Wilhelm Tell. Schauspiel. Studienausgabe - Friedrich Schiller - E-Book

Wilhelm Tell. Schauspiel. Studienausgabe E-Book

Friedrich Schiller

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Beschreibung

Schillers Drama "Wilhelm Tell" wurde am 17. März 1804 uraufgeführt und erschien im Oktober desselben Jahres als Buch. Es war nicht der erste literarische Text, der den Schweizer Freiheitshelden Tell zur Hauptfigur erkor. Doch er blieb der wirkungsmächtigste: Das Stück wird bis heute aufgeführt und in Schule und Hochschule gelesen. Die kritische Studienausgabe bietet den Wortlaut der Erstausgabe mit editorischen Erklärungen und stellt mit einem Kommentar, mit Zeugnissen zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte sowie mit einem umfangreichen Nachwort alles Notwendige zur Verfügung, um der Besonderheit des Wilhelm Tell nachgehen zu können. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Friedrich Schiller

Wilhelm Tell

SchauspielStudienausgabe

Mit einem Nachwort herausgegeben von Silvia Jaqui und Matthias Luserke-Jaqui

Reclam

2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962021-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014213-4

www.reclam.de

Inhalt

Wilhelm Tell

Kapitel

Personen

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Vierter Aufzug

Fünfter Aufzug

Anhang

1 Zu dieser Ausgabe

2 Anmerkungen

3 Zur Entstehungsgeschichte

4 Zur Rezeptionsgeschichte

5 Tell-Stoff

6 Literaturhinweise

7 Nachwort

[5]Wilhelm Tell

Schauspiel

[9]Personen

HERRMANN GESSLER, Reichsvogt in Schwytz und Uri

WERNER, FREIHERR VON ATTINGHAUSEN, Bannerherr

ULRICH VON RUDENZ, sein Neffe

Landleute aus Schwytz:

WERNER STAUFFACHER

KONRAD HUNN

ITEL REDING

HANS AUF DER MAUER

JÖRG IM HOFE

ULRICH DER SCHMIDT

JOST VON WEILER

aus Uri:

WALTHER FÜRST

WILHELM TELL

RÖSSELMANN der Pfarrer

PETERMANN der Sigrist

KUONI der Hirte

WERNI der Jäger

RUODI der Fischer

aus Unterwalden:

ARNOLD VOM MELCHTHAL

KONRAD BAUMGARTEN

MEIER VON SARNEN

STRUTH VON WINKELRIED

KLAUS VON DER FLÜE

BURKHARDT AM BÜHEL

ARNOLD VON SEWA

PFEIFERvon LUCERN

KUNZ von GERSAU

JENNY Fischerknabe

SEPPI Hirtenknabe

GERTRUD Stauffachers Gattinn

[10]HEDWIG Tells Gattinn, Fürsts Tochter

BERTHA VON BRUNEK eine reiche Erbin

Bäuerinnen:

ARMGARD

MECHTHILD

ELSBETH

HILDEGARD

Tells Knaben:

WALTHER

WILHELM

Söldner:

FRIESSHARDT

LEUTHOLD

RUDOLPH DER HARRAS Geßlers Stallmeister

JOHANNES PARRICIDA Herzog von Schwaben

STÜSSI der Flurschütz

DER STIER VON URI

EIN REICHSBOTE

FROHNVOGT

MEISTER STEINMETZ, GESELLEN UND HANDLANGER

OEFFENTLICHE AUSRUFER

BARMHERZIGE BRÜDER

GESSLERISCHE UND LANDENBERGISCHE REITER

VIELE LANDLEUTE, MÄNNER UND WEIBER AUS DEN WALDSTÄTTEN.

[11]Erster Aufzug

Erste Scene

Hohes Felsenuferdes Vierwaldstättensees, Schwytz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Ueber den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwytz im hellen Sonnenschein liegen. Zur linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen desHaken, mit Wolken umgeben; zur rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man denKuhreihenund das harmonische Geläut der Heerdenglocken, welches sich auch bei eröfneter Scene noch eine Zeitlang fortsezt.

FISCHERKNABE

singt im Kahn

(Melodie des Kuhreihens)

Es lächelt der See, er ladet zum Bade,

Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,

 Da hört er ein Klingen,

 Wie Flöten so süß,

 Wie Stimmen der Engel5

 Im Paradieß.

Und wie er erwachet in seliger Lust,

Da spühlen die Wasser ihm um die Brust,

 Und es ruft aus den Tiefen:

 Lieb Knabe, bist mein!10

 Ich locke den Schläfer,

 Ich zieh ihn herein.

[12]HIRTE

auf dem Berge

(Variation des Kuhreihens)

Ihr Matten lebt wohl,

Ihr sonnigen Weiden!

Der Senne muß scheiden,15

Der Sommer ist hin.

 Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,

 Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder,

 Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,

 Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen May.20

Ihr Matten lebt wohl,

Ihr sonnigen Weiden!

Der Senne muß scheiden,

Der Sommer ist hin.

ALPENJÄGER

erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen

(Zweite Variation)

Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,25

Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,

 Er schreitet verwegen

 Auf Feldern von Eis,

 Da pranget kein Frühling,

 Da grünet kein Reis;30

Und unter den Füssen ein neblichtes Meer,

Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,

 Durch den Riß nur der Wolken

 Erblickt er die Welt,

 Tief unter den Wassern35

 Das grünende Feld.

Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend.

[13]RUODI DER FISCHERkommt aus der Hütte,WERNI DER JÄGERsteigt vom Felsen,KUONI DER HIRTEkommt, mit dem Melknapf auf der Schulter.SEPPIsein Handbube, folgt ihm.

RUODI

Mach hurtig Jenny. Zieh die Naue ein.

Der graue Thalvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,

Der Mytenstein zieht seine Haube an,

Und kalt her bläßt es aus dem Wetterloch,40

Der Sturm, ich meyn’, wird da seyn, eh’ wirs denken.

KUONI

’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schaafe fressen

Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.

WERNI

Die Fische springen, und das Wasserhuhn

Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug. 45

KUONI

zum Buben

Lug’ Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.

SEPPI

Die braune Lisel kenn ich am Geläut.

KUONI

So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.

RUODI

Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.

WERNI

Und schmuckes Vieh – Ists euer eignes, Landsmann?50

KUONI

Bin nit so reich – ’s ist meines gnäd’gen Herrn,

Des Attinghäusers, und mir zugezählt.

[14]RUODI

Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!

KUONI

Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt,

Und nähm ich ihr’s, sie hörte auf zu fressen.55

RUODI

Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft’ges Vieh –

WERNI

Ist bald gesagt. Das Thier hat auch Vernunft,

Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,

Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,

’ne Vorhut aus, die spizt das Ohr und warnet60

Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.

RUODI

zum Hirten

Treibt ihr jetzt heim?

KUONI

  Die Alp ist abgeweidet.

WERNI

Glücksel’ge Heimkehr, Senn!

KUONI

  Die wünsch ich Euch,

Von eurer Fahrt kehrt sich’s nicht immer wieder.

