Wie bastel ich mir einen Zombie - Frank Swain - E-Book

Wie bastel ich mir einen Zombie E-Book

Frank Swain

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Beschreibung

Seit tausenden von Jahren versuchen wir Mittel und Wege zu finden, Körper und Geist unserer Mitmenschen zu beeinflussen und zu kontrollieren. Von giftigem Honig, der ganze Armeen niederstrecken kann bis zu den Voodoo-Zaubern auf Haiti – Frank Swain erzählt ebenso fundiert wie mitreißend wahre Geschichten aus der Wissenschaft. Von Hundeköpfen, die ohne ihre Körper zum Leben erweckt werden, von Geheimgesellschaften, die tief in die Psyche des Menschen vordringen, mit dem Wunsch, den Tod zu überlisten. Und von Parasiten, die ihren Wirt so beeinflussen können, dass er zu Suizid oder zur Geschlechtsumwandlung getrieben werden kann.

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Seitenzahl: 326

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Zum Buch

Seit Tausenden von Jahren versuchen wir Mittel und Wege zu finden, Körper und Geist unserer Mitmenschen zu beeinflussen und zu kontrollieren. Von giftigem Honig, der ganze Armeen niederstrecken kann, bis zu den Voodoo-Zaubern auf Haiti – Frank Swain erzählt ebenso fundiert wie mitreißend wahre Geschichten aus der Wissenschaft. Von Hundeköpfen, die ohne ihre Körper zum Leben erweckt werden, von Geheimgesellschaften, die tief in die Psyche des Menschen vordringen, mit dem Wunsch, den Tod zu überlisten. Und von Parasiten, die ihren Wirt so beeinflussen können, dass er zu Suizid oder zur Geschlechtsumwandlung getrieben werden kann.

Zum Autor

FRANK SWAIN widmet sich – unter anderem auf seinen Blogs – den seltsamen und wundervollen Bereichen der Wissenschaft. Als Wissenschaftsredakteur beschäftigt er sich damit, wie unsere Innovationen die Zukunft und nicht zuletzt auch uns selbst formen. Er schreibt unter anderem für New Scientist, Arc, Slate, Stylist, Wired, The Guardian, Eureka. Frank Swain lebt in London, dies ist sein erstes Buch.

Frank Swain

Schaurig-schöne Geschichten aus der Wissenschaft

Aus dem Englischen von Astrid Mania

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die englische Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel »How to Make a Zombie – The Real Life (and Death) Science of Reanimation and Mind Control« bei Oneworld Publications, London.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung Juni 2017

Copyright © Frank Swain 2013

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by btb Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Covermotiv: © Shutterstock/Hari Syahputra

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

AH · Herstellung: sc

ISBN 978-3-641-17029-5V001www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

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Für Mum und DadDenen ich alles verdanke

Bildnachweise

Prolog/Epilog:

Zombiehand © iStockphoto

Kapitel 1:

»Haitian voodoo ritual« photo by Jerry Cooke © Time & Life Pictures/Getty Images

Kapitel 2:

»Doctors Transferring Blood« © Bettmann/Corbis/Getty Images

Kapitel 3:

»Woman leaning over laboratory table« by George Skadding © Time & Life Pictures/Getty Images

Kapitel 4:

»Electrodes are implanted in the brain of a schizophrenic« by John Loengard © Time & Life Pictures/Getty Images

Kapitel 5:

»Scientist Theodore Tahmisian observing a grasshopper colony« by Al Fenn © Time & Life Pictures/Getty Images

Kapitel 6:

»Rabies sign, England, 1989« © Science & Society Picture Library via Getty Images

Kapitel 7:

»Medicine eye« by Tony Linck © Time & Life Pictures/Getty Images

Inhaltsverzeichnis

Prolog: Rezept für einen Zombie

1 Tote bei der Feldarbeit

Fleischliche Gelüste

Der Sargnagel

Der Professor und der Bogeyman

Der große Schlaf

Wenn alles auf tot umschaltet

2 Eine Zeit Der Auferstehung

Rückkehr aus dem Tod

Der Funke des Lebens

Die toten Russen kommen

Die Wiederkunft des Lazarus

Die heilenden Fäuste des Dr. Ivie

Reisen in das Totenreich

Leichenblau

3 K.-O.-Tropfen & Co.

Zerfressene Gehirne

Agenten im Drogenrausch

Rekrut mit Leib und Seele

Brandstifter

Die Macht des Geistes

4 Fern-Steuerung

Das Gehirn ist schuld

Schnitt auf die Nervenheilanstalt

Eingriff in die Seele

Der Freudenspender

Auf dem Weg zu einer psychozivilisierten Gesellschaft

5 Die Grusel-Nanny

Lebende Speisekammern

An den Fäden des Parasiten

Kluge Kappen

Gordische Knoten

Unser Körper, ein Schlachtfeld

6 Die Armee der Blutsauger

Mit einem Kuss besiegelt

In eer Kalmenzone steht die Luft

Von Wut befallen

Ein fatales Katz- und Mausspiel

Auf Töten programmiert

7 Die Menschliche Ernte

Dein Zombie, der nützliche Idiot

Kaltblütig

Schlächter, Fälscher, Silikon-Panscher

Salatköpfe und Artischockenherzen

Happy Endings

Ein Totenmahl

Epilog: Hier Und Heute

Danksagung

Bibliographie

PrologREZEPT FÜR EINEN ZOMBIE

ZOMBIES SIEHT MAN JEDEN TAG; sie sind mitten unter uns.

Sie humpeln auf staksigen Beinen über die Leinwand, auf der Jagd nach, wem auch sonst?, dem blonden Mädchen. Dann, ein Schuss. Im letzten Augenblick, kurz vor ihrer Haustür, der erlösende Platzregen aus gammeligem Menschenfleisch. Auch aus den Regalen mit den Comicbüchern greifen die papiernen Hände schorfig-steif nach uns. Nachts, auf unserem Heimweg, eine Ahnung von Gestalten, wie sie, betrunken, verwirrt, verirrt, durch die Schatten taumeln. Sie blicken uns im Bus entgegen, die Miene leer, der Wille aufgezehrt vom Schaben und Nagen der Parasiten, die sich beharrlich durch den Schädel fressen. Und im Urlaub? Wenn Sie mit Ihren neuen Flipflops aus dem Duty-free-Shop über weichen Tropensand hinweglatschen, fällt da Ihr Blick auf all die stillen Gräber, in denen junge Wespen sprungbereit am Herzen ihrer komatösen Beute lauern?

Wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass Sie wissen, wie ein Zombie aussieht?

Ja, das glauben Sie auch nur! Natürlich kennen Sie die Zombies aus dem Film, die Erscheinung haben Sie sich eingeprägt. Vielleicht haben Sie sogar, denn am besten fängt man wohl am Anfang an, den Klassiker schlechthin als DVD geliehen, White Zombie aus dem Jahre 1932, der als die Wiege unserer Untoten und ihrer kinematografischen Abenteuer gilt. Dann haben Sie ja mitverfolgt, wie die arme Madeleine Short scheinbar am Gift des Unholds Murder Legendre zugrunde geht und als dessen willige Sklavin in ihrem Grab erwacht. Nach nicht einer Stunde Spielzeit bricht der Bann, und Madeleine macht an keiner Stelle mehr den Eindruck, sie wäre fremdgesteuert oder nicht quicklebendig. Der Titel White Zombie spielt allerdings nicht auf Madeleines Dasein zwischen Tod und Auferweckung an, sondern auf ihre geistige Verfassung. Ihr Tod ist eine Irreführung, mit der Legendre sich bequem des gehörnten Ehemannes entledigt. Die wahre Heimtücke liegt anderswo. Sie besteht darin, dass Legendre sein Opfer zu Willfährigkeit und Hörigkeit verdammt.

Aber vielleicht mögen Sie’s ja lieber etwas deftiger. Denn mit dem Typus Hexer-Zombie war es bald vorbei. 1968 nämlich trat der Regisseur George A. Romero auf den Plan. Als Erstes fledderte er ein Buch, namentlich Richard Mathesons apokalyptisches Epos Ich bin Legende, machte aus Vampiren hungrige Ghule und verlegte die Handlung vor die Auslöschung der Menschheit. Ursprünglich sollte sein Machwerk auch Night of the Flesh Eaters (Die Nacht der Körper-Fresser) heißen, doch das war dem Verleih, Walter Reade, noch nicht prägnant genug, und darum schreibt sich nun Die Nacht der lebenden Toten über die ersten Filmbilder, womit der Zombie auch gleich eine neue Physiologie und Epidemiologie erhalten hat. Wenn man so will, sind Romeros Zombies die Verkehrung des Produkts Legendre’scher Magie: Zwar haben Romeros lebende Tote nur einen schwachen Willen, doch sie stehen unter keinerlei Kontrolle. Allerdings haben sie einen grässlichen Appetit auf Menschenfleisch, und die Gesetze der Biologie brechen sie noch obendrein – Romeros schwankende Gestalten hängen zwischen Tod und Leben fest.

In diesem Buch aber soll es nicht um den Zombie aus Literatur und Film gehen. In diesem Buch wird es um den Zombie gehen, der Papier oder Leinwand verlassen und es in unsere, in die reale Welt geschafft hat. Wie gelingt dem Zombie dieser Sprung? Umgekehrt: Könnten wir es schaffen, uns eines anderen zu bemächtigen und ihn zwingen, all unsere Befehle zu befolgen? Und schließlich: Gäbe es für uns eine Möglichkeit zu sterben und zurückzukehren?

Der Tod gilt als das Ende, als unumstößliches Naturgesetz. Schließlich trennt uns von den Göttern, dass unser Dasein auf Erden begrenzt ist und das ihre nicht – aus diesem Grund heißen wir ja »Sterbliche«. Keine Epoche und keine Kultur, in der es nicht mahnende Geschichten über jene gäbe, die versucht haben, sich hierüber hinwegzusetzen. Selbst Orpheus musste nach seinem Abstieg in die Unterwelt, wo er seine Frau zu sich zurückzuholen hoffte, voller Schrecken zusehen, wie sie ihm kurz vor seinem Ziel erneut entrissen wurde. Oder denken wir an Mary Shelleys berühmt-berüchtigten Frankenstein, eine einzige Warnung vor der Hybris, jene geheiligten Gesetze auf dem wundersamen Wege der modernen Technik zu übertreten. Offenbar gedeiht in unserer Vorstellungskraft der Wunsch nach einer Kontrolle über Geist und Körper, doch die Mauern welchen Tabus wurden nicht bestürmt?

In Wie bastel ich mir einen Zombie erwartet Sie eine Fülle wahrer Begebenheiten, die Ihnen den Schlaf rauben werden. Unsere Reise – wenn Sie denn bereit sind, diese mit mir anzutreten – beginnt in der Karibik, in der moderigen Hitze der Zuckerrohrplantagen, unter Hexendoktoren, die Schädel zu Gift zermahlen, und unter düsteren Dämonen, die sich Kinder greifen, die bei Dunkelheit noch nicht zu Hause sind. Sie alle haben unsere Vorstellung einer Seele, die auch ohne Körper bis in alle Ewigkeit lebt, zunichtegemacht und stattdessen ein Monster erschaffen, dessen lebendiges Fleisch eben keine Seele kennt.

Wir werden verfolgen, wie so manche Geheimgesellschaft tief in des Menschen Psyche vordringt und an unsere elementaren Triebkräfte rührt: an den Wunsch, den Tod zu überlisten, und die Angst, das Menschliche in uns zu verlieren. Wir fliegen nach Moskau mit seinen bitterkalten schneebedeckten Straßen und machen einen Abstecher nach London, wo Nekromanten im flackernden Gaslicht eines Operationssaals Maschinerien entwickeln, um den Toten Leben einzuhauchen. Sie stehen in enger Konkurrenz zu US-amerikanischen Forschern, die mittels ihrer Unsterblichkeitstechnologie eine neue Herrenrasse zu erschaffen hoffen. Unterdessen wagt am Ufer eines stillen Schweizer Alpensees ein Arzt vorsichtige Schnitte in das Hirn seiner leidenden Patienten, während seine Kollegen auf der anderen Seite der Welt die seelischen Wunden mit spindeldürrem Draht und Elektrizität zu vernähen suchen. In Kolumbiens Urwäldern rupfen derweil ruchlose Gangster Blätter von den borrachero-Bäumen, um ihren nächsten unbemerkten Raubzug anzugehen. Sie alle wollen sich des Gehirns eines anderen bemächtigen – manche wollen Heilung, andere Kontrolle.

