Wie Sommer auf unserer Haut - Sophie Miller - E-Book

Wie Sommer auf unserer Haut E-Book

Sophie Miller

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Beschreibung

Die Liebe trägt dich wie das Salz im Meer

Katrin führt seit Jahren eine Ehe mit vielen Freiheiten, lebt in einer eigenen Wohnung, hat einen anspruchsvollen Job. Eines Tages überrascht sie der 21-jährige Cameron, Sohn ihrer besten Freundin, die seit Jahrzehnten in Australien lebt. Er will in Europa studieren und ist neugierig, denn als Teenager war er von Katrin sehr beeindruckt. Schon nach kurzer Zeit ist beiden klar, dass sie mehr füreinander empfinden als bloße Zuneigung. Aber Katrin ist über 20 Jahre älter und will weder ihren Mann noch ihre Freundin verletzen. Doch jeden Tag mehr lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf und spürt, dass sie Cameron vertrauen kann. Zu spät merkt Katrin, wie ernst es ihm wirklich ist …

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Zum Buch

Katrin ist seit zehn Jahren mit Viktor liiert, einem attraktiven und ambitionierten Politiker, dem sie unausgesprochene Freiheiten gestattet, der aber auch ihre Unabhängigkeit respektiert und ihren beruflichen Erfolg in der Modebranche unterstützt. Doch als der Sommer in Düsseldorf beginnt, gerät Katrins wohlgeordnetes Leben aus den Fugen: Cameron, der Sohn ihrer besten Freundin aus Australien, macht auf dem Weg zu seinem Architekturstudium in Kopenhagen einen Zwischenstopp. Am Flughafen empfängt Katrin nicht mehr den schüchternen Jungen aus ihrer Erinnerung, sondern einen gut aussehenden Mann, der sie mit seiner Ernsthaftigkeit und seinem Temperament sofort einnimmt. Es kommt zu einer Berührung, die alle Grenzen überschreitet, zu einer verbotenen Nacht. Katrin genießt das erotische Abenteuer mit dem über zwanzig Jahre jüngeren Cameron, erlaubt sich endlich die Freiheit, die Viktor schon so lange auskostet – und verdrängt alle Gedanken an ihre beste Freundin Isabel. Bis Cameron sie mit seinen Gefühlen konfrontiert und Katrin sich eingestehen muss, dass auch sie die Intensität der Begegnung nicht mehr loslässt ...

Zur Autorin

Sophie Miller ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die bereits mehrfach ausgezeichnete Romane veröffentlicht hat. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. Zuletzt erschienen die Romane Das Echo der Lüge und Ein Jahr in Cornwall.

SOPHIE MILLER

WIE

SOMMER

AUF

UNSERER

HAUT

ROMAN

Von Sophie Miller sind im Diana Verlag erschienen:

Das Echo der Lüge – Ein Jahr in Cornwall –

Wie Sommer auf unserer Haut

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Originalausgabe 04/2016

Copyright © 2016 by Diana Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Angelika Lieke

Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München

Umschlagmotiv: © Cultura/Getty Images

Satz: Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

e-ISBN 978-3-641-15734-0V001

www.diana-verlag.de

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Dank an K.

Es war eine Zeit der Ehrlichkeit, es war eine Zeit der Lüge. Es war der Moment für den Aufbruch, es war der Moment innezuhalten. Es war eine Zeit der Liebe, eine Zeit ohne Zukunft. Sie betraten den schmalen Grat der Gegenwart und vergaßen, wie mächtig die Vergangenheit sein konnte. Durch geheime Türen schlüpften sie in das Leben des andern, es war eine verbotene Zeit, ein verbotener Ort, die verbotene Liebe. Es war nichts weniger als das Glück. Das Glück eines Irrtums, das Glück ohne Folgen, das Glück, das sein Unglück schon in sich trägt. Es war ihre Zeit.

