Wie man in Berlin so lebt - Theodor Fontane - E-Book

Wie man in Berlin so lebt E-Book

Theodor Fontane

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Fontanes begehrtes Berlin-Bummel-Buch. Gotthard Erler, exzellenter Kenner des Fontaneschen Werks, hat die schönsten und verblüffendsten Äußerungen zu einem vergnüglichen Stadtreise-Buch zusammengestellt. Jeder Alteingesessene wird an ihm seine helle Freude haben, und den Neu-Berlinern hilft es, hinter die Reize wie Tücken der Metropole zu kommen. Ob man Berlin liebt oder haßt, den charmant-witzigen Äußerungen Fontanes über die Haupt- und werdende Weltstadt kann man sich einfach nicht entziehen. "Je berlinischer man ist, je mehr schimpft man oder spöttelt man auf Berlin." Doch wußte er um den Vorzug der großen Stadt und hätte an keinem anderen Ort der Welt leben und schreiben können. Seinem Freund und Kollegen Paul Heyse bekannte er: "Es ist mir Bedürfnis geworden, ein solches Schwungrad in nächster Nähe sausen zu hören, auf die Gefahr hin, daß es gelegentlich zu dem bekannten Mühlrad wird." "Voller Feuer und Herzblut eines wachen Zeitzeugen, der mehr als sechzig Jahre in der "Beamtendrillmaschine" Berlin lebte." Der Tagesspiegel. "'Schnoperte etwas Lindenluft' und sammelte Eindrücke." Neues Deutschland

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 299

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über Theodor Fontane

Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 im märkischen Neuruppin geboren. Er erlernte den Apothekerberuf, den er 1849 aufgab, um sich als Journalist und freier Schriftsteller zu etablieren. Ein Jahr später heiratete er Emilie Rouanet-Kummer. Nach seiner Rückkehr von einem mehrjährigen England-Aufenthalt galt sein Hauptinteresse den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«. Neben der umfangreichen Tätigkeit als Kriegsberichterstatter, Reiseschriftsteller und Theaterkritiker schuf er seine berühmt gewordenen Romane und Erzählungen sowie die beiden Erinnerungsbücher »Meine Kinderjahre« und »Von Zwanzig bis Dreißig«. Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin.

Gotthard Erler, geb. 1933 in Meerane/Sachsen, seit 1964 eng mit dem Aufbau-Verlag verbunden, dessen Geschäftsführer er von 1990 bis 1998 war. Seine jahrzehntelangen Forschungen und vielseitigen Editionen haben an der Verbreitung des Fontane’schen Werks einen hervorragenden Anteil.

2014 erhielt Gotthard Erler das Bundesverdienstkreuz.

Informationen zum Buch

Fontanes beliebtes Berlin-Bummel-Buch

Dieser Band versammelt die schönsten und verblüffendsten Äußerungen Fontanes über seine Wahlheimat zu einem vergnüglichen Stadtreise-Buch. Jeder Alteingesessene wird an ihm seine helle Freude haben, und den Neu-Berlinern hilft es, hinter die Reize wie Tücken der Metropole zu kommen.

»Voller Feuer und Herzblut eines wachen Zeitzeugen, der mehr als sechzig Jahre in der ‚Beamtendrillmaschine‘ Berlin lebte.« Der Tagesspiegel

ABONNIEREN SIE DEN NEWSLETTERDER AUFBAU VERLAGE

Einmal im Monat informieren wir Sie über

die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr

Folgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:

https://www.facebook.com/aufbau.verlag

Registrieren Sie sich jetzt unter:

http://www.aufbau-verlag.de/newsletter

Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir

jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!

Theodor Fontane

Wie man in Berlin so lebt

Beobachtungen und Betrachtungen aus der Hauptstadt

Herausgegeben von Luise Berg-Ehlers und Gotthard Erler

Inhaltsübersicht

Über Theodor Fontane

Informationen zum Buch

Newsletter

Fontane und Berlin – Geschichte einer HaßliebeVon Gotthard Erler

Berlin und die Berliner

Berliner Topographie

Straßen, Plätze, Kieze

Häuser, Schlösser, Denkmäler

Kirchen, Friedhöfe, Parks

Cafés, Kneipen, Restaurants

Orte, Vororte, Landpartien

Fontane als Berliner

Anhang

Fontanes Berliner WohnstättenVon Hans-Werner Klünner

Quellen

Detaillierte Inhaltsübersicht

Impressum

Theodor Fontane, 1869

Porträtfoto von Loescher & Petsch (Theodor-Fontane-Archiv, Potsdam)

Fontane und BerlinGeschichte einer HaßliebeVon Gotthard Erler

Theodor Fontane, der gebürtige Neuruppiner, hat etwa sechs Jahrzehnte in Berlin gelebt, die Entwicklung der Stadt von 1833 bis 1898 mit wachsender Intensität beobachtet und in Widerspruch und Liebe reflektiert. Sein Leben gestaltete sich im Kontext der gewaltigen sozialen, politischen und technisch-topographischen Veränderungen, die den Aufstieg der preußischen Residenz zur deutschen Hauptstadt begleiteten, und sein literarisches Werk ist in der steten Auseinandersetzung mit ebendiesem Berlin und der umliegenden Mark Brandenburg entstanden.

Von der Residenz zur Metropole

Als der Dreizehnjährige 1833 nach Berlin kam, fuhr in keinem der zahlreichen deutschen Staaten eine Eisenbahn; als er 1898 starb, verfügte das Deutsche Reich über ein Streckennetz von 50 000 Kilometern, hatte der »Hafermotor« (wie man den Droschkengaul nannte) in den ersten »Benzinkutschen« eine lautstarke Konkurrenz erhalten, und Otto Lilienthal hatte die Versuche mit seinen Flugapparaten bereits mit dem Leben bezahlt. Als der Apothekerlehrling Fontane im Dezember 1839 im »Berliner Figaro« seine erste Novelle, »Geschwisterliebe«, veröffentlichte, sammelten die Kinder noch Brennholz im Tiergarten, dem man »ohnehin aus Sommer- und Herbsttagen her für Champignons und Steinpilze verpflichtet war«. Als er seinen letzten Roman, den »Stechlin«, konzipierte, wohnte er, nahe diesem Tiergarten, »im belebtesten Teil der Potsdamer Straße und schrieb« (nach dem Zeugnis eines Besuchers) »bei geöffnetem Fenster unter ohrenbetäubendem Straßenlärm«. Als die Fontanes 1859 aus England zurückkehrten, bezog die Familie in der Potsdamer Straße 33 eine ganz und gar noch ländlich gelegene »Sommerwohnung«, sog, wie der Hausherr bemerkte, »die echte Berliner Gartenluft (Blumen vorne und Müllkute hinten) in vollen Zügen ein« und fand die sarkastische Aussage von Professor Magnus bestätigt, »daß der gute Gesundheitszustand der Berliner in der schamlosen Unbedecktheit ihrer Rinnsteine wurzele«. Als man im September 1898 seine sterbliche Hülle die berühmten 75 Stufen im Hause Potsdamer Straße 134 c hinuntertrug, war diese Straße längst an die Kanalisation angeschlossen, und die alte Pferdebahn, die seit 1879 durch die Potsdamer nach Schöneberg führte, hatte einer elektrischen Straßenbahn Platz gemacht.

