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Wie auch immer einfach Grenzenlos Dieser Roman beschreibt die Reise einer Gruppe Junger Leute durch ein fiktives Land in dem der Sommer ein Jahr andauert. Aufgrund ihrer Vergehen und die Tatsache, dass drei Mitglieder der Gruppe noch nicht volljährig sind, werden sie von den örtlichen Behörden verfolgt. Das Thema des Buches ist die Freiheit. Die wahre Bedeutung dieses Begriffes und wie er zu verstehen und zu leben ist. Es stellt mögliche Meinungen des Themas dar, aus der Beschreibung und Sicht des erdachten Erzählers. Freiheit wird direkt definiert als die Möglichkeit zwischen allen Möglichkeiten ohne Zwang wählen und entscheiden zu können. Es ist die Autonomie eines Subjektes.
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Seitenzahl: 202
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Der Neue
Die erste Sünde
Flucht und Feuer
Unterwegs
Der Weg in die Hölle, am Rande des Himmels
Nachtleben
Zweifel
Tausend Tomaten
Die Ruhe vor dem Sturm
Der Gipfel der Welt
Ich bin wohl ich und weiß, wer das ist
Sechs Tage
Fünf Tage
Vier Tage
Drei Tage
Zwei Tage
Letzter Tag
Heavens End
Flieg Vöglein flieg, flieg Vöglein, bitte flieg
Meilen
… ich sehe noch einmal zurück auf das umgedrehte Autowrack, ein letztes Mal, dann werde ich mich umdrehen und diesen Abschnitt meines Lebens, so gut es geht, vergessen. Reue verspüre ich jedoch keine. Ich stehe hier, voller Blut, Dreck und Schweiß und frage mich rückblickend: Was ist überhaupt meine Stellung in dieser Welt? Verwirrt, nicht verängstigt, auch nicht unsicher – es kommt mir alles so surreal vor – schnüre ich meinen Rucksack und laufe los. Wieder mal denke ich daran, wie dieser Wahnsinn begann. In einer kleinen Stadt, einem noch kleineren Schuppen, so viele hunderte Kilometer von hier entfernt. Da entstand diese Idee, die Idee der Vögel, frei sein wie ein Vogel. Und mit etwas besseren Gedanken und zittrigen Knien mache ich mich auf den Weg, die Straße entlang.
Ich, unscheinbar, stumpf, kompliziert, nicht immer umgänglich. Na ja ich. Und ein total verrückter Vogel. Tja man sollte meinen, dass ich meine Pubertät durchhabe, aber nein, ich habe keine Ahnung wer ich bin, wohin ich gehöre und was ich will. Ich weiß nur: In meiner Umgebung fühle ich mich sau unwohl. Man bildet es sich vielleicht ein, dass man der Einzige ist, der mit seinem Leben noch nicht ganz so klarkommt und möglicherweise geht es vielen so ähnlich wie mir, naja eben ähnlich, aber nicht genauso. So ist das nun mal. Und ehrlich gesagt habe ich am meisten Schiss, dass – egal was in meinem Leben auch abgeht – ich niemals checke, was genau mein Leben ausmacht. Auch wenn ich mal Familie, Haus, Hund, Job blablabla haben sollte, fürchte ich mich davor, dass ich selbst an diesem Punkt, wo man doch als normaler Mensch, was auch immer das sein soll, glücklich ist, immer noch nicht so richtig happy bin und das wäre schon echt scheiße.
Nun gut, was soll ich tun, ich klammere mich an die Vorstellung, dass ich vielleicht, obwohl ich das noch nie von jemandem gehört habe, ein Talent für das Schreiben habe, aber das ist mehr so'ne Hoffnung. Trage diese Kladde bei mir, fast die ganze Zeit. Viele Leute finden das ziemlich schräg. Finde ich selber übrigens auch. Aber das grüne Ding hier gibt mir irgendwie Halt. Ich habe eine Antwort, wenn man mich danach fragt, was ich damit mache oder wie ich meine Freizeit verbringe. Da hebe ich immer diese grüne Kladde. Hier landet alles drin. Jede absurde Idee. Alle möglichen Zeichnungen, Bilder, Gedichte, sogar Liedtexte. Ich wüsste aber auch nicht, was ich tun sollte, wenn das Ding voll ist. Auch wenn's momentan noch lang nicht danach aussieht. Denn ich habe wohl eine der kleinsten Handschriften unserer Schule. Diesen Text hier, nur mal als kleine Info für meine „Scharen“ an zukünftigen Lesern, schreibe ich auch gerade in meine Kladde.
