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Vigdis Hjorth

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Beschreibung

Eine Frau läuft durch den Wald. Eigentlich bereitet sie sich auf einen Marathon vor, aber getrieben ist sie von etwas anderem. Alles, was sie vergessen will, kehrt zu ihr zurück, und so nähert sie sich Atemzug für Atemzug dem sechzehnjährigen Mädchen, das sie einmal gewesen ist. Der erste Kuss auf einer Party. Der erste überwältigende Rausch, der den Körper so leicht werden ließ. Die Mutter, die mit Argusaugen über sie wacht und ihren unbändigen Lebenshunger kontrolliert. Der Vater, der sich immer weiter distanziert. In ihrem neuen Roman, der mit dem wichtigsten Literaturpreis Norwegens, dem Kritikerpreis, ausgezeichnet wurde, kehrt Vigdis Hjorth zu ihren großen Lebensthemen zurück: Sie erzählt vom schmerzhaften Kampf einer jungen Frau gegen das Geheimnis einer Familie, vom Ringen um die eigene Wahrheit und davon, dass manche Erinnerung einen so lange heimsucht, bis neues Erkennen möglich ist. Ein essenzielles, universelles Buch von der bedeutendsten Gegenwartsautorin Norwegens.

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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Vigdis Hjorth

Wiederholung

Roman

 

Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs

 

Über dieses Buch

 

 

Eine Frau läuft durch den Wald. Eigentlich bereitet sie sich auf einen Marathon vor, aber getrieben ist sie von etwas anderem. Alles, was sie vergessen will, kehrt zu ihr zurück, und so nähert sie sich Atemzug für Atemzug dem sechzehnjährigen Mädchen, das sie einmal gewesen ist. Der erste Kuss auf einer Party. Der erste überwältigende Rausch, der den Körper so leicht werden ließ. Die Mutter, die mit Argusaugen über sie wacht und ihren unbändigen Lebenshunger kontrolliert. Der Vater, der sich immer weiter distanziert.

In ihrem neuen Roman, der mit dem wichtigsten Literaturpreis Norwegens, dem Kritikerpreis, ausgezeichnet wurde, kehrt Vigdis Hjorth zu ihren großen Lebensthemen zurück: Sie erzählt vom schmerzhaften Kampf einer jungen Frau gegen das Geheimnis einer Familie, vom Ringen um die eigene Wahrheit und davon, dass manche Erinnerung einen so lange heimsucht, bis neues Erkennen möglich ist. Ein essenzielles, universelles Buch von der bedeutendsten Gegenwartsautorin Norwegens.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Vigdis Hjorth, 1959 in Oslo geboren, ist eine der meistrezipierten Gegenwartsautorinnen Norwegens. Sie ist vielfache Bestsellerautorin, wurde für ihr Werk unter anderem mit dem norwegischen Kritikerprisen und dem Bokhandlerprisen ausgezeichnet und war für den Literaturpreis des Nordischen Rates, den National Book Award sowie den International Booker Prize nominiert. Im Herbst 2023 erschien bei S. FISCHER »Die Wahrheiten meiner Mutter«, im Frühjahr 2024 der Roman »Ein falsches Wort«. Nach Stationen in Kopenhagen, Bergen, in der Schweiz und in Frankreich lebt Vigdis Hjorth heute in Oslo.

Inhalt

Alles, was du [...]

Es war spät [...]

November neunzehnhundertfünfundsiebzig. Ich [...]

Ich zählte die [...]

Begriff Mutter, dass [...]

Auch der Rest [...]

Der Herbst kam, [...]

Auf der Berg-Schule [...]

Sie machte Bemerkungen [...]

Der kalte und [...]

Samstag, der sechzehnte [...]

Am nächsten Morgen, [...]

Doch bald, am [...]

Am Donnerstag sagte [...]

Ich hatte viel [...]

Draußen war November, [...]

Ich hoffte, dass [...]

Ich ging in [...]

Die Kirche und [...]

Es war ein [...]

So still, so [...]

Am nächsten Morgen [...]

Vielleicht war ich [...]

Jedesmal, wenn es [...]

Ich wollte gerade [...]

Er rief am [...]

Ich ging ins [...]

Ich schrieb es [...]

Der Himmel war [...]

Dann lief ich [...]

Wie lange es [...]

Ich zog meine [...]

Was sollte sie [...]

Es regnete nicht [...]

Sie öffnete die [...]

