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In der bewegenden Erzählung "Wie Livy wieder Appetit bekam" begleiten wir die 12-jährige Livy auf ihrem Weg zur Genesung. Das Mädchen isst immer weniger und macht immer mehr Sport. Diese Entwicklung führt dazu, dass ihr Gesundheitszustand kritisch wird. Sie muss schließlich in eine Kinderklinik eingewiesen werden. Livy teilt ihre Erlebnisse mit ihrer Patentante Frida. Ihre Geschichte handelt von Selbstannahme in einer Welt, die von Erwartungen geprägt ist.
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Seitenzahl: 55
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In der bewegenden Erzählung „Wie Livy wieder Appetit bekam“ begleiten wir die 12-jährige Livy auf ihrem Weg zur Genesung. Das Mädchen isst immer weniger und macht immer mehr Sport. Diese Entwicklung führt dazu, dass ihr Gesundheitszustand kritisch wird. Sie muss schließlich in eine Kinderklinik eingewiesen werden. Livy teilt ihre Erlebnisse mit ihrer Patentante Frida. Ihre Geschichte handelt von Selbstannahme in einer Welt, die von Erwartungen geprägt ist.
Susanne Mayer, Jahrgang 1976, arbeitet als Journalistin beim Hessischen Rundfunk. Für das Schüler-Projekt “Grenzenlos” hat sie den hr-Innovationspreis gewonnen. Sie gibt Schreib-Seminare. Journalistische Erfahrungen hat sie unter anderem bei Zeit Online, T-Online, dem Handelsblatt, der SZ sowie bei Radio Fantasy und dem Privatsender TM3 gesammelt. Sie lebt in Frankfurt.
Für Lotti und ihre Besties
Diese Geschichte beruht teilweise auf Erfahrungsberichten, bleibt jedoch eine fiktionale Erzählung ohne Anspruch auf Wahrheit. Ähnlichkeiten mit Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Ich heiße Livy und bin 12 Jahre alt. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich irgendwann mal in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bayern landen würde und dort dann vier Monate meines Lebens verbringen müsste. Ich habe in der Klinik zu den essgestörten Kindern gehört. Jetzt habe ich wieder Appetit und esse regelmäßig, auch wenn ich immer noch ab und zu Kalorien zähle. Ich wohne auch wieder in meinem Zimmer in unserem Reihenhaus im Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim. Die Wände haben wir neu gestrichen.
Ich möchte mit Euch meine Geschichte teilen. Ich habe mein Tagebuch auf dem Schoß und erzähle meiner Patentante Frida, wie ich schleichend in eine Abnehmspirale gerutscht bin - und wie ich mich mit Unterstützung mühsam wieder in mein Teenagerleben zurückgekämpft habe. Sie schreibt es für mich auf. Eins vorneweg: Es ist nicht einfach, sich selbst zu lieben, aber unmöglich ist es auch nicht.
Die Geschichte beginnt an einem sonnigen Tag Anfang Juni. Da war ich schon krank, das weiß ich aber erst jetzt - rückblickend. Meine beste Freundin Sophia und ich liegen auf dem kuscheligen Teppich im Wohnzimmer bei mir zu Hause. Wir kommen gerade vom Leichtathletiktraining in Enkheim. Danach sind wir mit dem Fahrrad auf den Berg geradelt, das ist der obere Teil von Bergen-Enkheim. Das war anstrengend, ich bin zufrieden.
Wir lassen Shirin bei Spotify laufen und Sophia tut so, als hätte sie ein Mikrofon in der Hand. Sie singt: „Du willst einen Body? Dann musst du pushen. Bist du ein Hottie, werden sie gucken.“ Ich wippe mit dem Fuß im Takt und schnappe mir mein Tablet.
„Ich habe Durst“, sagt Sophia, als das Lied vorbei ist. „Wenn ich älter bin, kaufe ich mir auf jeden Fall ein E-Bike.“
„Meine Oma hat eins. Vielleicht leiht sie es dir mal.“
Sophia verdreht die Augen.
„Kann ich etwas zu trinken haben?“, fragt sie.
„Ja, gleich. Ich schaue nur schnell etwas nach.“
„Zählst du wieder Kalorien? Wir haben doch gerade Sport gemacht.“
„Ich google nur schnell, wie viele Kalorien eine Apfelschorle hat. Das ist doch interessant.“
Sophia steht auf und geht in die Küche.