RUODI

Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.65

WERNI

Ich kenn’ ihn, ’s ist der Baumgart von Alzellen.

KONRAD BAUMGARTENathemlos hereinstürzend

BAUMGARTEN

Um Gottes willen, Fährmann, euren Kahn!

RUODI

Nun, nun, was giebts so eilig?

[15]BAUMGARTEN

  Bindet los!

Ihr rettet mich vom Tode! Sezt mich über!

KUONI

Landsmann, was habt ihr?70

WERNI

  Wer verfolgt euch denn?

BAUMGARTEN

zum Fischer

Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!

Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,

Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.

RUODI

Warum verfolgen euch die Reisigen?

BAUMGARTEN

Erst rettet mich, und dann steh ich euch Rede.75

WERNI

Ihr seid mit Blut befleckt, was hat’s gegeben?

BAUMGARTEN

Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg saß –

KUONI

Der Wolfenschießen! Läßt euch der verfolgen?

BAUMGARTEN

Der schadet nicht mehr, ich hab’ ihn erschlagen.

ALLEfahren zurück

Gott sey euch gnädig! Was habt ihr gethan?80

BAUMGARTEN

Was jeder freie Mann an meinem Platz!

Mein gutes Hausrecht hab’ ich ausgeübt

Am Schänder meiner Ehr’ und meines Weibes.

KUONI

Hat euch der Burgvogt an der Ehr’ geschädigt?

[16]BAUMGARTEN

Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,85

Hat Gott und meine gute Axt verhütet.

WERNI

Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?

KUONI

O laßt uns alles hören, ihr habt Zeit,

Bis er den Kahn vom Ufer los gebunden.

BAUMGARTEN

Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt90

Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.

»Der Burgvogt lieg’ in meinem Haus, er hab’

Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.

Drauf hab’ er Ungebührliches von ihr

Verlangt, sie sey entsprungen mich zu suchen.«95

Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,

Und mit der Axt hab’ ich ihm ’s Bad gesegnet.

WERNI

Ihr thatet wohl, kein Mensch kann euch drum schelten.

KUONI

Der Wütherich! Der hat nun seinen Lohn!

Hat’s lang verdient ums Volk von Unterwalden.100

BAUMGARTEN

Die That ward ruchtbar, mir wird nachgesezt –

Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –

es fängt an zu donnern

KUONI

Frisch Fährmann – Schaff den Biedermann hinüber.

RUODI

Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist

Im Anzug. Ihr müßt warten.105

[17]BAUMGARTEN

  Heilger Gott!

Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tödet –

KUONI

zum Fischer

Greif an mit Gott, dem Nächsten muß man helfen,

Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.

Brausen und Donnern

RUODI

Der Föhn ist los, ihr seht wie hoch der See geht,

Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.110

BAUMGARTEN

umfaßt seine Knie

So helf euch Gott, wie ihr euch mein erbarmet –

WERNI

Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.

KUONI

’s ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!

wiederholte Donnerschläge

RUODI

Was? Ich hab’ auch ein Leben zu verlieren,

Hab’ Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin115

Wie’s brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,

Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.

– Ich wollte gern den Biedermann erretten,

Doch es ist rein unmöglich, ihr seht selbst.

BAUMGARTEN

noch auf den Knien

So muß ich fallen in des Feindes Hand,120

Das nahe Rettungsufer im Gesichte!

– Dort liegt’s! Ich kann’s erreichen mit den Augen,

Hinüberdringen kann der Stimme Schall,

Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,

Und muß hier liegen, hülflos, und verzagen!125

[18]KUONI

Seht wer da kommt!

WERNI

  Es ist der Tell aus Bürglen.

TELLmit der Armbrust.

TELL

Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?

KUONI

’s ist ein Alzeller Mann, er hat sein’ Ehr

Vertheidigt, und den Wolfenschieß erschlagen,

Des Königs Burgvogt, der auf Roßberg saß –130

Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen,

Er fleht den Schiffer um die Ueberfahrt,

Der fürcht’t sich vor dem Sturm und will nicht fahren.

RUODI

Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,

Der soll mirs zeugen, ob die Fahrt zu wagen.135

TELL

Wo’s Noth thut, Fährmann, läßt sich alles wagen.

heftige Donnerschläge, der See rauscht auf

RUODI

Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?

Das thäte keiner, der bei Sinnen ist.

TELL

Der brave Mann denkt an sich selbst zulezt,

Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten. 140

RUODI

Vom sichern Port läßt sich’s gemächlich rathen,

Da ist der Kahn und dort der See! Versuchts!

TELL

Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,

Versuch es Fährmann!

[19]HIRTEN UND JÄGER

  Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!

RUODI

Und wär’s mein Bruder und mein leiblich Kind,145

Es kann nicht seyn, ’s ist heut Simons und Judä,

Da ras’t der See und will sein Opfer haben.

TELL

Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,

Die Stunde dringt, dem Mann muß Hülfe werden.

Sprich, Fährmann, willst du fahren?150

RUODI

  Nein, nicht ich!

TELL

In Gottes Nahmen denn! Gieb her den Kahn,

Ich wills mit meiner schwachen Kraft versuchen.

KUONI

Ha wackrer Tell!

WERNI

  Das gleicht dem Waidgesellen!

BAUMGARTEN

Mein Retter seid ihr und mein Engel, Tell!

TELL

Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich euch,155

Aus Sturmes Nöthen muß ein Andrer helfen.

Doch besser ist’s, ihr fallt in Gottes Hand,

Als in der Menschen!

zu dem Hirten

  Landsmann, tröstet ihr

Mein Weib, wenn mir was menschliches begegnet,

Ich hab’ gethan, was ich nicht lassen konnte. 160

er springt in den Kahn

[20]KUONIzum Fischer

Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich

Der Tell getraut, das konntet ihr nicht wagen?

RUODI

Wohl beßre Männer thuns dem Tell nicht nach,

Es giebt nicht zwey, wie der ist, im Gebirge.

WERNI

ist auf den Fels gestiegen

Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer!165

Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!

KUONI

am Ufer

Die Flut geht drüber weg – Ich seh’s nicht mehr.

Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich

Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.

SEPPI

Des Landvogts Reiter kommen angesprengt.170

KUONI

Weiß Gott, sie sinds! das war Hülf in der Noth.

Ein Trupp Landenbergischer Reiter.

ERSTER REITER

Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.

ZWEITER

Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.

KUONI UND RUODI

Wen meint ihr, Reiter?

ERSTER REITER

entdeckt den Nachen

  Ha, was seh ich! Teufel!

WERNI

oben

Ist’s der im Nachen, den ihr sucht? – Reit zu!175

Wenn ihr frisch beilegt, hohlt ihr ihn noch ein.

ZWEITER

Verwünscht! Er ist entwischt.

[21]ERSTER

zum Hirten und Fischer

  Ihr habt ihm fortgeholfen,

Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Heerde!

Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder!

eilen fort.

SEPPI

stürzt nach

O meine Lämmer!180

KUONI

folgt

  Weh mir! Meine Heerde!

