Wie ich meine Tochter durchs Abitur brachte - Thomas Kausch - E-Book

Wie ich meine Tochter durchs Abitur brachte E-Book

Thomas Kausch

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Beschreibung

Die sagenhaften Unwägbarkeiten des Erziehungsalltags: Thomas Kausch erzählt witzig und selbstironisch, mit welchen Tricks, Finten und (manchmal sogar) Notlügen er den eigenen Nachwuchs durchs Abitur gebracht hat. Wie er sich im Kindergarten hauptsächlich mit den Läusen auf dem Kopf seiner Tochter herumschlagen musste, die sie sich aber immerhin vom Sohn eines Regierungssprechers geholt hatte. Wie er schon in der Grundschule als Elternsprecher mit mehr oder weniger großem Erfolg um die Noten seiner Tochter pokerte und am Ende der Schullaufbahn mit dem Abitur auch er eine große Prüfung zu bestehen hatte. Für alle Eltern, die nur noch mit Humor durch den Erziehungsalltag kommen.

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Thomas Kausch

Wie ich meine Tochter durchs Abitur brachte

Ein Helikoptervater dreht auf

Knaur e-books

Über dieses Buch

Die sagenhaften Unwägbarkeiten des Erziehungsalltags: Thomas Kausch erzählt witzig und selbstironisch, mit welchen Tricks, Finten und (manchmal sogar) Notlügen er den eigenen Nachwuchs durchs Abitur gebracht hat.

Wie er sich im Kindergarten hauptsächlich mit den Läusen auf dem Kopf seiner Tochter herumschlagen musste, die sie sich aber immerhin vom Sohn eines Regierungssprechers geholt hatte. Wie er schon in der Grundschule als Elternsprecher mit mehr oder weniger großem Erfolg um die Noten seiner Tochter pokerte und am Ende der Schullaufbahn mit dem Abitur auch er eine große Prüfung zu bestehen hatte.

Inhaltsübersicht

Für PaulineOkay, auch für KikiVor allem für Väter. [...]Und für JonHarrison FordNackt unter MütternErster Kindergarten – mit Falco, Schwarzenegger und DanzerZweiter Kindergarten – mit LäusenDritter Kindergarten – Läuse? Nein, Läuse hatte sie nieErste Grundschule – mein größter FehlerZweite Grundschule – Blondinen und BodyguardsDritte Grundschule – Hochmut kommt vor dem FallErstes Gymnasium – endlich im KlosterZweites Gymnasium – zurück zu LuiseErstes Gymnasium – doch lieber ins KlosterDie PromiklasseDie ProbezeitDas Sicherheitsnetz1. Pflock – der Golfclub Wannsee2. Pflock – der Tennisclub Blau-Weiß3. Pflock – das Graue Kloster4. Pflock – die Grunewald-GemeindeMein Glamour-Leben in New YorkVive la FranceWie ich aus meiner Frau eine Starfotografin machteJetzt auch noch JungsJetzt auch noch Drogen und InternetJetzt auch noch das Rauchen aufgebenJetzt auch noch FlashmobsJetzt noch schnell die Schule wechseln?Zwischenprüfung – Taylor Swift, Vanessa Hudgens und Dietrich BonhoefferLeistungskurse – Deutsch, Englisch und ein GaviLetzte Prüfungsvorbereitung – Obama, Clinton und Tokio HotelJetzt auch noch ScientologyDer große TagDanke
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Für Pauline

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Okay, auch für Kiki

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Vor allem für Väter. Und Mütter

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Und für Jon

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Pauline ist ein Wunderkind. Und das kam so:

Harrison Ford

Ich hatte mir immer ein Mädchen gewünscht, weil es von Anfang an mein Ziel war, das Kind zu verwöhnen. Das hätte bei einem Jungen merkwürdiger gewirkt. Außerdem wollen Jungs irgendwann nur noch raufen, hängen den Vätern im Schwimmbad auf dem Rücken und würgen sie dabei am Hals. Das ist nichts für mich. Zusammen das erste lange Kleid für den Abschlussball der Schule aussuchen, das stellte ich mir sehr schön vor. Und vielleicht auch den Tanzpartner.