1

KATRIN VERLIESS IHRE Büroetage nach Einbruch der Dunkelheit. Durch die Glastür beobachtete sie, wie das kleine Licht von Grün auf Rot wechselte, die Alarmanlage hatte sich eingeschaltet. Katrin Ferber war eine große Frau, ihr brünettes Haar fiel lang und geschmeidig über die Schultern. Wegen der hohen Wangenknochen wurde sie manchmal für eine Russin gehalten. Sie lief Richtung Graf-Adolf-Platz und wollte dort in ein Taxi springen. Katrin lebte in Düsseldorf, weil es für ihren Beruf kein besseres Pflaster gab. Der Rhein verlieh der Stadt so etwas wie Großartigkeit, und in den Straßen zwischen Kaiserteich und Stadtgraben, zwischen Ständehaus und Rheinufer fand sie Düsseldorf sogar schön.

Katrins Beruf war die Mode. Sie war Einkäuferin für zwei große Warenhausketten, ihre Entscheidung zählte, wenn es darum ging, ob die Modefarbe des Frühlings Aprikose oder Moosgrün sein würde. Ohne Katrins Zustimmung schaffte es kein Kreativer in die Regale der Warenhäuser, ihre Unterschrift bedeutete Massenherstellung und Umsatz, ihr Kopfschütteln verdammte so manchen Modeschöpfer zu einem Nischendasein.

Katrin war in Eile und voller Vorfreude. Heute auf den Tag genau war sie zehn Jahre mit Viktor liiert, einem Mann, der Charme, unendlichen Humor und Lebenslust besaß, der sich selbst aber auch als chronischen Single bezeichnete. Zehn Jahre liebten sie einander schon ohne bindende Verpflichtungen und ohne gemeinsame Wohnung. Vielleicht fühlten sich die Jahre mit Viktor gerade deshalb so unverbraucht an, so frei und aufregend, weil ihre Beziehung ohne Netz und doppelten Boden auskam. Kein Trauschein band sie, kein gemeinsames Wochenendhaus schuf gemeinsame Sorgen, es gab keine Kinder.

Das war ein dunkler Tropfen, der manchmal in Katrins Herz fiel, wenn ihr bewusst wurde, dass sie noch nie schwanger gewesen war und es wohl auch nie sein würde. Doch die Düsternis löste sich rasch wieder auf, wenn sie an ihr dynamisches, helles und selbstbestimmtes Leben dachte.

Dreiundvierzig, fast ein halbes Jahrhundert – wenn man es aussprach, hörte es sich bedrohlich an. Wenn Katrin allerdings in den Spiegel schaute, war es ein gutes Alter, ihr bestes vielleicht. Sie konnte sich vorstellen, ihr Leben mit Viktor, dem grau melierten Luxemburger, noch unabsehbar weiterzuführen, solange sie die ungeschriebenen Gesetze ihrer individuellen Freiheit einhalten würden. Viktor arbeitete die halbe Woche über als EU-Mandatar in Brüssel, die übrige Zeit fungierte er als Berater der Düsseldorfer Landesregierung, mit anderen Worten, Viktor war Lobbyist, Weltenbummler und Europäer.

»Komm schon, halt an«, murmelte Katrin, doch auch das zweite Taxi fuhr vorbei. Hinter den Autos sprühten kleine Fontänen hoch, der Regen hatte gerade erst aufgehört. Seit ein paar Tagen hatte sich der Sommer in vollen Zügen durchgesetzt. Überall roch man, spürte man es, überall wechselten die Farben vom frischen Grün des Frühlings auf weichere, sattere Töne, die eine beruhigende Wärme in die Welt brachten. Sie gaukelte den Menschen vor, dass es nun für lange Zeit so bleiben würde. Katrin hatte Lust, durch diesen Sommerabend zu laufen, durch die kleinen Parks, vorbei an den Ausläufern der Königsallee und immer weiter in Richtung ihrer Wohnung. Es war der perfekte Abend für einen Spaziergang, trotzdem entschied sie sich dagegen. Heute war ein besonderer Abend, sie würde mit Viktor ihr Jubiläum feiern, deshalb musste sie sich beeilen. Endlich hielt ein Wagen, Katrin stieg ein.

