Willkommen in St. Peter-(M)Ording - Tanja Janz - E-Book
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Willkommen in St. Peter-(M)Ording E-Book

Tanja Janz

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Beschreibung

Willkommen an der Mordsee-Küste! Spiegel-Bestsellerautorin Tanja Janz schreibt ihren ersten St. Peter-Ording-Krimi: Aufruhr in St. Peter-Ording! Als Hagen Westermann, Architekt eines umstrittenen Hotelprojektes in Deutschlands schönstem Küstenort, mausetot in den Dünen aufgefunden wird, bleibt Lehrerin Ilva Feddersen nichts anderes übrig, als sich in die Ermittlungen einzuschalten: Erstens ist der Hauptverdächtige ihre Jugendliebe, und zweitens kann sie schlecht ihren trotteligen Polizistenbruder mit dem größten Skandal der Saison allein lassen. Warum ist der Tote in ein Protestbanner gewickelt? Kommt der Mörder aus der Umweltschutzszene? Mit ihren Kollegen macht Ilva sich auf Mörderjagd – und steckt bald tiefer im Watt, als gut für sie ist …

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Willkommen in St. Peter-(M)Ording

Die Autorin

Bestsellerautorin TANJA JANZ begeistert ihre Leserinnen und Leser mit ihren gefühlvollen Romanen vor der traumhaften Kulisse von St. Peter-Ording. Bevor sie mit Mitte dreißig begann, selbst Romane zu schreiben, hat sie mehrere Jahre als Pädagogin gearbeitet und leidenschaftlich gelesen. St. Peter-Ording ist ihr Sehnsuchtsort und seit vielen Jahren ein Fixpunkt in ihrer Urlaubsplanung.

Das Buch

Die Mordseeküste ruft: Ilva Feddersen ermittelt in St. Peter-OrdingAufruhr in St. Peter-Ording! Ilva Feddersen ist gerade wieder zurück in ihre Heimat gezogen, um ihre Stelle als Lehrerin anzutreten, da liegt plötzlich ein Toter in den Dünen. Der Verdacht fällt schnell auf die lokalen Umweltaktivisten, denn das Opfer war der Architekt eines umstrittenen Hotelprojektes in Deutschlands schönstem Küstenort. Ilva bleibt nichts anderes übrig, als selbst zu ermitteln: Denn erstens ist der Hauptverdächtige ihre Jugendliebe, und zweitens kann sie schlecht ihren gemütlichen Polizistenbruder mit dem größten Skandal der Saison allein lassen. Mit ihren Kollegen macht Ilva sich auf Mörderjagd – und steckt bald tiefer im Watt, als gut für sie ist …

Tanja Janz

Willkommen in St. Peter-(M)Ording

Ein Küstenkrimi

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage April 2022© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, MünchenKarte: © Peter Palm, BerlinFoto der Autorin: © mobbys-pics.comE-Book Konvertierung powered by PepyrusISBN 978-3-8437-2746-4

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Epilog

Rezepte

Karte

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Für alle, die mich gefragt haben,wann ich denn endlich einen St. Peter-Ording-Krimi schreibe.Hier ist er!

Prolog

Er hatte sich nie Sorgen um seine Zukunft gemacht. Dafür war sein Leben nach anfänglichen Startschwierigkeiten bisher zu perfekt gelaufen: Er schien einen festen Platz auf der Sonnenseite gepachtet zu haben. Bisher. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, und er spürte Druck auf seinem Brustkorb, so als läge eine schwere Last darauf. Er kauerte schlotternd vor Kälte zusammengepfercht in einer Art Kasten. Eingeschlossen! Keine Chance, sich aufzurichten, das ließ die Enge nicht zu. Mit zitternden Händen fuhr er über seine nackten Arme. In seinen Fingerspitzen hatte er kein Gefühl mehr. Mit den Handflächen tastete er seine Umgebung ab. Unter ihm spürte er eine glatte, kalte Oberfläche – Plastik. Er griff sich an den Kopf. Er dröhnte, als hätte er einen Schlag mit einem Hammer abbekommen. Seine Sinne waren vernebelt, und es kostete ihn erhebliche Konzentration, einen klaren Gedanken zu fassen. Zunehmend verzweifelt versuchte er, in der Dunkelheit etwas auszumachen. Vergeblich suchte er nach einem Lichtschein. Die Finsternis, die ihn umgab, war schwarz wie die Nacht. Seine Handflächen berührten die kalte Decke über ihm. Mit aller Kraft versuchte er, diese aufzustemmen. Ohne Erfolg. Sie bewegte sich keinen Millimeter, obwohl er bestimmt kein Schwächling war. Angestrengt lauschte er in der Hoffnung, Schritte oder gar Stimmen zu hören, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch außer einem mechanischen Brummen war nichts zu hören. Mit klappernden Zähnen schlang er seine Arme um den Oberkörper. Er hatte keine Ahnung, wie er hierhergeraten war. Dumpfe Erinnerungsfetzen flackerten für Bruchteile einer Sekunde auf, doch sobald er versuchte, sie festzuhalten, entglitten sie ihm sogleich. Komm, reiß dich zusammen! Denk nach! Angespannt begann er, bis hundert zu zählen, ohne dabei durcheinanderzugeraten, alles mit dem Ziel, seine Panik einzudämmen. Nach einiger Zeit rappelte er sich erneut hoch. Noch einmal warf er sich mit aller Macht gegen die Decke über ihm, aber er musste bald einsehen, dass es zwecklos war. Hoffnungslos. Er saß in der Falle. Seine Lunge schmerzte bei jedem Atemzug, und sein Puls raste. Er mobilisierte die ihm noch verbliebenen Kräfte, um um Hilfe zu rufen. Aber aus seiner Kehle drang nur ein leises Krächzen. Schlagartig wurde ihm bewusst, wie aussichtslos seine Lage war. Wenn er nicht rechtzeitig befreit werden würde, würde er erfrieren. Eine schier unkontrollierbare Panik stieg in ihm auf, die ihm die Luft zum Atmen abschnürte, als ihn die Erkenntnis traf: Er lag lebendig in einem eisigen Grab.