 

Ich selbst wurde nicht verwöhnt. Alle trugen damals blaue Adidas-Schuhe, Modell Rekord. Die gab es ähnlich auch bei Deichmann, sahen fast genauso aus. Nur dass ein Streifen fehlte. Das war sehr auffällig. Kann man sich eine größere Demütigung vorstellen? Ja: Die Palomino-Jeans von C&A. Die hatte unten rechts am Schlag noch ein kleines Glöckchen. Damit jeder auch noch hören konnte, dass es keine Wrangler war.

Mein Mofa musste ich mir selbst verdienen, mit 15 Jahren auf dem Bau, 1,50 Mark Stundenlohn. Klarer Fall von Kinderarbeit. Es reichte nur für eine – Puch. Alle anderen fuhren Kreidler. Oder Herkules. Puch. Ohne Stoßdämpfer. Ohne Gangschaltung. Mit Fahrradgepäckträger!

Hat es mir geschadet? Natürlich. Und irgendwann in dieser Zeit muss ich mir vorgenommen haben: Wenn ich einmal ein Kind bekomme – das soll es besser haben.

 

Mit 33 war es so weit. Auch wenn wir zunächst an eine Nierenbeckenentzündung glaubten. Das wäre dann schon Kikis zweite innerhalb weniger Wochen gewesen. Viel länger kannte ich sie auch noch gar nicht, und ich dachte schon: Oh, oh, was hab ich mir da denn eingefangen? Wir hatten uns auf einem Betriebsfest beim ZDF kennengelernt – sie die schüchterne Jungredakteurin, ich der attraktive Reporterhaudegen, gerade zurück aus irgendeinem Kriegsgebiet in Afrika, den Staub noch an den Schuhen, Typ Harrison Ford. Ich fiel ihr sofort auf.

Kiki erinnert sich anders daran. Demnach sei es so gewesen:

Sie war die hübscheste Frau auf dem Betriebsfest. Und fiel mir sofort auf mit ihrer tollen Figur, den langen braunen, lockigen Haaren. Alles an ihr war wunderschön. Ich wollte keine Kinder, bis ich Kiki traf, meine Traumfrau. Leider gelang es mir nicht, sie beim ersten Date rumzukriegen. Sie hatte nicht auf mich gewartet, die Liste ihrer Verehrer war lang. Handballprofis. Sportmoderatoren. Musikfernsehregisseure.

Mag ja sein. Tatsache ist: Nur sechs Wochen später hat sie MICH geheiratet. In Mexiko. Aus Lust und Liebe und ganz spontan. Montags gingen wir zum Dorfrichter in Playa del Carmen, damals noch ein echtes Hippiedorf, um das Aufgebot zu bestellen.

»Haben Sie Ihren Reisepass?«, fragte der Richter sehr feierlich und ernst.

Sein Büro sah aus wie eine leere Garage. Ein Stahlregal mit Aktenordnern. Eine Sekretärin mit elektrischer Schreibmaschine. Ein leerer Schreibtisch mit einem Richter dahinter. Unter der Decke drehte sich träge und nutzlos der Ventilator und verteilte die heiße Luft. Natürlich hatten wir Reisepässe.

»Geburtsurkunde?«

»Die haben wir leider nicht dabei. Es ist eine spontane Entscheidung. Ich habe ihr erst gestern Abend den Antrag gemacht.«

»Keine Urkunde, kein Problem. Aber Sie brauchen vier Trauzeugen.«

»Haben wir!«

Wir hatten sogar fünf. Arturo, den blondgelockten Frauenheld vom Strand, der sich als Architekt ausgab und immer ein Geodreieck dabeihatte. Die Frau aus dem Reisebüro, bei der wir unseren Weiterflug gebucht hatten, und drei Kellner aus unserem Hotel, dem Blue Parrot Inn. Wir hatten eigentlich nur zwei gefragt, aber der dritte wollte auch gerne mitmachen. Das Blue Parrot Inn war direkt am Strand. Wir hatten das Zimmer, das früher die Bar war. Es war alles unglaublich cool und sexy. Ich sah wahnsinnig gut aus. Und Kiki natürlich auch.

»Und dann müssen wir noch den Bluttest machen.«

»Was für einen Bluttest denn?«

»Um auszuschließen, dass Sie verwandt sind.«

»Wir sind nicht verwandt. Wir kennen uns ja kaum. Also ich meine, wir sind verliebt, aber nicht verwandt.«

»Dann ist der Test ja kein Problem.«

Natürlich war der Test ein Problem. In Hochzeiten von Aids ließ ich uns doch nicht von irgendeinem Junkie-Arzt in einem Hippiedorf in Mexiko mit verunreinigten Spritzen Blut abnehmen. So gründet man doch keine Familie.