Eine Wohnung unweit des Hauptbahnhofs würde nicht ihrem Stil entsprechen, hatte Viktor behauptet, doch es war genau das richtige Viertel für sie. Unverschnörkelt und lebendig präsentierten sich die Straßen, die bunte Mischung aus rheinischem Schick und islamischer Behäbigkeit, aus Billigläden, Obst- und Gemüseständen, Fischhallen und teuren Weinkontors, der Wechsel der Kulturen von einer Ecke zur nächsten, das war die belebende Welt, die Katrin gefiel. Dass der Bahnhof in unmittelbarer Nähe lag, bedeutete in ihrem Job eine Menge Zeitersparnis.

Es hatte schon ähnliche Anlässe gegeben, zu denen Viktor Katrin spontan in das zwei Stunden entfernte Amsterdam entführt hatte. Heute reichte die Zeit für einen solchen Trip nicht aus, doch sie war sicher, dass er sich für den Jahrestag etwas Besonderes ausgedacht hatte. Bis zu ihrer Verabredung wollte sie rasch duschen und sich dem Anlass entsprechend zurechtmachen. Als sie die Wohnung betrat, spürte sie ein Vibrieren in ihrer Tasche und holte das Smartphone hervor. Viktor würde sie doch nicht jetzt schon ausführen wollen?

»Du bist was? … Du bist noch in Brüssel?«, fragte sie nach ein paar Sekunden und ließ sich auf die lederbezogene Bank am Eingang sinken. Sie kannte diesen Klang seiner Stimme, wenn er sein schlechtes Gewissen mit Nüchternheit zu verschleiern suchte. Viktor sprach von der EU-Ratsversammlung, die ihre Tagesordnungspunkte kurzfristig umgestellt hatte, weswegen sein Ressort später als vorgesehen diskutiert werden würde.

»Gibt es denn keinen späteren Flug?« Katrin spürte die Enttäuschung in sich hochkriechen. Sie hatte geglaubt, dass nicht einmal die Mächtigen der Europäischen Union imstande sein würden, ihren zehnten Jahrestag zum Scheitern zu bringen. »Es ist aber doch unser Abend«, sagte sie ein wenig hilflos.

Viktor zeigte die nötige Reue, ließ aber durchblicken, dass es wichtigere Dinge gebe als ihre kleine Feier, die man umso schöner nachholen würde. Katrin fühlte sich mit ihrem Wunsch, heute etwas Besonderes zu erleben, zurückgestoßen und lächerlich. »Morgen geht es bei mir nicht«, antwortete sie daher schroff. »Eigentlich die ganze Woche nicht. Donnerstag bin ich in Mailand, am Wochenende kommt Gino Lissere zu mir.«

Der Vorfall machte ihr wieder einmal klar, dass es in den zehn Jahren vor allem Viktors Freiheit gewesen war, die als unantastbar galt. Sie hatte sich wesentlich häufiger nach ihm gerichtet als umgekehrt, obwohl es bei ihrem Vierzehn-Stunden-Tag jedes Mal eine logistische Meisterleistung erforderte, auf seine spontanen Vorschläge einzugehen. Er kam, wann er wollte und ging ohne Erklärung. Während sie noch telefonierten, wurde ihr dieses Ungleichgewicht in ihrer Beziehung plötzlich schmerzhaft bewusst. Sie beherrschte sich jedoch, sagte, dass es ihr auch leidtäte, gab sich demonstrativ unverletzbar.

»Dann treffe ich mich heute eben mit Heinz«, antwortete sie auf Viktors Frage, was sie mit dem verpatzten Abend anfangen würde. »Wir versuchen seit Längerem ein Date zu vereinbaren.«

Das Wort Date änderte nichts an der Tatsache, dass Heinz Katrins Mitarbeiter und schwul war. Viktor fand, Heinz werde Katrin bestimmt aufmuntern. Nachdem er sich so leicht aus der Affäre gezogen hatte, legte er auf.

