Wie die Liebe bleibt - Joanne Fedler - E-Book

Wie die Liebe bleibt E-Book

Joanne Fedler

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Beschreibung

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Joanne Fedler und der renommierte Psychotherapeut Graeme Friedman legen mit "Wie die Liebe bleibt" einen humorvollen und zugleich lebensnahen Beziehungsratgeber vor. Anhand von Fallbeispielen, Analysen, Erkenntnissen aus Psychologie und Spiritualität zeigen die beiden Autoren sympathisch und klug Wege auf, wie eine Beziehung weiterentwickelt werden kann - vom ersten Verliebtsein zu einer dauerhaft tragfähigen Bindung. Aus den unterschiedlichen Weltanschauungen von Autorin Joanne Fedler und Therapeut Graeme Friedman entstehen in "Wie die Liebe bleibt" pointierte, humorvolle Szenen. Im Spannungsfeld zwischen Psychologie und fernöstlicher Spiritualität beschreiben die beiden Autoren das Entstehen echter Vertrautheit in fünf Phasen und zeigen mit Hilfe von Fallbeispielen, woran so viele Beziehungen scheitern – und wie wir es besser machen können. Denn: »Die Scheidungsstatistik macht deutlich, dass unsere gesamte Generation unter einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom leidet, was die Ehe angeht – wir sind Konsumenten, die Beziehungen wegwerfen wie Verbrauchsgüter, um uns dann ungeduldig nach einem neuen Modell umzuschauen.« "Viele Leser werden ihre eigenen Beziehungen in den hier wiedergegebenen Beispielszenen wiedererkennen - selbst die gefestigsten Paaren können von der Lektüre profitieren." Publishers Weekly

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Seitenzahl: 467

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Joanne Fedler & Graeme Friedman

Wie die Liebe bleibt

Das Geheimnis erfüllter Partnerschaft

Aus dem Englischen von Katharina Volk

Knaur e-books

Über dieses Buch

Was tun, wenn man das Gefühl hat, sich immer mehr vom Partner zu entfernen?

Inhaltsübersicht

WidmungZitatPrologDer erbärmliche Zustand der LiebeUnsere LiebesgeschichtenWenn wir uns begegnen1. Verlieben2. Die Masche3. Dir selbst begegnen4. Flammendes HerzWenn wir zurückgehen5. Erste Liebe6. Im Dreieck7. Sich vor Leid drücken8. Die verlorenen AnteileWenn es anstrengend wird9. Tiefer10. Der erste Streit11. Eifersucht12. Tote Hose13. Langeweile und GrenzenDreiecksbeziehungen14. Das destruktive Dreieck15. Spill-over16. Schweigen, Sex und Scham17. Neuverfilmung18. Festgefahren19. Brechen (auf- und auseinander)20. Wenn es Zeit wird, sich zu trennenNähe praktizieren21. Krisenintervention22. Erwacht23. Vergebung – und was jenseits liegt24. Sich ganz einer Sache widmenEpilogDanksagungLiteraturnachweis
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Für Zed und Tracey

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»Kaum hatte ich zum ersten Mal eine Liebesgeschichte gehört, begann ich nach dir zu suchen, ohne zu ahnen, wie blind das war.

Liebende begegnen sich nicht endlich irgendwo.

Sie sind schon immer einer im anderen.«

Rumi (persischer Dichter und Mystiker, 1207–1273)

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Prolog

Die beste Geschichte, die Sie jemals gehört haben, war bestimmt eine Liebesgeschichte. Noch nie waren zwei Menschen so verrückt nacheinander gewesen … doch alles Mögliche kam ihnen in die Quere – böse Menschen, tragische Umstände und wer weiß was noch alles. Sie dachten, die Liebenden würden einander verlieren, aber am Ende haben sie es doch geschafft. Oder auch nicht, und war das nicht furchtbar traurig?

Irgendwo in Ihnen, im funkelnden Irrgarten, den wir Phantasie nennen, flackert diese Geschichte noch immer. Ein gläserner Tanzschuh. Ein versteckter Liebesbrief. Ein Fläschchen Gift.

Lange nachdem das Buch beiseitegelegt oder die Erzählung beendet war, hat sich diese Geschichte noch tiefer in Ihre Träume gegraben und es sich dort gemütlich gemacht.

Geschichten helfen uns, dem Leben Bedeutung zu verleihen. Wie der Mythologe Joseph Campbell einmal sagte, sind sie »die Spur, die zu uns selbst zurückführt«. Geschichten sind Laternen, die uns den Weg leuchten, damit wir die Brücke zu unseren Erfahrungen leichter finden. In Geschichten schauen wir zu, wie Menschen mit überwältigenden Problemen und Fragen ringen, große Entscheidungen treffen und sich einander anzunähern versuchen, oft ungeschickt und auf unterschiedlichste Weise – die wir aber immer als menschlich wiedererkennen. Geschichten sprechen unsere rechte Hirnhälfte an, befeuern unsere Vorstellungskraft und ziehen uns in ihren Bann. Was wird er jetzt tun? Trifft sie die richtige Entscheidung? Wird er ihr sagen, dass er sie liebt?

Geschichten öffnen uns die Tür zu Empathie und Kreativität, zwei großen Schatzkammern der Selbsterkenntnis. Durch Geschichten lernen wir unser eigenes Herz besser kennen.

Liebe ist keine abstrakte Idee, sondern eine Geschichte, die sich abspielt, wenn sich zwei Menschen begegnen.

Der erbärmliche Zustand der Liebe

Als sie sich begegneten, waren sie nicht auf Partnersuche. Daniel machte gerade eine steile Karriere in der digitalen Welt und war noch ziemlich angeschlagen, nachdem Olga wie ein Wirbelsturm in sein Leben hinein- und wieder hinausgefegt war, um mitsamt ihren scharfen Tricks (dass Frauen so etwas mit dem Mund machen konnten …) nach Holland zurückzukehren. Stephanie, Kunstmanagerin, war zum ersten Mal in ihrem Erwachsenenleben Single, nachdem sie endlich ihre Beziehung mit Nathan beendet hatte – wegen völliger Perspektivlosigkeit. Nicht nur, dass sie mit ihm nie zum Orgasmus gekommen war – er wusste es nicht einmal (und mit ihr war alles in Ordnung, nur damit wir uns verstehen – sie hatte tolle Orgasmen mit Alistair gehabt, der an der University of California, Los Angeles, studierte und bald zurückkommen sollte, aber immer noch nicht wieder da war). Und vor allem nervte Nathans Heuschnupfen sie mehr, als unwillkürliches Niesen einen nerven sollte, und das war ein sehr deutliches Warnsignal, was eine langfristige Bindung anging.

Steph und Daniel gingen zufällig beide an einem heißen Samstagabend einkaufen, als die Obst- und Gemüseabteilung schon von den Wochenendeinkäufern geplündert war. Steph musterte die letzten paar Bananen, um welche mit möglichst wenigen braunen Flecken herauszusuchen. Daniel warf einen Blick auf sie in ihrem Sommerkleidchen und ließ sich zu einem etwas ordinären Scherz hinreißen, der einem bei angematschten Bananen schon mal einfallen kann. Sie musste lachen. Schließlich ließen sie das Einkaufen sein und gingen Fish and Chips essen. Und später am selben Abend erlebte Steph einen längst überfälligen Orgasmus auf Daniels Sofa.

Daniel nahm sie mit auf Partys in die angesagtesten Clubs oder zum Kajakfahren nach Thailand. Steph zog ihn schick an und nahm ihn zu Filmpremieren und Vernissagen mit. Himmel, er war ja so witzig. In diesen ersten drei Monaten lachte sie so viel wie … vielleicht noch nie in ihrem ganzen Leben. Er behauptete, das sei sein jüdischer Humor – in der Tradition von Lenny Bruce und Woody Allen. Sie war noch nie mit einem Juden ausgegangen, doch alle ihre Freundinnen sagten, jüdische Jungs gäben die besten Ehemänner ab. Er zog sie damit auf, dass sie das Gehirn der Bande sei. Sie brachte ihn dazu, nachzudenken und Wörter zu benutzen, die mehr als zwei Silben lang waren. Sie fand seinen Charme und seine jungenhafte Art anziehend. Ihre selbstsichere Haltung, ihre Contenance, die Ferne in ihrem Blick und der süße Geschmack ihrer Haut machten ihn wild. Keine zwei Jahre später heirateten sie am Strand, und Mike und Jenny, Stephs protestantische Eltern, sind auf jedem Hochzeitsfoto mit verzerrten Gesichtern zu sehen. Daniel erklärte, er sei beinahe froh, dass seine Eltern schon tot waren, denn wenn man ein Ohr an den Boden drückte, könne man sie in ihren Gräbern rotieren hören. Darüber lachte sich Steph kaputt.