Als Fontane 1833 in die Friedrichswerdersche Gewerbeschule von Karl Friedrich Klöden aufgenommen wurde, bestand Deutschland aus drei Dutzend selbständigen Fürstentümern und vier Freien Reichsstädten; Fontanes vier Kinder wuchsen im Deutschen Kaiserreich auf, das Bismarck 1871 mit »Blut und Eisen« geschaffen hatte. In der Vormärzzeit übersetzte Fontane Verse englischer Arbeiterdichter und schrieb ein Buch über einen ihrer prominenten Vertreter; folgerichtig bat er 1848 seinen Freund Lepel um einen leibhaftigen »Muskedonner«, weil die Konterrevolution »Taten oder doch Wort und Tat« erheische. Als er Ende der neunziger Jahre auf seine Erlebnisse »Von Zwanzig bis Dreißig« zurückblickte, war von dem Radikaldemokraten Theodor Fontane auf den Berliner Barrikaden freilich nicht mehr die Rede. 1860, als er, von Berlin aus, seine Wanderungen durch die Mark Brandenburg begann, postulierte er: »Wer den Adel abschaffen wollte, schaffte den letzten Rest von Poesie aus der Welt.« Aber vierzig Jahre später wird er im »Stechlin« (und zwar bei einem Ausflug zum Eierhäuschen im Treptower Park) die Frage erörtern lassen: »ob sich der vierte Stand etabliert und stabiliert …, darauf läuft doch in ihrem vernünftigen Kern die ganze Sache hinaus«. 1851 hatte er das Festgedicht auf die Enthüllung von Rauchs Friedrich-Denkmal Unter den Linden verfaßt, 1871 läßt er diesen erzenen König den siegreich aus Frankreich heimkehrenden Truppen suggestiv zuraunen: »Nun, Messieurs, ist es genug«, und 1898 wird ihm bei den chauvinistischen Reden Wilhelms II. »himmelangst«.

»Geldsackgesinnung« und »Kommißknüppelzustand«

Schon diese wenigen episodisch verknüpften Fakten deuten die enge Verbindung der Fontaneschen Biographie mit der Geschichte Berlins und Preußens an; sie zeigen, wie sich die widerspruchsvolle Entwicklung des Schriftstellers Fontane synchron mit dem Aufstieg Berlins zur modernen Großstadt, ja zur Weltstadt vollzog. Seit seinem mehrjährigen Aufenthalt in London war es ihm ein Bedürfnis geworden, »an einem großen Mittelpunkte zu leben«. »Wie man auch über Berlin spötteln mag …«, schrieb er 1860 an Heyse in München, »das Faktum ist doch schließlich nicht wegzuleugnen, daß das, was hier geschieht und nicht geschieht, direkt eingreift in die großen Weltbegebenheiten.«

Fontane anerkannte gelegentlich, daß Berlin allmählich »eine schöne und vornehme Stadt« werde (1881), aber sein Unbehagen gegenüber geistigem Zuschnitt und psychischem Habitus der neuen tonangebenden Berliner wuchs ständig. Der plötzliche wirtschaftliche Machtzuwachs nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurde charakterlich nicht bewältigt, und so etablierte sich in seinen Augen eine »Äußerlichkeitsherrschaft«, ein vulgärer Materialismus voller »Ruppigkeit« und »Protzentum«. In den prunkvollen Tiergartenvillen waren Oberflächlichkeit und Pseudobildung zu Hause, und oft genug hatten die Bewohner ihre Geschmacklosigkeit ungeniert Fassade werden lassen.

Man muß den Roman »Frau Jenny Treibel« und die zahllosen briefverborgenen Äußerungen zusammennehmen, um das ganze Ausmaß von Fontanes Abscheu vor dem »Bourgeoisstandpunkt« zu begreifen. Wie weit diese »Geldsackgesinnung« und »Verrohung« bereits in die intimen Bereiche des Lebens eingedrungen waren, wurde dem Dichter 1887 beim Tode seines ältesten Sohns George schmerzlich bewußt; resigniert sprach er von dem »fabrikmäßigen« Trauerapparat, der »das Beste, was der Mensch hat, zu bloßer Phrase, ja zur Kunstträne und Gefühlsheuchelei« herabdrücke.

Als er 1891 das Manuskript des Romans »Frau Jenny Treibel«, den er selbst als »humoristische Verhöhnung unsrer Bourgeoisie mit ihrer Redensartlichkeit auf jedem Gebiet« bezeichnete, noch einmal überarbeitete, bekannte er seiner Tochter: »Ich hasse das Bourgeoishafte mit einer Leidenschaft, als ob ich ein eingeschworner Sozialdemokrat wäre. ›Er ist ein Schafskopf, aber sein Vater hat ein Eckhaus‹, mit dieser Bewunderungsform kann ich nicht mehr mit.« 1894 umschrieb er seine Haltung noch einmal in einem Brief an Georg Friedlaender: »Die Stadt wächst und wächst, die Millionäre verzehnfachen sich, aber eine gewisse Schusterhaftigkeit bleibt, die sich vor allem in dem Glauben ausspricht: ›Mutters Kloß sei der beste.‹«