WERNI

Die Wüthriche!

RUODI

ringt die Hände

  Gerechtigkeit des Himmels,

Wann wird der Retter kommen diesem Lande?

folgt ihnen.

Zweite Scene

Zu Steinen in Schwytz. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstraße, nächst der Brücke.

WERNER STAUFFACHER. PFEIFFER VON LUZERNkommen im Gespräch.

PFEIFFER

Ja, ja Herr Stauffacher, wie ich euch sagte.

Schwört nicht zu Oestreich, wenn ihrs könnt vermeiden.

Haltet fest am Reich und wacker wie bisher,185

Gott schirme euch bei eurer alten Freiheit!

drückt ihm herzlich die Hand und will gehen

[22]STAUFFACHER

Bleibt doch, bis meine Wirthin kommt – Ihr seid

Mein Gast zu Schwytz, ich in Lucern der Eure.

PFEIFFER

Viel Dank! Muß heute Gersau noch erreichen.

– Was ihr auch schweres mögt zu leiden haben190

Von eurer Vögte Geiz und Uebermuth,

Tragt’s in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,

Ein andrer Kaiser kann an’s Reich gelangen.

Seid ihr erst Oesterreichs, seid ihrs auf immer.

er geht ab. Stauffacher sezt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihnGERTRUD, seine Frau, die sich neben ihn stellt, und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet.

GERTRUD

So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.195

Schon viele Tage seh’ ich’s schweigend an,

Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furch’t.

Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,

Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,

Und meine Hälfte fodr’ ich deines Grams.200

Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.

Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.

Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glücksstand blüht,

Voll sind die Scheunen, und der Rinder Schaaren,

Der glatten Pferde wohl genährte Zucht

Ist von den Bergen glücklich heimgebracht205

Zur Winterung in den bequemen Ställen.

– Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz,

Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert

Und nach dem Richtmaaß ordentlich gefügt,

[23]Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,210

Mit bunten Wappenschildern ist’s bemahlt,

Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann

Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.

STAUFFACHER

Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,

Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.215

GERTRUD

Mein Werner sage, wie verstehst du das?

STAUFFACHER

Vor dieser Linde saß ich jüngst wie heut,

Das schön vollbrachte freudig überdenkend,

Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg,

Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.220

Vor diesem Hause hielt er wundernd an,

Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig

Wie sich’s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,

Der uns des Kaisers richterliche Macht

Vorstellt im Lande. Wessen ist dieß Haus?225

Fragt’ er bösmeinend, denn er wußt es wohl.

Doch schnell besonnen ich entgegn’ ihm so:

Dieß Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,

Und Eures und mein Lehen – da versezt er:

»Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt,230

Und will nicht, daß der Bauer Häuser baue

Auf seine eigne Hand, und also frey

Hinleb’, als ob er Herr wär in dem Lande,

Ich werd’ mich unterstehn, euch das zu wehren.«

Dieß sagend ritt er trutziglich von dannen,235

Ich aber blieb mit kummervoller Seele,

Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.

[24]GERTRUD

Mein lieber Herr und Ehewirth! Magst du

Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?

Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich,240

Des viel erfahrnen Mann’s. Wir Schwestern saßen,

Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,

Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter

Versammelten, die Pergamente lasen

Der alten Kaiser, und des Landes Wohl245

Bedachten in vernünftigem Gespräch.

Aufmerkend hört’ ich da manch kluges Wort,

Was der Verständge denkt, der Gute wünscht,

Und still im Herzen hab ich mirs bewahrt.

So höre denn und acht’ auf meine Rede,250

Denn was dich preßte, sieh das wußt ich längst.

– Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden,

Denn du bist ihm ein Hinderniß, daß sich

Der Schwytzer nicht dem neuen Fürstenhaus

Will unterwerfen, sondern treu und fest255

Beim Reich beharren, wie die würdigen

Altvordern es gehalten und gethan. –

Ists nicht so Werner? Sag es, wenn ich lüge!

STAUFFACHER

So ist’s, das ist des Geßlers Groll auf mich.

GERTRUD

Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,260

Ein freier Mann auf deinem eignen Erb

– Denn Er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich

Trägst du dieß Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,

So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,

Denn über dir erkennst du keinen Herrn265

Als nur den Höchsten in der Christenheit –

[25]Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,

Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,

Drum sieht er jedes Biedermannes Glück

Mit scheelen Augen gift’ger Mißgunst an,270

Dir hat er längst den Untergang geschworen –

Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,

Bis er die böse Lust an dir gebüßt?

Der kluge Mann baut vor.

STAUFFACHER

  Was ist zu thun!

GERTRUD

tritt näher

So höre meinen Rath! Du weist, wie hier275

Zu Schwytz sich alle Redlichen beklagen

Ob dieses Landvogts Geiz und Wütherei.

So zweifle nicht, daß sie dort drüben auch

In Unterwalden und im Urner Land

Des Dranges müd sind und des harten Jochs –280

Denn wie der Geßler hier, so schafft es frech

Der Landenberger drüben überm See –

Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,

Der nicht ein neues Unheil und Gewalt-

Beginnen von den Vögten uns verkündet.285

Drum thät es gut, daß eurer etliche,

Die’s redlich meinen, still zu Rathe giengen,

Wie man des Drucks sich möcht’ erledigen,

So acht ich wohl, Gott würd’ euch nicht verlassen,

Und der gerechten Sache gnädig seyn –290

Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,

Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?

STAUFFACHER

Der wackern Männer kenn’ ich viele dort,

Und angesehen große Herrenleute,

[26]Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.295

er steht auf

Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken

Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes

Kehrst du an’s Licht des Tages mir entgegen,

Und was ich mir zu denken still verbot,

Du sprichsts mit leichter Zunge kecklich aus.300

– Hast du auch wohl bedacht, was du mir räthst?

Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen

Rufst du in dieses friedgewohnte Thal –

Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,

In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?305

Der gute Schein nur ist’s, worauf sie warten,

Um loszulassen auf dieß arme Land

Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,

Darinn zu schalten mit des Siegers Rechten,

Und unter’m Schein gerechter Züchtigung310

Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.

GERTRUD

Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt

Zu führen, und dem Muthigen hilft Gott!

STAUFFACHER

O Weib! Ein furchtbar wüthend Schreckniß ist

Der Krieg, die Heerde schlägt er und den Hirten.315

GERTRUD

Ertragen muß man, was der Himmel sendet,

Unbilliges erträgt kein edles Herz.

STAUFFACHER

Dieß Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.

Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.

[27]GERTRUD

Wüßt’ ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,320

Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.

STAUFFACHER

Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg

Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.

GERTRUD

Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!

– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.325

STAUFFACHER

Wir Männer können tapfer fechtend sterben,

Welch Schicksal aber wird das Eure seyn?

GERTRUD

Die lezte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,

Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.

STAUFFACHER

stürzt in ihre Arme

Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,330

Der kann für Heerd und Hof mit Freuden fechten,

Und keines Königs Heermacht fürchtet er –

Nach Uri fahr’ ich stehnden Fußes gleich,

Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walther Fürst,

Der über diese Zeiten denkt wie ich.335

Auch find’ ich dort den edeln Bannerherrn

Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm

Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.