Fünfzehn Jahre später. Daniel ist 48, Steph 43. Sie haben ein familienfreundlich designtes Architektenhaus und eine weniger familienfreundliche Hypothek darauf. Und zwei Kinder: Justin ist 13 und Legastheniker, und die neunjährige Georgia ist pummelig, trotz einer mit Schwimmen, Gymnastik und Stepptanz angefüllten Woche. Nachdem Steph eine Weile mit den flammenden Fackeln Kindererziehung und Karriere jongliert und sich dabei völlig verausgabt hatte, gab sie ihren Job auf, um ganz für die Kinder da zu sein. Daniel leitet inzwischen seine eigene Marketingagentur für digitale Medien und kommt manchmal rechtzeitig nach Hause, um mit der Familie zu Abend zu essen. Dafür übernimmt er am Wochenende einen Großteil der Fahrdienste für die Kinder und bringt sie zu Sportveranstaltungen, zum Training und zu Freunden. Alles war schön gewesen – eine Zeitlang. Steph hatte es genossen, Hausfrau und Mutter zu sein. Aber jetzt, da die Kinder sie nicht mehr so sehr benötigen, beginnt ihre Contenance zu wackeln und klingen Daniels Witze nur noch abgedroschen. Alles, was er tut, geht ihr irgendwie auf die Nerven. Und das weiß er auch. Sie ist rastlos. Sie will mehr vom Leben, und sie fragt sich, ob Daniel da noch dazugehört. Er arbeitet sich auf und will mehr Sex. Sie denkt daran, wieder arbeiten zu gehen, sich eine neue Garderobe zuzulegen oder sonst irgendetwas für sich zu tun, Herrgott noch mal. Er windet sich innerlich, wenn er die Verachtung in ihrem Blick sieht. Lautstarke Auseinandersetzungen stolpern schließlich über die Worte »Auszeit« und »eine Weile getrennt leben«. Sie hat es bisher nicht gewagt, mit ihren Eltern darüber zu sprechen. Die haben sich endlich mit der Tatsache angefreundet, dass Daniel Jude ist, und betrachten ihn nun als »einen dieser netten, tüchtigen Juden mit Unternehmergeist – seht nur, was für ein Leben er Steph und den Kindern ermöglicht«. Daniel denkt nicht darüber nach, was seine Eltern sagen würden, aber sie hätten ihm ganz sicher haufenweise Schuldgefühle einreden wollen – weil er eine Schickse, eine Nichtjüdin, geheiratet hatte.

Steph und Daniel stecken in der Scheiße. Wenn sie jetzt nichts unternehmen, werden sie entweder als altes Ehepaar enden und einander am Frühstückstisch anbrummen (»Du hast mein Leben ruiniert, du Dreckskerl … äh, ich meinte, gibst du mir bitte die Butter, mein Lieber?«) oder sich vor dem Scheidungsrichter Beleidigungen an den Kopf werfen.

Bedauerlicherweise sind sie damit nicht allein. Die Scheidungsstatistik macht deutlich, dass unsere gesamte Generation unter einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom leidet, was die Ehe angeht – wir sind Konsumenten, die Beziehungen wegwerfen wie Verbrauchsgüter, um uns dann ungeduldig nach einem neuen Modell umzuschauen. Eine wirklich langfristige Liebesbeziehung ist ein höchst unwahrscheinlicher Lottogewinn oder ein extremer Ausdauersport für die wahren Masochisten unter uns. Jedenfalls ist klar: Liebe zu finden und sie zu erhalten, das sind zwei Paar Schuhe. Die Menschen, die wir sind, wenn wir uns neu verlieben, verwandeln sich in Fremde, die wir nicht mehr wiedererkennen, wenn die Liebe nicht mehr so taufrisch ist. »Wer bist du eigentlich?«, fragen wir uns selbst und unseren Partner gereizt, angewidert und verständnislos, als sei uns nicht nur das Glück geraubt worden, sondern auch unsere Identität. Was passiert zwischen »Ja, ich will« und »Du mich auch«? Warum ist es so verdammt schwer, die Liebe festzuhalten? Wie verbocken wir es immer wieder? Gibt es vielleicht irgendein Geheimnis, wie es leichter geht? Muss es denn wirklich so schwer sein?

Wer hat die Liebe bloß so versaut?

Vollgestopft mit unrealistischen Erwartungen und Ansprüchen (den beiden Krebsgeschwüren der Vertrautheit), haben wir schon als Kinder gelernt, dass jedes Mädchen eine zukünftige Prinzessin ist, auch wenn sie als Haushaltshilfe anfängt. Und dass sie, um ihren Prinzen zu finden, nur schön und sexy sein muss – sie braucht nicht gut, freundlich oder klug zu sein, ja nicht einmal zu atmen. (Finden Sie es nicht bedenklich, dass Schneewittchens Prinz sich in sie verliebte, als sie bleich und leblos in einem Sarg lag? Das Fehlen jeglicher Lebenszeichen törnte ihn anscheinend überhaupt nicht ab …) Und die Jungs bekommen immer das Mädchen, wenn sie nur mit ihrer speziell für sie angefertigten Waffe und dem einen oder anderen Drachen umgehen können. Der kulturelle Hype um Schönheit und Romantik hat mit unserem Liebesleben das gleiche Unheil angerichtet wie die Medien mit unserem Körperbild. Sie haben die Messlatte so hoch gelegt, dass zitternde Knie und Herzrasen das Mindeste sind, was man erwartet, wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlt. Weniger gilt nicht. Wir wollen Designerbeziehungen. Königliche Hochzeiten. Seelenverwandtschaft. Wie bei den Promis. Wir sind zu besonders, als dass weniger gut genug für uns wäre. Und wir brauchen für all das gar nichts zu tun. Die Liebe kommt zu uns wie der Pizzaservice.

Hochglanzmagazine, Hollywoodfilme und TV-»Reality Shows« (der Märchenersatz unserer Zeit) verkaufen uns diese Täuschung. Sie verdienen an dem unterschwelligen Gefühl, dass die Liebe ein uns zustehendes Erbe ist, das uns irgendwann in den Schoß fallen, unsere sämtlichen Bedürfnisse erfüllen und uns glücklich machen wird. Ohne »die Liebe« sind wir zu lebenslänglicher Einsamkeit bei Mikrowellen-Fertiggerichten verurteilt – nicht das Happy End, das uns vorschwebte (auch nicht mit einem supertollen Vibrator mit allem Schnickschnack oder einer Gummipuppe mit Echthaar und naturgetreuen Gesichtszügen). Diejenigen unter uns, die noch auf die Liebe warten, könnten auf die Idee kommen, sie bei der Polizei als vermisst zu melden – denn der Betreffende müsste doch wenigstens ins Weltall geschickt oder vom Bermudadreieck verschluckt worden sein, wenn er es bisher versäumt hat, Sie zu seiner Seelengefährtin zu machen. Wir sind manchmal so nah dran, einfach aufzugeben, weil alle Männer Arschlöcher sind und alle Frauen Miststücke (oder so ähnlich). Zu welchem anderen Schluss sollten wir auch kommen?

Diejenigen von uns, die »den Richtigen« oder »die Richtige« gefunden haben, sind auch nicht viel besser dran, nachdem wir unser Gelübde abgelegt, die Torte angeschnitten, das Haus gekauft und die Kinder bekommen haben. Wie uns die traurige Geschichte von Steph und Daniel zeigt, ist »bis ans Ende ihrer Tage« nicht automatisch glücklich. Der Seelengefährte von heute ist der nervige Langweiler von morgen, der schmutziges Geschirr auf der Küchentheke stehen lässt oder aus der Flasche trinkt und sie dann wieder in den Kühlschrank stellt (ist das nicht supereklig?). Den Märchen fehlen die Fortsetzungen, in denen der Prinz sich wieder in einen Frosch und die Heldin in einen Kürbis verwandelt oder seine königliche Hoheit eine Affäre mit der Kammerzofe hat und die Prinzessin zwanzig Kilo zunimmt, weil sie deprimiert und vom Leben enttäuscht alle Mousse au Chocolat im Palast aufisst. Am klassischen idealisierten Ende eines Märchens weist uns nichts darauf hin, dass wir hinterher sehr wohl mit jemandem dasitzen könnten, der nie zuhört oder ständig nörgelt, nie oder immer Sex will, seinen Teil der Hausarbeit nicht übernimmt, zu viele Pfunde an den falschen Stellen mit sich herumschleppt, zu wenig Zeit mit den Kindern verbringt und nichts zu schätzen weiß, was wir für ihn tun. Wenn die Liebe eine Investition wäre, würden wir unser Geld zurückverlangen, kündigen und stattdessen die »Verbittert und verkorkst« abonnieren.

Wahnsinn – kein Wunder, dass wir solche Schwierigkeiten haben. Diese unsinnigen Vorstellungen von der Liebe sind vergiftete Äpfel – verlockend von außen und abscheulich im Inneren. Sie machen uns oberflächlich und neidisch, sie verschmutzen unser Verständnis von wahrer Vertrautheit – der Art Vertrautheit, die wir als Kinder kannten. Die Art, die Rainer Maria Rilke meinte, als er schrieb: »Liebhaben von Mensch zu Mensch: Das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist.« Aber echt, Rilke!

