Wiener Blut - Rafael Bettschart - E-Book

Wiener Blut E-Book

Rafael Bettschart

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Beschreibung

Als Johann Strauss das Werk Wiener Blut vor über 200 Jahren komponierte, handelte das Stück von der sagenumwobenen Eleganz und Lebensfreude des Wiener Bürgertums. Gegenwärtig hingegen gelten die Stadtbewohner als äußerst unfreundlich jedoch charmant zugleich, führen diverse groteske Studien an und von der berüchtigten Lebensfreude scheint nichts mehr übrig zu sein. Doch wie konnte es so weit kommen? Ist Wien wirklich die unfreundlichste Stadt der Welt? Oder wird der Schmäh einfach nur missverstanden? Und was in aller Welt hat es mit dem legendären Grant auf sich? Mit seinen irrwitzigen Geschichten und einzigartigem kulturellen Überblick ist Wiener Blut ein literarisches Denkmal an das Wien des 21. Jahrhunderts - und eine wahrhaftige Ode an die Unfreundlichkeit.

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Dieses Buch ist Hannah gewidmet1

– damit sie nach 9 Jahren in der Frankophonie

endlich wieder eine vernünftige Sprache spricht.

1 Und letztlich dem wahren Grund, warum Wien die lebenswerteste Stadt der Welt ist.

"Sollten auch Sie der Meinung sein,

dass Wien Ihnen zu unfreundlich sei,

dann gehen’s bitte scheißen!"

Unbekannt

Vorwort

"Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist."

Johann Strauss II

Als Johann Strauss’ titelgebende Operette Wiener Blut im Jahr 1899 seine Erstaufführung feierte, war die Kaiserstadt Wien am Höhepunkt ihres Glanzes angelangt. In der Donaumetropole wurde imposante Garderobe getragen, prachtvolle Feste gefeiert und die lockere Lebensart der Einwohner war legendär. Wien stand für Eleganz, Feierlichkeit und Lebensfreunde. Das alles und mehr verdankten die Bürger insbesondere dem Wiener Blut, welches durch ihre Adern floss. So zumindest die damalige Behauptung.

Heute hingegen scheint Wien für seine hohe Lebensqualität, aber in erster Linie für seine sagenumwobene Unfreundlichkeit bekannt zu sein – es wirkt, als sei von der damaligen Noblesse kaum etwas übriggeblieben.

Man munkelt, das Wiener Blut habe sich verändert: Aus Charme wurde Grant und aus Feinheit die Unfreundlichkeit. Doch was ist in den 200 Jahren geschehen? Wie konnte sich Wien derart verändern? Sind die Wiener wirklich so unfreundlich und stimmen alle diese Behauptungen überhaupt? Fragen über Fragen, die es zu klären gilt … und am besten lassen sie sich mit wahren Geschichten aus der sagenumwobenen Stadt selbst beantworten.

Dies sind die Geschichten des neuen Wiener Bluts in Form eines literarischen Denkmals an das Wien des 21. Jahrhundert – wahrhaftig eine Ode an die Unfreundlichkeit.

Zwei Wiener stehen am Donau-Ufer und

sehen einem Touristen beim Ertrinken zu.

"Help me, I can't swim!" ruft dieser verzweifelt.

Als die beiden Wiener nicht reagieren, ruft er erneut:

"Hilfe!" - Abermals keine Reaktion.

Also versucht er es auf Italienisch: "Aiuto!"

und gleich noch auf Französisch: "Au secours!"

Doch die beiden Wiener rühren keinen Finger.

Also versucht er es auf Spanisch: "¡Socorro!"

Und sogar Russisch: "Pomogite, poshaluysto!"

… doch es nützt nichts!

Die Wiener verziehen keine Miene und starren

den von Unheil Bedrohten einfach weiter an.

Als der Tourist von den Fluten verschluckt war,

sagt der eine Wiener zum anderen:

"Heast, dea hod sechs Sprochn kenna."

Worauf der andere meinte:

"Und? Hots eam wos gnutzt?"

Einleitung

Alle Jahre wieder …

In der Tat – alle Jahre wieder. Wobei es in dieser Einleitung, sowie im gesamten Werk, keine einzige Seite lang um das Christkind gehen wird. Doch genauso wie das Christkind kommen auch zahllose Umfragen und Rankings alle Jahre wieder.