Fontane hat mehrfach versucht, die sozialpsychologischen Merkmale des »spezifisch Berlinischen« auch essayistisch zu erfassen (»Berliner Ton«, »Die Märker und die Berliner«, »Berliner Sprechanismus« u. a.), und er kam dabei unausweichlich auf ein Charakteristikum, das er als »Kommißknüppelzustand« und »Pflichttrampeltum« bezeichnete. Er verstand darunter die herzlose, kunstfeindliche preußische Ministerialbürokratie und den Standesdünkel der Beamten, die sich meist aus ostelbischem Adel rekrutierten und die ein lebensfernes Bildungssystem für die Praxis weitgehend unfähig gemacht hatte. Er hegte eine tiefe Abneigung gegen den »durch sechs Examina gegangenen Patentpreußen«, den »Examensheiligen«, der Schlachten auf dem Papier schlägt, aber keine Sektion über den Rinnstein führen kann. »In Berlin«, bemerkte Fontane 1897, »sind die Menschen infolge des ewigen Lernens und Examiniertwerdens am talentlosesten – eine Beamtendrillmaschine.«

»Er schuf Berlin zum zweiten Male«

Und doch hat kaum einer dieses Berlin zugleich so liebevoll und kenntnisreich dargestellt wie Fontane – in der städtischen Szenerie wie in einer Fülle liebenswerter Figuren. Wer viel Fontane gelesen hat – Briefe, Autobiographisches, »Wanderungen« und natürlich Romane –, fühlt sich im Berlin des 19. Jahrhunderts einigermaßen zu Hause, in jenem vom Baufieber geschüttelten Berlin der siebziger, achtziger und neunziger Jahre, in dem das biedermeierliche Stadtbild verschwand und einem neuen Platz machte, das dann in den Bombennächten des zweiten Weltkriegs unterging.

Mit Hilfe eines alten Stadtplans sind die Schauplätze der Romane meist aufzufinden, die Landpartien teilweise heute noch nachzuvollziehen. Diese historische »Stimmigkeit« hängt mit Fontanes Berlinerschaft ebenso zusammen wie mit seinen reichen Erfahrungen als Reiseschriftsteller und Wanderer durch die Mark. Aber er hat immer davor gewarnt, seine »Wanderungen« mit dem Baedeker zu verwechseln, und er war höchst verdrossen, wenn man seine Romane nur wegen ihrer Lokaltreue lobte. Denn ihm kam es auf das Typische, das Charakteristische an, nicht auf simple, naturalistische Übereinstimmung. So hat er beispielsweise das van der Straatensche Stadthaus, das in »L’Adultera« in der Großen Petristraße 4 steht, recht genau nach dem (heute noch vorhandenen) Ravené-Haus in der Wallstraße gestaltet. Auch die Villa Treibel hat nie in der Köpenicker Straße gestanden, ist aber gleichwohl eine genaue Kopie eines Hauses in der Schlesischen Straße, das einem Kommerzienrat Heckmann gehörte.

In jedem Roman gibt es Ausblicke aus Fenstern und von Balkonen, und Heimwege und Spaziergänge geraten unterderhand zu anschaulichen Beschreibungen von Straßen und Stadtvierteln. In »Stine« ist es die Invalidenstraße, wo »Borsig und Schwarzkoppen seine« zur Arbeit gehen; in »Frau Jenny Treibel« die Fischerbrücke mit dem Blick zur Parochialkirche; in »Mathilde Möhring« die Gegend am Bahnhof Friedrichstraße; im »Stechlin« die Jannowitzbrücke und das Eierhäuschen, wo man am östlichen Horizont die Fabrikschornsteine von Spindlersfelde erkennt; in »Irrungen, Wirrungen« Hankels Ablage in Zeuthen; in den »Poggenpuhls« die hinreißende Beschreibung des Potsdamer Platzes. Und überall gewährt Fontane, scheinbar beiläufig, aufschlußreichen Einblick in die gut- und kleinbürgerliche Wohnkultur wie in die Hängebodenwelt der Bediensteten, und wenn man wollte, könnte man aus seinen Büchern einen Katalog der besten Hotels und der vornehmsten Restaurants, der Wein- und Bierlokale und der Ausflugsgaststätten, der Warenhäuser und Modegeschäfte zusammenstellen und auf diese Weise ein interessantes Stück Berliner Kulturgeschichte rekonstruieren. Er schuf, wie Erich Kästner einmal gesagt hat, Berlin tatsächlich zum zweiten Male.

Das Scheusal vom Parkettplatz 23

In ungezählten Briefen und manchen fragmentarischen Aufzeichnungen hat Fontane mit oft bissiger Ironie festgehalten, wie er selbst »als Mensch und Dichter« in dieser Stadt gelebt und – gelitten hat: Mädchenwechsel, Mieterhöhung und Umzüge, mörderischer Verkehr und malariaverdächtige Kanalluft, Fluch und Segen der Wasserspülung, die Schwierigkeit, ein scharfes Rasiermesser zu bekommen, und der moderne Aufwand beim Kauf einer Hose. Auch in diesen Details kommt das Berlin der Fontane-Zeit so deutlich zum Vorschein, daß die Phantasie ersetzen kann, was realiter nicht mehr vorhanden ist. Von den siebzehn Häusern zum Beispiel, in denen Fontane in Berlin gewohnt hat, steht heute kein einziges mehr; auch das in der Potsdamer Straße 134c mußte bereits 1905/06 einem Neubau weichen. Von den vier Apotheken, in denen er Pillen drehte und Verse schmiedete, gibt’s nur noch die im Bethanienkrankenhaus, dem heutigen Künstlerhaus.

Dagegen sind zwei andere seiner »Wirkungsstätten« noch zu besichtigen: Schinkels »Neue Wache« Unter den Linden, wo Fontane 1844 als Einjährig-Freiwilliger auf »Königswache« war und nach eigenem Bekenntnis Karten spielte, uckermärkische Zigarren rauchte und Weißbier trank, und Schinkels Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, wo er an ungezählten Abenden zwischen 1870 und 1890 auf dem legendären Parkettplatz 23 saß und sich seine sachgerechte, aber meist unkonventionelle Meinung bildete, sie tags darauf in der »Vossischen Zeitung« veröffentlichte und dabei sukzessive ein bemerkenswertes, rund 1800 Seiten umfassendes Kapitel Berliner Theatergeschichte schrieb. Er amüsierte sich, als sich der von ihm heftig attackierte Star-Schauspieler Theodor Döring mit Glaßbrenner verbündete und dieser in seiner »Montagszeitung« Fontanes Kritiker-Chiffre Th. F. in »TheaterFremdling« auflöste. Nicht nur sein späteres Engagement für die naturalistischen Dramatiker bewies, daß er keiner war.