In Wahrheit hatte sie keine Lust, irgendjemanden außer Viktor zu treffen, zumindest niemanden aus ihrem unmittelbaren Umfeld. Stattdessen wünschte sie sich die Nähe ihrer ältesten Freundin Isabel. Diese Nähe stellte allerdings ein Problem dar, denn seit ihrer Heirat lebte Isabel unweit von Sydney, auf der anderen Seite des Globus. In Ostaustralien war es gerade erst sechs Uhr morgens, doch es gab keine Zeit, zu der Isabel und Katrin einander nicht gut verstanden, und der Anlass rechtfertigte die Ruhestörung. Seit Katrin und Isabel sich mit zehn Jahren in der Schule begegneten, waren sie beste Freundinnen. Was hatten sie über die Jahre nicht alles miteinander durchgemacht: Gebrochene Herzen, wichtige Entscheidungen, auch einige der schönsten Erinnerungen teilte Katrin mit Isabel. Als die Freundin vor dreiundzwanzig Jahren einen gut aussehenden Australier kennengelernt hatte, ermutigte Katrin sie. Henry sprach zwar kein Deutsch, doch für das, was er wollte, brauchte er keine Worte. Zwei Monate später war Isabel ihm auf seinen Kontinent gefolgt. Die Entfernung stellte ihre Freundschaft vor neue Herausforderungen, doch ihre Zuneigung und ihr Vertrauen zueinander wurden dadurch noch stärker. Ein Jahr nach Isabels Weggang kam ihr Sohn Cameron zur Welt, und auch wenn Katrin ihre Freundin gern näher bei sich gehabt hätte, wusste sie doch, dass Isabel glücklich war.

Katrin sandte eine SMS, ob Isabel Zeit zum Skypen hätte. Noch während sie sich ein großes Glas Wein einschenkte, kam die Antwort, wenig später stand die Verbindung. Das grob pixelige Bild baute sich auf.

Isabel war der optische Gegenentwurf zu ihrer Freundin. War Katrin groß und elegant mit dunklem Haar und grünen Augen, entsprach Isabel eher dem Image einer typischen Blondine. Auch wenn sie die Haare seit ihrem vierzigsten Geburtstag kürzer trug, fielen ihr die goldenen Locken noch immer wild in die Stirn, sie hatte verträumte Augen, ein fröhliches, weiches Gesicht, und ihre Figur war weiblich, zu weiblich, wie sie fand, doch ihr Vorsatz abzunehmen wurde ein ums andere Mal verschoben.

»Katrin, meine Liebe! Heute ist euer zehnter Jahrestag, wenn ich mich nicht täusche.« Isabel lächelte in die Kamera.

»Das hast du dir gemerkt?«, erwiderte Katrin überrascht.

»Keiner, der eure Geschichte kennt, könnte dieses Datum vergessen.«

»Was für eine Geschichte?«, fragte eine kräftige Männerstimme aus dem Hintergrund.

»Hm, was meinst du?« Isabel drehte sich um und sprach mit dem Mann am anderen Ende des Zimmers.

»Katrins Geschichte, die würde ich gern mal hören.«

»Bloß geht dich das gar nichts an.« Isabel drehte sich um und sprach mit dem Mann am anderen Ende des Zimmers. »Wieso bist du überhaupt schon auf?«

»Ist das Henry?« Katrin winkte in die Kamera. »Hallo, Henry.«

»Henry ist auf der Landwirtschaftsmesse in Canberra«, entgegnete Isabel. »Der Frühaufsteher dort in der ungewaschenen Sporthose ist Cameron.«

»Nein …« Katrin beugte sich vor, als ob sie den Schemen in der Tür von Isabels Schlafzimmer dadurch besser sehen könnte. »Nein, das glaube ich nicht.«

»Glaubst was nicht, Tante Katrin?« Der Schemen kam näher und entpuppte sich als junger Mann mit durchtrainiertem nacktem Oberkörper und einer wirren Frisur, die ihn eindeutig als Isabels Sohn auswies.

»Hallo, mein Kleiner«, konterte Katrin seinen Scherz mit der Tante. »Du bist aber ganz schön in die Höhe geschossen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«

»Und du bist immer noch die schönste Freundin meiner Mutter.«

»Frech wie immer«, lachte Isabel. »Und jetzt mach du dich mal auf zum Morgensport, junger Mann, ich bin hier mitten im Gespräch.«

Cameron hielt sein Gesicht vor den Bildschirm, rief Katrin ein »Bye bye« zu und lief mit langen Schritten aus dem Zimmer.