Vertrautheit und Nähe in einer monogamen, langfristigen Beziehung am Leben zu erhalten, das ist nichts für Weicheier – da holt man sich besser eine Katze, die sich wenigstens selbst putzt und in ein Katzenklo scheißt anstatt auf einen selbst. Aber wir haben dieses Buch geschrieben, um Ihnen zu sagen, dass Sie die Liebe noch nicht aufgeben sollten. Sie können sowohl das Katzenklo als auch den Kerzenschein haben. Wir stehen an der Schwelle zu einer aufregenden Wiedergeburt menschlicher Beziehungen. Unsere Welt verändert sich – dass Neurowissenschaft, Quantenphysik, Psychologie, Demokratie und Spiritualität immer näher zusammenfließen, bedeutet für uns die Chance, Nähe neu zu definieren. Die Turbulenzen der gesellschaftlichen Evolution haben Ehe und Monogamie (die konventionellen Zwangsjacken der Liebe) aufgewirbelt und ausgespuckt. In der westlichen Welt schütteln die Frauen den Fluch des »biologisch bestimmten Schicksals« ab. Immer mehr Männer bekennen sich fröhlich zum »sensiblen New-Age-Mann« und beteiligen sich ganz selbstverständlich am Füttern und am Brötchenverdienen. Schwule und lesbische Paare heiraten und bekommen Kinder. Die Sexualität in all ihren Formen und ihrer Vielfalt wird immer mehr gefeiert und verstanden. Zölibat, Monogamie, »eheähnliche Gemeinschaft«, Ehe, Scheidung, Patchwork-Familien – alles Ausdruck unserer Entscheidungen auf dem Spielfeld der Liebe. Die Nähe in ihren vielen Farben und Formen kommt endlich zurück ins Haus. Als Spezies sind wir Menschen endlich erwachsen genug geworden, um uns unsere Gedanken über die Vertrautheit bewusst zu machen und uns ihr denkend anzunähern.

Ganz gleich, was die Liebe Ihnen in der Vergangenheit angetan haben mag: Veränderung bringt Hoffnung mit sich. Die Liebe hat eine große Zukunft. In der Menschheitsgeschichte gab es noch nie eine Zeit wie diese, in der so viel falsch läuft und die dennoch den Menschen eine solch große Chance bietet, sie als wahrhaft Gleichberechtigte mitzuerleben.

Unsere Liebesgeschichten

Die Idee klang gut. Zwei Freunde schreiben zusammen ein Buch. Was soll da schon schiefgehen? Unserer Freundschaft, die vor über zwanzig Jahren bei einem Schriftstellertreffen begann, und der Wärme und Offenheit unserer Familien verdanken wir jede Menge Zeit, uns zu unterhalten – und zu streiten, denn die Kluft zwischen unseren beiden Weltanschauungen ist der Grand Canyon. Graemes Fundament ist die rationale, westliche, theoretische Psychologie, während Jo sich in fernöstlichen spirituellen Praktiken heimisch fühlt. Immerhin respektieren wir einander so sehr, dass Jo nicht die Augen verdreht, wenn Graeme psychologisches Fachchinesisch spricht, und er bemüht sich um Gelassenheit, wenn sie ein »Ritual« vorschlägt.

Außerdem sind wir die Ehe aus entgegengesetzten Richtungen angegangen. Jo glaubte lange, sie würde sich nie auf eine so langfristige monogame Beziehung einlassen, und Graeme glaubte, ohne eine solche Beziehung nicht leben zu können. Genau genommen ist Jo bis heute überzeugt davon, dass Monogamie dem menschlichen Instinkt widerspricht – einmal von den gesellschaftlichen Erwartungen und Konventionen rund um die Arterhaltung abgesehen, hat es rein gar nichts Natürliches oder Instinktives, sich emotional an einen anderen Menschen zu fesseln. Und das auch noch in der expliziten Absicht, auf ewig in dieser Gefangenschaft zu bleiben. Sie will die Liebe ja nicht schlechtmachen oder der Spielverderber sein, wenn es um den Valentinstag geht, aber he, was soll so toll daran sein, fürs ganze restliche Leben nur noch mit ein und demselben Menschen zu schlafen? Sie fragt sich, ob Monogamie überhaupt gut für uns ist, wie Kleie oder Spinat. Wir wissen im Grunde gar nichts, also könnte es doch ungesund sein, das Verlangen nach unterschiedlichen Leuten zu unterdrücken – diese Verdrängung verstopft wahrscheinlich irgendwas in uns, so wie schlechtes Cholesterin. Jo wüsste gern, warum offene Beziehungen – beispielsweise – gesellschaftlich nicht vorgesehen sind? Und ob eine feste Bindung jemals … na ja, Spaß machen kann?

Wenn Jo im Prozess »das Volk gegen die Monogamie« die Staatsanwaltschaft vertritt, spielt Graeme den Verteidiger. Erotische Phantasien von anderen Menschen hält er für natürlich, doch die Grenzen in der Realität zu überschreiten ist seiner Ansicht nach ein Symptom einer kränkelnden Beziehung und kann sie nur verschlimmern. Dennoch werben wir hier nicht für die monogame Intimität als moralisch bessere Wahl. Wir ziehen sie auch nicht deshalb vor, weil sie allgemein am beliebtesten ist. Wir haben uns nur für unsere eigenen Beziehungen dafür entschieden, also kennen wir diese Variante am besten.

Wenn wir zwei unsere Beziehungsprobleme zusammenzählen, ist uns im Laufe unseres Lebens so ziemlich alles begegnet. Jos Arbeit als Beraterin von Opfern häuslicher Gewalt in den 1990er Jahren hat ihren Glauben an gesunde Nähe erschüttert. Viele harte Jahre lang half sie Menschen, sich aus gefährlichen Beziehungen zu befreien, und musste dann hilflos mit ansehen, wie diese Menschen zu ihrem gefährlichen Partner zurückkehrten, um sich erneut misshandeln zu lassen. Da fühlt man sich leicht mal als die miserabelste Opferberaterin der Welt. Graeme arbeitet seit dreißig Jahren als Psychotherapeut. Ausgerüstet mit einem großen Vorrat an Taschentüchern, verbringt er den ganzen Tag damit, Männern, Frauen und Paaren (homo- wie heterosexuellen) zu Einsicht und Selbsterkenntnis zu verhelfen. Er hat Menschen in ihren besten und ihren schlimmsten Augenblicken erlebt, am Ende und in tiefstem Schmerz. Er hat mit schwer traumatisierten Patienten gearbeitet, Gutachten über Mörder im Todestrakt verfasst, Folteropfer therapiert und in politischen Schauprozessen als Sachverständiger für Freiheitskämpfer gesprochen. Und er hat gesehen, über welch gewaltige innere Ressourcen Menschen verfügen können – zu trauern, Scham und Hass zu überwinden, zu lieben und ihre Fähigkeiten zu inniger Verbundenheit auszubauen.

Doch wie stets hat uns der eigene Lebensweg – von den ersten liebevollen Beziehungen zu Eltern und Geschwistern bis hin zur aktuellen Ehe und zu eigenen Kindern – am allermeisten gelehrt.

Jos Geschichte

Als ich zehn Jahre alt war, malte mein Vater, ein Comiczeichner, ein Superman-Plakat für mich. Am Himmel über dem Superhelden prangten die Worte »Superman Loves Joanne« – die Messlatte für meine romantischen Erwartungen war gelegt. Als ich mit Mitte zwanzig zur radikalen Frauenrechtlerin wurde, waren sämtliche Träume von einem großen, aufregend finsteren Liebhaber, dessen Leidenschaft mich von den Füßen reißen würde (Sie wissen schon – wie Heathcliff, aber ohne dessen psychotische Angewohnheiten), eines ziemlich grausigen Todes gestorben. Ganz offensichtlich war die Ehe nur etwas für wenig intelligente Mädchen, die nicht das Ziel hatten, zu reisen oder Bücher zu schreiben. Ich würde mich nie zum Altar »führen« oder als Mrs. Sowieso mit dem Nachnamen eines Mannes anreden lassen. Ich stellte mir vor, dass ich ein paar Kinder großziehen würde, gezeugt von verschiedenen Liebhabern, die kamen und gingen, vorzugsweise nach einer Art Rotationssystem wie in einer Sushi-Bar, damit mir nicht langweilig wurde. Das im Rahmen einer Ehe zu bewerkstelligen, deren Schwerpunkt nun mal eher auf Dingen wie Treue liegt, erschien mir nicht machbar.

Ich musste recht früh erwachsen werden – meine ältere Schwester war taub, also begann ich sehr früh zu sprechen (mit neun Monaten, erzählte man mir) und für sie zu übersetzen. Ich lernte, mich an mich selbst zu halten, wenn ich mich mal arm und hilfsbedürftig fühlte, und wurde ziemlich ungeduldig und intolerant, was Hilflosigkeit und Abhängigkeit anging. Also formte ich mich natürlich zu einem Menschen, der niemals abhängig von einem Mann sein würde. Ich flatterte zwischen Männern hin und her, immer mit einem Fuß schon wieder aus der Tür. Tagsüber war ich eine feministische Kriegerin in schwarzen Overknee-Lederstiefeln, doch bei Nacht – und nur, wenn ich ganz allein war – gestand ich mir in tragischen, vor Selbstmitleid triefenden Gedichten meine Sehnsucht nach der einen wahren Liebe, nach dem Richtigen ein.

