Wintergrauen - Gabriele Seewald - E-Book

Wintergrauen E-Book

Gabriele Seewald

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Beschreibung

Ein eiskalter Mörder, Beschreibung laut Zeugenaussagen: der Weihnachtmann! Opfer, Multimillionär Thomas Jake Hamilton. Als Privatdetektiv Julius Norden mitten hinein in die Intrigen der Familie gerät, ihren Feindeskreis durchleuchtet, ahnt er, Santa Kill hat noch mehr im Überraschungen im Sack.

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Seitenzahl: 225

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Ähnliche


Gabriele Seewald

Wintergrauen

Privatdetektiv Julius Norden

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Der Senior

2. Julius

3. George

4. Leonore

5. Nordstraßenteam

6. Liane

7. Im Gästehaus

8. Rieke

9. Im Präsidium

10. Weihnachtsmützen

11. Kordula

12. Weihnachtsmarkt

13. Georges Geheimnis

14. Im Gästehaus

15. Dr. Schatz

16. Die Treppe

17. Hubbel

18. Hinter den Tannen

19. In der Villa

20. Schwenk

21. Gegenüber

22. Das Verhör

23. Der Geigenschüler

24. Auf dem Speicher

25. Oliver

26. Am dunklen Wald

27. Mathilde

28. Hamiltons

29. Miriam

Impressum neobooks

1. Der Senior

Hamilton, du altes Schwein. Dafür wirst du bezahlen! Er hatte schon einige solch widerlicher Drohbriefe erhalten, natürlich anonym. Aber er ahnte stark, vom wem sie stammten, obwohl es eine Reihe von Leuten gab, die Grund genug hatten, ihm die Pest an den Hals zu wünschen. Er hatte die Briefe gesammelt, als rechtliche Handhabe für seine Anwälte, die würden endlich aufräumen damit! Die Beweise waren jetzt vorerst sicher aufgehoben, bei jemandem, dem er zutiefst vertraute, dem einzigen Menschen.„Zum Teufel damit!“, fluchte Hamilton.Er musste sich endlich wieder auf seine Geschäfte konzentrieren. Er strich über sein silbergraues Haar, er trug es stoppelkurz, das machte weniger Aufwand. Bei ihm musste alles schnell gehen, für Firlefanz und Faxen hatte er keine Zeit. Eigentlich hieß er Thomas Jake, aber seine Frau und seine besten Freunde nannten ihn T.J. Für seine Angestellten war er der Hamilton Senior und sein Sohn der Juniorchef.Selbst heute im privaten Büro seiner Villa war er korrekt gekleidet, trug ein Oberhemd und einen Anzug, um keinem Schlendrian Vorschub zu leisten, die Jacke hing akkurat an der Garderobe. Niemals hätte er sich in seinem Trainingsanzug hier hinein gesetzt, um zu arbeiten. Der Fabrikant vertiefte sich in die aktuellen Verkaufszahlen. Wenige Tage vor Weihnachten sprengten sie wie üblich seine Konten. Von wirtschaftlichen Schwierigkeiten spürten die Hamilton-Werke wenig, ihre Weihnachtsartikel liefen ausgezeichnet. Zudem hatten sie neue Märkte erschlossen, zu den USA gesellte sich jetzt auch Japan. Sie konnten dieses Jahr kaum mit der Produktion nachkommen. Sie arbeiteten all die Monate nur für diese wenigen Wochen vor Weihnachten. Im nächsten Jahr wollte sich Hamilton nach neuen Produktionsstätten umsehen, auf dem Plan standen zwei weitere Betriebe in Asien.Wenige Wochen vor seinem fünfzigsten Geburtstag konnte sich der Selfmade Multimillionär dank unentwegter Arbeit und geschickter Verkaufsstrategien die Hände reiben. Wie üblich hatte er seine Marktstände auf den Weihnachtsmärkten in fünf Städten an den teuersten, aber besten Stellen postiert: Hamburg, Nürnberg, München und Berlin. Hier in Düsseldorf hielt seine Frau die Stellung.Seine Frau! Hamilton rümpfte die Nase. Leonore war ein dicker Wermutstropfen in seinem Leben, ebenso wie sein Sohn, der benahm sich für Hamiltons Geschmack neuerdings zu querulantisch. Und seine Tochter, die hatte Hamilton lange nicht gesehen. Aber nach Weihnachten wurde es Zeit, in der Familie für grundlegende Bereinigungen zu sorgen.

