Winterglück und Nelkenduft - Emilia Schilling - E-Book
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Winterglück und Nelkenduft E-Book

Emilia Schilling

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Beschreibung

Es ist Winter in Wien, als die reiselustige Romi nach einem Auslandsaufenthalt in ihre Heimatstadt zurückkehrt. Dort übernimmt sie zusammen mit ihrer Schwester Steffi den Teeladen ihrer Großtante Leopoldine. Steffis Angst, Romi könnte schon bald wieder in die weite Welt aufbrechen und sie mit der Arbeit allein lassen, entpuppt sich als unbegründet. Romi hat gar nicht vor, Wien wieder zu verlassen. Schließlich hat sie sich in den charmanten Restaurator Niko verliebt, und auch der Teeladen läuft in der Adventzeit blendend. Dann allerdings erfährt Romi, dass Steffi und Niko ihr etwas verschweigen ...

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Seitenzahl: 346

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Buch

Es ist Winter in Wien, als die reiselustige Romi nach einem Auslandsaufenthalt in ihre Heimatstadt zurückkehrt. Dort übernimmt sie zusammen mit ihrer Schwester Steffi den Teeladen ihrer Großtante Leopoldine. Steffis Angst, Romi könnte schon bald wieder in die weite Welt aufbrechen und sie mit der Arbeit allein lassen, entpuppt sich als unbegründet. Romi hat gar nicht vor, Wien wieder zu verlassen. Schließlich hat sie sich in den charmanten Restaurator Niko verliebt, und auch der Teeladen läuft in der Adventzeit blendend. Dann allerdings erfährt Romi, dass Steffi und Niko ihr etwas verschweigen …

Informationen zu Emilia Schilling sowie zu weiteren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

Emilia Schilling

***

Winterglück und Nelkenduft

***

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Originalausgabe September 2021

Copyright © 2020 by Emilia Schilling

Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung der literarischen Agentur Peter Molden, Köln.

Copyright © dieser Ausgabe 2021 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München

Umschlagfoto: FinePic®, München

Redaktion: Susanne Bartel

BH · Herstellung: ik

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-22605-3V001

www.goldmann-verlag.de

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Inhalt

Assam-Tee … eine koffeinhaltige Alternative zu Kaffee

Flugtee … wer das Beste will, muss schnell sein

Vanillekipferl … eine Liebe, die verbindet

Afternoon Tea … ein englisches Ritual, das es zu übernehmen gilt

Schneepunsch … wer Angst vor Kalorien hat, gibt lieber noch einen Schuss Rum dazu

Teeanbaugebiete … jede große Reise beginnt mit einem kleinen Schritt (Konfuzius)

Cream Tea… nur mit Scones – Kalorienzählen absolut verboten!

Epilog… weil abwarten und Tee trinken nicht in Liebesdingen gilt (Emilia Schilling)

Glossar

Danksagung

Für meine Oma

*** Assam-Tee *** … eine koffeinhaltige Alternative zu Kaffee

Bis 1823 glaubte man, Tee wachse ausschließlich in China und Japan. Erst damals entdeckte ein schottischer Reisender wild wachsende Teepflanzen in einer Hochebene in Nordindien: die Camellia sinensis var. assamica.

Es war der Beginn des Teeanbaus in Indien.

Heute liegt das weltweit größte Teeanbaugebiet im indischen Bundesstaat Assam, östlich des Himalajas. Der dort produzierte Schwarztee ist besonders aromatisch und stark koffeinhaltig. Assam Second Flush, die zweite Ernte des Jahres, gilt als exquisite Spezialität.

Durch seinen kräftigen Geschmack ist Assam-Tee eine beliebte Grundlage für bekannte Teemischungen wie Ostfriesentee und Earl Grey.

Für Schwarztee werden die Blätter erst bei feuchtwarmer Luft fermentiert und anschließend getrocknet. Bei diesem Verarbeitungsschritt nehmen sie ihre dunkle Farbe an, was dem Schwarztee seinen Namen gibt. In Ostasien heißt er aufgrund seiner rotgoldenen Tassenfarbe Roter Tee.

Für ein optimales Geschmackserlebnis sollte Assam-Tee nicht länger als drei Minuten ziehen, da er sonst bitter wird.

Wer immer König sein mag, Tee ist die Königin!

(Irisches Sprichwort)

Heute ist der achtzehnte November – mein sechsundzwanzigster Geburtstag.

Erstmals seit vier Jahren werde ich ihn nicht mit Kollegen und Freunden in einem Pub verbringen, sondern bei meiner Familie in Wien.

So war es abgemacht.

Damals, vor vier Jahren, als ich nach meinem Studienabschluss nach München ging, um in einem Start-up zu arbeiten. Regiotastic, eine Plattform für den Vertrieb von regionalen Produkten. Ein Jahr später führte mich der Job nach London, und die letzten beiden Jahre habe ich in Dublin das Unternehmen vor Ort aufgebaut.

Meine Eltern glauben bestimmt erst, dass ich zurück bin, wenn ich vor ihnen auf der Türmatte stehe. Schließlich haben sie mir trotz meiner angekündigten Rückreise schon ein Video geschickt, in dem sie mir zum Geburtstag gratulieren.

Irgendwie kann ich es ja selbst noch nicht glauben.

Nun sitze ich im City Airport Train, kurz CAT, vom Flughafen Schwechat nach Wien Mitte, warte auf dessen Abfahrt und sehe mir das Video zum gefühlt hundertsten Mal an. Ohne Ton natürlich, um die anderen Fahrgäste nicht zu stören.

Meine Mutter trägt einen geburtstagstortenförmigen Hut mit bunten Stoffkerzen, der zu unserem Geburtstagsritual gehört, seit ich denken kann. Normalerweise trägt ihn das Geburtstagskind, aber in den letzten Jahren hat sie die Aufgabe für mich übernommen. In dem Video steht sie mit meinem Vater in der Küche und filmt sich und ihn mit dem Handy, während sie Happy Birthday trällern. Genau genommen sehe ich nur Papas Brust mit Kinnansatz und Mamas obere Gesichtshälfte sowie den Hut. Mein Vater ist nämlich eineinhalb Köpfe größer als sie, und Mamas Arme sind zu kurz, um mehr von ihnen beiden aufs Bild zu bekommen.