Als Nächstes nehmen wir den Schwarzmarkt ins Visier und folgen seinen Pfaden von Osteuropa nach Südkorea. Dort nimmt ein Fließband seinen Ausgang, das sich um die ganze Welt spannt, auf dem die Toten auseinandermontiert, ihnen Ersatzteile für die Lebenden entnommen werden. Und an jedem Ort auf dieser Welt, zu Luft und in der Erde, liegen sie schon auf der Lauer, die Heerscharen unsichtbarer Attentäter – Käfer, Würmer, Pilze, die sich in das Fleisch ihrer ahnungslosen Opfer bohren und aus ihren neuen Wohnstätten heraus die ungeheuerlichsten Befehle flüstern.

Im Verlaufe dieser Reise werden wir erörtern, was es heißt zu leben, Mensch zu sein, über das eigene Schicksal zu bestimmen. Der wahre Zombie hat uns hierzu viel zu sagen. Und Sie werden in diesem Buch Waffe und Rüstung gegen jene finden, die womöglich eines Tages Sie zum Zombie machen wollen.

1TOTE BEI DER FELDARBEIT

Niemand wagte es, sie anzuhalten,denn es waren Leichen, die da im hellen Sonnenlicht die Straßen entlang schritten.

William Seabrook, Geheimnisvolles Haiti (1929)

NA GUT. SIE MEINEN DAS mit dem Zombie also ernst? Dann sollten wir am besten ganz von vorn beginnen. Es ist noch gar nicht lange her, dass der Zombie in das Bewusstsein dieser Welt gehumpelt ist. Das geschah erst im Jahre 1887, als Lafcadio Hearn, Korrespondent für das Harper’s Magazine, zu einer langen Reise aufbrach. Er wollte Gerüchten auf den Grund gehen, wonach die Inseln der Karibik von lebenden Toten heimgesucht würden.

Hearn war alles andere als ein Schmierenjournalist. Nachdem er zehn Jahre lang aus New Orleans über die Menschen und die besondere Kultur der Stadt berichtet hatte, galt er als verdienter, respektierter Autor. Er hatte auch wenig Scheu, sich in seinen Leitartikeln ziemlich deutlich zu Verbrechen, Korruption und Politik zu äußern. Aber er hatte auch eine Schwäche für das Bildhafte, fand Gefallen am Exotischen und an Folklore – ein Hobby-Anthropologe, wenn man ihn so nennen will, sicher aber ein großer Romantiker. Ihm erschien sogar die Dunkelheit belebt, auf jenem sonderbaren Terrain, das er auf den fernen Inseln vorfand:

»In allen Ländern bringt die Nacht gewisse Unklarheiten und Illusionen hervor, die manche Fantasien zu erschrecken vermögen; in den Tropen aber produziert sie ganz besonders eindrückliche und auch ganz besonders dunkle Effekte. Pflanzliche Gestalten, die selbst dann erstaunen, wenn sie von der Sonne beschienen werden, nehmen nach deren Untergang etwas Grauenhaftes – Groteskes –, etwas Vieldeutiges an, für das es keinen Namen gibt … Im Norden ist ein Baum einfach ein Baum; hier hingegen hat er spürbar Persönlichkeit, eine vage Physiognomie, ein undeutliches Ich. Wenn sich der Mond erhebt, steigen fantastische Dunkelheiten aus den hohen Wäldern in die Straße hinab – schwarze Verrenkungen, Zerrbilder, ungute Träume –, eine endlose Folge von Kobolden. Weniger erschreckend sind die Schatten, wie sie all die Palmen werfen, da man sie sogleich erkennt; und doch nehmen sie Ähnlichkeit mit gewaltigen Fingern an, die sich spreizen und schließen über allen Wegen, ebenso mit dem schwarzen Krabbeln unsagbarer Spinnen …«

Die Bewohner jedoch fürchteten weniger das erklärliche Dunkel der Nacht – was sie ängstigte und schreckte, so Hearn, entsprang dem unerklärlichen Dunkel der Hexerei.

Hearn zog es in die Berge Martiniques, wo er sich im Cottage einer älteren Dame einmietete und deren Sohn Yébé als seinen Führer anheuerte. Eines Tages kam ihm dort zu Ohren, dass sich Adou, die Tochter des Hauses, geweigert hätte, eine Abkürzung über den Friedhof zu nehmen: Die Toten hätten sie auf dem Friedhof festgehalten. Hearn wurde hellhörig. Waren diese Toten womöglich die Zombies, die er aufzuspüren hoffte? Nein, erwiderte Adou, die moun-mo konnten den Friedhof nicht verlassen, mit Ausnahme der Nacht von Allerseelen, dann nämlich reisten sie heim. Ein Zombie hingegen konnte an jedem Ort und zu jeder Zeit erscheinen. Adous sonst so heitere Miene verfinsterte sich. Sie habe noch keinen Zombie gesehen, raunte sie ihrem Gast zu, und das wolle sie auch nicht. Auf die Bitte hin, ihm einen solchen zu beschreiben, war die ausweichende Erwiderung, dass ein Zombie bei Nacht ein heilloses Chaos anrichten würde, eine vier Meter große Frau sei, die im Schlafzimmer erscheinen, ein riesiger Hund, der sich ins Haus schleichen würde.

Adou sah ein, dass Hearn die Antwort nicht befriedigte, und rief nach ihrer Mutter, die im Freien auf einem Kohleofen das Essen zubereitete. Hearn stellte ihr dieselbe Frage: Was ist ein Zombie? Ein dreibeiniges Pferd, das auf dem Weg vorüberzieht, so die alte Frau. Wenn man in der Nacht auf der Hauptstraße unterwegs war und ein großes Feuer sah, das immer mehr entschwand, je näher man ihm kam: Das war das Werk der Zombies. Sie entfachten die mauvai difé – die bösen Feuer –, und arglose Reisende, die ihnen folgten und sie für die Lichter eines nahen Dorfes hielten, stürzten daraufhin in tödliche Tiefen. Selbst mitten am Tage konnten jene, die auf verlassenen Wegen wanderten, einem Zombie von Angesicht zu Angesicht begegnen.