Es klingelte plötzlich, ärgerlich sah Hamilton auf. Er erwartete niemanden. Wer mochte bei diesem miesen Regenwetter vor der Tür stehen? Einer von den eifrigen Spendensammlern? Es klingelte zum zweiten Mal, langanhaltend und schrill. Hamilton hasste es, in seiner Arbeit gestört zu werden. Lästiges Volk, dachte er und eilte zur Haustür. Er sparte sich, durch den Spion zu gucken. Dem Störenfried wollte er die Meinung geigen. Das war doch eine Frechheit!Er riss die Tür auf und blickte überrascht auf die Gestalt, die vor ihm stand. Sie trug einen knielangen roten Mantel mit weißem Fellsaum, und Knöpfen wie Schneeflöckchen. Ein silberweißer Bart reichte ihr bis zur Brust. Unter der roten Weihnachtsmütze runzelten sich weiße Watteaugenbrauen über einem strengen Röntgenblick. Der Weihnachtsmann!T.J. Hamilton öffnete den Mund, dann grinste er. „Hohoho!“Aber der Weihnachtsmann schwieg. Mit stechenden Augen musterte er sein Gegenüber.„Gute Verkleidung, um Spenden zu sammeln!“, sagte Hamilton. „Oder wollen Sie mir was schenken? Wo hamm Sie denn Ihren Sack?“Der Weihnachtsmann zog seinen Bart tiefer, bis unter das Kinn, damit Hamilton sein Gesicht erkennen konnte.Hamilton durchzuckte es kurz. „Aber, das ist ...! Warum?“„Warum?“, zischelte der Weihnachtsmann, hasserfüllte Wortfetzen folgten.Blitzschnell glitten seine behandschuhten Finger in die Weiten seines roten Mantels. Und plötzlich schoss die Hand wieder hervor. Der Lauf einer Pistole grinste Hamilton an. Er hob abwehrend die Hände, sein Hirn signalisierte ihm: „Wegrennen!“Aber seine Beine fühlten sich so schwer an wie Zementklötze. Millisekunden tropften zäh dahin.Der Weihnachtsmann lächelte kalt und zielte auf Hamiltons Brust. Zwei Schüsse peitschten durch den Regen.Hamilton griff sich an die Brust. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, fraß sich in sein weißes Oberhemd, schreiend rot, so rot wie die Zipfelmütze des Weihnachtsmannes.

Vor den hell erleuchteten Weihnachtshäuschen am Carsch-Haus herrschte reger Betrieb. Zwischen dicker Winterkleidung, wolligen Mützen und Schals stachen die Uniformierten heraus. Leonore Hamiltons dunkle Augen unter den perfekt gezupften Brauen fixierten die Handvoll Polizisten, die direkt auf sie zukamen. Ein breiter, blonder Mann in Zivil schälte sich aus dem Pulk. Er hielt ihr seinen Dienstausweis unter die Nase.„Kripo Düsseldorf, Hauptkommissar Dieter Schwenk!“Leonore Hamilton öffnete den Mund. Aber der Kommissar sprach direkt weiter. „Mordkommission. Leider müssen wir Ihnen eine traurige Nachricht überbringen. Ihr Ehemann ...“Leonore schnappte hechelnd nach Luft, dann begann sie zu hampeln und haltlos zu schreien. Erst nach zwei Minuten verdrehte sie plötzlich die Augen und sackte zusammen. Ihre Angestellte konnte sie gerade noch auffangen.

