Wie Opa und ich die Deutsche Einheit feierten - Katrin Pieper - E-Book

Wie Opa und ich die Deutsche Einheit feierten E-Book

Katrin Pieper

0,0
3,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wir erfuhren von der neuen Freiheit durch Luises Oma. Die kam hereingestürzt und schrie: "Die Mauer ist auf." "Das hätte ich nun gerade von dir nicht erwartet, solche dummen Witze", sagte Papa ziemlich streng. Aber Luises Oma stellte unseren Fernseher an und da konnten wir es auch sehen. Oma sagte: "Ihr werdet doch wohl nicht auf solchen Aprilscherz reinfallen, immerhin habe ich Geburtstag und wer weiß, ob ich nächstes Jahr noch lebe." "Wir haben immerhin schon November und du bist ganz schön gesund", antwortete Papa ganz leise und schlich zum Fernseher, als wollte er eine Katze fangen. Ein paar Mal schaltete er zwischen den Kanälen hin und her, aber die Bilder zeigten viele aufgeregte Leute, zu Fuß oder in Trabbis, die freudig aufeinander zuliefen und Sektflaschen hoch hielten. Plötzlich saß ich ganz allein am Tisch und vor dem Fernseher, sogar Oma war weg. Ich ging zu Suse ins Zimmer, die mit Kopfhörern auf dem Bett lag, und machte eines ihrer Ohren frei. "Die Mauer ist auf und wir sind allein in der Wohnung. Keiner mehr da", sagte ich. "Du solltest nicht zu früh mit dem Alkohol beginnen", meinte Suse und zog den Kopfhörer wieder übers Ohr. Ich nahm mir Paul Hase und dachte, wenn die Mauer wirklich auf ist, dann ist sie morgen vielleicht auch noch auf und wenn nicht, hab ich ja auch noch immer Opa im Westen, das hat ja bisher auch reichen müssen. .

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 187

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Katrin Pieper

Wie Opa und ich die Deutsche Einheit feierten

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

Bei uns als eBook erschienen

Impressum neobooks

1

ICH HEISSE PINO PÄCHFOGEL

Opa sagt,wirsindeinsehr altes Geschlecht und keineswegs verwandt mit irgendwelchenUnglücksraben,außerdemwüsste erauch niemanden,der diesenNamen mit "Ä"und "F"schreibt.Deshalb mussman diesenNamen mitWürdetragen. Opatut das, außerdem ist er,wiemanso sagt,etwasbetagt,datrautsich keiner an denalten Pächfogel heran. An michschoneher. Zum Beispiel fragtemichFrauOberländer,dieneueDeutschlehrerin,nach meinem Namen und ich murmelteerfahrungsreich leise: "Pächfogel".

Da gucktsiemichscharfan und meint,dass wir esnochganz schön miteinander zu tunkriegenwürden.

Nunkannsich jeder meinemühseligen Deutschstundenvorstellen,die ohnehin noch niezu meinenwenigenschulischenGlanzleistungengehören. Wenn Opa sichvorstellt, sagter immer laut:"Gestatten-Pächfogel mit,ä f".Dafindet keiner wasdabei. Dabei könnteman doch denken, Opa seizu alt,umnoch dieRechtschreibung zu behalten, oderdasses sich hierbeischonum dieneueRechtschreibunghandelt. Tante SofieausRüsselsheimvermutete eher,dass esmit derMangelwirtschaft in der DDRzu tun hätte. Weil das 'V'sohäufigdortgebrauchtwurde,dahättedieRegierung eineprivate Verwendungnichtzugelassen.

Ich hababergesagt,F'sundV's seien reichlichvorhanden, sonsthätte man dasdoch inderSchule zuallererst gemerkt. Dastünde an der Wandzeitunglängst der Aufruf:"Wie könnenwirzur Schonungder BuchstabenF&Vbeitragen!"

Ich lebe ineinerMehrgenerationenwohnung,wasnicht immerganz einfachist. Invier ZimmernwohnenOPAUNDOMA, MAMAUNDPAPA,MEINE SCHWESTER SUSE UND ICHund das Wohnzimmer miteinemeinzigenFernseher (!)gehört allen. Dann gibtesnoch einenPAPAGEI, PIZZIund denZWERGHASEN:PAUL HASE.ErgehörteigentlichSuses Freund und"kommtschleunigstraus",hat Mama gesagt.Daswar vor etwasieben Monaten. Inzwischengibtesden Freund längst nicht mehr aber dafürnoch Paul Hase,und zwarauf Mamas Schoß, wennsie Fernsehensieht, weiler solieb undso schön kuschelig ist.Suse schweigt undgrinst.Darin istsie echtstark.Susekann unheimlichschweigen. Wenn esKrachgibt mit Papa,schreit der am Ende immer: machendlich denMundauf!Bei mir istesumgekehrt.Ich mussimmer den Mund halten. Einmal hat Papa sogarzuTANTE SOFIE,seinereinzigenSchwester,gesagt,siesolleeinfach mal ihrenMund halten. Papahat auch nichtMundgesagt. Aber - egal. Das war,als sie zweiKuckucksuhren gekauft hatteund diemit nach Rüsselsheim nehmenwollte. Damalshattenwir noch dieGrenzeund Rüsselsheim lag dahinter.

