Wie sage ich eigentlich …? - Isabel García - E-Book

Wie sage ich eigentlich …? E-Book

Isabel García

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Beschreibung

Wie sage ich eigentlich, dass du stinkst, dass ich ausziehe, dass ich weniger Kontakt möchte, dass ich Weihnachten woanders verbringe, dass ich keine Kinder will, dass ich einsam bin, dass ich nicht mit dir in den Urlaub fahren will, dass ich schwanger bin, dass ich schwer krank bin, dass ich sterbe, dass das Essen nicht schmeckt, dass du Hilfe brauchst, dass ich Hilfe brauche, dass mir dein Geschenk nicht gefällt, dass ich dich nicht mehr liebe, dass ich etwas Neues will, dass ich Angst habe, dass ich mir Sorgen mache, dass du mich nervst, dass mir alles zu viel wird, dass ich mich von dir trenne, dass dich das nichts angeht, dass ich dich nicht attraktiv finde, dass ich etwas anderes will, dass ich mich anders entschieden haben, dass ich mein Leben mit dir verbringen will? Es gibt unzählige Situationen, bei denen es sich lohnt, im Vorhinein genau darüber nachzudenken, wie man etwas anspricht. Klarheit in der Aussage und Rücksichtnahme auf die Gefühle der anderen Person wollen genau abgewogen sein. Isabel García gibt 30 Kommunikationstipps, mit denen es gelingt, ehrlich mit sich selbst und wertschätzend mit dem Gegenüber umzugehen – privat und beruflich. Auf die quälende Frage »Wie sage ich eigentlich…?« gibt es endlich eine Antwort: »Sprich es aus!« Denn nur wer ehrlich mit sich und seinen Bedürfnissen umgeht und andere respektiert, führt das Leben, das er sich wünscht. Mit Audiobeispielen.

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ISABEL GARCÍA

WIE SAGE ICH EIGENTLICH …?

30 Tipps für schwierige Gespräche

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Innengestaltung nach einem Entwurf von Hagen Verleger, Berlin Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin, nach einem Entwurf von Hagen Verleger

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2750-6568

ISBN 978-3-647-99414-7

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Joker-Liste für schwierige Gespräche

KAPITEL EINS

»Ab sofort wird alles anders« – Etwas mitteilen, das unsere Beziehung verändern wird

ERKLÄR-BOX: Beziehungsebene

TIPP 1: Seelenband stärken

TIPP 2: Was will ich?

TIPP 3: Die Wahrheit

ERKLÄR-BOX: Grundbedürfnisse

TIPP 4: Grundbedürfnis Liebe

ERKLÄR-BOX: Ich-Botschaft im Gordon-Modell

TIPP 5: Ich-Botschaft

Ich bin schwanger

Ich kündige

Ich ziehe weg

Ich habe mich in dich verliebt

Ich will weniger Kontakt

ERKLÄR-BOX: Dominoeffekt

Ich verlasse dich

Fazit

KAPITEL ZWEI

»Täuschung, ick hör dir trapsen« – Etwas mitteilen, das Erwartungen enttäuscht

TIPP 6: Mensch und Verhalten trennen

ERKLÄR-BOX: Pluralität beziehungsweise Pluralismus

TIPP 7: Über Worte Verständnis zeigen

ERKLÄR-BOX: Multitasking

TIPP 8: Sagen Sie Ja zum Gespräch

TIPP 9: Ungünstige Gedankenspirale stoppen

TIPP 10: Das Zauberwort »noch«

Ich will nicht mit dir in den Urlaub fahren

Ich bin anderer Meinung

Ich nehme dein Angebot nicht an

Ich helfe nicht beim Umzug

Fazit

KAPITEL DREI

»Kannste so machen, ist dann halt blöd« – Etwas mitteilen, das den anderen korrigiert

TIPP 11: Situation ansprechen

ERKLÄR-BOX: Empfangsvorgänge

TIPP 12: Sachlich argumentieren

TIPP 13: Auf die Worte achten

ERKLÄR-BOX: Coaching

TIPP 14: Coaching nur mit Auftrag

ERKLÄR-BOX: Augenhöhe

TIPP 15: Augenhöhe

Du brauchst Hilfe

Ich heiße anders

Das kannst du nicht bringen

Das ist falsch

Fazit

KAPITEL VIER

»Hilfe« – Etwas mitteilen, das mich schwach erscheinen lässt

ERKLÄR-BOX: Hakomi

TIPP 16: Würde

TIPP 17: Reflexantworten vermeiden

ERKLÄR-BOX: Netto-Botschaft

TIPP 18: Netto-Botschaft mit Verbal-Aikidō

TIPP 19: Versteckter Wunsch

TIPP 20: Frage nach den Voraussetzungen

Ich brauche deine Hilfe

Ich bin einsam

Ich habe einen Fehler gemacht

Fazit

KAPITEL FÜNF

»Hör sofort auf damit« – Etwas mitteilen, das mich stört

TIPP 21: Baustelle

TIPP 22: Unschuldsvermutung

ERKLÄR-BOX: Hierarchie

TIPP 23: Etwas vorleben

ERKLÄR-BOX: Reiz-Reaktions-Modell

TIPP 24: Herr:in meiner Launen

TIPP 25: Musterunterbrechung

Immer lässt du mich warten

Bitte stellen Sie den Handylautsprecher aus

Immer lässt du dich bitten

Räum dein Zimmer auf

Fazit

KAPITEL SECHS

»Ich will « – Etwas für mich einfordern

TIPP 26: Notfallsignal

TIPP 27: Wunsch äußern

TIPP 28: Ausatmen

TIPP 29: Werte ansprechen

TIPP 30: Auf den Punkt sprechen

Ruhe!

Bitte halten Sie Abstand

Nimm mich ernst

Lassen Sie mich ausreden

Fazit

Schlussgedanke

Tipp-Liste

Anmerkungen

Literatur

VORWORT

Angst. Einfach nur Angst prägte lange Zeit mein Leben. Angst vor Sichtbarkeit, Angst vor Unsichtbarkeit. Angst, gehört und überhört zu werden. Angst vor Ablehnung.