1. Kapitel

An einem Montagmorgen Anfang Mai in der Polizeistation im Deichgrafenweg in St. Peter-Ording

Kommissar Fred Glabotki drehte ungeduldig an der Kurbel des Spitzers und runzelte die Stirn. Vor ihm lagen bereits drei perfekt angespitzte Schreiber. Skeptisch musterte er die alte Dame, die ihm gegenüber auf dem Besucherstuhl Platz genommen hatte. Sie spielte aufgeregt mit den Fingern an dem Bügelverschluss ihrer Handtasche herum.

»Haben Sie denn auch in sämtlichen Schubladen nachgesehen, Frau Wolters?«, fragte Fred nachdrücklich und warf seinem Kollegen, Hauptkommissar Ernie Feddersen, der neben dem Tisch stand, einen vielsagenden Blick zu.

»Selbstverständlich habe ich das. Wenn ich es Ihnen doch sage, Herr Kommissar, der Ring ist spurlos verschwunden. Futsch!« Die Dame unterstrich ihre Aussage mit einer Handbewegung und sah die Polizisten verzweifelt an.

»So futsch wie damals Ihr Haustürschlüssel, den Sie, nachdem der Schlüsseldienst ein neues Schloss eingebaut hatte, in Ihrer Handtasche gefunden haben?«, rief Fred ihr die letzte Diebstahlsanzeige in Erinnerung und legte den Bleistift akkurat neben die anderen auf die Tischplatte.

Frau Wolters nahm eine aufrechte Haltung auf dem Stuhl ein. »Das kann man doch gar nicht vergleichen!«

»Nein?«

»Einen Haustürschlüssel benutzt man jeden Tag und legt ihn überall ab. Aber den Ehering meines Mannes habe ich seit Jeppes Tod immer in einer kleinen Schmuckschatulle liegen. Unangerührt. Und da ist er nicht mehr.«

Fred zog spöttisch die Augenbrauen hoch. »Also, ich weiß nicht ...«

Die alte Dame verzog den Mund. »Mein Mann wird ihn wohl kaum an eine andere Stelle gelegt haben.«

Der Kommissar blickte wenig beeindruckt auf die vermeintlich Bestohlene. »Es könnte doch sein, dass Sie ihn in der Zwischenzeit doch mal woanders hingelegt und das bloß vergessen haben.«

»Wollen Sie mir etwa unterstellen, ich wäre tüdelig?«, echauffierte sich Gitte Wolters. »Unverschämtheit!«

Fred lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Ach, wissen Sie, tüdelig ...«

»Nein«, schaltete sich Ernie ein, der bisher bloß zugehört hatte. Er hob beschwichtigend die Hände, bevor Fred mit seinem Ruhrpottcharme das Fass zum Überlaufen brachte. »Natürlich sind Sie nicht tüdelig, Frau Wolters. Das will Ihnen hier keiner unterstellen. Wir gehen selbstverständlich jedem Diebstahl nach. Ich nehme Ihre Anzeige jetzt auf, und der Kollege Glabotki holt uns bestimmt ein Tässchen Kaffee.« Er warf Fred einen halb auffordernden, halb mahnenden Blick zu.

Fred schüttelte unmerklich den Kopf, erhob sich dann jedoch von seinem Stuhl. »Mit Zucker oder Milch?«, fragte er und verließ den Raum, ohne eine Antwort abzuwarten. Er war in der Tat der Inbegriff von Charme.

Ernie setzte sich auf den frei gewordenen Stuhl gegenüber von Gitte Wolters und bedachte sie mit einem Lächeln. »So, Frau Wolters, dann erzählen Sie mal ganz von vorne. Wann und wo haben Sie denn den Ring das letzte Mal gesehen?«

Die alte Dame hob die Schultern. »Woher soll ich das denn wissen? Sie stellen vielleicht Fragen!«

Ernie lächelte sie weiterhin freundlich an. Ach ja, die alten Leutchen, die vergessen schon mal was, dachte er. Das war doch völlig normal.

Das Diensttelefon klingelte.

