Willkommen bei den Grauses 1: Wer ist schon normal? - Sabine Bohlmann - E-Book

Willkommen bei den Grauses 1: Wer ist schon normal? E-Book

Sabine Bohlmann

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Beschreibung

Humorvolle Familiengeschichte mit skurrilen Charakteren von Bestseller-Autorin Sabine Bohlmann

Ottilie freut sich. Endlich zieht im Nachbarhaus eine Familie ein. Mit drei Kindern, einem Opa und sogar einem … Wischmopp. Nein, ein Hund ist das nicht – und eigentlich ist niemand so, wie Ottilie das kennt. Muh sieht zwar auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Junge aus, wären da nicht die winzigen Hörner auf seinem Kopf. Opa ist ein Schrat, der auf der Schule für seltsame Wesen nicht so gut aufgepasst hat und nun in der Welt der Normalos ständig auffällt. Sehr zum Ärger von Herrn Grottenolm, der jede Verfehlung mit einem grauen Punkt auf seiner Liste vermerkt. Doch kann man einen Opa einfach wieder zurückgeben, wenn er sich nicht benehmen kann? Da sind sich die Grauses nicht so sicher. Nur eines ist klar für Ottilie und ihre neu gewonnen Freunde: Eine Familie ist eine Familie. Ganz egal, wie schräg sie ist.

Band 2 der Grauses erscheint im Frühjahr 2025

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Das Buch

Ottilie freut sich. Endlich zieht im Nachbarhaus eine Familie ein. Mit drei Kindern, einem Opa und sogar einem … Wischmopp. Nein, ein Hund ist das nicht – und eigentlich ist niemand so, wie Ottilie das kennt. Muh sieht zwar auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Junge aus, wären da nicht die winzigen Hörner auf seinem Kopf. Opa ist ein Schrat, der auf der Schule für seltsame Wesen nicht so gut aufgepasst hat und nun in der Welt der Normalos ständig auffällt. Sehr zum Ärger von Herrn Grottenolm, der jede Verfehlung mit einem grauen Punkt auf seiner Liste vermerkt. Doch kann man einen Opa einfach wieder zurückgeben, wenn er sich nicht benehmen kann? Da sind sich die Grauses nicht so sicher. Nur eines ist klar für Ottilie und ihre neu gewonnenen Freunde: Eine Familie ist eine Familie. Ganz egal, wie schräg sie ist.

Der erste Band der Grause-Familie

Die Autorin

© christian hartmann.com

Geboren wurde Sabine Bohlmann in München, der schönsten Stadt der Welt. Als Kind wollte sie immer Prinzessin werden. Stattdessen wurde sie (nachdem sie keinen Prinzen finden konnte und der Realität ins Auge blicken musste) Schauspielerin, Synchronsprecherin und Autorin und durfte so zumindest ab und zu mal eine Prinzessin spielen, sprechen oder über eine schreiben. Geschichten fliegen ihr zu wie Schmetterlinge. Überall und zu allen Tages- und Nachtzeiten (dann eher wie Nachtfalter). Sabine Bohlmann kann sich nirgendwo verstecken, die Geschichten finden sie überall. Und sie ist sehr glücklich, endlich alles aus ihrem Kopf rausschreiben zu dürfen. Auf ein blitzeblankes, weißes – äh – Computerdokument. Und das Erste, was sie tut, wenn ein neues Buch in der Post liegt: Sie steckt ihre Nase ganz tief hinein und genießt diesen wunderbaren Buchduft.

Mehr über Sabine Bohlmann: www.sabinebohlmann.com

Sabine Bohlmann auf Facebook: www.facebook.com/SabineBohlmann

Sabine Bohlmann auf Instagram: www.instagram.com/missbeehonig

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

FÜR ALLE, DIE ANDERS SINDund für alle, die diese trotzdemin ihr Herz schließen.

oder gerade deswegen

Sommernebelnacht

Sie kamen in der Nacht. An einem Freitag, dem 13.

Nebel kroch durch die Sackgasse und das Licht der Straßenlaternen ließ die ganze Welt wie eine Bleistiftzeichnung wirken.

Ottilie Schmidt konnte nicht schlafen und stand am Fenster, um dem Nebel ein wenig zuzusehen. Da hörte sie das Auto, das hustend in die Straße einbog und direkt gegenüber vor der Nummer 13 stehen blieb.