Daraufhin berichtete Adou die Geschichte von Baidaux, einem Mann von harmlosem und schlichtem Gemüt. Baidaux, so erzählte sie, lebte bei seiner Schwester in St. Pierre. Eines Tages habe Baidaux aus heiterem Himmel gesagt: »Ich habe ein Kind, ach, das hast du noch nie gesehen!« Die Schwester schenkte dieser unsinnigen Bemerkung keine Beachtung, doch Baidaux ließ nicht locker. Tag für Tag, über Monate, Jahre hinweg, gab er diesen einen Satz von sich, obwohl seine Schwester ihn zum Schweigen drängte. Dann, eines Abends, verließ Baidaux das Haus und kehrte erst um Mitternacht zurück, mit einem schwarzen Jungen an der Hand. »Ich habe es dir jeden Tag gesagt, dass ich ein Kind habe«, so Baidaux zu seiner Schwester. »Also nun, sieh selbst!« Und als die Schwester auf das Kind blickte, wuchs es vor ihren Augen in die Höhe. Sie riss die Fensterläden auf und rief die Nachbarn zu Hilfe. Das riesenhafte Kind aber wandte sich an Baidaux: »Du hast Glück, dass du verrückt bist!« Als die Nachbarn herbeieilten, war dort niemand mehr; der Zombie war verschwunden. Dies, darauf beharrte Adou gegenüber Hearn, war die absolute Wahrheit – »Çe zhistouè veritabe!« Und obwohl Hearn von den Inselbewohnern viele solcher Geschichten hörte, hat er nicht einen Zombie mit eigenen Augen gesehen.1

Zu Hearns Zeiten galt New Orleans als das »Tor in die Tropen«, und je weiter man in die Karibik vordrang, umso stärker wurde das Gefühl des »Andersartigen« empfunden. Vor allem Haiti übte eine beängstigende und berauschende Macht über das weiße Amerika aus, vor dessen Haustür somit ein Teil des Alten Afrika lag, ein Land, das Bilder von Gewalt, Hexerei und Mystischem heraufbeschwor. Haiti war eine entschieden unabhängige Nation, seit sich die versklavte Einwohnerschaft im Jahre 1804 erhoben, die französischen Herren gestürzt und auch mehrere nachfolgende Versuche einer Kolonisation abgewehrt hatte. 1915 aber wurde die Unabhängigkeit des Landes massiv eingeschränkt. Es war zu einer Phase der Unruhen gekommen, und US-amerikanische Geschäftsinteressen – besonders die der Haitian American Sugar Company (Hasco, Haitisch-Amerikanische Zuckerfabriken) – sahen sich bedroht. Um das Schreckensszenario einer antiamerikanischen Regierung abzuwenden, fielen die USA kurzerhand in Haiti ein und besetzten den Staat bis 1934, was bleibende Folgen für Land und Leute hatte.

In kultureller Hinsicht war selbst der mächtigsten unter den westlichen Kolonialmächten, dem Christentum, auf Haiti nur mäßiger Erfolg beschieden. Zwar war die katholische Kirche als Staatsreligion in die Verfassung von 1804 aufgenommen worden, doch nichts konnte die Würze und Schärfe der einheimischen Taínos und der aus Afrika importierten Götter dämpfen, mochten eifrige Missionare auch noch so viel Milch in die kulturelle Mélange des Landes gießen. Vor allem aber war in der Zeit vor der Revolte eine neue Religion aufgekommen: der Vodou.2 Der haitianische Vodou ist ein Mix verschiedener spiritueller Riten und Traditionen, wie auch die Bevölkerung ein Mix aus den indigen Taínos, den Sklaven, die zu Millionen von Afrika her ins Land verbracht wurden, und ihren europäischen Kolonialherren und Freiheitsräubern ist. Der Vodou pfropfte dem ursprünglichen Glauben der Taínos die spirituellen Konzepte der Fon und Ewe aus Westafrika und Elemente aus römisch-katholischer Frömmigkeit auf. Doch er ist eben auch ein komplexes System aus Narrationen, Gottheiten und Praktiken, die von Dorf zu Dorf variieren, und damit mehr als reine Religion. Entsprechend heißt es auch, Haiti sei »zu achtzig Prozent katholisch, zu hundert Prozent Vodou«.

Der Lehre des Vodou zufolge setzt sich der Mensch aus verschiedenen Teilen zusammen, ist er ein Amalgam unterschiedlicher Substanzen, so komplex wie die Religion selbst. Über allem steht der z’etoile oder Leitstern, der himmlische Körper, der das Geschick eines Menschen lenkt. Der corps cadavre ist wortwörtlich der physische Leib, der nanm der Geist dieses lebendigen Fleisches, die vitalistische Energie, die Zerfall und Zersetzung entgegenarbeitet, wie sie bei toter Materie nun einmal leider auftreten. Auch die Seele wird als aus mehreren Teilen bestehend gedacht. Es gibt den gwo-bon anj (den Großen Guten Engel), das belebende Prinzip des Menschen, der Wille, der unsere Handlungen motiviert, sowie den ti-bon anj (den Kleinen Guten Engel), der unsere Erinnerungen und unser Bewusstsein verkörpert. Einem bokor, oder Hexer, mag es gelingen, den ti-bon anj zu fassen, bevor er sich kurz nach Eintritt des Todes allzu weit vom Leib entfernt, oder ihn einer Person mittels Zauberkraft zu entziehen, wobei er das Opfer scheinbar tötet. Der ti-bon anj wird in einem tönernen Gefäß gefangen, das zum zombie astral wird, während der Körper, die Hülle – ein physisch Seiendes, das zwar lebendig ist, jedoch keinen eigenen Willen mehr besitzt – zum zombie cadavre wird.

Es wundert nicht, dass Hearn einige Mühe hatte, sich etwas Konkretes unter einem Zombie vorzustellen.

FLEISCHLICHE GELÜSTE

Hearn ist es also trotz gezielten Globetrottens nie gelungen, einem echten Zombie zu begegnen. Diese Ehre kam stattdessen William Seabrook zu, schillernde Persönlichkeit, Entdecker, Autor und Angehöriger der »Lost Generation«, jener Gruppe US-amerikanischer Schriftsteller, die sich um die Zeit des Ersten Weltkriegs herum nach Paris flüchtete. Seabrook, »rüstig, rastlos, rothaarig«, galt als sehr besonderer Charakter, und seine erstaunlichen Erlebnisse fanden ihren Niederschlag in den erstaunlichen Geschichten, die er heimwärts Richtung Vanity Fair und Reader’s Digest kabelte. Sein Leben widmete er der Erkundung dessen, was ein Mensch seinem Körper abverlangen kann. Er war alkoholabhängig, verging sich an seinen Ehefrauen und hatte ohnehin ausgeprägt sadistische Neigungen. Angeblich reiste er nie ohne seinen getreuen Begleiter, einen Koffer voller Peitschen und Ketten.3 Zur etwa gleichen Zeit, als die USA in Haiti einfielen, meldete sich Seabrook zum Dienst bei der französischen Armee. Während der Schlacht um Verdun erlitt er eine schwere Gasvergiftung und wurde später für seinen heroischen Einsatz mit dem französischen Orden Croix de Guerre ausgezeichnet.

