Wir Kinder des Wassermanns - E.R. CARMIN - E-Book

Wir Kinder des Wassermanns E-Book

E.R. CARMIN

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Beschreibung

Zwischen zwei Zeitaltern spielend, wird dieser Roman zum Spiegelbild einer aufregenden Zeit. Vor unseren Augen dämmert der Frühling des Wassermanns herauf. Es werden die Menschen lebendig, die auf den Straßen der Hoffnung gegen die schlagstockwetzenden Trommler von Apokalypse now anmarschieren. Menschen wie Ray Salomon, der britische Rockstar, der Messias der verträumten Hoffnungen, der im heiligen Hain von Bomazo erschossen wird. Wie der junge deutsche Dichter Richard Brandtenburg, den eine unstillbare Gier nach Selbsterfahrung durch das Leben treibt. Bis er daraufkommt, dass er bei seiner Geburt in einer Schweizer Klinik mit Ray vertauscht wurde.

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Seitenzahl: 743

Veröffentlichungsjahr: 2020

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star-spangled banner

for ever:

no more waiting

no more talking

no more giving up the game,

no more betraying the way,

no disowning the man...

now we are here for ever:

to strike for the dreams,

to fight the battle in hearts,

to work out the miracles,

to conquer the fun,

fucking with mind,

fucking with the mind...

Weitere Titel des Autors:

Fünf Minuten vor Orwell

Blackout

Guru Hitler

Das Schwarze Reich

Einbandentwurf unter Verwendung des Bildes „nunc & in hora“ von Nikolaus Friedwagner

Es gibt diese Zukunft. Was heute, morgen, oder auch immer geschehen mag. Vielleicht werden noch Generationen ihre Toten mit sinnlosen Worten begraben. Vielleicht werden draußen alle Geheimnisse austrocknen. Die Zeit ist wie ein Blatt Papier. Irgendwann werden sie alle in ihrem Inneren nicht mehr sterben.

Vielleicht die Kinder dieser Kinder...... auf dem bunten, frischen Rasen kosmischer Spielplätze werden sie spielen. Und sie werden sich alle ins Gesicht sehen können. Ohne Angst. Ohne Hass werden sie sagen können: Ich bin. Ich bin.

Irgendwann.

Denn Visionen sterben nicht.

Jede Sehnsucht hat ihr Ziel.

Es ist Frühling...

Der Frühling des Wassermanns…

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapi

1.

Es ist ein Morgen, der einem jener japanischen Farbdrucke gleicht. Diese sanften Farben: Rosige Wolkenfetzen am Himmel über dem Heiligen Hain, rosiger Dunst über den Pfaden zu den kauernden Sphinxen, diese dichte, rosige Durchsichtigkeit über dem Pfad zum Kopf des Menschenfressers hinauf, den man durch das Gebüsch grinsen sieht. Die Figuren scheinen an diesem Morgen aus ihrem schmarotzenden Steintraum erwacht zu sein, rechtzeitig zum Veitstanz der Gottmörder...

Zweiunddreißigste Szene......Achtung! Film läuft....zweiunddreißigste Szene das fünfte Mal.....Klappe....Ton ab.....zum fünften Mal verschwindet der Sänger nach seiner Ermordung im gefräßig aufgerissenen Rachen des Ungeheuers, verschwindet im Dunkel zwischen den riesigen steinernen Eckzähnen.

"Großartig!" ruft Rogan begeistert. "Genau das war es!"

"Ja! Sehr eindrucksvoll!"

Lambardini, der neben Rogan und Lubricky hinter der Kamera steht, reibt sich die Hände.

"Was meinst du, Richard? Eigentlich sollte man mit dieser Szene Schluss machen. Aber..."

Richard steht bewegungslos und starrt mit zusammengekniffenen Augen der Sonne entgegen, hinauf zum Rachen des Ungeheuers, aus dem der mit einer weißen Tunika bekleidete Sänger tritt.

"Ja, das sollte man..." sagt Richard wie zu sich selbst.

Und dann scheint die Zeit plötzlich still zu stehen, ein langer Augenblick, der Sprünge bekommt, eine Szene im Zeitraffer: Richard zieht einen Revolver aus seiner Rocktasche und geht auf Ray Salomon zu. Ein seltsamer, undeutbarer Ausdruck ist in seinem Gesicht. Und jetzt geht ihm Ray Salomon entgegen. Er lächelt. Es ist ein mitleidiges Lächeln. Jovis Hand verkrallt sich plötzlich in meine, ich höre ihren schnellen Atem. Und in die Stille hinein die leise Stimme von Ray:

"Hör zu, Bruder! Es hat keinen Sinn, was du da vorhast. Damit verhinderst du nichts. Damit veränderst du nichts. Alles geschieht, weil es so geschehen muss. Und du weißt es. Glaub mir, du tötest damit nur dich selbst. Nicht du Bruder, hörst du..."

Ray scheint keine Angst zu haben. Er lächelt noch immer, und wir alle stehen da, erstarrt wie zu einem steinernen Alptraum.

"Gib mir das Ding!" sagt Ray.

Ich sehe Richards Hand zittern. Sie streckt sich langsam, wie unter einer großen Anstrengung dem Sänger entgegen. Ich sehe, wie Ray Salomon nach dem Revolver greift, und wie sich Richard umwendet, schweigend, und mit einem seltsam erstaunten Ausdruck im Gesicht, ja mit einem Ausdruck erleichterten Staunens geht er an uns vorbei. Wir alle sehen ihm nach, wie er zwischen den Büschen verschwindet, so plötzlich, wie ein Schatten, der sich auflöst im Licht.

Und erst jetzt fällt ein Schuss. Der Sänger taumelt, macht in einer letzten Anstrengung noch zwei, drei Schritte. Dann fällt er zu Boden, in das weiche Moos im Garten von Bomarzo.

Und jetzt schaltet sich der Radiowecker ein und ich wache auf.

...he flies so low...

...he flies so high,

...he flies away

with the astral plane:

the Cosmic-Trigger-Man......

Es ist die Stimme des Sängers. Ich drehe das Radiogerät leiser. Ray Salomon, immer wieder Ray Salomon, wie zum Hohn auf all das, was rundherum geschieht. Immer wieder seine Stimme, seine Lieder. Aber wer hört sie noch? Wer kann sie noch hören? Wo sind sie denn, die ihn verstehen? An diesem kalten Märzmorgen in Paris....

Es sieht nach Regen aus. Ein kaltes, dumpfes Zwielicht drängt durch die tiefhängenden, schmutzig-grauen Wolken, dringt durch das Viereck des Fensters in das Zimmer in Jovis Dachwohnung hoch über dem Pont-Neuf. Und mir ist, als träten wie aus einem jener surrealistischen Gemälde von Magritte alle diese Karnevalsfiguren herein...Bilder, scheinbar zusammenhanglos nebeneinander gereiht, wie auf einem Tableau, sie lösen sich auf, durchdringen einander, wechseln einander ab, bewegen sich, stehen still, prallen gegen die letzten rebellierenden Reste meines gesunden Menschenverstandes. Und der Sänger ist gegenwärtiger denn je!

...he flies away...

Er war kein gewöhnlicher Sänger, nicht irgendeiner, nein!

"Magic Ray", wie sie ihn genannt hatten, war der Beste, der Größte, der Perfekteste, der Reichste gewesen, ein Mythos zu seinen Lebzeiten schon. Ray Salomon war der Botschafter einer neuen und anderen Welt. Einer Welt der Märchen für Erwachsene und Kinder, ein Bote aus Irgendwo, der neue Messias der Lost-Generation, der einsamen Kinder des Rock, der resignierenden Pazifisten, der friedensgefährdenden Friedliebenden, er war ein Evangelist der sanften Hoffnungen, der schönen Träume aller Wassermann-Kinder, eine psychedelische Droge, die high machte und Millionen seiner Anhänger Tag für Tag von neuem antörnte. Er war Sankt Harlekin, der Heilige Narr, der singende Zauberer, der Priester der tausendundeinen Wirklichkeiten. Die Rhythmen seiner Musik öffneten andere Universen, seine Lieder waren Reiseführer in die tiefsten und verborgensten Räume des Unterbewusstseins. Oh nein, der Sänger war mehr als ein bobonfarbenes, tangerinrot gespritztes Stromlinienbaby inmitten einer computergesteuerten Scheinwelt aus Lasereffekten...

Er war ein Verführter und ein Verführer zugleich, er war ein Rebell, ja, zuletzt war er wirklich ein Rebell...

Er war...

he flies so low...

he flies so high...

he never can die...

Und man hat ihn ermordet. Man hat ihn einfach niedergeschossen. Mit einem dieser Präzisionsgewehre, mit denen sogenannte Profis zu arbeiten pflegen. Vor meinen Augen! Und jetzt, beinahe zwei Jahre später weiß ich, dass dies alles ist, was ich über den Tod des mythischen Musikers mit einiger Sicherheit sagen kann. Ja selbst dies ist nur eine Seite der Wirklichkeit mit ihren unzähligen Möglichkeiten, vielleicht nicht einmal die halbe Wahrheit. Auf jeden Fall ist die Geschichte des Sängers nur eine Geschichte unter mehreren. Und der Sänger spielt nur eine Rolle von vielen. Wie sein Mörder, der bis heute nicht gefunden wurde. Ich bin sicher, man wird ihn niemals finden.

Ich hatte ein ganzes Buch über den Sänger und dessen Ermordung geschrieben...Asche im Wind. Alles ist anders! Alles muss Stückwerk bleiben, solange ich mit Händen und Füßen festkrallte an den Oberflächen meiner eigenen Wirklichkeit, die mir jene von Geburt an aufoktroierte Software meines Gehirns vorgaukelte.