2. Julius

„Mord an Düsseldorfer Fabrikant. Der Multimillionär Thomas Jake Hamilton wurde heute nachmittag vor seiner Villa von einem Unbekannten erschossen.“Die sonore Stimme des Nachrichtensprechers drang durch das gemütliche Wohnzimmer bis in die offene Küche. Privatdetektiv Julius Norden deckte gerade den Esstisch, aber als die News an sein Ohr drangen, hielt er inne und sah seine Freundin Miriam Marschalla erstaunt an.Die opulente Bratenplatte in ihren Händen schwankte. „Julius, das ist ja entsetzlich!“Miriam stellte die Platte auf den Esstisch, als wäre sie schwer wie ein Sack Steine. Im gleichen Moment klingelte es an der Tür. Columbo, der schwarze Labrador, sprang von der wallnussbraunen Wildledercouch und stürmte schwanzwedelnd in den Flur.Julius rannte seinem Hund hinterher und drückte auf die Sprechanlage. “N’Abend!“, knirschte es daraus. Die Stimme war unverkennbar.„Ich hab’s befürchtet“, murmelte Julius. „Wo Mord ist, ist er nicht weit.“Kurz darauf hastete Hauptkommissar Dieter Schwenk herein und warf seine Jacke an einen Garderobenhaken. Columbo begrüßte ihn jaulend. Miriam jagte den Labrador zurück ins Wohnzimmer. Aber der Hund entwischte ihr und kroch unter den Esstisch.Schwenk schnupperte in Richtung Küche. „Riecht aber gut. Wie Düsseldorfer Senfrostbraten.“Miriam strich sich ihre schulterlangen dunkelbraunen Locken zurück. „Wir wollten gerade essen.“Julius grinste sarkastisch. „Welch ein Zufall. Gibt es einen Grund für deinen späten Besuch, Dieter? Oder willst du dir bei deiner Verwandtschaft nur den Bauch vollschlagen?“Hauptkommissar Dieter Schwenk setzte einen düsteren Blick auf. „Ich kam heute nicht mal dazu, was zu essen. Dieser Mord lässt mir kaum Zeit für ein dröges Brötchen zwischendurch. Und da ich bei euch was überprüfen muss ...“Julius tat verwundert. „Überprüfen? In meiner Wohnung?“Miriam schüttelte den Kopf. „Hol deinem Cousin einen Teller für sein Abendessen. Er sieht ja ganz ausgehungert aus.“Dieter Schwenk nahm ächzend Platz. Julius stellte ein neues Gedeck auf den Esstisch, ließ ein dünnes Scheibchen Fleisch auf Schwenks Teller gleiten und träufelte ein Kleckschen Soße darauf.„Na, nicht so geizig.“ Schwenk häufte Kartoffeln dazu und schaufelte sich noch zwei Scheiben Fleisch auf seinen Teller. Julius und Miriam aßen schweigend und abwartend.„Mhhhmm“, schmatzte Schwenk und ließ das letzte Stückchen des zarten Bratens auf seiner Zunge zergehen. Miriam ließ ein kleines Stück Fleisch unter den Esstisch gleiten, Columbo schnappte danach.Julius schüttelte seinen dunklen Lockenkopf. „Mirie, du machst meine mühselige Hundeerziehung zunichte.“Schwenk lachte abfällig. „Columbo wird nie ein richtiger Polizeihund. Viel zu verwöhnt.“ Dann wandte er sich an Miriam. „Ausgezeichnet, dein Senfrostbraten.“„Merkst du was, Julius?“, sagte Miriam. „Dein Cousin will uns bestechen.“Schwenk nahm einen Schluck Sprudelwasser. „Gibt’s auch Nachtisch?“Julius holte eine kleine runde Schokoladentorte aus dem Kühlschrank und stellte sie vor Schwenks Nase. „Süßes gibt es aber erst, wenn du ausgepackt hast.“Schwenk schielte auf den Kuchen. „Es wird morgen in den Gazetten mit den fetten Buchstaben stehen. Wahrscheinlich kurbelt es den Verkauf auf dem Weihnachtsmarkt noch an. Neugierige werden sich um den Stand der Witwe scharen und ihr die edlen Handwerksprodukte aus den Händen reißen. Ihr Mann wurde heute Nachmittag erschossen.“Miriam wickelte eine dunkelbraune Locke um ihren Finger. „Habt ihr schon einen Verdacht auf den Mörder?“„Es war der Weihnachtsmann!