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Karin Lindberg

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Beschreibung

Der brandneue Islandromane-Sammelband von Karin Lindberg - humorvoll, romantisch und so herzerwärmend wie ein Sonnenuntergang am Fjord.

Küsse im Fjordwind

Der verzweifelte Hilferuf ihres Bruders lässt der jungen Anwältin Stella keine Wahl: Sie packt die Koffer und reist unverzüglich nach Island. Kurz nach ihrer Ankunft lernt sie den Nachbarn Jökull kennen. Der verschrobene Schafsbauer bringt sie mit seiner mürrischen Art nicht nur auf die Palme, sondern entfacht auch ein stürmisches Herzklopfen in ihr. Jökull setzt alles daran, die hilfsbereite Stella auf Abstand zu halten, aber es fällt ihm immer schwerer, die patente Enkelin seines Nachbarn nicht zu mögen. Dabei ist Jökull längst nicht bereit für eine neue Beziehung, und an Liebesglück mit kitschigem Happy End glaubt er schon lange nicht mehr. Während sie sich gemeinsam um die neugeborenen Lämmer kümmern, arbeiten Jökull und Stella Hand in Hand, und auch ohne viele Worte kommen sie sich näher. Unter der Isländischen Mitternachtssonne scheint das Glück zum Greifen nah, doch schon bald erwartet die beiden eine schmerzliche Überraschung...

Sommernachtssehnsucht

Für die Hochzeit ihrer Schwester kehrt die Isländerin Víoletta in ihre Heimat zurück. Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn einen Ortswechsel hat sie bitter nötig. Kaum angekommen, läuft Víoletta dem attraktiven Hákon in die Arme, der sie erst mit seiner arroganten Art auf die Palme bringt und dann schlammbespritzt an einer Tankstelle stehen lässt! Die Insel zieht die gebürtige Isländerin schnell wieder in ihren Bann, und zwischen Mitternachtssonne, taghellen Nächten und spiegelglattem Fjord kommt Violetta endlich zur Ruhe. Auch Hákon, der mit seinem Opa im malerischen Küstenort Hauganes Whalewatching-Touren organisiert, wird ihr mit jeder Begegnung sympathischer. Zwischen ihnen knistert es gewaltig, aber Hákon scheint Geheimnisse zu haben, und auch Violetta spielt nicht mit offenen Karten. Nur wenn beide bereit dazu sind, sich gegenseitig zu vertrauen, ist eine gemeinsame Zukunft möglich. Aber werden sie dafür ihre gebrochenen Herzen aufs Spiel setzen?

Zwei herzerwärmende Wohlfühlromane mit garantiertem Happy End, die dich für zwei Buchlängen ins wildromantische Island entführen – zwischen stürmischen Gefühle und atemberaubende Landschaften.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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WIR SEHEN UNS AM FJORD

ISLANDROMANE-SAMMELBAND

KARIN LINDBERG

INHALT

Impressum

Buch 1 Küsse im Fjordwind

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Buch 2 Sommernachtssehnsucht

19. Kapitel 1

20. Kapitel 2

21. Kapitel 3

22. Kapitel 4

23. Kapitel 5

24. Kapitel 6

25. Kapitel 7

26. Kapitel 8

27. Kapitel 9

28. Kapitel 10

29. Kapitel 11

30. Kapitel 12

31. Kapitel 13

32. Kapitel 14

33. Kapitel 15

34. Kapitel 16

35. Kapitel 17

Epilog

Über die Autorin

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IMPRESSUM

Copyright © 2025 by Karin Lindberg

Covergestaltung Casandra Krammer

Covermotiv: © Nartco, Lana Brow – Shutterstock.com, pch.vector, pikisuperstar – freepik.com

Karin Baldvinsson

Am Petersberg 6a

21407 Deutsch Evern

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Weitere Informationen unter www.karinlindberg.info.

BUCH 1 KÜSSE IM FJORDWIND

Über das Buch:

Ein Wohlfühlroman mit Happy End, für alle, die sich für eine Buchlänge ins raue Island träumen möchten.

Der verzweifelte Hilferuf ihres Bruders lässt der jungen Anwältin Stella keine Wahl: Sie packt die Koffer und reist unverzüglich nach Island. Kurz nach ihrer Ankunft lernt sie den Nachbarn Jökull kennen. Der verschrobene Schafsbauer bringt sie mit seiner mürrischen Art nicht nur auf die Palme, sondern entfacht auch ein stürmisches Herzklopfen in ihr.

Jökull setzt alles daran, die hilfsbereite Stella auf Abstand zu halten, aber es fällt ihm immer schwerer, die patente Enkelin seines Nachbarn nicht zu mögen. Dabei ist Jökull längst nicht bereit für eine neue Beziehung, und an Liebesglück mit kitschigem Happy End glaubt er schon lange nicht mehr.

Während sie sich gemeinsam um die neugeborenen Lämmer kümmern, arbeiten Jökull und Stella Hand in Hand, und auch ohne viele Worte kommen sie sich näher.

Unter der Isländischen Mitternachtssonne scheint das Glück zum Greifen nah, doch schon bald erwartet die beiden eine schmerzliche Überraschung...

Der Roman ist in sich abgeschlossen.

PROLOG

»Bist du verrückt geworden?«, zischte Stella und zerquetschte fast das Telefon in ihrer Hand. Als ob das etwas nützen würde! Sie schaute sich hektisch um.