Fein, nun noch etwas zu meiner Person. Ich gehe auf die allergrößte Schule im Umkreis von hundert Kilometern, okay so genau weiß ich das auch nicht, aber hier können echt in der Nähe nicht noch so viele auf eine Schule gehen, ich kann mir bereits nicht erklären, wo all diese Massen an Schülern von unserer Schule herkommen. Mit an die dreitausend Schülern, da bin ich wirklich eine Ameise. Was ich aber auch wäre, wenn ich auf eine Schule mit knapp zweihundert Schülern ginge, das spielt keine Rolle. Nur soviel: Die Lehrer würden es wahrscheinlich nicht einmal merken, wenn ich plötzlich gestorben wäre und würden ihren Unterricht mit der gleichen Demotivation locker weiter durchziehen. Tja mein Leben. Ich will mich nicht ausheulen oder mich beschweren, aber Bombe ist es auch nicht grade. Ich kann schon sagen, auf diesem Planeten ist echt viel nicht in Ordnung. Was soll man machen. Aber naja, ich habe meine Hoffnung in der Hand und dafür keine Eier in der Hose. Was ich hier schreibe ist die erste richtige Motivation was Längeres aufzuschreiben. Ich wusste schon immer dass mir nur so was wie ein Schubser gefehlt hat, um endlich was Vernünftiges in diese doofe Kladde zu schreiben. Ein kleiner Schubser aus der Haustür.
Mich schubste vor kurzem ein Junge: Jonny.
Er kam vor nicht allzu langer Zeit in unsere Klasse. An sich ein Tag wie jeder andere, der dann für mich zu etwas Besonderem wurde.
Schon seit Ewigkeiten, so kam es mir vor, quatschte der Alte an der Tafel ununterbrochen und es war immer dasselbe. Dann machte er noch eine Ankündigung. Er sagte: „Wir bekommen einen neuen Schüler!“ Sodann kam er rein und der Lehrer stellte ihn der Klasse vor. Jonny war groß, mit unendlich blauen Augen. Er kam rein und ich weiß nicht, vielleicht ging es nur mir so, aber er strahlte direkt irgendetwas aus. Jonny gab einem, zumindest mir, direkt dieses Gefühl der Autorität. Und von diesem Augenblick an wusste ich, dass dieser interessante Mensch aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken sein würde. Endlich wieder Stoff für meine Kladde.
Ich wollte ihn nicht bedrängen oder so, aber ich hing ihm an den Lippen und leider auch an den Fersen, was ihn aber nicht zu stören schien. Jonny scharte Freunde um sich. Machte sich schnell einen Namen bei uns an der Schule. Viele wollten mit ihm zu tun haben. Und er wurde relativ schnell zu einem der bekanntesten und beliebtesten Jungs der Schule. Außenseiter, Nerds, Emos, Punker und die, die scheinbar ganz normal waren, aus all denen baute sich dann unsere Clique zusammen. Es kam mir nur gar nicht mehr vor wie eine der lausigen Freundschaftsgruppen, wie jene, in die ich nie rein wollte, weil die doch nur Gruppenzwang bedeuten würden. Es kam mir mehr vor wie eine Einheit, eine glückliche Einheit ohne Regeln, aber mit einem imaginären Kodex, den es nicht zu verraten galt und der nicht verraten wurde.
Wir trafen uns oft. Es war kein Problem dazuzugehören, hier war irgendwie jeder willkommen. Jonny scharte all die Außenseiter um sich und nahm sie auf, gab ihnen Freunde, Geborgenheit und das Gefühl dazuzugehören und weil wir so viele waren funktionierte es, wir gingen es gleich richtig an. Es kamen alle zu uns, die in ihrer Klasse nicht angenommen wurden, doch wir waren dennoch keine Außenseitertruppe. Bei uns gab es alle Menschentypen – schüchtern, laut, ruhig, wild, die Ängstlichen und Mutigen – und alle waren sie immer willkommen. Egal wie verschieden, eines verband sie alle, ihre Begeisterung für unseren indirekten Anführer. Und ihre Sehnsucht fair und tolerant behandelt zu werden. Ohne Mobbing, Missachtung und vor allem Gruppenzwang. Das machte uns aus. Es funktionierte natürlich nicht perfekt. Aber bei uns konnte sich fast jeder wohl fühlen.