»Verzeihung«, er machte eine entschuldigende Geste in Richtung von Frau Wolters und nahm den Hörer ab. »Polizeidienststelle St. Peter-Ording, Feddersen am Apparat.«

Fred kam mit drei Kaffeetassen zurück ins Dienstzimmer und stellte zwei auf dem Schreibtisch ab. Aus seiner Hosentasche zog er ein Tütchen Zucker und eine Portion Kaffeesahne, die er neben Frau Wolters’ Tasse legte. Den dritten Kaffeepott mit dem Vereinslogo des FC Schalke 04 behielt er selbst in der Hand.

Ernie zog die Augenbrauen zusammen. »Keine Panik! Wir kommen sofort.« Er beendete das Gespräch und griff zeitgleich nach seiner Dienstjacke, die am Garderobenständer neben dem Fenster hing.

Fred schaute ihn erwartungsvoll an. »Was ist los?«

»Feuer am Ordinger Deich, auf der Höhe vom Beach Motel. Wieder mal ein Mülleimer!«

Fred stellte seine Kaffeetasse schwungvoll auf dem Tisch ab, sodass ein Teil des Getränks auf die Platte schwappte. »Dann los!« Er war schon auf dem Weg zur Tür raus und nahm im Vorbeigehen den Feuerlöscher aus der Halterung an der Wand. Die beiden hatten schon so manches gesehen. Ein Feuerlöscher konnte nicht schaden.

»Und was ist jetzt mit meiner Anzeige?«, fragte Frau Wolters und schürzte die Lippen.

»Da kümmert sich der Kollege vom Bäderersatzdienst drum. Warten Sie in Ruhe hier, Herr Pannenbäcker ist gleich bei Ihnen«, beruhigte Ernie sie und rief Fred nach: »Sag Pannenbäcker, er muss hier übernehmen.«

Der junge Kollege wohnte praktischerweise in der Wohnung in der Polizeidienststelle und verstärkte das Team bis September – eine Maßnahme, die sie der Tatsache zu verdanken hatten, dass im Sommer durch die vielen zusätzlichen Touristen mehr zu tun war.

Ohne auf den Kollegen zu warten, stürzten Ernie und Fred aus der Inspektion und machten sich auf den Weg nach Ording. Fred fuhr. Wie immer. Und er schaltete natürlich das Blaulicht und das Martinshorn ein. Das ließ er sich nicht nehmen. Schließlich war ein offenes Feuer kein Kavaliersdelikt und musste unverzüglich gelöscht werden. Grund genug, damit alle übrigen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn für sie machten. Ernie hielt sich wie immer mit einer Hand am Haltegriff über dem Fenster auf der Beifahrerseite fest. »Den Kaffee hätte ich ja gerne noch getrunken«, brummte er.

»Pannenbäcker macht nachher neuen, wenn wir wieder da sind«, beruhigte ihn Fred. Er warf seinem Kollegen einen schnellen Seitenblick zu. »Was sagt eigentlich deine Frau dazu, dass Ilva wieder nach St. Peter kommt?«, fragte Fred, während er in einem Affenzahn bei Rotlicht über eine Ampelkreuzung bretterte.

Ernie zuckte kurz mit den Schultern. »Was soll sie groß sagen? Ilva ist meine Schwester.«

»Na eben.« Fred bog links ab und fuhr fort: »Also, Marina wäre nicht happy, wenn Melanie auf einmal nach St. Peter ziehen würde. Da wäre Ärger vorprogrammiert.«

»Och, weißt du … Heike und meine Schwester verstehen sich gut. Außerdem ist es praktisch, wenn sie da ist und ein Auge auf unsere Eltern hat. Besonders auf Muddi. Seit der OP ist sie etwas unsicher unterwegs. Gut, dass die Einliegerwohnung bei unseren Eltern frei ist und Ilva dort einzieht.«

»Wann kommt sie eigentlich an?«

Ernie guckte auf seine Armbanduhr. »So gegen Mittag müsste sie da sein. Von Hamburg ist es ja keine Weltreise. Heute Abend ist entspanntes Familienessen bei meinen Eltern angesagt.« Ernie war immer noch damit beschäftigt, sich am Türgriff festzuklammern, und beantwortete die Fragen seines Kollegen etwas zerstreut.

»Die Essen mit meinen Eltern sind eher Vernehmungen. Und wenn Melanie noch dabei ist ...« Fred winkte ab. »Dann grenzt das Ganze schon an ein Verhör.«

»Du kommst eben aus einer Polizisten-Familie. Scheint bei euch ja irgendwie genetisch bedingt zu sein.«

»Ich kann von Glück sagen, dass mein Vater und Melanie in Gelsenkirchen unterwegs sind. Das ist schön weit weg von St. Peter. Sonst würden die zwei uns hier unseren Job streitig machen«, erwiderte Fred.

»Echt jetzt? Dein Vater ist noch unterwegs? Ich dachte, er wäre längst pensioniert.«

»Ist er ja auch. Aber trotzdem noch unterwegs. Mit seinem Rauhaardackel als Verstärkung. Du kennst das doch, als Bulle hörste nie richtig auf. In Schalke wird er von allen Kommissar genannt.« Freds Fahrstil war wirklich rasant, und so schafften sie die Strecke bis zum HotelAm Deich in weniger als fünf Minuten. Fred parkte den Wagen gegenüber vom Seedamm auf der Höhe vom Beach Motel.