Gegen sieben Uhr [...]

Wir stiegen an [...]

Finn öffnete die [...]

Ich werde diese [...]

Wir kamen nach [...]

Um Viertel nach [...]

Mutter stand am [...]

Ich schloss die [...]

Ich lief allein [...]

Montagmorgen und dunkel [...]

Mutter weckte mich [...]

Sie stand da, [...]

Das war die [...]

Ich konnte nicht [...]

Ich hörte sie [...]

Ich wartete, bis [...]

Finn Lykke rief [...]

An dem Nachmittag, [...]

Achtundvierzig Jahre nach [...]

Ich habe es [...]

Das Geschehene kehrte [...]

Den ganzen Rest [...]

Sie müssen darüber [...]

Mutter fürchtete, mir [...]

Wirst du nie [...]

Sie haben sich [...]

Ich saß in [...]

Dunkle Nacht im [...]

Alles, was du vergessen willst, kehrt zu dir zurück, es sucht dich heim, so wahrhaftig, dass du das Gefühl hast, es noch einmal zu durchleben, oft ruft es dieselben überwältigenden und unbezwingbaren Gefühle wie beim ersten Mal in dir hervor, du hast Angst, an dieser Intensität zu sterben, deshalb kämpfst du gegen seine Rückkehr, wehrst dich, aber du kannst sie nicht verhindern oder dich gegen den nun folgenden Schmerz schützen, also bist du gezwungen, auch ihn noch einmal zu erleben. Wenn jedoch alles wiedererlebt und durchlebt ist, wenn der lähmende Schmerz abnimmt, wirst du vermutlich erkennen, dass du eine neue Einsicht in die Bedeutung dieser spezifischen Erinnerung gewonnen hast; deshalb ist sie zu dir zurückgekehrt: um dir etwas zu erzählen.

Warum schreibe ich du, wenn ich ich meine?

Es war spät im November, an dem Morgen, an dem ich aufwachte, war es dunkel, und es würde um vier Uhr nachmittags schon wieder dunkel sein, und wenn ich dort, wo ich gerade war, in einer kleinen Hütte tief in Nordmarka, dem weiten Waldgebiet, das Norwegens Hauptstadt umkränzt, vor die Tür ging, konnte ich die Hand vor Augen nicht sehen.

 

Ich zog mich nach Phasen, in denen viel los war, Vorträge, Lesungen, Festivals, oft in diese einfache Hütte zurück, um Ruhe zu finden, zu lesen, auszuschlafen und zu träumen. Den ganzen Herbst hindurch war ich durch das Land gereist und hatte über das Verhältnis des Romans zur sogenannten Wirklichkeit gesprochen, ein Thema, das mich schon all die Jahre begleitete, in denen ich Romane schrieb, und über das zu reden ich gewohnt war, aber in diesem Herbst hatte ich ein wachsendes Gefühl der Ohnmacht und Beklemmung verspürt. Immer öfter war ich stumm geblieben, und während der letzten Veranstaltung hatte ich das Gefühl gehabt, den Verstand zu verlieren.

 

Ich war seit einer Woche in der Hütte gewesen und hatte gehofft, länger bleiben zu können, um zu lesen, auszuschlafen und zu träumen, aber das Symphonieorchester der Universität würde in der Festhalle sein jährliches Adventskonzert geben, und ich hatte einer Freundin, die die Bratsche spielt, versprochen, zu kommen. Außerdem hatte ich gerade gelesen, dass die Wiederholung der Ernst des Daseins ist, dass Wiederholung das tägliche Brot des Daseins ist, das mit Segen sättigt, und da ich nun schon drei Jahre hintereinander das Adventskonzert des Symphonieorchesters der Universität besucht hatte, hoffte ich, dass das Konzert wirklich ein Segen sein würde. Ich bereitete die Abreise am nächsten Tag vor und ging deshalb später als sonst mit dem Hund los, in der ersten Dämmerung. Wir gingen durch den Wald hinab zu der unbeleuchteten Landstraße und wie immer bis zur Felsspitze, von wo aus wir Teile des langen Steinsfjords unter uns sehen konnten. Die Hütten, an denen wir vorbeikamen, waren verriegelt und verrammelt, es war außerhalb der Saison, aber ich traf auch sonst nur selten Leute dort, in manchen der alten Hütten am Hang hinter mir hatte ich noch nie Licht gesehen.