Fünf Gestalten stiegen aus dem viel zu kleinen Wagen. Drei große und zwei kleine. Außerdem entdeckte Ottilie einen Schatten, der ebenfalls auf das Haus zuhuschte. Und etwas noch viel Kleineres im Zickzack hinterher. Es sah aus wie ein Hund. Doch genau konnte es Ottilie nicht sagen, denn der Nebel war zu dicht, die Nacht zu dunkel und ihre Augen zu schlecht ohne Brille, und die lag auf ihrem Nachtkästchen.

Nacheinander verschwanden die Gestalten im Haus, doch eine der kleineren blieb plötzlich stehen und sah zu Ottilie hinauf. Kurz hatte sie den Eindruck, als würden unter der Kapuze zwei dunkelgelbe Augen aufleuchten. Aber welcher Mensch hatte schon dunkelgelbe Augen?

Ottilie hielt die Luft an, auf einmal hob die kleine Gestalt die Hand und winkte. Und was blieb ihr anderes übrig? Ottilie winkte zurück. Dann waren alle im Haus verschwunden, als wäre nichts gewesen. Nur das Auto stand noch vor der Tür.

Und gerade als Ottilie wieder ins Bett wollte, flog eine schwarze Krähe durch den Nebel, direkt auf die Nummer 13 zu. Sie nahm auf dem Dachfirst Platz und es wirkte, als hätte sie schon immer dort gesessen.

Am nächsten Morgen wurde Ottilie von den Sonnenstrahlen geweckt. Kurz dachte sie, sie hätte verschlafen, aber dann fiel ihr ein, dass dies der erste Ferientag war. Bis gestern war sie noch Schülerin der vierten Klasse bei Frau Trieze gewesen und sie war froh, dass sie nach den Ferien eine neue Lehrerin bekommen sollte.

Die Ereignisse der Nacht hatte sie schon wieder vergessen. Na ja, nicht ganz. Aber Ottilie war sich sicher, dass sie nur geträumt hatte. Denn schließlich war Sommer. Und Nebel im Sommer, das gab es nicht. Und wer zog schon nachts in ein Haus ein? Noch dazu in eines, das nicht renoviert war und jahrelang leer gestanden hatte. Die Kinder in der Straße hatten es bereits vor langer Zeit als »Geisterhaus« betitelt und machten einen großen Bogen darum.

Ottilie Schmidt war schon oft vor dem Nachbarhaus gestanden und hatte sich so sehr gewünscht, dass endlich eine Familie einziehen würde. Mit ganz vielen Kindern, die ihre Freunde werden konnten.

Sie setzte sich im Bett auf, streckte sich und gähnte. Dann sah sie hinüber zu dem Käfig, in dem Fritz, ihr Meerschweinchen, schon eifrig an einem Salatblatt knabberte.

»Fröhliches Frühstück, Fritz«, rief sie zu ihm hinüber. »Hast du gut geschlafen? Und vom Meer geträumt?« Sie setzte ihre große runde Brille auf, sprang aus dem Bett und lief die Treppe hinunter in die Küche. Sie schnupperte.

Ihr Papa stand bereits mit Schürze am Herd. Auch er hatte eine dicke Brille auf der Nase, die allerdings gerade angelaufen war, als er den Ofen geöffnet hatte.

»Guten Morgen, Mäuschen. Ich hab Gugelhupf gebacken. Für die neuen Nachbarn. Als Willkommensgeschenk.«

Ottilies Augen weiteten sich. »Neue Nachbarn?«, fragte sie, setzte sich an den Tisch und füllte ihre Müslischüssel mit ihren Lieblingscornflakes.

»Sie sind anscheinend heute Nacht gegenüber in die Nummer 13 eingezogen«, erklärte ihr Vater.

»Heute Nacht?« Ottilie goss Milch auf die Cornflakes und beobachtete, wie sie zu wabern begannen.

»Bist du heute im Traum in Papageigonien gewesen, Ottilie?« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Du sprichst mir alles nach!«

Ottilie hielt im Kauen inne. In ihrem Kopf begann es zu rattern. Dann war das gar kein Traum gewesen. Die Gestalten von heute Nacht. Der Nebel und alles, das war wirklich so passiert. Sie sprang vom Stuhl auf und rannte zum Fenster.

»Ottilie, schluck doch erst mal runter. Mit vollem Mund rennt man nicht!«, mahnte ihr Vater.

Doch seine Tochter kümmerte sich nicht darum. Sie zog die Gardinen zur Seite und sah zur Nummer 13 hinüber.

»Ins Geisterhaus? Wirklich, Papa? Aber es sieht doch aus wie immer. Bis auf …« Ottilies Blick fiel auf das Auto auf der Straße.