»Wie man in Berlin so lebt«

Auch das gehört zum Thema: Berlin als Zeitungsstadt und Fontane als praktizierender Journalist und passionierter Zeitungskonsument. Er konnte von der schönsten und ausgedehntesten Gesellschaft nach Hause kommen – um sich dem Alltag wiederzugeben, las er noch seine geliebte »Vossin«, und es verging kein Tag, an dem ihm nicht (so wenigstens behauptete er) aus dem elenden Löschpapier etwas Hochpoetisches entgegenkam. Und überdies: bei allen oft bitteren Vorbehalten gegen Berlin und das Berlinertum brauchte er das Leben in der Großstadt, den geselligen Umgang mit einem beträchtlichen Freundeskreis, in dem Adolph Menzel der Prominenteste war. Und als dann die Kinder ausgeflogen waren, die alten Bekannten starben oder wegblieben, die politische Entwicklung im Deutschland der Nach-Bismarck-Zeit ihn mit großer Sorge erfüllte, da hielt er wenigstens beim täglichen Spaziergang Kontakt mit der aufregenden Stadt. Mit größter Gewissenhaftigkeit absolvierte er seine »Sport- und Rennstunde«. In allen zeitgenössischen Zeugnissen wird dabei jenes Requisits gedacht, ohne das er auch im Sommer nicht aus dem Hause ging: »den kleinen Wollplaid über die Schulter«, wie sich Gerhart Hauptmann erinnert, oder, wie es bei Alfred Kerr steht, »ein großes Tuch um den Hals«. Kerr fügt übrigens seiner vorzüglichen Charakteristik in der »Breslauer Zeitung« vom 1. Januar 1895 hinzu: »Er hat etwas Altfränkisch-Militärisches. Er hat das Gesicht eines friedlichen pensionierten Offiziers aus den dreißiger Jahren. Über dem ganzen Mann schwebt im Äußeren, auch in der Kleidung, bis auf Halsbinde und Kragen ein Hauch der guten alten Zeit. Und das Staunenswerte ist: diese unmoderne Persönlichkeit hat unglaublich moderne Ansichten.« (»Wo liegt Berlin? Briefe aus der Reichshauptstadt 1895–1900«)

Dieses innerlich Gegenwärtige im äußerlich Altmodischen belegt auch der vorliegende Band mit Texten aus Fontanes vielgestaltigem Werk und dem unausschöpflichen Schatz seiner Briefe. Das Buch enthält, chronologisch geordnet, Äußerungen über »Berlin und die Berliner« und stellt »Fontane als Berliner« vor, und es zeigt »Berliner Topographie« im kompetenten Urteil des Autors. Es will hilfreicher (und stets amüsanter) Stadt-Verführer sein und ein wenig zum historischen Selbstverständnis alter und neuer Berliner beitragen – zu einer Zeit, in der Berlin wieder einmal, und wieder aus einer außergewöhnlichen Situation heraus, Hauptstadt geworden ist.

Berlin und die Berliner

Die Stadt wächst und wächst, die Millionäre verzehnfachen sich, aber eine gewisse Schusterhaftigkeit bleibt, die sich vor allem in dem Glauben ausspricht: »Mutters Kloß sei der beste.«

An Georg Friedlaender, 14. Mai 1894

Dogma vom »schönen Berlin«

In Berlin empfing mich mein alter Freund Fritz Esselbach […] und führte mich in seine Wohnung, eine Chambre garnie in der Alten Jakobsstraße. Da wollte ich eine Woche lang sein Gast sein. Am dritten Januar [1841] saßen wir denn auch behaglich beim Frühstück und delektierten uns eben an jenem eigentümlichen Berliner Gebräu, dessen erste Bekanntschaft einem Fremden, seiner Wirtin gegenüber, die Bemerkung aufgedrängt haben soll: »Ja, liebe Frau, wenn das Kaffee war, so bitte ich morgen um Tee, wenn es aber Tee war, so bitte ich morgen um Kaffee.« Gegen neun kam die Zeitung, und ein Zufall wollte, daß mein erster Blick auf die Fremdenliste fiel. Da las ich gleich obenan: »Hôtel de Saxe: Neubert und Frau, Apothekenbesitzer aus Leipzig.« Sofort war ich entschlossen, mich ihm vorzustellen und anzufragen, »ob er mich haben wolle«. Die ganze Sache hatte durchaus was von einem Überfall, aber gerade das kam mir zustatten. Denn Neubert, der mehr forscher Jäger als philiströser Apotheker war, war von einer großen Vorliebe für frank und freies Wesen, für alles, was außerhalb der Schablone lag. Er war ein ungewöhnlich reizender Mann; jetzt, wo jeder in seinen Geschäften aufgeht, aufgehen muß, kann sich solche Figur kaum noch ausbilden. Ich fand das Paar in sehr verschiedenen Stadien der Toilette vor, die Dame bereits in Mantel und Muff, er noch weit zurück, in Hemdsärmeln, eine Zahnbürste in der Hand. Bei der freien Art beider aber verursachte dies nicht die geringste Störung, und ehe drei Minuten um waren, war ich auf Ostern hin engagiert […].

Das Neubertsche Haus lag in der Hainstraße, so daß ich, um dorthin zu gelangen, den echtesten und schönsten Teil von Leipzig, die Grimmasche Gasse und den Rathausplatz, zu passieren hatte. Mein Gepäckträger ging neben mir und machte in gutem Sächsisch den Führer. Ich war ganz benommen und möchte behaupten, daß, soweit Architektur und Stadtbild in Betracht kommen, nichts wieder in meinem Leben einen so großen, ja, komisch zu sagen, einen so berauschenden Eindruck auf mich gemacht hat wie dieser in seiner Kunstbedeutung doch nur mäßig einzuschätzende Weg vom Post- und Universitätsplatz bis in die Hainstraße. Die Sache findet darin ihre Erklärung, daß ich, außer einer Anzahl märkischer und pommerscher Nester, in denen ich meine Kinderjahre verbracht hatte, bis zu jener Stunde nichts von der Welt kannte wie unser gutes Berlin, das mir von allen echten Berlinern immer als der Inbegriff städtischer Schönheit geschildert worden war. Und nun! Welcher Zusammenbruch. Es gereicht mir noch in diesem Augenblick zu einer gewissen Eitelkeitsbefriedigung, daß mein künstlerisches Gefühl angesichts des Neuen oder richtiger des Alten, was ich da sah, sofort gegen das Dogma vom »schönen Berlin« revoltierte und instinktmäßig weghatte, daß Städteschönheit was andres ist als grade Straßen und breite Plätze mit aus der Schachtel genommenen Häusern und Bäumen. Ein paar Ausnahmehäuser, hinter denen ein ausländischer Meister und ein königlicher Wille steckt, können das Ganze nicht retten. Seitdem hat sich freilich sehr vieles gebessert; aber eines fehlt auch jetzt noch: individuelles Leben. Wir ahmen nach. Nur die Schachtel, aus der genommen wird, ist etwas größer, reicher und bunter geworden. Originelles, wie selten!