Oh ja, das weiß ich heute!

"Der Fall Salomon" ist nicht einfach ein Fall wie jeder andere, es gibt nicht diesen "Fall Salomon", er ist nur eine kurze Szene dessen, was sich hinter den äußeren Ereignissen tatsächlich zugetragen hat, sich noch immer, in diesem Augenblick ereignet und in Zukunft ereignen wird. Fälle...Zufälle, absurd zuweilen, unheimlich und zugleich wunderbar manchmal, Zufälle, die keine Zufälle sind: Das Unbekannte, das von irgendwo auf den Schauplatz tritt, an unseren ungeschützten, verwundbaren Seiten, von denen wir nicht wissen wollen.

...pass over the border,

there´s the door,

push it, push forward, push through

the other way round...

everything´s otherwise

in every thing‘s ground...

Alles ist anders...hatte der Sänger gesungen. Ich muss ganz von vorne beginnen. Ich muss mich endlich den Dingen stellen, vorbehaltslos, ohne Vorurteil. Jawohl, ich werde mich endlich den Bildern stellen, die insgeheim schon immer zwischen den Zeilen des alten Manuskripts gelebt hatten, hinter jedem Wort, jedem hilflosen Fragezeichen. Zwischen den vielfach überschmierten Blättern, die in einem Hotelzimmer in Venedig zu Asche zerfallen waren.

Doch: Was ist denn geschehen, was war denn die Wirklichkeit? Die Wahrheit scheint mir nun weiter entfernt denn je, die Wahrheit, die sich in die verschiedensten Gewänder hüllt, die sich verbirgt, die sich verkleidet, die auf ihre Stunde wartet, um sich selbst zu enthüllen: Vielleicht ein sich über die Jahrtausende immer wieder wiederholendes Drama, ein Ritus, der mit dem Tod des Sängers enden muss...

Aber warum? Warum musste der Sänger sterben? Warum musste er tatsächlich sterben, genügte nicht sein Tod im Film?

"Alles ist ein Schauspiel!" hatte Ray einen Tag vor seiner Ermordung zu mir gesagt, "Sind wir nicht alle irgendwie Schauspieler? Wir spielen eine Rolle und wissen es meistens nicht. Stimmt doch, oder?"

Dann hatte er seltsam gelacht.

„Ist es eine Komödie? Ich glaube es ist ein Drama. Ja, wir sind alle Schauspieler in einem kosmischen Drama. Das ist es. Und es bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Rollen so gut wie möglich zu spielen...und darauf zu hoffen, dass wir irgendwann doch einmal die Rolle unseres Lebens bekommen. Eine wirkliche Hauptrolle, nicht wahr?"

Die Möbius Schleife eines sich ewig wiederholenden Theaterstücks?

War es das? Was für ein sinnloses Unterfangen war es gewesen, alle diese Ereignisse in den Ablauf der Zeit pressen zu wollen, das, was an Ursachen und Wirkungen ständig gegenwärtig und zukünftig ist, in die Vergangenheit zu drängen! Den Ablauf der Ereignisse chronologisch, nach den Maßstäben der Logik zu ordnen und beurteilen....

Nichts ist vorbei. Nichts ist vergangen. Alles ist gegenwärtig. Die Vergangenheit ebenso wie die Zukunft! Und die Geschichte geht weiter. Sie hat vielleicht erst angefangen, als sie zu Ende zu sein schien! Was ist dagegen schon die Misere von Schrödingers Katze! Ich will damit sagen: Auch wenn ich mir nie so recht die Mühe gemacht hatte, es auch wirklich zu begreifen, so konnte ich doch seit jeher ohne besondere Anstrengung daran glauben, dass theoretisch die Welt und überhaupt alles ganz anders sein mochte, als sie sich uns vordergründig darstellt. Irgendwie hielt ich stets alles für möglich, alle die vielfältigen Welten der Metaphysiker ebenso wie die der Quantenspringer. Einsteins Jahrhundert war schließlich mein Jahrhundert und Yellow Submarine war einmal so etwas wie eine persönliche Hymne und wenn ich mich recht erinnere, lernte ich als Halbwüchsiger auch die älteren Texte Mick Jaggers auswendig: Please allow me to introduce myself... Und außerdem war ich von Jugend an ein Science-Fiction-Freak und habe eine ausgesprochene Vorliebe für die Gnostiker und Metamathemagier, die jenseits des großen Teiches womöglich von LSD und Silizium-Chips und Weltraumfahrt hervorgebracht wurden. Und wenn mich manchmal jemand nach meinem Glauben fragte, dann pflegte ich zu antworten, ich sei eine Art Taoist, und dies aus dem einen Grund, weil ich das Tao-te-king so hübsch paradox und undurchsichtig fand.

Doch im Allgemeinen war die Welt in Ordnung, der Alltag hielt stand, schwabbelte nicht, wackelte nicht, hatte sein Oben und Unten, seine Morgen und Abende, seine Tage und Nächte.

2.

Seit dem Mord an Ray Salomon ist alles aus den Fugen geraten. Nichts stimmt mehr. Das, was ich selbst bisher zu sein meinte, dieses Etwas aus einer Summe aus Erlerntem und an Erfahrenem, Eingebildetem, Gedachtem, dieses Etwas sträubt sich insgeheim noch immer mit Kraft und ungewollter Wut gegen die Zumutung, zu kapitulieren, sich all jenen Dingen hinzugeben, die keine schmale Grenze in Wirkliches und Unmögliches trennt. Und insgeheim weiß ich: Es gibt kein Zurück mehr, niemals wieder. Nicht seit meinen Erlebnissen in Kairo und Alexandrien auf den Spuren Richards und dieses mysteriösen Sinbucks, vor allem nicht seit jenen denkwürdigen Ereignissen in Venedig.

Es war vor zwei Wochen. Auf dem Rückflug von Kairo legte ich in dieser Stadt eine Zwischenstation ein. Ich weiß nicht warum. Ich wollte es nicht. Ich habe keinerlei rationale Erklärung dafür. Es war ein merkwürdiger Zwang, den ich mir nicht erklären kann. Ich handelte wie in einer Art Trance, wie eine Marionette, irgendetwas, das außerhalb meines eigenen Willens stand, lenkte meine Bewegungen, meine Gedanken.

In dieser seltsamen Stimmung fand ich mich plötzlich auf dem Markusplatz. Fröstelnd schlug ich den Mantelkragen hoch und setzte mich auf den kalten Sockel unter dem Löwen.

Eisige Böen fegten von der Lagune her zwischen die beiden Granitsäulen mit dem Markuslöwen und der Statue des Heiligen Theodor auf der Piazetta, um sich schließlich heulend in den Bögen des Uhrturms zu verlieren. Wie die Geister des Karnevals woben sich graubleiche, sich im Dunst verlierende Nebelschwaden um die alten Fassaden, die stumm und lautlos und unaufhaltsam zerbröckeln, dem Gifthauch ätzender Partikelchen und giftiger Gase ausgesetzt, ein sinkendes Korallenriff zwischen Wirklichkeit und Traum: Bühne und Kulisse eines Karnevals ohne Ende, wie zeitlos, dieser Zeit und den Zeiten entschwunden, um allen Zeiten anzugehören...

Es dauerte einige Zeit, bis ich richtig zu mir kam. Träumte ich?

War ich wach? Warum nur Venedig? Warum kommt man überhaupt nach Venedig? Warum kommt man seit Jahrhunderten in diese Stadt, in deren Kanälen die Geschichte und die Zeit versinkt? Warum nur sind sie alle hierhergekommen, die Adepten der schwarzen Romantik:

Chateaubriand, Gautier, Makart, warum d´Annunzio oder Lord Byron, warum Thomas Mann, Goethe, Nietzsche, die vielen anderen, die Namenlosen, Junge und Alte, Engländer, Deutsche, Franzosen, Amerikaner? Ist es der ewige, zwischen den Fassaden schwebende Tod, der alle an sich zieht, die irgendwann die vergängliche und doch ewige Stadt in sich entdecken? Oder ist es nur das ewige Weib, das hier lockt und lockt, la Biondina in gondoletta? Oder ist es der Traum vom Karneval, die bloße Kulisse des Karnevals...ein Ort, eine Insel in einer Welt der organisierten Entfremdung, wo Gut und Böse aufgehoben sind und das irrationale Spiel der Träume möglich und wirklich sein kann, wo es sich ungehindert entfalten kann wie in den alten Mysterienkulten, zu denen sich immer wieder jene zusammenschlossen, die eins im Geist waren in ihrer Sehnsucht nach dem Anderen?

Darauf weiß ich auch heute keine Antwort. Aber was mich betrifft: Es zog mich, zwang mich dorthin, wie es schon einmal das Geschehen angezogen hatte wie ein Magnet, weil da ein Mittelpunkt war, eines der Gravitationszentren, noch immer…

Die Erinnerung an die vergangenen Tage war nur dumpf. Ich schien ziel-und planlos durch die Stadt gegangen zu sein. War ich auch auf der Insel? Auf Torcello? Ja, mir schien es so. Und dann war da ein Hotel, in welchem ich offenbar wohnte, der Name einer Straße....

Die Nebel wurden dichter, kaum war das andere Ende der Piazetta zu sehen, und die Mauern ohne Konturen. Und da war dieses Schweigen, bei Gott, ich kannte es schon, dieses andere metaphysische Schweigen der steinernen Mauern gegenüber.....Schweigen, das alles erstickt, allen Lärm, alle Worte, Schweigen, das dadurch entsteht, das die Wörter zerdrückt sind, und die Gedanken....die Erinnerungen, zermalmt durch den Stein, der lebt, schweigend spricht...