Nach einem Augenblick atmete sie erleichtert auf, es sah nicht danach aus, dass jemand sie gehört hätte. Denn erst jetzt bemerkte sie, dass sie wieder einmal die Letzte war, die noch an ihrem Schreibtisch brütete. Zum Glück. Das hätte sonst unangenehm werden können. Private Gespräche waren in der renommierten Kanzlei nicht gern gesehen und Stella hielt sich üblicherweise an die ungeschriebenen Gesetze, weil sie kurz vor dem nächsten Sprung auf der Karriereleiter stand und nicht negativ auffallen wollte.

Die Tür zu Stellas kleinem Büro – das man eher Schuhkarton nennen könnte – stand offen. Alle – außer ihr – waren bereits in den Feierabend ausgeflogen. Draußen war es dunkel. Die Lichter von Londons Skyline schillerten in tausend Facetten.

Stella warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, es war schon kurz nach zehn. Das edle Stück von Cartier war ein Geschenk von Marvin zum Zweijährigen gewesen. Dafür hatte er richtig tief in die Tasche gegriffen.

»Bitte, Stella, ich würde dich nicht fragen, wenn ich eine andere Möglichkeit sehen würde. Ich bin auch so schon mit den Nerven am Ende«, unterbrach ihr Bruder ihre Gedanken.

Stellas Gewissen regte sich. Natürlich wollte sie Jói helfen, allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie tatsächlich die Richtige für diesen Job sein sollte. »Ich bin keine Expertin, wie du weißt. Soll ich deinen Kunden Bullshit erzählen und sie womöglich mit meiner Inkompetenz vergraulen? Damit ist dir doch nicht geholfen.«

Jói betrieb ein Fachgeschäft für Angel- und Jagdsport in Akureyri. »Stell dein Licht mal nicht unter den Scheffel, Stella. Du weißt mehr übers Fischen als die meisten Leute. Und dass Arnaldur so kurzfristig ausfällt, ist einfach großes Pech. Dabei hat die Saison gerade erst angefangen, es ist ein Desaster! Magnea kann ich natürlich nicht zumuten, im Laden zu stehen, sie hatte schon Frühwehen und soll hauptsächlich liegen … Ich komme einfach nicht klar, Stella. Anstatt meiner Frau zu helfen, bin ich gar nicht mehr zu Hause, weil im Laden schon jetzt die Hölle los ist, obwohl das Sommergeschäft erst noch kommt … Es ist verrückt – aber natürlich auch gut, nachdem die letzten zwei Jahre eher schlapp waren, wie du weißt … Fakt ist aber, ich komme ohne Hilfe nicht zurecht …«

»Oh Mann, die arme Magnea«, unterbrach Stella den Redeschwall ihres Bruders. Er klang wirklich verzweifelt. Seine Frau war mit Zwillingen schwanger und hatte noch ein paar Wochen vor sich, natürlich sollte sie sich, so gut es möglich war, ausruhen.

Obwohl Stella ahnte, dass ein kurzfristig eingereichter Urlaub bei Simon nicht gut ankommen würde, sah sie sich ihrem Bruder gegenüber in der Pflicht. Gleichzeitig wusste sie, dass sie es sich womöglich mit ihrem Boss verscherzte, wenn sie jetzt, so kurz vor der Zielgeraden nicht nach seiner Pfeife tanzte. Sie hatte so lange von einer schillernden Karriere in der Großstadt geträumt, da konnte sie sich so kurz vor ihrem Triumph nicht ins Abseits manövrieren, indem sie mal eben für ein paar Wochen verreiste. Ihre Familie war ihr wichtig, natürlich, aber wie weit konnte sie dafür gehen und alles, wofür sie lange und hart gearbeitet hatte, aufs Spiel setzen?

An Marvin hatte sie dabei noch gar nicht gedacht, er wäre sicher auch nicht entzückt, wenn sie so holterdiepolter verreiste.

»Es würde dir sehr guttun, mal wieder ein bisschen frische Islandluft zu schnuppern. Wann warst du denn das letzte Mal wirklich draußen?«, hakte Jói ein.

»Heute Morgen«, gab Stella zurück und reckte ihr Kinn trotzig nach vorn, auch wenn sie wusste, dass ihr Bruder das nicht sehen konnte.

Sein ironisches Lachen ertönte und ließ sie beinahe zusammenzucken. »Ja, sicher, von der Tube ins Büro. Das ist nicht das, was ich meine. Und das weißt du auch.«

Sie seufzte und gab sich geschlagen. Er hatte recht, dabei war sie auch vorher schon fast überzeugt gewesen. Sie konnte nicht Nein sagen. Nie würde sie sich verzeihen, ihm nicht zu helfen. Immerhin musste er wirklich verzweifelt sein, sonst hätte er sie auf keinen Fall angerufen, um sie um ihre Unterstützung zu bitten.

»Na schön, ich sehe, wann ich den nächsten Flug bekomme. Du kannst mit mir rechnen«, gab sie mit einem tiefen Seufzen zurück. Sie wusste in diesem Moment bereits, dass sie in Schwierigkeiten steckte, aber das war jetzt nicht mehr zu ändern. Irgendjemanden musste sie wohl verärgern – ihre gesamte Familie oder ihren Boss. Und Marvin natürlich. Sie hatte ihren Verlobten auf einer geschäftlichen Veranstaltung kennengelernt und sich sofort in ihn verliebt. Er hatte sie mit seiner direkten und zielstrebigen Art fasziniert. Sie beide hatten die gleichen Ziele, dieselben Träume, das war das Band, das ihre Beziehung hielt. Aber in diesem Fall, das wusste Stella, würde ihr Verlobter garantiert nicht mit ihr an einem Strang ziehen … aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen.