 

Wir hatten uns schon auf den Rückweg gemacht, als die Dunkelheit kam, zuerst langsam, dann plötzlich, so dass ich die Hand vor Augen nicht sah. Meine Hündin jedoch lief unverdrossen weiter, sie hatte einen blinkenden Lichtanhänger am Halsband, ohne den ich wahrscheinlich auf dem Boden hätte entlangkriechen müssen, um die Grenze zwischen Weg und Wald zu erkennen. Also lief ich hinter ihr her, und weil ich nichts sah, hörte ich besser, ihre rhythmischen Pfotenschritte auf dem Weg, ihren gleichmäßigen Atem und das leise Rauschen des Windes zwischen den hohen Fichten. Nach vielleicht einer Dreiviertelstunde bog sie zu dem ab, was der Pfad hoch zur Hütte sein musste, ich hatte alle Lichter ausgemacht, ehe wir gegangen waren, die Hütte lag in einer Dunkelheit, die stumm machte. Ich folgte der Hündin vorsichtig, um nicht über Steine oder Wurzeln zu stolpern: als sie stehen blieb, ahnte ich die Türschwelle im roten Licht ihres Leuchtanhängers und ließ mich darauf sinken. Kein Mond, keine Sterne, es war dunkel wie unter der Erde, wir atmeten Dunkelheit, der Hund mit aufmerksam zum Wald hin gerichteten Sinnen, ich auf mein Inneres lauschend, wo sich etwas rührte, aus der Tiefe emporstieg, aber es verschwand wieder, ehe ich es zu fassen bekam, so, wie ein nächtlicher Traum verschwinden kann, wenn du versuchst, dich an ihn zu erinnern, während dir das Traumgefühl noch im Körper steckt, wie eine physische Erfahrung; diese hier war eine Erfahrung der Unruhe und Schwermut. Ich schloss die Tür auf, und als wir ins Bett gingen, konnte ich nicht schlafen, ich wälzte mich die Nacht hindurch hin und her, bis ich gegen Morgen einschlief und träumte; ich war ein junges Mädchen und entdeckte, dass ich an der Seite eine große Wunde hatte, einen Schnitt wie von einem Messer oder einer Schere, und ich dachte, ich müsste die Wunde mit Jod reinigen, ich zeigte sie Mutter und fragte sie, ob sie Jod habe. Mutter wirkte desinteressiert, wollte aber nachsehen, sagte sie, und ging, doch sie kam nicht zurück, sie musste es vergessen haben. Dann fiel mein Blick auf einen Pfeil, der auf dem Boden lag, und ich hob ihn auf, aber es war nur ein Bleistift. Ich erwachte mit hämmerndem Herzen, denn es war ein Traum, den ich schon einmal geträumt hatte, der sich in Varianten wiederholte, er war eine Warnung. Ich stand auf und ging mit dem Hund hinaus, was hätte ich sonst tun sollen, ich ging lange durch den grauen und feuchten Nebel, mit einem Gefühl, unglücklich verliebt zu sein, aber ohne ein Objekt für meine ruhelose Sehnsucht.

 

Ich packte meine Sachen und räumte auf, und als wir die abschüssige Heidelandschaft zwischen Ringkollen und Klekken hinabfuhren, fing es an zu schneien. Große Schneeflocken fielen langsam vor der Windschutzscheibe herab, und die Scheinwerfer machten es schwer, etwas zu erkennen, deshalb musste ich mich konzentrieren, um mich auf dem nicht beleuchteten, schmalen, kurvenreichen Weg zu halten, aber bald würde die Welt leuchtend weiß sein und glitzern, alles Spitze und Scharfe wäre abgerundet. Das passierte jedes Jahr um diese Zeit, es wiederholte sich, und die Wiederholung ist der Ernst des Daseins. Die Hoffnung ist wie ein neues Kleidungsstück: steif, eng und glitzernd, aber ohne es getragen zu haben, weißt du nicht, ob es dir passt oder ob es dir steht; und die Erinnerung ist wie ein abgelegtes Kleidungsstück: egal, wie hübsch es ist, es passt dir nicht mehr, du bist aus ihm herausgewachsen. Die Wiederholung dagegen ist ein unverwüstliches Kleidungsstück, das fest und geschmeidig sitzt und weder drückt noch flattert. Ich war froh darüber, dass ich auf nichts hoffte, aber warum grauste mir?