»Von Zwanzig bis Dreißig«, Abschnitt »Mein Leipzig lob ich mir«. Fontane begann am 1. April 1841 als Gehilfe in der Apotheke »Zum Weißen Adler« in der Leipziger Hainstraße. Haus und Apotheke existieren noch.

Berliner Wesen

Die Aussicht, Sie auf ein halb Jahr, vielleicht auf immer hier zu sehn, erfüllt uns alle mit großer Freude. Glauben Sie mir, es ist nicht so kreuzerbärmlich hier, wie unsere Gegner in Süd und Nord gewöhnlich glauben. Das Berliner Wesen, das einem auf der Straße und in der Kneipe, überhaupt im alltäglichen Leben entgegentritt, ist anfangs ungenießbar; Schärfe, Unverschämtheit, Lieblosigkeit bringen den Fremden um. Aber hinter diesen trostlosen Erscheinungen, die sich aufdrängen, gibt es wohltuende, die sich verbergen und die man kennenlernen muß, um nicht voll ungerechter Vorurteile uns wieder zu verlassen. Auch unser Bestes, was wir bieten können – ich weiß es wohl! –, hat etwas von jener Schärfe, die seit den Tagen des Alten Fritz hier in der Luft zu liegen scheint, aber in gehöriger Verdünnung hat diese Schärfe ihren Reiz und söhnt uns zuletzt auch mit den starken Dosen aus, die schließlich (wenn wir dahinterkommen, daß es Senf und kein Sublimat ist) zur Quelle unsres Vergnügens und herzlichsten Gelächters werden. Die Süddeutschen und wir verhalten uns zueinander wie die fliegenden Blätter zum Kladderadatsch; ich glaube, wir sind ihnen um eine ganze Pferdelänge vor.

An Theodor Storm nach Husum, Berlin, 19. März 1853. Im selben Jahr kam Storm nach Preußen, wo er bis 1856 Assessor in Potsdam war.

Echte Berliner Gartenluft

Wir saßen vorgestern beim Nachmittagskaffe in unsrer Geisblattlaube und sogen die echte Berliner Gartenluft (Blumen vorne und Müllkute hinten) in vollen Zügen ein – Professor Magnus hat nämlich bewiesen, daß der gute Gesundheitszustand der Berliner in der schamlosen Unbedecktheit ihrer Rinnsteine wurzelt –, als Deine liebenswürdigen Zeilen, nach kurzer Irrfahrt durch die Schönebergerstraße, hier eintrafen.

An den Schriftsteller und Übersetzer Wilhelm Wolfsohn, 26. Mai 1859. Die Familie Fontane hatte im April 1859 eine »Sommerwohnung« in der Potsdamer Straße 33 bezogen. Eine Kanalisation erhielt Berlin, auf Anregung Virchows, erst Jahre später.

Auf den Witz gestellte Naturen

Viele von den Unleidlichkeiten unserer Bühne sind, meiner Meinung nach, viel weniger ein Produkt mangelnden Talents oder mangelnden Eifers als vielmehr ein Resultat jenes berlinischen je ne sais quoi, dessen künstlerischnachteiligen Einwirkungen sich wenige zu entziehen vermögen. Ganz abgesehen von dem Berliner Organ (worauf sich allenfalls erwidern ließe, daß ein Sachse ebenfalls ein bedenklicher Macbeth-Spieler sei), drückt das Berliner Wesen, die vieljährige Berührung mit dem Berliner Geschmack – auch in Dingen und auf Gebieten, die in keiner direkten Beziehung zur Bühne stehen – dem Schauspieler einen Stempel auf, der der Lösung letzter großer Aufgaben schwerlich zugute kommt. Die Berliner, wie sich von selbst versteht, glänzende Ausnahmen im einzelnen zugegeben, sind auf den Witz gestellte Naturen. Der Sinn für das Ganze fehlt; man läßt ein Buch, ein Stück um eines Witzes, um einer guten Szene oder eines überraschenden Tableaus willen gelten und verwirft oder ignoriert das Tüchtige, das schmucklos seines Weges zieht. Unser großes Publikum hat nicht das Bedürfnis, sich zum Herzen sprechen, sich in Wahrheit erheben zu lassen, es hat nur das Bedürfnis des Gestreichelt- und Geprickeltwerdens, sei es durch Witz oder Rührung. So ist der vorherrschende Geschmack. Wer wäre stark genug, sich zwanzig Jahre lang (eine kurze Zeit für königliche Hofschauspieler) siegreich dagegen zu wehren? Das pointierte Wesen, das unsere Stadt so sehr charakterisiert, führt zu dem Sichvordrängen der einzelnen Persönlichkeit, zur Forciertheit, d. h. zum Virtuosentum des großen Talents und zur Geckenhaftigkeit des kleinen.

Vorwort zu der Studie »Die Londoner Theater. Insonderheit mit Rücksicht auf Shakespeare«, Juli 1860.