Mit Ende zwanzig hatte ich genug vom fliegenden Wechsel und freundete mich mit dem klugen, lustigen Typen an, dessen Büro in der juristischen Fakultät, an der ich damals unterrichtete, neben meinem lag. Wir wurden richtig gute Kumpel, er brachte mich zum Lachen. Aber ich hatte kein romantisches Interesse an ihm. Ich meine, he – er war kleiner als ich.

Aber eines Abends nach ein paar Drinks sagte er mir, ich sei die Eine. Also die, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wolle. Ich war stinkwütend darüber, dass er eine so wunderbare Freundschaft riskierte, nur weil er mit mir ins Bett wollte (immerhin ganz nett zu wissen). Aber als ich über meine Wut hinwegsah, wurde mir klar, dass ich noch nie einen Mann etwas so Mutiges hatte tun sehen, die großen dunklen eingeschlossen. Also sagte ich: »Okay, aber nächstes Jahr will ich ein Baby.« Nachdem ich ihn wiederbelebt hatte, erklärte er, er müsse darüber nachdenken, weil er nicht sicher sei, ob er Kinder wolle. Es dauerte nur ein paar Tage, bis er sich wieder meldete: »Ja. Auf geht’s.« Ein Jahr später bekamen wir unsere Tochter und ein paar weitere Jahre darauf unseren Sohn. Und die ganze Zeit über vermehrten wir uns unehelich, zum kaum verhohlenen Grauen unserer Eltern.

Acht Jahre später heirateten wir, umringt von ein paar Freunden, barfuß in einem Park. Fragen Sie mich nicht, warum ich das getan habe. Ich weiß es immer noch nicht genau. Ich verstehe jedenfalls, warum die Leute eine solche Scheißangst davor haben, dass sie manchmal kalte Füße bekommen und abhauen. Vielleicht habe ich es deshalb getan, weil es mir so albern erschien. Und wenn es nicht hinhaut, kann ich mich ja immer noch scheiden lassen, oder?

Graemes Geschichte

Während Jo als Teenie ein Superman-Poster in ihrem Zimmer hängen hatte, hing bei mir das eines Super-Seelenklempners: Sigmund Freuds Profil, dessen Konturen durch eine liegende nackte Frau dargestellt wurden. Darüber stand: »Woran ein Mann gerade denkt«. Ich hatte viel zu denken, und Mädchen waren nur ein Teil davon. Meine Eltern liebten mich und sorgten gut für mich, aber ich wuchs in der ständigen Spannung ihrer lieblosen Ehe auf, geprägt von der Resignation meiner Mutter und dem Jähzorn meines Vaters. Ich war ein sensibles Kind mit einem guten Gespür für die Bedürfnisse und Stimmungen anderer Menschen. Und dann starb mein Vater, als ich acht Jahre alt war. Meine Schwester, mein Bruder und ich schlossen einen Pakt: Wenn wir Dad nie erwähnten, würden wir den Schmerz über seinen Verlust nie spüren müssen. Diese Kombination hätte wohl so ziemlich jeden zur Psychologie geführt.

Außerdem machte sie mich zum Serien-Monogamisten. Ich zappte von einer Freundin zur nächsten, blieb selten länger als ein Jahr bei einer hängen, bewältigte die Verliebtheitsphase mit mehr oder weniger seelischer Verbindung, zog mich aber dann zurück, wenn die größeren Herausforderungen echter Nähe anstanden. Von außen wirkte ich wie ein Fels, während ich mich innerlich wie ein Zweiglein fühlte. Ich war mit Schuldgefühlen beladen und von Ängsten getrieben. In meinen Beziehungen fiel ich stets in eine Art Starre, war wie gelähmt von den paradoxen Ängsten vor zu viel Nähe und zu viel Distanz. Wenn du zu intensiv fühlst, so lautete mein unbewusstes inneres Drehbuch, wird jemand sterben.

Mein Unbewusstes hielt mich also gefangen, doch es zeigte mir schließlich auch einen Ausweg: Ich wurde klinischer Psychologe – »um Menschen zu helfen«, sagte ich mir. In Wahrheit wollte ich natürlich mir selbst helfen, indem ich die Zehen ins Meer fernöstlicher Spiritualität tauchte, Meditation ausprobierte und Jung las. Ich war genauso verloren und unfreiwillig distanziert wie eh und je. Falls es da draußen irgendwelche universellen Wahrheiten geben sollte, habe ich sie jedenfalls nicht gehört. Und dann fand ich zur Psychotherapie und zur Welt der Psychoanalyse. Die therapeutische Beziehung gab mir genau das, was ich wollte: das Gefühl, verstanden zu werden, und einen sicheren Ort, an dem ich weinen, meine Wut herauslassen und nachdenken konnte. Ich durfte meine Verluste betrauern und lernte mich selbst besser kennen. Allmählich lernte ich zu lieben, ganz unvollkommen (und zu dieser Zeit begann ich mich erst richtig auf meine Arbeit als Psychotherapeut einzulassen). Erst dann konnte ich mich dafür entscheiden, mit der Frau zusammen zu sein, die später meine Frau werden würde – jemand, mit dem ich gemeinsam weiterlernen und in deren Armen ich immer meinen Weg finden kann, wenn alte Dämonen sich bemerkbar machen. Zwanzig Jahre und drei tolle Kinder später haben wir viel gefunden, womit wir zu kämpfen haben, und viel Liebe, für die wir dankbar sein können.

Sich konstruktiv aneinander reiben

Jo als ehemalige Frauenrechtsaktivistin hat für dieses Buch eine Vision: Es soll eine Revolution der Nähe anstoßen und Menschen motivieren, die Liebe zu retten wie einen Regenwald oder eine vom Aussterben bedrohte Walart. Graeme hegt die bescheidene Hoffnung, es könnte Menschen dazu bewegen, ein bisschen anders über ihre Beziehungen nachzudenken als bisher, doch er fragt sich schon, wie viele Leser die Weisheiten dieses Buches über die erste Begeisterung beim Lesen hinaus beherzigen werden. Ja, ja, erwidert Jo, aber das ist wie mit dem hundertsten Affen, einer könnte drei ermuntern, und die drei wieder zehn – du weißt schon, es könnte sich wie ein Virus verbreiten. Das ist Graeme ein bisschen zu »esoterisch«, doch selbst er gibt zu, dass auch jedes Paar zum menschlichen Kollektiv gehört und es einen gewissen Dominoeffekt geben könnte.

Um ganz ehrlich zu sein: Als wir mit diesem Projekt begannen, hatten wir keine Ahnung, ob wir das wirklich durchziehen oder einander nur tierisch nerven würden. Unser Schreibstil, unsere Überzeugungen und unsere Lebenspraxis sind völlig entgegengesetzt. Jo ist impulsiv, Graeme bedacht. Jo stürzt sich am liebsten einfach in die Arbeit und lässt die Dinge sich entfalten, während Graeme Strukturdiagramme, Inhaltsübersichten und Arbeitsblätter vorzieht. Jo meditiert und glaubt an Gott, der in Graemes Augen ein Oberbegriff für bestimmte rezeptfreie Medikamente ist. Jo ist überzeugt davon, dass Psychotherapie eine »Krücke« ist und die Leute dabei nur in alten Wunden herumstochern und danach umso mehr an ihren Geschichten festhalten, warum sie das Opfer sind – wenn das stimmte, wäre Graeme seinen Job los. Verstehen Sie, worauf wir hinauswollen? Von der Startlinie weg sah es so aus, als könnte unsere Freundschaft zum Untergang verdammt sein.

 

Warum also beschließen zwei Leute, die sich nicht einmal auf eine Lieblingssuppe einigen können, gemeinsam ein Buch über Nähe, über Intimität zu schreiben? Es wäre viel einfacher gewesen, das allein zu tun, oder? Dann müsste man mit niemandem streiten, es gingen keine gereizten SMS hin und her, keiner würde einem die Lieblingssätze rausstreichen oder drohen, das Ganze hinzuschmeißen, wenn man diesen Absatz drinlässt. Das Buch allein zu verfassen wäre leicht, bequem. Tja, genau deshalb haben wir das nicht getan. Wir finden, dass ein Buch über Nähe – mit Unterschieden klarkommen und trotzdem eng zusammenbleiben – ganz genau dieses etwas dünne Eis braucht. Unser gemeinsamer Prozess des Schreibens würde den Inhalt spiegeln. Wir würden Löcher in die unreflektierten Annahmen des jeweils anderen bohren, hochgeschätzte Überzeugungen schlucken müssen, dem anderen jede Heuchelei unter die Nase reiben und ihm seine blinden Flecken vor Augen führen. Uns war klar, dass das hin und wieder Auseinandersetzungen geben musste und wir gezwungen sein würden, sie möglichst konstruktiv zu lösen. Entweder einigten wir uns, oder wir würden dem Verlag unseren Vorschuss zurückzahlen müssen.