Ich bin schüchtern und introvertiert. Darüber hinaus habe ich eine chronische Krankheit, die während der Pubertät mit zwölf Jahren ausbrach und mich lange Zeit als hässliches Entlein abstempelte. Trotzdem war natürlich auch in mir der Wunsch nach Liebe und Zugehörigkeit so ausgeprägt wie bei jedem anderen Menschen. Also dachte ich mir, dass ich meinen Schönheitsmakel mit Humor und Eloquenz wettmachen könne.

Als Introvertierte war das gar nicht so leicht, etwas lauter, lustiger und schlagfertiger als die anderen zu sein. Bei meinen ersten Versuchen war ich leider eher boshaft und übergriffig. Ich überlegte mir etwas, stellte mich mutig dem Gespräch, scheiterte und zog mich wieder in mein Schneckenhaus zurück. Ich probierte vieles aus, um sichtbarer zu werden. Gleichzeitig hatte ich einen Heidenrespekt davor, dass ich mit dieser neuen Isabel-Art Menschen möglicherweise eher vertreiben als an mich binden könnte.

Dieser Mix aus Schüchternheit, wenig Selbstwertgefühl, Introvertiertheit und dem Wunsch nach Nähe sorgte dafür, dass ich mich schon mit 14 Jahren aktiv für Kommunikation interessierte. Wie werde ich jemand, mit dem man sich gern unterhält? Wie kann ich mich als schüchterner Mensch auch in schwierigen Gesprächen behaupten? Wie kann ich sichtbarer werden, ohne durch mein damals noch ungeschicktes Geplapper Menschen eher abzustoßen, als anzuziehen? Für mich waren schon normale Gespräche schwierig. Schwierige Gespräche waren für mich zu jener Zeit ein Ding der Unmöglichkeit.

Und heute? Mittlerweile bin ich 52 Jahre alt. Ich habe meine Leidenschaft für Gespräche und zwischenmenschliche Interaktion nie verloren, halte mittlerweile Vorträge zu dem Thema und gebe Kommunikationstrainings. Sowohl dort als auch im privaten Leben stelle ich immer wieder fest, dass es große Unterschiede gibt, wie Menschen miteinander sprechen.

Eine Freundin von mir sagt gern mal: »Du bist doof. Mit dir rede ich nicht.« Auch wenn das im ersten Schritt recht lustig und vielleicht auch kindisch klingt, ist dies der O-Ton, der dazu führte, dass in ihrem Unternehmen Personen nach einer ähnlich direkten Ansage von ihr wieder das Sie einforderten … nach jahrelangem Duzen.

Manche Menschen reden eben sehr direkt. Und das scheint in Deutschland auch beliebt zu sein. Wobei es bei Männern eher akzeptiert wird (»Ja, der ist direkt, aber er hat bestimmt einen weichen Kern«) als bei Frauen (»Wow, ist die zickig«).

Ganz viel Klarheit in Aussagen zu bringen, finde ich großartig und erstrebenswert. Dafür muss ich allerdings nicht verbal über Leichen gehen.

Ein anderes Extrem wird in den sogenannten Glücksländern gelebt. Dazu gehören unter anderem Schweden, Dänemark und Norwegen. Dort wird sehr lange über einen Satz gegrübelt, um dann den Gedanken mit zig Konjunktiven und anderen Weichmachern auszusprechen, damit auch ja niemand verletzt wird.

Maike van den Boom ist Glücksexpertin und weiß, wie unter anderem die skandinavischen Menschen miteinander sprechen.1 Bei einigen Vorschlägen aus meinem Buch wandte sie ein: »Das meinst du doch nicht ernst, oder? Das kann man doch so nicht sagen! Das ist viel zu direkt.« Auf der anderen Seite habe ich meine sehr direkte Freundin, die sich bei meinen Beispielen wundert, wieso ich so lange um den heißen Brei herumreden würde.

Jetzt weiß ich nicht, wo Sie sich in diesem Spannungsfeld positionieren würden: auf der Seite derjenigen, die sich eher weich ausdrücken, oder bei denen, die frei heraus sagen, was sie denken. Vielleicht befinden Sie sich ja in der Grauzone dazwischen. Keine Ahnung, ich kenne Sie nicht.

Was ich allerdings weiß: Es ist wichtig, dass ich Sie nicht zu weit aus Ihrer Komfortzone heraushole. Denn wenn ich einem sanften Wesen raten würde, sehr klar und knapp zu reden, dann könnte es sich damit sehr unwohl fühlen. Falls es eine negative Erfahrung macht, schnellt es in seine bisherige Komfortzone zurück und wird ab sofort noch weicher reden, damit sich diese schlimme Erfahrung nie wieder wiederholt. Ich hätte also genau das Gegenteil von dem bewirkt, was ich erreichen wollte.

Nun ist die Frage: Was genau will ich denn mit diesem Buch erreichen? Möchte ich diejenigen stärken, die sich direkt ausdrücken, weil doch eh in Deutschland viele so reden? Oder möchte ich Ihnen zeigen, wie es die Glücksländer machen, weil dies auch die zukünftige Gesprächsstrategie bei uns in Deutschland sein könnte?

Ich bin wie die dicke Raupe Nimmersatt: Ich will beides!

Sich klar auszudrücken ist super. Sich allerdings auf der Aussage, man sei eben so direkt, auszuruhen, ist mir zu einfach und wenig wertschätzend aus Sicht Ihres Gegenübers.

Mit vielen Weichmachern zu sprechen, ist in den skandinavischen Ländern anscheinend der Renner, allerdings werden Sie in Deutschland damit meistens keinen Blumentopf gewinnen.

Manchmal ist es gut, seine Wünsche klar zu äußern. Und manchmal sind Weichmacher angebracht.

Manchmal ist Klarheit für die Kommunikation förderlich und manchmal ist es ein »vielleicht, hätte, wäre, könnte«.

In diesem Buch werden Sie erfahren, wie Sie Ihren Wünschen und Bedürfnissen Gehör verschaffen. Ich werde Ihnen zahlreiche Beispiele geben, die Sie individuell anpassen können, damit Sie sich dabei wohlfühlen und sich nur leicht außerhalb Ihrer Komfortzone bewegen.