Wie Hearn zog es auch Seabrook zur Extravaganz, konkret zum Stamm der Guere nach Westafrika, der den Kannibalismus ausübte – angeblich, weil Seabrook ein Buch zum Thema plante. Offenbar aber gelang es dem Stammesführer nicht, Seabrook den Geschmack menschlichen Fleisches zu beschreiben, was diesen sehr verdross. Er weigerte sich schlicht, sein Buch ohne Kenntnis dieses wichtigen Details zu publizieren und bestach bei seiner Rückkehr nach Paris den Wächter einer Leichenhalle. Durch ihn besorgte er sich eine Kostprobe dieser so raren Speise, ging damit zu einem Freund und bat dessen Koch, aus dem sonderbaren Fleisch, angeblich eine seltene Wildart, allen ein Mahl zu bereiten. »Der Braten, aus dem ich ein mittleres Stück herausgeschnitten und verspeist habe, war zart«, schrieb Seabrook später, »und Farbe, Textur, Geruch wie auch Geschmack stärkten meine Gewissheit, dass von allen Fleischarten, die wir gewöhnlich kennen, Kalb dasjenige ist, mit dem dieses Fleisch vollkommen vergleichbar ist.«

Dann besuchte der berüchtigte englische »Priester« Aleister Crowley im Jahre 1919 Seabrook auf dessen Farm. Fortan sollten sich die Leidenschaften unseres Abenteurers auf das Okkulte verlegen. Crowley und Seabrook verbrachten eine Woche bei Getränk, Rauchwerk und allerlei Geschichten, besonders zum Sujet der Hexerei. Bei dieser Gelegenheit packte Seabrook ein unstillbarer Durst nach allem, was zum Bereich der dunklen Künste gehört, und seither bereiste er die Welt auf der Suche nach Belegen für derlei Zauberwerk. Der Zombie hatte es ihm ganz besonders angetan. In ihm sah Seabrook eine Kreatur, die – anders als etwa Vampire oder Werwölfe – in der westlichen Kultur keine Parallele kannte. »Der Zombie soll, wie es heißt, ein seelenloser menschlicher Leichnam sein, und obschon tot, hat man ihn doch aus dem Grabe geholt und mittels Hexerei mit einer mechanischen Lebensähnlichkeit ausgestattet«, schrieb er. »Es ist ein toter Körper, dazu gebracht, zu gehen, zu handeln und zu wandeln, als wäre er lebendig.« Seabrook konnte es kaum erwarten, einem leibhaftigen Zombie gegenüberzustehen.

Im Jahre 1928 machte er sich endlich nach Haiti auf. Dort wollte er Berichten über schwarze Magie nachgehen und ergründen, ob wahrhaftig die Toten auf Erden wandelten. Eines Abends, als der Vollmond aufging, sprachen Seabrook und sein Führer Constant Polynice auch über die Monster und Dämonen, die angeblich ihr Unwesen auf Haiti trieben. Polynice stammte zwar vom Land, war jedoch recht kultiviert, und obschon er mit den verschiedenen Ausprägungen des Aberglaubens vertraut war, hing er ihm nicht an: In seinen Augen waren die Geschichten über Monster und Dämonen schlicht – Geschichten. Als Seabrook seinen Führer aber fragte, was von den Erzählungen über lebende Tote zu halten sei, verfinsterte sich dessen Miene. Von Entsetzen gepackt, erwiderte der Haitianer: »Ich versichere Ihnen, das, wovon Sie nun sprechen, ist nicht Gegenstand des Aberglaubens. Leider, muss ich sagen, gibt es derlei Dinge – und andere üble Begebenheiten in Zusammenhang mit den Toten. Es gibt sie in einem Ausmaß, wie ihr Weißen es euch nicht erdenken könnt, obwohl die Beweise nicht zu übersehen sind.« Warum sonst, so Polynice, leisteten sich sogar die ärmsten unter den Bauern gemauerte Gräber als Behausung für die Toten, wenn nicht, um ihre geliebten Angehörigen vor solch einem grässlichen Schicksal zu bewahren? Er selbst hatte ein Familiengrab gleich an der geschäftigen Grand Source Road erbaut, denn sollte jemand versuchen, dort einzudringen, würden es Passanten sehen. Und trotzdem hatte Polynice nach dem Tod seines Bruders vier Nächte mit einem Gewehr gewacht, bis er sicher sein konnte, dass der Leichnam dem Zugriff der Hexer entzogen war.

Die Zombies in ihren Lumpen, so Polynice, wurden zur Arbeit auf den Plantagen gezwungen. Ihr Gang sei schlurfend, die Augen glasig, der Blick so leer, als wäre es Vieh. Die Zombies wüssten nicht einmal mehr um ihren Namen, geschweige ihre Existenz. Der entsetzliche Zauber, der über sie herrschte, konnte nur gebrochen werden, wenn man ihnen Salz oder Fleisch zu essen gab. Berührte eines von beiden ihre Lippen, verstanden sie, was sie geworden waren, flohen zu ihren Ruhestätten und krochen in ihre Gräber, wo sie ein zweites, endgültiges Mal den Tod fanden.

Polynice erzählte Seabrook daraufhin auch die legendäre Geschichte um Ti Joseph, der im Frühjahr 1918 mit einer Schar zerlumpter Arbeiter in den Büros der Hasco-Zuckerfabriken eingetroffen war. Der Sitz des Unternehmens lag in einem geschäftigen und lärmenden Industriekomplex am östlichen Stadtrand von Port-au-Prince, der von einer dunklen Rauchsäule beherrscht wurde. Die Zuckerraffinerie bezog ihren Rohstoff von mehreren Plantagen, die in jenem Jahr eine Rekordernte erbracht hatten. Das Management von Hasco hatte daraufhin jedem neuen Arbeiter einen Bonus versprochen, und so strömten von nah und fern die Männer und Frauen auf der Suche nach einem Lohn herbei, darunter auch Joseph mit seinem Gefolge.