»Echt jetzt? Ich kann den doch für dich buchen …«, holte Jói sie ins Hier und Jetzt zurück.

»Nein, schon gut. Das bekomme ich alleine hin, du hast andere Sorgen. Ich melde mich.«

»Du bist die Beste!«

Stella lachte. »Ich weiß. Du kannst jetzt mit dem Schleimen aufhören, ich hab’ ja zugesagt. Aber, Jói?«

»Ja?«

»Dir ist klar, dass ich nicht den ganzen Sommer bleiben kann? Das ist eine kurzfristige Sache. Zwei, maximal drei Wochen! Schon das ist kaum für mich realisierbar. Eigentlich kann ich nicht mehr als vier, fünf Tage weg. Ich muss so bald wie möglich wieder in die Kanzlei zurück. Du weißt doch, dass ich darauf hoffe, zur Partnerin ernannt zu werden? Ich stehe kurz davor, ich kann mir jetzt keinen Ärger erlauben …«

»Ja, das ist mir bewusst, und ich hätte dich ganz bestimmt nicht gefragt, wenn ich eine andere Möglichkeit sehen würde.«, unterbrach er sie.

Stella verdrehte innerlich die Augen. »Ja, das hatten wir schon. Alles gut. Ich komme ja. Bis bald, tschüss, kleiner Bruder.«

Sie legte auf, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und stöhnte. Was hatte sie sich da nur wieder eingebrockt? Stella konnte Simons wütende Tiraden im Kopf schon hören. Deshalb tippte sie lieber eine E-Mail, in der sie ihm kurz und bündig mitteilte, dass ein familiärer Notfall sie nach Island rief. Sie schrieb auch, dass sie alle Projekte von dort aus weiter betreuen würde. Zum Glück konnte man das meiste per Laptop und Videomeetings erledigen. Seit der Pandemie war das allgemein akzeptiert, es sparte ungemein viel Zeit, wenn man nicht ständig herumreisen und sich persönlich treffen musste.

Eilig buchte Stella den nächsten Flug, der bereits morgen früh um acht von Gatwick nach Keflavík ging. Auf dem Nachhauseweg holte sie etwas vom Inder, obwohl es schon spät war. Aber sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen, und der Magen hing ihr in den Kniekehlen. Darauf zu hoffen, dass Marvin etwas gekocht hatte, konnte sie sich sparen. Entweder war er selbst noch im Büro, beim Sport, oder er saß mit dem Laptop im Bett und arbeitete.

Zu Hause in Chelsea fuhr Stella mit dem Aufzug in die fünfte Etage, wo sie mit Marvin das Penthouse bewohnte. Es gehörte ihm, sie war vor ein paar Monaten eingezogen, kurz nachdem er ihr auf der Tower Bridge mitten in der Nacht einen Antrag gemacht hatte. Sie liebte das Leben in der Großstadt, wo rund um die Uhr etwas los war, man ständig und überall etwas erleben konnte. Immer, wenn sie in der Kanzlei aus dem Aufzug stieg, musste sie einen Moment innehalten und das Ambiente, den glänzenden Marmor, die edlen Möbel und emsigen Angestellten beobachten. Dann kam sie sich noch heute wie im Film vor, in dem sie die ersehnte Hauptrolle ergattert hatte. Ihr Traum vom Erfolg in der großen weiten Welt war wahr geworden – fast. Sie war kurz vor dem Ziel. Jetzt durfte einfach nichts mehr schiefgehen.

»Hallo Babe, bist du zuhause?«, rief Stella und ließ ihre Schlüssel in die dafür vorgesehene Schale in der Garderobe fallen. Dann zog sie ihre High Heels aus und tapste auf nackten Füßen mit Laptoprucksack und Abendessen in die Küche und schaltete das Licht an.

Marvin war nicht hier. Na schön, esse ich eben alleine, dachte sie und kramte eine Gabel aus der Besteckschublade. Während sie ihr Abendessen verputzte, las sie noch einen Schriftsatz einer anderen Kanzlei über das E-Mail-Programm ihres Smartphones. Sie war noch nicht fertig damit, die Anmerkungen der Gegenseite zu studieren, und stocherte nebenbei in ihrem indischen Rahmhühnchen, als Marvin eintraf.

»Hey, Sweetheart«, grüßte er sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Er roch nach Duschgel, sein Haar war leicht feucht. Er kommt vom Sport, schlussfolgerte Stella.

»Wie war dein Tag?«, fragte sie, während er sich ihr Essen heranzog und ihr die Gabel aus der Hand nahm.

»Anstrengend«, war alles, was er sagte, ohne sie dabei anzusehen.

Während sie aufstand und ihm etwas Chardonnay eingoss, überlegte Stella, wie sie ihre Neuigkeiten verpacken konnte, ohne dass er gleich ausflippte. Stella wusste, dass Marvin nicht begeistert sein würde, dass sie so kurzfristig – und so lange – verreisen musste. Er war kein Freund von spontanen Ideen. Im Gegenteil.