Mit ihnen beiden pfleg’ ich Raths, wie man

Der Landesfeinde muthig sich erwehrt –340

Leb wohl – und weil ich fern bin, führe du

Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses –

Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt,

Dem frommen Mönch, der für sein Kloster sammelt,

[28]Gieb reichlich und entlaß ihn wohl gepflegt.345

Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Zu äuserst

Am ofnen Heerweg steht’s, ein wirthlich Dach

Für alle Wandrer, die des Weges fahren.

indem sie nach dem Hintergrund abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorn auf die Scene

TELL

zu Baumgarten

Ihr habt jezt Meiner weiter nicht vonnöthen,

Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt350

Der Stauffacher, ein Vater der Bedrängten.

– Doch sieh, da ist er selber – Folgt mir, kommt!

gehen auf ihn zu, die Scene verwandelt sich.

Dritte Scene

Oeffentlicher Platz beiAltdorf. Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man eineVestebauen, welche schon so weit gediehen, daß sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern wird eben gebaut, das Gerüste steht noch, an welchem die Werkleute auf und nieder steigen, auf dem höchsten Dach hängt der Schieferdecker – Alles ist in Bewegung und Arbeit.

 

FROHNVOGT. MEISTER STEINMETZ.

GESELLEN UND HANDLANGER.

 

FROHNVOGT

mit dem Stabe, treibt die Arbeiter

Nicht lang gefeiert, frisch! Die Mauersteine

Herbei, den Kalk, den Mörtel zugefahren!

Wenn der Herr Landvogt kommt, daß er das Werk355

[29]Gewachsen sieht – Das schlendert wie die Schnecken.

zu zwey Handlangern, welche tragen

Heißt das geladen? Gleich das Doppelte!

Wie die Tagdiebe ihre Pflicht bestehlen!

ERSTER GESELL

Das ist doch hart, daß wir die Steine selbst

Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren!360

FROHNVOGT

Was murret ihr? Das ist ein schlechtes Volk,

Zu nichts anstellig als das Vieh zu melken,

Und faul herum zu schlendern auf den Bergen.

ALTER MANN

ruht aus

Ich kann nicht mehr.

FROHNVOGT

schüttelt ihn

  Frisch Alter an die Arbeit!

ERSTER GESELL

Habt ihr denn gar kein Eingeweid’, daß ihr365

Den Greis, der kaum sich selber schleppen kann,

Zum harten Frohndienst treibt?

MEISTER STEINMETZ UND GESELLEN

  ’s ist himmelschreiend!

FROHNVOGT

Sorgt ihr für euch, ich thu’ was meines Amts.

ZWEITER GESELL

Frohnvogt, wie wird die Veste denn sich nennen,

Die wir da bau’n?370

FROHNVOGT

  Zwing Uri soll sie heißen,

Denn unter dieses Joch wird man euch beugen.

GESELLEN

Zwing Uri!

[30]FROHNVOGT

  Nun was giebt’s dabei zu lachen?

ZWEITER GESELL

Mit diesem Häuslein wollt ihr Uri zwingen?

ERSTER GESELL

Laß seh’n, wie viel man solcher Maulwurfshaufen

Muß über ’nander setzen, bis ein Berg375

Draus wird, wie der geringste nur in Uri!

Frohnvogt geht nach dem Hintergrund

MEISTER STEINMETZ

Den Hammer werf’ ich in den tiefsten See,

Der mir gedient bei diesem Fluchgebäude!

TELL UND STAUFFACHERkommen

STAUFFACHER

O hätt’ ich nie gelebt, um das zu schauen!

TELL

Hier ist nicht gut seyn. Laßt uns weiter geh’n.380

STAUFFACHER

Bin ich zu Uri in der Freiheit Land?

MEISTER STEINMETZ

O Herr, wenn ihr die Keller erst geseh’n

Unter den Thürmen! Ja wer die bewohnt,

Der wird den Hahn nicht fürder krähen hören!

STAUFFACHER

O Gott!385

STEINMETZ

  Seht diese Flanken, diese Strebepfeiler,

Die steh’n, wie für die Ewigkeit gebaut!

TELL

Was Hände bauten, können Hände stürzen.

nach den Bergen zeigend

[31]Das Haus der Freiheit hat uns Gott gegründet.

Man hört eine Trommel, es kommen Leute, die einen Hut auf einer Stange tragen, ein Ausrufer folgt ihnen, Weiber und Kinder dringen tumultuarisch nach.

ERSTER GESELL

Was will die Trommel? Gebet acht!

MEISTER STEINMETZ

  Was für

Ein Faßnachtsaufzug und was soll der Hut?390

AUSRUFER

In des Kaisers Nahmen! Höret!

GESELLEN

  Still doch! Höret!

AUSRUFER

Ihr sehet diesen Hut, Männer von Uri!

Aufrichten wird man ihn auf hoher Säule,

Mitten in Altdorf, an dem höchsten Ort,

Und dieses ist des Landvogts Will und Meinung:395

Dem Hut soll gleiche Ehre wie ihm selbst geschehn,

Man soll ihn mit gebognem Knie und mit

Entblößtem Haupt verehren – Daran will

Der König die Gehorsamen erkennen.

Verfallen ist mit seinem Leib und Gut400

Dem Könige, wer das Gebot verachtet.

das Volk lacht laut auf, die Trommel wird gerührt, sie gehen vorüber.

ERSTER GESELL

Welch’ neues unerhörtes hat der Vogt

Sich ausgesonnen! Wir ’nen Hut verehren!

Sagt! Hat man je vernommen von dergleichen?

[32]MEISTER STEINMETZ

Wir unsre Kniee beugen einem Hut!405

Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würd’gen Leuten?

ERSTER GESELL

Wär’s noch die kaiserliche Kron’! So ist’s

Der Hut von Oesterreich, ich sah ihn hangen

Ueber dem Thron, wo man die Lehen giebt!

MEISTER STEINMETZ

Der Hut von Oesterreich! Gebt acht, es ist410

Ein Fallstrick, uns an Oestreich zu verrathen!

GESELLEN

Kein Ehrenmann wird sich der Schmach bequemen.

MEISTER STEINMETZ

Kommt, laßt uns mit den andern Abred’ nehmen.

sie gehen nach der Tiefe

TELL

zum Stauffacher

Ihr wisset nun Bescheid. Lebt wohl, Herr Werner!

STAUFFACHER

Wo wollt ihr hin? O eilt nicht so von dannen.415

TELL

Mein Haus entbehrt des Vaters. Lebet wohl.

STAUFFACHER

Mir ist das Herz so voll, mit euch zu reden.

TELL

Das schwere Herz wird nicht durch Worte leicht.

STAUFFACHER

Doch könnten Worte uns zu Thaten führen.

TELL

Die einz’ge That ist jezt Geduld und Schweigen.420

STAUFFACHER

Soll man ertragen, was unleidlich ist?