Ich kann es kaum erwarten, sie in meine Arme zu schließen. In den letzten vier Jahren haben wir uns nur zweimal gesehen. Einmal sind sie mit dem Zug nach München gekommen und ein weiteres Mal nach London. Ebenfalls mit dem Zug. Die Anreise dauerte ewig, und sie mussten ein Dutzend Mal umsteigen. Solche Unannehmlichkeiten nehmen sie aus Rücksicht auf ihren ökologischen Fußabdruck in Kauf. Während meiner Zeit in Irland beschränkten wir uns auf Videotelefonie – die Hinfahrt hätte Tage gedauert.

Ökologischer Fußabdruck hin oder her, statt Ewigkeiten quer durch Europa zu gondeln, habe ich mir ein Flugticket von Dublin nach Wien gegönnt. Schließlich ist heute mein Geburtstag, und der Flug hat nur achtundzwanzig Euro gekostet.

Achtundzwanzig Euro!

Das ist doch pervers!

Natürlich ohne Gepäck, Essen und Trinken. Ich habe mich noch nicht einmal getraut, die Flugzeugtoilette zu benutzen, weil ich nicht sicher war, ob das im Preis enthalten ist.

Ich tippe auf Erneute Wiedergabe und will mir das Video noch einmal anschauen. Es ist ein Vorgeschmack auf meine Rückkehr.

»Ist hier noch frei?«

Ich schrecke hoch und sehe mein Handy in hohem Bogen aus meinen Fingern fliegen. Es prallt an meinem Knie ab und macht noch einen Salto, bevor es zu Boden geht. Als ich automatisch danach greifen will, gebe ich ihm aus Versehen stattdessen einen Tritt und kicke es damit durch den halben Waggon.

Fantastisch!

Der junge Mann, der mich angesprochen hat, beeilt sich, es zurückzubringen. Sein brauner Haarschopf verschwindet drei Reihen vor uns. Ungeachtet der dort sitzenden Fahrgäste. »Darf ich mal?« Kurz darauf taucht er wieder unter dem Sitz auf, mein Handy triumphierend in seiner Hand. »Sorry«, sagt er leise und mit entschuldigendem Lächeln.

»Danke«, murmle ich und blicke auf den Sprung, der sich nun über den unteren Teil des Displays zieht, meine Eltern jedoch nicht davon abhält, fröhlich weiterzusingen.

Scheiße!

Ich stoppe das Video und schiebe das Telefon in meine Manteltasche.

»Auch wenn ich bezweifle, dass es klappt«, sagt der Mann und lässt sich neben mir auf den freien Platz nieder. Etwas umständlich langt er in seine Hosentasche, holt ein schwarzes, abgewetztes Portemonnaie und aus diesem eine Visitenkarte heraus. »Hier ist meine Telefonnummer.«

Irritiert blicke ich auf das Kärtchen, ohne den Namen zu lesen, und wieder zu ihm auf. Ich betrachte ihn genauer. Er hat schmale Wangenknochen und ein glatt rasiertes Kinn, das ihn sehr jung wirken lässt, obwohl er bestimmt in meinem Alter ist. Seine dunklen Augenbrauen betonen die hellbraunen Augen und die gerade Nase. Er hat dichte Haare, die aussehen, als hätte er versucht, sie zu kämmen.

Ist das etwa ein plumper Versuch, um an meine Telefonnummer zu kommen?

»Für die Versicherung«, erklärt er und deutet auf die Manteltasche, in der ich mein Handy verschwinden habe lassen. »Falls du es als Versicherungsschaden abwickeln lassen willst.«

Nicht, dass ich darauf aus gewesen wäre, Männerkontakte zu knüpfen, aber ein Anbandlungsversuch hätte mir doch mehr als diese Erklärung gefallen.

»Ich befürchte, die kennen nicht mal mehr das Handymodell.« Ich bemühe mich um ein Lächeln. Mein Telefon ist schon ein paar Jahre alt, im Vergleich zu aktuellen Smartphones ein Dinosaurier. Ein Wunder, dass der Akku nicht alle drei Stunden schlappmacht. Der Restwert des Handys ist bestimmt so niedrig, dass die Versicherung eine Bearbeitungsgebühr von mir verlangen würde.

Mein Sitznachbar nickt zustimmend.

»Hat aber bislang gut funktioniert«, seufze ich. Nicht, weil ich an diesem alten Ding hänge, sondern weil ich nicht jedes Jahr ein neues Handy kaufen muss, bloß um im Trend zu liegen. Solange meins funktioniert, behalte ich es.

»Vielleicht kann ich dich als Entschädigung auf einen Kaffee einladen«, schlägt er freundlich vor. »Meine Nummer hast du ja jetzt.«

Ich lege den Kopf schief. Er sieht wirklich sympathisch aus, und eine Einladung zum Kaffee würde ich von ihm wohl auch ohne kaputtes Handy annehmen. Dann wahrscheinlich noch eher. »Bloß Kaffee?«

Er überlegt kurz, grinst frech und stockt sein Angebot auf. »Kaffee und Kuchen?«

Ich tue kurz so, als würde ich angestrengt nachdenken, und antworte dann entschlossen: »Das klingt fair.« Süßem kann ich selten widerstehen, und die österreichischen Mehlspeisen vermisse ich seit dem Tag, an dem ich Wien verlassen habe.

Die Türen des Waggons schließen sich, und der CAT fährt los in Richtung Wien. Ich sehe aus dem Fenster und friere trotz meines Wollmantels. Das ist bestimmt die Aufregung, weil ich nicht sicher bin, ob sich alle in meiner Familie über meine Rückkehr so freuen werden wie meine Eltern. Schließlich war für mich nach dem Studium eigentlich anderes vorgesehen. Zudem hat meine Zeit im Ausland länger gedauert als anfangs gedacht.

»Wo kommst du her?« Mein Sitznachbar – dessen Namen ich kennen würde, hätte ich denn einen genaueren Blick auf seine Visitenkarte geworfen – streckt seine Beine aus und sieht neugierig zu mir herüber.

»Dublin.«

»Ganz ohne Gepäck?«

Gut erkannt, denke ich. Ich habe noch nicht einmal eine größere Handtasche dabei, weil ich nicht wusste, ob dafür ein Aufpreis fällig gewesen wäre. »Billigfluglinie«, erkläre ich. »Es war günstiger, meine Sachen als Paket zu schicken.«

»Das ist ein Scherz, oder?«

Ich schüttle den Kopf. Im Vorfeld meiner Rückkehr habe ich großzügig ausgemistet. Was übrig blieb, habe ich in einen gigantischen Karton gepackt und als Paket versendet. Was tatsächlich weniger gekostet hat, als die zwei oder drei Koffer, die ich sonst benötigt hätte, vor dem Flug aufzugeben. Außerdem muss ich so nicht überlegen, wie ich sie vom Flughafen zum Haus meiner Eltern bringe.