»Ich muss nach Island«, fing sie an und reichte ihm das langstielige Glas. »Es ist eine familiäre Sache.«

Marvin trank einen Schluck und schaute sie zum ersten Mal heute Abend wirklich an. Die Gleichgültigkeit in seinem Blick überraschte sie kurz. »Ach? Wieso das denn?«

Stella räusperte sich. »Mein Bruder braucht Hilfe, du weißt ja, dass Magnea mit Zwillingen schwanger ist …«

Marvin fehlte nach seinem anstrengenden Arbeitstag offenbar die nötige Geduld, sich das, was sie zu sagen hatte, anzuhören. Er unterbrach Stella mit zusammengekniffenen Brauen. »Und, was sollst du da machen? Du hast ja wohl Besseres zu tun, als Angelhaken und Knarren zu verkaufen.«

Stella fiel nichts ein, was sie darauf erwidern sollte, merkte aber, dass sich Unmut in ihr regte. Sie versteifte sich. »Ich bin immerhin seine Schwester. Es sind Familienangelegenheiten. Ich hoffe, es wird nicht für allzu lange sein, es könnte aber zwei Wochen dauern.« Oder drei.

»Zwei Wochen?«, wiederholte Marvin. »Bist du wahnsinnig? Das kannst du dir in deiner Situation doch gar nicht erlauben. Dann wird nie was aus deiner Partnerschaft, das sage ich dir gleich.«

Stella wunderte sich über seinen groben Tonfall. War Marvin schon immer so unnachgiebig gewesen, oder war es ihr bislang nur nicht aufgefallen? »Glaub mir, es geht nicht anders. Es wäre schön, wenn du mich unterstützen würdest. Stress habe ich auch so schon genug«, erwiderte sie höflich. Innerlich distanzierte sie sich etwas von ihm. Familie war wichtig für Stella – für Marvin auch, aber nur seine eigene, wie sie gerade realisierte.

Der Appetit war ihr vergangen. Sie schob Marvin die zweite Packung indisches Essen vor die Nase – die eigentlich für ihn vorgesehen war, während er gerade ihr Essen verputze. Danach schüttete sie den Rest ihres Weins in den Ausguss. »Ich muss packen. Mein Flug geht morgen früh.« Damit ließ sie Marvin in der Küche sitzen und machte sich mit einem mulmigen Gefühl daran, alles Mögliche in einen Koffer zu stopfen, den sie im Handgepäck mitnehmen konnte.

KAPITEL1

Eisiger Wind wehte Jökull entgegen, als er aus dem Schafstall trat und die Tür hinter sich schloss. Spóri folgte ihm schwanzwedelnd. Der treue Border Collie hatte ihn nach Opas Tod schnell als neuen Herrn akzeptiert. Das Blöken der Mutterschafe war auch durch die geschlossene Tür zu hören. Bald würde es losgehen, aber nicht, solange es noch nach Schnee aussah. Jökull freute sich auf die vor ihm liegenden Wochen und fürchtete sie gleichermaßen. Als Kind hatte er oft auf dem Hof seiner Großeltern ausgeholfen und viel gelernt, aber die Last der Verantwortung allein zu tragen, war nach wie vor ungewohnt für ihn. Nun, er würde das Kind, oder vielmehr die Lämmer schon schaukeln. Die meisten Geburten verliefen unproblematisch, und für die anderen Fälle war er ja da. Aber nicht mehr heute, sagte er sich und stapfte über den geschotterten Weg zurück zum alten Bauernhaus. Der Himmel war von düsteren Wolken bedeckt. Jökull zog sich die Mütze tiefer in die Stirn und ließ seinen Blick über den Eyjafjord gleiten. Die See war rau und wirkte bei den heutigen Wetterverhältnissen beinahe schwarz. Ein paar Möwen schaukelten am Ufer im seichten Wasser. In der Ferne blies ein Wal in die Luft. Das alte Bauernhaus war weiß getüncht und hatte ein rotes Dach, wie es traditionell üblich war. Jökulls Familie lebte hier seit Generationen. Er sah Oma hinter den Küchengardinen herumhuschen, vermutlich war sie dabei, etwas zu essen zu richten. Sie liebte es, ihren Enkel zu bekochen. Jökull ging ums Haus herum und trat durch den Nebeneingang in den Hauswirtschaftsraum. Spóri blieb draußen, er war kein Hund, der gern im Haus war. Er liebte seine Freiheit zu sehr. Er hatte eine Box mit Stroh im Stall, und obwohl Jökull den schwarz-weißen Hund schon ein paar Mal versucht hatte, mit freundlichen Worten ins Warme zu locken, kam Spóri nicht über die Schwelle. Im Hauswirtschaftsraum schlüpfte Jökull aus den Gummistiefeln und dem Winter-Overall. Kurz musste er schmunzeln, vor ein paar Tagen hatte man den offiziellen Sommeranfang gefeiert. Es war der erste Tag des Sommermonats Harpa gewesen, der immer auf den ersten Donnerstag nach dem 18. April fiel. Man konnte seinen Landsleuten nicht nachsagen, dass sie nicht von unerschütterlichem Optimismus geprägt wären, dachte Jökull, während er sich die Hände mit Seife und Bürstchen wusch. Danach ging er zu Oma in die Küche. Aus dem uralten Radio dudelten Schlager, die in etwa in der gleichen Zeit entstanden sein mussten wie das Gerät, aus dessen Lautsprechern sie gerade erklangen.

Es war warm im Haus, das Küchenfenster war jedoch wie meistens geöffnet. Die von Oma gehäkelte Gardine flatterte im Luftzug. Am Kühlschrank klebten unzählige Magneten und Postkarten. Einige Fotos hingen dazwischen. Ein Schwarz-Weiß-Foto von dem Bauernhof, von dem seine Oma Dorothea stammte. Natürlich wurde sie von allen nur Dudda genannt, es war ungewohnt, ihren vollen Namen auf dem Foto zu lesen. Es war ein kleiner Hof mit Schafen, Kühen und wenigen Pferden in den Westfjorden gewesen, wo sie als eines von acht Kindern aufgewachsen war. Das zweite Foto zeigte Jökulls Opa mit dem Schaf Skoppa auf der Weide. Vor einigen Jahren hatte Skoppa den Preis für Islands prachtvollstes Mutterschaf erhalten, worauf alle – Opa voran – sehr stolz gewesen waren.