… und Gott, ach der Junge, der sowieso. Er setzte die Flasche wieder an. Dann gab er sie weiter. „Ich hasse die Kirche, wisst ihr. Ich hasse diese Hurenböcke einfach. Als mein … mein Paps, möge er ewig in der Hölle schmoren, mich ins Heim geschickt hat, kam der Pfarrer zu mir, wollte mich sprechen und so. Doch ich hab ihn genau verstanden, er wollte nichts weiter als mir sagen, dass ich … ähm … ich schuld bin. Doch eins könnt ihr mir glauben Jungs: Man kann als Mensch nie was dafür, wie man ist. Die Welt hat uns zu dem gemacht, was wir sind, nicht wir. Gott ist Schuld, aber nicht er allein, nicht er hat die Welt zu dem gemacht, was sie ist. Sondern wir. Wo is'n jetzt diese verdammte Flasche?“ Aus der Ecke des Schuppens warf ihm jemand ein Bier zu. „Danke Dean, oda wer auch immer du bist“, sagte Jonny. „Also denkt immer dran: Ihr könnt nichts dafür wie ihr seid. Ihr seid die Allerletzten, die an dem Schuld haben, was ihr tut.“
„Und als du weggelaufen bist, warst du da nicht schuld?“, traute Mark sich zu fragen, der Jonny und mir gegenübersaß. „Wofür denn Schuld?“, erwiderte Jonny streng, aber nicht böse. „Was soll ich denn bitte falsch gemacht haben, hä? Ich wollte in die Freiheit, ist das etwa zuviel verlangt?“ Nach einer kurzen Pause setzte er nach: „Und ich schwöre dir, ich werde in die Freiheit kommen! Wisst ihr, alles Glück, alles Leid, alles Schöne und Gute, die Liebe – sofern man daran glaubt –, all das is vergänglich und nich von Dauer, aber hey, hehe, nur die Freiheit nich, sie währt ewig. Denn wenn ich nämlich sterbe, als freier Mann, werde ich auf ewig frei sein.“ Er lachte. „Zwar tot, aber frei! Ich fühle immer noch so einen prickelnden Duft in meiner Nase und fühle mich wie berauscht, wenn ich einen neuen Ort sehe, wenn ich anderes sehe, was ich noch nie vorher sah. Ich spüre die Freiheit in meinem Kopf und fühle mich ganz wie berauscht. So als hätte ich ein paar Flügel. Wenn ich das Meer, Blumen, eine große Stadt sehe, neue Mädchen kennenlerne, Erfahrungen sammle, es ist nicht der Alkohol, der mich fliegen lässt, nein, es ist die Möglichkeit, alles zu tun und dennoch niemandem zu schaden. Das wollte ich und das wollten meine dreckigen Eltern nich. Einfach mein eigenes Glück suchen, ist das denn zuviel verlangt? Vergesst das nicht“, sagte er und holte Tabak und Papier raus und drehte sich eine Zigarette. „Ich liebe jeden einzelnen von euch, hähähä.“
Die Leute in dem geräumigen Schuppen sahen ihm hinterher, als er zur Tür ging und sie auftrat. Er drehte sich noch einmal mit einem abschätzigen Blick zu uns um und ging dann nach draußen. Dann sagte Dean: „Schätze, Jonny hatte ein Bier zuviel.“ Alle lachten außer mir und Mark. „Komm wir gucken mal besser, dass er nichts kaputtmacht“, sagte ich zu Mark und wir gingen vor die Tür.