Es ist ein Phänomen: Wien wird regelmäßig und wiederkehrend an die Spitze diverser grotesker Städterankings gewählt. Wobei wir unser Augenmerk nicht auf die gelobte Lebensqualität legen werden, sondern auf die legendäre wienerische Unfreundlichkeit. Die letzten Jahre gab es ständig ein mediales Trara, wenn die österreichische Bundeshauptstadt zur zweit- oder drittunfreundlichsten Stadt der Welt gekürt wurde1 – gekürt, da vermutlich kaum ein Wiener nicht ein wenig stolz auf diese Ergebnisse war. Wobei bei vielen Lesern die berechtigte Frage aufkam, welche Zustände in den darüber platzierten Positionen wohl herrschen müssen: "Haut man sich dort gegenseitig auf die Schnauze, anstatt im Billa "zweite Kassa" zu rufen?" – wurde im Internet nachgefragt. Doch eine Antwort blieb man leider schuldig.

Allerdings wurde bei all dem Wirbel übersehen, dass die Donaumetropole bereits im Jahr 2017 Vize- und sogar Weltmeister wurde2 – ganz abhängig davon, in welche Studien man eben blickte. Doch dieses Mal war alles anders, denn einige Medien begannen sich beinahe obsessiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Täglich gab es dutzende Artikel zu lesen, Rezipienten wurden nach deren Meinung gefragt, man war zur Abstimmung aufgerufen und letztendlich wurden abermals pseudowissenschaftliche "Umfrageergebnisse" zum Thema Freundlichkeit veröffentlicht. Selbstverständlich musste jeder dazu eine Meinung haben, ohne je die Qualität oder den Wert dieser "Rankings" infrage zu stellen.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, denn weder ist es meine Intension mit diesem Buch irgendwelche Thesen zu negieren, noch die Unfreundlichkeit der Wiener in Schutz zu nehmen. Allerdings empfinde ich diese Blindplatzierung im besten Fall als oberflächlich.

Vorweg muss gesagt werden, dass es Hunderte dieser Bestenlisten gibt und in jeder Einzelnen davon nehmen andere Städte die Top-Platzierung ein. Darüber hinaus sollte erwähnt werden, dass es sich bei besagtem Ranking, wobei Wien einen Spitzenplatz besetzt, um eine Umfrage unter Expats handelt. Als Expatriate versteht man Fachkräfte, die in internationalen Organisationen beschäftigt sind, durch Auslandsentsendung vorübergehend in einer drittstaatlichen Zweigstelle arbeiten und sich im oberen Einkommenssegment befinden. Wichtig hierbei ist das Vorübergehende, denn um eine Stadt und Kultur kennenzulernen, braucht es nun mal auch ein wenig Zeit. 

Dann gibt es natürlich auch kulturelle Unterschiede. Während eines USA-Aufenthaltes wird sich der eine oder andere denken, dass die Einwohner der Supermacht für unsere Verhältnisse übertrieben freundlich sind und falsche, genauer gesagt gespielte Emotionen preisgeben. Bereits zur Schulzeit wird den Amerikanern eingetrichtert, optimistisch zu sein, mit positiver Einstellung an Dinge heranzugehen und seinem Gegenüber dauerhaft verblödet ins Gesicht zu grinsen. Daraus lässt sich ableiten, dass es bei einer Europareise zu gewissen Missverständnissen zwischen Touristen und lokaler Bevölkerung kommen kann. "Andere Länder, andere Sitten" – pflegt der Volksmund zu sagen.

Hinzu kommt, dass viele Expats, bevor sie in die "begehrten" Städte Europas entsendet werden, vorab ihrer Tätigkeit in amerikanischen oder frisch erbauten asiatischen Städten nachkommen. Als "Expat-freundlich" werden meistens die Städte gesehen, in denen die überwiegende Anzahl der Bevölkerung Englisch spricht und den amerikanischen Gepflogenheiten der Kommunikation sehr ähnlich sind. Diese Expat-Blasen sind in der Mehrheit keineswegs von Multikulturalität geprägt. Viele Expats kommen kaum mit der "echten" Kultur eines Landes in Kontakt und leben dabei in einer globalisierten und vom ökonomischen Totalitarismus geprägten Monokultur. Darüber hinaus ist anzumerken (ohne Unterstellung machen zu wollen), dass es in vielen asiatischen und afrikanischen Staaten eine unvergleichbar hörige Kultur gibt, wobei das Volk oft noch von despotischen Langzeitherrschern unterdrückt und aufgefordert wird, zu zahlenden Touristen und Expats besonders höflich zu sein3. Freundlichkeit kann dabei leicht mit erzwungenem Gehorsam verwechselt werden. Dieser Kontrast, gepaart mit menschlicher Naivität und ergänzt durch Unwissenheit, sorgt schnell dafür, dass man die Einen als freundlich und die Anderen als vergleichsweise unfreundlich wahrnimmt. 