Mein Sitznachbar hat immerhin einen kleinen Trolley bei sich. »München«, antwortet er, ohne dass ich gefragt hätte.

»München?« Ich bin ja wirklich nicht so ein Ökofreak wie meine Eltern, aber ist er wirklich von München nach Wien geflogen? Eine Strecke, für die man mit dem Zug wie lange braucht? Vier Stunden? Vielleicht fünf? Die Fahrt zum Flughafen, Einchecken, Wartezeit und dergleichen dauern zusammen bestimmt länger.

»Ich war dort bis vorhin noch auf einem Seminar, und weil ich heute Abend unbedingt zurück sein musste, habe ich zur Sicherheit einen Flug gebucht«, erklärt er. »Wenn ich nicht pünktlich auf der Geburtstagsfeier erscheine, werde ich einen Kopf kürzer gemacht, deshalb war mir die Bahn zu unsicher.« Er grinst, und in mir keimt die Vermutung auf, dass er gerade indirekt von seiner Freundin gesprochen hat. Also doch besser keinen Kaffee und Kuchen. Schade eigentlich.

»Dann lieber auf die Pünktlichkeit der Flüge vertrauen«, sage ich etwas skeptisch. Ob das eine bessere Idee ist? In letzter Zeit gab es immer wieder Streiks, und Verspätungen sind auch bei Flugzeugen an der Tagesordnung. »Hoffentlich hast du das Geschenk nicht vergessen.«

Er schüttelt den Kopf und grinst erneut. »Willst du es sehen?«

Ehe ich antworten kann, holt er eine Schatulle aus der Innentasche seiner Jacke. Zu groß für einen Verlobungsring, denke ich und schüttle den Gedanken sofort wieder ab.

Er klappt die Schatulle auf und präsentiert mir, eingebettet in dunkelblauem Stoff, eine Kette mit einem Anhänger in Form einer Feder. Das Besondere daran ist, dass die Feder halb aus Holz und halb aus einem transparenten türkisen Material besteht. In beide Materialien wurden zart die Konturen der Feder geschnitzt.

»Was ist das?«, frage ich und betrachte den Anhänger neugierig.

»Holz und Kunstharz«, antwortet er. »Habe ich selbst gemacht.«

Interessiert sehe ich ihn an.

Er hat das selbst gemacht?

»Ich bin gelernter Tischler und Holzrestaurator«, erklärt er. Dann klappt er die Box zu und verstaut sie wieder in seiner Jackentasche.

»Wirklich sehr schön. Deine Freundin wird sich bestimmt darüber freuen«, sage ich, auch um auf unauffällige Weise meine Vermutung zu überprüfen.

»Der Anhänger ist für meine Mutter«, antwortet er. »Sie ist die einzige Frau, die mich einen Kopf kürzer machen darf.« Er lacht leise.

Sein Lächeln gefällt mir mit jedem Mal besser.

Kaffee und Kuchen, ich komme!

»Du hast Talent«, sage ich. »Ich kann mir vorstellen, dass sich Anhänger wie dieser gut verkaufen.«

»Das ist nur ein Hobby«, winkt er ab. »Eigentlich habe ich mich gerade als Restaurator selbstständig gemacht.«

Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie die Arbeit eines Restaurators aussieht, glaube ich, dass er bestimmt gut darin ist. So fein säuberlich und genau, wie die Feder gearbeitet ist.

Er streckt mir die Hand entgegen. »Ich bin Niko«, stellt er sich vor.

Also muss ich doch nicht warten, bis sich unsere Wege trennen und ich einen erneuten Blick auf seine Visitenkarte werfen kann.

»Romi.« Ich erwidere seinen Händedruck und kann trotz seines sanften Griffs die raue Haut seiner Finger spüren. Das kommt bestimmt von der Arbeit in der Werkstatt.

»Wie Romy Schneider?«

Die Frage habe ich nicht mehr gehört, seit ich Wien vor vier Jahren verlassen habe. In England und Irland war ich einfach Romi mit englisch ausgesprochenem R. »Fast, mit i«, stelle ich richtig.

»Schöner Name«, sagt er, »passt zu dir.«

Ich lächle ihn an. Schon als Kind mochte ich meinen Spitznamen gern, der eigentlich die Abkürzung von Romina ist.

»Wie lang warst du in Dublin?«, fragt Niko, offenbar ehrlich interessiert.

»Zwei Jahre.«

»So lange?« Er wirkt überrascht. »Und mit dem ersten Schnee heuer kommst du nach Wien zurück?«

»Sieht so aus.«

Schon beim Anflug hat der Pilot erklärt, dass wir nicht nur zehn Minuten früher als geplant landen, sondern auch von winterlichem Wetter empfangen werden. Ob das ein gutes oder schlechtes Omen ist?

Ich erzähle Niko, wie ich vor vier Jahren erst nach München und dann weiter nach London und Dublin gezogen bin. Er erkundigt sich nach dem Start-up, für das ich gearbeitet habe, und ich erkläre ihm, dass Regiotastic eine Plattform ist, die es ihren Nutzern ermöglicht, Produkte von Bauern und kleinen Handwerksbetrieben aus ihrer unmittelbaren Umgebung zu beziehen. Sei es Fleisch, Gemüse, Obst oder handgefertigte Produkte. User sehen auf einen Blick, wie weit entfernt von ihnen ein Artikel hergestellt oder angebaut wurde, und können sich zugleich über den Anbieter informieren. So will Regiotastic regionale Betriebe und Hersteller sowie biologische Waren fördern.

»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, meint Niko und reibt sich übers Kinn.

»Regiotastic gibt es auch in Österreich«, sage ich, als ich feststelle, dass wir bereits Wien Mitte erreichen. Die Zugfahrt ist wie im Flug vergangen.

Lange bevor der Zug im Bahnhof hält, beginnen die Fahrgäste, sich in dem schmalen Gang zwischen den Sitzplätzen Richtung Türen zu drängeln.

»Und du arbeitest weiter in dem Unternehmen?«, fragt Niko, als der Zug steht und auch er sich erhebt.

»Nein, mich erwartet hier eine neue Aufgabe«, antworte ich und folge ihm durch die Sitzreihen hindurch. Eine Aufgabe, die mich schon jetzt nervös macht. Gleichzeitig kann ich es nicht erwarten, einen meiner Kindheitsträume zu verwirklichen. Unseren Kindheitstraum, korrigiere ich mich in Gedanken. Den meiner Schwester und mir.