»Nun, denn. Schön, dass Ilva kommt. So kenne ich wenigstens schon eine Lehrerin, wenn Elias in zwei Jahren zum Gymnasium wechselt«, sagte Fred, während er den Sicherheitsgurt öffnete.

»Ach, steht das schon fest?«, fragte Ernie überrascht.

»Für mich schon.« Fred setzte sich seine Sonnenbrille auf. Sie stiegen aus dem Polizeiauto.

»Da hinten kokelt es.« Ernie zeigte auf eine Stelle auf dem Deich, an der dunkler Rauch emporstieg.

»Dann wollen wir mal.« Fred holte den Feuerlöscher aus dem Kofferraum.

Neben dem brennenden Mülleimer standen vier Leute. Zwei Frauen und zwei Männer. Eine der Frauen trug trotz der schon angenehm warmen Maisonne eine dicke Steppjacke und einen Schal.

»Moin! Haben Sie bei der Polizei angerufen?«, fragte Ernie die vier Leute.

»Ich habe angerufen«, sagte einer der Männer und hob dabei den Finger wie in der Schule. »Meine Frau und ich haben das Feuer vom Balkon unserer Ferienwohnung aus entdeckt. Und da dachten wir uns, wir sagen mal besser Bescheid.«

Ernie nickte. »Das war genau richtig. Einen Brandherd muss man melden.«

»Wer so etwas bloß macht?«, meldete sich die Frau mit der Steppjacke zu Wort. »Ich meine, Mülleimer sind doch wichtig in einem Kurbad. Wie würde es ohne sonst hier aussehen?«

»Treten Sie jetzt bitte ein Stück zurück.« Fred stellte sich mit dem Feuerlöscher in Windrichtung auf und entfernte die Sicherung. Als er sich vergewissert hatte, dass die Touristen und Ernie in sicherem Abstand zu ihm standen, richtete er den Löschstrahl auf den brennenden Mülleimer.

Das Feuer war ein paar Minuten später unter Kontrolle. Ernie und Fred verabschiedeten sich von den Touristen, die ihnen versprachen, weiterhin Augen und Ohren offen zu halten und bei einem weiteren Feuer sofort die Polizeidienststelle zu verständigen.

In Gedanken gingen sie nebeneinander zu ihrem Einsatzwagen zurück. Fred verstaute den Feuerlöscher gerade im Kofferraum, als ein Funkspruch ihres Kollegen Pannenbäcker einging. Auf dem Gelände des ehemaligen Kurheims am Strandweg gab es Probleme.

»Wir sind hier um die Ecke und gleich da«, sagte Ernie und nahm wieder neben Fred auf dem Beifahrersitz Platz. »Was heute hier los ist ...«

Fred zuckte mit den Achseln und startete den Wagen. »War doch klar, dass das Ärger von den Umweltaktivisten gibt. Denk mal an Stuttgart 21.«

»Wir sind hier aber nicht in Stuttgart, sondern in St. Peter-Ording. Normalerweise verhalten sich hier alle friedlich.«

»Ein bisschen Action kann St. Peter nicht schaden. Wenn ich da an meine Zeit in der alten Gelsenkirchener Wache zurückdenke ... da war immer was los«, meinte Fred unbeeindruckt und bog rechts in den Strandweg ein. »Und nicht nur am Wochenende, wenn Bundesliga war.«

Ernie blickte ihn an. »Für mich kann alles so bleiben, wie es ist. Ich möchte morgens in Ruhe meinen Kaffee trinken können.«

Fred parkte den Einsatzwagen am Ende der Sackgasse und nahm seine Sonnenbrille ab. »Den Kaffee kannste dir abschminken. Vor Mittag wird das nix.«

Vor dem Gelände des ehemaligen Kurheims Köhlbrand standen sich sechs Personen mit Transparenten und zwei Männer in Anzügen gegenüber. Das ehemalige Mutter-Kind-Kurheim lag direkt an den Dünen des Ordinger Strands und war seit einigen Jahren geschlossen.

»Kerle Kiste, hätten die ihre Demo nicht wenigstens anmelden können?«, brummte Ernie kopfschüttelnd und folgte Fred, der schon mit langen Schritten auf dem Weg ins »Krisengebiet« war. Kurz vor dem Gelände des Kurheims holte er Fred ein. Einen der zwei Anzugträger kannte Ernie seit vielen Jahren. Es war Tetje Brodersen, der Bürgermeister von St. Peter-Ording.

»Moin!«, grüßte Ernie freundlich. »Was ist denn hier los?«

»Moin!«, erwiderte der Bürgermeister den Gruß. Nicht ganz so freundlich. »Wir werden von diesen jungen Leuten an einer Begehung des Grundstücks gehindert.«

»An einer rechtmäßigen Begehung«, schaltete sich nun der zweite Mann im Anzug ein. Er blickte schmallippig auf die Demonstranten und strich sich eine Haarsträhne, die der Nordseewind aus ihrer rechtmäßigen Position gepustet hatte, über die Halbglatze.

»Und Sie sind?«, fragte Fred ihn.

