekunden Bereich. Umso wichtiger wäre es, auf künftige Entwicklungen gefasst zu sein, egal ob positiv oder negativ. Wenn uns jemand zuverlässig vorhersagen könnte, was passieren wird, hätte ich einen großen Vorsprung vor der Konkurrenz. Können sie das?“

„Ich hatte die Idee, wie man es machen könnte, bin aber erst am Anfang meines Projekts. Ob es mir gelingt, kann ich noch nicht sagen. Mir geht es um Voraussagen gesellschaftlicher Entwicklungen. Mit Aktienkursen habe ich mich noch nicht beschäftigt.“

Trotz seines Katers erklärte Ralf Einzelheiten seines Projekts. Jemand aus der Finanzwelt könnte ein guter Kunde werden. Er wollte ihn nicht verprellen und hoffte, einen Fuß in die Tür der Frankfurter Hochfinanz zu bekommen. Vorsorglich verschwieg er, dass die meisten seiner Ergebnisse mit unlauteren Mitteln zustande kamen.

„Es sollen möglichst viele Daten gesammelt werden. Das machen die großen Datenkonzerne wie Google und Co. auch. Aber sie gehen über einen bestimmten Punkt nicht hinaus. Der Grund ist, dass sie mit Werbung Geld verdienen wollen. Haben sie es erreicht, ist der Job erledigt.“

Michaels Vater hörte aufmerksam zu.

„Mit Hilfe von Cookies werden Profile ihrer Nutzer angelegt. Ist ihnen schon mal aufgefallen, dass sie immer wieder Werbung für das gleiche Produkt bekommen, wenn sie etwas im Web gesucht haben?“

„Stimmt!“, sagte Herr Schüttke: „Das hat mich schon oft genervt.“

„Ich will mit meinem Projekt mehr erreichen. Wenn viele Menschen nach bestimmten Dingen suchen, ist das ein Zeichen, dass in naher Zukunft eine gesellschaftliche Entwicklung eintreten wird. Beispiel: suchen viele nach einem Job, ist das ein Hinweis auf hohe Arbeitslosigkeit.“

„Das verstehe ich.“, sagte Herr Schüttke: „Haben sie eine Idee, wie das auf mein Fachgebiet angewendet werden könnte?“

„Das weiß ich nicht. Prinzipiell lässt sich aber nahezu jede Entwicklung vorhersagen, wenn man genügend Daten zur Verfügung hat. Wenn mein Projekt abgeschlossen ist, könnte ich vielleicht auch für sie Vorhersagen berechnen.“

„Das würde mich sehr freuen. Ich könnte sie großzügig unterstützen.“

Michaels Vater verabschiedete sich mit dem Hinweis, Ralf solle sich jederzeit an ihn wenden. Er hatte die Hoffnung, der Konkurrenz damit ein Stück voraus zu sein. Als aufmerksamem Beobachter war ihm nicht entgangen, dass sich dunkle Wolken am Horizont der gesellschaftlichen Entwicklung zusammenbrauten.

Der Sonnabend verging mit Besichtigung von Zeil und Römer. Michael lud ihn zu einem Handkäs mit Musik in einer der Touristenkneipen ein. Der dazu gereichte saure Äppelwoi begeisterte Ralf weniger, was vielleicht an seinem nur langsam abklingenden Kater lag.

Dienstzimmer Professor Theodor Riemann-Eberlin

Hinterm Schreibtisch thronte der Dekan Professor Riemann-Eberlin. Seine breit ausladende Gestalt, Stirnglatze und Hornbrille verliehen ihm ein Respekt gebietendes Aussehen. Hinzu kam seine jähzornige Art. Diese Eigenschaften hatte er in der Vergangenheit gut genutzt, um Konkurrenten an die Seite zu drängen.