Auch hier: Ja, ein steinernes Geheimnis, ein Mysterium, wie die von der Zeit zerfressenen, bleckenden, grinsenden, lachenden und lockenden Monster im Heiligen Hain von Bomarzo: Versteinerte Wirklichkeit, die erst im Regen lebendig wird, im Nebel, der aus einer anderen Welt herüberzuwehen scheint und der die Lebenden miteinbezieht in die wolkenleckenden Figurationen von Kampf, Wollust und Tod und in die Faszination von Erotik und Grausamkeit.....wie dort im Süden, in diesem Garten, wo die Geschichte mit einem scharfen, trockenen Knall endete. Oder begann. Und während ich da saß auf dem kalten Sockel unter dem Markuslöwen, schweigend gegen die Steine starrte, schweigende Götter und Dämonen aus dem Stein heraustraten, Erinnerungen, wie durch alle Steine der Erde hindurchgewandert, zusammenhanglos und trotzdem in einer Beziehung, deren Sinn ich nicht begriff und nicht zu deuten vermochte, hörte ich plötzlich ganz deutlich die Trommel.

Nein, es war keine bloße Illusion, dessen war und bin ich mir noch immer sicher. Es war der Klang der Trommel, die Salomons Schlagzeuger mit so unglaublicher Geschicklichkeit zu schlagen verstanden hatte, dieser mental unfassbare, magische Rhythmus des Shango-Kultes: Ein Sechsachteltakt, in sich überlagernde Zweier-und Dreiereinheiten unterteilt, mit diesem ganz bestimmten Synkopenschlag, der im Unterbewusstseins weiterdröhnt, im lebenden Wasser jeder einzelnen Zelle vibrierende Kreise zieht, die Seele mit Feuer berührt.

Ein Schatten bewegte sich vor mir, an der Mauer gegenüber. Der Nebel ließ die Umrisse kaum erahnen. Ich musste mich anstrengen, um zu erkennen, dass es ein junger Mann war, der eine Gitarre trug. Er blieb stehen, packte sein Instrument aus und setzte sich auf die Straße. Einer der Straßensänger, dachte ich. Er muss verrückt sein, bei diesem Wetter, wo niemand da ist, um ihn zu hören und ihm ein paar schäbige Lire vor die Füße zu werfen.

Dann begann er zu spielen und zu singen. Und noch immer war der Klang der Trommel zu hören..........Die Töne im Nebel, die Worte:

...the Dragon husk busts

...on the endless way to nowhere...

Die Hülle des Drachen zerspringt auf dem endlosen Weg nach Nirgendwo....irgendwo zwischen den Sternen erschafft er sein Selbst...

...giving birth to the child

of the man‘s real life....

Das Lied vom Drachen. Einer der größten Hits Ray Salomons. Und es war seine Stimme, es war die Trommel.....und es war keine Stimme aus irgendeinem Radio, es war nicht Rays Stimme, wiedergegeben von einem Tonband oder einer noch so klangsauberen goldenen Disk.......es war Ray Salomon, wie ich ihn oft genug hatte singen hören, ohne jede Elektronik, nur er konnte so singen, nur er, und nur Babkas Bruder konnte die Trommel auf diese Weise schlagen.

...wacht auf und träumt,

die Wahrheit,

die man Lüge nennt,

von Gott, den man

als Teufel kennt,

er ist da! er ist da!

Der Harlekin, der Narr...

Entgeistert starrte ich durch den Nebel, hörte Ray Salomon singen, unfähig, zu denken, mich zu bewegen. Halluzinationen? Fieberwahn? Wirklichkeit und Traum. Oh! Ich hatte in den letzten Wochen genug erlebt, um wenigstens zu ahnen, dass das Unwirkliche in vielfacher Beziehung wirklicher ist als all diese sogenannte Realität, als alle diese Illusionen, die der Erleichterung unserer prüden Existenz dienen! Aber wie es trotzdem glauben? Woran sich halten? wie die Hülle sprengen?

coming from time,

coming from here...

crossing some years, so many years...

passing a century,

passing lost time,

passing the fishes

with aquarian‘s

star-spangled banner

for ever:

no more waiting

no more talking

no more giving up the game,

no more betraying the way,

no disowning the man...

now we are here for ever:

to strike for the dreams,

to fight the battle in hearts,

to work out the miracles,

to conquer the fun,

fucking with mind,

fucking with the mind...

Ich musste es wissen! Ich stand auf und ging auf den Sänger zu. Doch schon nach zwei oder drei Schritten war alles vorbei. Das Schweigen war zerbrochen. Der Spuk zu Ende. Kein Lied. Kein Sänger. Niemand! Die übliche Geräuschkulisse einer Stadt. Ein Motorschiff tuckerte aus dem Canal Grande vorbei an der Dogana di Mare und nahm Kurs auf die Isola S. Giorgio. Für einen kurzen Augenblick riss die Wolkendecke auf und ließ ein paar Sonnenstrahlen durch den Nebel. Eine weiße Taube flatterte über mich hinweg und beschiss im Flug meinen Mantel, ehe sie sich gurrend wenige Meter vor mir niederließ und mich mit schwarzen Knopfaugen beäugte, spöttisch, wie mir schien.

"Verdammtes Mistvieh!" sagte ich, zerdrückte die leere Zigarettenschachtel und warf sie nach der Taube, aber sie blieb sitzen, als wäre nichts geschehen.

Eine weiße Taube....War dies wieder einer dieser Zufälle? In Kairo schnitt Vana, die große Magierin der Gülhani-Sekte, dreimal wöchentlich bei der großen Teufelsaustreibung einer weißen Taube den Kopf ab, um schließlich ihre in Ekstase gefallenen Anhänger mit dem Taubenblut zu bespritzen...

Vana...Die große Magierin. Eine von ihnen...Oh Gott! Und ich bin dabei, durchzudrehen, dachte ich mir, tausende von weißen Tauben mochte es in diesem von Tauben beschissenen Venedig geben! Tausende taubenbeschissene Touristenköpfe, Mäntel....was hatte das mit Vana zu tun, mit Vanas weißen Tauben....

Die Nebelschwaden lösten sich allmählich auf, schwebten wie feine Gazeschleier an den Mauern hoch, die Wolken rissen endgültig auf und gaben einen tiefblauen Himmel frei. Über die Piazetta kam eine Gruppe japanischer Touristen. Fremde Stimmen. Gelächter. Die Tauben starrten mich noch immer an und ich stand noch immer an derselben Stelle, wie lange schon?

Unschlüssig nahm ich wieder unter dem Markuslöwen Platz und versuchte, mir über meine Situation klar zu werden, versuchte zu deuten, was vorgefallen war. War ich am Ende doch bloß verrückt? Nein, nein, ich hatte gehört, was ich gehört und gesehen hatte, also hatte es etwas zu bedeuten. Was wollten sie mir sagen? Welche Lektion war es diesmal?

Ich weiß nicht, ob das die Antwort auf diese Frage war, aber mit einem Mal wusste ich eines ganz sicher: Ich selbst war längst nicht mehr bloß Zuschauer, sondern Beteiligter, war es von allem Anfang an. Ich stehe in ihrem Bannkreis, ob ich das will oder nicht, und nichts könnte mich daraus befreien. Ich gehörte selbst zu ihnen, durch irgendeinen Zufall angehaucht von diesem Anderswo, von dieser anderen Welt, in der alles eine andere Bedeutung hatte, in der Mächte wirkten, die Zeit, Raum, Atombomben, Hungersnot, Liebe, Hass längst überwunden hatten. Und es war nicht nur Jovi, die mich von allem Anfang an angezogen hatte, die mich wie ein Magnet hinüberzog auf diese andere Seite. Vom ersten Tag an war mir meine Rolle in diesem Schaustück zugeteilt. Ich hatte dies schon immer gewusst. Ich wollte es nur nicht glauben. Ich habe mich dagegen gewehrt. Das Spiel geht immer weiter. Wanderzirkus durch die Zeit. Commedia del arte. Stehgreiftheater. Bloß weiß ich noch nicht, was ich spielen soll!

Aber wer fragt mich? Wer hat mich je gefragt, ob ich etwas zu tun haben will mit ihnen allen, mit diesen Kämpfen und Krämpfen, die in einer anderen Dimension toben zwischen all diesen ambiguösen Gestalten und rattenschwänzigen Hexern und diesen hedonistischen Geistkriegern einer kosmischen Evolution. Was war es, das dahintersteckte, hinter diesem Karneval der Dämonen, hinter diesem Narrentanz der alten Götter, die wieder auferstanden sind nach so langer Zeit, nach Ewigkeiten....ja, dachte ich, auch die Teufel feierten ihre Auferstehung, fahren hinab in die Tiefe, um dort zu sitzen, zur linken Hand der zweiten Hälfte Gottes....oder vielleicht ist das endlich ihr Tod, ihr letzter Kampf. Vielleicht, dachte ich, sterben sie endlich gemeinsam, die Götter und die Teufel, Arm in Arm, zu einem letzten Kuss umschlungen.

...to give birth to the child...

Unbewusst griff meine Hand nach dieser Karte in meiner Manteltasche, die ich seit Wochen mit mir herumtrug, um sie immer wieder anzustarren, um ihren Sinn zu ergründen. Es war eine Tarot-Karte, die letzte des großen Geheimnisses, die zweiundzwanzigste: Der Narr. Sie war in dem Buch gelegen, das ich bei Maimon, dem alten jüdisch-koptischen Antiquitätenhändler in Alexandria gefunden hatte, eine französische Originalausgabe der "Histoire de la Philosophie Hermetique" von Nicolas Lenglet du Fresnoy aus dem Jahre 1742. War auch das ein Zufall?