Routiniert zog der Mann eine Visitenkarte aus einer Mappe, die er in einer Hand hielt, und reichte sie Fred. »Hagen Westermann, Geschäftsführer des Architektenbüros Gräfe und Partner. Ich bin verantwortlich für die Planung des neuen Hotels auf dem Gelände.«

»Hier wird nichts gebaut!«, empörte sich eine junge Frau mit rostbraunen Dreadlocks und hielt ihr Plakat noch ein Stück höher. Von den anderen Demonstranten folgten zustimmendes Gemurmel und der ein oder andere Fluch, der an die Anzugträger gerichtet war.

»Jetzt bleibt mal ganz locker«, versuchte Ernie die aufgebrachten Aktivisten zu beschwichtigen. Natürlich waren ihm auch die Protestler bestens bekannt. Es handelte sich dabei um das Freiwilligenteam vom Nationalpark-Haus St. Peter-Ording, die für Regulierungen und Aktionen rund um den Naturschutz zuständig waren. Der Dünenschutz gehörte auch dazu. »Euer Engagement für die Umwelt in Ehren, aber ihr verstoßt hier gerade gegen geltendes Recht. Also, lasst die Herren auf das Grundstück, und macht keinen Ärger.«

»Niemals!«, rief ein Typ mit schulterlangen blonden Haaren.

Fred stemmte seine Hände in die Hüften. »Lust auf eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch?«

»Wer Umweltprobleme nicht ernst nimmt, ist selbst eins«, rief das Mädchen mit den Dreadlocks kämpferisch.

»Wir nehmen Umweltprobleme ernst, aber auch geltendes Recht. Meldet nächstes Mal eure Demo an, dann dürft ihr auch Rabatz machen. Für jetzt ist hier Ende Gelände«, griff Ernie durch. Es war offensichtlich, dass Ernies resolute Art die Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Konzept gebracht hatte. Unwillig berieten sie halblaut, wie sie vorgehen sollten (»Eine Anzeige kann ich mir nicht leisten.« – »Aber wir können doch nicht einfach abziehen?« – »Wir kommen wieder!«), während Ernie und Fred die beiden Anzugträger musterten und sich vorsichtshalber zwischen ihnen und der Gruppe positionierten.

»Für die Umweltschweine räumen wir hier nicht ...«, erhob der junge Mann erneut die Stimme.

»Noch ein Wort, und ich rufe deine Mutter an«, pflaumte Fred ihn an.

Wie lange das wohl noch funktioniert?, fragte sich Ernie, während er kopfschüttelnd dabei zusah, wie die Leute vom Freiwilligenteam nun tatsächlich – wenn auch unter Protest -das Kurheim-Gelände räumten.

»Sprecht demnächst vorher mit eurem Leiter über eure Aktionen, ihr wisst doch, wie das läuft«, empfahl Fred.

»Wir geben uns noch lange nicht geschlagen«, sagte ein Junge, der sein Haar zu einem Zopf zusammengebunden trug, als er sich an ihnen vorbeischob.

»Wir auch nicht«, entgegnete Fred trocken. »Schönen Tag noch.« Dabei überhörte er geflissentlich die Beschimpfungen aus der Richtung der Aktivisten.

»So was ist mir auch noch nicht passiert. Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.« Der Bürgermeister schüttelte Ernie und Fred die Hände.

»Das war, wenn ich mich richtig erinnere, meine erste Demo in St. Peter«, meinte Ernie.

»War ja nix Wildes«, fügte Fred hinzu und machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Dann noch eine gute Besichtigung. Wir müssen wieder los«, verabschiedete sich Ernie.

»Auf zum Kaffee«, sagte Fred, als sie wieder im Auto saßen.

Ernie schnallte sich an. »Nee.«

»Wie, nee?«

»Es ist gleich schon zwölf Uhr.«

»Ja, und?«

»Mindestens zwei Kaffee«, sagte Ernie mit Nachdruck. »Und ein Fischbrötchen mit Zwiebeln.« Ernie lächelte versonnen und strich dabei über seinen Bauch, der sich leicht über den Hosenbund wölbte.

»Pfft. Fischbrötchen mit Zwiebeln ...« Fred startete den Motor. »Im Ruhrpott heißt das Mettbrötchen mit Zwiebeln. Und das geht bei uns schon morgens zum Frühstück.«

2. Kapitel

Montagmittag im Reetdachhaus der Familie Feddersen, in einer ruhigen Seitenstraße in St. Peter-Ording Dorf

Ächzend hievte Ilva einen schweren Karton die Treppen zu ihrer Einliegerwohnung hinauf. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen, und vermutlich hatte ihr Gesicht die Farbe eines Hummers angenommen. Nach der Hälfte der Stufen musste sie eine Pause einlegen, um zu verschnaufen. Atemlos stellte sie den Karton ab und griff sich ans Kreuz. Nein, sie war keine 20 mehr. Eindeutig. Mit 38 war der Lack zwar noch nicht ganz ab, aber hier und da musste schon nachpoliert werden. Sie blickte auf die Kiste, die mindestens so schwer wie ein Hinkelstein war. Jedenfalls kam es ihr so vor. Warum konnte sie sich auch von keinem ihrer Bücher trennen?