Aber was genau ist eigentlich Nähe? Intimität, Vertrautheit – Sie wissen schon, das, worum es in diesem Buch geht? Kuscheln? Knutschen? Schmetterlinge im Bauch? Leise Stimmen? Gut zueinander sein? Und nie gemein sein? Jede Menge »Ja, Liebling« und »Wie du willst, Schatz«? Nein, auf keinen Fall, erklärte Jo schaudernd. Und Graeme stimmte zu. Aha! Da hatten wir also etwas, worin wir uns von vornherein einig waren: Nähe beinhaltet Konflikte. Denken Sie ruhig mal darüber nach. Die meisten von uns schaffen es nicht einmal, längere Zeit innerlich vollkommen ruhig und friedlich zu sein. Oder fühlen Sie sich nie hin- und hergerissen? Unsicher? Können Sie sich einfach nicht entscheiden? Wie groß ist also die Chance, dass zwischen zwei völlig verschiedenen Menschen dauerhaft friedliche Einigkeit herrscht? Harmonie ist etwas Schönes – in der Musik oder auch in einem Namen, aber ansonsten beruht sie auf unserem kindlichen Bedürfnis nach Sicherheit und der Illusion, wir könnten alles Unbekannte von uns fernhalten. Ja, ein paar Streitigkeiten (nicht so viele, dass wir uns bedroht fühlen) erhalten eine gewisse Spannung. Wenn wir unsere Unterschiede mit der Planierraupe ausbügeln, walzen wir damit die Erotik platt. Wo bleibt der Nervenkitzel? Ein bisschen Reibung, die den Funken hervorbringt? Ohne Leidenschaft geht der Nähe bald die Puste aus. Wer bedingungslos angehimmelt werden möchte, sollte sich einen Hund zulegen. Wenn Jo mit einem Schleimer und Speichellecker verheiratet wäre, käme es irgendwann zu Verzweiflungstaten, bei denen vermutlich ein Nudelholz oder ein anderer schwerer Gegenstand eine Rolle spielen würde. Graeme steht nicht so auf Nudelhölzer, aber ebenso wenig auf Jasager. Mit einer Frau zusammenzuleben, die ihre eigenen Träume und Ziele hat, kann anstrengend sein, aber es ist auch ausgesprochen belebend.

Also rollen wir den roten Teppich aus für den Star des Abends, den Konflikt. Konflikte sind unausweichlich – in angemessener Dosis und wenn man gut damit umgeht, sogar wünschenswert, und wir werden Ihnen zeigen, warum. Wir definieren uns selbst und unsere Beziehungen, indem wir zusammenstoßen, manchmal sanft, aber mitunter auch ein bisschen derber. Nähe ist eine Herausforderung im Multitasking – wir müssen daran festhalten, wer wir sind (an unserem eigenen ausdifferenzierten Selbst mit seinen Grenzen), und zugleich mit unserem Partner verbunden bleiben (indem wir etwas von uns mit ihm teilen, offen sind für das, was er mitbringt, indem wir zuhören und erzählen). Die Herausforderung besteht darin, ein äußerst schwankungsanfälliges System halbwegs stabil zu halten, ein bisschen Türenknallen, ein »Du bist so blöd« hier und ein »Ich hasse dich!« dort anmutig zu bewältigen und diese Energie in aufregende Streitgespräche und phantastischen Sex umzulenken. Wie wir über die Schlaglöcher auf diesem Weg denken und wie wir mit ihnen umgehen, macht also oft den Unterschied aus zwischen »Sag mir Schweinereien« und »Sag das meinem Anwalt«.

Die Blinden und der Elefant

Jede Geschichte hat drei Seiten:

meine, deine und die Wahrheit.

Joe Massino, Mafiaboss

 

Es gibt eine uralte Geschichte von einer Gruppe blinder Menschen, die alle einen Elefanten berühren und gefragt werden: »Was ist das?« Derjenige, der den Rüssel berührte, antwortete, es sei eine Schlange, der am Bein hielt es für einen Baumstamm, der Blinde, der das Ohr in der Hand hielt, behauptete, es sei ein Fächer, und der mit dem Schwanz erklärte, es handele sich um ein Seil.

Stellen wir uns also »in einer Beziehung sein« so vor, als berührten wir mit verbundenen Augen einen Elefanten. Wo wir jeweils stehen, bestimmt und begrenzt, was wir wahrnehmen. Keiner von uns kann das ganze Ding auf einmal ertasten. Mit diesem Buch möchten wir zeigen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, sich in einer Beziehung zu verhalten, zu agieren und zurückzutreten und eine andere Perspektive einzunehmen, die dabei helfen können, Nähe langfristig zu erhalten. Wenn wir also ganz hinten stehen, nur den dünnen Schwanz spüren und es nach Mist stinkt, können wir trotzdem das Bild des ganzen Elefanten, das heißt unserer ganzen Beziehung, vor unserem geistigen Auge festhalten.

Es gibt kein Geheimnis und keine Formel für Nähe. Wir werden hier kein Schema mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen vorstellen. Nähe ist grundsätzlich Kür, freie Form, in die jeder von uns sich mit seinem eigenen Körper, seinen eigenen Rhythmen und seiner eigenen Energie hineinbewegt. Es ist also egal, ob ihr Salsa, Samba, Foxtrott, Dirty Dancing oder Walzer vorzieht – solange ihr euch nur zusammen weiterbewegt. Wir hoffen, dass dieses Buch eine neue Denkweise über die Liebe eröffnen wird, die auch zu einer neuen Daseinsweise führen kann.

Und sosehr wir alle eine Ziellinie schätzen – im Gegensatz zu einem Becher Eiscreme oder zur Lieblingsserie im Fernsehen sind Liebe und Nähe endlos. Keine leere Packung, kein Staffelfinale. Sie werden Ihr Leben lang immer wieder neu herausfinden, wer Sie sind, wenn Sie jemand anderen kennenlernen, denn es gibt immer noch mehr zu lernen.

 

Was wird jetzt eigentlich aus Steph und Daniel? Lassen wir sie einfach stehen, während sie sich an die Kehle gehen? Werden sie wieder zueinanderfinden? Und was ist mit uns, mit Jo und Graeme? Wird unsere Freundschaft das Erscheinungsdatum noch erleben? Wir hoffen, dass Sie uns begleiten, wenn wir im Laufe des Buchs immer wieder mal nach Steph und Daniel schauen und Ihnen andere Paare und Singles vorstellen. Manche von ihnen suchen verzweifelt nach Liebe, andere drohen darin zu ersticken, wieder andere packen an, und manche sagen sich »Ach, was soll der Mist« und werfen das Handtuch. All die Themen, Konflikte und psychodynamischen Prozesse in den folgenden Kapiteln beruhen auf echten Menschen, Beziehungen und Gesprächen, aber die Charaktere sind natürlich reine Fiktion, und jegliche Ähnlichkeit mit echten Personen wäre rein zufällig. Bis auf das Nachwort, in dem es wieder um uns geht. Falls Sie jedoch in den Dramen, die sich jetzt entwickeln werden, irgendwo ein bisschen von sich selbst entdecken, könnten Sie das als Gelegenheit betrachten – als kleine Laterne, die Ihnen den Weg über die Brücke zu Ihrer eigenen Beziehung leuchtet.

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Teil 1

Wenn wir uns begegnen

1. Verlieben

Der Weg zur Nähe kann überall und jederzeit beginnen. Nichts ahnend kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten, und plötzlich taucht jemand auf, der Ihnen noch nie begegnet ist. Schon passiert es. Sie verlieben sich. Und Ihre Liebesgeschichte beginnt.

Erin und Mitch

An der Bar herrscht Gedränge. Erin tritt unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Ihre Hose ist zu eng. Wäre ich doch lieber zu Hause geblieben, denkt sie. Heute Abend läuft Sex and the City im Fernsehen. Und im Tiefkühler ist noch ein Rest Cookies ’n’ Cream. Sie zückt ihr iPhone. Eine neue E-Mail legt ihr nahe, sich den Penis vergrößern zu lassen. Sie blickt sich in der Bar um und versucht, die lautesten Männer ausfindig zu machen – diese unsicheren Typen, die nach Aufmerksamkeit lechzen und glauben, ein großes Ding würde ihre Dämlichkeit kompensieren.