Einige Beispiele verdeutliche ich zusätzlich in Audiodateien. In ihnen zeige ich, worauf es in der Betonung des Gesagten ankommt. Diese Hörbeispiele können Sie bequem über die jeweiligen QR-Codes ansteuern, Sie erreichen sie aber auch über die Verlagswebsite. Den entsprechenden Link finden Sie am Ende dieses Buches.

Um erfolgreich in ein Gespräch zu starten, ist es gut, seine eigenen Schwächen zu kennen. Darüber werde ich in diesem Buch noch einiges erzählen. Eine meiner Schwächen ist es, dass ich meine Tipps manchmal so sehr runterbreche und vereinfache, dass sie zwar sehr wirkungsvoll sind und gut in Erinnerung bleiben, doch inhaltlich etwas an der Wissenschaft vorbeischliddern.

Auch hier will ich beides: einfache Tipps, die wissenschaftlich korrekt sind.

Und deswegen habe ich mir drei Kommunikationsexpertinnen als Testleserinnen an die Seite geholt, die jeden Satz überprüft, korrigiert und mich erst in Ruhe gelassen haben, wenn alles wissenschaftlich einwandfrei war, ohne den Lesefluss zu stören:

Kilia M. Ultes: »The brain« hinter meinen Büchern. Sie ist mein Lexikon und Nachschlagewerk. Wenn ich mal etwas nicht weiß oder nicht wissenschaftlich korrekt ausdrücken kann, dann frage ich Kilia. Sie ist unter anderem Diplompsychologin, NLP-Trainerin, Hypnotiseurin und verbindet in ihren Trainings alles miteinander.

Kirsten Dehmer: »Fertig!« Keiner gibt mir so schnell eine fundierte Rückmeldung wie Kirsten. Sie war früher Personal Trainerin unter anderem für Joachim Löw, Joey Kelly und Kylie Minogue. Mittlerweile ist sie Beraterin in Persönlichkeits-, Strategie- und Kommunikationsfragen und ebenso Körpersprache- und Kniggeexpertin.

Marie-Theres Braun: Sie hat ein Gespür für Worte und ist im positiven Sinne ein Fortbildungs- und Bücherjunkie. Somit ist sie genau die Richtige, um meine Aussagen zu überprüfen. Darüber hinaus ist Marie-Theres eine herausragende Kommunikationstrainerin und Keynote Speakerin.

Joker-Liste für schwierige Gespräche

Ich bin so frei, Ihnen eine Sache schon vorab zu verraten: Gute Gespräche brauchen Vorbereitung. Das kostet häufig Zeit. Zeit, von denen viele meiner Kundinnen und Kunden behaupten, dass sie diese nicht hätten. Dabei verbrauchen schlecht oder gar nicht vorbereitete Gespräche im Endeffekt häufig viel mehr Zeit als gut vorbereitete. Im ersten Schritt stecken Sie zwar im Vorfeld mehr Zeit rein für die Hinführung zu konstruktiven Gesprächen, erleben dadurch während des Gesprächs aber hoffentlich deutlich weniger Gegenwehr und die folgenden Diskussionen können meistens verkürzt werden.

Falls Sie dies zwar einsehen, aber trotzdem eher zu den ungeduldigen Menschen zählen, die gern direkt einige Sofort-Tipps hätten, finden Sie hier vorab die Joker-Liste. Diese können Sie als Zwischenlösung nutzen, wenn Sie erstens in ein schwieriges Gespräch stolpern, ohne das komplette Buch schon durchgelesen zu haben, oder Sie zweitens unvorhergesehen in eine schwierige Gesprächssituation gezogen werden, ohne die nötige Zeit für Vorbereitungen zu haben, oder Sie drittens einfach mal spontan reagieren wollen.

Ist Ihnen die Person, mit der Sie kommunizieren, völlig unwichtig, spielt in Ihrem Leben keine Rolle und Sie werden sie eventuell nie wiedersehen, dann nutzen Sie die Macht der Musterunterbrechung, die ich in Kapitel 5 ausführlich erläutern werde. Hier vorab die Kurzform: Antworten Sie etwas, womit das Gegenüber nicht rechnet.

Sie stehen an der Bushaltestelle, und auf einmal kommt eine Schulfreundin aus Kindertagen, »Svenja«, vorbei. Nach großem Hallo, Umarmungen und »Wie geht’s?«, sagt sie Ihnen schließlich: »Du hast aber ganz schön zugelegt. Ich kenne dich noch als Bohnenstange.«

Statt sprachlos zu sein, nutzen Sie nun als Joker die Zustimmung: »Stimmt. Damals war ich echt sehr dünn.« Oder: »Stimmt. Ich wiege deutlich mehr als damals.«

Sie könnten natürlich auch Ihre Enttäuschung rauslassen mit den Worten: »Wie kannst du mir das so ins Gesicht sagen? Das ist unfair und unhöflich. Du weißt doch überhaupt nicht, wie es zu dieser Gewichtszunahme kommen konnte. Ich habe eine Fettverteilungsstörung und kann überhaupt nichts dafür. Abgesehen davon leide ich Tag für Tag unter diesem Gewicht. Vor allem emotional. Und deine Aussage hilft gerade gar nicht. Du warst als Kind schon so eine kleine, fiese Zicke.«

Es kann sein, dass Sie sich nach diesem Konter wohler fühlen. Doch falls Svenja auf Ihren Ausbruch auch wieder eine passende streitlustige Antwort parat hat, wird es ein unangenehmes Gespräch, für das sich die Energie nicht lohnt, weil Sie Svenja wahrscheinlich so schnell nicht wiedersehen werden. Zusätzlich geben Sie preis, dass Sie das Thema trifft – eine unnötige Verletzlichkeit gegenüber einem Menschen, der in Ihrem Leben keine Rolle spielt.

Wenn Ihnen das Gegenüber also egal ist, hilft unterm Strich die Zustimmung. Ich habe solche Äußerungen bezüglich einer Gewichtszunahme auch schon gehört. Und angenommen ich sage: »Stimmt. Ich habe zugenommen«, dann bestätige ich eine Sache, die inhaltlich zutrifft. Darüber hinaus wirke ich sehr souverän, weil ich mit dieser fülligeren Figur anscheinend gut umgehen kann, und schlussendlich bewahre ich mir meine Leichtigkeit.