Katrin lachte überrascht. »Kann das wirklich sein, dass Cameron und ich uns so lange nicht gesehen haben? Er ist … Er hat sich …« Sie suchte nach Worten.

»Er ist ein Mann geworden«, nickte Isabel.

»Wie alt ist er jetzt?«

»Einundzwanzig, seit zwei Wochen.«

»Einundzwanzig!« Katrin schlug die Hände zusammen. »O Gott, Isa, wir werden alt.«

»Das kannst du laut sagen.« Die Freundin fuhr sich durchs Haar. »Wenn ich dich allerdings so ansehe, werde von uns beiden nur ich alt.«

»Du bist und bleibst das fröhliche Gänseblümchen, das ich seit der Schule kenne«, lächelte Katrin.

»Fröhlich vielleicht, aber ziemlich vertrocknet.«

»Haben du und Henry etwa Probleme?«

Isabel hob beschwichtigend die Hand. »Wir verstehen uns gut, aber wir sind eben ein ziemlich … eingerostetes Ehepaar.« Bedeutungsvoll hob sie die Augenbrauen. »Wohingegen du und dein Latin Lover …«

»Viktor ist Luxemburger.«

»Er sieht aber verdammt sexy aus mit seinem schwarzen Haar und den Schlafzimmeraugen.«

»Auch Viktor ist mittlerweile angegraut.«

»Trotzdem hatte ich den Eindruck, ihr befindet euch immer noch im Stadium der Leidenschaft.«

»Wirklich?« Katrin nahm einen kräftigen Schluck Wein. »Ich finde, Leidenschaft sieht anders aus.«

»Moment mal, wie spät ist es bei euch?« Isabel schaute auf die Uhr. »Wieso seid ihr noch nicht unterwegs und feiert?«

»Wir werden gar nicht feiern.«

»Aber warum denn nicht? Was ist passiert?«

Und Katrin erzählte es ihr, so wie sie Isabel in den vergangenen Jahren schon häufig von ihrem Kummer mit dem allzu freiheitsliebenden Profipolitiker erzählt hatte.

»Ausgerechnet an eurem Jahrestag hängt er in Brüssel rum?«, rief Isabel entrüstet. »Das ist bedenklich.«

»Viktor wird es wiedergutmachen, da bin ich sicher.« Katrin bemühte sich, unbeschwert zu klingen, aber Isabels Reaktion hatte sie hellhörig gemacht. »Was würdest du denn an meiner Stelle tun?«

»Ich würde sehr gut darüber nachdenken, ob diese Beziehung immer noch das ist, was du dir wünschst. Viktor ist sehr attraktiv, ich kann dich gut verstehen. Aber es ist nicht das erste Mal, dass du mich anrufst, weil er dich versetzt hat. Und was heute Abend betrifft, da würde ich mich ins Nachtleben stürzen, wenn ich du wäre.«

»Darauf ist mir die Lust vergangen. Ich würde jetzt lieber bei dir auf der Veranda sitzen.«

Isabel seufzte. »Glaub mir, das willst du nicht. Es ist hier so verdammt friedlich, dass ich dich manchmal um die Hektik deines Lebens beneide. Und natürlich um die Männer, die nach deiner Pfeife tanzen, wenn du sie auf den Laufsteg schickst.«

»Es gibt kaum etwas Langweiligeres als männliche Models«, lachte Katrin. »Entweder sie trainieren zu viel, oder sie sind schwul oder beides.« Sie nahm ihr Glas zur Hand. »Schluss damit. Wie geht es euch da draußen in eurer endlosen Weite mit dem nicht enden wollenden Sonnenschein?«

»Nicht die Endlosigkeit scheint im Moment Henrys Problem zu sein, sondern seine eigene Endlichkeit«, antwortete Isabel. »Er will den Betrieb schon wieder vergrößern.«

»Ihr habt doch bereits eine der größten Ranches in der Gegend.«

»Sicher, aber wenn du schon fünfzehntausend Rinder auf der Weide hast, können es genauso gut dreißigtausend sein.«