Na, immerhin habe ich es versucht, rechtfertigte sie sich vor sich selbst und erinnerte sich daran, wie sie jedes einzelne Buch begutachtet hatte, bevor sie es für wichtig befunden und in die Umzugskiste gepackt hatte. In ihrer Sammlung fanden sich allein schon über 50 Krimis von Agatha Christie. Das waren Klassiker, die entsorgte man nicht einfach so. Sie ging in die Hocke und hob den Karton erneut an.

Als sie das Wohnzimmer der Einliegerwohnung betrat, fummelte ihr Vater an einer Deckenlampe herum. Die Leiter, auf der er stand, wackelte verdächtig.

»Mensch, Papa!«, rief Ilva. »Das sollst du doch nicht machen!« Sie stellte den Karton auf dem Boden ab und eilte zu der Leiter, um sie festzuhalten, bevor ihr Vater das Gleichgewicht verlieren konnte.

»Meine Güte, Ilva!« Werner Feddersen fasste sich ans Herz. »Musst du mich so erschrecken? Deinetwegen wäre ich jetzt fast von der Leiter gefallen.«

»Du sollst auch nicht auf Leitern rumturnen, Mensch«, entgegnete sie kopfschüttelnd.

Werner Feddersen reagierte mit einer unwirschen Handbewegung und fummelte weiter. »Und dann? Willst du hier etwa im Dunkeln hausen?«

»Papa.« Ilva schaute ihn eindringlich an. »In Hamburg habe ich jede Glühbirne in meiner Wohnung höchst persönlich ausgewechselt. Das hat mir dort niemand abgenommen.«

»Ach ... in Hamburg.« Er schraubte unbeeindruckt weiter. »Hier ist das was anderes.«

»Hm. Das ist so lange anders, bis du dir auch was brichst. Wie Mama«, gab sie zu bedenken. Ihre Mutter war vor ein paar Wochen auf der Treppe ausgerutscht und dabei so unglücklich gestürzt, dass sie sich dabei den Oberschenkelhals gebrochen hatte. Seit dem Unfall war ihre Mutter nicht mehr so beweglich wie zuvor, und eine stationäre Rehamaßnahme hatte sie mit den Worten »Das ist was für alte Leute« kategorisch abgelehnt. Mit Mitte siebzig zählte sie sich noch lange nicht zum alten Eisen. Ein Pflegedienst kam zwar einmal täglich vorbei (das war auch schon das höchste der Gefühle!), um nach dem Rechten zu sehen, doch war das bei Weitem nicht ausreichend. Ihr Vater war selbst nicht mehr der Jüngste, und Ernie hatte zwar das Herz am rechten Fleck, aber wirkliche Hilfe war von ihrem Bruder auch nicht zu erwarten. So sah es Ilva. Wie es der Zufall wollte, hatte ihre alte Schule dringend eine Lehrerin für Englisch und Deutsch gesucht. Nach Ilvas Bewerbung war es glücklicherweise eine reine Formsache gewesen: Ihre Versetzung von einer Hamburger Brennpunktschule zur Nordseeschule war, obwohl es mitten im Schuljahr war, reibungslos abgelaufen.

»Unsinn! Ich falle nirgendwo runter! Hab das früher jeden Tag gemacht und nie einen Unfall gehabt«, brummte ihr Vater, indem er auf seinen früheren Job als Hausmeister anspielte.

»Das war Lichtjahre vor deiner Rente.«

»Schalte mal an jetzt«, überging er ihren Einwand.

Ilva seufzte und betätigte den Lichtschalter neben der Tür.

»Funktioniert einwandfrei«, verkündete Werner Feddersen zufrieden.

»Gut, dann kannst du ja jetzt wieder von der Leiter runterkommen. Mama wollte frischen Kaffee kochen.«

Ihr Vater stieg langsam die Leitersprossen hinab. »Du trinkst aber ein Tässchen mit? Oder musst du heute noch viel machen?«

Ilva schüttelte den Kopf. »So wild ist es nicht mehr: Den Transporter mit meinen Sachen räume ich nach und nach leer. In zwei Stunden habe ich einen Termin in der Schule. Kurze Begrüßung beim Rektor, und dann bekomme ich eine Einweisung von Ute. Für eine Tasse Kaffee reicht die Zeit.«

»Dann geh schon mal vor. Ich räum nur noch die Leiter und den Werkzeugkoffer weg.«

Als Ilva die Treppe ins Erdgeschoss herunterkam, klingelte es an der Haustür. Durch den Glaseinsatz der Tür sah sie eine blonde Frau stehen.

»Ja?« Ilva hatte die Tür geöffnet und schaute die Frau, die vor ihr stand, ein wenig ungläubig an. Ihr Gegenüber war mit so überdurchschnittlich gutem Aussehen gesegnet, dass es Ilva einen Moment lang sprachlos machte: schwedenblonde Locken, ein Teint wie Porzellan und Augen, die dem Himmel über St. Peter-Ording im Hochsommer Konkurrenz machten. Ilva griff automatisch nach ihrem schulterlangen flachsblonden Haar, das so glatt wie der Norden platt war. »Spaghettihaare« hatte mal die kleine Tochter einer Freundin dazu gesagt. Und Kindermund tut bekanntlich Wahrheit kund. Sie hatte immer etwas neidisch auf volle Locken und kräftiges Haar geschielt, aber daran ließ sich nun einmal nichts ändern. Wenigstens hatte sie eine ganz passable Figur. Das war auch schon was.