Diesen Joker können Sie auch beruflich einsetzen, falls eine Diskussion gerade nicht angemessen wäre oder sie unnötig Zeit in Anspruch nähme: Vielleicht haben Sie Ihre Daten recht spät an »Bernd« geliefert, der dadurch mit dem Gesamtprojekt in Verzug kommt. Wenn er nun sagt: »Du bist aber spät dran«, dann können Sie ihm recht geben: »Stimmt. Tut mir leid.«

Für den Fall, dass Sie beide wirklich Zeitmangel haben, ist es wenig sinnvoll, genau jetzt ausführlich darüber zu sprechen, welche Gründe dazu geführt haben, dass Sie so spät dran waren, warum es also unfair wäre, Sie dafür zu verurteilen, und vielleicht würde Bernd obendrein noch loswerden wollen, warum es wiederum für ihn unfair wäre, weil er nun Überstunden machen müsse, damit er die Zeitversäumnis von Ihnen wieder aufholen kann etc.

Sie fragen sich vielleicht: Ist das nicht ein bisschen zu einfach gedacht, bei einem schwierigen Gespräch nur mit der Zustimmung zu arbeiten?

Und ich antworte: Ja, stimmt. Ich schlage es trotzdem vor, weil es funktioniert und in manchen Fällen durchaus angebracht ist.

Falls Ihnen Ihr Gegenüber und das Gespräch sehr wichtig sind, hilft Joker 2: Sie brauchen eine Pause. Bei einem herausfordernden Gespräch gilt es, Zeit zu gewinnen. Auch oder insbesondere, wenn dieses Gespräch spontan des Weges kam.

Sie können sich mit diesem Satz Zeit verschaffen:

Sie: »Ich brauche noch ein paar Informationen, um eine punktgenaue Antwort geben zu können. Lass uns morgen darüber reden.«

Der andere: »Geht das nicht sofort?«

Sie: »Nein. Ich möchte wirklich gern eine punktgenaue Antwort geben und das kann ich erst, wenn ich noch ein paar Infos überprüft habe.«

Lassen Sie sich nicht künstlich hetzen. Solange Sie nicht bei der Polizei oder im Krankenhaus arbeiten – mit anderen Worten, solange niemand stirbt, weil Sie sich mit einer Antwort etwas mehr Zeit lassen – nutzen Sie die Pause.

Sie könnten auch sagen:

»Ich möchte noch etwas klären, bevor wir darüber reden.«

»Zu der Frage habe ich noch keine endgültige Antwort, aber ich weiß, wo ich die herbekomme. Ich melde mich später dazu.«

Wenn Sie mit dem Vorschlag kommen, dass Sie sich morgen dazu melden und Ihr Gesprächspartner Sie zeitlich herunterhandeln möchte, dann geben Sie nicht sofort nach. Noch besser: Schauen Sie zu, dass Sie so viel Zeit wie möglich gewinnen. Am besten packen Sie Ihren ersten Vorschlag ganz weit weg, sodass Sie sich zeitlich herunterhandeln lassen können:

»Ich finde, wir besprechen das bei unserem nächsten Gruppenmeeting in einer Woche.« – »Geht das nicht schneller?« – »Ich könnte es auch bis Ende dieser Woche schaffen. Also Freitag.« – »Ich bräuchte die Info aber früher, geht es nicht mehr heute?« – »Nein. Heute geht nicht. Am Freitag.«

Bei privaten Gesprächen ist es wichtig, dass Sie Ihrem Gegenüber vorher noch ein gutes Gefühl vermitteln, damit das Warten für ihn erträglich ist. Einem Mann zu sagen, dass Sie gerade überlegen, ob die Beziehung zu ihm noch einen Sinn ergibt und Sie gern in einer Woche mit ihm darüber reden würden, ist nicht fair. So ein Cliffhanger funktioniert in Serien wunderbar, ist aber nicht wertschätzend bei Menschen, die uns nahestehen.

Sagen Sie stattdessen: »Ich liebe dich und ich möchte gern Lösungen finden, damit wir miteinander wieder glücklich sein können. Ich würde mich freuen, wenn auch du dir dazu Gedanken machst, wir uns das nächste Wochenende freinehmen und dann in Ruhe darüber reden.«

Falls Ihre Tochter sich gern tätowieren lassen möchte, können Sie es ähnlich ausdrücken, um Zeit zu gewinnen: »Ich habe mich mit diesem Thema bisher noch nicht ausreichend beschäftigt. Ich kenne allerdings jemanden, der im Tattoo-Studio arbeitet. Ich möchte ihn gern fragen, worauf man achten muss und mich einfach bei ihm informieren. Ich werde ihn erst am Sonntag wiedersehen, lass uns doch anschließend gleich am Montag darüber reden.«

Das war’s fürs Erste.

Wie? Nur zwei Joker? Ja. Mehr brauchen Sie nicht.

Sie stimmen zu, wenn das Gespräch, die Situation, die Person in Ihrem Leben keine große Rolle spielen. Oder Sie gewinnen Zeit, um in Ruhe all das zu berücksichtigen, was ich Ihnen in diesem Buch vorschlage. Beides wirkt souverän.

Und als Hoffnungsschimmer gebe ich Ihnen mit, dass ich viele Menschen kenne, die auch spontan sehr gut reagieren und tolle Gespräche führen können. Das werden Sie auch hinbekommen, sobald Sie einige meiner Tipps aus diesem Buch konsequent und automatisch umsetzen können. Behalten Sie diese zwei Joker so lange im Hemdsärmel, bis Sie so weit sind. Wenn ich das als schüchterne Introvertierte mit wenig Selbstwert geschafft habe, dann schaffen Sie es auch!