„Ich bediene mich am Saft, okay?“
„Ja, mach mal. Laura war schnell heute. Meinst du, sie trainiert heimlich?“
„Das kann sein, da ist der Vater doch so hinterher. Der steht doch immer am Rand und brüllt: Du schaffst das, Laura!“.
Sophia kehrt zurück ins Wohnzimmer und imitiert ihn. Ich muss lachen.
„Meinst du, ich werde schneller, wenn ich abnehme?“, frage ich Sophia.
Sie weiß nichts von dem Lärm in meinem Kopf. Von der Stimme in mir, die fragt, warum ich nicht so aussehe wie Laura. Warum ich nicht so schlanke Beine habe.
„Abnehmen ist keine gute Idee, Livy! Du bist doch schon total dünn. Dann musst du noch öfter auf die Waage. Außerdem sagt meine Mama, dass wir Energie brauchen, um zu wachsen.“
Sophia kramt in ihrem Rucksack und fischt eine Brotdose raus.
„Ich habe noch ein Käsebrötchen und ein paar Gurken übrig. Sollen wir teilen?“
Ich drehe mich auf den Rücken, ziehe die Knie an und schaue an die Decke. Wenn das Wiegen nicht wäre, wäre mein Leben wirklich besser.
„Danke, ich nehme eine Scheibe Gurke.“
Gurken sind okay, Gurken bestehen aus viel Wasser, das habe ich schon bei den Skinny-Tipps von Jacob und Jule gesehen. Sie bieten auch alles Mögliche mit Proteinen an, das wollte ich auch schon ausprobieren. Mama hat mir allerdings verboten, dort etwas zu bestellen, und ich habe leider noch kein eigenes Bankkonto.
„Willst du jetzt ein Stück Gurke oder nicht?“, fragt Sophia.
Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie ihre Hand ausgestreckt hat, um mir eine Scheibe zu geben. Ich greife zu und stecke sie mir in den Mund.
„Weißt du, was meine Patentante Frida jetzt macht?“
„Oh je, lässt sie sich im Fitnessstudio jetzt auch verkabeln, wie meine Mutter und ihre Besties? Wie hieß das nochmal, EMS?“
„Nein, sie macht etwas Lustiges, sie macht jetzt Vacuumtraining. Das ist etwas für Ältere, hat sie mir erzählt, wie Aquajogging, nur ohne Wasser. Sie will unbedingt nach Nepal und will sich vorbereiten.“
„Naja, wenn's hilft. Das brauchen wir aber noch nicht. Es ist bestimmt auch teuer“, sagt Sophia. „Ich muss jetzt leider los. Wir sehen uns morgen in der Schule, okay?“
„Okay, schade. Dann bis morgen, Tschüss!“
Ich bringe Sophia noch zur Tür. Ich mag sie. Sie ist lustig und sieht so besonders aus mit ihren Sommersprossen auf der Nase und ihren rötlichen Locken. Und sie ist schlank, obwohl sie ordentliche Portionen verdrückt. Früher habe ich eine andere beste Freundin gehabt. Valerie. Sie musste nach Neuseeland ziehen, weil ihre Mama nicht mehr in Frankfurt sein wollte. Sie hat geerbt und wollte dann unbedingt mit der ganzen Familie auswandern. Sonst wäre Valerie noch bei mir. Mit ihr war alles viel leichter.
***
Eine Woche später. Meine Gedanken kreisen um meinen Körper, das hört nicht auf. Ich fühle mich nicht wohl und habe deshalb beschlossen, mich gesünder zu ernähren. Deshalb begleite ich jetzt Mama regelmäßig in den Supermarkt um die Ecke. Wir laufen durch die Regalreihen und ich schiebe den Einkaufswagen vor mir her.
Auf meinem Einkaufszettel stehen heute: Linsensuppe, Gemüsebrühe, Bananen, Salat und Gurken. Vor Butter, Fleisch und Käse ekele ich mich etwas. Warum, weiß ich nicht. Darauf besteht Mama aber. Das seien Grundnahrungsmittel, sagt sie. Genauso wie Nudeln und Kartoffeln. Mein kleiner Bruder Max wünscht sich, dass wir ihm Fanta, Schokolade und Chips mitbringen. Auch gefrorene Fischstäbchen und Pommes landen in dem Wagen. Ich hole die Sachen für ihn aus dem Gefrierfach.
An der Kasse sagt die Kassiererin zu mir:
„Ach, das Fräulein Walzer. Sie sieht ihrer Mama ja schon so ähnlich. Und anpacken kann sie auch schon.“
Ich packe die Lebensmittel in Mamas Rucksack und lächele sie an.