Es kam selten vor, dass sich der Dekan der Fakultät IT der Meteorologie wegen eines Studenten aus der Reserve locken ließ. Ralf hatte es geschafft. Er saß seit geraumer Zeit im Sekretariat des hohen Herrn und wartete darauf, sich den angekündigten Rüffel abzuholen. Ab und zu drangen laute Worte des Professors an seine Ohren, ohne dass der Inhalt verständlich war.

Im Zimmer des Chefs schlugen die Wogen hoch. Vor dem Schreibtisch saß Dozent Dietmar Krüger, Verantwortlicher für die Seminargruppe von Ralf und Michael. Er versuchte den Spagat zwischen wissenschaftlicher Karriereleiter und Unterstützung seiner Studenten. Jetzt prasselten die Vorwürfe seines Chefs auf ihn ein. Der arme Sünder im Vorzimmer erregte sein Mitleid. Während sich der Chef austobte, wälzte er die Möglichkeiten hin und her. Er wollte Ralf helfen, aber nicht auf eigene Kosten.

Für Ralf war die Situation äußerst unangenehm. Der unerlaubte Zugriff auf die Serverfarm der Hochschule war entdeckt worden. Nun saß er wie auf Kohlen und erwartete seine Bestrafung. Insgeheim hoffte er, dass seine anderen Vergehen unter der Decke geblieben waren.

Krüger wollte den Zorn seines Chefs bändigen.

„Herr Professor, Ralf Winkler ist einer meiner besten Studenten. Mit seinen Ideen und seiner frischen Herangehensweise trägt er wesentlich zum Lernerfolg der Seminargruppe bei. Allerdings schießt er manchmal über das Ziel hinaus.“

Erbost fiel der Chef seinem Dozenten ins Wort: „Und wenn er Einstein persönlich wäre, niemand hat das Recht, sich in das Serversystem unserer Hochschule zu hacken. Das muss Konsequenzen haben!“

„Er hatte vor einiger Zeit einen größeren Zugang zum Serversystem beantragt. Er wollte zehn Prozent auf Dauer beanspruchen, was im verwehrt wurde.“

„Das war auch berechtigt. Wo kämen wir hin, wenn sich jeder Student kostbare Rechenpower reservieren lassen würde, nur um irgendwelche Schnapsideen außerhalb des Lehrplans zu verfolgen.“, der Professor ließ sich nicht beruhigen.

„Aber Herr Professor, sie hatten doch selbst vorgeschlagen, bestimmte Algorithmen der meteorologischen Forschung auf ihre Anwendbarkeit in anderen Wissenschaftsgebieten zu prüfen. Das war Bestandteil einer ihrer Vorlesungen. Ich erinnere an die von ihnen eingesetzte Forschungsgruppe. Die kam allerdings bisher zu keinem verwertbaren Ergebnis. Ralf Winkler hat mir vorgeschlagen, gesellschaftliche Entwicklungen auf ihre Vorhersagbarkeit zu prüfen. Ich sagte ihm damals, die dafür erforderliche Rechenpower würde die Möglichkeiten unserer Hochschule übersteigen.“

Die Idee, meteorologische Algorithmen auf andere Wissensgebiete zu übertragen hatte der Professor trotz der anfänglichen Misserfolge nicht aufgegeben. Deshalb wollte er sich nicht von irgendeinem dahergelaufenen Studenten in die Suppe spucken lassen. Am Ende ginge der Forscherdrang noch so weit, dass ihm der Erfolg entrissen würde. Es galt, ein Exempel zu statuieren.

„Ich werde nicht zulassen, dass Studenten sich unerlaubt größeren Zugang zu unserem Serversystem verschaffen! Haben die Mitglieder ihrer Seminargruppe zu viel Freizeit? Dieser überschäumende Forscherdrang muss eingedämmt werden! Was schlagen sie vor, wie ich mit dem Herrn verfahren soll?“, polterte der Chef und unterstrich jeden Satz mit ausholenden Gesten.