Ich verbrachte einen Großteil meines Lebens in der Donaumetropole und konnte besten Wissens und Gewissens nicht verstehen, woher die Behauptung kam, dass meine Heimat sonderlich unfreundlich sei. Ich habe in vielen Ländern und Städten, verteilt über den ganzen Kontinent, gelebt und war überall mit der lokalen Kultur in Kontakt gekommen. Egal ob im Norden, Süden, Westen oder Osten. Bei meinen zahlreichen Stadtbesuchen und beruflichen Aufenthalten fiel mir insbesondere eines auf, was den Wienern nicht neu sein wird: Wien ist eben ein bisschen anders. Die Einwohner sind nicht unfreundlicher als diejenigen anderer Großstädte, aber sie sind definitiv schlagfertiger. Zumindest so eine gängige These. Dies zeigt sich vor allem in den spontanen Kommentaren eines vermeintlich unfreundlichen Einheimischen: humorvoll, präzise und anmaßend – der Wiener Schmäh. Der sooft besungene Schmäh ist allerdings nicht für jeden. Allen voran ist er nichts für die heutige Gesellschaft der Generation Schneeflocke (von hippen Städten wie Berlin und San Francisco), wo jede makabre Äußerung gleich in einem medialen Shitstorm endet.

Doch der interessanteste Fakt, neben der weltberühmten Unfreundlichkeit natürlich, ist die Tatsache, dass Wien seit sage und schreibe zehn Jahren auf Platz eins der meisten Listen bezüglich Lebensqualität zu finden ist. Sie haben richtig gelesen: Wien ist die lebenswerteste Stadt unseres Planeten4. Einige spitze Zungen behaupten sogar, dass die wienerische Unfreundlichkeit zu dem rigorosen Lebenswert beiträgt oder gar der Hauptfaktor dafür sei. Hierzu muss gleich angemerkt werden, dass man nur selten in seinem Leben so einen fatalen Blödsinn lesen wird. Unfreundlichkeit sorgt für Unbehagen und außerdem finden sich diese Faktoren weder in den referenzierten Studien wieder, noch lässt sich einer der Prädiktoren vom grantig sein ableiten. Sollten Sie anderer Meinung sein, dann bitte ich Sie, mir den Zusammenhang zwischen Unfreundlichkeit und Grünfläche zu erläutern.

Allerdings ist es eine berechtigte Frage, wie eine der unfreundlichsten Städte der Welt gleichzeitig eine der lebenswertesten sein kann. Hat also Unfreundlichkeit etwas mit Lebensqualität zu tun? Ist unhöfliches Verhalten ein Teil des guten Lebens? Nein – es sind völlig voneinander unabhängige Auffassungen, basierend auf nicht miteinander zu vereinbarenden Variablen.  Zum Vergleich der Lebensqualität hat Mercer eine Studie mit auswertbaren Qualitätskriterien erstellt, während InterNations seine völlig planlosen Community-Mitglieder über "Freundlichkeit gegenüber Expats" befragt hat. Fakten gegen Emotionen. Ganz abgesehen von berechtigter Kritik der Wirtschaftsagentur Wien an einer zu geringen Stichprobengröße der Befragten5. Laut Angaben von InterNations reicht es, wenn 45 der 25.000 in Wien lebenden Expats an der Umfrage teilnehmen, um in das Ranking aufgenommen zu werden. Die Expat-Plattform rechtfertigte dies damit, dass sage und schreibe ganze 200 Personen teilgenommen haben. Ausschließlich die Meinung von Expats heranzuziehen, ist in etwa so aussagekräftig, als würde man alle Großstadt-Kevins über die Qualität der Rechtsberatung renommierter Anwaltskanzleien befragen. Am Ende steht ein Ergebnis, aber der repräsentative Wert dieser Umfrage darf angezweifelt werden. 