Das damalige Berlin

Die märkischen Städte damals [im 17. Jahrhundert] ließen viel zu wünschen übrig und standen so ziemlich auf der niedrigsten Stufe in Deutschland. Nehmen wir Berlin, das damals die besseren märkischen Städte zwar wenig überragte, aber doch auch sicherlich nicht hinter ihnen zurückblieb, so läßt sich mit Leichtigkeit der Beweis führen, daß die kurfürstlich brandenburgische Residenz unter allen kurfürstlichen Residenzen jener Zeit die kümmerlichste war und weder mit München und Dresden noch mit Mainz und Köln verglichen werden konnte. Trat es gegen diese Städte in den Schatten, so blieb es ebensosehr hinter den Freien Reichsstädten im südwestlichen Deutschland wie hinter den Hansa- und Handelsstädten im Norden zurück. Das damalige Berlin besaß außer der durch ihre Schönheit bekannten kleinen Klosterkirche in der Klosterstraße nur drei Gotteshäuser: die Marien-, die Nikolai- und die Petrikirche, sehr ansehnliche Gebäude, die aber doch, damals wie jetzt, an innerem Schmuck wie in äußerer Erscheinung keinen Vergleich aushielten mit den Kathedralen von Bamberg und Ulm, von Freiburg und Regensburg. Neben den genannten vier Kirchen hatte Berlin noch sein Rathaus, das wir in unsern Tagen endlich haben verschwinden sehen, den Palast der Bischöfe von Lebus, das alte kurfürstliche Schloß in der Klosterstraße und endlich das Schloß zu Cölln an der Spree, das, mit Turm und Giebel nach der Burgstraße hinaus gelegen, bekanntlich jetzt den ältesten Teil des gegenwärtigen Königsschlosses bildet. Hierzu gesellten sich einige Klostergebäude, vielleicht auch sonst noch das Wohnhaus eines einzelnen Würdenträgers der Stadt, des Staats oder der Kirche; aber wir irren schwerlich, wenn wir die Zahl der ansehnlichen Gebäude, die damals neben den vier Kirchen eine verhältnismäßige Zierde Berlins bildeten, auf höchstens acht bis zehn Häuser angeben.

Es konnte auch kaum anders sein. Berlin hatte 1630, also genau in dem Jahre, in dem Gustav Adolf in Deutschland auftrat, nur 8 000 Einwohner, war also kleiner als gegenwärtig das benachbarte Spandau. Nach 1680 betrug die Einwohnerzahl Berlins nicht voll 10 000, zu denen sich bald darauf, nach Aufhebung des Edikts von Nantes, über 5 000 französische Refugiés gesellten, so daß damals jeder dritte Mensch in Berlin ein Franzose war. Dies mag die Erscheinung erklären, daß so vieles im Berlinertum bis diesen Tag an französisches Wesen, ja oft mehr an französische als deutsche Eigenart erinnert; es erklärt auch ferner den Umstand, daß die sogenannte französische Kolonie bis zu Anfang dieses Jahrhunderts, also ohngefähr 120 Jahre hindurch, ihre Sprache und Sitte in einer nominell deutschen Stadt siegreich bewahren konnte.

Die Wohnhäuser der Bürger, vielleicht achthundert an der Zahl, waren Fachwerkbauten, meist eng, lichtlos, schmutzig, gemeinhin eingefaßt von Pfützen und Düngerhaufen. Nur in Wintertagen, wo der große Ofen und das große Himmelbett einen gesteigerten Wert hatten, mochte, auch mit unsern Augen angesehen, ein gewisser Grad von Behaglichkeit in diesen Häusern zu finden sein; aber unter allen Umständen waren sie arm an allem, was den Sinnen gefällt oder die Geister erhebt.

»Die Mark und märkische Kriegsobersten zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges« (1862).

Bettelhaftigkeit unserer Zustände

Ich stand schon gleich nach 6 auf, da Frau Fiedler mit dem Portier derartige Schnabbergespräche führte, daß ich aufwachte und nicht wieder einschlafen konnte. Decken klopfen etc. stört mich nicht, aber gegen ordinäre Stimmen bin ich fast so empfindlich wie Lepel. Ich hatte nun noch Zeit und machte zwischen 7 u. 8 einen Morgenspaziergang. Es war ein wenig windig, und als ich auf den Hafenplatz kam, wankte mir ein höchst fragwürdiges Paar entgegen, er in einem grünlichen Überzieher, dritte Garnitur und dito Hut, sie in Morgenhaube unterm Hut, einem Sommermäntelchen, das Geschwisterkind von dem Deinigen zu sein schien, und in Bambuschen, so groß wie meine Filzschuhe, die teils aus Filz, teils aus Tuchecken zu bestehen schienen. Der Wind machte es, daß sich diese beiden Torfkähne in ihrer ganzen Gräßlichkeit präsentierten. Es waren Grimms. Das Damenkostüm erinnerte lebhaft an die Garderobe von Frl. v. Rohr, wenn sie in der Schummerstunde ihre Einkäufe machte. Die Begegnung, das kann ich wohl sagen, machte einen Eindruck auf mich. Die ganze Bettelhaftigkeit unsrer Zustände stand auf einen Schlag vor mir. Ich kann und darf so gehn. Wer bin ich? ein armer, titelloser Schriftsteller, den einige kennen und viele nicht kennen. Da ist von Repräsentation keine Rede. Präsident Grimm ist aber einer der ersten Justizbeamten des Staates, er sitzt im Herrenhause, und wenn er in England lebte, würde er ein hochangesehner Peer, einer von den Law-Lords, ein Mann wie Lord Brougham oder Lord Cairns sein. Und nun diese Erscheinung, dieses Paar, diese Bambuschen! Ich schreibe dies nicht aus Spottlust. Ganz und gar nicht. Ich liebe und verehre beide Leute, und mein Groll – denn der Spott vergeht einem – geht nach ganz andrer Seite.

An Frau Emilie (die sich zu dieser Zeit zusammen mit der zehnjährigen Tochter Martha in London aufhielt), 6. Mai 1870. Die Fontanes wohnten in der Königgrätzer Straße, der heutigen Stresemannstraße, in der Nähe des Hafenplatzes.

Etwas unbequeme Kordialität

Die Rheinländer – darin den Berlinern ziemlich ähnlich – verdunkelten ihre sonstigen Tugenden durch eine etwas unbequeme Kordialität und gehörten einerseits zur Gruppe der an sich selbst glaubenden Biedermänner, andererseits zu der Intimitäts-Familie der Arm- und Achselklopfer. Es gab für sie kein Noli me tangere.

»Aus den Tagen der Okkupation. Eine Osterreise durch Nordfrankreich und Elsaß-Lothringen 1871«, Band 1, »Bis Amiens«.