Doch nun standen seine Männer katatonisch da, niemand reagierte auf die Frage nach dem Namen. Es seien schlichte Menschen aus der Bergregion von Morne-au-Diable, einem abgelegenen Teil der Insel, gab Joseph zur Erklärung, und die Fabrik mache ihnen Angst mit ihrem Lärm. Es sei am besten, wenn seine Männer tief im Innern der Plantage stationiert würden, fern von allem Getöse und den anderen Arbeitern. Joseph erhielt eine Lizenz als Aufseher und führte seine Leute in die Felder. Doch schon bald kursierte das Gerücht, nur aus Angst, dass irgendjemand einen verstorbenen Verwandten unter seinen Männern erkennen könne, würde er seine Truppe von den Übrigen trennen. Bei Tag schufteten die »Zombies« auf den Feldern, am Abend gab es einen schlichten Haferbrei, mayi moulin, ohne Salz und Fleisch – jene Zutaten, die den Zombie ja angeblich aus seinem Dämmerzustand wecken konnten. Jeden Samstag strich Joseph den Lohn für seine Truppe ein, und bei Hasco fragte niemand, wie er das Geld unter seinen Arbeitern aufteilte – und ob überhaupt.

Eines Tages aber ließ Joseph die Zombies in der Obhut seiner Ehefrau Croyance, weil er zum Fronleichnamsumzug in Port-au-Prince gehen wollte. Aus Langeweile, aber auch aus Mitleid mit den tumben Gestalten entschloss sich Croyance, sie nach Croix-des-Bouquets im äußeren Norden der Hauptstadt zu begleiten, sodass auch sie die Prozession verfolgen konnten. Sie band sich ein farbiges Tuch um den Kopf und begab sich, die Zombies im Gefolge, zum Fest. Die Straßen waren voller Menschen, überall gab es Tanz und Gaumenschmaus: Dörrfisch und Maniokbrot, Bananen und Orangen, Kekse, Kuchen, Rum. Zur Feier des Tages kaufte Croyance den Zombies einige tablettes pistaches (mit braunem Zucker kandierte Erdnüsse). Doch wie sollte sie ahnen, dass der Bäcker die Nüsse zuvor gesalzen hatte? Und so brach mit dem Verzehr des Salzes jener Bann, der die Zombies bislang gefesselt hatte. Im selben Moment noch wurde sich Josephs Schar bewusst, welches Unglück sie befallen hatte, und als sich die Zombies auf den langen Weg zurück zu ihren Gräbern in den Bergen von Morne-au-Diable begaben, erhob sich entsetzliches Wehgeschrei. Die Dorfbewohner, die den grauenvollen Zug ihrer Toten sahen, gerieten so sehr in Rage, dass sie all ihr Geld zusammenlegten und eine Gruppe von Söldnern anheuerten, den Hexer zu fassen und zu töten. Also lauerte eine Schwadron Ti Joseph auf, stürzte sich auf ihn und schlug ihm mit einer Machete das Haupt vom Leib. Als die Geschichte erzählt war, sagte Polynice zu Seabrook, er wisse von einem ähnlichen Fall, auf einer Plantage, keine zwei Stunden von seinem Haus entfernt.

Bei seinen Forschungen war Seabrook bereits auf ein Vorkommnis aus dem Jahre 1908 gestoßen, das auch Stephen Bonsal in seinem Karibik-Kompendium The American Mediterranean schildert. Bonsal berichtet darin vom Schicksal eines Bauern aus Port-au-Prince, der nach seinem Tod durch den Prediger einer Missionskirche beerdigt worden war. Dieser hatte der Familie sogar geholfen, den Verstorbenen für das Begräbnis herzurichten, ihn in das »Grabgewand« gekleidet und so das Gesicht des Verstorbenen gesehen. Am folgenden Tag hatte der Geistliche eigenhändig den Sarg geschlossen, bevor dieser in die Erde hinabgelassen wurde. Wenige Tage später jedoch stieß ein Reisender auf einen Mann, der, wimmernd und in Leichentüchern, an einen Baum gebunden war:

»Er befreite den armen Wicht, der schon bald die Sprache, jedoch nicht die Sinne wiederfand. In der Folge wurde er von seiner Frau, dem Arzt, der ihn für tot erklärt hatte, und jenem Geistlichen identifiziert. Dieser Vorgang war jedoch nicht gegenseitiger Natur. Das Opfer erkannte niemanden und verbrachte Tag und Nacht bei undeutlichen Klagen, deren Worte niemand verstand.«

Offenbar war Polynice mit seiner Angst vor Grabräubern und seinem lebhaften Glauben an die Untaten der Zombies keinesfalls allein. Selbst der auf Haiti lebende Arzt Dr. Antoine Villiers, über den sich Seabrook rühmend äußert, es gebe auf der gesamten Insel »keinen zweiten so wissenschaftlich gebildeten Geist, keinen gesünderen pragmatischen Rationalisten«, weigerte sich, den Zombie-Mythos kurzerhand als solchen abzutun. Von Villiers stammt auch der Hinweis, dass unter den bokor womöglich das Wissen von einem Gift zirkuliere, das den Anschein des Todes bewirke, um die Opfer bei Nacht aus ihren Gräbern entführen zu können.

Seabrook war jedenfalls genügend aufgestachelt, um einen Besuch auf jenen Zuckerplantagen zu arrangieren, die Polynice erwähnt hatte. Er wollte sich selbst ein Bild von der Lage machen. Tatsächlich erblickten sie auf der Plantage einige sonderliche Feldarbeiter und erstiegen einen Hügel, um sie zu begrüßen. Seabrook hierzu:

»Mein erster Eindruck der drei vermeintlichen Zombies, die weiterhin dumpf ihre Arbeit verrichteten, war, dass sie alle etwas Seltsames und Unnatürliches umgab. Sie schufteten wie Vieh, wie Automaten. Ihre Augen aber waren das Schlimmste. Und dies war nicht das Werk meiner Imagination. Dies waren wahrhaftig die Augen von Toten, nicht blind, sondern starr, ohne Richtung, ohne Gegenstand. Ihr Antlitz war ohnehin schon schauerlich genug. Es war leer, als befände sich nichts dahinter. Es wirkte nicht nur ausdruckslos, sondern geradezu zum Ausdruck unbefähigt.«

Seabrook, der sich einen Moment lang dem schrecklichen Gedanken hingegeben hatte, die lebenden Toten könnten doch real sein, sammelte sich wieder, griff nach der schwielig-tauben Hand eines dieser Männer und rief laut: »Bonjour, compère!« Der Zombie jedoch gab keine Antwort, und die Aufseherin, eine Frau namens Lamercie, erregte sich sehr über die Anwesenheit des Mannes aus dem Westen. Sie stieß Seabrook barsch beiseite: »Negerdinge sind nichts für Weiße.« Natürlich fanden solche Anekdoten Eingang in Seabrooks Geheimnisvolles Haiti und machten das Buch im Handumdrehen zum Bestseller.