Es ist erst kurz nach halb elf – wenn sie jetzt schon geht, wird Tara sich im Stich gelassen fühlen. Erin nippt an ihrem Gin Tonic. Wenn der ausgetrunken ist, gehe ich aber, sagt sie sich. Tara kommt von der Damentoilette zurück, packt Erin bei der Hand und sagt aufgeregt: »Ich habe gerade ein paar Typen kennengelernt. Komm mit!« Erin zieht eine Augenbraue hoch. Taras Geschmack in Sachen Männer ist … nun ja, nicht Erins Geschmack. »Was denn?«, protestiert Tara, als sie zögert. »Die sind wirklich scharf!«

Erin lässt sich hinaus auf den Innenhof zu einem Stehtisch ziehen und beäugt die drei Männer, die darum herumstehen. Okay, vier Gläser Sekt haben Taras Urteilsvermögen nicht vollends getrübt – die Kerle sind tatsächlich süß. Aber Erin ist sicher, dass sie mit keinem von ihnen nach Hause gehen wird, und siehe da, einer trägt sogar einen Ehering. Nach ihrer letzten Beziehung denkt sie doch nicht mehr daran, wegen eines gutaussehenden Mannes gleich wackelige Knie zu kriegen. Bei Gus hätte sie es viel früher merken müssen. Selbst jetzt noch spürt sie dieses Brennen in der Brust – geblieben ist die Demütigung, ihn bei der SMS an irgendeine Frau zu ertappen (»Das hat nichts zu bedeuten, ehrlich nicht!«), die er bei einem Fußballspiel kennengelernt hatte – und in jener Nacht ist er nicht nach Hause gekommen. Inzwischen sind acht Monate vergangen, seit sie ihm den Laufpass gegeben hat – die köstlichsten und schwersten Worte, die sie jemals aussprach. So lange schon keinen Sex … Diese Trockenzeit könnte sie heute Nacht immerhin beenden. Sie wirft einen zweiten Blick auf die Männer – Mr. Eingebildet, Mr. Absolut-Perfekt und Mr. Ehering. Sie trinkt einen Schluck Gin Tonic. Kommt nicht in Frage.

Mitch schiebt sich gerade durch die Menge zu dem Tisch, an dem seine Freunde Tom, Sam und Sams Chef Antonio stehen – Sam hat ihn mitgeschleift, weil er Antonio überreden will, in ihre Fußballmannschaft einzutreten. Nur kurz erhascht Mitch einen Blick auf das lange, dunkle Haar einer Frau an ihrem Tisch. Antonio ist Ende vierzig, gepflegt und gestriegelt wie ein Zuchthengst. Sam vergöttert den Mann. Ist das zu fassen, die Jungs haben schon zwei Frauen aufgegabelt. Die Träger von Top und BH der Brünetten liegen locker auf ihren gebräunten Schultern, die Hose sitzt eng an einem schön gerundeten Po. Er muss den Arm an ihr vorbeischieben, um die Biergläser auf den Tisch zu stellen. Er bemerkt Sams selbstzufriedene Miene – diesen Gesichtsausdruck kennt er gut. Antonio trägt dasselbe siegesgewisse Grinsen im Gesicht. Die Brünette ist scharf, und die Jungs buhlen schon um sie. Tom hat immer noch das erste Bier des Abends in der Hand und wird sicher bald heimgehen, zu seiner Frau Phoebe. Mitch denkt daran, auch nach Hause zu gehen – bei dem, was jetzt hier abläuft, ist kein Platz mehr für ihn. »Entschuldigung«, sagt Mitch, als er sich an Erin vorbei nach vorn beugt, um Sam und Antonio ihr Bier zu reichen.

Erin sieht die Hand mit den Bierflaschen, die oben wie drei extragroße Daumen hervorragen, dann die Arme und die Brust. Und das Lächeln.

»Hallo, ich bin Mitch.« Er verschüttet ein wenig Bier. »Oh Mist, tut mir leid.«

Erin denkt: Er ist ein bisschen ungeschickt, und etwas in ihr findet das irgendwie süß. Und dann mit so großen Händen … reiß dich zusammen, Erin. »Hallo«, sagt Erin und stellt sich und ihre Freundin Tara vor. Sie fährt sich mit den Fingern durchs Haar und blickt auf, in sein Gesicht. Er muss etwa 1,85 Meter groß sein. Einen ganzen Kopf größer als sie. Mr. Absolut-Perfekt bemüht sich, Konversation zu machen, zieht Mitch wegen des verschütteten Biers auf, aber das sei ja nicht so schlimm, weil er »Mädchenbier« gekauft habe – vermutlich ein Witz über die Light-Sorte, die Mitch gewählt hat. Erin sieht Mitch unter dem leichten Bartschatten erröten. Tara lacht, als hätte sie noch nie so etwas Komisches gehört. Einen Augenblick lang verschwimmen die beiden Charmebolzen, die Erin gegenüberstehen, zu Gus. Sie wendet sich Mitch zu. »Dein Freund fährt einen Porsche, wie er mich unbedingt wissen lassen wollte. Was fährst du denn?«

»Ein Feuerwehrauto«, antwortet Mitch mit einem verlegenen Lächeln. Er trinkt einen Schluck Bier aus der Flasche.

Sie erwidert sein Lächeln. Ihre Augen lachen dabei, was ihm das Gefühl vermittelt, als amüsierte sie sich über einen Witz, den er nicht verstanden hat. Aber sie hält direkten Augenkontakt, so offen, als hätte sie ein Geheimnis, das sie nur ihm anvertrauen wolle. Der Innenhof ist voller Menschen, die umherschlendern und sich an ihnen vorbeischieben. Sie hat die Schultern leicht gedreht, so dass sie nun mit ihm einen intimen kleinen Kreis bildet. Er kann ihr Parfüm oder ihre Haarspülung riechen. Aprikose? Avocado? Verdammt, was weiß er schon von Frauenkosmetik? Seine letzte Beziehung ist fünf Jahre her. Kurz nachdem sie auseinandergegangen war, hatte Natasha so einen Finanzmenschen geheiratet – eine Riesenfeier mit weißem Brautkleid und allem Drum und Dran. Inzwischen hat sie schon zwei Kinder. Mitch hatte seither ein paar One-Night-Stands, wenn er zu viel getrunken hatte, aber danach fühlte er sich immer leer und hatte der Frau in seinem Bett nichts zu sagen.

Seine Unterhaltung mit Erin schließt sich um sie beide wie ein Vorhang, der sie von den anderen abschirmt. Sie arbeitet im Marketing einer Kaffeefirma. Ob er Kaffee trinkt? Ja. Welche Sorte? Ist ihm egal – was eben da ist.

Sie boxt ihn sachte gegen die Schulter. »Du solltest wirklich wählerischer sein. Einige Kaffeesorten sind Müll, voller Chemikalien.«

Er zuckt mit den Schultern. »Ich bin eben nicht pingelig.«

Sie will wissen, warum er Feuerwehrmann geworden ist. Er erzählt ihr, dass er ursprünglich Informatik studierte und es grässlich fand. Dann hat er eine Doku über die Anschläge vom 11. September gesehen und erkannt, dass er sein Leben nicht damit verbringen wolle, auf einen Monitor zu starren. Er wollte etwas tun, das wirklich zählte. All das sagt er ihr, ehe ihm bewusst wird, wie viel er redet. Dass er sein ganzes Leben vor ihr ausbreitet. Aber sie lacht über seine nicht sonderlich witzigen Scherze, und sein Blick wird nicht von ihren Brüsten angezogen – nur von ihrem Mund und ihren Augen, deren warmer Braunton ihn an einen Van-Morrison-Song erinnert. Erin – der Name passt zu ihr, ein bisschen ungewöhnlich, wie aus einem Märchen.

Er setzt sein Leben aufs Spiel, um andere zu retten, denkt Erin. Das ist so verdammt sexy. Sie würde ihn gern fragen, ob er eine Freundin hat, aber … puh, nein. Das wirkt viel zu … begierig. Normalerweise merkt sie doch, ob ein Mann an ihr interessiert ist oder nicht. Aber bei ihm wäre es möglich, dass er nur höflich ist – Feuerwehrleute machen wahrscheinlich Konversationstraining, damit sie etwas Passendes sagen können, wenn sie alte Damen und Kinder in Lebensgefahr retten. Er ist kein Angeber. Er versucht nicht, sie zu beeindrucken. Ja, er wirkt beinahe schüchtern. Kein bisschen Großspurigkeit. Keine Anmache. Nur entspannte Unterhaltung. In dem Stimmengewirr um sie herum kann sie nur noch seine Stimme hören.

Als Tara sagt: »He, Erin, wir sollten dann«, schaut sie auf die Uhr – zwanzig Minuten nach Mitternacht.

Mitch blickt sich um und stellt fest, dass Tom und Sam gegangen sind. Nur Antonio ist noch da.

»Also dann, hat mich gefreut«, sagt sie und lächelt Mitch an.

Sie wendet sich zum Gehen, und er sagt etwas, das sie in dem Lärm nicht ganz versteht. Sie beugt sich zu ihm vor, und er wiederholt: »Na ja, vielleicht zeigst du mir mal, was ein anständiger Kaffee ist …«

Sie lächelt. »Das betrachte ich als meine Bürgerpflicht.« Er zückt ein ziemlich altes Handy und reicht es ihr. Sie tippt ihre Nummer ein. Als sie ihm das Handy zurückgibt, streifen sich ihre Hände.