In der Menschenmenge gefangen bricht unsere Unterhaltung ab, weshalb Niko sich nicht erkundigt, um was für eine neue Aufgabe es sich handelt. Ein Teil von mir hätte es ihm gern erzählt. Allerdings lieber bei Kaffee und Kuchen statt flüchtig beim Aussteigen aus dem CAT.

Auf dem Bahnsteig wendet er sich noch einmal mir zu. »Das war eine nette und sehr kurzweilige Zugfahrt, Romi.« Er zwinkert mir zu.

»Fand ich auch.«

Eine Gruppe italienischer Touristen schiebt ihn von mir weg. Ich sehe noch sein Gesicht zwischen den fremden Köpfen, doch es entfernt sich immer mehr. Es ist fast wie in einem Film.

»Sorry noch mal wegen dem Handy!«, ruft er mir zu. »Melde dich wegen dem Kaffee, okay?«

»Kaffee und Kuchen«, stelle ich grinsend richtig.

Er lächelt und hebt die Hand zum Gruß. Dann dreht er sich um und läuft den Bahnsteig lang, nur um nach zehn, vielleicht fünfzehn Metern eine hübsche Brünette in seine Arme zu schließen.

Dann werde auch ich zur Seite gestoßen und verliere Niko gänzlich aus den Augen.

»Alles Gute zum Geburtstag!«, rufen meine Eltern synchron, als sie die Haustür aufreißen. Als hätten sie seit Stunden im Flur gewartet, nur um durch das kleine Fenster zu sehen und mein Eintreffen nicht zu verpassen. Sie hatten mir angeboten, mich vom Flughafen abzuholen, doch ich wollte ihnen keine Umstände machen.

Ich drücke beide nacheinander an mich und begrüße sie herzlich.

»Schön, dich wieder hier zu haben«, sagt meine Mutter mit Tränen in den Augen.

Ich realisiere, dass wir uns einfach zu lange nicht gesehen haben. All die Videotelefonate können das hier nicht ersetzen.

»Und du bleibst jetzt wirklich endgültig in Wien?«, fragt mein Vater, ohne den Zweifel in seiner Stimme verbergen zu können.

Ehe ich antworten kann, schlägt meine Mama ihm auf die Brust. »Natürlich tut sie das«, zischt sie, als wollte sie ihn davon abhalten, mir Flausen in den Kopf zu setzen. »Sie hat doch all ihre Sachen hergeschickt.« Sie deutet auf den großen Karton in einer Ecke des Flurs. Er nimmt gut ein Drittel von dessen Gesamtfläche ein.

»Das ging ja schnell«, stelle ich verblüfft fest.

»Jetzt komm endlich herein!« Meine Mutter packt meine Hand und zieht mich ins Haus. »Das Wetter ist ja grauslich heute.«

Ich kann gerade noch die Schuhe abstreifen, ehe ich von ihr ins Wohnzimmer bugsiert werde.

Wobei es nicht das Wetter selbst ist, das grauslich ist. Vielmehr, dass der frisch gefallene Schnee schon jetzt als graue Matschsuppe auf den Straßen und Gehsteigen liegt. In der Stadt ist Schnee eben nur selten mit Romantik verbunden.

»Ich hatte schon seit Tagen dieses Gefühl in der Brust, dass du bald heimkommst«, sagt meine Mutter, als wir im Wohnzimmer stehen.

Mein Vater nickt zustimmend.

Meine Eltern, vor allem meine Mutter, spüren alles in ihrer Brust, bevor es passiert. Die Rückkehr der zweiten Tochter – obwohl sie sich seit Monaten für diesen Tag angekündigt hat – ebenso wie das Wetter, schlechte Nachrichten oder die Stromabrechnung, die immer zur selben Zeit im Jahr ins Haus flattert. Meine Mutter nennt das ihren sechsten Sinn. Mit ihm nimmt sie Energiewellen wahr – gute wie schlechte.

Die Energiewelle meiner Ankunft wurde vermutlich durch eine WhatsApp-Nachricht vor zwei Tagen ausgelöst, in der ich ihr meine genaue Ankunftszeit noch mal mitgeteilt und ihr versichert habe, dass sie mich nicht vom Flughafen abholen müssen, da ich ohne Gepäck reise.

»Mach es dir gemütlich«, sagt sie mütterlich, und mir fällt es wahrlich nicht schwer, ihrer Aufforderung nachzukommen.

Ich lasse mich auf das hellgraue Sofa plumpsen, das schon vor vier Jahren hier stand und an den gleichen Ecken abgewetzt war – nur etwas weniger – und auf dessen Sitzfläche heute nicht ein blauweißer, sondern ein gelb-orangener Überwurf liegt. Alles um mich herum sieht aus wie an dem Tag, an dem ich das Haus verlassen habe. Sogar der holzige Geruch von Mamas Räucherstäbchen, der in der Luft hängt, ist der gleiche.

Die Stufen knarren passend zu dem Getrappel, das sich von oben ankündigt und immer lauter wird. Dann taucht Buddy im Wohnzimmer auf. Er wirkt etwas zotteliger, als ich ihn in Erinnerung habe. Freudig bellt er einmal, als wollte er mich begrüßen, dann läuft er mit wedelndem Schwanz auf mich zu und lässt sich aufgeregt den Kopf kraulen. Immer wieder stupst er mich mit seiner feuchten Schnauze an, als müsste er sich vergewissern, dass ich auch wirklich wieder da bin.

»Hey, mein Freund!«, rufe ich und gebe ihm ein paar Luftküsschen. »Ich habe dich doch genauso vermisst.«

»Silvester, mach uns doch bitte eine Kanne Tee.«

»Kommt sofort!«, ruft mein Vater und verschwindet in Richtung Küche. Er war schon immer der Ruhigere von den beiden, was nicht bedeutet, dass er nicht genauso für Energien empfänglich ist wie Mama. Was das betrifft, sind die beiden auf einer Wellenlänge. Früher war er Psychotherapeut mit Schwerpunkt Sexualtherapie und meine Mutter Coach für Persönlichkeitsentwicklung. Vor einigen Jahren haben sie die Berufe aufgegeben und sich zusammen selbstständig gemacht. Seitdem nennen sie sich Energetiker und geben Kurse, die das Seelenwohl der Teilnehmer verbessern sollen. Glücksseminare, Selbstfindungsseminare, Selbstliebeseminare. Man glaubt es kaum, aber das Geschäft brummt, wie Mama mir bei jedem unserer Telefone versichert hat.