DER SARGNAGEL

Seabrooks Buch verfestigte die Vorstellung, wonach ein Zombie ein scheinbar von den Toten Auferweckter ist, der Sklavenfron verrichten muss. Es erstaunt, dass Seabrook und Hearn bei ihrer Suche nach dem Zombie zu so unterschiedlichen Befunden gelangt sind, doch dass die Besetzung Haitis in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, darf wohl angenommen werden. Die »postkoloniale« Regierung hatte zwar gewaltige Verbesserungen an der Infrastruktur des Landes vorgenommen, doch die Straßen, Kanäle und Häfen wurden zu Bedingungen erbaut, als wären sie einem Handbuch aus der Sklavenzeit entnommen. Es war wohl nur ein kleiner Schritt vom Leben in der Arbeiterrotte bis zur Pforte des Todes, und so drückt sich in der Zombie-Legende auch der schmerzliche Autonomie-Verlust aus, wie ihn viele Haitianer unter der amerikanischen Besetzung empfunden haben. Seabrook folgerte nach seinem Blick in das Angesicht des Zombies, dass »Zombies nichts anderes sind als arme, gewöhnliche, geistig umnachtete menschliche Wesen, Idioten, die man zur Feldfron zwingt«.

Doch solch eine irdische Erklärung bändigte den Zombie-Mythos nicht, und schon bald produzierte Hollywood eine ganze Reihe schlüpfrig-reißerischer Filme. Fast immer steht dabei eine Dreiecksbeziehung im Mittelpunkt, in deren Verlauf nahezu unweigerlich eine (weiße) Frau durch (schwarze) Magie zum Zombie wird. Jener schon erwähnte White Zombie, der unter dem Banner der United Artists erschien und als erster Zombie-Streifen überhaupt gilt, wurde bei seinem Erscheinen 1932 denn auch mit einem entsprechend anzüglichen Slogan beworben: »Sie war weder lebendig … noch tot … Sie war der weiße Zombie, ihm bei jedem Wunsch zu Dienste!« Die Fortsetzung aus dem Jahre 1936, Revolt of the Zombies, folgt einem Trupp von Zombie-Soldaten in den Ersten Weltkrieg, wo sich die Untoten als ganze Kerle erweisen dürfen und mit einem einzigen Kommando die gesamte österreichische Armee besiegen. Dem folgte eine regelrechte Flut von Büchern und sogar Theaterstücken. Der Zombie wurde derart populär, dass er bereits 1940 seinen ersten komödiantischen Auftritt hatte, und zwar in dem Film The Ghost Breakers. Gerade einmal zwölf Jahre nachdem man den Zombie auf das (entsetzte) Publikum losgelassen hatte, wurde die Gattung der Willenlosen schon wieder als schlichter Witz, als Aberglauben abgetan.

Dann, an einem sonnigen Frühjahrsmorgen des Jahres 1980, begegnete eine Haitianerin bei ihrem Einkauf auf dem Markt einem Zombie – was sie zutiefst verstörte: Denn der verwahrloste Mann mit leerem Blick und wackeligem Gang stellte sich als Clairvius Narcisse vor, der Bruder, den sie Jahre zuvor beerdigt hatte. Sein Tod war offiziell von den Ärzten des unter US-amerikanischer Leitung stehenden Albert Schweitzer-Krankenhauses in Deschapelles protokolliert worden. Narcisse war am 30. April 1962 mit hohem Fieber und blutigem Auswurf eingeliefert worden. Da sich sein Zustand verschlechterte, behielt man ihn im Krankenhaus, wo er drei Tage später verstarb. Seine andere Schwester hatte den Leichnam identifiziert und die Sterbeurkunde durch ihren Fingerabdruck beglaubigt. Der Narcisse auf dem Markt behauptete nun, er sei vergiftet, lebendig begraben, exhumiert, bewusstlos geprügelt und unter Drogen gesetzt worden und würde nun zur Sklavenarbeit auf einer Zuckerrohrplantage gezwungen.

Bald wurde Dr. Lamarque Douyon, Leiter des Zentrums für Psychiatrie und Neurologie in Port-au-Prince, auf den Fall aufmerksam. Douyon war den regelmäßigen Berichten über Zombifizierungen nachgegangen, doch aus dem Stoff der Folklore die Fäden der Wahrheit herauszufiltern, hatte sich als gewisse Herausforderung erwiesen. Der Durchbruch kam dann mit Narcisse. Trotz anderslautender Papiere schworen zweihundert Zeugen, dass der Mann auf dem Markt in der Tat derjenige sei, der er zu sein behauptete. Douyon befragte Familienmitglieder und Freunde, um Details aus der Vergangenheit des vermeintlichen Bruders in Erfahrung zu bringen. Im Verlauf seiner sorgfältigen Recherchen musste der Arzt feststellen, dass der geheimnisvolle Mann Anekdoten und Spitznamen kannte, von denen nur Clairvius selbst Kenntnis haben konnte. Es verwunderte also nicht, dass die Familie überzeugt war, dass dieser Mann kein Schwindler war.

Im Zuge seiner Untersuchung bat Douyon den Auferstandenen, ihm doch seinen »Tod« und die Beerdigung zu schildern. Narcisse sagte aus, er habe seine Familie neben dem Sarg weinen hören, und er wusste von Gesprächsfetzen, Worten, die an seinem Grab gefallen waren. Die neue Narbe an seiner Wange erklärte er mit einem Nagel, den man in seinen Sarg geschlagen habe.

Douyon dokumentierte den erstaunlichen Bericht und kontaktierte Experten auf der ganzen Welt, um dieses Rätsel zu ergründen. Douyons Vermutung lautete, dass irgendjemand Narcisse eine Art Gift verabreicht hatte, das eine todesähnliche Trance bewirkte. Sollte Narcisse’ Erzählung den Tatsachen entsprechen, stünde jeder Wissenschaftler, der den Fakten auf den Grund ging, vor einer sensationellen medizinischen Entdeckung, gefolgt von Ruhm und Reichtum. Gerüchteweise suchte nämlich auch die NASA nach einem Trance induzierenden Mittel, um Astronauten in eine Art Tiefschlaf zu versetzen und ihnen so den langen Flug zum Mars oder in noch größere Ferne zu ermöglichen.