Als Oma Jökull entdeckte, hielt sie in der Arbeit inne und wandte sich ihrem Enkel zu. Sie war gerade dabei gewesen, Garnelensalat zuzubereiten.

»Und, wie sieht es aus?«, fragte sie und lächelte. Sie meinte natürlich die Schafe – die bevorstehenden Geburten sorgten bereits für Spannung und Vorfreude. Oma trug eine Schürze mit Latz. Sie sagte gern selbst von sich, dass sie so hoch wie breit war – was irgendwie auch stimmte. Alles an ihr war weich und rund. Als kleiner Junge hatte er es geliebt, sich an ihren Körper zu schmiegen und sich von ihr trösten zu lassen. Heute machte Jökull seine Probleme lieber mit sich selbst aus.

An den Schuhen trug Oma Sandalen, ihre Interpretation von Hausschuhen. Ihre früher dunkelbraunen Haare waren mittlerweile schneeweiß.

»Es dauert noch etwas«, gab er zurück.

Sie nickte wissend. »Dachte ich es mir doch.« Heute Morgen hatte sie ihre Vermutung bereits geäußert, als sie aus dem Fenster geschaut hatte. Die Alten hatten viel Wissen gesammelt, manchmal fragte Jökull sich, wie es für die Nation weitergehen sollte, weil die Jüngeren oft nicht mehr zuhörten. Nicht zuhören wollten. Er war auch so gewesen, bis …

Nicht jetzt, sagte er sich. Jökull schob die Gedanken beiseite und setzte sich an den Küchentisch. Er schlug das Morgunblaðið auf und überflog die Schlagzeilen der Tageszeitung.

Oma widmete sich wieder ihrer Arbeit. Nach einer Weile wandte sie sich an Jökull. »Bringst du Gunni nachher was vom Garnelensalat rüber?«

»Sicher«, antwortete Jökull abwesend und strich sich dabei gedankenverloren über den Bart. Er hob seinen Blick und sah, dass Kartoffeln auf dem Herd köchelten, in einem zweiten Topf vermutete er dem Geruch nach Lammfleisch. Das war kaum überraschend, Fleisch aus eigener Zucht gab es häufig auf dem Hof. Es störte Jökull nicht, dass sein Speiseplan weniger vielfältig war als früher. Manchmal kam ihm sein altes Leben wie ein ferner Traum vor. Ein Albtraum, an den er sich nicht gern erinnerte. Deshalb widmete er sich lieber wieder der Zeitung, ehe ihm weitere Rückblicke in den Sinn kamen, die er vermeiden wollte.

Jökull ließ Oma werkeln, auch wenn er spürte, dass sie gern mehr mit ihm plaudern wollte. Aber er war weder in der richtigen Stimmung noch generell ein guter Gesprächspartner. Sollte Oma doch eine ihrer Schwestern oder Freundinnen anrufen. Zu ihren Themen – Rezepten und Stricken – hatte er nichts zu sagen, und was bei den Nachbarn so los war, hatten sie am Morgen schon zur Genüge besprochen. Oma ließ sich von seiner beschäftigten Haltung jedoch nicht davon abbringen, ihn weiter zu bearbeiten. »Wieso rasierst du dich nicht mal wieder? Und einen Haarschnitt könntest du auch vertragen. Soll ich nicht einmal bei meiner Freundin in Akureyri anrufen und fragen, ob sie dich dazwischenschieben kann?«, meinte Oma, während sie Jökull einen Cracker mit Garnelensalat zum Probieren hinhielt.

Jökull tat so, als hätte er den Kommentar nicht gehört, die beste Strategie in diesem Fall. Oma wollte einfach nicht begreifen, dass seine Frisur ihn heute nicht mehr interessierte. In seinem Leben gab es andere Prioritäten als das äußere Erscheinungsbild. Er aß ihre Kostprobe und zeigte mit dem Daumen nach oben. »Ist perfekt geworden«, brummte er mit vollem Mund, dann stand er auf und verließ die Küche – die einzige Möglichkeit, Omas Fragerei aus dem Weg zu gehen, die ansonsten unweigerlich folgen würde.

* * *

Zuhause, schoss es Stella durch den Kopf, während sie in Akureyri aus der Propellermaschine der Icelandair stieg. Sie hatte einen Anschlussflug von Reykjavík in den Norden genommen, weil kein verdammter Mietwagen zu bekommen gewesen war. Unglaublich – und das Ende April. Okay, sagte sie sich, sie hätte es sich beinahe denken können. Jói hatte ihr am Telefon ja schon mitgeteilt, dass deutlich mehr Touristen unterwegs waren als in den Jahren zuvor. Island lag voll im Trend. Aus gutem Grund, die Landschaft war spektakulär. Und die schroffe Natur hatte hier ihre ganz besondere Wirkung. Stella atmete tief durch, während sie die schmale Treppe nach unten stieg. Eiskalter Wind peitschte ihr die Haare ins Gesicht und entlockte Stella ein breites Grinsen – Gott, wie sehr hatte sie ihre Heimat vermisst, das begriff sie erst jetzt richtig. Irgendwie hatte sie das verdrängt – was bei ihrem Arbeitspensum nicht schwer war. Sie liebte Island sogar bei rauem Wetter, oder nein, vor allem dann. Dichte Wolken trieben über den dunklen Himmel, ein paar Schneeflocken tanzten durch die Luft. Mit jedem Atemzug weiteten sich Stellas Lungen etwas mehr. Die Haut auf ihrem Gesicht prickelte von der Kälte, es fühlte sich so lebendig an. So ursprünglich. Rein.