Mitch und Antonio schauen den beiden Frauen nach.

»Gute Arbeit«, sagt Antonio. »Ich hätte sie gern flachgelegt, aber offenbar steht sie auf Männer in Uniform, was?« Mitch ignoriert die Bemerkung, trinkt einen Schluck von seinem lauwarmen Bier und umklammert das Handy in seiner Hosentasche. Sein Herz galoppiert wie ein wildes Pferd.

 

Sie treffen sich auf einen Kaffee. Erin rät ihm, den Zucker wegzulassen, weil er den Geschmack des Kaffees verdirbt. Er hat noch nie Kaffee ohne Zucker getrunken, aber he, sie ist die Expertin. Sie erzählt ihm von ihrer Mutter, die sich gerade zum – war es das dritte oder vierte Mal? – hat liften lassen. Und von ihrem Bruder Rob, der schwul ist und seit vier Jahren mit seinem Freund Tariq zusammenlebt. »Man hört doch so oft, schwule Männer könnten nicht treu sein«, sagt sie. »Die Leute haben keine Ahnung. Rob und Tariq würden einander nie betrügen – obwohl es heißt, sag niemals nie, oder?« Sie schwatzt von ihrer besten Freundin Tara, die ja so ichbezogen und kindisch sein kann, vor allem in Gegenwart von Männern, aber wenn man sie besser kennt, ist sie einfach nur ein Schatz. Er ist so ein guter Zuhörer, denkt sie. Spontan fragt sie ihn, ob er mit ihr zum Yoga-Kurs gehen möchte, und statt »Yoga ist was für Schwuchteln« oder etwas in der Art antwortet Mitch: »Klar, gerne.«

Ihr zweites Date ist also eine Yoga-Stunde, auf das ein paar Tage später ein Abendessen folgt. Er erinnert sich an alles, was sie ihm erzählt hat, bis hin zu albernen Kleinigkeiten wie dem Namen ihres ersten Hundes – Denture –, der vor ihren Augen überfahren wurde. Er gibt ihr das Gefühl, dass alle ihre Gedanken und Gefühle vollkommen berechtigt sind und dass sie keineswegs überempfindlich oder kleinlich ist. Deshalb ertappt sie sich beim Hauptgang mit dem zweiten Glas Rotwein in der Hand dabei, wie es für sie war, als ihr Vater ihre Mutter wegen einer anderen Frau verließ. Dass sie als Teenager das Gefühl hatte, sich auf die Seite ihrer Mutter stellen zu müssen, so dass ihr Verhältnis zu ihrem Vater sehr angespannt war. Als kleines Mädchen hatte sie ihn vergöttert, doch später erkannte sie, was für ein egoistisches Arschloch er in Wahrheit ist, aber vielleicht glaubt sie das auch nur, weil ihre Mutter es immer gesagt hat … sie ist sich nicht mehr sicher. Zum Glück war ja ihre Cousine Stephanie für sie da, wenn ihr zu Hause alles zu viel wurde – sie haben zusammen Nirvana gehört und ein paar Joints geraucht. Mitch muss unbedingt Steph und ihren Mann Daniel kennenlernen – die beiden sind ihre großen Vorbilder. Erin war Brautjungfer bei Stephs Hochzeit, und sie erzählt ihm von dem gruseligen pfirsichfarbenen Kleid, das sie damals tragen musste. Sie kichern über die Vorstellung von Erin in Pfirsichrosa. »Schreckliche Farbe, steht mir absolut nicht«, sagt Erin und verzieht das Gesicht. Mitch entgegnet, er könne sich niemanden vorstellen, der in Pfirsichfarben gut aussähe – also stimmt er ihr zu, macht aber dennoch ein Kompliment daraus. Und zum ersten Mal seit langer Zeit – nein, vielleicht zum ersten Mal überhaupt – spürt sie dieses komische, flatternde Gefühl, das ihr beinahe Tränen in die Augen treibt, und sie denkt: Er versteht mich wirklich. Ob er mich heute Abend küssen wird?

Mitch kann irgendwie kaum glauben, dass jemand wie sie – so umwerfend schön und klug und lebhaft – offenbar auf ihn steht. Er hört sich, wie er ihr alles Mögliche erzählt, Dinge, die er noch nie zuvor in Worte fassen konnte. Er erzählt ihr von diesem Alptraum, in dem er seine Familie aus dem Feuer retten muss und nach dem er immer mit dem Geschmack von Rauch in der Kehle aufwacht. Von seiner Mutter, die ihm erst kürzlich enthüllt hat, dass sie während der ersten zwei Jahre seines Lebens an postpartaler Depression litt. Und Erin berührt sacht seine Hand und sagt: »Wie kann jemand deprimiert sein, wenn du in der Nähe bist?«

Die Vorstellung, sie zu küssen, macht ihn wahnsinnig nervös, aber er kann kaum noch an etwas anderes denken. Was, wenn sie zurückweicht und sagt: »Tut mir leid, da hast du wohl einen falschen Eindruck bekommen«? Als er sie vom Auto zu ihrer Wohnungstür begleitet, lehnt sie sich an ihn. Spontan legt er den Arm um sie, und sie lehnt den Kopf an seine Schulter. In diesem Moment verfliegt seine Nervosität, er bleibt stehen, wendet sich ihr zu und umfängt ihr Gesicht mit beiden Händen. Er sieht ihr in die Augen, ehe er sie küsst, langsam und innig. Sie schlingt die Arme um seinen Nacken, und er spürt förmlich, wie in seinem Inneren eine Staumauer dicke Risse bekommt.

In ihrer Wohnung umfasst er ihren Po und drückt sie von innen an die Wohnungstür. Sie schnappt nach Luft, als sie seine Erektion an ihrem Bauch spürt.

Geh nicht. Bleib heute Nacht bei mir.

Himmel … Ich kann nicht genug von ihr bekommen.

Oh Gott, ich will ihn. Diese starken Arme … und was für Schultern. Als wären wir füreinander geschaffen.

In den nächsten Wochen vergeht der Arbeitstag wie im Flug. Freunde und Familie kommen zu kurz. Die letzten zwei SMS von Tara beantwortet Erin einfach nicht. Mitch weist Sams Einladung zum Fußballspiel zurück, obwohl Antonio ihnen Plätze in der VIP-Lounge des Stadions besorgt hat. Erin und Mitch wollen nur noch zusammen sein. Reden, Händchen halten, sich eine Flasche Wein teilen oder einen Hamburger. Gegenstände, die dem anderen gehören – eine Bürste, die in seinem Auto liegen geblieben ist, seine Fußballschuhe in der Ecke ihres Wohnzimmers –, bekommen auf einmal besondere Bedeutung. Sie riecht ihn an sich und will diesen Duft nicht abwaschen. Er findet ein verirrtes Haar von ihr an seinem Pulli und zupft es nicht ab. Sie haben noch nie jemanden kennengelernt, der so gut, so lieb, so verständnisvoll, so einmalig ist.

Die Welt tritt in den Hintergrund, es gibt nur noch sie beide. Dies ist das Ende der Sehnsucht und der Anfang des »wir«, der passendste Augenblick für Rumis Worte: »Liebende begegnen sich nicht endlich irgendwo. Sie sind schon immer einer im anderen.« Wenn Mitch Erin ansieht, erwacht in ihm noch ganz verschlafen das Gefühl, sie vollkommen und schon ewig zu kennen. »Du bist es – endlich.«

 

Süß, nicht? Vielleicht ein bisschen kitschig, so von außen betrachtet. Aber wenn man selbst in so einer Geschichte drinsteckt, ist es einfach phantastisch – als wären sich soeben Vagina und Penis zum ersten Mal begegnet und hätten begriffen, wozu sie da sind. Sich zu verlieben ist ein schwindelerregendes, erschütterndes Erlebnis, beinahe eine Art Wahn. Zwei Menschen verschwinden in einer zeitlosen Sphäre, lieben sich stundenlang und lassen sich gerade lange genug los, um einem dringenden Bedürfnis nachzugehen oder über den Kühlschrank herzufallen. »To fall in love«, in Liebe hineinfallen, kopfüber. Wenn wir frisch verliebt sind, können wir schon ein bisschen verrückt erscheinen. Wir sind optimistisch und voller Hoffnung. Schwindelig vor Glück. Offen für Neues – bereit, Speisen zu probieren, die wir noch nie gegessen haben, einen Tag auf dem Golfplatz oder beim Pferderennen zu verbringen oder in die Oper zu gehen. Für diesen Zustand hat die amerikanische Psychologin Dorothy Tennov den Begriff »Limerenz« geprägt. Die Magie dieses Gefühls ist dermaßen stark, dass sich der härteste Skeptiker fragen muss, ob das alles nicht doch irgendwie Schicksal sei – wie Platon, der in Symposion Liebende als zwei Hälften einer Seele beschrieb, die voneinander getrennt wurden und ihr Leben lang nach der anderen Hälfte suchen. John O’Donohue, der keltische Schriftsteller, schrieb in Anam Cara, wie sich zwei getrennte Wesen endlich »begegnen«, nachdem sie sich jahrelang nach ihrem Liebsten gesehnt hatten – ein ergreifender Augenblick des Wiedererkennens zweier Seelen, als hätte sich ein »uralter Kreis« zwischen zwei Menschen geschlossen. »Füreinander bestimmt«, »Schicksal«, »Seelengefährten« und so weiter.