Gerade als sie sich auf dem Schaukelstuhl niederlassen will, läutet es an der Haustür. Die Klingel meiner Eltern ist kein nerviges Schnarren, sondern läutet mit harmonisch aufeinander abgestimmten Tönen wie die eines Windspiels. Die Tonfolge ist mir auch nach vier Jahren noch vertraut.

»Da sind sie ja schon!«, ruft Mama. Sie eilt zur Tür und ist kurze Zeit später mit Tante Poldi im Schlepptau zurück.

Tante Poldi ist eigentlich nicht meine, sondern Mamas Tante und heißt mit richtigem Namen Leopoldine. Trotzdem wird sie seit jeher von uns Tante Poldi genannt. Sie hat keine Kinder, obwohl sie schon viermal verheiratet war. Zweimal davon mit demselben Mann. Sie hat sich immer wieder scheiden lassen.

»Männer sind wie Tee: Vorübergehend muss man sie ziehen lassen«, pflegt sie zu sagen. Es ist ein altes, französisches Sprichwort. Ich muss dann immer schmunzeln.

»Romi, Schätzchen, lass dich umarmen.« Meine Großtante stellt die Pappbox, die sie mitgebracht hat, auf den Couchtisch und drückt mich dann fest an ihre Brust. Wie schon als Kind glaube ich auch heute, einen zarten, leicht blumigen Teegeruch an ihr wahrzunehmen. Er löst Erinnerungen in mir aus, die schon viel zu lange nicht mehr hervorgeholt wurden.

Noch während ich mich darüber freue, sie wiederzusehen, höre ich weitere Schritte aus dem Flur. Ich blicke auf und sehe meine Schwester in der Tür stehen. Sie hält kurz inne, ehe sie auf mich zukommt und mich ebenfalls, wenn auch verhaltener, begrüßt.

Etwas an ihr ist anders, denke ich, als ich sie aus der Nähe betrachte. Ich kann nicht erkennen, was es ist. Sie war schon immer sehr schlank, doch ihr Gesicht wirkt noch schmaler als vor vier Jahren. So lange ist es her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Dass sie mich besucht, habe ich nie erwartet. Schließlich stand sie nie hinter meinen Auslandsplänen. Und als ich dann noch um ein Jahr verlängert habe, hat das unserem labilen schwesterlichen Verhältnis wohl den Rest gegeben.

»Hey, Steffi«, sage ich mit einem versöhnlichen Lächeln. »Schön, dich zu sehen.«

»Ich musste mich doch selbst davon überzeugen, dass du zurück bist«, antwortet sie trocken und lässt sich auf den Hocker nieder, auf den Buddy sich immer legt, wenn Mama nicht im Zimmer ist. Jetzt liegt der Hund, ein Mischlingsrüde mit hell- und dunkelbraun geflecktem Fell, vor mir und hat den Kopf auf meine Fußrücken gebettet.

Ich kann Steffi ihre Worte nicht verübeln. Dass sie gehofft hat, ich würde direkt nach meinem Studienabschluss in Tante Poldis Geschäft einsteigen, war nie ein Geheimnis. Als wir jünger waren, hatten wir Pläne und Träume, die immer mit dem Teehaus und uns beiden zu tun hatten.

Schon dass ich überhaupt studiert habe, hat Steffi nicht gefallen, doch sie hat es widerwillig hingenommen. Dass ich aber anschließend nicht mit ihr im Teehaus arbeiten, sondern ins Ausland wollte, war ein herber Schlag für sie.

Die Rückkehr nach Wien ist mir nicht leichtgefallen. Nicht so leicht, wie meinen Auslandsaufenthalt um ein Jahr zu verlängern. Zu einem gewissen Teil auch wegen Steffi. Wegen der Konfrontation mit ihr, die mir jetzt bevorsteht. Und der ich nicht entkommen kann.

Aber nun war es an der Zeit. Zuletzt wurde mein Heimweh immer größer. Ebenso wie das Gefühl, dass meine Zukunft in Wien liegt. Das dachte ich schon immer, aber ich wusste nicht, wann diese Zukunft beginnen sollte.

Offenbar hat Steffi nicht geglaubt, dass ich wirklich heimkehre.

»Ich hab doch gesagt, dass ich komme«, sage ich leicht gekränkt, will die Stimmung aber nicht kippen lassen. Noch herrscht im Wohnzimmer eine positive Energie, würde unsere Mutter sagen.

»Ja, und das Gefühl in meiner Brust hat mich wieder einmal nicht getäuscht«, wirft diese passend zu meinen Gedanken ein. Zufrieden lächelt sie erst mich, dann Steffi an.

Tante Poldi öffnet ihre mitgebrachte Box und präsentiert einen selbst gebackenen Christstollen, der perfekt zu dem Tee passt, den mein Vater gerade mit kleinen Tellern auf einem Tablett hereinbringt. Sofort breitet sich der Duft der Gewürzmischung im Raum aus. Es riecht nach Orange, Zimt und noch etwas, das mir vertraut vorkommt, aber dessen Name mir nicht sofort einfällt.

Meine Großtante schenkt den Tee ein, während Mama den Stollen in Stücke schneidet und jedem eines davon auf einem Tellerchen reicht. »Ist das meine Wintertraummischung?«, fragt Tante Poldi mit einem Lächeln, das verrät, dass sie es natürlich weiß.

»Gut erkannt!« Mein Vater beißt genüsslich von dem Stollen ab, wobei ihm der Staubzucker in den Mundwinkeln kleben bleibt. Er bedeckt den Stollen als dicke weiße Schicht. Genau so, wie es sein soll.

Die Tee- und Kuchenjause, für die es eigentlich schon zu spät am Tag ist, nimmt ihren gewohnten Lauf. Es ist wie bis vor vier Jahren, als wir uns regelmäßig hier getroffen haben. Auch damals haben wir immer aromatischen, zur Jahreszeit passenden Tee getrunken.

Nelken! Der Duft, der mir so vertraut ist, mir aber nicht einfallen wollte.

Jetzt, wo ich an meinem heißen Tee nippe, erkenne ich ihn sofort. Schon als Kind habe ich Nelkenduft geliebt. Mama hat uns im Winter immer Gewürznelken in Orangen stecken lassen, die dann im ganzen Haus verteilt wurden. Das sah nicht nur hübsch aus, sondern verbreitete auch diesen unnachahmlich fruchtig winterlichen Duft.

Sofort fühlt sich dieses Haus wieder wie mein Zuhause an. Als wäre ich nie weg gewesen.

Dann beginne ich von meinen letzten beiden Jahren in Dublin zu erzählen. Das meiste kennt Mama schon von unseren Telefonaten, und weil ich mir sicher bin, dass sie die anderen ausgiebig darüber informiert hat, wähle ich die Kurzform.