“, entfuhr es Schwenk.Miriam und Julius kreuzten bedenklich ihre Blicke.Schwenk winkte ab. „Nachbarn haben beobachtet, dass ein Weihnachtsmann bei dem Opfer klingelte. Der Fabrikant öffnete, dann sackte er zusammen. Der Notarzt konnte nichts mehr tun, zwei gezielte Schüsse ins Herz, aus nächster Nähe.“„Und der Weihnachtsmann?“, fragte Miriam.„Ist auf einem Fahrrad davon geradelt. Die Nachbarn, ein älteres Ehepaar, haben den Mord nicht mitgekriegt. Sie sahen nur das zusammen gesunkene Opfer und dachten, der Fabrikant habe einen Herzanfall. Deshalb eilten sie rüber um zu helfen. Der Weihnachtsmann geriet aus ihrem Blickfeld. Sie hatten genug damit zu tun, sich um den blutenden T.J. Hamilton zu kümmern, und den Notarzt anzurufen.“„Wir haben es gerade in den Nachrichten gehört“, murmelte Julius. „Bist du deshalb hier?“Hauptkommissar Dieter Schwenk nickte.Miriam schüttelte den Kopf. „Wir haben Schweigepflicht, was die Klienten unserer Detektei betrifft.“„Ihr seid entbunden!“, sagte Schwenk. „Leonore Hamilton, jetzt Witwe, brach nach unserer Nachricht auf dem Weihnachtsmarkt zusammen. Erst nach der Beruhigungsspritze hat sie sich vollkommen aufgelöst über alles ausgelassen, was in den letzten Monaten auffällig war. Sie will nichts mehr, als den Mörder ihres Mannes. Angeblich!“„Du traust ihr nicht?“, fragte Julius.Schwenk seufzte. „Mein Beruf bringt eine gesunde Skepsis mit sich. Zudem gibt es ein Zeitfenster, Leonore war wie üblich zwei Stunden nicht auf ihrem Marktstand. In dieser Zeit bringt sie die eingenommenen Gelder zur Bank und gönnt sich ein Mittagessen. Wir überprüfen das. Es ist ausgerechnet die Zeit gewesen, in der Hamilton erschossen wurde.“„Und jetzt willst du alles über unseren Hamilton-Auftrag wissen!“, stellte Julius fest.Schwenk zerteilte mit einer Gabel sein Stück Torte. „Vor allen Dingen, wie ihr die beteiligten Personen einschätzt.“Julius seufzte. „Das ist eine lange Geschichte.“„Solange wird der Kuchen wohl reichen“, konterte Schwenk.Julius resümierte. „Es war im Sommer. T.J. Hamilton vermutete Werksspionage in seiner Firma. Wir fanden den Täter. Es war einer seiner Mitarbeiter, ein gewisser Gerd Hubbel. Die Hamilton-Werke kündigten ihm. Hubbel wohnt jetzt in Hamburg.“Schwenk nickte. „Leonore Hamilton hat uns unter Tränen davon berichtet. Sie vermutet er hat es getan, oder einen Killer geschickt. Gerd Hubbel kommt zur Vernehmung nach Düsseldorf. Aber mich interessiert die Familie Hamilton. Ihr Werdegang, die Familienmitglieder, ich will mir ein Bild von ihnen machen.“Julius grübelte. „Thomas Jake Hamilton ist das Kind eines amerikanischen Studenten und einer deutschen Mutter. Nach seinem Studium zogen sie in die USA. Aber nach der Scheidung nahm seine Mutter T.J. mit nach Nürnberg. Später studierte Hamilton BWL und lernte Leonore kennen. Die junge Witwe hatte ihren Mann durch einen Unfall verloren. Da Leonore ihren kleinen Sohn George ernähren musste, arbeitete sie im Handwerksbetrieb ihres Vaters mit. Sie stellten Holzarbeiten her und Weihnachtsartikel. Hamilton heiratete Leonore und adoptierte ihren Sohn George. Sie bekamen eine Tochter, Henrieke. Hamilton baute den Handwerksbetrieb seines Schwiegervaters mit geschickter Spürnase über die Jahrzehnte aus. Seine Kontakte in die USA nutzte er.“Dieter Schwenk stülpte die Lippen vor. „Das haben wir auch schon herausgefunden. Hamiltons Eltern leben nicht mehr. Und er hatte keine Geschwister. Also erbt keiner in den USA was.