Vorzug der großen Stadt

Längst hat sich das Blatt gewandt, und während in den kleinen Städten – je mehr Nest, desto mehr – noch immer eine leise Neigung fortlebt, à la General Seydlitz dem gegenüberwohnenden Burgemeister die Zipfelmütze vom Kopf zu schießen, bloß um sein mißliebig-langweiliges Gesicht nicht immer wieder am Fenster erscheinen zu sehen, darf man, im Gegensatz dazu, von den Gardeleuten behaupten, daß sie für die Säbelwetzereien des Regiments Gendarmes und alles, was auf gleicher Stufe steht, zu dieser Stunde nur noch ein mitleidiges Lächeln haben. Wer einigermaßen unbefangen die Dinge beobachtet hat, weiß dies längst und weiß auch, worin Grund und Ursache dieser Erscheinung zu finden sind. Es liegt in der großen Stadt. Das großstädtische Leben ist es, das jeden, auch den Eitelsten, unerbittlich fühlen läßt: ich bin nur ein Sandkorn. Selbstsucht, Dünkel, Vorurteil mögen im einzelnen immer wieder dagegen ankämpfen, mögen innerlich ihre Triumphe feiern – nach außen hin müssen sie schweigen. Aus der beständigen Konkurrenz gleichberechtigter Kräfte wird die Bescheidenheit geboren, bei dem einen wahr und ganz, bei dem andern wenigstens äußerlich, den Formen nach. Gleichviel – die feine Sitte, die Möglichkeit freien geistigen Verkehrs ist dadurch gegeben. Die Garde aber (von manchem andern, was mitwirkt, zu schweigen) hat den Vorzug der großen Stadt.

»Aus den Tagen der Okkupation. Eine Osterreise durch Nordfrankreich und Elsaß-Lothringen 1871«, Band 1, »St. Denis II«.

Dienen und gehorchen in Freiheit

Im großen und ganzen – alle Kasselaner mögen es mir verzeihn – hat mich ihre vielgerühmte Haupt- und Residenzstadt enttäuscht, was eine Bewunderung im einzelnen, wie dieses kurze Kapitel zur Genüge erweisen wird, nicht im geringsten ausschließt. Ich werde meine Gegner, die mich nach diesem Ausspruch zunächst im Verdacht des Borussismus und der Berlinerei haben werden, am besten dadurch entwaffnen, daß ich ihnen erkläre: Kassel gehört unter die Potsdamme der Weltgeschichte. Das Wesen dieser Potsdamme – wobei ich Potsdam als alten überkommenen Begriff, nicht als etwas tatsächlich noch Vorhandenes fasse –, das Wesen dieser Potsdamme, sag ich, besteht in einer unheilvollen Verquickung oder auch Nicht-Verquickung von Absolutismus, Militarismus und Spießbürgertum. Ein Zug von Unfreiheit, von Gemachtem und Geschraubtem, namentlich auch von künstlich Hinaufgeschraubtem, geht durch das Ganze und bedrückt jede Seele, die mehr das Bedürfnis hat, frei aufzuatmen, als Front zu machen. Front zu machen. Ja, dies ist das Eigentlichste! Ein gewisses Drängen herrscht in diesen der Louis XIV.-Zeit entsprungenen Städten vor, in die erste Reihe zu kommen, gesehen, vielleicht gegrüßt zu werden, vornehm und gering nehmen gleichmäßig daran teil und bringen sich dadurch, während der Hochmut wächst, um mit das Beste, was der Mensch hat: das Gefühl seiner selbst. Es kann keinen wärmeren Lobsprecher des richtig aufgefaßten »Ich dien« geben als mich; es ist ein Charaktervorzug, gehorchen zu können, und ein Herzensvorzug, loyal zu sein, aber man muß zu dienen und zu gehorchen wissen in Freiheit. Man hat von den Berlinern gesagt, sie hätten alle »einen kleinen ›alten Fritz‹ im Leibe« (beiläufig das Schmeichelhafteste, was je über sie gesagt worden ist); so kann man von vielen Klein-Residenzlern sagen: sie tragen den Hofmarschall v. Kalb irgendwie oder irgendwo mit sich herum.

»Aus den Tagen der Okkupation. Eine Osterreise durch Nordfrankreich und Elsaß-Lothringen 1871«, Band 2, »Kassel«. Fontane besuchte auf der Rückreise im Mai 1871 Kassel-Wilhelmshöhe, wo der französische Kaiser Napoleon III. einen Teil seiner Gefangenschaft verbrachte.

»Geldrücksichten«?

Wir brechen hier ab, um unsrer schon über das übliche Maß hinausgehenden Besprechung nicht noch weitre Ausdehnung zu geben. Der Generalintendanz danken wir dafür, daß sie uns Gelegenheit gegeben hat, die Wallenstein-Trilogie mal als ein Ganzes von der Bühne her auf uns wirken zu lassen; – was die Ausführung angeht, haben uns namentlich die »Piccolomini« befriedigt. Es ist diese Anerkennung indessen, namentlich wenn wir die ganze Trilogie ins Auge fassen, immerhin nur eine relative, eine bedingungsweise, insoweit sie ausgesprochen ist mit Rücksicht auf die Mittel, über die das Königliche Schauspielhaus zur Zeit Verfügung hat. Es muß gesagt sein: Diese Mittel sind unzureichend, ganz besonders auch in bezug auf Zahl und Umfang. Der Personalbestand ist einfach nicht groß genug; so werden die Kräfte nicht nur ungebührlich angestrengt, sondern auch an offenbar falscher Stelle verwendet.

Unter diesem Verfahren haben die Schauspieler doppelt zu leiden; ihr Renommee erleidet Einbuße. Herr Oberländer ist kein Terzky und Herr Kahle ist kein Illo. Beides sind ausgezeichnete Künstler, aber nicht alle können alles. Man muß hervorragende Schauspieler gar nicht in die Lage bringen, Dinge spielen zu sollen, zu denen sie nicht passen. Soll dabei etwa von »Geldrücksichten« gesprochen werden, so berührt uns dies geradezu komisch. Diese dürfen in der neuen Kaiserstadt, einem solchen Institut gegenüber, gar nicht existieren. Es muß sich finden.

Besprechung von »Wallensteins Tod« am 12. November 1871 im Königlichen Schauspielhaus; »Vossische Zeitung«, 14. November 1871.