Krüger machte ein ratloses Gesicht: „Spielen sie darauf an, ihn zu exmatrikulieren? Soweit würde ich nicht gehen. Ich schlage vor, ihm zusätzliche Aufgaben zu übertragen. Er könnte mich als persönlicher Assistent bei der Lehrtätigkeit unterstützen. Das wird seine sonstigen Aktivitäten bremsen. Natürlich darf es nicht wie eine Belohnung aussehen. Vor der Seminargruppe sollte man es auch auswerten.“

Der Zorn des Professors verrauchte langsam. Er sinnierte: „Außer der Exmatrikulation gibt es eigentlich keine weiteren Möglichkeiten. Zusätzliche Aufgaben scheinen mir ein probates Mittel zu sein. Dann holen sie den Kandidaten bitte herein, damit wir ihm klarmachen können, welche Konsequenzen sein Handeln eigentlich hätte.“

Die Tür zum Allerheiligsten ging auf, was den Delinquenten veranlasste, sich schlagartig von seinem Sitz zu erheben. Dietmar Krüger bedeutete ihm, einzutreten. Ein Sitzplatz wurde ihm nicht angeboten. Mit rotem Kopf stand er vor seinem Richter.

Der Professor ergriff sogleich das Wort: „Sie haben es also geschafft, sich in unser Serversystem zu hacken! Wie war das möglich? Hatten sie dabei Hilfe?“

„Nein, während des normalen Studiums kann jeder, der es möchte, einen Zugang zum Server beantragen. Das habe ich genutzt. Ich habe dann meinen Account auf Sicherheitslücken untersucht und tatsächlich eine gefunden. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

Das war freilich nicht die ganze Wahrheit. Der umfangreichere Zugang war erst durch das Einschleusen eines von ihm programmierten Virus möglich geworden. Dadurch konnte Ralf einen beliebig großen Anteil der Rechenkapazität für seine Zwecke abzweigen. Er konnte nicht widerstehen und verwendete die Möglichkeiten zu großzügig. Die ungewöhnliche Kapazitätsauslastung führte letztlich zur Entdeckung. Das sollte der Professor aber lieber nicht erfahren.

„Soso, sie haben eine Sicherheitslücke entdeckt. Die haben wir zum Glück geschlossen. Vielleicht sollte ich ihnen dankbar sein?“, fragte der Professor drohend.

Schuldbewusst blickte Ralf zu Boden und schüttelte unmerklich den Kopf.

„Eigentlich müsste ich sie exmatrikulieren! Ich hoffe, das ist ihnen klar. Was war denn der Grund für ihren hohen Kapazitätsbedarf?“

„Herr Professor, sie haben in einer Vorlesung mehr Forschungsinitiativen von den Studenten verlangt. Außerdem regten sie an, die Algorithmen der Meteorologie auf andere Gebiete anzuwenden. Das wollte ich aufgreifen. Ich habe aber gemerkt, dass ich viel mehr Rechnerkapazität benötigte …“

Der Professor fiel ihm ins Wort: „Und da dachten sie, die könnten sie sich einfach auf kriminelle Weise beschaffen?“

„Ich hatte einen Antrag gestellt, der abgelehnt wurde. Was hätte ich denn machen sollen?“

Der Professor erboste sich schon wieder: „Was hätte ich denn machen sollen?“, echote er: „Jedenfalls nicht Gesetze verletzen, um ihr Ziel zu erreichen. Der Zweck heiligt auch beim Studium nicht die Mittel!“, zur Bekräftigung seiner Worte schlug der Herrscher der Sektion mit der flachen Hand auf den Schreibtisch und sah den Dozenten erwartungsvoll an.