Der Harlekin, der Narr....Die Karte ohne Zahl. Le Mat. Ein Mann - er ist nur von hinten zu sehen, bis auf das Gesicht - geht mit einem Stock in der Hand....wohin? Er scheint mitten im Schritt innezuhalten. Mitten im Narrentanz seines Bewusstseins durch die Stunden, Monate, Jahre. Über der Schulter trägt er am Ende eines knorrigen Stockes einen beutelartigen Sack. Auf dem ausgedörrten, unebenen Boden wachsen einige Pflanzen, fünf insgesamt, zwei grüne, zwei weiße, eine weiß-gelbe. Ein bärtiges Gesicht. Die eigenartige, rot abgesetzte Mütze, von der zwei löffelartige Ohren abstehen........ Ich hatte schon einmal eine andere Karte gesehen, aus dem Spiel der alten spanischen Esoteriker: Da sprossen ihm unter der Narrenkappe zwei Hörner. Der große Pan? Bacchus? Dionysos? Moses? Der Satyr, der Ziegenfüßige mit dem Ziegenschwanz, Sohn des Hermes, über den die Götter des alten Pantheons lachten, warum...?

Bekleidet ist der Narr mit einer gelb gesäumten roten Weste, die in der Taille von einem schmalen, gelben Gürtel gehalten wird, blaue, gelb gesäumte Halbärmel, ein blauer, mit fünf Schellen besetzter Kragen um seinen Hals...

Ray Salomons Farben...Ein ähnliches, wenngleich futuristisch gestyltes Fantasie-Kostüm hatte auch der Sänger bei manchen seiner Auftritte getragen!

Am unteren Ende der Karte stand: Le Mat!

Ist es das Matt des Schachspiels? Oder das altägyptische "mat": Der Tod?

Der alte Kabbalist in Alexandria hatte gesagt, die Karte symbolisiere den Urgrund allen Seins, das Absolute, das Unendliche, das Alles, das Nichts...

Der Narr: Der Vagabund, der scheinbar planlos und ziellos und wunschlos umherziehende Wanderer, frei von allen gesellschaftlichen Fesseln und Zwängen, frei von allen Identifikationen, frei, um sich selbst zu bestimmen, gefürchtet von den Bewusstseinsmanagern der Ecclesia der Macht zwischen Ganges, Vatikan, Kreml und der Hudson-Bay; gefürchtet, verspottet, belächelt, beneidet, gehasst: Der freie Mensch?

Freiheit! Welche Freiheit? Die von weißgärenden Flutwellen verwaschenen Spuren im schmatzenden kalkdurchsetzten Strand von Abukir....... Ich dachte an Alexandrien, an jene Hinterzimmer, in denen es nach jahrhundertealtem Staub roch und nach geheimnisvollen Dingen, wo ich kaffeeschlürfend die vergilbten Bücher durchforstet hatte, auf den Spuren eines Geistes, der sich rund um den Erdball zu entwickeln beginnt:

Der Frühling des Wassermanns....der freie Mensch...verwehte Zeit....Tausende von Jahren lang sorgfältig gehütetes Geheimnis....

Das immer wieder verschwommen und konturlos aus den Untiefen des Unbewussten heraufdrängende Ahnen in Zeiten des Wandels: Der Urgrund aller Revolutionen, der Halleluja-Schrei des an das Kreuz genagelten freien Geistes. Die Spur aus dem Nichts, die Spur, die von den alten Einweihungsriten der Neophyten der altägyptischen Mysterien übriggeblieben ist, die vom Sand vergrabenen Geheimnisse des Hermes Trismegistos, die letzten Spuren der Gnostiker, der Kabbalisten, der Häresiarchen, der ersten Kirchenväter....die dumpfen Bilder, die die Seele zerreißen, die Spur, die sich über die Jahrtausende zieht bis zu den esoterischen Schwärmern unserer Tage, den Sektierern, den Klopfgeisterbeschwörern, den Reisenden durch die eigene innere Unendlichkeit, den wahrhaft Gläubigen, den Meistern in ihren unsichtbaren Tempeln. Bis zu dem wissenden und verwunderten Ahnen des unverdorbenen Kindes. Die Spur in den staunenden Augen, in verwunderten Ohren, die die Narrenschelle noch mit dem Herz klingeln hören.

Der freie Mensch. Der freie Geist...

Als stünde er neben mir, wie damals im Rachen dieses steinernen Ungeheuers von Bomarzo, hörte ich Richard Brandtenburg vor sich hin philosophieren, mit seiner leisen Stimme und diesem zynischen Zug um seinen Mund, in tiefster Verzweiflung, wie ich heute weiß und wovon ich damals nichts ahnte:

"Das ist die wichtigste Karte. Glaub mir. Der großen Weisheit letzter Schluss. Die große Plattitüde! Ja, das ist es. Was für eine grandiose Scheiße: Du musst ganz nach oben, auf den höchsten Gipfel, nur damit du erkennen kannst, dass du im Grunde ein Nichts bist, der Narr, ein Possenreißer. Oder du musst ganz nach unten, in den Orkus, in die Kloake, um ein Stück Gott zu erhaschen. Der gute alte Blake hatte leicht reden, wie? Nur die Straße der Exzesse führt zum Palast der Weisheit! Wie macht man das? Weißt du, wie man das macht? Wie, zum Teufel!"

Zum Teufel mit ihnen allen, dachte ich. Ich fröstelte erneut. Die Sonne schien, aber der eisige Wind vertrieb selbst die Ahnung von etwas Wärme. Saß die weiße Taube noch immer an derselben Stelle, oder war es eine andere, die dort saß und mich anstarrte, den Hals blähte, als wollte sie in spöttisches Gelächter ausbrechen?

Ein Schatten kreuzte sich mit dem meinen vor mir auf dem groben Pflaster. Ich zuckte erschrocken zusammen und blickte auf. Neben mir stand ein junges Mädchen mit einer Reisetasche in der Hand und blickte mir lächelnd und mit unverhohlener Neugier in die Augen. Ein Gesicht von merkwürdig schöner Derbheit, die durch das straff zurückgekämmte und zu einem Pferdeschweif gebundene tiefschwarze Haar noch zusätzlich betont wurde. Aus ihren kohlenschwarzen Augen strahlte eine frische Fröhlichkeit, eine entspannte, weiche, Verzückung, ja, in ihrem Blick lag etwas, das ich kannte auch in anderen Augen, in Jovis Augen, und in denen Manuelas und der anderen. Ich hatte es einmal ein wenig spöttisch das angetörnte Leuchten erotischer Intelligenz genannt, um Jovi zu ärgern, vergeblich; aber es gibt wirklich keine bessere Beschreibung! Was für ein seltsames Gesicht....es kam mir bekannt vor, und doch war ich sicher, es bewusst niemals wahrgenommen zu haben. Sie trug eine hochgeschlossene Windjacke, enganliegende rostbraune Kniehosen und alte, ausgetretene Sportschuhe, und sie hatte für ein Mädchen ungewöhnlich kräftige, muskulöse Waden, sie waren nackt, trotz der Kälte.

Sie stellte die Reisetasche auf den Sockel und setzte sich unbefangen neben mich.

"Warum bist du so erschrocken?" fragte sie auf Englisch.

"Warum? Ich weiß nicht. Kann sein. Erschrickst du nie, wenn jemand plötzlich neben dir steht?"

Sie lachte. " Nein, eigentlich nie. Ich habe gute Nerven. Aber du nicht. Du bist nervös. Wovor hast du Angst?"

"Angst? Hör mal, wie kommst du darauf?"

Erneut lachte sie auf und sah mich - was soll ich dazu sagen - so innig und voller Zuneigung an, dass ich rot zu werden glaubte.

"Ich spüre das. Ich spüre das an deinen Schwingungen. Wir haben dieselbe Frequenz."

"Ach was!"

"Du glaubst es nicht. Aber das macht nichts. Du brauchst keine Angst zu haben. Nimm die Dinge einfach wie sie sind!"

Ich schwieg halb amüsiert und zugleich betroffen über die direkte Art dieses Mädchens. Nimm die Dinge einfach wie sie sind! Das sagen sie alle, das sagen sie so leichthin. Das hatte mir auch Jovi in den Tagen wachsender Spannungen vor meiner Reise nach Ägypten gesagt, vor dieser Reise, die eine Flucht nach vorne gewesen war, eine Flucht vor diesen sanftäugigen Brüdern und Schwestern und ihren Geheimnissen und kleinen Wundern....

"Du suchst ununterbrochen nach Erklärungen. Du sagst, du verstehst mich nicht. Du willst Erklärungen, um dir zu beweisen, dass du irgendetwas durchschaust. Aber es gibt nichts zu erklären und zu durchschauen. Du willst mich und alles analysieren, aber du willst nicht verstehen! hatte Jovi damals gesagt. Und ich hatte beleidigt geantwortet: "Und wo liegt da der Unterschied? Du meinst wohl, ich nehme mich zu wichtig?"

"Ja, du nimmst dich zu wichtig!"

Das hatte gesessen und mein Ego getroffen, das sich gewunden hatte wie ein in die Falle geratenes Tier. Sie hatte ja recht. Ich hatte sie nicht verstehen können, sie alle nicht, verstand sie ja eigentlich noch immer nicht.

...leave up all questions

...take all things lazy!

"Und du?" war ich wütend geworden, " Und du? Du versteckst dich hinter deinen Geheimnissen. Das große Orakel. Du....ihr könntet mir ja ein Stück entgegenkommen. Ihr könntet mir ja sagen, was da gespielt wurde. Was gespielt wird!"