Douyons Hypothese stieß vor allem bei Wade Davis, einem jungen Ethnobotaniker aus Harvard, auf Interesse. Er schloss aus den ärztlichen Notizen über den »Tod« des Narcisse, dass wahrscheinlich ein paralysierendes Mittel Körperfunktionen und Motorik unterdrückt hatte, während das Opfer dennoch bei Bewusstsein blieb. Davis, der bereits mehrere Jahre in den Urwäldern Südamerikas verbracht, die indigenen Völker studiert und zahlreiche botanische Präparate gesammelt hatte, wurde mit der Anweisung, das Zombie-Gift zu finden und Proben zu Testzwecken in die USA zurückzubringen, nach Haiti geschickt.

Sein erster Verdacht galt dem Stechapfel, der in der Region häufig anzutreffen ist, zur selben taxonomischen Familie – Solanaceae – wie die Tollkirsche gehört und als starkes dissoziatives Halluzinogen bekannt ist. Der englische Name der Pflanze, jimson weed, verdankt sich der Stadt Jamestown im heutigen US-Staat Virginia. Dort sollte anno 1676 eine Garnison britischer Soldaten eine Revolte gegen den Gouverneur der Kolonialregierung niederschlagen. Doch die aufständischen Farmer setzten die Briten nicht mit Waffen, sondern dem Nachtschattengewächs außer Gefecht. Elf Tage lang jagten die Soldaten Federn nach, amüsierten sich mit albernen Grimassen und ebensolchen Spielchen, bis sie ohne irgendeine Erinnerung an die letzten Tage wieder zur Besinnung kamen. Es versteht sich, dass es ihnen nicht gelungen war, den Aufstand niederzuschlagen, und so wurde der Gouverneur nach England zurückberufen. Auf Haiti findet man den Stechapfel, wo er auch als »Zombie-Gurke« bekannt ist, allerorten. Davis gelang es, einigen bokors Proben ihres Zombie-Giftes abzukaufen, und ließ es im Labor von Harvard auf Spuren der Pflanze hin analysieren.

Doch schon bei der Zubereitung des Zombipulvers konnte Davis sehen, dass Stechapfel keinesfalls der Hauptbestandteil jener Mischung war. Die bokors zermahlten diverse Zutaten, die bekanntermaßen starke Toxine enthalten: die Haut der Agakröte Bufo marinus, die auch als Schädlingsmittel auf den Zuckerrohrplantagen eingesetzt wird, zwei Kugelfischarten, Diodon hystrix und Sphoeroides testudineus, die Juckbohne Mucuna pruriens und den Samen des tcha tcha-Baums, Albizia lebbeck. Wade schickte das Pulver in die USA. Als Erstes kamen Ratten am New York State Psychiatric Institute in den Genuss – sie fielen ins Koma. Über Stunden wirkten sie wie tot, und doch verzeichneten die Elektroden einen beständigen, wenn auch schwachen Herzschlag sowie Hirnaktivität. Die Wirkung des Giftes hielt vierundzwanzig Stunden an, dann erholten sich die Ratten. Genau das hatte Davis erwartet: einen scheintodartigen Zustand, der sich wieder lösen ließ.

Dann begann er selbst zu forschen. Er wollte wissen, welcher Bestandteil des Pulvers für diesen Prozess verantwortlich war. Zu den Folgen einer Kugelfischvergiftung lagen ihm bereits zahlreiche Dokumentationen vor, denn in Japan wird der Fisch in Form der, wenn auch gefährlichen, Delikatesse Fugu serviert, deren Genuss bei unsachgemäßer Zubereitung tödlich enden kann. Jährlich landen Dutzende nach dem Verzehr im Krankenhaus, und rund einer von zwanzig Patienten stirbt an den Folgen. Das Toxin ist in Darm, Leber und Eierstöcken des Fisches konzentriert und enthält größtenteils das Nervengift Tetrodotoxin, das in seiner Wirkung hundert Mal tödlicher als Blausäure ist (aus dem das hochwirksame Pestizid Zyklon B produziert wird, das die Nazis während des Zweiten Weltkriegs in ihren Vernichtungslagern eingesetzt hatten). Gelangt Tetrodotoxin in den Körper, blockiert es die Sodiumkanäle in den Nervenzellen, die dann keine elektrischen Impulse mehr aussenden können. In winzigen Dosen erzeugt es ein Kribbeln in den Extremitäten und eine leichte Euphorie, einer der Gründe, warum sich der Verzehr von Fugu trotz aller Gefahren solch großer Beliebtheit erfreut. Doch der Koch muss extreme Vorsicht walten lassen – zu viel Tetrodotoxin, und das Taubheitsgefühl erstreckt sich auf den gesamten Körper, und der unglückliche Gast kann bald schon nicht mehr gehen oder auch nur aufrecht am Tisch sitzen. Die Lähmung wandert in den Hals, blockiert das Sprechen, schließlich fällt der Betroffene ins Koma. Spätestens dann ruft die entsetzte Belegschaft des Restaurants den Krankenwagen. Bei einer größeren Dosis Kugelfischgift kann das Opfer am Ende nicht einmal mehr atmen. Tod durch Ersticken ist die Folge. Das Entsetzlichste aber ist, dass das Gift nicht das Gehirn angreift, das Opfer also während der gesamten Tortur ihres oder seines letzten Mahls bei vollem Bewusstsein ist. Davis war überzeugt, dass er mit dem Tetrodotoxin den Zombie-Täter vor sich hatte.

Doch nicht jeder schloss sich seiner Meinung an. Denn bislang hatte niemand beobachten können, dass Tetrodotoxin auch jene lang anhaltende Katatonie hervorruft, von denen die Zombie-Legenden erzählen. Demnach konnte dieses Gift nicht der alleinige Wirkstoff sein. Bei unabhängigen Tests mit zwei von Davis’ Zombipulvern, an der japanischen Universität Tōhoku, unter Ägide von Takeshi Yasumoto, wurden zudem nur Spuren des Kugelfischgiftes nachgewiesen – in einer Konzentration, in der das Toxin keine große Wirkung hat. Ein Kollege beschuldigte Davis gar der Irreführung. Davis wehrte sich mit Verweis darauf, dass die von ihm erworbenen Zombipulver aus Dutzenden von Ingredienzien bestünden, die zahlreiche Toxine enthielten und wahrscheinlich mit Tetrodotoxin interagierten, dessen Wirkung also verstärkten oder in irgendeiner Weise modifizierten. Außerdem, so sein Argument, hätten die Methoden zur Messung des Tetrodotoxin-Anteils in den Proben womöglich unbeabsichtigt einen Großteil des Wirkstoffs zerstört – ein unguter Nebeneffekt zahlreicher chemischer Analysen.