Der wandte sich an seinen Studenten: „Vor der Exmatrikulation haben sie ihre guten Studienergebnisse gerettet. Der Wissenserwerb scheint ihnen zuzufliegen. Das hat wohl zu viel Freizeit zur Folge. Ihr Fehlverhalten werden wir in der Seminargruppe auswerten. Zur Bewährung wollen wir ihnen eine zusätzliche Aufgabe geben. Sie werden mich als Assistent vertreten. Fassen sie das aber bitte nicht als Belobigung auf. Es kommt sehr viel Arbeit auf sie zu. Sind sie damit einverstanden?“

Ralf fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte sich schon auf Exmatrikulation eingestellt: „Wie gestaltet sich diese Assistenz praktisch?“, wollte er wissen.

Der Dozent antwortete: „Das klären wir in einem separaten Gespräch. Sie können jetzt gehen!“

Ralf verbeugte sich linkisch, sagte auf Wiedersehen und verschwand schnellstmöglich aus dem Dunstkreis der Fakultätsleitung.

Ralfs und Michaels Studentenbude

Ralf saß wieder vor seinem Computer. Seit die Verbindung zum Server der Hochschule gekappt wurde, benötigte er ein neues Tor, bei dem alle Daten zusammenliefen. Sein eigener Computer wäre dazu viel zu schwach. Ohnehin hatte er das System so gestaltet, dass der Computer in der Studentenbude nur als Anzeigeterminal diente. Nun hatte er das Problem, dass die Verbindung zu seinem Netzwerk in den verschiedenen Ländern abgerissen war. Dadurch ließen sich keine Recherchen mehr durchführen. Die Vorhersage von Ereignissen war nicht mehr möglich, so als würden Wettervorhersagen ohne den dafür nötigen Zentralcomputer des Wetterdienstes versucht.

Als Ausweg war Ralf nur eingefallen, einen anderen großen Rechner außerhalb der Hochschule zu kapern. Davon durfte niemand wissen. Während er als Student der Hochschule bei Entdeckung mit Milde rechnen konnte, verstieß sein Vorgehen nun eindeutig gegen Gesetze. Das war ihm bewusst. Die Schuld gab er der unnachgiebigen Haltung der Hochschule. Anstatt seine revolutionäre Idee anzuerkennen, hatte die Fakultätsleitung dafür gesorgt, dass er mit seinem Projekt fast wieder bei null beginnen musste.

Hinzu kam die neue Belastung als Assistent des Dozenten. Wie angedroht, übertrug er ihm die vielfältigsten Aufgaben. Vor- und Nachbereitung von Vorlesungen, Ausarbeiten von Manuskripten oder Leitung von Zusammenkünften der Seminargruppe waren ein kleiner Ausschnitt davon. Ralf fragte sich oft, wie Dietmar Krüger dieses umfangreiche Programm bisher allein bewältigt hatte.

Ralfs Haupttätigkeit, das Studium, musste auch weitergehen. Alle Belastungen zusammen sorgten dafür, dass Ralf mehr und mehr Zeit seines Nachtschlafes opferte.

Michael kam soeben aus dem Studentenclub nach Hause. So wie er seinen Studienkumpel verlassen hatte, fand er ihn nach Stunden wieder vor. Der reagierte nicht auf seinen Gruß, sondern quälte ununterbrochen weiter die Tastatur. Michael stellte sich hinter Ralf und sah ihm eine Weile über die Schulter. Ralf benutzte die zurzeit angesagteste Programmiersprache Python. Damit hatte sich Michael bisher nicht ausreichend beschäftigt. Er konnte dem Geschehen auf dem Bildschirm nicht gut folgen. Aber er sah, dass Ralf immer wieder große Teile seines eben geschriebenen Programmcodes löschte und hektisch neu schrieb.

Nach einer Weile sprach er ihn an: „Willst du nicht für heute aufhören? Du machst anscheinend immer wieder den gleichen Fehler!“

Ralf erschrak. Er hatte seinen Zimmergenossen nicht kommen hören. Die unverhoffte Ansprache in seinem Rücken erschien ihm wie von einem Geist. Er drehte sich um und nahm erst jetzt Michael wahr: „Musst du mich so erschrecken? Was willst du denn von mir?“, fuhr er ihn an.