 

Als ich nach Sandvika kam, war es wieder dunkel, denn dort schneite es nicht so sehr wie in den höheren Lagen. Ich bog ab in Richtung Oslo, nicht Kristiansand und Nesøya, wie sonst, ich glitt in den dichten Sonntagsnachmittagsverkehr und wurde ein Teil von ihm, er kroch unerträglich langsam zum Zentrum hin, irgendwann hielt ich endlich unterhalb des Konzerthauses und ging durch sonntagsleere, windgebeutelte Straßen zur Festhalle, vorbei an traurigen, in schwarze Parkas und dunkle Schals gehüllte Gestalten, die sich im kalten Wind krümmten. Als ich näher kam, sah ich mehrere Menschen auf der Treppe vor der Tür stehen, sie war noch nicht geöffnet, wir mussten also warten, und warten ist anstrengend, vor allem bei Kälte, ich hoffte, die Zeit würde schnell vergehen. Wir hoffen, dass die Zeit schnell vergeht. Wir haben ein einziges Leben auf Erden, eine irdische Existenz für den Bruchteil einer Sekunde in der unendlichen Zeit und finden trotzdem, dass es nicht schnell genug vergeht. Ja, ich weiß. Es ist schwer, das Leben in Übereinstimmung mit unserer Erkenntnis zu bringen, vielleicht ist es unmöglich. Ich stellte mich so, dass niemand mein Gesicht sah, schloss die Augen und atmete tief ein, während ich mir beruhigend zuredete, ich spürte die Anwesenheit meiner irritierenden sterblichen Mitgeschöpfe, ihren Atem und die Geräusche, die sie machten, wenn sie sich bewegten, wenn sie sich zum Wärmen die Arme um den Leib schlangen, wenn sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerten, ich spürte ihre Schritte auf der Treppe, als die Warteschlange dichter und es vor der Tür enger wurde, ich spürte ihre Ungeduld und ihre Angst. Es gibt nirgendwo sonst Menschen, nur hier, auf unserem kleinen Planeten, sicher gibt es noch jede Menge intelligentes Leben dort draußen, aber keine Menschen, in keiner der Milliarden von Galaxien, wir sind eine seltene und bedrohte Art, und wir sind so gemein zueinander. Ich hörte ein metallisches Geräusch, ich öffnete die Augen und sah die schweren Türen aufgleiten, ehe ich als eine der Ersten hineinging.

 

Die Instrumente standen auf der Bühne, ich setzte mich so, dass ich die Bratsche sah, auf die linke Seite in die dritte Reihe, dorthin, wo ich auch im Vorjahr gesessen hatte, Wiederholung. Die Menschen strömten herein, redeten gedämpft, wie im Vorjahr, dieser Ort verlangte Feierlichkeit. Wir wurden warm, einige zogen ihre Mäntel aus, es waren Paare und Rentner, Familien mit kleinen Kindern, eine erwachsene Tochter mit einer alten Mutter, ein erwachsener Sohn mit den Eltern und umgekehrt, nur ich war allein. Kleine Kinder, die ihren Eltern auf den Schoß kletterten, das bewegte mich, ich war als Kind nie in einem Konzert gewesen, ich hatte es nicht im Blut, wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich als Kind im Konzert gewesen wäre und es im Blut hätte? Dann hätte, was als Nächstes geschah, keine Erinnerung ausgelöst? Rechts neben mir waren die Plätze noch frei, ein Mann blieb stehen, hinter ihm stand eine Frau, hinter ihr ein Mädchen, sie war fünfzehn, vielleicht sechzehn Jahre alt, ihre Tochter, dachte ich, die unsichtbaren Bande vibrierten. Der Mann tippte ihr auf die Schulter und zeigte auf den freien Platz, sie nickte, ging in die Reihe und setzte sich neben mich, die Mutter folgte ihr, dann der Vater, sie passten genau auf die freien Plätze, wir saßen so eng, dass ich die Daunenjacke der Tochter an meinem Arm spürte; sie war nicht glücklich. Ich konnte mich nicht gegen ihre unglückliche Nähe wehren, sie wollte nicht hier sein, sie hatte kommen müssen, eingeklemmt zwischen ihrer Mutter und einer fremden Frau, sie starrte in ihr Programmheft, während ihre Mutter sie missbilligend ansah, weil sie nicht froh war, weil sie nicht dankbar war, die Mutter tauschte einen wissenden Blick mit dem Vater, egal, was sie taten, sie war nicht froh, wollte nicht froh sein, sie starrte in ihr Programmheft, in stillem Protest. Um sechs Uhr wurden die Türen geschlossen, das Licht gedämpft, die Musikerinnen und Musiker kamen herein, ich winkte der Bratschistin zu, das leise Summen im Saal verstummte. Der Dirigent verbeugte sich, alles war Stille und Erwartung, dem Mädchen neben mir, das ins Programmheft starrte, zitterten leicht die Hände, genau wie mir, der Dirigent drehte sich zum Orchester, hob den Taktstock, und es ward Klang.