Als zumindest diese Fragen geklärt schienen, bildeten sich weitere Fragen in meinem Kopf. Ich wollte wissen, ob Wien nun wirklich unfreundlicher als andere Metropolen sei. Aber wie geht man dieser Frage am besten auf den Grund, ohne Städte miteinander zu vergleichen? Wie wir bereits festgehalten haben, lässt sich ohne fundiertes Wissen und Insights nur schwer etwas über lokale Kulturen sagen. Der direkte Vergleich war also keine Option, da zu viele Variablen zu berücksichtigen wären. Natürlich hatte auch ich aufgrund meiner Auslandsaufenthalte den Eindruck gewonnen, dass einige Städte freundlicher waren als andere. Allerdings macht dabei jeder seine individuelle und subjektive Erfahrung. Der Eine kann die beste Zeit seines Lebens in London verbringen, der andere hingegen seinen persönlichen Alptraum erleben. Dementsprechend kann aus den eigenen Erfahrungen und Emotionen ebenfalls kein nachhaltiger Schluss gezogen werden. Dabei wäre natürlich auch zu klären, ob man bei einem Auslandsaufenthalt wirklich die lokale Kultur kennenlernt, oder einfach nur in den sogenannten Tourismus-Vierteln verkehrt. Bekanntlich sind die arbeitenden Einwohner von Tourismusgemeinden besonders gefällig oder eben nicht. Ganz zu schweigen davon, ob weitere Einflüsse wie Jahreszeit, Wetter oder sonstiges vis maior vorliegen. Also blieb nur eine sinnvolle Herangehensweise zur Klärung der Frage übrig: Wenn man wissen möchte, ob eine Ortschaft unfreundlich ist, dann bleibt einem letztlich nur das Auseinandersetzen mit der Stadt selbst. Und genau deshalb habe ich die besten Alltagsgeschichten zusammengefasst und in dieses Buch gepackt. Wer einen Ort verstehen will, muss auch seine Geschichten kennen.

Also begann ich mich an meine eigenen Wien-Erfahrungen zurückzuerinnern. Anschließend sprach ich mit Freunden, Bekannten und Verwandten und hörte mir ihre Geschichten an. Als die mediale Aufmerksamkeit rund um die legendäre Unfreundlichkeit nicht abzuklingen schien, begann ich auch online zu recherchieren und mich mit Fremden auszutauschen. Solange, bis ich schließlich die besten Geschichten, Erfahrungen, Anekdoten und Legenden über Wien gesammelt hatte. Nach Lektüre dieses Buches können Sie also selber entscheiden, ob Wien und seine Einwohner unfreundlich, einfach nur witzig, etwas völlig anderes oder vielleicht alles auf einmal sind.

Doch um Wien und sein Granteln6 wirklich zu verstehen, bedarf es einiger Zusatzinformationen. Diese involvieren die Stadt selbst, die geselligen Ortschaften der Zusammenkunft, die Sprache und den Akzent, den Witz und Humor, Informationen zu den Einwohnern, bis hin zu der Seele des echten Wieners. Genau deshalb werden diese Themen als Kulturexkurs in diesem Buch behandelt. Und dort, wo die Menschen zusammenkommen, finden auch unsere Geschichten statt. Denn erst wenn man versteht, was eine Stadt im Kern ausmacht, kann man ein informiertes Urteil treffen.

Genug mit der Einführung. Jetzt widmen wir uns den witzigsten Geschichten, die unsere schöne Stadt hervorgebracht hat. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus persönlichen, fremden, legendären, unbekannten, neuen und alten Anekdoten. Wo treiben sich die Wiener also herum und wo sind sie besonders unfreundlich? Meine Recherche brachte mich an diverse Örtlichkeiten. Einige davon werden Sie bereits selber kennen. Und womit kann die Erzählung besser beginnen als mit dem sagenumwobenen Wiener Kaffeehaus?

1 InterNations - Expat City Ranking 2019

2 InterNations - Expat City Ranking 2017

3 Freedomhouse - Freedom in the World 2018

4 Mercer’s Quality of Living survey 2019

5 Der Standard - Für Expats ist Wien weiterhin eine der unfreundlichsten Städte

6 Fortwährend schlecht gelaunt, verdrießlich sein und sich entsprechend negativ äußern.

"Wien wurde also zur drittunfreundlichsten Stadt der Welt gewählt!Warum nur Dritter, Ihr G’schissenen?"

Strizzi89

Das Kaffeehaus

"Das ist das Geheimnis des alten Wiener Cafés: Der Ober ist vergesslich, die Kassiererin ist hässlich, die Wände sind grau, die Beleuchtung ist schlecht: lauter Dinge, die ich schön finde."

Arthur Schnitzler

Das Wiener Kaffeehaus ist nicht nur ein immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO, es ist vermutlich die Wiener Institution schlechthin und blickt dabei auf eine lange und einzigartige Geschichte zurück.