„Ich wollte, dass du aufhörst, deinen Computer zu quälen. Dein hektisches Löschen und neu Schreiben bringt dich offensichtlich nicht weiter. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man am nächsten Tag einen Programmierfehler sofort sieht, der sich am Abend im Code versteckt hat.

Jana hat nach dir gefragt. Du solltest sie nicht so vernachlässigen. Sonst schnappt sie dir ein anderer weg. Komm lieber mit in den Club. Das löst die Knoten im Hirn.“

„Du hast gut reden, mein lieber. Du musst auch nicht neben deinem Studium als Assi von Krüger arbeiten und ihm den Arsch abwischen. Am liebsten würde ich alles hinschmeißen und ein Startup gründen!“

„Dann hättest du keinen Abschluss, was bestimmt nicht gut wäre.“

„Ich habe ein viel größeres Problem. Die haben die Verbindung zum Zentralrechner gekappt. Jetzt komme ich an meine internationale Computerfarm nicht mehr ran.“

„Dann miete dir doch einen auf dem freien Markt!“

„Und wovon soll ich das bezahlen?“, fragte Ralf genervt.

„Wenn es sich im Rahmen bewegt, könnte ich dir helfen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn du dich auf ein übersichtlicheres Gebiet, als den Nahen Osten beschränkst? Dannbenötigst du auch nicht so große Rechenleistung. Was hältst du von Deutschland? Bei uns kommt man doch viel leichter an Daten heran. Ganz anders als im Nahen Osten, wo Diktatoren Interesse daran haben, vieles zu verheimlichen. Hier in Deutschland werden im Vergleich dazu viel mehr Daten veröffentlicht.“

„Das ist vielleicht eine Idee zur Simulation allgemeiner Prozesse. Trotzdem brauche ich hohe Rechenleistung, die es für wenig Geld auf dem freien Markt nicht gibt. Ich muss sie mir anders beschaffen.“

„Mensch Ralf, mach bloß nichts Ungesetzliches! Sonst kann ich dich später im Knast besuchen.“

Tagungsraum der meteorologischen Fakultät

Der lange Konferenztisch war voll besetzt. An der Stirnseite thronte der Dekan: „Meine Dame, meine Herren, vielen Dank, dass sie es so kurzfristig einrichten konnten, heute zu erscheinen.“

Bemerkenswert an der Männerrunde war die Tatsache, dass nur eine einzige Frau dabei war. Isolde Wegener hatte das dreißigste Lebensjahr noch nicht erreicht. Sie war eine schlanke Blondine mit einer langen Mähne, die sie stets offen trug. Modische Kleidung ergänzte ihr Auftreten. Ihr hübsches Gesicht hatte dazu geführt, dass sie hinter vorgehaltener Hand die holde Isolde genannt wurde. Die wissenschaftliche Karriere begann sie, wie viele in der Runde als Studentin. Mathematisches Talent, scharfer analytischer Verstand und gute Lernergebnisse führten am Ende des Studiums zur Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis.

Als bei Professor Riemann-Eberlin die Idee aufkam, meteorologische Berechnungen auf andere Fachgebiete anzuwenden, ernannte er sie zur Leiterin einer Arbeitsgruppe. Kollegen munkelten von einem Verhältnis mit dem Dekan. Aber dem Professor kam es nur darauf an, in der herrschenden Männerdomäne der Gleichberechtigung zum Durchbruch zu verhelfen. Weil sie die einzige Frau weit und breit war, gab es keine Auswahl.

Die herausragende Stellung als emanzipierte Frau hatte nicht nur Vorteile. Wenn etwas nicht zur Zufriedenheit des Professors verlief, war sie das naturgegebene Ziel seiner Kritik. So auch heute, weil die Ergebnisse der Arbeitsgruppe zu wünschen übrigließen.