“Julius runzelte die Brauen. „Auch die Schwiegereltern gibt es nicht mehr. Sie wohnten früher im Gästehaus neben der Villa. Leonore ist Einzelkind, das Erbe bleibt bei den Hamiltons.“„Das Anwesen ist riesig“, sagte Schwenk. „Die Rosados, das Gärtnerehepaar, kümmert sich um alles. Aber die sind seit einer Woche bei ihrer Tochter in der Toskana in Urlaub.“Julius lehnte sich skeptisch zurück. „Rosalie und Paolo haben bestimmt keinen Grund, ihrem Arbeitgeber zu grollen.“Schwenk wiegte den Kopf. „Also fangen wir bei der Witwe und ihren beiden Kindern an.“Miriam übernahm. „George und Henrieke, von allen Rieke genannt. George studierte BWL, um später in den Betrieb seines Vaters einzusteigen. Seine Schwester ist aufmüpfiger, sie studierte in Sydney und im Moment in Buenos Aires. Rieke interessiert sich nicht für die Hamilton-Werke. Sie hängt in Ökokreisen rum und treibt sich mehr in der Welt herum als an ihrem Studienplatz. Das wusste ihr Vater aber nicht, George hat es uns verraten. Meist hatten wir mit ihm zu tun und seinem Vater. Hamilton Senior war ein typischer Selfmade Man. Er strahlte Autorität aus. Alles musste nach seiner Nase gehen. Leonore lernten wir auch kennen. Rieke bekamen wir nie zu Gesicht, da sie im Ausland ist. Wir agierten in der Firma und in der Villa, da hatte Hamilton sein privates Büro. Also die Villa, die ist geil, aber du warst ja selber drin.“„Die Firma ist liquide?“, fragte Schwenk plötzlich.Julius runzelte die Brauen. „Millionenumsätze. Sie haben sich in all den Jahrzehnten ein Vermögen erwirtschaftet. Wurde was gestohlen?“Schwenk schüttelte den Kopf. „Der Mörder war direkt nach den Schüssen weg. Aber Leonore Hamilton kontrolliert alles durch, auch den Tresor, ihre Pelzmäntel im Kleiderschrank und ihre Schmuckschatullen. George, ihr Sohn, ist noch in Nürnberg.“Miriam erinnerte sich. „In der Düsseldorfer Fabrikation werden die Prototypen entwickelt und hergestellt. Von dort aus gehen die Aufträge in die anderen Werke, auch nach Asien. Dort werden sie zu Billigpreisen gefertigt. Der weltweite Absatz ist unglaublich. Bei den Bilanzen schlackern einem die Ohren.“„Haben die Hamiltons da die Weihnachtsmärkte nötig?“, fragte Schwenk.Miriam lächelte nachsichtig. „Abgesehen von einer gewissen Sentimentalität geht es auf den Märkten um das direkte Schwätzchen mit den Kunden, um ihre Interessen zu erfahren, neue Trends aufzuspüren und bei der Konkurrenz zu spionieren. Man darf die Einnahmen dort nicht unterschätzen. Für jeden Marktstand sind Unmengen an Waren nötig.“Julius klopfte mit den Fingern auf den Tisch. „Dieter, was ist mit der Tatwaffe?“Schwenk verzog die Lippen. „Eine Beretta! Wir schätzen, illegal besorgt.“Columbo schob seinen Kopf auf Julius rechtes Knie und schielte zum Schokoladenkuchen. Julius kraulte sein weiches Fell. „Und die Tatwaffe ist ebenso verschwunden wie der Mörder?“„Ja, vom Täter weit und breit keine Spur. Er hat sich bestimmt irgendwo schnell umgezogen, hinter Büschen, in einer Mauernische, weiß der Geier wo, und dann sein Fahrrad in ein Auto umgeladen. Da es heute nur geplästert hat, sind seine Spuren schnell verwischt, auch wenn sich unsere Spurensucher den Arsch aufreißen.“Miriam seufzte. „Kalendarisch ist erst zwei Tage vor Weihnachten Winteranfang, in knapp zwei Wochen. Aber an der Kälte merkt man, der Winter graut schon. Und wenn es jetzt noch schneit, könnt ihr am Tatort Schnee schaufeln.“„Verdammt!“ Schwenk lud sich ein zweites Stück Torte auf den Teller. „Und ich komme wieder nicht zum Essen.“„White Christmas!“, sagte Miriam und patschte ihm einen dicken Löffel Sahne auf seine Torte.