Diese glamouröse Vorstellung wird jedoch bald genug von der Realität eingeholt, wenn man dem Partner nicht mehr tief in die Augen schaut, sondern auf seine schmutzige Unterwäsche im Bad. Außer man kann das Eingeständnis ertragen, dass selbst dem Schicksal Fehler unterlaufen. Keine Sorge, wir haben nicht vor, die Romantik für tot zu erklären. Sie ist der Treibstoff, der eine Beziehung in Gang bringt, und eine der größten Freuden im Leben. Aber da wir hier nun mal wie Erwachsene miteinander reden wollen, müssen wir eines klarstellen: Romantik bedeutet nicht, dass man jemanden kennenlernt. Tatsächlich ist Verliebtsein das genaue Gegenteil – eine vorübergehende Blindheit, die jedoch von selbst heilt, sobald die rosafarbenen Brillengläser Sprünge bekommen und das, was man in den anderen hineinprojiziert hat, allmählich verfliegt. Erst wenn sich der Nebel der Limerenz verzieht, kann man den Menschen vor sich wirklich erkennen.

Die Chemie der Liebe

Was bringt zwei Menschen zusammen? Wenn Erin sagt: »Wir haben uns auf Anhieb verstanden«, und Mitch erklärt: »Die Chemie hat einfach gestimmt«, dann haben beide recht. Die Liebe ist schon eine herrliche Sache, aber die jüngsten Fortschritte in den Neurowissenschaften bringen mehr Klarheit. Forscher konnten drei unterschiedliche physiologische Prozesse ausmachen, die ablaufen, wenn sich zwei Menschen zusammentun.

 

Lust: der unwiderstehliche Wunsch, zu berühren und sinnlichen Genuss zu erleben; das Begehren von Haut an Haut und der köstlichen Reibung, die entsteht, wenn zwei Körper sich aneinander, umeinander und ineinander bewegen. Sex natürlich – ständige Gedanken an und gelegentliches Erleben von Sex im Aufzug, Sex auf der Motorhaube, Sex auf dem Küchentisch, Sex am Nachmittag, Sex mitten in der Nacht, Sex vor dem Aufstehen, Sex jetzt gleich und dann wieder in zwanzig Minuten, Sex unter der Dusche, Sex im Whirlpool, Sex in der Sauna und was für Sex auch immer, den wir hier nicht aufgelistet haben.

Romantische Liebe: ein Schmerz in der Brust, leichte Übelkeit. Die Anwandlung, zum ersten Mal im Leben Lieder oder Gedichte schreiben zu wollen. Emotionale Schwindelgefühle, Atemlosigkeit. Wie Romeo eben Julia liebte. Manchmal schwer von einer psychischen Störung zu unterscheiden.

Emotionale Bindung: Freundschaft, Kameradschaft, Vertrauen, Respekt, Güte, Großzügigkeit. Gemeinsame Vergangenheit und Erlebnisse. Abhängigkeit. Die Verwicklung zweier Lebensgeschichten miteinander. Manchmal Koabhängigkeit. Kann erstickend oder klaustrophobisch werden, Ablösung fällt schwer.

 

Die Neurowissenschaftler haben also die Liebe ent-mystifiziert und ent-poetisiert, indem sie bestimmte Neurotransmitter nachgewiesen haben, die an diesen Prozessen beteiligt sind: Substanzen, die Nervenimpulse weiterleiten. In der Leidenschaft gibt das Testosteron den chemischen Ton an (auch bei Frauen). Die romantische Liebe steht mit dem verstärkten Ausstoß von Dopamin und Noradrenalin in Verbindung, und mit einer Verringerung von Serotonin. Emotionale Bindung setzt Oxytocin und Vasopressin frei. Die Lust drängelt sich normalerweise energisch nach vorn, aber sie ist launisch und treibt uns manchmal jemandem in die Arme, den wir als Person eigentlich gar nicht mögen – in den wir uns nie verlieben würden und mit dem wir uns keine langfristige Beziehung wünschen.

Die Lust kann sich zur romantischen Liebe entwickeln und sich mit ihr überschneiden, und die romantische Liebe wiederum reift zur Bindung heran. Es kann natürlich auch andersherum laufen, wie wir seit Harry und Sally wissen – zwei Freunde können sich verlieben und dann vor Leidenschaft geradezu entbrennen. Wir Menschen bringen es auch fertig, eine Person zu begehren und in eine andere romantisch verliebt zu sein, während wir an eine dritte gebunden sind, was aus all diesen Bedürfnissen ein ziemliches Chaos entstehen lässt. Fremde, die uns irgendwo begegnen, lassen uns ein paar Dutzend Mal pro Tag an Sex denken. Menschen haben Affären, die »gar nichts bedeuten«. Eine Frau findet sich mit einem unbefriedigenden Sexleben ab, weil »Leidenschaft sowieso irgendwann erlischt« und ihr Mann ihr ja so viel mehr zu geben hat. Bei einer Schüssel Popcorn und einer DVD empfinden wir plötzlich Begehren für jemanden, mit dem wir schon seit ewigen Zeiten nur gut befreundet sind. Wir können jemanden »anbeten« und ein paar Tage später schon einen Umweg zur Arbeit machen, um dieser Person ja nicht zu begegnen. Wir haben heißen Sex mit einem Fremden im Mondschein und stellen dann im hellen Tageslicht fest, dass wir lieber die Steuererklärung machen würden, als uns mit ihm zu unterhalten. Nähe ist keiner dieser Impulse allein.

Von Nähe und Vertrautheit kann man sprechen, wenn man über gewisse Zeit hinweg alle drei erlebt – und zwar immer wieder, sozusagen zyklisch – mit ein und derselben Person. Wie kommt man dahin? So, wie heutzutage alles läuft: durch ein gutes Netzwerk. Tief unten auf der Ebene von Knorpel und Blut sind diese drei Impulse miteinander verbunden. Ein »tiefschürfendes« Gespräch mit jemandem, bei dem man sich die Augen ausheult, kann sich leicht zu unzüchtigen Gedanken daran verirren, dem Gegenüber die Kleider vom Leib zu reißen. Orgasmen wiederum bringen einen dazu, verrücktes Zeug zu sagen wie »Ich liebe dich«, und ehe man sich versieht, spinnt sich ein Netz aus Hirnchemie, Emotionen, Worten und Gedanken, das zwei Menschen aneinander bindet. Was da so klebt? Das ist das Oxytocin, dieses Elixier des Wohlbehagens – als hätte man gerade eine Tafel seiner Lieblingsschokolade gegessen. Es ist die Spezialität von Orgasmen. Jedes Mal, wenn wir schreien »Oh Gott, ich komme!«, wird unser Hirn mit Oxytocin geflutet. Diese kleinen Explosionen im Unterleib machen heimlich Geschäfte mit Neurotransmittern. Was läuft da also ab? Wenn das Stöhnen und Japsen des Orgasmus nachgelassen hat, sehen wir die Person an, die ihn uns beschert hat, und assoziieren dieses weiche, warme Gefühl mit ihr – ganz ähnlich wie Pawlows Hunde Futter mit der Glocke verknüpften. Das ist eine trügerische Partnerschaft, die dazu führt, dass wir ganz leicht (auch mal dummerweise) eine emotionale Bindung zu diesem Fremden in unserem Bett entwickeln. Das kann gefährlich sein, und deshalb sollte man sich gut überlegen, ob man seine Orgasmen wahllos verschenken möchte (in diesem Punkt hatte deine Mutter recht). Den Unterschied zwischen bösen Jungs oder Schlampen und den Menschen, die man gern länger als eine Nacht behalten würde, können Neurotransmitter nicht erkennen. Wenn man sich verliebt, kommt in diesen Cocktail noch ein kräftiger Schuss Dopamin – der Neurotransmitter der Freude, der uns in Euphorie versetzt. Man ist buchstäblich süchtig nach dem Partner, und das von Tag zu Tag mehr. Wenn man dann mit ihm schläft, beginnt die eigene Identität mit seiner zu verschmelzen. Mauern stürzen ein, Grenzen verschwimmen. Aus Ich und Du wird Wir.

Das fühlt sich an wie Nähe. Es fühlt sich phantastisch an (wie könnte es anders sein, wenn man von der eigenen Hirnchemie völlig high ist?). Aber so leid es uns tut, Ihnen das sagen zu müssen: Das ist noch nicht Nähe. Das ist nur besonders intensive Emotion, der PR-Manager von Nähe und Vertrautheit. Und Sie haben sich von seiner Werbung verführen lassen.

2. Die Masche

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