Berliner Luft

Daheim an den Ufern unserer guten Spree gehört es zum guten Ton, über unsere Berliner Luft zu skandalisieren, und es soll unbestritten bleiben, sie könnte besser sein. Aber was will die durchschnittliche Berliner Hausatmosphäre im Vergleich zu dem Dunstkreise sagen, der in den meisten Hotels und Nicht-Hotels Sachsen-Thüringens heimisch ist. Die Berliner Luft, auch wo sie am schlimmsten auftritt, ist ein Parvenu wie die Stadt selbst, jung, ohne Geschichte, ohne infernale Vertiefung. So schlecht sie sein mag, sie ist einfach, unkompliziert, sozusagen frisch von der Quelle weg. Wie anders dagegen die Hausatmosphäre in den Früh-Kulturgegenden Mitteldeutschlands! Altehrwürdig tritt sie auf, und man kann ohne Übertreibung sagen: die Jahrhunderte haben an ihr gebraut. Sie ist geworden, vor allem, sie ist undefinierbar, und wie man vom Kölnischen Wasser gesagt hat, das Geheimnis seiner Schöne läge in der Lagerung, so daß schließlich die Mannigfaltigkeit in einer höheren Einheit unterginge, so auch hier. Nur haben wir hier den Revers der Medaille.

»Modernes Reisen« (1873).

Spargelkultus der Berliner

Mitte Mai, wenn der an keinem Orte der Welt mit gleicher Hingebung gepflegte Spargelkultus den Berliner ins Freie lockt und Moabit und Tivoli an hundert Stellen um die Palme ringen, erwächst jeder Theatervorstellung inmitten der Stadt ein harter Stand. Nur das »Sommertheater«, das das Kulinarische mit dem Ästhetischen glücklich verquickt, hat in Maitagen noch ein ausgesprochenes Recht, zu sein und seine Plätze zu füllen.

Aus der Rezension über »Donna Diana« von Agustín Moreto y Cabaña; »Vossische Zeitung«, 15. Mai 1872.

Erbärmlichkeit unserer Zustände

Das »Cabinet« [im Eisenbahnwagen auf der Fahrt nach Basel] gewährte mir weiter keinen Vorteil als den, Mutter und Tochter abwechselnd verschwinden zu sehn. Meinem bißchen Humor tut dergleichen wohl; fragt man mich aber aufs Gewissen, wie ich all das nun eigentlich finde, so ström ich über von Indignation über diese Mischung von Mesquinerie und Roheit, die all unsre Zustände durchdringt. Das soll nun Nachahmung »amerikanischen Comforts« sein! Lucae versichert uns immer, in 20 Jahren würde Berlin eine der schönsten Städte Europas sein. Ich glaub es nicht, denn »es liegt nicht drin«. Mit Hilfe der Kanalisation, zu der ich nun mal schlechterdings kein Vertrauen habe, werden wir im Sterbe-Prozentsatz immer höher rücken, und hier und dort wird irgendein Pringsheim eine Kakel-Architektur in die Mitte langweiliger Häuser hineinstellen. Es fehlt der Sinn und ebenso an einer mit wirklicher Autorität ausgerüsteten Leitung. Wenn Schinkel jemals fehlte, so fehlt er jetzt.

An Frau Emilie, Basel, 5. August 1875.

Eine wirkliche Hauptstadt des Deutschen Reiches?

Nach einer unerläßlichen Säuberung und Einnahme eines Soupers: Hammelkoteletts, in denen ein mir vorschwebendes Ideal endlich zur Wirklichkeit wurde, ging ich in die Stadt und sah noch den Dom, den Scala-Platz mit seinem gleichnamigen Theater, die große Marmorstatue Leonardo da Vincis und die neuerdings so berühmt gewordene »Galeria Vittore Emanuele« – das Vorbild zu unserer »Passage«, die daneben allerdings zu einem bloßen Gäßchen zusammenschrumpft. Überhaupt, welche Stadt! Oh, Berlin, wie weit ab bist du von einer wirklichen Hauptstadt des Deutschen Reiches! Du bist durch politische Verhältnisse über Nacht dazu geworden, aber nicht durch dich selbst. Wirst es, nach dieser Seite hin, auch noch lange nicht werden. Vielleicht fehlen die Mittel, gewiß die Gesinnung. »Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht«, sagt Schiller; er soll dabei speziell an den Berliner Spießbürger, der inzwischen zum »Bourgeois« sich abwärts entwickelt hat, gedacht haben. Überhaupt will es mir nicht glücken, es im Auslande zu irgendeiner patriotischen Erhebung zu bringen. Nicht nur, daß man Schritt um Schritt empfindet, wie sehr uns diese alten und reichen Kulturlande voraus sind, nein, man taxiert uns auch in diesem Sinne. Man will von uns nichts wissen. Weder das »ewige Gesiege« noch die 5 Milliarden [die Frankreich als Kriegsentschädigung an Deutschland zu zahlen hatte] haben unsre Situation gebessert. Es hieß zwar unmittelbar nach dem Kriege: »wir seien nun ein für allemal etabliert, der so lange vermißte Respekt sei da«. Aber ich merke nichts davon. Alles dreht sich nach wie vor um England und Frankreich; man versteht kein Deutsch oder will es nicht verstehn; englische und französische Zeitungen überall; englische und französische Bücher im Schaufenster jedes Buchladens, aber kein einziges deutsches Buch. Nicht einmal die »Wanderungen«. Im Grunde genommen ist es recht so, denn das, was wirkliche Superiorität schafft, fehlt uns, trotz Schulen und Kasernen, nach wie vor. Freilich haben Athen und Sparta einst politisch rivalisiert; aber Sparta ist längst nur noch Name und Begriff, während die beglücktere Rivalin eine Wirklichkeit ist bis diesen Tag.

An Frau Emilie, Mailand, 10. August 1875.

Durchschnitts-Berliner

Sonderbarerweise sind sehr wenig Berliner hier, meist Hamburger, Bremenser, Mecklenburger, Anhaltiner und Sachsen. Ich bin sehr zufrieden damit; der Durchschnitts-Berliner ist unausstehlich und doppelt auf Reisen; er ist immer laut, eitel und zudringlich, nicht mit seiner Person, aber durch seine Manieren.

An Frau Emilie, Thale, 14. August 1877.

Dorf großen Stils

Die Geschichte