3. George

George Hamilton hatte die Nachricht vom Tod seines Vaters erst am Abend erhalten. Seine Mutter hatte wie unter Drogen gesprochen. „Ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Ich verbiete dir, bei diesem fürchterlichen Regen und mitten in der Nacht über die Autobahnen zu rasen.“„Aber du kannst jetzt nicht alleine in unserer Villa bleiben, dort wo alles passiert ist!“, hatte George geantwortet. „Und die Rosados sind in Urlaub.“„Keine Sorge!“, hatte Leonore erwidert. „Unsere Villa ist voll mit Kripobeamten. Ich bin sehr gut beschützt. Sie haben mich schon verhört, wegen dem Alibi und so. Aber Doktor Schatz ist gekommen, er hat ihnen weitere Befragungen verboten und mir starke Schlaftabletten mitgebracht. Vor morgen Mittag bin ich nicht ansprechbar. Wenn du in der Frühe losfährst, reicht es.“Danach hatte George eine Mail mit den Neuigkeiten an seine Schwester nach Argentinien geschickt, sie solle sich in den nächsten Flieger werfen. Er war nicht sicher, ob die Mail Rieke erreicht hatte, es kam keine Antwort. Ansonsten gab es nichts zu tun. George saß wie auf glühenden Kohlen. Draußen prasselte der Regen wie im Trommelwirbel gegen die Fenster.Endlich, es war schon weit nach Mitternacht, hörte er den Schlüssel im Schloss. Er hastete zur Tür. Liane schälte sich aus ihrem dicken Lammfellmantel und zog sich die bunte Wollmütze vom Kopf. Ihr langes brünettes Haar glitt über ihre Schultern.Sie strahlte George an, aber als sie sein ernstes Gesicht sah, verfinsterte sich ihre Miene.„Bei dem Wetter hättest du in Paris bleiben sollen“, sagte George.„Die schleschte Wetter begann erst in Metz, isch wollte schnell zu dir zurück.“Er nahm sie in die Arme und sog ihr Parfüm ein, eine Mischung aus Jasmin und Orange.„Es ist etwas Schreckliches passiert.“ George holte tief Luft und berichtete von dem Mord an seinem Vater.Liane riss fassungslos die Augen auf. „Und sie haben diese Täter noch nischt? Wer kann getan haben?“George zuckte mit den Achseln. „Ein Raubüberfall? Morgen werde ich in Düsseldorf mehr erfahren.“„Dann du musst jetzt in die Bett.“George nickte und fügte sich ihren Anordnungen. Sie gingen nach oben zu den Schlafräumen. Seit Jahrzehnten gehörte die Wohnung in Nürnberg den Hamiltons. Das war praktisch, wenn sie regelmäßig die Produktion im Nürnberger Werk überprüften und gerade jetzt, um die Weihnachtsmärkte zu bestücken. George konnte sich kaum noch an die alten 70er Jahre-Tapeten erinnern, zwischen denen seine Großmutter gelebt hatte. Die Gemäuer sahen zahlreiche Renovierungen. Im letzten Jahr hatten sie den Dachboden dazu gekauft. George setzte seine Ideen um, eine Modernisierung über zwei Etagen, mit offener Küche, zwei stylischen Wohninseln und einem großen Büroraum für ihn und seinen Vater. Die neuen drei Schlafzimmer lagen nun auf dem Dachboden.George hatte gegen seinen Vater aufbegehren müssen, der mit Sentimentalität an den alten Räumen seiner längst verstorbenen Mutter hing. Der Senior sträubte sich gegen die massiven Veränderungen, Wände einreissen, neue Böden, aber George setzte sich durch. Wäre es Henriekes Idee gewesen, der Alte hätte seinem Liebling zur Belohnung einen Sportwagen geschenkt. George seufzte, und er musste um jedes bisschen Anerkennung kämpfen. Er verbesserte sich in Gedanken, ... hatte kämpfen müssen. Das war nun für immer vorbei.Er ließ sich auf das weiche Kissen fallen und bemerkte die Bleischwere in seinen Gliedern. Vielleicht hatten ihn die letzten Tage mit den Weihnachtsmärkten so erschöpft und Lianes Anwesenheit, die sie weiß Gott nicht mit philosophischen Gesprächen vergeudeten. Er fühlte ihren nackten Körper neben sich. Er wollte noch etwas mit ihr besprechen, aber ihm fielen direkt die Augen zu.