»Es ist so, dass wir beide kein Blut sehen können. Wir wär’s, wenn wir den Test bezahlen, aber wir machen ihn gar nicht? Allen geht’s gut, und die Kasse stimmt auch!«

Der Richter blickte demonstrativ zu seiner Sekretärin hinüber. Ich verstand. Er war nicht allein. Er konnte hier kein Geld annehmen. Er war ja nicht korrupt. Aber er hatte eine gute Idee.

»Mein Schwager ist Chefarzt. Ich komme morgen früh um acht mit ihm zu Ihnen ins Hotel, und dann machen wir den Bluttest dort. Dann haben Sie keine Umstände.«

»Das ist eine gute Idee!«

Alles klar, Geldübergabe morgen früh um acht.

 

Am nächsten Morgen kam er tatsächlich. Und tatsächlich mit seinem Schwager. Und der stand da tatsächlich im grünen Chirurgenkittel an meinem Kaffeetisch im Sand. Kiki war gar nicht erst mit heruntergekommen. Es ging ja nur um die Geldübergabe. Aber jetzt begann tatsächlich ein Medizin-Check, um unsere Verwandtschaft auszuschließen.

»Welche Blutgruppe haben Sie?«, fragte der Chirurg ohne ein Lächeln.

»Ähm – A?«

»Und welche Blutgruppe hat Ihre künftige Frau?«

»Ähm – B?«

»Gut, das Ergebnis des Medizin-Checks liegt dann morgen bei der Trauung vor. Vielen Dank, einen schönen Tag noch.«

»Das macht dann 50 Dollar Gebühr pro Person, bitte«, sagte der Richter.

Und dann gingen sie wieder, zwei Männer, die sich nicht bestechen ließen. Einer im schwarzen Anzug und einer im grünen OP-Kittel. Am Strand von Playa del Carmen. Ein sehr, sehr surrealer Anblick. Aber es passte ja ins Bild. Die Ringe machte uns spätabends ein bekiffter Goldschmied aus der Fassung eines großen Bernsteins, den er an seiner Kette trug.

 

Am nächsten Morgen waren alle in der Garage des Richters. Arturo, die Kellner, die Frau aus dem Reisebüro. Der Taxifahrer, den ich mit seinem alten Chevy für den ganzen Tag gemietet hatte, kam natürlich auch mit rein.

Der Ventilator drehte sich träge, die Sekretärin saß an der elektrischen Schreibmaschine, der Richter am leeren Schreibtisch, und die Zeremonie begann. Auf Spanisch, wir verstanden kein Wort, nur dass das Wort Liebe immer wieder fiel, Amor. Vom Tod, der uns irgendwann scheiden würde, war überhaupt keine Rede. Nur von Liebe.

Bis heute habe ich keine schönere Trauung gesehen. Danach feierten wir am Strand mit all den wunderbaren Menschen, die wir gar nicht kannten. Bis heute war ich auf keiner schöneren Hochzeit. Unsere Eltern bekamen ein Fax: »Just married« stand darauf. Und dass wir uns freuen würden, unsere Schwiegermütter bald kennenlernen zu dürfen.

Tja, 22 Jahre ist das jetzt schon her und der Beweis für die These: Einfach den Instinkten folgen und nicht lange fackeln.

Zurück in Wiesbaden, wo ich in einer unglaublich coolen Designer-Altbau-Dachwohnung mit wahnsinnig teuren Möbeln wohnte, zog Kiki dann bei mir ein. Die Wohnung war so cool, dass mehrere Folgen von Ein Fall für zwei dort gedreht worden waren. Mit Privatdetektiv Matula! Kiki war natürlich total beeindruckt. Da hatte sie schon einen Fang gemacht! Jetzt, wo wir verheiratet waren, musste ich allerdings ein paar Dinge klarstellen.