»Hast du das Auto gesehen?«, fragte ihr Vater in diesem Moment und steckte ein Holzstäbchen in den Kuchen, um festzustellen, ob er bereits fertig war. »Es ist eine richtige alte Rostlaube. Dass das Ding überhaupt noch fährt …« Papa Schmidt nahm den Kuchen aus dem Rohr. »Mama ist schon bei der Arbeit, sie hat mir einen Kuss für dich dagelassen.« Er stellte den dampfenden Kuchen auf die Arbeitsplatte, ging zu Ottilie hinüber und gab ihr den Kuss auf den Kopf.

»Danke!«, sagte sie und beobachtete weiter das Haus. Nichts rührte sich.

»Die schlafen sicher noch. Ein Umzug in der Nacht ist ja schon sehr ungewöhnlich«, überlegte Ottilies Vater und blickte ebenfalls zu dem Haus.

»Die müssen auf jeden Fall erst mal Fenster putzen!«, meinte Ottilie.

»Ich fürchte, mit Fensterputzen ist es bei diesem Haus nicht getan. Dass die nicht erst mal renoviert haben, bevor sie da einziehen. Das Haus muss ja schlimm muffeln, da hat schon Jahre niemand mehr gelüftet. Ob die Elektrik überhaupt noch funktioniert? Und die Wasserleitungen? Das wage ich zu bezweifeln.«

Da bemerkte Ottilie die Krähe, die noch immer auf dem Dachfirst saß. Bewegungslos, als wäre sie eine Statue.

»Ach, guck mal, Otti, da sind ja deine Freundinnen. Mona, Lisa und Mona-Lisa.« Drei Mädchen umkreisten das rostige Auto. »Magst du nicht zu ihnen? Ihr könnt doch auf den Spielplatz gehen«, schlug ihr Vater vor.

Ottilie stöhnte. »Sie sind nicht meine Freundinnen. Und ich geh nicht mehr auf den Spielplatz. Und außerdem bin ich noch im Schlafanzug und …«

»Ja, ich hab verstanden. Aber Otti, Mäuschen, vielleicht wäre es an der Zeit, mal über deinen Schatten zu springen und auf diese Kinder zuzugehen. Immerhin geht ihr auch in eine Klasse. Und die Ferien sind lang. Mama und ich haben nicht immer für dich Zeit. Wir müssen weiterarbeiten, das weißt du, oder?«

Ottilie nickte. »Ich kann mich selbst beschäftigen. Ich bin gern allein und werde ganz viel lesen. Gleich geh ich in die Bücherei, gebe die zehn Bücher der letzten Woche zurück und leih mir einen riesigen Stapel neue Bücher aus.« Sie hörte ihren Vater leise seufzen. »Was? Andere Eltern wären froh, wenn ihre Kinder so viel lesen würden.«

»Ja, da hast du recht. Mama und ich finden es auch total toll, aber …«

Diesmal stöhnte Ottilie. »… aber normal ist das nicht, ich weiß. Und normale Kinder gehen immer raus und spielen mit ihren Freunden so komische Sachen wie Kuh am Berg, Seilziehen, Weglaufen oder Dieb und Polizist!«

»Es heißt Ochs am Berg und Tauziehen und Fangen, nicht Weglaufen. Und Dieb und Polizist nennt sich Räuber und Gendarm.«

Ottilie zuckte mit den Schultern. Sie kannte sich mit diesen Spielen nicht besonders gut aus. Da hörte sie Mona, Lisa und Mona-Lisa, die laut über das Auto lachten.

»Das ist das hässlichste Auto, das ich je gesehen hab«, sagte Mona. »Pass auf, ich zähle bis drei, dann fällt es auseinander!«, sagte Lisa und »Das ist kein Auto, das ist ein verrosteter Elefanten-Rollschuh!«, sagte Mona-Lisa. Die drei Mädchen bogen sich vor Lachen.

Ottilie bemerkte, wie sie Mitleid mit dem Auto bekam. Sie schüttelte leicht den Kopf. Denn wie konnte man Mitleid mit einem Auto haben?

»Der Kuchen muss noch etwas abkühlen, dann kommt Puderzucker drauf und dann kannst du ihn rüberbringen!«, fuhr ihr Vater fort, um das Thema zu wechseln.