»Guten Tag, ich bin die Schwester Grit vom Pflegedienst«, riss der Engel sie aus ihren Gedanken.

»Ach ja ... richtig. Kommen Sie doch rein.« Ilva öffnete die Tür ganz und ließ die Krankenschwester eintreten. »Mutti? Schwester Grit ist da!«

»Soll ins Wohnzimmer kommen!«, rief Ilvas Mutter aus dem Nebenraum.

Ilva wollte vorgehen, doch Schwester Grit winkte ab. »Danke, nicht nötig. Ich kenne den Weg.«

»Gut. Ich bin in der Küche, falls Sie mich brauchen sollten.«

Die Krankenschwester schenkte Ilva ein freundliches Lächeln, was keinen Zweifel daran ließ, dass sie ihre Hilfe nicht brauchen würde, und verschwand im Wohnzimmer. Ilva schaute ihr nach. Vielleicht sollte sie doch mal beim Friseur einen Termin machen und ihren Spaghettihaaren den Kampf ansagen. Das war ein guter Plan, fand sie und ging dann in die Küche, um sich der Kaffeemaschine zu widmen.

Ilva steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn herum und schob dann das alte Garagentor unter lautem Quietschen hoch. Da stand er. Der alte Fridolin. Orange wie eh und je, und er schien keinen Tag gealtert zu sein, seitdem sie ihn vor über zehn Jahren in der Garage untergestellt hatte.

»Der Motor schnurrt wie ein Kätzchen. Der Wagen ist fast wie neu«, verkündete ihr Vater, der neben ihr stand und stolz auf den Pkw schaute.

»Neu ist gut«, lachte Ilva. In Hamburg hatte sie kein Auto gehabt. Die Verbindungen mit der U-Bahn waren in der Großstadt so gut, dass sie keinen Pkw benötigt hatte. »Der Käfer hatte doch damals schon 28 Jahre auf dem Buckel, als ihr ihn mir zur bestandenen Führerscheinprüfung geschenkt habt.«

»Und? Er ist immer noch top in Schuss und absolut zuverlässig. Hat noch nie eine Werkstatt von innen gesehen. Habe ihn regelmäßig gewartet, und TÜV hat er auch noch bis September«, sagte ihr Vater mit erhobenem Zeigefinger. »Mach mal eine Spritztour zur Schule, dann wirst du es sehen. Das ist noch echte Wertarbeit.« Er strich mit einer Hand über die Karosserie.

»Vielleicht ein anderes Mal. Bei dem schönen Wetter fahre ich lieber mit dem Rad.« Ilva ging zu dem pastellfarbenen Klapprad, das neben dem Auto stand, und schob es aus der Garage. »Jetzt guck nicht so. Gleich morgen gehen der alte Fridolin und ich auf Tour. Zum Einkaufen nach Böhl.«

»Apropos einkaufen! Kannst du auf dem Weg beim Bäcker das Brot abholen? Deine Mutter hat eine große Wattkruste für heute Abend bestellt.«

»Mach ich. Bis später.« Sie gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange und schwang sich auf den Sattel ihres alten Rads, mit dem sie schon als Schülerin zum Gymnasium gefahren war.

Ein bisschen nostalgisch war ihr zumute, als sie wie früher durch die vertrauten Straßen und an den bekannten Häusern vorbeifuhr. Ihren alten Schulweg kannte sie auch nach all den Jahren noch in- und auswendig. Im Grunde hatte sich kaum etwas verändert. Sogar der kleine Kiosk existierte noch, an dem sie damals vor der Schule entweder eine gemischte Tüte oder die neueste Ausgabe der BRAVO gekauft hatte. Nach dem Abitur war sie zusammen mit ihrer alten Schulfreundin Ute zum Studieren nach Hamburg gegangen. Beide hatten an der Uni auf Lehramt studiert. Ilva hatte im Anschluss ihr Referendariat an einem Hamburger Gymnasium absolviert, während Ute das Heimweh gepackt hatte und sie bereits für ihr Referendariat an die Nordseeschule zurückgekehrt war. Heute unterrichtete sie dort Biologie und Kunst. In den vergangenen Jahren hatten Ilva und Ute sich nicht regelmäßig gesehen. Umso mehr freute Ilva sich, dass ihre Freundschaft nun eine neue Chance bekam. Fast hätte sie das Brot vergessen, doch als ihr auf der Höhe der Bäckerei der Duft von Frischgebackenem in die Nase stieg, bremste sie scharf ab und betrat die kleine Stube.

Von dort aus waren es nur noch ein paar Minuten bis zu ihrer alten Schule, die sie summend zurücklegte.

Sie stellte ihr Fahrrad in einem Ständer vor dem Gebäude ab. Bevor sie die Eingangstür öffnete, zögerte sie kurz. Ihr Blick blieb an ihrem Spiegelbild in der Verglasung hängen. In dem Moment wurde ihr bewusst, dass sie gleich zum ersten Mal als Lehrerin ihre alte Schule betreten würde. Das letzte Mal war sie hier bei ihrer Abifeier gewesen und hatte ihr Abschlusszeugnis in der Hand gehalten. Das war fast auf den Tag genau 20 Jahre her. Und nun war sie zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Zurück in ihr altes Zuhause, ihre Heimat, zurück an ihre alte Schule, zu ihren Freunden, zu Ute, die sie seit dem Kindergarten kannte.