 

Nordnorwegische Weihnachtslieder, gesegnet seist du, Tag über dem Fjord, gesegnet, du Licht über Land, die Mutter meiner Sitznachbarin streifte den Mantel ab, wickelte sich den karierten Burberryschal vom Hals, faltete ihn auf ihrem Schoß zusammen, streichelte ihn mit rastlosen Händen, auch sie wollte nicht hier sein, sie war wegen ihrer Tochter hier, aber ihre Tochter war nicht dankbar. Der Vater hatte teure Eintrittskarten gekauft, damit sie im Advent etwas Schönes zusammen unternehmen könnten, aber die Tochter war nicht froh. Gottes Friede über Berg und Tal, Gottes Friede über dem Vieh im Stall. Die Mutter beugte sich zu dem Mädchen hinüber und flüsterte: Zieh die Jacke aus, sie zupfte ihr an der Seite, beugte sich zu ihrem Ohr vor, versetzte ihr einen Stoß, flüsterte lauter, zieh die Jacke aus. Das Mädchen schloss die Augen, die Mutter flüsterte ihren Namen, meinen Namen, ein harter Laut, aber das Mädchen wollte die Jacke nicht ausziehen, denn sie versteckte sich darin, und genau deshalb wollte die Mutter, dass sie die Jacke auszog, wollte sie aus ihrem Versteck zerren, aus ihrem Schutz, wir können etwas vertragen, wir hier im Norden, wir wie du, seid gesegnet mit dem ewigen Wort, die Menschen, die hier oben leben, wir applaudierten, das Mädchen applaudierte nicht. Die Mutter schaute den Vater an, der Vater schüttelte den Kopf. O heilige Nacht, ich konnte meine Augen nicht von ihnen wenden. Die Mutter zog die Tochter an der Jacke, fester diesmal, und sie kam näher, sie drang in ihre Intimsphäre, warum war die Jacke wichtig? Weil es ein Kampf war, den die Mutter gewinnen musste. Die Tochter zog den Reißverschluss nach unten, die Mutter zog sie am Ärmel, die Tochter wurde von ihr ernährt, von ihnen, auch wenn das nicht viel kosten konnte, so dünn, wie das Mädchen war, aber sie hatten die Jacke bezahlt, sie konnte Ansprüche stellen, und niemand, keine Freunde, von denen ich hoffte, dass die Tochter sie hatte, war da, sie war dazu gezwungen, mit den Eltern allein zu sein, ihnen zuliebe im Adventskonzert des Symphonieorchesters der Universität zu sitzen, damit die Eltern ihre Macht ausüben könnten und beruhigt wären. Etwas war passiert; in der vergangenen Woche war etwas Furchtbares passiert, und das sollte jetzt repariert werden, wiedergutgemacht, weil die Eltern das brauchten. Der drohende Blick der Mutter und die plötzliche Handbewegung des Vaters, die bedeutete: Zieh jetzt die verdammte Jacke aus! Die Tochter schob mit Hilfe der rechten Hand langsam die Daunenjacke von der linken Schulter, ihr Ellbogen war dicht an meinem, sie schob mit Hilfe der linken Hand die Jacke über die rechte Schulter, aber sie zog die Arme nicht aus den Ärmeln, so dass die Jacke hinter ihrem Rücken liegen blieb, halb aus-, halb angezogen, und aussah wie eine merkwürdige Zwangsjacke. Sie senkte den Kopf über das Programmheft und schloss die Augen, ich sah, dass sie weinte. Sie war gefangen und gelähmt und konnte nicht bleiben, wo sie war, ohne zugrunde zu gehen, aber sie hatte keinen Ort, an den sie gehen, und keinen Menschen, dem sie sich zuwenden konnte, sie war fünfzehn oder sechzehn Jahre alt und abhängig. Ich