Sie hatte mich schweigend angesehen und ein flüchtiger, dunkler Schimmer von Traurigkeit hatte dabei ihren Blick verdunkelt. Dann hatte sie leise gesagt:

"Warum versuchst du die Dinge nicht einfach so zu nehmen wie sie sind?"

"Der Preis deiner Liebe? Weißt du, was du von mir verlangst?"

"Ja!" hatte sie gesagt.

Und wie so oft waren wir dagestanden, an entgegengesetzten Punkten des Universums und hatten einander hilflos angesehen, unfähig uns einander zu nähern, zwei Liebende, durch Welten voneinander getrennt, durch Welten aus Unverständlichkeiten. Aber nur ich konnte und musste durch die Tür zu den anderen gehen, dessen war ich mir in irgendeiner dunklen Ecke meines Kopfes schon damals bewusst gewesen, denn für die "anderen", für die gibt es niemals mehr ein Zurück. Ich wollte es ja. Aber was nützt denn all dieses Wollen...

...there´s the door...

with a sevenhold seal,

push it, push forward, push through,

the other way round...

everything´s otherwise

in every thing‘s ground....

Und wie so oft war ich beschämt gewesen und verstört. Es war meine Schuld, dass die Kluft größer geworden war, dass sie immer größer zu werden drohte durch meine eifersüchtigen Fragen. Wortlos hatte ich nach ihren Händen gegriffen wie nach einem Strohhalm, wie um mich zu vergewissern, dass sie Wirklichkeit waren. Hände aus Knochen, Fleisch, Sehnen, Adern, Blut.

Aber zu welcher Welt gehörten sie?

Und dieses Mädchen da nun, wie aus dem Nichts gekommen, wie ein venezianischer Karnevalsspuk, mit diesem unseligen, sanften Törn in den Augen, sie war eine von ihnen, dachte ich. Was wollte sie von mir? Was gehen sie meine Angst und meine Nerven an? War das eine Art, jemand Wildfremden anzumachen! Ich spürte, wie Ärger in mir aufstieg, doch ehe ich etwas sagen konnte, meinte sie:

"Du hast keinen Grund, dich über mich zu ärgern. Hast du was zu rauchen?"

Ich kramte in meinen Taschen, bis mir einfiel, dass ich die leere Zigarettenschachtel nach der weißen Taube geworfen hatte.

"Nein, tut mir leid. Ich habe nichts."

"Macht nichts."

"Warum sollte ich mich denn über dich ärgern?"

Sie zuckte mit den Schultern:

"Das weißt du ja selbst."

"Ich wüsste nicht wieso..."

Sie verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen und schwieg.

Dann schwiegen wir eine ganze Weile. Und dieses Schweigen war nicht peinlich, es gab keinen Grund, es zu überbrücken, wie man sagt, wie es mich sonst unsinnigerweise und zu meiner eigenen steten Verärgerung zu tun drängt, wenn die Worte plötzlich fehlen - selbst inmitten des sinnlosesten Geschwätzes. Es war Kommunikation. Ja, da saßen wir in einer Wolke von Kommunikation und schwiegen und wussten alles von uns, wenigstens in diesen Augenblicken. In diesen Minuten wenigstens wusste ich, wer sie war, nicht in dieser Gestalt, nicht in dieser Zeit, nicht irgendein Name, nicht eine bestimmte Gestalt, eine bestimmte menschliche Form. Irgendetwas von mir wusste um ihr wirkliches Wesen, und um mein eigenes, wusste alles. Es war ein Wissen, wofür es keine Sprache gibt, keinen Ausdruck, keine genaue Erinnerung. Es bestand nur aus einem Gefühl. Und auch die Erinnerung daran ist nicht mehr als ein unbenennbares Fühlen und Ahnen. Es war sehr seltsam. Es war ein ähnliches Gefühl, wie ich es manchmal in Jovis Nähe verspürte.... Und es ging schnell vorüber, so schien es mir, viel zu schnell. Es war nur ein Augenblick, vielleicht waren es auch Stunden, die zu einigen wenigen Minuten schrumpften, ich weiß es nicht, denn ich hatte von Anfang an kein Gefühl für Zeit an diesem Tag. Und ich dachte: Schön. Gut. Das war jetzt ein Gefühl. Das war ein spontanes Gefühl von Sympathie. Man stößt sich ab, man zieht sich an. Man kann sich ja allerhand einbilden. Doch dann kam mir wieder alles in den Sinn, was ich bisher erlebt hatte, und diese ganze Geschichte, und das, was Ray über uns alle als Schauspieler gesagt hatte. War nicht die Zeit selbst eine Bühne? Jede Daseinsform nicht mehr und nicht weniger als ein Kostüm, das man anzieht und auszieht, je nachdem, welche Rolle gerade verlangt wird?

Ich wollte sie fragen, woher sie kam, wollte ihren Namen wissen, aber sie kam mir zuvor:

"Du warst damals auf Torcello, nicht wahr? Und dann in Bomarzo. Du warst mit Richard und Ray zusammen."

"Ja, das stimmt!" sagte ich erstaunt. Woher weißt du...?"

"Ich war auch dort. Ich kann mich gut an dich erinnern."

"Tut mir leid...ich weiß nicht mehr, ob ich dich gesehen habe. Es waren so viele..."

"Ja, sehr viele."

Sie schwieg nachdenklich. Dann griff sie nach ihrer Reisetasche und öffnete sie. Daraus kam der einzige Inhalt zum Vorschein: Ein altes Akkordeon und ein alter, schwarzer Schlapphut.

"Ich muss jetzt an die Arbeit! Muss mir meine Brötchen verdienen!" rief sie fröhlich und deutete auf den Platz, der sich allmählich mit Touristen gefüllt hatte. Sie musste recht kräftig gewesen sein, denn mühelos hob sie das gewichtige Instrument hoch und hängte es sich um, ehe ich dazukam, ihr zu helfen.

"Danke. Aber es ist nicht schwer. Zumindest nicht für mich. Ich laufe schließlich fast jeden Tag damit herum."

Sie setzte sich den Schlapphut auf, hängte sich die nun leere Reisetasche über die Schulter und schlug ein paar Akkorde an.

"Mein Platz ist weiter oben, weißt du, vor dem Uhrturm. Wenn nicht zu viel Konkurrenz da ist. Ciao!"

Ich war versucht, sie zu begleiten, doch dann ließ ich es doch sein. Sie hätte bestimmt etwas gesagt, wenn sie das gewollt hätte, dachte ich mir eben, als sie sich noch einmal umdrehte und diesen merkwürdigen Satz sagte:

"Ciao. Und danke für deine Zeit! Wir sehen uns bestimmt wieder. Irgendwann. Irgendwo. Es war schön, da du hier warst. Ja, es war wirklich gut, dass du hier warst und nicht in deinem Hotel!"

Dann ging sie mit kräftig ausholendem Schritt davon in Richtung Markusplatz, akkordeonspielend, sich hin und wieder im Kreis drehend, und dabei sang sie mit kräftiger Stimme das Lied des Sängers:

Its easy!

Oh man!

Take all things lazy,

tune into the tune,

into the otherwise tune,

it´s a fabulous dream...

and there´s the clef

to open the door

with a sevenhold seal...

push it, push forward...

3.

Das Lied des Sängers! Und erst jetzt kam mir ihr letzter Satz wirklich zu Bewusstsein. Plötzlich schlugen diese Wörter elektrisierende Salti in meinem Kopf: Warum war es gut, nicht in meinem Hotel gewesen zu sein? Was wollte sie damit sagen? Und was sollte das bedeuten: Danke für deine Zeit? Wer war sie? Ich sprang auf und lief ihr nach, lief ihrer Stimme nach in Richtung Markusplatz. Noch immer, von ferne, hörte ich sie deutlich das Lied des Sängers singen:

...and there´s the clef

to open the door...

with a sevenhold seal...

push it, push forward,

pass over the border...

dont trust in the great truth,

dont belief in great lie...

Je näher ich aber dem Markusplatz kam, desto entfernter klang ihre Stimme. Und am Campanile angekommen, hörte ich gar nichts mehr. Aber hatte sie nicht gesagt, ihr Platz sei am Uhrturm? Ich war gerannt. Sie konnte unmöglich einfach verschwunden sein. Ich lief um den Campanile herum. Sie war nicht da. Nur ein kleines Mädchen in einem dünnen Kleid stand auf der der Markuskirche zugewandten Seite des Turmes, mit rotgefrorener Nase. Das Mädchen, es mochte vielleicht elf, zwölf Jahre alt gewesen sein, trug einen kleinen Bauchladen, voll mit Postkarten. "Postkarten für den Frieden....Postkarten für den Frieden..." rief sie mit dünner frierender Stimme. Immer wieder. Die Menschen gingen achtlos daran vorbei.

"Hör mal, du! Hast du hier ein Mädchen gesehen mit einem Akkordeon? Es hat gesungen...eine Straßensängerin, weißt du!"

Die Kleine warf mir einen traurigen Blick zu und schüttelte den Kopf.

"Vielleicht hast du sie ein andermal gesehen. Gestern. Sie trägt einen schwarzen Hut..."

Ich kramte in meiner Manteltasche nach Geld und gab es ihr, und sie drückte mir ein paar Postkarten in die Hand.

"Ein Mädchen mit einem Akkordeon....ist sie bestimmt nicht hier vorbeigekommen?"

"No! No! Bestimmt nicht. Multe Grazie!"

"Na schön! Ciao!"

"Ciao....Postkarten für den Frieden....Postkarten für den Frieden..."

Der eisige Wind fegte über den Platz und wirbelte den Staub auf.