Lesen Sie noch oder springen Sie schon? Ich kenne einige, die gern durch ein Buch kreuz und quer schmökern, andere springen sofort zu dem Thema, das sie am meisten interessiert, und andere wiederum lesen ein Buch von vorn bis hinten durch. Sie können dies bei meinem Buch halten, wie Sie möchten. Bedenken Sie allerdings Folgendes:

1) Ich habe dieses Buch so geschrieben, dass die Kapitel aufeinander aufbauen, und verweise immer mal wieder auf Vorheriges. Trotzdem werden Sie die Kapitel auch verstehen, ohne zuvor alles gelesen zu haben.

2) Ich habe mir vor dem Schreiben eine grobe Struktur zurechtgelegt. Es kann allerdings gut sein, dass Sie und ich nicht in allen Einschätzungen übereinstimmen. Möglicherweise empfinden Sie etwas nicht als Störung, was bei mir im Kapitel 5 unter Störung läuft. Vielleicht hilft Ihnen allerdings ein Tipp aus einem anderen Kapitel viel mehr, um mit der Situation umzugehen, die Sie als Störung wahrnehmen. Falls Sie also in einem Kapitel nicht das finden, was Sie sich erhofft haben, blättern Sie auch durch die Gesprächssituationen in den anderen Kapiteln. Vielleicht werden Sie dort fündig.

3) Bei meinen Tipps geht es insgesamt um eine Grundeinstellung dem Gespräch gegenüber. Alle dreißig Tipps funktionieren. Trotzdem werden nicht alle Tipps für Sie passend sein. Probieren Sie sie aus und kreieren Sie sich Ihren eigenen Werkzeugkasten für schwierige Gespräche. Wenn Ihnen die Tipps aus Kapitel 2 helfen, um mit den Situationen aus Kapitel 4 besser klarzukommen, dann ist dies ganz in meinem Sinne.

Bevor Sie nun mit dem ersten Kapitel anfangen, möchte ich Ihnen noch einen Gedanken mit auf den Weg geben: Manchmal wird alles nichts bringen.

Meistens helfen die Tipps aus diesem Buch und trotzdem wird Ihnen einige Male ein Gespräch um die Ohren fliegen, bei dem Sie selbst mit allen rhetorischen Tipps der Welt nicht sofort eine Besserung hinbekommen. Und zwar häufig dann, wenn Ihr Gegenüber so tief in einer Verletzung festhängt, z. B. bei einem Trennungsgespräch, dass die beste Wortwahl nicht verhindern wird, dass die Person es persönlich nimmt und sich angegriffen fühlt.

Darüber hinaus gibt die beste Vorbereitung keine hundertprozentige Sicherheit, dass Sie nicht während des Gesprächs doch wieder in ein altes Verhaltensmuster mit Reflexantworten rutschen. Wir sind eben keine Roboter, weder Sie noch ich und unsere Gesprächspartner:innen ebenso wenig.

Falls Sie also merken, dass gerade alles nichts bringt, dann ziehen Sie Joker 2.

Vor vielen Jahren hatte ich einmal Streit mit einer Kollegin, der so weit führte, dass ich den Kontakt abbrach. Abschließend bekam ich immer wieder E-Mails von ihr mit der Aussage, dass doch gerade ich als Kommunikationsexpertin in der Lage sein solle, die Situation mit ihr zu klären.

Kurze Antwort: Ja. Ich wäre dazu in der Lage gewesen.

Längere Antwort: Ich wollte aber nicht. Bei dieser Auseinandersetzung kam heraus, dass wir sehr unterschiedlich auf die Welt blicken, und ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Lust, mich in ihre Sichtweise hineinzuversetzen.

Und da ich nicht wollte, hatte sie keine Chance. Meine Tipps in diesem Buch sind Hilfestellungen, die Ihnen in sehr vielen Situationen helfen werden. Gleichzeitig kann es passieren, dass Ihr Gegenüber etwas mehr Zeit braucht, um Ihre Worte zu verdauen, oder es sich eben aufregen will. Dagegen haben Sie keine Chance. Falls ein Gespräch mal trotz guter Vorbereitung eskalieren sollte, dann bleiben Sie am Ball. Beim nächsten Gespräch wird es funktionieren.

Also: nur Mut. Stehen Sie zu sich, Ihren Wünschen und Bedürfnissen. Auf ins Gespräch!

Viel Spaß beim Lesen!

KAPITEL EINS

»AB SOFORT WIRD ALLES ANDERS«

ETWAS MITTEILEN, DAS UNSERE BEZIEHUNG VERÄNDERN WIRD

 

Hape Kerkeling hat einfach gesagt: »Ich bin dann mal weg.«2 So heißt sein Bestseller und es war sein damaliger Wunsch, den er so auf spielerische, leichte Art geäußert hat – empfehle ich allerdings nicht zur Nachahmung. Denn bei Hape Kerkeling ging es nur um eine Auszeit, die er sich auf dem Jakobsweg nahm. Doch wenn Sie z. B. Ihren Mann verlassen möchten, wären das keine netten Worte – noch nicht einmal ansatzweise: »Schatz, ich bin dann mal weg.« Das erinnert doch stark an diverse Erzählungen von Personen, die nach »Ich gehe nur mal eben Zigaretten holen«, nie wiedergesehen wurden.

Wie kann ich also jemandem wertschätzend sagen, dass ich ihn oder sie verlasse? Oder wie kann ich meiner Führungskraft sanft erklären, dass ich kündige? Wie bringe ich meiner Mutter schonend bei, dass ich mit dreißig Jahren endlich ausziehen will? Welche Worte sollten als Erstes aus meinem Mund purzeln, damit sich das Drama in Grenzen hält?

Zuallererst möchte ich einen wunderschönen Begriff von meinem Kollegen Jens Corssen einführen: das »Seelenband«.3 Sobald der Psychologe über gute Beziehungen spricht, lenkt er den Blick seiner Kundschaft erst einmal auf dieses unsichtbare Seelenband. Er meint, dass wir alles sagen und ansprechen können, wenn dieses Seelenband stark ist. Um es anders auszudrücken, falls Sie mit dem Begriff nichts anfangen können: Wenn die Beziehung gut ist, dann hält sie sehr viel aus.