Da stand er und rauchte eine Zigarette nach der anderen. „Na Leute“, sagte er, als er uns sah. Schnell drehte er sich um und legte die Hände auf unsere Schultern. „Ihr versteht mich doch, oder?“ Er sah uns mit diesem durchdringenden Blick aus seinen strahlend blauen Augen an. Dieser Blick, der jede Lüge sofort zerschneiden würde. Seine kräftigen Hände auf meiner Schulter, sein Blick in meinen Augen. Und dann sagte ich ganz ehrlich und sah ihm dabei in die Augen: „Ja Jonny, ich verstehe dich, ja das tue ich wirklich.“ Ich frage mich, ob ich nicht doch gelogen habe. „Darfst du überhaupt noch raus am Wochenende?“, fragte Mark. „Ich?“, antwortete Jonny. „Bist du bekloppt haha, die suchen schon den ganzen Ort nach mir ab. Ich hoffe, dass der Pfarrer mich findet. Wenn ich noch ein bisschen trinke, werde ich vielleicht so behindert, dass ich den alten Wichser verdresche.“
Und der Pfarrer kam. Doch Jonny war anscheinend doch nicht komplett dicht. Er ballte seine Faust, als er ihn sah, doch dann meinte er: „Nee, hehe, nee so verrückt bin ja nich mal ich.“ „Na Alter“, sagte er, als er den Pfarrer sah, „willst'n Bier?“ „Komm sofort mit“, der Pfarrer packte ihn an der Schulter und zehrte ihn mit. „Macht's gut Jungs“, rief Jonny noch, als er in der Dunkelheit auf dem gerodeten Maisfeld verschwand, an dessen Rand der Schuppen stand, in dem wir uns am Wochenende trafen und einfach mal abschalten konnten. Der Pfarrer schimpfte ihn an: „Was würden deine armen Eltern denken!“ Er antwortete: „Die haben aufgehört sich für mich zu interessieren, als sie mich weggaben.“ Bittere Pille, dachte ich damals. Er sprach zwar viel über sich, aber seine Eltern hielt er doch unter Verschluss.
Eines nachts streiften wir wieder mal durch die Stadt, jeder von uns stockbesoffen, nicht mehr in der Lage ein Stoppschild von einer roten Ampel zu unterscheiden, außer Jonny, er schien noch ziemlich munter zu sein. „Da sind wir, Freunde“, dröhnte er laut und drehte sich um. „Das hier ist unsere Mission für diese Nacht. Er zeigte mit der Hand auf die große Stadtkirche. „Was … was? Jonny spinnst du?“, lallte Mark. „I … ich …“ „Ach komm, Mark“, unterbrach ihn Jonny mit seiner gebietenden dunklen Stimme, „das is doch nun wirklich ein Spaziergang.“ Er nahm einen Stein in die Hand und hielt ihn wurfbereit. „Jonny“, sagte ich, er hielt inne, „jeder wird wissen, dass du es warst.“ Er lachte: „Hehe. Ich weiß!“ Und er schmiss den Stein gerade auf das große Kirchenfenster zu, es knallte, die Scheibe klirrte und Jonny lachte umso lauter: „VERDAMMTE HURENBÖCKE, DAS HABT IHR DAVON, DASS IHR EINEM WAHREN GUTEN GOTT NIE TREU WART!“ Wahnsinnig lachend rannte er auf die Kirche los, sprang durch das zerbrochene Fenster hinein und war im Innern.
Über eine halbe Stunde lang wütete er noch in der Kirche, bis er von dem Förster und dem Pfarrer herausgezerrt wurde. Die Polizei war auch vor Ort, Jonnys erste Schlagzeile im Morgenblatt, seine erste Straftat. Eine Woche Jugendarrestzelle, Sozialstunden und Klassenkonferenzen und vor allem: keine Spur von Besserung! Ihm schien das alles unglaublich am Arsch vorbeizugehen. Und nicht nur das, wie alles, fand er es witzig.