Er schlief wie ein Stein und wachte erst am Morgen auf. Er richtete sich benommen im Bett auf und betrachtete Lianes nackte Schultern, ihre helle Haut und ihre brünetten Locken, die sich wie Jugendstilornamente um ihr ovales Gesicht schmiegten. Als er sie vor einem halben Jahr kennen lernte, gab sie sich wie eine Mimose. Er hatte schwer und viele Wochen baggern müssen, damit sie ihn erhörte. Aber gerade das hatte ihn gereizt, sie zu erobern.Er blickte durch die halb geöffneten Vorhänge. Hinter der gläsernen Scheibe quälte sich eine fahle Sonne durch den diesigen Morgen, aber der starke Regen hatte endlich nachgelassen. Es nieselte nur noch leicht. George griff nach seinen Boxershorts. Liane räkelte sich schlaftrunken.George hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Liebling. Ich muss jetzt los, meine Mutter braucht mich. Ich melde mich, wenn ich die wichtigsten Dinge erledigt habe.“Liane küsste ihn auf die Lippen. „Vergiss misch bis dahin nischt, Chéri.“„Wie könnte ich dich je vergessen. Du bist das Beste, was mir in der letzten Zeit passiert ist.“„Soll isch disch nach Düsseldorf begleiten, zu deine Maman?“„Oh nein, Liane. Im Moment geht dort sicher alles drunter und drüber. Ich muss erst die Lage sondieren. Später vielleicht.“„Ja“, hauchte sie.George hatte ihr erst nach und nach mehr von seiner Familie erzählt. Liane schien zwar neugierig auf seine Verwandten, aber sie hatten beschlossen, ihre Verbindung noch eine gewisse Zeit vor ihnen geheim zu halten, sie vertrösteten sich auf den geeigneten Moment. Doch für eine Gegenleistung würde George diese Abmachung brechen. Aber er musste seine Worte unverfänglich wählen. George verschwand im Bad.Danach wählte er aus dem Schrank einen konservativen, anthrazitfarbenen Anzug aus. Das machte einen guten Eindruck bei Behörden. Er band sich eine dunkle Krawatte um und schlüpfte in die Anzugjacke. Er blickte aus dem Dachfenster auf die regennassen Straßen Nürnbergs. Am Himmel hingen dunkle schwere Wolken. Es sah nicht nach weiterem Regen aus, eher nach Schnee. Er musste sich beeilen, wenn er nicht über eisglatte Autobahnen rasen wollte.Liane war gerade aufgestanden und machte an der Wand wie jeden Morgen ihre Ballettübungen, sie spreizte die langen Beine zu einer Raute und streckte dann ein Bein hoch bis zu ihrem ausgestreckten Arm. Sie trug nur einen weißen Spitzenslip und ein Satinhemdchen.George lächelte ihr zu und griff nach seinem Aktenkoffer. Etwas musste er noch loswerden. Oder eher prüfen, an ihr.„Ich muss losfahren. Meine Schwester Henrieke würde jetzt an die Seite meiner Mutter gehören, aber die treibt sich noch in der Weltgeschichte herum. Ich hoffe, Rieke trudelt bald zuhause ein. Mutter geht es sehr schlecht, die Beerdigung ist zu regeln und weitere Angelegenheiten.“Liane runzelte besorgt die Stirn. „Es tut mir so leid wegen deine Papa.“„Ein Kommissar will mich sprechen, sicher wegen des Alibis.“„Oh?“, machte Liane verdutzt. „Es war doch gestern an die Nachmittag, als deine arme Vater ...“ Sie stoppte abrupt und senkte den Kopf.George raufte sich seine akkurate Frisur. „Ja verdammt! Ich wollte gestern zwar kurz ins Werk fahren, bin aber über den Bilanzen plötzlich für einige Stunden eingenickt. Da siehst du, wie mich unsere gemeinsamen wundervollen Nächte erschöpft haben. Nachher war es zu spät, um ins Werk zu fahren. Und dann rief meine Mutter an. Sie hat mich aus dem Schlaf geklingelt. Nachher verdächtigt mich die Kripo noch!“Liane war schnell bei ihm und fuhr ihm durch sein dichtes dunkles Haar. „Oh, meine arme Chéri, es ist so schrecklisch. Wenn isch dir kann helfen, isch tue alles für disch.“„Wenn du gestern nur bei mir gewesen wärst, als Zeugin.“„Aber niemand weiß, dass isch war in Paris zu die fünfte Jahrestag von meine Maman, an ihre Grab.“„Ich hätte dich ja gerne begleitet, aber die Arbeit ...“„Schon gut, George. In die Trauer isch war lieber allein.“„Und du hast niemanden in Paris getroffen?“„Isch wollte zu die alte Nachbarin, aber ihre Klingelschild ist ausgetauscht. Isch bald finde ihre neue Adresse heraus.“George nickte geflissentlich. „Dann könntest du gestern ja genauso gut hier bei mir gewesen sein.“„Ja!“, sagte Liane plötzlich vehement. „Isch war gestern bei dir in Nürnberg, nischt in Paris. Ruf misch an, wenn du misch brauchst.“George schob ihr einen Spaghettiträger von den Schultern und küsste ihren Brustansatz. „Wenn das Schlimmste hinter uns ist, und die Weihnachtsgeschäfte erledigt sind, dann fahren wir in Urlaub. Nur du und ich. Wie wäre es mit den Bahamas?“Liane lächelte. „Wohin du willst. Mit dir, isch schlafen in ein Höhle.“Er küsste sie zum letzten Mal. „Ich liebe deinen süßen Akzent.“in seinem silbernen BMW warf George einen Blick in den Rückspiegel. Ein verschlagen grinsendes Gesicht blickte ihm entgegen. Er musste Liane schmoren lassen, bevor er sie nach Düsseldorf bat. Sie würde kommen und ihm jeden Wunsch erfüllen. Mit ihrer Hilfe konnte ihm die Kripo nichts anhaben.