Als Stella merkte, dass die Leute hinter ihr ungeduldig wurden, setzte sie sich eilig wieder in Bewegung und nahm die letzten Stufen nach unten.

Auf dem Weg zum Flughafengebäude wurde sie von ein paar entfernten Bekannten angesprochen. Im ersten Moment war es wie immer ungewohnt für Stella, wenn sie aus London nach Hause kam. Sie hatte sich so an ihren Großstadtalltag gewöhnt, in England lebte sie völlig anonym inmitten von Millionen anderen. Niemand kümmerte sich darum, was oder wer sie war. In Akureyri war das schlichtweg unmöglich. Hier kannte jeder jeden, man interessierte sich füreinander – im positiven Sinne, wie ihr gerade auffiel. In den vorausgegangenen Minuten war sie so oft angelächelt worden wie in der ganzen letzten Woche nicht. Die Leute in der Großstadt senkten lieber den Blick aufs Handy und kümmerten sich um sich selbst.

»Hey, Stella! Bist du es wirklich?«, sprach eine Frau sie an, als Stella gerade mit ihrem kleinen Rollköfferchen am Gepäckband vorbeilaufen wollte, um nach Jói zu suchen.

Stella hielt inne, denn sie hatte die Frau nicht gleich auf den ersten Blick erkannt. »Vala?«, antwortete Stella überrascht.

Ihre ehemalige Mitschülerin lachte und schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann legte sie eine Hand auf ihren riesigen Schwangerschaftsbauch und strich liebevoll darüber. »Ja, ich weiß. Ich sehe aus wie ein Walross! Dabei habe ich weitere acht Wochen vor mir. Keine Ahnung, wo der Bauch noch hinwachsen will.« Sie strahlte von innen heraus. Daran, dass Vala glücklich war, gab es keinen Zweifel. Merkwürdigerweise versetzte es Stella einen kleinen Stich.

»Dein erstes?«, erkundigte sich Stella höflich, während sie von einem Fuß auf den anderen trat.

Vala schüttelte den Kopf und winkte mit einer saloppen Geste ab. »Wo denkst du hin? Es ist das dritte, wir haben schon zwei Mädchen, dieses Mal wird’s ein Junge. Mein Mann freut sich, der hatte schon Angst, dass er bald von vier Frauen regiert wird. Ein bisschen männliche Unterstützung findet er super – und ich natürlich auch.«

»Herzlichen Glückwunsch«, erwiderte Stella und schluckte. Sie hatte keine Ahnung, woher der Kloß in ihrem Hals auf einmal kam. Ihre Gratulation kam von Herzen, sie freute sich für Vala, gleichzeitig fürchtete Stelle die nächste Frage, die unausweichlich folgen musste. Es wäre nicht das erste Mal.

»Und bei dir?«

Zack. Da war sie. Stella war sich durchaus darüber im Klaren, dass sie für isländische Maßstäbe ein geradezu biblisches Alter dafür erreicht hatte, dass sie weder verheiratet war noch Kinder hatte – wobei es eher um Letzteres ging. Einen Trauschein brauchte man in Island nicht unbedingt, um eine Familie zu gründen. Marvin sah das anders. Stella schob die Gedanken an ihn und ihre Beziehung beiseite, das war ein Thema, das sie auf gar keinen Fall mit einer alten Schulfreundin besprechen wollte. Sie hatte sich nicht einmal selbst erlaubt, näher darüber nachzudenken, was sie davon hielt. Stella vergrub sich üblicherweise in ihre Arbeit, um die Zukunftsplanung ihres Privatlebens getrost verdrängen zu können, weil sie ja sowieso keine Zeit dafür hatte.

»Ich habe an meiner Karriere gearbeitet«, gab Stella mit einem Lächeln zurück, das sich leider mechanisch und aufgesetzt anfühlte. Obwohl sie es nie zugeben würde, so schwelte der Wunsch in ihr, selbst eine Familie zu gründen. Die Sehnsucht danach, ein Leben in sich wachsen zu spüren, kugelrund wie Vala zu werden, um dann das eigene Baby in den Armen zu halten. Verschrumpelt und winzig. Pures Glück. Nur, wie sollte das gehen mit einem Job, der sie siebzig Stunden in der Woche forderte? Es war unmöglich. Momentan jedenfalls. Stella spürte, wie unangenehme Hitze über ihren Hals in ihre Wangen kroch. »Ich arbeite als Anwältin in London«, war alles, was sie Vala erklärte.

Die neigte ihren Kopf zur Seite und kniff die Augen ein wenig zusammen. Sie schien nicht zu verstehen, was Stella ihr damit sagen wollte. In Island schloss das eine das andere nicht aus, aber in Stellas Leben war für ein Baby derzeit schlicht kein Platz. Noch nicht? Sie hoffte es, aber das war nichts, was sie hier vor dem Gepäckband bequatschen wollte, zumal sie Vala seit Jahren nicht getroffen hatte.

»Ich wünsche dir alles Gute für die Geburt«, meinte Stella deshalb nur und guckte sich kurz um. »Ach, guck mal, da kommt mein Bruder angefahren, ich muss leider los. Wir sehen uns! Gángi þér vel.« Alles Gute für dich.