„Sie wollten mich zu Sozialarbeitsstunden verhauen, aber ich sagte denen, das können die vergessen, nicht für die Kirche, nicht für diesen Pfarrer und garantiert nicht für diesen Gott“, sagte er mit Verachtung in der Stimme, als wir vor dem Schulgebäude standen. „Verdammte Hurenböcke“. Wir gingen die Straße in Richtung Bahnhof hoch. Wir wollten ihn noch ein Stück begleiten. Immerhin hatten wir ihn drei Wochen lang nicht gesehen. Vor dem Bahnhof hielt er ruckartig inne, wiedermal fuhr ein Zug ab. Er sah ihm hinterher. „Frei“, flüsterte er so leise, dass wir es kaum hörten. „Frei müsste man sein, endlich weg hier. Mann, ich würde so gerne gehen. Versteht ihr? Einfach weggehen. Ganz stumpf den Rucksack schnallen und los, einfach loslaufen, auf in die Welt. Man weiß nich was kommt, aber man weiß, man tut, was man für richtig hält.“
Als ich ihn da so sah, von seiner Sache absolut überzeugt, wusste ich: Diesem Jungen will ich überall hin folgen. Er soll mich bis zum Ende führen, denn seine Ideale sind meine und er denkt wie ich. Wie ein Bruder und noch mehr für mich.
Einer meiner Freunde wurde als Strafmaßnahme an eine andere Schule versetzt. Ausgerechnet Dean, mit dem ich mich doch von allen in den Pausen am besten verstand. Der einem immer zuhörte und jedem das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. Auf ihm konnte man immer rumhacken, er war immer cool drauf und verzieh einem jeden Scherz, war er auch noch so geschmacklos. Als wir uns heute Abend alle trafen, kam er nicht. Er war bestimmt todtraurig. Einer von Jonny's besten Freunden und Bewunderern. Ich haute heute Abend auch früh ab, ich war müde und nach feiern war mir nicht zumute, wo doch einer meiner besten Kumpel nicht länger in meine Parallelklasse gehen würde und wir ihn nicht mehr andauernd sehen könnten.
Also lag ich bei mir Zuhause auf dem Bett, während unsere Gang gerade ein Wetttrinken veranstaltete. Ich dachte nach, tief in mich gekehrt ließ ich den heutigen Tag Revue passieren. Alle Geschehnisse spielten sich wie ein Film nochmal in meinem Kopf ab. Das pflege ich immer so zu tun, bevor ich dann zum Stift greife und alles niederschreibe. Das Schreiben hielt mich glücklich. Es hielt mich bei Laune. Da hörte ich von draußen: „Wadde Krisi, ich hol ihn eben raus und dann geht's los.“ Das war unverkennbar Jonny's Stimme und die siebzehn- oder achtzehnjährige Kristen antwortete: „Ok, aber beeil dich.“ „Jaja, is ja gut“, war die Antwort. Ich hörte es klingeln, meine Eltern öffneten. „Heey, is er da?“, hörte ich Jonny. Dann wurde eine Tür geschlossen und ich verstand die Stimmen nicht mehr laut genug, um das Gesagte zu hören. Ich war gerade etwas langsam und wartete einfach erst mal auf meinem Stuhl.
Nach einigen Minuten klopfte es an meiner Zimmertür und Jonny donnerte hinein, „Na Kleiner, Zeit zu gehen, was!?“ Er hielt meine Jacke in der Hand und warf sie mir zu. „W-wie hast du meine Eltern …“ „Ich habe ihnen gesagt, sie werden dringend bei der Schule verlangt, Unfall und so und müssten sofort los, doch die Lüge wird gleich platzen, dein Alter ruft grade bei der Schule an, er scheint mir irgendwie nich so zu vertrauen, komisch versteh ich gar nicht“, gluckste er. „Also, jedenfalls, wir müssen durch die Hintertür raus, es gibt doch eine, oder?“ Er sprach so beiläufig mit mir, als spräche er gerade über nichts weiter als das Wetter. Ich nickte. „Also beeil dich, hol alles, was du unbedingt brauchst, zusammen und komm her.“ Ich war überrumpelt, ich sah ihn, wie er da stand und wohl anscheinend nicht einen Moment an meiner Entschlossenheit zweifelte. Doch ich ich zweifelte, ich wollte den Mund aufmachen und etwas sagen, doch ich wusste genau, wenn er mir etwas anmerken würde, würde er mich nicht mehr mitnehmen. Jetzt war die Frage, was ich wirklich wollte. Ob ich Stunden Zeit hätte oder nur wenige Sekunden wie jetzt, um eine Entscheidung zu treffen, so dachte ich mir, es wäre gleich, denn man denkt doch sowieso immer dasselbe nur noch komplexer und verstrickter, also entschied ich mich, noch oft, so wusste ich, würde ich mich fragen, war dies richtig?