4. Leonore

Einige Stunden später erreichte George Hamilton Düsseldorf. Der noble Stadtteil Wittlaer lag im Norden direkt am Rhein. Als George in der ruhigen Villenstraße ankam, starrte er verblüfft auf sein Elternhaus.Durch den Vordereingang konnte er nicht, dort suchten eifrige Kriminalbeamte nach Spuren. Stirnrunzelnd entdeckte George am Ende der Villenstraße einen Wagen mit Kameras. Die Journalistenmeute hatte sich schon gierig über den Mordfall hergemacht. Auch wenn sich die Hamiltons immer in der Öffentlichkeit im Hintergrund gehalten hatten, nie mit ihrem Reichtum geprotzt oder exzentrisch gelebt hatten, jetzt waren sie direkt im Blitzlicht.George parkte seinen BMW etwas abseits vom Haupteingang. Gerade als er ausstieg, begann es zu schneien. Er hatte auf der Autobahn Glück gehabt mit dem Wetter.Er hörte die Kripobeamten fluchen. „Sauerei! Der blöde Schnee verdeckt jetzt auch noch die letzten Spuren.“George hastete durch den Gärtnereingang. Leonore winkte ihm aus dem Küchenfenster des Gästehauses zu. Er schloss auf.Leonore kam ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. „Oh George, ich bin freiwillig umgezogen. Die Turbulenzen in unserer Villa waren mir zuviel. Die Kripo hätte mich sowieso bald rausgeschmissen. Ich bin denen nur im Weg.“George nahm seine Mutter in die Arme. „Wie geht es dir?“Leonore schniefte etwas. „Doktor Schatz hat mir sehr starke Beruhigungsmittel gegeben. Anders ist es kaum zu ertragen.“„Ich hoffe, die Kripo hat dich beim Verhör nicht zu sehr gequält.“„Sie waren sehr rücksichtsvoll. Andererseits, die Beamten wollen ja weiterkommen.“„Zu dumm, dass ich in Nürnberg war.“„Dein Vater hat dich selber hingeschickt. Es war sozusagen sein letzter Auftrag für dich. Aber nun bist du da. Die Kriminalbeamten werden auch dich befragen. Ich habe vor Aufregung ganz vergessen, mit dir darüber zu sprechen. Sie haben jede Minute von mir überprüft, die Bankangestellten konnten sich erinnern, als ich die Markteinnahmen einzahlte und der Kellner im spanischen Restaurant in der Schneider-Wibbel-Gasse. Ausgerechnet, als es geschah, da habe ich mir Austern schmecken lassen.“ Ein paar Tränen rollten aus ihren Augen.George wischte sie mit seinem Handrücken weg. „Das konntest du doch nicht wissen.“„Ich habe gestern mehrmals im Werk in Nürnberg angerufen, um dir von dem schrecklichen Ereignis zu berichten. Aber du warst nicht da, auch nicht an deinem Handy. Erst am Abend warst du zu erreichen. Das hat mich beunruhigt.“George kniff die Augen zusammen. „Was meinst du?“„Die Kripo braucht nicht zu wissen, dass Nürnberg eine Strafexpedition für dich war. Und nichts von dem bösen Streit mit deinem Vater, weil du ein ganz neues Geschäftskonzept aufziehen willst. Ich habe nichts darüber gesagt.“„Aber die Knuse war dabei“, grübelte George. „Sie hat gehört, wie Vater mir drohte, mich zu enterben. Dabei bin ich als Adoptivkind genauso erbberechtigt wie Rieke.“„Kordula Knuse ist auf dem Christkindlesmarkt in Nürnberg!“, sagte Leonore. „Die Kripo will am Montag mit der Befragung in unserem Werk hier in Düsseldorf beginnen. Das dauert, bis sie zur Knuse kommen. Aber dich werden sie fragen, wo du zur Tatzeit warst. Zu dumm, dass du nicht im Werk warst, dann könnten es alle Mitarbeiter bezeugen. Der Kommissar ist sehr energisch und könnte auf komische Gedanken kommen.“Georges Stirnadern traten leicht hervor. „Ich war in unserer Nürnberger Wohnung! Wenn ich gewusst hätte, dass ich ein Alibi mit Massenauflauf brauche, hätte ich mich nackt auf den Christkindlesmarkt gestellt und die Presse eingeladen.“Leonore tätschelte sich mit den Fingerspitzen die Stirn. „Hat dich ein Nachbar gesehen? Oder der Postbote?“„Ich war nicht alleine, Mutter.“Leonore öffnete erstaunt die Lippen. „Etwa eine Frau?“„Ja Mutter! Ich gehe auf die Dreißig zu. Da kommt so was schon mal vor.“Leonore suchte nach den richtigen Worten. „Und sie kann dir, ähm, aushelfen?“George seufzte schwer. „Aushelfen? Sie wird meine Zeugin sein. Sie war die letzten Nächte bei mir und tagsüber in der Wohnung, um für ihre Prüfungen zu lernen.“„Und gestern?“George wich aus, Leonore bemerkte seine Unsicherheit. „George, kannst du sie überreden? Wo steckt sie jetzt?“„Sie ist noch in unserer Nürnberger Wohnung.“, erwiderte George.„Eine fremde Person?“„Ich kenne sie seit einigen Monaten, sie ist bezaubernd.“„Liebt sie dich?“