»Wozu?«

Isabel verdrehte die Augen. »Wozu tun Männer Dinge? Um den Tod zu vertreiben, um der Erste zu sein, der Größte, der Platzhirsch. Ein klassischer Fall von Midlife Crisis, würde ich sagen.« Sie lächelte versonnen. »Trotzdem bin ich mit meinem Leben zufrieden. Henry und ich sind nicht mehr frisch verliebt, aber wir verstehen uns. Wir haben Cameron. Uns geht es gut.«

Katrin dachte an Viktor, an ihr Leben, doch dann lächelte sie. »Cameron ist ein großartiger Junge … ein junger Mann, sollte ich wohl sagen.«

»Er ist das tollste Geschenk, das mir das Leben gemacht hat.« Erschrocken schaute Isabel in die Kamera. »Entschuldige, ich will damit natürlich nicht sagen, dass man ohne Kinder nicht glücklich sein kann.«

»Das weiß ich doch. Mit mir ist alles in Ordnung«, erwiderte Katrin. Ein wenig zögernd fuhr sie fort: »Nur manchmal, ziemlich selten, gibt es Momente, in denen ich mich frage, wie alles gekommen wäre, wenn ich auch so ein tolles Kind gehabt hätte, so einen Jungen, mit dem mich ein Band verbindet …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich rede dummes Zeug.«

»Das glaube ich auch. Du liebst deinen Job und deine Freiheit, und jetzt mach dir einen schönen Abend. Zieh dir was Tolles an und lass es dir gut gehen. Die Männer sollen einen Herzstillstand kriegen, wenn sie dich sehen.«

»Okay«, lachte Katrin. Dann seufzte sie tief. »Es hat so gutgetan, mit dir zu reden, Isa.«

»Gleichfalls, meine Große. Halt den Kopf oben.«

Sie warfen einander eine Kusshand zu, dann trennte Katrin die Verbindung.

»Herzstillstand«, murmelte sie, stand auf, führte das Glas zum Mund, doch sie hatte keine Lust mehr auf Wein. Eigentlich hatte sie heute Abend auf gar nichts mehr Lust, am allerwenigsten auf Männer.

2

»NOCH EINES?«, FRAGTE der Mann hinter dem Zapfhahn.

Viktor nickte und bekam sein drittes Alt. Er warf einen Blick durch die ungeputzten Scheiben der Kneipe, draußen lag eine billige Welt, deren grelle Lichter vom Regen in etwas Glitzerndes verwandelt wurden.

Viktor Stern war in Düsseldorf. Er schob sein Handy auf dem Tresen hin und her und fühlte sich mies. Nicht wegen dem, was er getan hatte, er belog Katrin nicht zum ersten Mal, sondern wegen dem, was er bald tun würde. Viktor hatte ihr Jubiläum abgesagt, weil er gleich über diese Straße gehen und an eine bestimmte Tür klopfen würde.

Während er trank, suchte er nach einem Wort, das sein Gefühl am besten beschrieb. Es war eine Form von Traurigkeit, die er nicht an sich mochte, weil sie undynamisch war. Er war ein Mann der Tat, gerade in seiner Dynamik lag seine erotische Anziehungskraft. Lustlosigkeit wollte er an sich nicht gelten lassen, sie erschien ihm wie ein Vorbote des Alters. Mit seinen vierundfünfzig Jahren hatte er noch einen ästhetischen Körper, setzte alles daran, dass es auch so blieb, und genoss es, wenn er von Frauen diesbezüglich Bestätigung erhielt. Gleichzeitig liebte er Katrin und wusste, dass kaum eine Frau so lange so viel Verständnis für ihn aufgebracht hätte. Er war sich des Privilegs bewusst, öffentlich mit dieser schönen, erfolgreichen Frau aufzutreten, er liebte die Klasse, die sie besaß, liebte Katrin auch im erotischen Sinn. Viktor begehrte sie allerdings seltener als früher und hielt das auch für natürlich, zugleich bedauerte er, dass er für sie nicht mehr so leidenschaftliche Gefühle aufbrachte. Das war der eigentliche Grund für seinen Überdruss, für jene unerwünschte Traurigkeit.