Anschließend berichten meine Eltern von einem neuen Seminar, das am vergangenen Wochenende begonnen hat und wöchentlich die Teilnehmer in ihre umgebaute Garage lockt. Dort, wo früher die Autos meiner Eltern parkten, ist jetzt ihr großer Seminarraum. Der Paarkurs zur Verstärkung sexueller Energien ist ihr neuestes Angebot, bei dem sie ihre Weisheiten und Erfahrungen an Paare unterschiedlichen Alters weitergeben. Dazu liefern sie Tipps, wie man sich in den Partner hineinversetzen und dessen Lust steigern kann.

Schnell verdränge ich die Vorstellung, dass auch meine Eltern diese Praktiken anwenden, aus meinem Kopf. So locker und leicht kann ich damit nicht umgehen. Vielleicht bin ich prüde, aber ich würde das nur als normale töchterliche Reaktion bezeichnen. Wenigstens in dieser Hinsicht sind Steffi und ich uns ähnlich, wie mir ihr Gesichtsausdruck verrät. Wenn meine Schwester und mich noch etwas verbindet, dann, dass wir nichts von der energetischen Feinfühligkeit unserer Eltern geerbt haben. Weder das Können noch den Glauben an deren Existenz.

Schließlich ist meine Mutter bei den aphrodisierenden Getränken angekommen, die sie für das kommende Seminar vorbereiten will. Sie möchte verschiedene davon auf ihre stimulierende Wirkung testen. Ich hoffe mal, nicht an sich und Papa, zumindest nicht, während ich bei ihnen wohne.

Als die Teekanne und die -tassen leer und die letzten Brösel des Stollens von mir aufgepickt sind, bringen Tante Poldi und ich das Geschirr in die Küche. Etwas abseits der anderen, die sich über das diesjährige Weihnachtsessen unterhalten, wendet sich meine Großtante mir zu.

»Es ist schön, dass du wieder in Wien bist.«

Ich weiß, worauf sie anspielt. Wir haben früher so oft darüber gesprochen. Nie hat sie mich unter Druck gesetzt, aber stets betont, dass ihr Angebot bestehen bleibt. Egal, was passiert.

»Früher oder später wollte ich immer zurück«, sage ich, was auch stimmt. Zwar hätte ich mir gut vorstellen können, meine Zeit im Ausland um ein weiteres Jahr zu verlängern, doch auch das hätte mich nicht von meiner Heimat entfremden können. Es ist nur dieses aufregende Gefühl, wenn man in eine neue Stadt zieht, wissend, dass sich bald das ganze Leben dort abspielen wird. Das Kribbeln, wenn man seine neue Umgebung erkundet, Leute kennenlernt, die Straßen, das Essen, die Atmosphäre.

Sowohl in München als auch in London und Dublin habe ich wunderbare Dinge entdeckt. Keinen Moment und keine Erfahrung möchte ich missen. Der Drang in mir, noch eine weitere Heimat auf Zeit dranzuhängen, war immer groß. Vielleicht in Skandinavien oder Frankreich. Regiotastic erobert sukzessive neue Länder und neue Märkte und braucht dafür erfahrene Mitarbeiter, die die Expansion vor Ort begleiten. Eigentlich hat alles dafür gesprochen, so weiterzumachen wie bisher.

Und dennoch fühlt es sich jetzt richtig an, einen Schlussstrich gezogen zu haben.

»In zwei Monaten werde ich fünfundsechzig«, sagt Tante Poldi und lehnt sich mit ihrer schmalen Hüfte gegen die Küchenanrichte. »Du weißt, was das heißt?«

Ich klappe den Geschirrspüler zu und sehe sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Eine Party?«

Sie lächelt liebevoll. »Ich werde in Pension gehen.«

Mein Mund öffnet sich, ich will etwas sagen, aber mir fallen keine passenden Worte ein. Trotz ihrer Falten an Augen und Mund sieht meine Großtante nicht aus, als hätte sie das Pensionsalter erreicht. Sie wirkt so voller Leben und Energie.

»Ist es schon so weit?«, frage ich und unterdrücke die Verunsicherung, die in meine Stimme kriechen will. Wie konnte die Zeit nur so schnell vergehen?

»Natürlich könnte ich länger arbeiten«, sagt sie, »und ich habe auch nicht vor, meinem Geschäft sofort den Rücken zuzukehren, aber ich werde kürzertreten.«

Die Vorstellung will nicht in meinen Kopf. Ihr Teehaus ist mit so vielen meiner Erinnerungen verbunden, und sie ist wichtiger Bestandteil jeder einzelnen. Das Bild von Tee Händler ohne meine Großtante hinter der Theke ist vergleichbar mit dem des Geschäfts ohne die großen, metallenen Büchsen, in denen die Teesorten aufbewahrt werden. Ohne die wuchtige Teewaage, deren Nadel sofort ausschlägt, wenn man nur ein Gramm Teeblätter darauflegt. Ohne den Duft, der einem schon an der Ladentür begrüßt.

»Ich habe mein ganzes Leben dem Teehaus gewidmet«, fährt sie fort, »und mal ehrlich, ich werde auch nicht jünger.«

»Aber Tante Poldi, du siehst keinen Tag älter aus als noch vor vier Jahren!« Es ist mein Ernst. Alle anderen haben sich verändert. Ich auch. Doch meine Großtante scheint die Gleiche geblieben zu sein.

Meine Mutter Liliane hat das ein oder andere Kilo zugenommen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Mit ihren knapp eins sechzig sieht man ihr aber auch jedes Deka sofort an. Steffi und ich kommen zum Glück nach unserem Vater und haben dank unserer Größe den Vorteil, dass sich der Christstollen nicht sofort an unseren Hüften bemerkbar macht.

Auch mein Vater hat sich verändert. Das Haar an seinen Schläfen ist weißer geworden und der Ansatz höher gewandert. Zum Glück ist sein liebevoller, väterlicher Blick derselbe geblieben.

Und selbst Steffi sieht anders aus, auch wenn mir immer noch unerklärlich ist, inwiefern. Es ist etwas an ihren Augen, an ihrer Ausstrahlung. Sie sieht fast ein bisschen fremd aus, wenn sie mich anblickt.