„Komm“, setzte er nochmal nach. Ein leicht misstrauischer, fragender Blick trat in seine Augen. „Oder stimmt was nicht?“ Ich verneinte ganz baff, nahm den Rest meines wenigen Ersparten, eine dicke Jacke und eine zweite Hose, zwei Shirts und ein Hemd. Auf dem Weg nach unten lief ich am Bad vorbei und nahm meine Zahnbürste mit. Irgendwie kam mir alles so surreal vor, fast schon als wäre das Bild vor meinen Augen verschwommen, jeder Handgriff war wie im Traum, geschah das hier grade echt? „Los, los, komm jetzt, keine Zeit mehr zu verlieren“, sagte Jonny. Wir liefen die Treppe hinunter, als die Tür zum Flur aufgerissen wurde. Mein Vater ging wutentbrannt auf uns zu: „Sohn, komm her“, rief er noch. „Oh Kacke“, meinte Jonny, drehte sich auf dem Absatz um und rannte, mich mit sich ziehend, zurück in mein Zimmer. „Komm wir müssen aus dem Fenster springen bevor der Alte unseren Skalp ins Wohnzimmer nageln kann, ahu, ahu“, lachte er, als er die Tür mit meinem Schreibtischstuhl verkeilte und den Tisch davor wuchtete. „Mach die Tür auf“, schrie mein Vater von außen und trommelte mit den Fäusten gegen das dünne Glas. Seine Stimme klang außer sich vor Zorn und Jonny lachte nur. Dann wurde er immer wütender, noch während wir das Fenster öffneten, rammte er mit geballter Kraft und einem lauten Schrei auf den Lippen gegen das Glas, das sofort brach, er räumte Tisch und Stuhl aus dem Weg, ich saß währenddessen nur auf dem Fenstersims und beobachtete seine so ungekannten brutalen Handlungen. Ich sah ihn und ich kannte ihn, aber er verhielt sich, wie ich es noch nie sah. „Bist du Irre spring“, schrie Jonny und gab mir einen leichten Schubser, ich konnte meinen Sturz kontrollieren und landete auf dem Busch unterhalb meines Fensters.
Jonny wollte mir nachsetzen, mein Vater hielt ihn fest, Jonny stieß ihn weg. Mein Vater schrie laut und schrill, wie im Wahn: „NEEEEIN, DU NIMMST MIR MEINEN SOHN NICHT WEG!“, als er ihm nachsetze. Jonny sprang, doch mein Vater hielt ihn an seiner Jacke fest. Durch sein Gewicht riss der Ärmel der Jacke ab. Jonny landete im Rasen, rappelte sich auf, wir rannten auf das Auto zu, schlugen die Türen zu, starteten und fuhren los. Ich konnte meinen Vater noch meinen Namen schreien hören und – vielleicht habe ich es mir nur eingebildet – ein Schluchzen meiner Mutter.
Da fuhren wir dahin, die kleinen Straßen unserer Stadt. „Auf Nimmerwiedersehen“, sagte Jonny. „Wisst ihr eigentlich, wem dieses schmucke Auto gehört?“, fragte er. „Unserem lieben Pfarrer“, beantwortete er selbst. „Wo fährst du eigentlich lang?“, fragte Kristen. „Muss noch was erledigen“, meinte er. Sie verdrehte die Augen. Kurz vor der Kirche, die jetzt in den Nächten häufig abwechselnd von dem Pfarrer, dem Förster und einigen der Lehrer bewacht wurde, sagte er „Ah, unser lieber Pfarrer hat heute mal wieder Aufsicht.“ Er grinste hämisch. Ich merkte es schon, heute konnte ihn wohl nichts bremsen. Ich war im Moment noch zu sehr mit den Gedanken bei meinen Eltern, doch das sollte schnell vergehen. Jonny trat auf's Gas und machte das Fernlicht an, der Pfarrer wurde geblendet und wich dem heranfahrenden Auto aus. Er fuhr direkt auf die Kirchentür zu, Kristen und ich schrien, Jonny lachte, er fuhr direkt durch die Tür der Kirche, Holz splitterte, sein lautes Gelächter ertönte. „Ich glaube mein Führerschein is grade abgelaufen … och unser Markie wacht auch langsam wieder auf.“