Das Gespräch mit Ralf Winkler zeigte dem Professor, dass auch andere seine Idee verwirklichen könnten. Das stieß dem Herrn Chef sauer auf. Er sah seine Felle davonschwimmen, wenn es nicht endlich nachvollziehbare Ergebnisse geben würde.

Nach der förmlichen Begrüßung kam er sogleich zur Sache und ließ seinem Zorn freien Lauf: „Einige Mitarbeiter meiner Fakultät meinen offenbar, sie hätten unendlich viel Zeit, um Innovationen an den Start zu bringen. Aber gute Ideen haben auch andere Zeitgenossen. Mir ist besonders ein gewisser Ralf Winkler aufgefallen, Student im dritten Jahr. Einige werden ihn kennen. Er hat sich nicht nur in unseren Zentralrechner gehackt. Vor allem hat er meine Idee, der Übertragung meteorologischer Algorithmen auf andere Gebiete weiterentwickelt, als das in ihrer schönen Arbeitsgruppe der Fall ist. Zu allem Überfluss hat er allein erreicht,was sie mit zwölf Mitarbeitern nicht geschafft haben. Frau Wegner, was sagen sie dazu?“

Darauf gab es keine gute Antwort. Isolde war ratlos. Fadenscheinige Begründungen mit allgemeiner Überlastung durch andere Forschungsvorhaben waren nicht ratsam. Die würden nur den Zorn ihres Vorgesetzten auf ihr Haupt ziehen. Deshalb trat sie die Flucht nach vorn an: „Wir könnten diesen Studenten in unsere Arbeitsgruppe aufnehmen.“

Rüde unterbrach sie der Professor: „… und ihn dafür belohnen, dass er mit seiner Hackerei gegen Recht und Gesetz verstoßen hat?“

Isolde schüttelte heftig den Kopf: „Da bin ich anderer Meinung. Diese Einbindung würde den Forscherdrang eindämmen. Er hätte Zugang zu unserem Zentralrechner, und müsste damit keine Gesetze mehr übertreten. Nicht zuletzt könnten wir von seinen Forschungsergebnissen profitieren.“

Dieser Vorschlag fand die Zustimmung aller Mitglieder der Arbeitsgruppe. Hatten doch die meisten mit Forschungsaufgaben und Lehre genug zu tun. Da kam ihnen eine zusätzliche Arbeitskraft gerade recht.

So hatte es der Professor noch nicht gesehen. Gegen diese Argumentation war nichts einzuwenden. Er seufzte ergeben: „Na schön, dann soll es so sein. Frau Wegner, setzen sie sich bitte mit dem Herrn in Verbindung. Ich erwarte zum Ausgleich positive Ergebnisse. Meine Dame, meine Herren, machen sie sich an die Arbeit.“

Ralfs und Michaels Studentenbude

Ralf saß vor seinem Computer und versuchte, in einen Großrechner einzudringen. Von der günstigen Entwicklung hatte er noch nichts mitbekommen. Ohne Zugang zu erheblichen Rechenkapazitäten war es nicht möglich, die entstehende Datenfülle zu beherrschen.

Und es gab noch ein weiteres Problem. Ralf war klargeworden, dass er bei Entdeckung seiner Aktivitäten damit rechnen müsste, nicht mehr an seinen eigenen PC heranzukommen. Als Ausweg wollte er ein unabhängiges Terminal programmieren. Das gab ihm die Möglichkeit von jedem beliebigen Computer aus auf seine Daten zuzugreifen. Diese Software musste allerdings auch auf irgendwelchen Computern abgelegt werden. Deshalb wollte er mit Hilfe der von ihm programmierten Viren, einige fremde PC für die Speicherung des Terminals benutzen.

Es war viel zusätzliche Arbeit, die nicht nötig gewesen wäre, hätte die Fakultätsleitung ihm den Zugang zu ihrem Großrechner gestattet. Der Arbeitsdruck war enorm, zumal Dozent Krüger ihn ausgiebig mit zusätzlichen Aufgaben eindeckte. Zum Glück ging ihm sein Mitbewohner nicht auf die Nerven. Studienkumpel Michael trieb sich nach den Pflichtveranstaltungen lieber in Studentenclubs herum.