Er trank aus, rutschte vom Barhocker und verließ die Kneipe. Im Haus gegenüber lief er durch einen schwach beleuchteten Flur und stieg in den zweiten Stock hoch. Bevor er den Finger auf die Klingel legte, atmete er einmal durch. Noch konnte er zurück, noch konnte er mit einem gigantischen Rosenstrauß bei Katrin auftauchen, sich entschuldigen, und alles wäre wieder gut. Aber Viktor kannte sich und seine Leichtfertigkeit im Umgang mit Verantwortung; dass er sich dafür verachtete, änderte nichts daran. Er drückte auf den Knopf.

Fast im selben Moment ging die Tür auf. Viktor hatte die Geldscheine vorher abgezählt und gab sie dem Mann am Eingang. Er lief in den Flur und öffnete einen Spind. Ohne Hast zog er sich aus. Es fiel ihm nicht ein, den Club nackt zu betreten, er hätte das geschmacklos gefunden. Im schwarzen T-Shirt, mit schwarzem Slip betrat er den Spieleraum.

Das Spiel war in Gang. Vier Frauen vergnügten sich auf zwei breiten Liegen mit sechs Männern. Viktor gefiel die Musik, irgendwo brannten Räucherstäbchen, das Licht war unaufdringlich. Es wurde wenig gesprochen und kaum gestöhnt. Er genoss diese besondere Atmosphäre: die größtmögliche Intimität, gepaart mit völliger Fremdheit. Viktor setzte sich in einen Sessel und sah zu. Viel Zeit blieb dafür nicht, denn eine attraktive junge Frau ließ sich auf seinem Schoß nieder.

»Wollen wir mitmachen?«, fragte sie unverblümt.

»Lass mich erst mal was trinken.« Er streichelte ihr Schulterblatt und betrachtete dabei ihre spitzen Brüste.

»Du hast ja gar nichts zu trinken.«

»Dann lass mich eben erst mal nichts trinken«, scherzte er.

»Versteh ich nicht«, sagte sie.

Im gleichen Moment verlor er das Interesse an ihr. Wenn nicht ein Funken Witz bei der Sache war, wurde es für ihn bedeutungslos. Er ließ seine Hand von ihrer Schulter gleiten, sie verstand und ging zum Nächsten weiter. Viktor schlenderte zur Bar und bestellte sich eine Cola. Er war abgespannt, die Debatte des EU-Rates hatte tatsächlich lange gedauert, Viktor hatte erst den letzten Flieger nach Düsseldorf gekriegt.

Seine Unentschlossenheit verflog, als Linette die Bar betrat. Linette war Tschechin, ihre Haut hatte einen Goldton, und ihr schwarz gefärbtes Haar schimmerte. Sie sprach nur Englisch, obwohl Viktor vermutete, dass sie auch Deutsch verstand. Linette trug einen roten Lederrock, halterlose Strümpfe und High Heels.

»Hallo, Linette.«

Sie sah ihn aus grauen Augen an und sagte: »Good to see you.«

Es war ihre Frechheit, vielleicht auch ihre Kälte, die ihn faszinierten. Es war die Lüsternheit, die bereits in dieser harmlosen Begrüßung lag. Wegen Linette hatte Viktor Katrin versetzt, seine große Liebe. Kein anderer Abend und kein anderer Schauplatz wären dafür infrage gekommen, denn Linette besuchte Düsseldorf nur selten. Viktor hatte versucht, sich an einem intimeren Ort mit ihr zu treffen, doch sie hatte es aus Termingründen ausgeschlagen. Dass eine Edel-Prostituierte dem viel beschäftigten Europa-Parlamentarier mit Terminen kam, war eine Ironie, zugleich steigerte es den Reiz für ihn. Er war gezwungen, sich auf einer Sexparty mit ihr zu vergnügen, wo sie später noch viele Männer befriedigen würde. Doch für die nächste Stunde gehörte sie ihm, er hatte das Privileg, der Erste zu sein.

»How have you been?« Linette berührte seine Schulter.

»Too much work.«

Sie trank von Viktors Cola. »And your girlfriend?«

»She is fine.« Er hatte genug vom Small Talk, hob Linette an der Taille hoch und trug sie am Spieleraum vorbei ins Separee. Er fühlte sich stark, er fühlte sich unüberwindlich und spürte, wie sein Penis schon jetzt steinhart wurde.