Damit ließ sie Vala stehen und lief auf Jói zu, der seinen Truck vor dem Flughafengebäude angehalten hatte. Stella gelangte durch die Schiebetür auf den Parkplatz. Sie warf ihr Gepäck auf die Rücksitzbank, schwang sich auf den Beifahrersitz und umarmte Jói innig und lange. Es tat so gut, ihn endlich wiederzusehen. Bei ihm fühlte sie sich geborgen und schlicht sauwohl. Sie hatten immer ein gutes Verhältnis gehabt, aber in den letzten Jahren war der Kontakt seltener geworden. Weil jeder viel zu tun hatte, so hatte sie es sich jedenfalls immer eingeredet. Gerade merkte sie, dass das vielleicht nur eine Ausrede gewesen war. »Hey, Schwesterchen, ich kann gar nicht glauben, dass du wirklich da bist!« Die Freude in seiner Stimme war unüberhörbar und ließ ein warmes Gefühl durch Stellas Brust rieseln.

Für einen Moment wurde sie sehr sentimental und presste ihre Lider zusammen. Gott, sie würde doch nicht anfangen zu heulen? Aber ihr war bis eben nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihre Familie vermisst hatte. Wie lange war es her, dass sie zuletzt auf Island gewesen war? Ewigkeiten. Sie war so in ihrem Alltagsrad festgenagelt, dass sie nicht dazu gekommen war. Das war ein Grund, der andere, dass Marvin nicht gern fror und alles andere als ein Naturbursche war. Er konnte Island nicht leiden. Einmal war er mitgekommen und hatte die ganze Zeit nur Theater gemacht, dass das Wetter zu schlecht, die Leute zu neugierig und das Essen zu fettig war. Daraufhin hatte Stella nie mehr versucht, ihn zu einer Reise zu überreden.

»Oh, ich freue mich auch! Es tut so gut, dich zu sehen«, gab sie zurück und hörte selbst, wie zittrig ihre Stimme klang. Hoffentlich merkte Jói nicht, wie ergriffen sie von diesem Wiedersehen war. Doch die Freude wurde sogleich von einem anderen Gedanken abgelöst. Sie ahnte, dass Jói gleich fragen würde, wie es ihr ging und was bei ihr derzeit los war. Irgendwann würde dann unweigerlich die Schwangerschaft seiner Frau zur Sprache kommen, was schlussendlich dazu führen würde, dass auch ihr Bruder wissen wollte, wann es bei ihr endlich so weit sein würde. Aber auf eine weitere Baby-Fragerunde und Gespräche über ihre Familienplanung hatte sie gerade keine Lust. Dennoch wusste Stella, dass das Thema früher oder später bei allen, die sie näher kannte, auf den Tisch kommen würde. In Island konnte sich einfach niemand vorstellen, freiwillig kinderlos zu sein. Sie im Prinzip auch nicht, aber alles zu seiner Zeit. Bis vor wenigen Minuten war ihr gar nicht bewusst gewesen, dass sie damit überhaupt ein Problem hatte – oder wie auch immer man es nennen sollte, dass sie den Gedanken an eine eigene Familie bislang erfolgreich verdrängt hatte.

Jói trat aufs Gaspedal und brauste los. »Erst mal ein Eis?«, schlug er vor, und Stella war dankbar dafür, dass er ihr zumindest ein wenig Schonfrist gönnte, ehe er sie über ihr Leben ausquetschen würde –, dass es dazu kommen würde, stand außer Frage. Denn Jói liebte sie und wollte erfahren, wie es ihr ging. Ein schönes Gefühl zu wissen, dass sich ihr Bruder im positiven Sinne um sie sorgte. Es war mehr als das, er hatte Interesse an ihr und ihrem Leben.

»Klar doch!« Stella lächelte Jói an und merkte, dass etwas von der Anspannung in ihren Schultern von ihr abfiel.

»Was nimmst du?«, wollte er von ihr wissen, während sie die Landstraße entlangbrausten, die am Ufer des Fjords nach Akureyri hineinführte.

»Ein kleines in der Waffel«, erwiderte sie.

Ihr Bruder sah sie mit gehobener Augenbraue von der Seite aus an. »Seit wann bist du so bescheiden?«

»Seit ich versuche, meine Kleidergröße zu halten – ich habe keine Lust, nach zwei Wochen Island fünf Kilo zugenommen zu haben.« Das war leider die Wahrheit, Stella war keine von den Frauen, die essen konnten, was sie wollten, ohne direkt ein paar Pfunde mehr drauf zu haben. Es war ohnehin schon schwer genug, die Röllchen und Pölsterchen im Griff zu haben. Außerdem war sie sich im Klaren darüber, dass das isländische Essen üppig und verdammt lecker war.

Jói verdrehte die Augen kommentarlos und bog nach links ab. Kurz darauf erreichten sie den bekanntesten Eisladen im Ort. Das Haus war rot gestrichen, und der Name »Brynja« war zusammen mit einer gemalten Eistüte in Weiß an die Wand gepinselt worden. Hier befand sich der älteste Teil Akureyris, mit seinen schnuckeligen Häuschen, die nahezu allesamt renoviert waren. Es gab zum Beispiel das ehemalige Krankenhaus, das heute ein Bed & Breakfast war. Oder das Theater, das auch heute noch als solches genutzt wurde, obwohl es mittlerweile am Hafen ein neues Gebäude – das Opernhaus Hóf – gab.

»Was schaust du so komisch?«, wollte Jói wissen.