Die Tantekam jedesJahr fürsechs Wochenzu uns;dass sieso lange blieb, hatte dreiGründe:neueDauerwelle, neueZähne,neueBrille. Dasbrauchtseine Zeit.Dafür brachtesieunsauch immer etwasmit,was Westtanteneben für gut undrichtig befanden,wenn's in den Osten ging. Papa kriegte regelmäßig einen neuenWerkzeugkoffer, wasMama 'wieder solchenSchrott'nannte. Und wennsiedassagte,konnteeszwischen meinen liebenEltern ganzschöngiftigher gehen.

Anderswar es, wennes Radzierblenden für unseren alten Wartburg gab, da wurde Mamaregelrechtsanft, beinahezuckersüß.Suse meinte, dass die alteSchüssel,also unser Auto, aussähewie Tante Sofiemit ihren neuen Zähnen, die Opaimmervolkseigene Modelle nannte.Tante SofiesZähne und Opas sahensich wirklichsehr ähnlich.Papa warein guter Bruder,zahlte geduldig, was zu zahlen war,weil die Tante das gute Westgeld nicht unnötigerweisegegen die 'Ostlappen'tauschenwollte.Dawaren wir malalleeiner Meinung, außer Papa,der meinte,ihmwürden dieOstlappenauch nicht nachgeworfenwerden undwir würden nun mal gar nichtschlecht davon leben. Was so falsch nunauchwieder nichtwar.Papa beschwor die Tante, nur das zu kaufen, was Besucherausdem goldenen Westen auf der Rückreise in denselbenauch mitbringen durften.DieTante kannte sich danichtsogenauausundwirwarenauch nicht mit jemandem vom Zollverwandt. Tante SofiesHerzhing damals an Kuckucksuhren.Kuckucksuhren können nur selten fliegen, aber sie gebenauf ihre Art Laut,meistensstündlich,jenachdem,wann mansolchem Vogelerlaubt,ausdem Häuschenzusein.Unser Nachbar,ein Kollege von Papa, der die Deutsch-Sowjetische Freundschaft im Betrieb beaufsichtigte,hatte sich einesolche Uhr mal aus Russland von einem Freundschaftstreffen mitgebracht und die sagte Kuckuck auf Russisch, Papa meinte, es würde sich eher wie Lenin anhören, was Mama für einen faulen Witz hielt, aber Papa meinte, nach Kuckuck würde es sich so gar nicht anhören. Wir wussten aber alle nicht, wie ein Kuckuck auf Russisch kuckuckt. Jedenfalls als die Tante mit den Vogeluhren im Koffer über die Grenze fliegen wollte undderZöllnerTante Sofie fragte, was denn im Koffer so Schönes sei,meldeten sichdieTierchen,wasja richtigist,denn sie waren schön im Koffer, vielleicht wollten sie auch lieber im Osten bleiben. Papa hattejedenfallsgewaltigen Ärger mit der Behörde, sagte er.Die Tantefuhrzeternd und vogellos über die Grenze, Papa kam mit den Uhren nach Hause, obwohl er, wie er immer wieder betonte, sie gar nicht haben wollte.

"Die behalten doch sonst alles", stellte Mama verwundert fest.

"Vielleicht hatten sie dafür keine Verwendung", seufzte Papa erschöpft.

Tante Sofie sollauch mit den Rüsselsheimer Stadtnachrichten gedroht haben und gesagt haben, dass die Regierungsautos der DDR ja schließlich auch nicht alte Zweitakter unter der Haube hätten. Der Grenzchef, wie Tante Sofie ihn nannte, soll gefragt haben, was denn das nun mit den Kuckucksuhren zu tun hätte. Sehr viel, mein Herr, sehr viel, soll Tante Sofie geantwortet haben, Opelmotoren sind in Ihrem Staat hier,besonders bei der Regierung, sehr beliebt und werden in Rüsselsheim gefertigt,das sollte einer wie Sie, mein Herr, schon malwissen, und die kommen schließlich auch nicht vonallein über die Grenzeherübergerollt.Und Kuckucksuhren kommen aus dem Schwarzwald, dort sind sie mal erfunden worden.

"Und so mein Herr", endete Tante Sofie, "haben wir es hier mit einem Wirtschaftsvorgang zu tun, insofern, als die guten Dinge aus dem Westen schließlich dem Wohl der DDR dienen und es sich in diesem speziellen Fall um eine Art natürlicher Rückführung handelt, wobei die DDR ein gutesGeschäftgemacht hat,dennich habe sie auch bezahlt, undzwar inderhierlandesüblichen Währung."