»Also, was die Wohnung betrifft, Schatz, wäre super, wenn du ein bisschen aufpasst, dass nichts an die Möbel kommt. Es ist im Grunde so, dass ich die Wohnung sozusagen möbliert gemietet habe. Quasi mit Möbeln. Die mir nicht gehören. Die gehören im Grunde dem Besitzer, der ist Arzt und für ein, zwei Jahre in Thailand. Arzt ohne Grenzen, quasi. Der Ledersessel zum Beispiel, der ist besonders empfindlich. Und das Sofa. Und der Tisch. Auch der Fernseher.«

»Bist du etwa ein Hochstapler?«

»Hochstapler ist ein großes Wort!«

»Was gehört denn dir?«

»Na, zum Beispiel der coole alte Mercedes vor der Tür!«

»Der rostet.«

»Rost ist auch ein großes Wort. Was soll’s, lass uns feiern!«

 

Und das taten wir dann auch jeden Abend, genauer nachts. Kiki arbeitete für die Sendung heute nacht, die ich später mal moderieren würde, aber davon wussten wir damals noch nichts. Sie kam immer erst um ein Uhr nach Hause, suchte bis zwei nach einem Parkplatz und ließ dann weinend den Wagen auf der Straße stehen. Danach suchte ich noch eine Stunde. Und dann tanzten wir bis in den Morgen. Jede Nacht klingelte das arme Lehrerehepaar aus der Wohnung einen Stock tiefer im Bademantel bei uns an der Tür und bat flehentlich um Ruhe. Lehrer, ha, da konnte man endlich mal ein bisschen was zurückgeben für all die Strapazen in der Schule. Mit Lehrern würden wir ja so schnell nichts mehr zu tun haben. Dachten wir. Wir haben uns entschuldigt, gelacht und natürlich weitergetanzt.

Und dann das: Keine Nierenbeckenentzündung, ergab die Untersuchung im Paulinenkrankenhaus in Wiesbaden. Die polnische Krankenschwester übermittelte die Diagnose: »Frau ist gesund. Aber Frau ist schwanger.« Nachrichten sind ja mein Geschäft, aber natürlich haute diese mich um. Damit hatten wir nicht gerechnet. Was, wenn die Ehe nicht halten würde? Wir waren ja einfach nur unseren Instinkten gefolgt, hatten nicht lange gefackelt. Was würde sich jetzt ändern für mich? Was würde aus meinem Oldtimer werden, hinten keine Sicherheitsgurte, für Kinder völlig ungeeignet, Maxi-Cosi statt Mercedes, was für eine Vorstellung!

Immerhin hatten wir gleich einen Namen für das Kind, und damit war auch klar, es konnte nur ein Mädchen werden. Pauline! Meine Tochter! Mein Leben als Harrison Ford war vorbei. Ich war jetzt Kevin Costner. Ich würde für immer ihr Bodyguard sein.

Vor allem aber war ich ziemlich verwirrt. Ich traute mir selbst nicht über den Weg und fuhr deshalb die Strecke zur Klinik immer wieder ab. Bei Regen, bei Trockenheit. Bei Tageslicht und in der Nacht. In verschiedenen Autos, meinem schönen Oldtimer und dem – Fiat meiner Frau. Übrigens habe ich mich natürlich auch rührend um meine Frau gekümmert. Aus Solidarität nahm ich zehn Kilo zu. Wenn mir beim Essen jemand sagte: »Du hast da einen Krümel am Kinn«, musste ich fragen: »An welchem?« Ich wollte den Weg jedenfalls auch blind finden können und bei größter Aufregung. Die Strecke war immerhin 1,7 Kilometer lang und hatte fünf Kurven. Und es gab nur zwei Ausweichrouten.

Natürlich setzten die Wehen abends ein, wie konnte es auch anders sein. Für den Tick Dramatik extra. Alles in der Dunkelheit, das Krankenhaus im Nachtschichtmodus, wahrscheinlich überhaupt keiner da. Ich wusste, dass ich Kraft brauchen würde. Also legte ich mich zuerst mal schlafen und hörte nichts mehr von Kikis Stöhnen.

Um zwei Uhr weckte sie mich dann. Es ging mir gut, Gott sei Dank. Ich fuhr sie wie auf Schienen zur Klinik. Unser Arzt kam im gleichen Moment an wie wir, stieg zerzaust aus seinem Porsche, direkt von einer Party weg, aus den Armen einer Frau, so sah er aus. Frauenarzt, ha. Was für ein Cabrio-Casanova, aber wir brauchten ihn.