Vielleicht stand sie an einer anderen Stelle. Ich ging rund um den Platz. Ging in das Café Florian. Vielleicht war ihr zu kalt gewesen.... aber sie war nirgends. Langsam ging ich zurück, noch einmal vorbei am Campanile. Das Mädchen mit den Postkarten stand immer noch dort. Sie wird sich erkälten und auf ihren Postkarten sitzenbleiben, dachte ich und kaufte noch einmal ein ganzes Paket davon. Und da war wieder diese unbestimmte Ahnung, dieses Gefühl, alles schon einmal erlebt zu haben...Da war eine Straße in Paris.....da waren Menschen....ein kleines Mädchen.....Postkarten für den Frieden.

Abrupt wandte ich mich ab. Das war zu viel. Ich versuchte den Gedanken daran zu verscheuchen, versuchte ihn auszuatmen wie einen Kopfschmerz, eine Übelkeit, auch den Gedanken an die Straßensängerin, die sich in Luft aufgelöst zu haben schien wie der Nebel, wie dieser Nebel...

Ich ging auf die Piazetta zurück, am Palast des Dogen vorbei, hinunter zur Mole, und meine Nervosität steigerte sich mit jedem Schritt aus unerklärlichen Gründen. Mir wurde ganz komisch zumute. Diese klumpige Gewissheit einer Drohung, diese Gewissheit einer Gefahr...diese Angst...und plötzlich wieder dieses Schweigen...und die Erinnerung...die Merceria, die zum Markusplatz führt...und da ist Richard...ein Brücke, eine unbelebte Seitenstraße...das Lärmen der Stadt dröhnt in den Ohren, das Geplärr von Radios, der brünstige Schrei einer läufigen Katze...und dann zerschneidet etwas den Lärm, alle Geräusche verstummen, absolute, wattierte Stille...

Doch dann: der Rhythmus der Trommel durchfährt meinem Kopf, laut, fast schmerzhaft. Ohne darüber nachzudenken, begann ich die Molo Riva degli Schiavoni in die Richtung meines Hotels hinunter zu laufen. Ich fluchte halblaut vor mich hin, prallte mit Menschen zusammen, die mir vielsprachige Schimpfkanonen hinterherheulten. Der Trommelschlag: Lauf, lauf, lauf. Etwas ist geschehen, etwas geschieht...

Atemlos erreichte ich mein Hotel. Eine aufgeregte, durcheinanderschwatzende Menschenmenge, Feuerlöschboote, gestikulierende Feuerwehrmänner. Ich zwängte mich durch die Menge.

"Ah! Signore! Da sind sie ja!"

Der Hotelmanager, er hieß Ravioni oder so ähnlich, stürzte auf mich zu. Die Haare standen ihm buchstäblich zu Berge, er schnitt fürchterliche Grimassen und machte eigenartige Schaukelbewegungen, als er, sich immer wieder verschluckend, aus sich herauspresste:

"Ah Signore! Es ist fürchterlich...ah niemand weiß...Santa Maria...Gott hat seine schützende Hand über unser Hotel gehalten! Niemand hätte es bemerkt, wenn die Fenster nicht zersprungen wären! Nicht auszudenken! Das ganze Hotel ein Raub der Flammen...alles verbrannt...ihr Appartemento...äh, wissen sie..."

"Mein Gott, reden sie schon! Was ist geschehen?"

"Ihr Appartement......ihr ganzes Gepäck, alles selbstverständlich werden wir alles ersetzen, soweit es möglich ist...ja, das werden wir...ein Rätsel, Signore! Wahrhaftig ein Rätsel! Nein, ein Wunder!"

Es dauerte eine Weile, bis ich erfuhr, was wirklich geschehen war.

Jemand hatte mein Appartement in Brand gesetzt. Jemand musste die Tür zu meinem Appartement aufgeschlossen, musste Feuer gelegt haben, und musste nach getanem Werk die Tür wieder verschlossen haben.

Jemand, den niemand gesehen hatte.

Und dieser Jemand hatte gute Arbeit geleistet. Das Manuskript war verbrannt, die zwanzig Tonbänder waren verbrannt, darunter jene, die Jovi, Richard Brandtenburgs Vater und Diana Salomon, Rays Mutter, besprochen hatten. Die Notizen, die Bücher, meine Kleider, meine Koffer, alles, was mir gehörte, alles war verbrannt, ohne Rückstände, zu feinster Asche. Einfach alles.

"Irgendetwas stimmt da nicht" sagte einer der Feuerwehrmänner und ein Commissario namens Petrucchi nickte heftig dazu.

"Nein, da stimmt etwas ganz und gar nicht. Verstehen sie, Signor, was ich meine!"

Ich nickte. Oh ja, doch, dachte ich. Ich verstehe das.

"Wenn es kein Wunder war, dann waren das ausgesprochene Profis. Mhm, erstaunlich, wenn sie verstehen. Alles, was Ihnen gehört, ist verbrannt, und sonst gar nichts. Nicht einmal angebrannt, verstehen sie, nicht einmal angebrannt, nicht der winzigste Brandfleck."

Oh ja, ich verstand schon.

"Wir müssen das untersuchen, Sie verstehen?"

Jaja, ich verstand.

"Untersuchen sie nur. Ja, ich denke, das müssen sie untersuchen!"

Und ich ging in die Hotelbar.

Jaja ich wusste schon. Manche dieser Schwester und Brüder, sagt man, manche von ihnen können fliegen. Beherrschen die Geister und die Elemente. Der Teufel soll sie alle holen!

Ich trank ziemlich viel an jenem Abend, das Glas in der einen, die Tarot-Karte in der anderen Hand. Ich trank gegen die Geisterstunde an, ersäufte, wie so oft in den vergangenen Jahren, die Erinnerung, alles, auch die Erinnerung an akkordeonspielende Schutzengel, ich trank gegen das Geraune an, gegen das Getuschel der Hotelgäste. Einige von ihnen drückten mir ihr Bedauern aus. Ich lud sie ein, mitzutrinken.

"Ja," sagte ich mit Blei auf der Zunge. "Jawohl, sie hatte recht die gute alte Vana. Wissen sie, mein Freund, die alte Vana, das ist eine Zauberin, nein, nein, keine Hexe, sie ist eine richtige Magierin. Und wissen sie, was die zu mir sagte? Junge, sagte sie zu mir, weißt du, das ist eine ungeheure Macht, die sie ausüben. Wenn sie alle zusammenwirken. Sie richten auf und zerstören. Und, wissen sie, sie hatte recht, die gute Vana, sie sagte: Und ihre große Macht ist, dass ihre Feinde nicht an sie glauben. Jawohl! Oder glaubt ihr etwa, dass jemand das Feuer einfach in mein Appartement gezaubert hat? Glaubt einer von euch, dass Töne einen Menschen von innen heraus verbrennen können? Nein, das glaubt ihr nicht. Das werdet ihr niemals glauben. Der Feuerwehrmann glaubt an ein Wunder....Gott, an ein Wunder...

Tune into the tune,

the otherwise tune,

it´s more than a dream...

more than a lie,

more than a truth...

it´s so easy,

oh man...

Drei Tage später waren die Untersuchungen abgeschlossen. Ich weiß nicht, was dabei herausgekommen ist. Es interessierte mich auch gar nicht. Irgendeine Erklärung werden sie schon gefunden haben für diese Art von Brandstiftung. Man findet ja für alles irgendeine Erklärung, wenn man will. Und ich flog nach Paris, um zu tun, was ich mir vorgenommen hatte. Um diese Geschichte neu zu schreiben. Um zu verstehen. Um endlich das Fragen zu vergessen. Um die Mauer zwischen ihnen und mir endlich niederzureißen, zwischen Jovi und mir. Welch starke Vorsätze!

Da stehen sie nun im Magritte-Fenster in Jovis Wohnung, von meiner Fantasie oder von irgendeinem schwarzen Zauber in das von draußen hereindringende Grau projiziert: Ray Salomon, Richard Brandtenburg, Diana und Winston, Doktor Satorius, die Astrologin, Lambardini, Jovi, Sinbuck, Manuele, Alexandre und Loulilou...die Akkordeonspielerin, das junge Mädchen mit den Postkarten für den Frieden....Hauptfiguren, Nebenfiguren, ein Dutzend Gestalten, Gesichter, flüchtige Striche einer bloßen Skizze, Schattenrisse. Ein Dutzend Leben, wie hundertfach übermalte Fresken, die nur zusammengesehen, Schicht für Schicht, eine Geschichte offenbaren.

Und draußen…Verdammt noch einmal! Wie nimmt man aber die Dinge wie sie sind? Ohne zu fragen? Seit dem Tod des Sängers hat sich die Welt verändert. Die Stadt hat sich verändert. Zum ersten Mal seit fast einem Jahr bin ich vorgestern wieder durch Paris gefahren, bin durch die Straßen und Gassen gewandert, die mir fremd geworden sind, wie die Gesichter der Menschen, wie die Atmosphäre, in der mir nun der Sauerstoff zum Leben zu fehlen scheint.

Welche Saat ist da aufgegangen? Wer hat sie gesät? Hin und wieder die Spuren der Unruhen. Dort ein ausgebranntes Geschäft, da eine eingeschlagene Fensterscheibe, ein schwarzer, öliger Brandfleck auf dem Asphalt, herausgerissene Pflastersteine, mit Parolen vollgeschmierte Hauswände. Eine seltsame Mischung aus Angst und Gleichgültigkeit in den Gesichtern. In den Bistros Gespräche über Widerstand und trügerische Friedenszeiten. Zu sinnlosen Worten geformter sinnloser Hass. Die Drachensaat der magischen Schlagworte, die seelenverätzenden Bilder der heimtückischen Rituale....diesen Gefängnissen mit unsichtbaren Mauern, hinter denen die Macht ihrer Ideen und Prinzipien alles Streben in Ketten legt, ins Gegenteil verkehrt....