Eigentlich hatte sich bei ihr seit dem Abitur nicht viel verändert: Sie war weder verheiratet, noch hatte sie Kinder. Auf ihrem Bankkonto hatte sie bis heute kein finanzielles Polster zusammengespart, und sie hatte sogar noch den gleichen Kleidungsstil wie damals, wenn sie ehrlich war. Es gab nichts Besseres als bequeme Jeans, Chucks und ein lockeres T-Shirt. Hätte ihr jemand vor einem halben Jahr gesagt, dass sie heute hier stehen würde, sie hätte es nicht geglaubt. In den vergangenen Jahren hatte sie geglaubt, in Hamburg zu einer Großstadtpflanze geworden zu sein, doch das war wohl ein Trugschluss: Als der Anruf von Ernie kam, dass ihre Mutter allein nicht mehr zurechtkam, hatte sie keine zehn Minuten darüber nachdenken müssen, was zu tun war. Die Bewerbung auf die Stelle an der Nordseeschule hatte sie schneller geschrieben als andere Leute »Bewerbung« denken konnten. Vielleicht war das auch der Grund gewesen, warum es mit den Männern bisher nicht geklappt hatte, die ihr in Hamburg über den Weg gelaufen waren. Sie gehörte einfach nach St. Peter wie die Pfahlbauten und der Strand. Ilva atmete kurz durch und betrat dann das Schulgebäude.

Kaum eine halbe Stunde später erhob sich Klaus Korte, der Rektor der Schule, von seinem Bürostuhl und streckte ihr die Hand über den Schreibtisch entgegen. »Ich freue mich wirklich sehr, dass Sie als Ehemalige den Weg an die Nordseeschule zurückgefunden haben, und heiße Sie herzlich willkommen«, sagte er mit Begeisterung, die echt wirkte.

Ilva lächelte ihn an. Der Direktor hatte einen festen Händedruck. Außerdem strahlte er eine angenehme Ruhe und Verbindlichkeit aus. Mit ihm würde sie sicherlich gut zusammenarbeiten können. »Danke. Ich freue mich auch!«

»Frau Wolters müsste noch in den Gärten sein. Wenn Sie wollen, dann ...« Herr Korte machte Anstalten, sie zu begleiten.

»Oh, danke. Das ist nicht nötig. Ich weiß noch, wo die Gärten sind – ich finde Ute auch allein.«

»Gut, dann sehen wir uns morgen früh im Lehrerzimmer.« Herr Korte wirkte darüber erleichtert; der nervöse Blick zu den sich auf seinem Schreibtisch stapelnden Akten war Ilva nicht entgangen.

»Bis morgen«, verabschiedete sie sich, bevor sie das Büro verließ.

Sie ging am Sportplatz und am Hockeyfeld vorbei, auf denen Schülergruppen Sprints absolvierten. Rufe und das Schrillen einer Trillerpfeife drangen an ihr Ohr.

Die Gärten lagen eingerahmt von einem Fußball- und einem Volleyballfeld sowie einer kleinen Minigolf-Anlage. Sie musste nicht lange nach Ute suchen. Der rote Haarschopf ihrer Freundin leuchtete schon von Weitem wie Klatschmohn aus einem der Beete. Ute hatte Ilvas Kommen nicht bemerkt. Sie kniete auf dem erdigen Boden und bearbeitete Unkraut mit einer Hacke.

»Das ist ja vielleicht eine Begrüßung.«

Ute drehte ruckartig ihren Kopf in Ilvas Richtung und blickte sie erschrocken an.

»Aber wenigstens regnet es heute nicht.« Ilva hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt und grinste bis an beide Ohren.

»Ilva!« Ute war aufgesprungen und ließ die kleine Hacke in einen Eimer fallen, in dem sie das gezupfte Unkraut sammelte. Lachend zog sie ihre Handschuhe aus. »Entschuldige. Ich war ganz in meine Gartenarbeit vertieft.« Sie umarmte die Freundin. »Schön, dass du da bist.«

»Kannst du glauben, dass wir wieder zusammen an der Schule sind? So wie früher!« Ilva strahlte Ute an und ließ den Blick auf ihr ruhen: Sie gehörte zu den Leuten, die sich äußerlich mit den Jahren kaum veränderten. Ihre roten Locken trug sie wie eh und je zu einem asymmetrischen Bob geschnitten, und auch ihren eigenwilligen bunten Kleidungsstil hatte sie über all die Jahre beibehalten.

»Ich konnte es erst nicht glauben, als ich von deiner Bewerbung erfahren habe. Ich dachte, du kommst nie mehr aus Hamburg zurück.«

»Das dachte ich eigentlich auch«, gab Ilva zu. »Aber dann hatte Mutti den Unfall, und jetzt bin ich wieder hier.«

»Alle Wege führen nach St. Peter-Ording.« Ute schüttelte lachend den Kopf. »Wo wohnst du eigentlich?«