Deswegen wurde auch früher immer wieder in Kommunikationstrainings und -büchern gepredigt, dass wir uns bei Gesprächen auf die Beziehung konzentrieren sollten. Denn – so die damalige Aussage – 80 Prozent der Überzeugungskraft würde über die Beziehungsebene laufen und nur 20 Prozent über die Sachebene. Wer auch immer das gezählt haben mag. Doch ganz gleich, ob diese Prozentzahlen nun haargenau stimmen oder nicht, Sie haben bestimmt schon mal davon gehört.

| Beziehungsebene

Wer hats erfunden?

Der Ursprungsgedanke kam von Sigmund Freud (Arzt, Neuro- und Tiefenpsychologe). Philip George Zimbardo und Floyd L. Ruch (Professoren für Psychologie) stellten dies in einem Eisbergmodell dar und Paul Watzlawick (Philosoph, Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler) hat die Metapher in die Kommunikation übertragen.4

Was bedeutet der Begriff?

Bei der Beziehungsebene geht es um Emotionen und Gefühle füreinander. Wenn Gefühle und Emotionen komplett außen vor gelassen werden, wird es Sachebene genannt.

Beispiele?

Sachebene: »Im Wohnzimmer steht ein Sofa.« Beziehungsebene: »Es ist ein tolles Sofa in Knallrot. Ich liebe es. Es ist weich und ich kann es für meine Gäste in ein Schlafsofa umwandeln.«

Sachebene: »Wir vertreten unterschiedliche Meinungen.«

Beziehungsebene: »Nie verstehst du mich. Du lässt nie wieder von einer einmal gefassten Meinung ab. Immer willst du recht haben. Das macht mich so wütend.«

Was bedeutet dies für Ihre Kommunikation?

Wenn eine fremde Person Sie auf der Straße anspricht und Ihnen sagt, dass Sie einen hässlichen Mantel tragen, dann werden Sie sich zwar wundern, aber kaum Ihre Meinung zu Ihrem Lieblingsmantel ändern. Sagt Ihnen allerdings Ihre beste Freundin dasselbe, schauen Sie sich den Mantel daraufhin noch einmal kritisch an und fragen sich, ob sie recht haben könnte.

Konzentrieren Sie sich daher auf die Beziehungsebene bei allen Menschen, die Sie gern überzeugen möchten. Diese nehmen Ihre Aussagen dann ernst und denken über sie nach.

Sollten Sie mitunter Freundschaften in Ihrem näheren Umfeld beobachten, haben Sie vielleicht schon mal gedacht: »Kein Wunder, dass die Freundschaft nach dem Streit auseinanderbrach. Ich habe mich schon lange gewundert, warum die überhaupt befreundet sind.« Falls das Seelenband, diese Beziehung, nicht fest genug ist, dann kann es an einem Streit zerreißen. Und dies ist auch die große Angst, die wir haben, sobald wir etwas aussprechen möchten, was dem anderen vielleicht nicht gefallen wird.

»Was ist, wenn unsere Beziehung daran scheitert?« – »Was ist, wenn er mich nun verlässt?« – »Was ist, wenn dies der berühmte Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt?«

Gute Frage. Nächste Frage. Ob diese Beziehung stark genug ist, können nur Sie entscheiden beziehungsweise der Mensch auf der anderen Seite des Seelenbandes. Und im Zweifelsfall gilt es, den Schritt in ein unangenehmes Gespräch zu wagen. Auch auf die Gefahr hin, dass Sie sich geirrt haben und die Beziehung hinterher unwiderruflich zerstört ist.

Warum?

Für den Fall, dass die Beziehung oder das Seelenband schwach ist, hilft meistens auch keine spezielle Gesprächsstrategie. Falls Sie ungewollt schwanger geworden sind und sich unbändig darüber freuen, der Erzeuger allerdings nur auf eine Affäre aus ist, dann wird er sich wahrscheinlich nicht – von noch so schönen Worten – davon überzeugen lassen, dass er sich jetzt gefälligst darüber freuen soll.

Ein Gespräch aus Angst vor Streit monatelang oder sogar jahrelang auf die lange Bank zu schieben, ist auch keine Strategie. Erstens ist das Baby während dieser Zeit wahrscheinlich schon zur Welt gekommen und zweitens schwächt eine Gesprächsvermeidung Ihre Beziehung erheblich.

Ich möchte Ihnen damit Mut zusprechen. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Seelenband beziehungsweise Ihre Beziehung stark ist, dann wird sie auch Meinungsverschiedenheiten aushalten. Mein erster Tipp wäre somit, dass Sie sich darauf konzentrieren, die Beziehung zu denjenigen zu stärken, die Ihnen wichtig sind. Indem Sie sich mehr auf das konzentrieren, was Sie verbindet, und weniger darauf, was Sie trennt.

Ein Ehepaar aus meinem Bekanntenkreis hat sich einen Hund gekauft, das erste Mal in seinem Leben. Die meisten Freunde finden den Familienzuwachs knuffig und haben akzeptiert, dass dieses Ehepaar nun stets inklusive Hund auf einen Kaffee vorbeikommt. Eine Freundin des Ehepaars mag aber keine Hunde. Sie meinte: »Ich freue mich auf euren Besuch, aber lasst den Hund zu Hause.« Für Sie vielleicht eine verständliche Bitte, doch eine schwierige Aussage für diese neugebackenen Hundeliebhaber. Für das Ehepaar fühlte es sich genauso an, als wenn die Freundin sagen würde: »Ich freue mich über euren Besuch, aber lasst eure unerzogenen Kinder zu Hause.«

1TIPP 1: Seelenband stärken

Stärken Sie das Seelenband beziehungsweise die Beziehungsebene, sooft Sie können. Eine Freundin, zu der Sie eine großartige, enge Bindung haben, wird mit Ihnen befreundet bleiben, auch wenn sie ab sofort immer mal wieder Ihren Hund ertragen muss.