Und hier in diesem Zimmer das Flüstern ferner Stimmen, Gesichter, und Ray‘s magische Stimme aus dem Radio:

Come into my magical garden,

to have a love-in

with the roses in the snow,

to have a love-in

with grabbage-heads

growing in sand,

to have a love-in

with sexy fairys and goblins,

with the black charcoalburner,

with a white witch

and the hell-cat, her sister,

with a sweet devil,

with an angel like you,

with the heroe of war,

killing your brother,

your father an mother,

with a brave coward,

happy in peace,

come, oh please come

into my magical garden,

to have a love-in

with the flowers,

blooming in stone....

to have a love-in

with the heaven,

to have a nice hour

with the world greatest lover...

come, please, come in.

Wie geht das alles zusammen? "Ich könnte in einer Nussschale eingesperrt sein, und mich für den König unermesslicher Gebiete halten!" lässt Shakespeare seinen Hamlet ausrufen. Nicht aus dem Haus gehen und doch alles wissen...... Wenn ich nur Platz fände in dieser Nussschale, wenn ich sie fände....Wenn es mir doch endlich gelänge, mich wie diese Siddhi-Jogi klein zu machen wie das Atom, um mich auszudehnen wie das Universum, wenn ich den verdammten Punkt der avantgardistischen Mathematik fände, einen zufälligen kleinen Punkt in einem dunklen Spinnweben durchzogenen Kellerloch, durch den das unendlich Große und das unendlich Kleine in ihrer Gesamtheit sichtbar werden...... wenn ich diesen Punkt doch fände, ich würde alles begreifen....würde verstehen, was ihr tut, wer ihr seid! Woher ihr kommt. Was euch die Kraft gibt, eure Hoffnungen noch immer nicht aufzugeben.

Es hat endlich zu regnen begonnen, trommelnd prallen die Tropfen gegen die Fensterscheibe. Dort....ihr Gesicht unter all den anderen Gesichtern, dunkel, fern....Gilt das, so frage ich mich, auch für Jovi, was Richard damals in Venedig über Diana gesagt hatte?

"Ihr Ich schreitet durch die Zeit wie der Salamander durch die Flammen..."

Und er hatte hinzugefügt:

"Ich weiß nicht, ob man es wirklich so sagen kann, wie es die Autorin dieses Satzes gemeint hat. Marguerite Eymery...aber...für sich..."

"Du meinst, sie ist...?"

"Nein!" hatte mir Richard ungewöhnlich schroff das Wort abgeschnitten. "Ich meine gar nichts dergleichen. Sie ist außergewöhnlich........ja, das ist sie auf jeden Fall!"

Diana und Jovi. Wirklich: Man kann sich kaum zwei verschiedenere Menschen vorstellen. Und doch gab es Berührungspunkte, Gemeinsamkeiten, Geheimnisse.

Vielleicht sogar dieselbe Quelle. Derselbe Ursprung?

Diana Salomon....ich sehe ihr Gesicht deutlich vor mir. Das alterslose Gesicht dieser rätselhaften schönen Frau, ihr in die Ferne schweifender Blick, in dem sich das Feuer widerspiegelt, das sie innerlich zu verzehren scheint. Ich frage mich, ob sie es damals in Venedig geahnt hatte, dass Richard Brandtenburg ihr wirklicher Sohn war? Und nicht Ray Salomon....Und Richard selbst? Wusste, ahnte er es?

4.

Und mitten in der lachenden, lärmenden Menge in Lambardinis Palazzo stand an diesem Abend eine ungewöhnlich schöne Frau mit langem, nussbraunem, rötlich schimmerndem Haar. Ihr Kopf glühte, sie zitterte. In ihren Brustwarzen spürte sie ein halb schmerzhaftes, halb lustvolles Ziehen, ihre Beine kribbelten und in ihrem Bauch pulsierte es, als schlüge dort ein zweites Herz. Die Gewissheit war ganz plötzlich über sie gekommen, und nun spürte sie es körperlich, sie wusste es, nein es gab keinen Zweifel: Es war hier, in diesem Raum, in diesem Haus, was immer Es auch sein mochte, Es war hier in ihrer Nähe. Es war um sie.

Und außerdem war es fast unerträglich warm in diesem lärmerfüllten Saal, im Palazzo Saturno bei Fusina, einem zwanzig, vielleicht auch dreißig Kilometer südlich von Venedig gelegenem Ort.

Diana Salomon schloss die Augen und lehnte sich gegen eine der hünenhaften Frauenfiguren nahe dem Eingang, die an die mythischen Gestalten des Nazi-Bildhauers Arno Breker erinnerten. Der Raum, in dem sich an diesem Abend nahezu fünfzig Menschen drängten, war vollgestellt mit solchen Skulpturen, wie der Garten vor dem Palazzo, von dem sie hereinzudrängen schienen: antike, steinerne Überweiber, Heroen, futuristische Gestalten der neuen Fantasy-Art, skurrile Figuren wie der überlebensgroße Pan mit dem obszön und drohend hochragenden Penis.

Lambardinis Stimme drang durch das Geräusch des in ihren Ohren pochenden Blutes:

"Leider, meine Teure, ist das nur eine Reproduktion! Aber sie müssen zugeben, eine ganz ausgezeichnete Arbeit. Ach ja, natürlich hätte ich viel lieber das Original, aber..."

Diana öffnete die Augen. Das Gemälde hing an der Wand zur rechten Seite. Die "Versuchung des Heiligen Antonius", die Max Ernst für den Hollywoodstreifen "The private Affairs of Bel Ami" geschaffen hatte. Das Bild flößte ihr Angst ein. Monströse Schnabeltiere, die eine auf dem Boden liegende, nicht weniger monströse Gestalt pickten, eine Gestalt, die erst bei näherer Betrachtung als die des Heiligen zu erkennen war, denn sie war mit einem fleischroten Mantel bedeckt, dessen Faltenwurf sich wie eine riesige, drohende, allesverschlingende Vulva über das ganze Bild ausbreitete.

An der Wand am hinteren Ende des Saales hing nichts als eine blutrote Leinwand, die an mehreren Stellen von oben nach unten aufgeschlitzt worden war.

"Nun," hörte sie Lambardini lachend sagen, " das ist meine eigene Kreation. Ich glaube Lucio Fontana hätte es nicht in dieser Perfektion gemacht. Meinen sie nicht auch? Ich bin nicht gerade unbescheiden, nicht wahr? Nun ja, es ist eine Frage der Dimension, gewiss. Fontana hatte wohl nicht den Mut, eine ganze Wand mit diesem einzigartigen Akt der Aggression zu bedecken. Da drüben...? Ach ja, hinter Glas...das sind sehr kostbare Stücke, wenigstens für mich. Es sind originale äthiopische Zauberrollen. Kommen sie! Sehen sie.......das ist die Rolle des Askala Maryam...das Netz des Salomo. Innerhalb der magisch-religiösen Literatur ist dies der berühmteste Text über Dämonen-Metamorphosen.

Sehen Sie, meine Liebe, hier...die Schlange. Und hier die Fledermaus. Hüten sie sich vor ihnen. Von einer Fledermaus, die gerade menstruiert, bekommt man die Gelbsucht, wenn sie einen umflattert..."

Lambardini lachte schallend. Und Diana hörte eine Frauenstimme auf Französisch flöten:

"Oh! Sie sind aber ein schrecklicher Mensch, Guido! Sie haben es doch darauf abgesehen, mich zu erschrecken. Sie wissen doch, wie schreckhaft ich bin..."

"Nein, meine Liebe, das wusste ich nicht. Aber sie brauchen sich vor Dämonen nicht zu fürchten, glauben sie mir. Die Menschen fürchten die Dämonen ja nur, weil sie unsichtbar sind. Nur das Unsichtbare macht uns Angst, nicht wahr? Wäre das nicht so, hätte der Mensch gewiss schon längst die Dämonen ebenso ausgebeutet wie die Tiere."

"Sie sind wirklich ein ganz fürchterlicher Mensch, mein lieber Guido. Fast möchte man meinen, sie glaubten wirklich daran..."

Diana stöhnte leise auf. Alles drehte sich vor ihren Augen. Es war hier. Wie damals auf den Orkneys. Es kam näher...Sie spürte eine widerliche Feuchtigkeit unter den Achseln, zwischen den Schulterblättern, auf ihrer Stirn. Der Schweiß drohte ihr Make-up zu zerstören. Sie flüchtete auf die Toilette. Dort war es angenehm kühl, und vor allem war es ruhig. Und wieder konnte sie nicht anders: angestrengt starrte sie auf ihr Gesicht im Spiegel, bis das Bild vor ihren Augen verschwamm und die Bilder jenes Tages aufflackerten, an dem sie ihren Sohn empfangen hatte, flüchtige Bilder, nicht festzuhalten, so sehr sie sich auch bemühte. Warum konnte sie ihr eigenes Geheimnis nicht enträtseln?

Sie atmete tief ein. Waren die Tage seit damals wirklich nur noch Pausen zwischen diesen flüchtigen Erinnerungen, zwischen Träumen und Alpträumen, Pausen zwischen den sich verschiedenen Stufen der Zeit? Voll von bedeutungslosen Ereignissen und voll der wirkungslosen Rituale, mit deren Hilfe sie den Zauber immer wieder vergeblich zu brechen versuchte.