Der Legende nach fanden die Wiener nach dem Sieg über die Osmanen in der zweiten Türkenbelagerung unzählige Säcke gefüllt mit seltsamen braunen Bohnen. Das unwissende Volk des späten Mittelalters hatte natürlich (noch) keine Verwendung dafür. Da man die Bohnen für Kamelfutter hielt, wurden sie angezündet und verbrannt, worauf ein wohlriechendes Aroma die Luft durchdrang. Fasziniert von der Entdeckung des Geruchs wurden die Säcke an den Retter Wiens als Dankeschön übergeben, Johann III. Sobieski – dem König von Polen und Großfürst von Litauen. So wie das unwissende Volk, wusste auch seine Exzellenz nichts damit anzufangen. Also übergab dieser die Bohnen an seinen ersten Offizier Georg Franz Kolschitzky, der anschließend das erste Kaffeehaus gründete. Heutzutage wird gemunkelt, dass diese Geschichte bloß erfunden sei, denn eigentlich habe Kaiser Leopold I. dem Armenier Johannes Theodat als Dank für dessen Dienste die Hoffreiheit erteilt, das vermeintlich türkische Getränk Kaffee zu präparieren und zu verkaufen. Et voilà: Das erste Kaffeehaus wurde gegründet. Da die erste Version der Geschichte die schönere ist, möchte ich gerne an dieser festhalten. Selbst wenn sie frei erfunden sein sollte, so möge man einfach nur an Erich Kästers Worte denken: "Ob die Geschichte wirklich passiert ist oder nicht, ist egal. Hauptsache, sie ist wahr."

Bereits der legendäre Schriftsteller Stefan Zweig nannte das Wiener Kaffeehaus, auch Café genannt, eine "Institution der besonderen Art, die mit keiner ähnlichen der Welt vergleichbar ist." Im Unterschied zu den Kaffeehäusern der restlichen Welt, ist es in Wien durchaus gang und gäbe, eine Melange1 zu bestellen und stundenlang sitzenzubleiben. Eine beliebte Tätigkeit während der verdienten Rast war stets das Lesen aller möglichen Tageszeitungen. Diese waren kostenlos erhältlich und auf tragbare Zeitungsständer gespannt, die üblicherweise aus Bugholz gefertigt waren. Im späten 19. Jahrhundert entwickelte sich das Wiener Kaffeehaus zum Arbeitsplatz einer Vielzahl von Literaten, woraus später die sogenannte Kaffeehausliteratur entstand. Darunter sind literarische Werke zusammengefasst, die ganz oder zumindest teilweise in Kaffeehäusern geschrieben wurden. Dementsprechend wurden die Autoren Kaffeehausliteraten genannt. Das Zentrum dieser Belletristik war Wien, aber diese Literaturform entstand ebenfalls in weiteren Metropolen in ganz Europa.

Spätestens seit besagtem Zeitpunkt galt das Kaffeehaus als Treffpunkt für intellektuelle Stadteinwohner schlechthin und wurde von vielen bekannten Personen aus Kunst, Wissenschaft und Politik seiner Zeit regelmäßig aufgesucht. Darunter befanden sich legendäre Persönlichkeiten wie Egon Schiele, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Adolf Loos, Theodor Herzl, Siegfried Marcus, Sigmund Freud, Leo Trotzki, Peter Altenberg, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Alfred Polgar, Karl Kraus, Stefan Zweig, Hermann Broch und Friedrich Torberg. Vor allem Letzterer widmete in seinem Meisterwerk Die Tante Jolesch oderDer Untergang des Abendlandes in Anekdoten der Kaffeehauskultur einen besonderen Platz.

In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts setzte das sogenannte Kaffeehaussterben ein und hält bis heute an. Dies ist primär auf die Änderung der Freizeitgewohnheiten zurückzuführen und aktuell sind nur noch drei der verzeichneten 15 Kaffeehäuser vom Goldenen Zeitalter vorhanden. Neben all den schön verbrachten Nachmittagen, den intellektuellen Gesprächen und natürlich den interessanten Individuen, machte vor allem eine weitere Komponente das Kaffeehaus zu etwas Besonderem: die legendäre Unfreundlichkeit des Herrn Ober2.

1 Die Wiener Melange ist eine österreichische Kaffeespezialität. Sie besteht aus einem Teil Kaffee sowie einem Teil Milch und einer Haube aus Schlagobers. Sie wurde erstmals um 1830 in Wien angeboten.

2 Ober steht umgangssprachlich verkürzt für Oberkellner. In Wien eine wahre Respektsperson!

Anekdoten aus dem Kaffeehaus