Natürlich war ich vorbereitet. Beruhigendes Zureden im Wehenzimmer, Klangschalen-Musik-CD, Fußmassage, was man so macht. Aber Kiki war leider undankbar und einfach nur genervt.

Ich ging zum Münztelefon unten in der Lobby – wir sind ja im Vorhandy-Zeitalter – und rief meine Schwester an.

»Alles in Ordnung. Läuft alles bestens. Hab Kiki massiert. Hat ihr sehr geholfen. Denke, das wird keine große Sache. Ich schaff das schon alles. Mach dir um mich keine … ähm, Moment mal, ich muss auflegen!«

Vor der verschlossenen gläsernen Krankenhaustür standen ein Mann und eine Frau mit riesigem Bauch. Er die Panik in den Augen. Sie den Mund zum Schrei geöffnet. Und so breitbeinig, als würde jeden Moment das Kind unten herausfallen. Die Rezeption war unbesetzt. Ich rannte zur Tür und öffnete ihnen. Sie liefen so schnell sie konnten zum Kreißsaal. Ich musste mich erst mal setzen und sammeln. Nirgendwo gab es Alkohol.

Fünf Minuten später ging ich wieder hoch. Aus dem Kreißsaal Schreie, die mir in Mark und Bein fuhren. Der Mann stand mit entsetztem Gesicht davor. »Mein Gott«, dachte ich, »was kommt auf mich zu?« Vielleicht sollten wir es uns noch einmal anders überlegen! Ich ging zu Kiki ins Wehenzimmer, drehte die Klangschalen-Musik so laut es ging und massierte ihr wieder die Füße. Auf was hatten wir uns da nur eingelassen?!

 

Am Rosenmontag um 11 vor 11 kam Pauline zur Welt. Und die Welt war nicht mehr dieselbe.

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Nackt unter Müttern

Die erste Ausbildungsstation war natürlich der PEKiP-Kurs. Ganz was Neues damals, wahnsinnig progressiv. Eigenbeschreibung: »Das Prager-Eltern-Kind-Programm ist ein Konzept für die Gruppenarbeit mit Eltern und ihren Kindern im ersten Lebensjahr. Ab der 4. bis 6. Lebenswoche treffen sich junge Eltern mit ihren Babys in kleinen Gruppen. Im Mittelpunkt stehen Spiel-, Bewegungs- und Sinnesanregungen für Eltern und Kinder.« Wow, zusammen mit Kindern spielen, bewegen, das hatte man ja noch nie gehört.

Aber Sinnesanregungen? Einmal schickte mich meine Frau hin:

»Die sind da übrigens alle nackt«, rief Kiki mir beim Rausgehen noch hinterher, »die Babys ganz und die Mütter oben ohne. Wegen der Sinnesanregung. Zur Intensivierung der Mutter-Kind-Beziehung.«

Was nimmt der Mann nicht alles auf sich für die Bildung seines Kindes. Und was glaubt der Mann nicht alles, wenn er es nur glauben möchte. Natürlich war ich der Einzige, der ohne T-Shirt in den Raum kam. Sechs bekleidete Mütter schauten mich verständnislos an.

Veräppelt man mit PEKiP nur Väter? Oder auch die Kinder selbst? Das Schöne an dem Geschäftsmodell ist ja: Bleibende Schäden hinterlässt es wohl kaum, aber ob es was bringt, weiß kein Mensch. Die Babys reden ja wenig darüber, und Experten sagen mal so und mal so.

Man muss ja auch nicht aus allem gleich eine Wissenschaft machen. Wenn Babys im Kreis auf ihren Bäuchen rumliegen und Mütter und Väter davon fasziniert sind, dann sollen sie das machen. Es ist auch einfach eine erste Gelegenheit, andere Eltern kennenzulernen. Nette womöglich, selbst wenn sie nicht nackt sind.

Über die Hygienebedingungen in den aufgeheizten Räumen mit all den windelfreien Kindern müsste man natürlich noch mal gesondert nachdenken.

 

Aber wer ist schon konsequent? Wir hatten den besten, überprüftesten, sichersten Maxi-Cosi der Welt gekauft, nur um anschließend damit in einem Taxi ohne Sicherheitsgurte durch Neapel zu rasen. Vom Flughafen zur Fähre und mit der hinüber nach Ischia. Ja, da, wo auch die Merkels immer Urlaub machen, sehr konservativ, ich weiß, aber es ging uns ja um Sicherheit. Mit gefühlten 180 also durch Neapel und einem Taxifahrer, der sich beim Erklären der Sehenswürdigkeiten immer nach hinten umdrehte.