Wie so oft, wenn sie sich im Spiegel betrachtete, sah sie plötzlich jemand anderen. Nein, es war umgekehrt: sie war plötzlich jemand anderer, ein Fremder, der das Bild der Diana Salomon im Spiegel betrachtete.

Sie lächelte. Das alles beunruhigte sie schon lange nicht mehr. Im Gegenteil: Seit ihrer Jugend genoss sie diesen merkwürdigen Zustand des Andersseins, dieses Gefühl, sich von sich selbst zu entfernen und in die Maske eines fremden Wesens schlüpfen zu können. Es war ihr gleichgültig, wie diese Zustände benannt werden mochten. Schizophrenie? Wenn schon! Doktor Satorius, der es wissen musste, hatte von mehrdimensionalen Bewusstseinszuständen gesprochen, und von der Bedeutung von Visionen aus einem gewissermaßen kosmischen Überbewusstseinsfeld. Sie sei eine sehr sensible, womöglich medial veranlagte Persönlichkeit, hatte er gesagt.

Diana strich tastend mit den Fingerspitzen über ihre Stirn, ihre Wangen, ihre Lippen, ihren Hals, strich über den Ansatz ihrer Brüste, als wollte sie sich noch einmal ihrer selbst versichern.

Sie würde bereit sein, sagte sie sich, ja, sie würde bereit sein, wann immer ihr dieses Unbekannte endlich entgegenträte....

Dann würde sie endlich wissen, was all dies bedeutete, was ihr Leben bedeutete.

Diana tupfte sich ein paar Tropfen Parfum auf den Hals und sah noch einmal in den Spiegel, zufrieden, mit dem Selbstbewusstsein einer zweiundvierzigjährigen Frau, die genau wusste, dass sie niemand über dreißig schätzen würde.

Dann ging sie wieder zurück in den Saal, in dem sich die Atmosphäre von Minute zu Minute mehr zu verdichten schien. Und sie wusste, dass dies nicht nur am ausgelassenen Lärm der Gäste Lambardinis lag, und nicht nur am Zigarren-und Zigarettenqualm, der wie Nebelschwaden an den Lustern hing, nicht am Geruch nach Alkohol, Speisen, Gewürzen und kostbarem Räucherwerk nach Myrrhe und Sandelholz.

Suchend sah sich Diana nach Winston, ihrem Mann, um. Sie entdeckte ihn bei einer Gruppe von Gästen, die mit Lambardini in eine heftige Diskussion verwickelt zu sein schien. Es ging um dessen neuestes Filmprojekt.

"Nein," sagte Lambardini gerade, "Sie werden mich nicht dazu bringen, auch nur ein einziges Wort mehr über die Sache zu verlieren!"

Er stieß ein schnaubendes Lachen aus und wandte sich an einen jungen Mann, von dem sich Diana zu erinnern glaubte, dass er Kolumnist eines amerikanischen Männermagazins war.

"Also gut!" sagte Lambardini. "Eines kann ich ihnen verraten: Es ist ein sehr heikles Thema. In jeder Beziehung."

"Wie ist das zu verstehen?"

Lambardini lächelte undurchsichtig und sah den Kolumnisten mit verschwörerischem Blick an:

"Es geht um Massenpsychologie, Mister Wilson, das kann ich ihnen verraten. Diesmal geht es um Massenpsychologie!"

"Ach?" Soll das bedeuten, dass sie endlich so etwas wie einen realistischen Film machen?"

"Du lieber Himmel, Wilson! Was heißt denn realistisch? Ach ja, ich weiß schon, sie stehen sozusagen auf nackte Tatsachen. Aber sie wissen vermutlich sehr gut, auf wie viele verschiedene Weisen ihre nackten Tatsachen im Auge des Betrachters zu durchaus realistischem Leben erwachen."

"Okay, okay, Mister Lambardini, sie wissen, was ich meine..."

"Ich bin mir nicht sicher. Realität ist ein verschwommener Begriff. Vor allem, wenn man ihn auf den Menschen oder gar auf eine Masse von Menschen anwendet. Ein LSD-Trip ist so realistisch wie ein Spaziergang im Grünen, nicht wahr? Im Film können sie die verschiedensten Wirklichkeiten darstellen. Den Trip ebenso wie eine sozusagen realistische Landpartie. Märchen sind auch so eine Art Wirklichkeit, wissen sie. Ich vergleiche das immer mit den Höhlenzeichnungen der Steinzeitmenschen, die ja auch etwas Tatsächliches darstellen, obwohl sie der Magie dienten."

"Also gut. Und dieser Film nun..."

"Ist wie jeder moderne Film ein Symbolismus!" sagte ein fahlgesichtiger, schwarzgelockter junger Mann, der wie eine Neuausgabe des jungen Swinburne aussah.

Es war Richard Brandtenburg. Seine schwarzen Augen funkelten spöttisch, als er fortfuhr:

"Symbolismus, ja, etwas Verschlüsseltes, das nur Eingeweihte richtig verstehen, wissen sie."

Wilson verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen und sagte aufsässig:

"Haha! Das ist doch Unsinn. Ich finde diese Art von Film einfach sinnlos."

"Das ist Ihre Sache. Aber dann haben Sie das mit der Wirklichkeit nicht richtig verstanden. Diese Art von Realismus, die Sie meinen, lockt keine Maus mehr aus dem Loch. Der Film, mein Lieber, ist ein Mittel zur Bewusstseinsveränderung, ob sie das wahrhaben wollen oder nicht. Der Film ist eine Droge. Er kann verblöden oder er kann das Bewusstsein erweitern, je nachdem...Sie können einen guten oder einen schlechten Trip haben. Ja, es kommt darauf an. Wer Filme macht, trägt eine große Verantwortung. Der Film spielt auf den Saiten des Unbewussten. Er wirkt im Inneren des Betrachters weiter, wenn das oberflächliche Bewusstsein schon längst wieder alles vergessen hat."

Richard machte eine Pause und grinste Lambardini an:

"Habe ich meine Lektion nicht gut gelernt, Guido?"

Dann wandte er sich weiter an den Amerikaner: "Ich würde sogar noch weiter gehen, Mister Wilson. Manche Filme nehmen das, was im Unterbewusstsein bereits vorhanden ist, vorweg. Auch wenn die Leute, die sich die Filme ansehen, nicht ahnen, dass es so ist. Dass das, was sie sehen, in ihnen bereits längst vorhanden war. Das bleibt natürlich nicht ohne Wirkung. Signor Lambardini ist ein Meister dieses Genres, nicht wahr?"

Lambardinis buschige, graue Augenbrauen zogen sich für einen kurzen Moment zusammen, ehe er lachend antwortete:

"Oh, danke für die Blumen. Ich gebe sie an dich zurück. Ich sehe schon, du hast meine Absichten verstanden. Das ist erfreulich. Nun ja, außerdem hast du eine ausgezeichnete Vorlage geschaffen. Also, Wilson, ganz im Ernst, ich werde Ihnen etwas sagen: Sehen sie sich doch die Kassenfüller der letzten Jahrzehnte an. Merlin kam zurück, der Magier, nachdem er von der Zivilisation verjagt und verbannt worden war. Die Magie, wissen sie? Sehen sie sich den Krieg der Sterne an. Denken sie wirklich, das war wegen des bloßen Spektakels und der technischen Raffinessen ein Knüller? Oh nein! Merlin als Lehrer des jugendlichen Lichthelden ist eine absolut archetypische Figur, die eine neue Sehnsucht der Menschen symbolisiert..."

"Und selbstverständlich auch weckt," unterbrach Richard.

"Ja, gewiss, gewiss...sagen wir, sie gibt der Sehnsucht eine bestimmte Richtung, verstärkt sie, holt sie an die Oberfläche. Tja, mein Freund, wir leben im Zeitalter der Synthese. Merlin, der dem Sternenkrieger durch seine Psychomagie zum Sieg über den Schwarzen Ritter verhilft. Das magische Schwert Escalibur als Laserstrahl..."

Lambardini klopfte Wilson freundschaftlich auf die Schulter.

"Das alles ist nur der Anfang gewesen. Manche denken, diese Welle sei schon wieder vorbei. Aber das ist ein Irrtum. Das neue Zeitalter wird eben erst geboren. Der Widerstand gegen den Schwarzen Ritter, nicht wahr? Der Schwarze Ritter, das ist die böse Herrschaft unserer seelenlosen Technik. Alles in allem: Extraterrestrische Kopulationsmystik gegen rationalen Bumstheorien. Spirituelle Kraftzentren gegen die Geißel der Zeit, High Tech und Computerintelligenz: Mathemagie, mein Lieber. Das drängt sich uns entgegen. Und wer die Zeichen der Zeit erkennt, macht sie sich zunutze, nicht wahr?

Frauen, Magie, Tiere, Blut, Natur, Plasma-Chips, die Welt der Quantensprünge, Neuro-Trips, Brain-Fucking, das alles liegt in der Luft. Riechen sie es denn nicht? Ah...der Traum von der großen Synthese. Geist und Natur, Magie und Technik, die große Hochzeit!"

"Dann hat der Film also damit zu tun?" fragte Wilson. "Futuristischer Mystizismus...."

"Vielleicht, wer weiß?" sagte Lambardini leise und mit ernster Miene, während Richards Mundwinkel vor unterdrücktem Lachen zuckten.

"Wer weiß, Wilson! Vielleicht könnte man das so bezeichnen. Und nun will ich ihnen noch eines sagen: Nicht nur Merlin ist zurückgekommen! Nein, nicht nur Merlin!"

"Ach!" sagte Wilson und blinzelte sich den Rauch von Winston Salomons Zigarre aus den Augen. "Ach, was denn?"

Lambardini begann schallend zu lachen.