Als es an der Wohnungstür läutete, fuhr Ralf erschrocken auf, denn er hatte sich tief in seine Programmierung versenkt. Wer könnte das sein? Stand etwa die Polizei schon vor der Tür? Ehe er die Tür öffnete, ging er ans Fenster und schaute nach, ob draußen ein Rollkommando zu sehen war. Weit und breit waren keine blauen Autos oder Ansammlungen von Uniformierten sichtbar. Er atmete hörbar aus. Wäreer entdeckt worden, hätte es das Ende seines Projekts bedeutet.

Langanhaltend klingelte es erneut. Er öffnete die Wohnungstür und traute seinen Augen nicht. Draußen stand Jana und grinste ihn verlegen an.

„Habe ich dich geweckt oder warum dauert es so lange?“, fragte sie provozierend.

Ralf stotterte vor Überraschung: „N-nein, ich arbeite gerade an einem schwierigen Programmierproblem und habe nicht mit Besuch gerechnet.“

Jana merkte, dass sie Ralf überrumpelt hatte: „Aber hereinlassen willst du mich schon, oder soll ich wieder gehen?“

Ralf schüttelte den Kopf und bat Jana mit einer linkischen Armbewegung herein.

Die setzte sich sogleich ohne Scheu auf Ralfs Bürostuhl und begann, ihn auszufragen: „Was ist los mit dir? Ich sehe dich gar nicht mehr. Ich habe Michael gebeten, dir Grüße auszurichten. Hat er das gemacht? Was treibst du eigentlich die ganze Zeit? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mehr lernen musst als alle anderen.“

Nach jeder Frage öffnete Ralf den Mund, um zu antworten. Aber dazu ließ ihm Jana keine Zeit. Erst als sie ihr Repertoire an Fragen abgespult hatte, versiegte ihr Redestrom.

„Ich habe im Moment wirklich keine Zeit, in irgendwelchen Clubs abzuhängen.“ Er schilderte Jana seine Probleme mit der Fakultätsleitung. Dass er versuchte, in einen anderen Großrechner einzudringen, ließ er lieber weg. Jeder Mitwisser war einer zu viel, obwohl er nicht glaubte, dass Jana ihn verraten würde.

Jana hatte echtes Interesse an Ralfs Ideen. Aus den dürftigen Erklärungen im Club war sie nicht schlau geworden: „Kannst du mir als blutigem Laien mit einfachen Worten erklären, wie deine Programmierung funktioniert?“

Ralf freute sich über ihr Interesse: „Ich habe dir schon im Club gesagt, was der Unterschied zwischen Nachrichten und Wetterbericht ist. Kannst du dich erinnern?“

Jana nickte: „Das eine zeigt die Vergangenheit und das andere die Zukunft.“

„Sehr gut, du hast es verstanden. Ich habe mich gefragt, ob man das bei den Nachrichten ändern könnte. Für viele wäre es sehr interessant, politische oder wirtschaftliche Entwicklungen viel genauer voraussagen zu können, als das mit den bisher angewendeten Methoden möglich ist. Wie wäre es, die Berechnungsmethoden der Meteorologie auf solche Probleme anzuwenden?“

Jana hatte das Problem verstanden und antwortete mit Kopfnicken: „Ein genialer Gedanke. Bist du selbst darauf gekommen?“

„Nicht direkt. Unser Dekan hat die Idee in einer Vorlesung erwähnt. Ich hörte, dass er sogar eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat. Die sind aber nicht weit gekommen. Das ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum sie mich nicht an ihren Großrechner lassen. Der Herr Professor hat Angst, dass ihm jemand seine Idee wegschnappen könnte. Weil ich die Ablehnung nicht hinnehmen wollte, habe ich den Rechner gekapert und bin aufgeflogen.“, erzählte er nun doch. „Anschließend wurde ich vor die Leitung zitiert und durfte mir einen Rüffel abholen, der sich gewaschen hatte.“

„Und was machst du nun?“

„Ich muss mir anders helfen. Wie, will ich dir lieber nicht erklären. Aber Vorstellungen habe ich.“

„Oh Ralf, werde bloß nicht kriminell!“, sagte Jana besorgt.