Erst jetzt fiel mir auf, dass Mark auf dem Rücksitz neben Kristen lag, seinen Kopf in ihrem Schoß, er schlief tief und fest, bis jetzt. „Wa-was, was is'n nu?“ „Hihi, gute Methode, um geweckt zu werden“, meinte Jonny. „Bist du komplett bescheuert, du Spasti?“, schrie Kristen. „Hehe, ja“, war Jonnys Antwort. „Wartet kurz“, sagte er. „Bin gleich zurück.“ Er ging um das Auto herum, nachdem er sich aus dem Spalt zwischen Tür und Kirchenmauer gedrängt hatte, öffnete dann den Kofferraum und holte eine Flache Hochprozentigen und eine Axt heraus, stieg über das Autodach und ging dann gemächlich in die Kirche. Er nickte mir noch zu und machte eine theatralische, einladende Geste. Ich stieg aus. Letztes Mal war ich nicht dabei, heute komme ich mit. Da stand er und lachte, nahm tiefe Schlücke aus der Flasche und lachte einfach nur. Mit seiner linken Hand hielt er die Axt und zerschmetterte alles, was ihr nachgab. Stühle, das Podium, Bänke und Tische splitterten und zerbrachen unter der Wucht, dann schmiss er die Flasche auf den Boden, die zerbrach, und drehte sich um, ging auf den großen Jesus zu und köpfte ihn mit einem Hieb. Dessen Haupt rollte mir vor die Füße und sah mich klagend an. Jonny stieg über die zerbrochene Flasche und die Alkoholpfütze, die sich verteilte, nahm sein Feuerzeug und warf es über die Schulter. Die Pfütze entzündete sich sofort und steckte direkt den Teppich mit in Brand, woraufhin das Inferno seinen Lauf nahm. Und ich sah zu! Er ging mit langsamen Schritten an mir vorbei. „Zeit zu gehen, mein Junge.“ Ich sah auf den Schädel mit der Dornenkrone. Jonny folgte meinem Blick. „Was is?“, fragte er behutsam. „Ich nehme ihn mit“, sagte ich langsam. Dafür wurde Jesus also ans Kreuz genagelt, um sein Andenken geköpft verbrennen zu lassen. Ich dachte mir, nein, da sollte Jesus nicht liegen.
Noch als wir Kilometer von der Stadt entfernt waren, sahen wir das Feuer. Jonny hielt auf einer Anhöhe einen Moment an. Es war ein beeindruckendes Schauspiel. Das Inferno stach in die Nacht. Und mir war nun klar, was das war. Es war ein Symbol! Ein Symbol der Freiheit. Welch eine Ironie, Freiheit und Jesus Kopf in meinem Schoß. Er lächelte mich ganz ausgelassen an (nachdem wir ihn mit schwarzem Filzstift verziert hatten) und ich ließ ein bisschen Humor zu und dachte, der fand's bestimmt auch nicht so toll, Tag für Tag da rumzuhängen. Dies sollte der Tag sein, an dem wir aufbrachen, eine Reise ins Unbekannte. Wir waren alle ungläubig, zumindest gegenüber der Kirche, wir haben ein Exempel statuiert. Das besagt: Wir sind nicht dumm! Wir sind alle gleich! Und wir wollen unser eigenes Leben leben. Wir haben alle das gleiche Recht!
Wir fuhren immer weiter, es vergingen an die fünf Stunden. Es war bereits Dunkel, als Jonny anhielt und sagte: „Hier bleiben wir über Nacht.“ Wir waren auf einer Torfstraße irgendwo auf dem Land, weit abseits von der Stadt. „Hier werden sie uns nicht finden“, sagte ich. „Eben“, bestätigte Jonny das Gesagte unter seiner Mütze hervor, die tief ins Gesicht gezogen war. „Nun denn Leute: endlich frei!“ Ich kuschelte mich unter meine Jacke zusammen, die zum Glück groß und wärmend war. Irgendwie fühlte ich mich hier ein bisschen sicher, ein bisschen beschützt vor all dem, was uns erwartet, was kommen wird. Da waren wir also. Endlich frei! Ist das wahr, sind wir frei? Wir haben ein Auto geklaut und die Meute ist vielleicht schon hinter uns,
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