Fragen Sie sich als Hundebesitzer in so einer Situation: »Wollen wir mit dieser Person noch befreundet bleiben?« So fies diese Frage auch klingt, ich meine sie ernst. Denn bevor Sie sich kopfüber in ein Konfliktgespräch stürzen, dürfen Sie für sich herausfinden, ob es sich überhaupt lohnt. Dieses Ehepaar hat sich schließlich gegen die Freundin entschieden. Frei nach dem Motto: »Nicht ohne unseren Hund.«

Falls Sie aber – sollten Sie mal in einer ähnlichen Situation stecken – diese Frage mit einem klaren JA beantworten, können Sie sich die nächste Frage stellen: »Wollen wir uns ständig mit ihr streiten?« Wenn hier ein NEIN folgt, dann können Sie sich fragen: »Wäre es für uns okay, den Hund beziehungsweise die unerzogenen Kinder zu Hause zu lassen?« Sie überprüfen Ihr »Was will ich?« oder »Was wollen wir?«. Diese Frage stellt sich kaum jemand, bevor er sich stunden-, tage-, wochen-, monatelang mit anderen streitlustig auseinandersetzt und um die sogenannte Wahrheit kämpft.

2TIPP 2: Was will ich?

Finden Sie vor dem Gespräch heraus, was Sie sich vom Gegenüber beziehungsweise von der Beziehung oder dem Gespräch wünschen und erhoffen. Dies geht schnell mit provokanten Fragen, wie: »Will ich diese Freundschaft überhaupt?«, die Sie sich gedanklich beantworten.

Wieso ich von der »sogenannten« Wahrheit spreche? Weil es DIE Wahrheit nicht gibt. Für das Ehepaar ist es sicherlich DIE Wahrheit, dass die Freundin egoistisch handelt. Für die Freundin ist es wahrscheinlich DIE Wahrheit, dass eben dieses Ehepaar egoistisch über ihre Bedürfnisse hinweg trampelt. Meine Wahrheit, deine Wahrheit, Ihre Wahrheit, eure Wahrheit, deren Wahrheit … Es gibt viele Wahrheiten und keine darf sich auf das Siegertreppchen stellen und laut herausbrüllen: »Ich bin DIE Wahrheit!«

Jeder Mensch hat seine eigene Wahrheit und bevor ich ein für mich schwieriges Gespräch beginne, gilt es, mir das vor Augen zu führen. Keiner hat DIE Wahrheit gepachtet, auch Sie nicht. Im gleichen Zusammenhang wird im Coaching gern davon gesprochen, dass nichts falsch oder richtig sei. Jeder Mensch empfindet etwas anderes als falsch oder richtig. Viele Hundeliebhaber:innen finden es völlig richtig, dass ihr Hund im Café auf einer gepolsterten Bank sitzen darf, und viele andere empfinden dies als falsch, weil sie nicht genau dort mit ihrer weißen Hose sitzen möchten, wo sich vorher der Hundepopo platzieren durfte.

Was ist nun richtig oder falsch? Was ist die Wahrheit? Und wer will das entscheiden? »Komm iss, das ist lecker.« Nein, ist es nicht. Für mich war Grützwurst mit Rosinen nicht lecker. Da konnte meine Großmutter mich noch so begeistert anschauen und sagen: »Das ist lecker.« Das ist vielmehr eine Lüge, denn für mich war es – in meiner Welt – nicht lecker. Es war ihre Wahrnehmung, ihre Welt und meine Großmutter hat in solchen Momenten so gesprochen, als ob ihre Welt DIE Wahrheit wäre.

Behalten Sie stets im Hinterkopf, dass Ihr Gesprächsgegenüber meistens eine komplett andere Wahrheit hat und es überhaupt keinen Sinn ergibt, die eigene Wahrheit auf Teufel komm raus zu verteidigen. Sie können darüber reden, warum dies Ihre Wahrheit ist, und dann können Sie dem anderen zuhören, wie er auf seine Wahrheit kommt, um als Nächstes gemeinsam eine Lösung zu finden – Ziel ist nicht, jemanden zu überzeugen, die eigene Wahrheit zu übernehmen.

3TIPP 3: Die Wahrheit

Jedes Gehirn erschafft seine eigene Realität. Objektive Sinnesreize, die nicht zur eigenen Wahrheit passen, werden entweder nicht oder nur teilweise verarbeitet. Neue Informationen, die nicht zur eigenen Überzeugung passen, werden als weniger relevant bewertet. Somit gibt es nicht DIE Wahrheit, sondern 7.837.693.000 Wahrheiten – oder sogar einige mehr, falls zwischenzeitlich noch ein paar Babys geboren wurden. Ziehen Sie daher nicht für IHRE Wahrheit in den verbalen Krieg.

Diese Suche nach den anderen Wahrheiten zahlt auf ein Grundbedürfnis ein: die Liebe! Bevor Sie jetzt sofort erschreckt das Buch zuklappen, nach dem Motto: »Erst ein Seelenband und nun noch die Liebe … Das ist mir zu esoterisch«, verspreche ich Ihnen, dass Sie von mir ganz konkrete Gesprächsvorschläge bekommen, die noch nicht einmal ansatzweise esoterisch oder spirituell anmuten. Und damit Sie auch der Liebe als Grundbedürfnis eine Chance geben, können Sie das Wort beim Lesen gedanklich stets in »Bindung« übersetzen, denn dies ist der Begriff aus der Hirnforschung für eines unserer Grundbedürfnisse.

| Grundbedürfnisse

Wer hats erfunden?

Hierüber kann keine klare Aussage und auch keine allgemeingültige Definition geliefert werden, da dieser Begriff in vielen Wissenschaften völlig unterschiedlich verwendet wird: Medizin, Psychologie, Theologie, Rechtswissenschaft etc.

Was bedeutet der Begriff?

Unter dem Oberbegriff der Grundbedürfnisse werden einige Aspekte angeführt, welche die meisten zum Leben beziehungsweise Überleben brauchen.

Beispiele?

Körperliche Grundbedürfnisse: Atmung, Wärme, Trinken, Essen, Schlaf etc.

Emotionale Grundbedürfnisse: Liebe, Partnerschaft, Nähe, Kommunikation, Anerkennung, Selbstverwirklichung, Sicherheit etc.

Was bedeutet dies für meine Kommunikation?

Am leichtesten können Sie mit jemandem reden, dessen Grundbedürfnisse befriedigt sind. Ist jemand kurz vorm Verdursten, fürchtet er im Krieg um sein Leben oder leidet er in einer Familie unter emotionaler Lieblosigkeit, dann ist diese Person im ersten Schritt damit beschäftigt, sich zu retten. Alles andere spielt keine Rolle.