»Und das hier links …«

»Achtung, das Auto! Bitte schauen Sie nach vorne!« Krampfhaft umklammerte ich den Maxi-Cosi.

Pauline war ein halbes Jahr alt. An alle, die glauben, nach einem halben Jahr sei es unbedingt Zeit für eine Fern- und Flugreise mit einem Baby: Das ist es nicht! Fahren Sie mit dem Auto an die Ostsee oder mit dem Zug in den Harz. Fahren Sie ins Fichtelgebirge, aber steigen Sie nicht in ein Flugzeug!

Denke ich auch heute noch, wenn ich Babys im Flieger schreien höre, bemitleidenswerte Mütter sehe, die mit hochroten Köpfen versuchen, ihre Kinder zu beruhigen, orientierungslose Väter, die immer wieder neue Utensilien aus den Gepäckfächern über den Köpfen der kinderlosen Passagiere in der Reihe dahinter holen müssen. Verfolgt von tödlichen Blicken. Wofür das alles?

Endlich angekommen, muss man das Baby ständig vor zu viel Sonne schützen, und die Mütter sind sauer, weil sie ihre Strandfigur doch noch nicht zurückhaben, obwohl der Mann das zu Hause behauptet hat. Der, der jetzt die schlanken, kinderlosen Frauen beim Sonnen beobachtet. Während ihn die zehn Kilo, die er selbst »aus Solidarität« in der Schwangerschaft mit zugenommen hat, überhaupt nicht stören. Natural Beautys mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein, diese Jungväter.

Natürlich hatten wir uns auf den Flug vorbereitet. Schlucken gegen den Ohrendruck, dann schreien die Babys nicht, weil sie dann keine Schmerzen haben. Ein Fläschchen stand also für den Start bereit. Dann das Zeichen vom Piloten:

»Cabin crew, ready for take-off!«

Und wir waren bereit fürs Füttern. Das Fläschchen raus und angesetzt, in einem Zug war die Pulle leer. Dann blieb der Flieger plötzlich stehen. Pause. Problem mit der Maschine vor uns. Pause. Der Blick fiel auf die leere Flasche. Pauline machte ein Bäuerchen. Pause. Dann hob das Flugzeug ab, und das Kind begann zu schreien.

 

Zum Hotel mussten wir dann mit einem Rikscha-Moped fahren. Es gab nichts anderes. Nach der gurtlosen Taxifahrt durch Neapel jetzt mit einem Dreirad über eine Adriainsel, steile Abhänge rechts und links, den sichersten Maxi-Cosi der Welt unangeschnallt auf dem Schoß.

»Hier rechts sehen Sie jetzt …«

»Nein! Schauen Sie nach vorne!«

Das Hotel war eine Empfehlung aus der Elle. Gemütliche Atmosphäre, kinderfreundlich, frisch renoviert mit herrlichem Blick, das hatte die Redakteurin geschrieben. Entweder war sie vor Ort bestochen worden oder niemals da gewesen. Soll es ja geben. Ich saß mal bei irgendeiner Veranstaltung neben einer Kollegin der H.O.M.E., und sie sagte, sie kümmere sich da um die Reisen.

»Ach, da beneide ich Sie wirklich. Welch ein Traumberuf! Ich reise beruflich leider immer nur in Kriegsgebiete.«

Bisschen den Harrison Ford gemacht. Sie war ganz attraktiv.

»Ach, ich reise ja leider gar nicht.«

»Wie, Sie reisen gar nicht? Ich denke, Sie sind …«

»Ja, ja, aber wir kommen ja hier nicht raus, das ist ja viel zu teuer.«

»Aber wie können Sie denn dann die Hotels bewerten?«

»Oh, das ist kein Problem, die schicken uns ja die Informationen.«

»Die schicken … ich verstehe.«

So muss es in unserem Fall auch gewesen sein, denn nichts von der Beschreibung in der Elle stimmte, absolut nichts. Das Bett brach zusammen, wirklich wahr, das Zimmer war dunkel, der Blick fiel direkt auf eine Betonwand, und keiner mochte Kinder.