»Rüberbringen?«

»Ja, kleiner Papagei. Denkst du, ich schicke ihn mit der Post?«

»Nein, aber ich weiß nicht, ob ich da klingeln möchte. Ich kenn die doch gar nicht. Und wahrscheinlich schlafen die noch. Oder sie mögen keinen Gugelhupf. Oder vielleicht …«

»Vielleicht sind sie Vampire und saugen dich aus!« Ottilies Augen wurden groß. Papa lachte laut auf. Er wuschelte seiner kleinen Tochter liebevoll durch die Haare. »Ottilie, das war ein Witz. Ich bin jetzt schon zweiundvierzig Jahre auf dieser Welt, also echt lang, und mir ist noch nie ein Vampir begegnet. Ich glaube, die Chancen, einem zu begegnen, liegen bei weniger als 0,0000001 Prozent. Es ist sicher genauso unwahrscheinlich, wie einem Werwolf, einem Geist oder einem sprechenden Koffer über den Weg zu laufen.«

Ottilie drehte sich zu ihrem Vater um, der wieder an der Arbeitsplatte stand und den leckeren Duft des Kuchens einsog.

»Ich trau mich aber nicht, bei fremden Leuten zu klingeln«, murmelte Ottilie.

»Du wirst natürlich nicht ins Haus gehen, Ottilein. Auch dann nicht, wenn sie dich reinbitten. Ich würde ja selbst vorbeigehen, aber ich habe gleich ein ganz langes Online-Meeting. Und der Kuchen ist nun mal am besten, wenn man ihn noch warm isst. Was meinst du, wie die sich freuen? Es ist nicht leicht, in eine neue Wohngegend zu kommen und niemanden zu kennen. Wir wollen sie herzlich willkommen heißen. Auf eine gute Nachbarschaft.«

Noch einmal sah Ottilie zum Haus Nummer 13 hinüber. Neugierig war sie ja schon. Und auf jeden Fall hatte die Familie Kinder. Ottilie dachte an die kleine Gestalt, die ihr gewunken hatte. Und vielleicht würde diese Gestalt ja ihre neue Freundin oder ihr neuer Freund werden. Es wäre eine Chance, ganz neu anzufangen. Ottilie könnte sich so zeigen, dass die neuen Nachbarn sie überhaupt kein bisschen komisch fänden. Außerdem musste sie sich ja nicht gleich vorstellen mit: »Hallo, mein Name ist Ottilie Schmidt, mit dt am Schluss. Ich sammle Dinge, die ich finde, und stelle sie in meinem Zimmer aus. Ich lese jeden Tag ein Buch. Und ich spreche nicht gern.« Nein, sie würde wie ein unbeschriebenes Blatt vor diese Kinder treten. »Ein nettes Mädchen«, würden ihre Eltern sagen, wenn sie sie kennenlernten. Und nett war Ottilie ja auch. Sehr sogar.

»Und zieh dir was an, sonst denken sie noch, ihre neuen Nachbarn wären irgendwie seltsam, wenn sie im Schlafanzug vor der Tür stehen«, rief Papa und verschwand grinsend in seinem Arbeitszimmer.

Wenn der Gugel hupft

Eine halbe Stunde später stand Ottilie Schmidt vor dem Haus mit der Nummer 13. Den Gugelhupf auf einem Teller mit dabei. Sie legte den Kopf schief, da das Schild mit der 13 ebenfalls schief hing. Dabei bemerkte sie das Namensschild. Familie Grause stand in schrägen Buchstaben darauf. Dann sah sie die Wand entlang nach oben. Die Fenster waren so staubig und trüb, dass man nicht hinein-, doch sicher auch nicht hinaussehen konnte. Kein Laut war aus dem Innern zu hören.

Die Häuser in der Sackgasse waren alt. Sie drängelten sich eng aneinander, als müssten sie sich wärmen. Das Haus Nummer 13 war sogar so sehr von der Nummer 15 und der Nummer 11 in die Mangel genommen, dass es den Anschein machte, als würde es bald zerquetscht werden. Oder als hätte es sich von hinten dazwischen gezwängt und müsse dabei die Luft anhalten. Die Fassade war einmal gelb gewesen, doch überall bröckelte der Putz bereits ab und so konnte man seine Farbe nur noch hier und da erahnen.

Ottilies Haus gegenüber war ordentlich mit roten Ziegelsteinen gebaut. An den Fenstern hingen ordentliche Blumenkästen mit ordentlichen Blumen und die Fahrräder standen ebenfalls ordentlich vor dem Haus. Jedes Haus in der Sackgasse hatte einen kleinen Vorgarten. Auch der war bei den Schmidts tadellos. Nicht ganz so tadellos wie bei Frau Gurfinkel-Rübsaat aus der Nummer 11, aber gegen den Grause-Garten würde er jeden Wettbewerb gewinnen. Der Grause-Vorgarten bestand nämlich nur noch aus braunen verdorrten Gräsern.

Ottilie schluckte. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und klingelte. Sie hörte ein schrilles Mööööp durch die Tür dringen und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Noch einmal schluckte sie.