[33]TELL

Die schnellen Herrscher sind’s, die kurz regieren.

– Wenn sich der Föhn erhebt aus seinen Schlünden,

Löscht man die Feuer aus, die Schiffe suchen

Eilends den Hafen, und der mächt’ge Geist425

Geht ohne Schaden, spurlos, über die Erde.

Ein jeder lebe still bei sich daheim,

Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden.

STAUFFACHER

Meint ihr?

TELL

  Die Schlange sticht nicht ungereizt.

Sie werden endlich doch von selbst ermüden,430

Wenn sie die Lande ruhig bleiben seh’n.

STAUFFACHER

Wir könnten viel, wenn wir zusammen stünden.

TELL

Beim Schiffbruch hilft der Einzelne sich leichter.

STAUFFACHER

So kalt verlaßt ihr die gemeine Sache?

TELL

Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst.435

STAUFFACHER

Verbunden werden auch die Schwachen mächtig.

TELL

Der Starke ist am mächtigsten allein.

STAUFFACHER

So kann das Vaterland auf euch nicht zählen,

Wenn es verzweiflungsvoll zur Nothwehr greift?

TELL

giebt ihm die Hand

Der Tell holt ein verlornes Lamm vom Abgrund,440

[34]Und sollte seinen Freunden sich entziehen?

Doch was ihr thut, laßt mich aus eurem Rath,

Ich kann nicht lange prüfen oder wählen,

Bedürft’ ihr meiner zu bestimmter That,

Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.445

gehen ab zu verschiedenen Seiten. Ein plötzlicher Auflauf entsteht um das Gerüste.

MEISTER STEINMETZ

eilt hin

Was giebt’s?

ERSTER GESELL

kommt vor, rufend

Der Schieferdecker ist vom Dach gestürzt.

BERTHAmitGEFOLGE

BERTHA

stürzt herein

Ist er zerschmettert? Rennet, rettet, helft –

Wenn Hilfe möglich, rettet, hier ist Gold –

wirft ihr Geschmeide unter das Volk

MEISTER

Mit eurem Golde – Alles ist euch feil450

Um Gold, wenn ihr den Vater von den Kindern

Gerissen und den Mann von seinem Weibe,

Und Jammer habt gebracht über die Welt,

Denkt ihr’s mit Golde zu vergüten – Geht!

Wir waren frohe Menschen eh’ ihr kamt,455

Mit euch ist die Verzweiflung eingezogen.

BERTHA

zu dem Frohnvogt, der zurückkommt

Lebt er?

Frohnvogt giebt ein Zeichen des Gegentheils

O unglücksel’ges Schloß, mit Flüchen

Erbaut, und Flüche werden dich bewohnen!

geht ab.

[35]Vierte Scene

Walther Fürsts Wohnung

WALTHER FÜRST UND ARNOLD VON MELCHTHALtreten zugleich ein, von verschiedenen Seiten.

MELCHTHAL

Herr Walther Fürst –

WALTHER FÜRST

  Wenn man uns überraschte!

Bleibt, wo ihr seyd. Wir sind umringt von Spähern.460

MELCHTHAL

Bringt ihr mir nichts von Unterwalden? Nichts

Von meinem Vater? Nicht ertrag ich’s länger,

Als ein Gefang’ner müßig hier zu liegen.

Was hab’ ich denn so sträfliches gethan,

Um mich gleich einem Mörder zu verbergen?465

Dem frechen Buben, der die Ochsen mir,

Das treflichste Gespann, vor meinen Augen

Weg wollte treiben auf des Vogts Geheiß,

Hab’ ich den Finger mit dem Stab gebrochen.

WALTHER FÜRST

Ihr seid zu rasch. Der Bube war des Vogts,470

Von eurer Obrigkeit war er gesendet,

Ihr wart in Straf’ gefallen, mußtet euch,

Wie schwer sie war, der Buße schweigend fügen.

MELCHTHAL

Ertragen sollt’ ich die leichtfert’ge Rede

Des Unverschämten: »Wenn der Bauer Brod475

Wollt’ essen, mög’ er selbst am Pfluge zieh’n!«

In die Seele schnitt mir’s, als der Bub die Ochsen,

[36]Die schönen Thiere, von dem Pfluge spannte,

Dumpf brüllten sie, als hätten sie Gefühl

Der Ungebühr, und stießen mit den Hörnern,480

Da übernahm mich der gerechte Zorn,

Und meiner selbst nicht Herr, schlug ich den Boten.

WALTHER FÜRST

O kaum bezwingen wir das eig’ne Herz,

Wie soll die rasche Jugend sich bezähmen!

MELCHTHAL

Mich jammert nur der Vater – Er bedarf485

So sehr der Pflege, und sein Sohn ist fern.

Der Vogt ist ihm gehässig, weil er stets

Für Recht und Freiheit redlich hat gestritten.

Drum werden sie den alten Mann bedrängen,

Und niemand ist, der ihn vor Unglimpf schütze.490

– Werde mit mir was will, ich muß hinüber.

WALTHER FÜRST

Erwartet nur und faßt euch in Geduld,

Bis Nachricht uns herüber kommt vom Walde.

– Ich höre klopfen, geht – Vielleicht ein Bote

Vom Landvogt – Geht hinein – Ihr seid in Uri495

Nicht sicher vor des Landenbergers Arm,

Denn die Tyrannen reichen sich die Hände.

MELCHTHAL

Sie lehren uns, was wir thun sollten.

WALTHER FÜRST

  Geht!

Ich ruf’ euch wieder, wenn’s hier sicher ist.

Melchthal geht hinein

Der Unglückselige, ich darf ihm nicht500

Gestehen, was mir Böses schwant – Wer klopft?

[37]So oft die Thüre rauscht, erwart’ ich Unglück.

Verrath und Argwohn lauscht in allen Ecken,

Bis in das Innerste der Häuser dringen

Die Boten der Gewalt, bald thät’ es Noth,505

Wir hätten Schloß und Riegel an den Thüren.

er öfnet und tritt erstaunt zurück, daWERNER STAUFFACHERhereintritt

Was seh’ ich? Ihr, Herr Werner! Nun bei Gott!

Ein werther, theurer Gast – Kein beß’rer Mann

Ist über diese Schwelle noch gegangen.

Seid hoch willkommen unter meinem Dach!510

Was führt euch her? Was sucht ihr hier in Uri?

STAUFFACHER

ihm die Hand reichend

Die alten Zeiten und die alte Schweiz.

WALTHER FÜRST

Die bringt ihr mit euch – Sieh, mir wird so wohl,

Warm geht das Herz mir auf bei eurem Anblick.

– Sezt euch, Herr Werner – Wie verließet ihr515

Frau Gertrud, eure angenehme Wirthin,

Des weisen Ibergs hochverständ’ge Tochter?

Von allen Wandrern aus dem deutschen Land,

Die über Meinrads Zell nach Welschland fahren,

Rühmt jeder euer gastlich Haus – Doch sagt,520

Kommt ihr so eben frisch von Fluelen her,

Und habt euch nirgend sonst noch umgeseh’n,

Eh’ ihr den Fuß gesezt auf diese Schwelle?