»Aber ich bin älter geworden«, beharrt meine Großtante auf ihrer Entscheidung. »Und wenn ich ehrlich bin, freue ich mich auch schon auf die Zeit, die mir bevorsteht. Die Zeit, die ich dann endlich habe.« Ihr Lächeln wirkt kindlich. Als wäre sie eine Fünfjährige, die auf das Christkind wartet. Auf die Geschenke, den geschmückten Baum und die Lichter am Christabend. »Ich will endlich reisen können, ohne währenddessen Tee verkosten oder Plantagen besuchen zu müssen. Ich will einen Boxkampf live sehen und mit einem Luftkissenboot durch die Everglades fahren. Ich will …« Sie holt tief Luft, als müsste sie ihre Gedanken und Wünsche sortieren, um sie auch wirklich alle aufzuzählen.

»Schon gut, schon gut!«, bremse ich sie lachend. »Ich habe schon verstanden. Du hast dir die Pension redlich verdient.« Daran habe ich nie gezweifelt. »Ich dachte nur, es würde dir schwerer fallen, alles hinter dir zu lassen.«

»Es wird bestimmt nicht einfach werden«, versichert sie mir. »Doch ich will mein Geschäft ja nicht irgendjemandem übergeben. Steffi und du, ihr werdet würdige Nachfolgerinnen sein.«

Ich nicke, auch wenn sich mein Lächeln plötzlich nicht mehr so leicht und unbeschwert anfühlt. Das Teehaus ist der Grund, warum ich wieder hier bin. Mal abgesehen von Mamas Anstrengungen, mich zu einer Rückkehr nach Wien zu bewegen, weil sie mich so vermisst hat.

Während ich studiert habe und im Ausland war, hat Steffi bereits bei Tee Händler gearbeitet. Sie hat direkt nach ihrem Schulabschluss damit begonnen. Neun Jahre ist das nun schon her. Sie gehört wie unsere Großtante zu dem Laden.

Und nun soll sie ein Stück zur Seite rücken, um mir etwas Platz in dem Traditionsgeschäft zu machen.

Verständlich, dass sich ihre Begeisterung in Grenzen hält.

Ich starre auf die gräulich-beige Fassade mit den zwei bodentiefen Fenstern und der breiten Eingangstür, die von einer Lichterkette einladend umrahmt wird. Auf dem weinroten Schild über der Tür steht in geschwungener goldener Schrift:

Tee Händler

Teespezialitäten seit 1933 

Nur noch der Matsch auf Gehsteig und Straße erinnert an den gestrigen Schneefall, aber es ist immer noch kalt. Ich umfasse den wiederverwendbaren Kaffeebecher, den ich vor drei Jahren in London gekauft habe, etwas fester. Der heiße doppelte Espresso macchiato vom Starbucks bei der Pestsäule wärmt meine Finger. Die Filiale der amerikanischen Kaffeehauskette hat schon vor Jahren dort eröffnet. Nur wenige Gehminuten liegen zwischen ihrem Standort am Graben und Tee Händler in einer Seitengasse. Ob Tante Poldi dadurch einen Umsatzrückgang bemerkt hat? Oder macht Coffee to go exquisitem Tee keine Konkurrenz?

Am Weg hierher bin ich an einem Straßenmusiker vorbeigekommen, der auf einer Violine irgendetwas Klassisches gespielt hat. Ich habe ihm im Vorbeigehen das Restgeld von meinem Starbucks-Kaffee in den Geigenkoffer geworfen, was er mir mit einer fröhlichen Melodie gedankt hat.

»Excuse me!« Ein Mann in einem langen hellbraunen Wollmantel und mit dunkelrotem Schal schiebt sich an mir vorbei und betritt das Geschäft. Durch die Tür sehe ich meine Tante, die gerade Tee auf der großen Waage abfüllt. Dabei plaudert sie ganz unbefangen mit einer Kundin, die auf der anderen Seite des Verkaufstisches steht.

Es ist Zeit hineinzugehen.

In mir hat sich eine Mischung aus positiver Aufregung, Nostalgie und Neugierde, aber auch Nervosität aufgestaut. Da drinnen liegt meine Zukunft. Eine Zukunft, auf die ich mich schon genauso lange freue, wie ich vor ihr davonlaufe. Mit zweiundzwanzig Jahren war ich noch nicht bereit, mich dieser Herausforderung zu stellen.

Heute schon.

Glaube ich zumindest.

Los jetzt, Romi!, feuere ich mich innerlich an. Sei kein Angsthase!

Ich drücke die Tür auf und lasse mich von der warmen Luft einhüllen, die nach Früchten und Gewürzen riecht. Als kleines Mädchen habe ich diesen Duft geliebt. Wann immer wir durften, fuhren Steffi und ich nach der Schule mit der U-Bahn hierher und schauten Tante Poldi neugierig auf die Finger. Ihr Alltag war für uns ein besonderes Erlebnis.

»Guten Morgen, Romi«, sagt meine Großtante, die gerade ein Papiersäckchen mit einem Klebestreifen verschließt und es der Kundin über die Theke reicht. »Mach es dir drüben bequem. Ich komme gleich.« Sie deutet auf die vier Tischchen an der Seite, an denen Kunden eine Tasse Tee genießen können.

Ich lege meine Tasche und meinen Mantel auf einen der Sessel und setze mich in die Ecke, von der aus ich einen guten Blick über das Geschäft habe. Für einen Atemzug fühlt es sich an wie vor zehn, ja sogar zwanzig Jahren. Bereits als Sechsjährige ließ ich mich gerne von Tante Poldi mit einer Tasse Tee und frischem Gebäck verwöhnen. Steffi mochte schon immer Kräutertees, ich lieber die mit Früchten. Einzig bei der Winterteemischung waren wir uns einig. Hauptsache, sie enthielt viel Zimt, Orange und Gewürznelke.

Manchmal sind wir hinter die Theke geschlichen, haben die Augen geschlossen und uns gegenseitig die großen geöffneten Behälter unter die Nase gehalten, um zu erraten, welche Teesorte sich darin befindet. Ein Spiel, in dem wir mit der Zeit immer besser wurden. Mit etwa acht Jahren habe ich einmal den Inhalt von zwei Dosen vertauscht, weil ich wissen wollte, ob meine Großtante es bemerken würde.

Sie tat es natürlich.

Die Einrichtung hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren kaum verändert. Das dunkle Holz, in dem die Teedosen eingeschlichtet sind, sieht aus wie damals. Vielleicht etwas abgenutzter, doch die Patina passt zu dem traditionellen Wiener Teehaus. Wie das Fischgrätparkett, das mal wieder geölt werden müsste. Es gibt nur wenige Dekorationsgegenstände in dem großen Raum. Tante Poldi fand schon immer, die Teedosen seien Dekoration genug.