„Mach dir keine Sorgen. Ich habe alles im Griff.“

Für Jana war das keine Entwarnung. Ihr weiblicher Instinkt sagte, dass an der Geschichte ein Haken wäre: „Ich kann dir beim Programmieren nicht helfen. Wenn du aber sonst Hilfe brauchst, stehe ich jederzeit zur Verfügung.“

Es knisterte zwischen den beiden. Janas dunkle Augen bekamen diesen besonderen Ausdruck. Das war für Ralf das Signal, Jana etwas näher zu kommen. In diesem Moment ging die Wohnungstür auf. Michael erschien und zerstörte die traute Zweisamkeit.

Er wusste sofort, was los war: „Oh, habe ich euch gestört? Tut mir leid, ich wusste nicht, dass du hohen Besuch hast.“

„Ist schon OK. Ich wollte sowieso gerade gehen.“ Jana erhob sich von ihrem Platz und ging Richtung Ausgang.

Ralf lief ihr hinterher: „Jana warte eine Sekunde! Wir können uns doch wieder treffen. Lass uns in den nächsten Tagen Essen gehen, oder ins Kino!“

„Hast du denn Zeit? Ich hatte den Eindruck, du wärst voll ausgelastet.“, stellte sie spöttisch fest.

Michael schaute sich die Szene grinsend an. Ralf wollte sich keine Blöße geben und verabredete sich mit Jana. Mit Bedauern über den schnellen Abgang und einem tiefen Blick in Janas unergründliche Augen verabschiedete er sich von ihr.

„Dich hat es wohl ganz schön erwischt?“, stellte Michael fest, als die beiden allein waren.

„Dafür hast du das Talent immer zum falschen Zeitpunkt zu erscheinen. Lass mich in Ruhe!“, sagte er erbost, setzte sich an seinen Platz und begann vernehmlich die Tastatur zu bearbeiten.

Fakultätsgebäude der Meteorologie

Das Gebäude der meteorologischen Fakultät war ein wenig in die Jahre gekommen. Nach neunzehnhundertfünfzig gebaut, hatte es viele Umbauten erfahren. Das sah man ihm an. Kabel wurden über oder unter Putz neu verlegt, ohne dass sich hinterher ein Maler der zerhackten Wände angenommen hätte. Abgesehen von längst fälligen Renovierungsarbeiten war die Raumaufteilung für heutige Bedürfnisse von Forschung und Lehre nicht mehr geeignet. Besonders störend war die herrschende Enge. Viele Dozenten mussten sich ihre Büros mit anderen Kollegen teilen. Dieser missliche Umstand war vor allem entstanden, als der neue Großrechner Platz finden musste. Eine Menge Büros wurden dafür geopfert. Auch für Lehrveranstaltungen der Seminargruppen gab es nur einen Raum, in dem nicht alle Studenten einen Sitzplatz finden konnten.

Ralf ging mit schnellen Schritten den langen Gang entlang. Sein Ziel war der Seminarraum. Er wollte seiner Pflicht zur Vertretung des Dozenten nachkommen. Leider hatte er über der Programmierung seines Projekts die Zeit verpasst. Zu allem Übel musste er sich unvorbereitet den Fragen seiner Kommilitonen stellen.

Auf halbem Weg kam ihm Isolde Wegner entgegen. Als sie ihn erkannte, stoppte sie seine schnellen Schritte: „Bist du nicht Ralf Winkler?“