STAUFFACHER

sezt sich

Wohl ein erstaunlich neues Werk hab’ ich

Bereiten sehen, das mich nicht erfreute.525

WALTHER FÜRST

O Freund, da habt ihr’s gleich mit Einem Blicke!

[38]STAUFFACHER

Ein solches ist in Uri nie gewesen –

Seit Menschendenken war kein Twinghof hier,

Und fest war keine Wohnung als das Grab.

WALTHER FÜRST

Ein Grab der Freiheit ist’s. Ihr nennt’s mit Nahmen.530

STAUFFACHER

Herr Walther Fürst, ich will euch nicht verhalten,

Nicht eine müß’ge Neugier führt mich her,

Mich drücken schwere Sorgen – Drangsal hab’ ich

Zu Haus verlassen, Drangsal find’ ich hier.

Denn ganz unleidlich ist’s, was wir erdulden,535

Und dieses Dranges ist kein Ziel zu seh’n.

Frei war der Schweitzer von Uralters her,

Wir sind’s gewohnt, daß man uns gut begegnet,

Ein solches war im Lande nie erlebt,

Solang ein Hirte trieb auf diesen Bergen.540

WALTHER FÜRST

Ja, es ist ohne Beispiel wie sie’s treiben!

Auch unser edler Herr von Attinghausen,

Der noch die alten Zeiten hat geseh’n,

Meint selber, es sey nicht mehr zu ertragen.

STAUFFACHER

Auch drüben unter’m Wald geht schweres vor,545

Und blutig wird’s gebüßt – der Wolfenschießen,

Des Kaisers Vogt, der auf dem Roßberg haußte,

Gelüsten trug er nach verbot’ner Frucht,

Baumgartens Weib, der haushält zu Alzellen,

Wollt’ er zu frecher Ungebühr misbrauchen,550

Und mit der Axt hat ihn der Mann erschlagen.

[39]WALTHER FÜRST

O die Gerichte Gottes sind gerecht!

– Baumgarten sagt ihr? Ein bescheid’ner Mann!

Er ist gerettet doch und wohl geborgen?

STAUFFACHER

Euer Eidam hat ihn über’n See geflüchtet,555

Bei mir zu Steinen halt’ ich ihn verborgen –

– Noch greulichers hat mir derselbe Mann

Berichtet, was zu Sarnen ist gescheh’n,

Das Herz muß jedem Biedermanne bluten.

WALTHER FÜRST

aufmerksam

Sagt an, was ist’s?560

STAUFFACHER

  Im Melchthal, da wo man

Eintritt bey Kerns, wohnt ein gerechter Mann,

Sie nennen ihn den Heinrich von der Halden,

Und seine Stimm’ gilt was in der Gemeinde.

WALTHER FÜRST

Wer kennt ihn nicht! Was ist’s mit ihm? Vollendet.

STAUFFACHER

Der Landenberger büßte seinen Sohn565

Um kleinen Fehlers willen, ließ die Ochsen,

Das beste Paar, ihm aus dem Pfluge spannen,

Da schlug der Knab den Knecht und wurde flüchtig.

WALTHER FÜRST

in höchster Spannung

Der Vater aber – Sagt, wie steht’s um den?

STAUFFACHER

Den Vater läßt der Landenberger fodern,570

Zur Stelle schaffen soll er ihm den Sohn,

Und da der alte Mann mit Wahrheit schwört,

[40]Er habe von dem Flüchtling keine Kunde,

Da läßt der Vogt die Folterknechte kommen –

WALTHER FÜRST

springt auf und will ihn auf die andre Seite führen

O still, nichts mehr!575

STAUFFACHER

mit steigendem Ton

  »Ist mir der Sohn entgangen,

So hab’ ich dich« – Läßt ihn zu Boden werfen,

Den spitz’gen Stahl ihm in die Augen bohren –

WALTHER FÜRST

Barmherz’ger Himmel!

MELCHTHAL

stürzt heraus

  In die Augen, sagt ihr?

STAUFFACHER

erstaunt zum Walther Fürst

Wer ist der Jüngling?

MELCHTHAL

faßt ihn mit krampfhafter Heftigkeit

  In die Augen? Redet.

WALTHER FÜRST

O der bejammernswürdige!580

STAUFFACHER

  Wer ist’s?

da Walther Fürst ihm ein Zeichen giebt.

Der Sohn ist’s? Allgerechter Gott!

MELCHTHAL

  Und ich

Muß ferne seyn! – In seine beiden Augen?

WALTHER FÜRST

Bezwinget euch, ertragt es wie ein Mann!

MELCHTHAL

Um meiner Schuld, um meines Frevels willen!584

– Blind also? Wirklich blind, und ganz geblendet?

[41]STAUFFACHER

Ich sagt’s. Der Quell des Seh’ns ist ausgeflossen,

Das Licht der Sonne schaut er niemals wieder.

WALTHER FÜRST

Schont seines Schmerzens!

MELCHTHAL

  Niemals! Niemals wieder!

er drückt die Hand vor die Augen, und schweigt einige Momente, dann wendet er sich von dem einen zu dem andern, und spricht mit sanfter, von Thränen erstickter Stimme

O eine edle Himmelsgabe ist

Das Licht des Auges – Alle Wesen leben590

Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf –

Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte.

Und er muß sitzen, fühlend, in der Nacht,

Im ewig finstern – ihn erquickt nicht mehr

Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz,595

Die rothen Firnen kann er nicht mehr schauen –

Sterben ist nichts – doch leben und nicht sehen,

Das ist ein Unglück – Warum seht ihr mich

So jammernd an? Ich hab’ zwey frische Augen,

Und kann dem blinden Vater keines geben,600

Nicht einen Schimmer von dem Meer des Lichts,

Das glanzvoll, blendend, mir ins Auge dringt.

STAUFFACHER

Ach, ich muß euren Jammer noch vergrößern,

Statt ihn zu heilen – Er bedarf noch mehr!

Denn alles hat der Landvogt ihm geraubt,605

Nichts hat er ihm gelassen als den Stab,

Um nakt und blind von Thür zu Thür zu wandern.

[42]MELCHTHAL

Nichts als den Stab dem augenlosen Greis!

Alles geraubt, und auch das Licht der Sonne,

Des Aermsten allgemeines Gut – Jezt rede610

Mir keiner mehr von Bleiben, von Verbergen!

Was für ein feiger Elender bin ich,

Daß ich auf meine Sicherheit gedacht,

Und nicht auf Deine – dein geliebtes Haupt

Als Pfand gelassen in des Wüthrichs Händen!615

Feigherz’ge Vorsicht fahre hin – Auf nichts

Als blutige Vergeltung will ich denken,

Hinüber will ich – Keiner soll mich halten –

Des Vaters Auge von dem Landvogt fodern –

Aus allen seinen Reisigen heraus620

Will ich ihn finden – Nichts liegt mir am Leben,

Wenn ich den heißen ungeheuren Schmerz

In seinem Lebensblute kühle.

er will gehen

WALTHER FÜRST

  Bleibt!