»Guten Tag, wir sind die Schmidts von nebenan und wollten euch mit einem Gugelhupf herzlich in der Sackgasse willkommen heißen.« Diesen Text hatte Ottilie sich überlegt und schon mehrmals leise vor sich hin gemurmelt. Sie hasste es, mit Menschen zu sprechen, die sie nicht kannte. Na ja, eigentlich mochte sie auch nicht so gern mit Menschen sprechen, die sie kannte. Sie mochte im Grunde überhaupt nicht so gern sprechen. Sprechen war einfach nicht ihr Ding. Lesen war ihr lieber. Viel lieber. Lesen und denken und träumen. Sie war … doch ehe sie sich weitere Gedanken über sich machen konnte, hörte sie Geräusche hinter der Tür. Einige Stimmen flüsterten miteinander. Es waren Kinderstimmen.

»Lass mich mal sehen. Wer hat da geklingelt?«

Dann öffnete sich der Briefschlitz und zwei Augenpaare blinzelten ins grelle Licht.

»Es ist ein Mensch. Ein kleiner. Sieht aus wie ein Weibchen.«

»Das nennt man Mädchen!«

»Lass mich auch mal! Warum hat sie ein doppeltes Monokel auf der Nase?«

»Das ist ein Nasen-fahrrad!«

»Falsch, das ist eine Brille! Hast du in der Schule nicht aufgepasst?«

Jetzt war sich Ottilie sicher. Es handelte sich um drei Kinder. Einen Jungen, ein größeres Mädchen und ein kleineres.

Ottilie trat von einem auf das andere Bein und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie jedes Wort verstand und noch weniger, wie verwirrt sie über den Inhalt war, den sie wiederum nicht verstand.

»Was willst du hier, Mädchen?«, fragte eine der Stimmen aus dem Briefschlitz.

Ottilie räusperte sich. Sie holte tief Luft und ratterte ihren eingeübten Satz herunter: »Gaten Tug, wir sind die Gugelhupfs von nebenan und wollen euch mit einem Schmidt wollkimmen hei...«

»Was hat sie gesagt?«, fragte der Junge.

»Wer ist gestorben?«, fragte das kleine Mädchen.

Es war wieder passiert. Die Worte hatten sich einfach in Ottilies Mund neu sortiert, als würden sie sie ärgern wollen. Schon oft war ihre Klasse in lautes Gelächter darüber ausgebrochen, denn meist passierte das, wenn Ottilie aufgeregt war oder ganz schnell etwas loswerden wollte.

Kurz schloss sie die Augen, dann startete sie einen neuen Versuch, bei dem sie sich auf jedes Wort konzentrierte: »Guten Tag, wir sind die Schmidts von nebenan. Und wollten euch mit einem Gugelhupf herzlich in der Sackgasse willkommen heißen.« Puh. Es war raus. Und jedes Wort war da, wo es hingehörte, und jeder Buchstabe auch.

»Wer hüpft?«, fragte nun die Stimme des kleinen Mädchens.

»Ein Gugel!«, antwortete die andere Mädchenstimme.

»Was bitte ist ein Gugel?«

»Klingt irgendwie gefährlich!«

Ottilie unterdrückte ein Kichern. Sie streckte den Kuchen Richtung Briefschlitz.

»Das ist ein Gugelhupf. So nennt man den Kuchen. Mein Papa hat ihn gebacken. Da war noch Puderzucker drauf, den sieht man aber nicht mehr, weil Puderzucker auf einem warmen Kuchen nach kurzer Zeit unsichtbar wird.« Die Aufregung hatte sich gelegt und die Worte in Ottilies Mund verknoteten sich diesmal nicht.

»Was hat sie gesagt?«

»Da ist ein Pudelzucker drauf und der ist unsichtbar!«

»Den mag ich, den Pudel!«

»Schieb ihn einfach unter der Tür durch«, schlug der Junge vor.

Ottilie verdrehte die Augen. »Das geht nicht. Der ist viel zu hoch!«

»Dann steck ihn durch den Schlitz hier!«

»Das geht auch nicht, ihr müsst schon die Tür auf-machen.«

Jetzt hörte Ottilie eine Frauenstimme. »Kinder? Mit wem sprecht ihr da?«

»Da ist ein hüpfender Pudel, der ist unsichtbar, und ein sichtbares Mädchen«, erklärte die kleine Stimme.

»Macht auf keinen Fall die Tür auf. Wir sind noch nicht so weit.«

»Was sollen wir ihr sagen?«

»Sagt ihr, wir sind nicht da!«

Ende der Leseprobe