Papameint, der Grenzchef solleinWeilchendarübernachgedachthaben und auchsein Begleiter sollziemlichangestrengt ausgesehenhaben.Schließlichaberhabe er entschiedenunderklärt:"In Gottes Namen,dann nimmt Ihr Bruder die Vogelhausuhrenan sich.Beim nächstenBesuch könnenSie sichdie aufziehen undjede Stunde anhören. Wir werdenes abervermerken."

Ich hab Papa gefragt,ob derliebe Gottanden AusfuhrbestimmungenfürKuckucksuhrenin derDDRmitgearbeitet hätte. Papahatgefeixt undgemeint, dannwärensiejajetzt dortoben und nicht beiihm imKeller.

Ichfand,dass es einschönesBild ist:zweigeflügelteKuckucksuhren vor den Himmelstoren und Petrus fragt den liebenGott: "wohin mit derneuen Ware?"Und derliebe Gottsagt: "Kammer Zwei,links oben,unterdiePornos."

Seit unserNachbarvon derBeerdigung seineralten Mutterin Hamburgmiteinem Koffervoller Pornoheftegeschnapptwurde, dieunterseiner getragenenWäsche versteckt lagen, wissen wir ausder 5bsehrvielmehrüber Pornos,dieLiebeundalles,wasdamit zusammenhängt.EinHefthat ernämlichretten können,dasbrachte Carmen mitin die Schule.Es warLangemdiebeste großePause,oder wie Suseesnannte:s e n s a t i o n e l l.

Selbst siehatoffenbarnochwaslernenkönnen.Boxer,derschönsteJunge ausunsererSchule,hat ein paarSeitenvorgelesenundam Ende waren auchseine Ohren dunkelrot.Es warwirklicheine schöne großePause.

Wir konnten aber das Heft nicht zu Ende lesen, Carmen hat es gleich nach der Schule wieder dort hingetan, wo ihr Vater es versteckt hatte, in einem Buchvon Karl Marx. "Das Kapital"hieß es und war ein Brigadegeschenk zu seinem fünfzigsten Geburtstag.

2

Früher sollen Oma und Opa ein ruhiges,angenehmes Ehepaar gewesen sein.

Sie hatten zwei Kinder: Papa, der mit richtigem Namen Alfred heißt und immer Freddy gerufen wird, was manchmal wie Teddy klingt, und Tante Sofie, dann noch einen Hund, der Bobby hieß und eine richtige bissige Töle gewesen sein muss, denn Opa zeigt heute noch gern und leidvoll sein zernarbtes Ohr, in das Bobby gebissen hatte, als Opa ihn streicheln wollte. Da hatte der Hund aber gerade über seinem Fressnapf gehangen und mochte keine Störungen.

Oma soll gelacht haben, als das Blut spritzte.

Das soll Opa damals sehr gekränkt haben und es war von Lieblosigkeit die Rede. Inzwischen haben sich die Dinge gewaltig verschärft.

Opa zog nämlich eines Tages seinen Rentnerreisepass hervor und fuhr zu Tante Sofie in das schöne Rüsselsheim - ohne Oma.Davor hätte schon ein Blinder merken müssen, dass sie sich nicht mehr so richtig leiden konnten. Wir jedenfalls in der Mehrgenerationenwohnung haben es schnell mitgekriegt und das konnte einem die Abende und Sonntage ganz schön versauen,denn da hockten wir alle im Wohnzimmer und stritten demokratisch um den Fernseher. Wie das ausging, kann sich jeder leicht denken, jedenfalls nicht zugunsten kleinerer und vor allem jüngerer Minderheiten.

Ich hab mal mit Suse, meiner älteren Schwester, die ja mehr Lebenserfahrung hat als ich, über Oma und Opa gesprochen. Die meinte, dass es eigentlich gar nicht möglich ist, ein ganzes Leben mit ein und demselben Mann oder derselben Frau zu verbringen.

"Pass auf", sagt Suse, die gerade dabei war, die Haarsträhnen lilagrün zu übersprayen. "Es ist ziemlich einfach. Erst ist man verliebt und denkt, das muss ein ganzes Leben lang halten. Ahnt ja keiner, wie lang so ein Leben sein kann. Dann kommen die Kinder, für gewöhnlich jedenfalls, da geht's auch noch ganz gut, die ersten Jahre jedenfalls, dann sind die Kinder groß und hatten Krach genug mit den Eltern, gehen also aus dem Haus und die Alten bleiben allein und sind erst mal froh, dass endlich wieder Ruhe ist, und dann, Pino, dann beginnt das große Elend und die geballte Langeweile. Das hält kein Schwein aus. Dann geht der Mann los und nimmt sich was Junges, Süßes, Blondes, damit er mal wieder angehimmelt wird und die Frau sucht sich einen gemeinnützigen Verein, weil sie mal unter die Leute muss. An dem Punkt sind die beiden alten Leutchen. Kannste glauben."