Was könnt ihr gegen ihn? Er sizt zu Sarnen

Auf seiner hohen Herrenburg und spottet625

Ohnmächt’gen Zorns in seiner sichern Veste.

MELCHTHAL

Und wohnt’ er droben auf dem Eispallast

Des Schreckhorns oder höher, wo die Jungfrau

Seit Ewigkeit verschleiert sizt – Ich mache

Mir Bahn zu ihm, mit zwanzig Jünglingen630

Gesinnt wie ich, zerbrech’ ich seine Veste.

Und wenn mir niemand folgt, und wenn ihr alle

[43]Für eure Hütten bang und eure Heerden,

Euch dem Tyrannenjoche beugt – die Hirten

Will ich zusammen rufen im Gebirg,635

Dort unter’m freien Himmelsdache, wo

Der Sinn noch frisch ist und das Herz gesund,

Das ungeheuer Gräßliche erzählen.

STAUFFACHER

zu Walther Fürst

Es ist auf seinem Gipfel – wollen wir

Erwarten, bis das Aeuserste –640

MELCHTHAL

  Welch’ Aeuserstes

Ist noch zu fürchten, wenn der Stern des Auges

In seiner Höhle nicht mehr sicher ist?

– Sind wir denn wehrlos? Wozu lernten wir

Die Armbrust spannen und die schwere Wucht

Der Streitaxt schwingen? Jedem Wesen ward645

Ein Nothgewehr in der Verzweiflungsangst,

Es stellt sich der erschöpfte Hirsch und zeigt

Der Meute sein gefürchtetes Geweih,

Die Gemse reißt den Jäger in den Abgrund –

Der Pflugstier selbst, der sanfte Hausgenoß650

Des Menschen, der die ungeheure Kraft

Des Halses duldsam unters Joch gebogen,

Springt auf, gereizt, wezt sein gewaltig Horn,

Und schleudert seinen Feind den Wolken zu.

WALTHER FÜRST

Wenn die drey Lande dächten wie wir drey,655

So möchten wir vielleicht etwas vermögen.

STAUFFACHER

Wenn Uri ruft, wenn Unterwalden hilft,

Der Schwytzer wird die alten Bünde ehren.

[44]MELCHTHAL

Groß ist in Unterwalden meine Freundschaft,

Und jeder wagt mit Freuden Leib und Blut,660

Wenn er am andern einen Rücken hat

Und Schirm – O fromme Väter dieses Landes!

Ich stehe nur ein Jüngling zwischen euch,

Den Vielerfahrnen – meine Stimme muß

Bescheiden schweigen in der Landsgemeinde.665

Nicht weil ich jung bin und nicht viel erlebte,

Verachtet meinen Rath und meine Rede,

Nicht lüstern jugendliches Blut, mich treibt

Des höchsten Jammers schmerzliche Gewalt,

Was auch den Stein des Felsen muß erbarmen. 670

Ihr selbst seid Väter, Häupter eines Hauses,

Und wünscht euch einen tugendhaften Sohn,

Der eures Hauptes heilge Locken ehre,

Und euch den Stern des Auges fromm bewache.

O weil ihr selbst an eurem Leib und Gut675

Noch nichts erlitten, eure Augen sich

Noch frisch und hell in ihren Kreisen regen,

So sei euch darum unsre Noth nicht fremd.

Auch über euch hängt das Tyrannenschwert,

Ihr habt das Land von Oestreich abgewendet,680

Kein anderes war meines Vaters Unrecht,

Ihr seid in gleicher Mitschuld und Verdammniß.

STAUFFACHER

zu Walther Fürst

Beschließet ihr, ich bin bereit zu folgen.

WALTHER FÜRST

Wir wollen hören, was die edeln Herrn

Von Sillinen, von Attinghausen rathen –685

Ihr Nahme, denk’ ich, wird uns Freunde werben.

[45]MELCHTHAL

Wo ist ein Nahme in dem Waldgebirg’

Ehrwürdiger als Eurer und der Eure?

An solcher Nahmen ächte Währung glaubt

Das Volk, sie haben guten Klang im Lande.690

Ihr habt ein reiches Erb von Vätertugend,

Und habt es selber reich vermehrt – Was braucht’s

Des Edelmanns? Laßts uns allein vollenden.

Wären wir doch allein im Land! Ich meine,

Wir wollten uns schon selbst zu schirmen wissen.695

STAUFFACHER

Die Edeln drängt nicht gleiche Noth mit uns,

Der Strom, der in den Niederungen wüthet,

Bis jetzt hat er die Höh’n noch nicht erreicht –

Doch ihre Hülfe wird uns nicht entsteh’n,

Wenn sie das Land in Waffen erst erblicken.700

WALTHER FÜRST

Wäre ein Obmann zwischen uns und Oestreich,

So möchte Recht entscheiden und Gesetz,

Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser

Und höchster Richter – so muß Gott uns helfen

Durch unsern Arm – erforschet ihr die Männer

Von Schwytz, ich will in Uri Freunde werben.706

Wen aber senden wir nach Unterwalden –

MELCHTHAL

Mich sendet hin – wem läg’ es näher an –

WALTHER FÜRST

Ich geb’s nicht zu, ihr seid mein Gast, ich muß

Für eure Sicherheit gewähren!710

MELCHTHAL

  Laßt mich!

[46]Die Schliche kenn’ ich und die Felsensteige,

Auch Freunde find’ ich gnug, die mich dem Feind

Verhehlen und ein Obdach gern gewähren.

STAUFFACHER

Laßt ihn mit Gott hinüber geh’n. Dort drüben

Ist kein Verräther – so verabscheut ist715

Die Tyrannei, daß sie kein Werkzeug findet.

Auch der Alzeller soll uns nid dem Wald

Genossen werben und das Land erregen.

MELCHTHAL

Wie bringen wir uns sich’re Kunde zu,

Daß wir den Argwohn der Tyrannen täuschen?720

STAUFFACHER

Wir könnten uns zu Brunnen oder Treib

Versammeln, wo die Kaufmannsschiffe landen.

WALTHER FÜRST

So offen dürfen wir das Werk nicht treiben.

– Hört meine Meinung. Links am See, wenn man

Nach Brunnen fährt, dem Mytenstein grad über,725

Liegt eine Matte heimlich im Gehölz,

Das Rütli heißt sie bei dem Volk der Hirten,

Weil dort die Waldung ausgereutet ward.

Dort ist’s wo uns’re Landmark und die eure

zu Melchthal

Zusammengrenzen, und in kurzer Fahrt730

zu Stauffacher

Trägt Euch der leichte Kahn von Schwytz herüber.

Auf öden Pfaden können wir dahin

Bei Nachtzeit wandern und uns still berathen.

Dahin mag jeder zehn vertraute Männer

Mitbringen, die herzeinig sind mit uns,735

[47]So können wir gemeinsam das Gemeine

Besprechen und mit Gott es frisch beschließen.