Viktor hatte Linette vor zwei Jahren bei einer ähnlichen Gelegenheit kennengelernt. Sie hatten Stunden miteinander verbracht, die Viktor nur als überwältigend bezeichnen konnte. Im sexuellen Umgang kannte Linette keinerlei Konventionen, sie hatte ihn auf einen Pfad der Lust entführt, den er noch nie zuvor beschritten hatte. Deshalb fühlte er sich dieser Frau ein wenig ausgeliefert. Sie war die Meisterin und er der gelehrige Schüler.

Während die beiden es sich auf der Liege bequem machten, meldete sich für einen Moment Viktors schlechtes Gewissen. Gerade an diesem besonderen Tag hatte er Katrin versetzt. Er würde es wiedergutmachen, das war ihm bei ihr meistens gelungen. Linette begann Viktor zu liebkosen. Er schloss die Augen und genoss das Spiel ihrer Lippen.

3

»TELEFON!« HEINZ LIEF mit dem Hörer hinter Katrin her, als ob er einen Faustkeil schwingen würde.

»Keine Zeit.« Sie erreichte ihren Schreibtisch und beugte sich über die Entwürfe.

»Er hat es angeblich schon mehrmals probiert.« Heinz strich seinen Schnäuzer glatt. »Aber du gehst nicht dran.« Seitdem Katrins langjähriger Assistent seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert hatte, verzichtete er darauf, sein Haar zu färben. Es war schlohweiß, so weiß, dass Katrin den Verdacht hatte, er würde es pudern wie Lagerfeld.

»Natürlich gehe ich nicht dran. Gino Lissere ist in der Stadt, und wie gewohnt beansprucht er mich mit Haut und Haar.« Wie ein Fels erhob sich Katrins Laptop zwischen den Papieren, sie öffnete eine Kalkulationstabelle.

»Was soll ich dem jungen Mann also sagen?«

»Gib schon her, du bist doch nicht mein Telefonfräulein.« Ärgerlich nahm sie den Hörer entgegen. »Wer ist es?«

»Ein Australier.«

»Wen kennen wir in Australien?«

»Er scheint dich zu kennen.«

»Katrin Ferber«, sagte sie, darauf gefasst, gleich Englisch sprechen zu müssen.

»Ganz schön schwer, an dich ranzukommen, Tante Katrin«, sagte eine junge Männerstimme auf Deutsch, aber mit dem unverkennbaren australischen Akzent, den Katrin manchmal schon bei Isabel durchhörte.

»Cameron?«, antwortete sie überrascht und bedeutete Heinz, dass es in Ordnung sei. »Ist etwas mit Isabel?«, fragte sie plötzlich besorgt.

»Mit Mum? Nein, nein.«

»Gott sei Dank, ich dachte schon… Ich bin sehr überrascht, von dir zu hören.«

»Mit Mum ist alles in Ordnung. Ich rufe an, weil mein Flug schon in zwei Tagen geht.«

»Was für ein Flug?«

»Ich komme nach Europa, genau genommen nach Kopenhagen.«

»Wie schön, das ist eine tolle Stadt.« Während sie das sagte, scrollte Katrin die Tabelle auf dem Bildschirm abwärts.

Ein Mann betrat das Büro, den man auf den ersten Blick für einen Gewichtheber halten konnte. Gino Lissere war untersetzt, er trug den Schädel glatt rasiert, sein Nacken war wuchtig, ein silberner Ring zierte sein linkes Ohr. Er trug einen Anzug aus heller Seide. Alles an Gino war schwer, dennoch bewegte er sich erstaunlich leichtfüßig auf Katrins Schreibtisch zu.

»Mit wem redest du?«, fragte er mit italienischem Akzent.

»Warte einen Augenblick, Cameron.« Sie hielt den Hörer zu. »Mi dispiace, Gino, ich bin gleich wieder bei dir«, sagte sie zu dem Modeschöpfer.

»Du weißt, dass wir gerade die wichtigsten Entscheidungen für das nächste Jahr treffen? Lass uns weitermachen, cara.«