Ich kann ihr nur zustimmen.

Auf Abstellflächen wie etwa einem Wandvorsprung stehen nur vereinzelt hübsche Teekannen und asiatische Figuren, die meine Großtante von ihren Reisen mitgebracht hat. Für die Balkenwaage mit goldenen Waagschalen und dunkelblauem Gestell hat sie ein großes Teeregal gewählt. Die kleine Holzschachtel daneben, deren dunkelgrüner Lack abblättert, enthält einen Satz Gewichte. Es sind Erinnerungsstücke an Tante Poldis Großmutter, Gründerin des Teehauses, die damit noch die Blätter gewogen hat. Früher durften Steffi und ich mit dieser Waage spielen, mussten aber vorher versprechen, gut darauf aufzupassen. Für meine Großtante ist sie von besonderem Wert, weshalb der Graf sie leider nur selten für uns vom Regal heruntergenommen hat.

Apropos der Graf. Ob es ihn noch gibt?

Ich beuge mich vor, um einen Blick schräg über die Schulter zu werfen. Durch eine offen stehende Tür hinter der Theke gelangt man in eine Küche, ein Büro und Lagerräume.

Nichts deutet auf die Anwesenheit des Grafen hin. Vielleicht ist er längst in Pension? Schließlich kam er mir schon als Kind sehr alt vor, was wohl vor allem an seiner steifen und überkorrekten Art lag. Er trug diese Sakkos mit Lederflicken an den Ellenbogen – immer. Als Kinder haben wir uns manchmal darüber lustig gemacht, heute verbinde ich damit so viele schöne Momente. Mit einem Kleidungsstück! Ich kann keinen Mann mit Ellenbogenflicken mehr ansehen, ohne an den Grafen zu denken. Wenn er das wüsste.

Ein weiterer Hingucker, der mir schon als Kind besonders gut gefallen hat, ist die alte Teewaage auf dem Tresen, deren lange Nadel das Gewicht anzeigt. Sie ist ziemlich wuchtig, nimmt neben der Kasse viel Platz ein und sticht mit ihrem goldfarbenen Gehäuse jedem beim Betreten des Ladens ins Auge.

Es sind aber auch viele Kleinigkeiten, die sich nicht geändert haben und die mir auffallen. Die Papiersäckchen, in denen Tante Poldi den Tee für die Kunden abpackt. Es sind die gleichen wie damals, mit demselben Schriftzug wie der auf dem Schild außen vor dem Geschäft: Tee Händler – Teespezialitäten seit 1933.

Auf der Theke, in einem Weidenkörbchen angerichtet, bietet meine Großtante mürbes Teegebäck an, das sie von einer lokalen Bäckerei bezieht. Daneben steht ein Glas mit in Zellophan gewickelten Wiener Zuckerl, die in einer kleinen Manufaktur per Hand gezogen und zu Stücken gebrochen werden. Die bunten Bonbons mit den vielfältigen Mustern in der Mitte gibt es in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Obwohl ich seit Jahren keines dieser Zuckerl gegessen habe, kann ich bei ihrem Anblick ihren süßen Geschmack förmlich auf der Zunge spüren.

Es sieht fast so aus, als wäre die Zeit in diesen vier Wänden stehen geblieben. Mir gefällt das. Der Stillstand steht in diesem Fall für Tradition. Für die Ruhe, die im Tee liegt. Während die Welt draußen sich schneller dreht, als unseren Seelen oft guttut, herrscht hier die gleiche besinnliche und gemütliche Atmosphäre wie schon seit vielen Jahren. Vielleicht wie schon seit 1933, als Tante Poldis Großmutter dieses Teefachgeschäft eröffnet hat.

Ich trinke kleine Schlucke von meinem doppelten Espresso macchiato und genieße es, einfach nur hier zu sitzen und mich umzublicken. Der Laden stimmt mich friedlich, zufrieden. Auch wenn ich mit einem weinenden Auge an meine Zeit im Ausland zurückdenke, bin ich doch froh, wieder in Wien zu sein. Ich freue mich auf die Zukunft, die mich hier erwartet.

»Wen sehen meine alten Augen da?«

Die tiefe Stimme kommt von der Eingangstür her. Sie ist mir sofort wieder so vertraut wie als kleines Mädchen, als ich mich vor dem Grafen zwischen den Tischen versteckt habe. Meist mit Teegebäck, das ich von der Anrichte stibitzt hatte.

»Da bin ich wieder.« Grinsend stehe ich auf, gehe dem Grafen entgegen und falle ihm um den Hals.

Der Graf heißt eigentlich Gustav Graf und arbeitet schon länger in dem Teehaus, als ich auf der Welt bin. Aber für mich ist er einfach nur der Graf, weil Steffi mir als kleines Mädchen eingeredet hat, dass er wirklich einer sei.

Ich verrate lieber nicht, wann ich endlich draufgekommen bin, dass er gar kein echter Graf ist.

Gustav Graf ist groß gewachsen und schlank. Jeden Tag trägt er Stoffhosen, Jackett mit Lederflicken und eine runde Brille mit Goldfassung, von denen er damals schon mehrere besaß. Seine Schuhe sind stets auf Hochglanz poliert und sein Kinn glatt rasiert. Wenn Manieren und Etikette eine menschliche Gestalt hätten, dann die des Grafen.

»Freut mich, dass du zurück bist«, sagt er und tätschelt meinen Rücken. Er hat etwas Großväterliches an sich, das ich schon als Kind mochte. Auch wenn er damals sehr streng zu Steffi und mir war, weshalb ich lange Zeit nicht wusste, ob ich ihn mögen oder fürchten sollte. Und weshalb ich ihn immer noch sieze.

»Ich dachte, Sie wären längst in Pension.« Ich lächle, als wäre es ein Scherz, doch ich weiß wirklich nicht, wie alt er ist. Zumindest hätte ich ihn älter als Tante Poldi geschätzt.

»Das dachte ich auch«, antwortet der Graf lachend und knöpft seinen Mantel auf. »Deine Großtante lässt mich einfach nicht gehen.«

»Sie gehören zum Inventar, Herr Graf. Jedenfalls noch ein paar Monate«, ruft Tante Poldi zu uns herüber. Auch sie ist mit ihm per Sie, obwohl die beiden schon damals sehr vertraut miteinander umgingen. Weil der letzte Kunde gerade das Geschäft verlassen hat, kommt meine Großtante hinter der Theke hervor. »Würden Sie dann den Verkauf übernehmen, damit ich Romi mit allem vertraut machen kann?«

»Selbstverständlich.«