Während der COVID-19-Pandemie konnten Sie erleben, wie viele Menschen durch die Angst keine vernünftigen, beruhigenden Worte aufnehmen konnten. Das Gehirn war so mit dem Überleben beschäftigt, dass andere Ansichten nicht ankamen.

Fühlt sich Ihr Gegenüber im Gespräch in solchen Fällen nicht geliebt, gehört, gesehen oder verstanden, dringen Ihre großartigen Worte und Anregungen nicht zu ihm durch.

Mir persönlich ist es völlig egal, wie Sie dieses Grundbedürfnis nach Liebe nennen. Ich vereinfache meine Tipps gern mit einem einprägsamen Bild wie diesem, weil es die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Sie sich die Inhalte merken können. Trotz der simplen Metapher liegen diesem Bild natürlich viele wissenschaftliche Studien zugrunde. Die Hirnforschung ist sich darüber einig, dass ein soziales Verhalten und Gemeinschaftssinn das Belohnungssystem in unserem Gehirn aktivieren. Früher wurde dies nur vermutet, mittlerweile kann es wissenschaftlich belegt werden. Es ist also sehr förderlich, sich in Gesprächen auf die Liebe zu konzentrieren.

Damit meine ich natürlich nicht, dass Sie jedem Menschen um sich herum stets sagen müssen: »Ich liebe dich.« Die Liebe beinhaltet: sich gesehen fühlen, Wertschätzung, Nähe, Respekt, Anerkennung und vieles mehr. Wenn ich also davon spreche, dass Sie bei Gesprächen darauf achten, dass sich Ihr Gegenüber geliebt fühlt, dann meine ich damit, dass es sich gesehen fühlt mit seiner eigenen Wahrheit und dem, was es für richtig hält. Und dass es sich respektiert fühlt und wertgeschätzt. Dadurch spürt es Nähe und Anerkennung.

Wenn Sie sich in einem Konflikt befinden, weil Sie z. B. einem Freund sagen möchten, dass Sie gern weniger Kontakt zu ihm hätten, dann überprüfen Sie erst einmal, wessen Grundbedürfnis nicht befriedigt wird. Haben Sie persönlich den inneren Konflikt, weil Sie sich von ihm nicht gesehen fühlen? Würden Sie sich wünschen, dass Ihr Freund mal genau hinschaut und von allein erkennt, dass er Sie gerade mit Gedanken zumüllt, die Sie überhaupt nicht interessieren? Würden Sie sich freuen, wenn er selbst merken würde, wie aufdringlich er stets nach einem neuen Treffen fragt? Am besten noch mit emotionaler Erpressung à la: »Wir haben uns schon ewig nicht mehr gesehen. Du magst mich gar nicht mehr.«

Bevor Sie mit ihm reden, ist es hilfreich zu erkennen, wer sich hier nicht geliebt fühlt. In diesem Beispiel wahrscheinlich beide. Denn Ihr Freund wäre vielleicht gern ihr allerallerallerbester Freund, den Sie jeden Tag treffen möchten und der jedes Geheimnis von Ihnen kennt. Da er dies nicht bekommt, fühlt er sich vielleicht nicht geliebt, somit nicht gesehen, nicht respektiert, nicht wertgeschätzt, die Bindung ist weniger stark, als er sie gern hätte.

Wenn Sie dies im Hinterkopf behalten, dann werden Sie ganz anders ins Gespräch gehen. Anstatt »Du nervst« zu sagen, können Sie erkennen, dass Sie einfach unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe haben und unterschiedliche Ansichten von dieser Freundschaft. Über diese Unterschiede zu reden, ist kein Angriff. Falls Sie aber nur ein »Hör mal auf, so oft anzurufen« raushauen, befinden Sie sich durchaus im Angriffsmodus. Und bei Ihrem Freund wird während dieses Gesprächs sicherlich nicht das Belohnungszentrum im Gehirn angeknipst.

4TIPP 4: Grundbedürfnis Liebe

Jeder Mensch strebt nach Lustvermehrung. Da eine gute soziale Bindung zu anderen Menschen das Belohnungssystem aktiviert, fühlt sich Ihr Gesprächsgegenüber besser, sobald sein Grundbedürfnis gestillt wurde. Der Neurobiologe Gerald Hüther meint: »Die durch Emotionen ausgeschütteten Botenstoffe des Dopamin- und Opiatsystems wirken wie Dünger auf Nervenzellen.«5

Dies schaffen Sie, indem Sie Ihr Gegenüber wertschätzen, respektieren und mit seinen eigenen Meinungen sehen.

Bleiben wir ruhig noch eine Weile bei dem Beispiel mit dem Freund, der mehr Nähe möchte, als Ihnen lieb ist. Sie haben sich vor dem Gespräch überlegt, was Sie wollen, und herauskam: Ich will diese Freundschaft. Gut. Gleichzeitig kam allerdings auch heraus: Ich will weniger Nähe. Genauso gut. Wenn Sie nun noch im Hinterkopf behalten, dass Sie die einzig geltende Wahrheit nicht gepachtet haben, und Ihren Freund mit seinen Bedürfnissen nach mehr Nähe wahrnehmen, dann starten Sie ins Gespräch.

Doch bitte nicht mit Aussagen, die sofort darauf abzielen, den anderen ändern zu wollen. Weniger »Du rufst zu oft an« und mehr »Ich mag nicht so oft telefonieren«. Sprechen Sie in den sogenannten Ich-Botschaften mehr darüber, was Sie empfinden, was Sie von sich offenbaren möchten und was Sie gern anders hätten, als nur darüber, was der Freund ändern soll. Für ein lösungsorientiertes Gespräch ist es hilfreich, wenn beide Parteien aus ihrer Sicht erklären, was sie stört und was sie gern anders hätten. Dadurch landen wir auf Augenhöhe und meines Erachtens ist nur auf dieser ein gutes Gespräch möglich.

| Ich-Botschaft im Gordon-Modell

Wer hats erfunden?

Thomas Gordon (1918–2002), Psychologe.

Was bedeutet der Begriff?