STAUFFACHER

So sey’s. Jezt reicht mir eure biedre Rechte,

Reicht ihr die Eure her, und so wie wir

Drey Männer jetzo, unter uns, die Hände740

Zusammen flechten, redlich, ohne Falsch,

So wollen wir Drey Länder auch, zu Schutz

Und Trutz, zusammen stehn auf Tod und Leben.

WALTHER FÜRST UND MELCHTHAL

Auf Tod und Leben!

sie halten die Hände noch einige Pausen lang zusammen geflochten und schweigen

MELCHTHAL

  Blinder alter Vater!

Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr schauen,

Du sollst ihn hören – Wenn von Alp zu Alp746

Die Feuerzeichen flammend sich erheben,

Die festen Schlösser der Tyrannen fallen,

In deine Hütte soll der Schweizer wallen,

Zu deinem Ohr die Freudenkunde tragen,750

Und hell in deiner Nacht soll es dir tagen.

sie gehen auseinander.

[48]Zweiter Aufzug

Erste Scene

Edelhof des Freiherrn von Attinghausen

Ein gothischer Saal mit Wappenschildern und Helmen verziert. DerFREIHERRein Greis von fünf und achtzig Jahren, von hoher edler Statur, an einem Stabe worauf ein Gemsenhorn, und in ein Pelzwams gekleidet.KUONIund nochSECHS KNECHTEstehen um ihn her mit Rechen und Sensen –ULRICH VON RUDENZtritt ein in Ritterkleidung.

RUDENZ

Hier bin ich Oheim – Was ist euer Wille?

ATTINGHAUSEN

Erlaubt, daß ich nach altem Hausgebrauch

Den Frühtrunk erst mit meinen Knechten theile.

er trinkt aus einem Becher, der dann in der Reihe herumgeht

Sonst war ich selber mit in Feld und Wald,755

Mit meinem Auge ihren Fleiß regierend,

Wie sie mein Banner führte in der Schlacht,

Jezt kann ich nichts mehr als den Schaffner machen,

Und kommt die warme Sonne nicht zu mir,

Ich kann sie nicht mehr suchen auf den Bergen.760

Und so in enger stets und enger’m Kreis,

Beweg’ ich mich dem engesten und lezten,

Wo alles Leben still steht, langsam zu,

Mein Schatte bin ich nur, bald nur mein Nahme.

[49]KUONI

zu Rudenz mit dem Becher

Ich bring’s euch, Junker.765

da Rudenz zaudert den Becher zu nehmen

  Trinket frisch! Es geht

Aus Einem Becher und aus Einem Herzen.

ATTINGHAUSEN

Geht Kinder, und wenn’s Feierabend ist,

Dann reden wir auch von des Land’s Geschäften.

Knechte gehen ab

ATTINGHAUSEN UND RUDENZ

ATTINGHAUSEN

Ich sehe dich gegürtet und gerüstet,

Du willst nach Altorf in die Herrenburg?770

RUDENZ

Ja Oheim, und ich darf nicht länger säumen –

ATTINGHAUSEN

sezt sich

Hast du’s so eilig? Wie? Ist deiner Jugend

Die Zeit so karg gemessen, daß du sie

An deinem alten Oheim mußt ersparen?

RUDENZ

Ich sehe, daß ihr meiner nicht bedürft,775

Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause.

ATTINGHAUSEN

hat ihn lange mit den Augen gemustert

Ja leider bist du’s. Leider ist die Heimat

Zur Fremde dir geworden! – Uly! Uly!

Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du,

Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau,780

Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern,

Den Landmann blickst du mit Verachtung an,

Und schämst dich seiner traulichen Begrüßung.

[50]RUDENZ

Die Ehr’, die ihm gebührt, geb’ ich ihm gern,

Das Recht, das er sich nimmt, verweigr’ ich ihm.785

ATTINGHAUSEN

Das ganze Land liegt unter’m schweren Zorn

Des Königs – Jedes Biedermannes Herz

Ist kummervoll ob der tyrannischen Gewalt

Die wir erdulden – Dich allein rührt nicht

Der allgemeine Schmerz – Dich siehet man790

Abtrünnig von den Deinen auf der Seite

Des Landesfeindes stehen, unsrer Noth

Hohnsprechend nach der leichten Freude jagen,

Und buhlen um die Fürstengunst, indeß

Dein Vaterland von schwerer Geissel blutet.795

RUDENZ

Das Land ist schwer bedrängt – Warum mein Oheim?

Wer ist’s, der es gestürzt in diese Noth?

Es kostete ein einzig leichtes Wort,

Um augenblicks des Dranges los zu seyn,

Und einen gnäd’gen Kaiser zu gewinnen.800

Weh ihnen, die dem Volk die Augen halten,

Daß es dem wahren Besten widerstrebt.

Um eignen Vortheils willen hindern sie,

Daß die Waldstätte nicht zu Oestreich schwören,

Wie ringsum alle Lande doch gethan.805

Wohl thut es ihnen, auf der Herrenbank

Zu sitzen mit dem Edelmann – den Kaiser

Will man zum Herrn, um keinen Herrn zu haben.

ATTINGHAUSEN

Muß ich das hören und aus deinem Munde!

RUDENZ

Ihr habt mich aufgefodert, laßt mich enden.810

– Welche Person ist’s, Oheim, die ihr selbst

Hier spielt? Habt ihr nicht höhern Stolz, als hier

Landammann oder Bannerherr zu seyn

Und neben diesen Hirten zu regieren?

Wie? Ist’s nicht eine rühmlichere Wahl,815

Zu huldigen dem königlichen Herrn,

Sich an sein glänzend Lager anzuschließen,

Als eurer eig’nen Knechte Pair zu seyn,

Und zu Gericht zu sitzen mit dem Bauer?

ATTINGHAUSEN

Ach Uly! Uly! Ich erkenne sie820

Die Stimme der Verführung! Sie ergriff

Dein ofnes Ohr, sie hat dein Herz vergiftet.

RUDENZ

Ja ich verberg’ es nicht – in tiefer Seele

Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns

Den Baurenadel schelten – Nicht ertrag’ ich’s,825

Indeß die edle Jugend rings umher

Sich Ehre sammelt unter Habsburgs Fahnen,

Auf meinem Erb’ hier müssig still zu liegen,

Und bei gemeinem Tagewerk den Lenz

Des Lebens zu verlieren – Anderswo830

Geschehen Thaten, eine Welt des Ruhms

Bewegt sich glänzend jenseits dieser Berge –

Mir rosten in der Halle Helm und Schild,

Der Kriegstrommete muthiges Getön,

Der Heroldsruf, der zum Turniere ladet,835

Er dringt in diese Thäler nicht herein,

Nichts als den Kuhreih’n und der Heerdeglocken

Einförmiges Geläut vernehm’ ich hier.

ATTINGHAUSEN

Verblendeter, vom eiteln Glanz verführt!

[52]