Sie zuckte die Schultern. »Man wird sich doch noch mal umsehen dürfen? Ich freue mich einfach, dass sich auf den ersten Blick wenig verändert hat.«

Jói runzelte die Stirn. »Na ja, wie man es nimmt. Es wird viel gebaut, da vorne zum Beispiel sind gerade zwei große Wohnblocks entstanden, die ich persönlich als nicht gelungen empfinde. Die nehmen den anderen das Licht und die Aussicht, das finde ich nicht so schön. Es gibt ganze Neubauviertel, Akureyri wächst. Wieso interessierst du dich dafür? Willst du doch wieder nach Hause kommen?«

Von dieser Frage war Stella nicht überrascht. Sie kommentierte sie nur mit einem Kopfschütteln. »Lass uns Eis kaufen!«

Gemeinsam betraten sie den Laden. »Das ist krass, hier sieht ja alles anders aus«, meinte sie leise zu ihrem Bruder.

Früher war es ein kleines Geschäft mit einer einzigen Softeis-Sorte gewesen. Jetzt standen mehrere Eismaschinen mit verschiedenen Geschmacksrichtungen im hellen Verkaufsraum. Es gab nicht nur weißes Softeis, sondern auch Schoko, Erdbeere, Veganes und Kokos. »Verrückt«, murmelte Stella.

»Was darf es sein?«, fragte die Verkäuferin hinter dem Tresen, die noch Schülerin sein musste. Sie war garantiert nicht älter als fünfzehn. Sie trug eine schwarze Leggins mit Turnschuhen und einen Kapuzenpullover, darüber eine Schürze mit dem Logo des Ladens. Sie kaute Kaugummi und wirkte mittelmäßig motiviert. Sicher arbeitete sie nur hier, um sich ihr Taschengeld aufzubessern. Das Leben in Island war teuer, und es war völlig normal, dass man als Jugendlicher einen kleinen Job annahm, um sich gewisse Sachen leisten zu können.

Stella hatte gerade ihren Mund geöffnet, um die Bestellung aufzugeben, als Jói ihr ins Wort fiel.

»Ein weißes Eis im Becher, mittlere Größe, gemischt mit Noa Kropp und den kleinen Lakritzbällchen hier.« Er zeigte in die Auslagen der gekühlten Glasvitrine, in der unzählig viele Süßigkeiten in Edelstahlbehältern – wie in italienischen Eisdielen das Eis – präsentiert wurden. In Island war es gang und gebe, dass man sich ins Softeis verschiedene Leckereien mischen lassen konnte. So ähnlich wie McFlurry bei McDonalds nur mit tausendmal mehr Auswahl.

Jói wandte sich an Stella. »Sorry, Schwesterlein, du wirst ein richtiges Eis essen und jetzt nicht damit anfangen, Kalorien zu sparen.«

Stella verzog ihre Lippen, musste dann aber doch lachen. »Na gut, schön, dass du dich noch erinnerst, was ich am liebsten mag.«

Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Wie könnte ich das vergessen? Und ehrlich: Ich bin saufroh, dass du hier bist.«

»Weil ich eine billige Arbeitskraft bin?«, scherzte sie und stupste ihm den Ellenbogen in die Seite.

»Das auch, aber mal im Ernst, Stella. Es tut einfach so gut, dich wiederzusehen, dass ich gar nicht weiß, wohin mit meiner Freude.«

Sie wusste, dass er es ehrlich meinte, und es fühlte sich wunderbar vertraut an, gleichzeitig regte sich ein wenig Widerstand in ihr. Es war ja nicht so, dass sie hinterm Mond lebte. Beinahe hätte sie erwidert, dass er ja auch einmal nach London zu Besuch hätte kommen können. Aber Jói und Marvin verstanden sich nicht sonderlich gut. Eigentlich konnte Marvin kaum jemanden aus ihrer Familie leiden – weil die immer nur isländisch redeten, sagte er zu ihr, wenn sie ihn darauf ansprach, warum er ihre Familie geradezu ablehnte. Das mit dem Isländischsprechen stimmte sogar, diesbezüglich konnte sie Marvin keinen Vorwurf machen. Trotzdem fand sie es unglaublich schade, dass das Verhältnis zwischen dem Mann, mit dem sie zusammenlebte, und ihrer Familie nicht besser war. Nicht jetzt, dachte sie, nahm den Eisbecher von dem Mädchen entgegnen und bedankte sich. Stella zog sich einen Einweg-Bambuslöffel aus einem Becher und begann direkt zu futtern, während ihr Bruder seine Bestellung aufgab: Ein weißes Softeis in der Waffel, eingetaucht in helle Schokolade und im Anschluss in kleinen Schokobällchen gewendet, die dann in der noch weichen Masse festklebten.

Stella zückte ihre Kreditkarte und wollte bezahlen, aber Jói drängelte sich vor und hielt sein Handy vor das Lesegerät.

»Du bist unmöglich«, schimpfte Stella, als sie zum Auto hinausgingen, weil sie ihn hatte einladen wollen.

»Das wäre ja noch schöner, dass du bezahlst«, gab er amüsiert zurück und klemmte sich hinters Steuer.

»Macho«, grummelte Stella und zwinkerte ihm zu.

Er ging nicht darauf ein, sondern startete den Motor und fuhr los. Sie drehten eine Runde zum Hafen und plauderten über dies und das, während sie ihr Eis mampften, bis Jóis Haltung sich ein wenig änderte. Auf einmal wirkte er, als ob er kurz davor stünde, ihr schlechte Neuigkeiten zu übermitteln. Stella hatte keine Ahnung, was das sein könnte, aber diesen Gesichtsausdruck hatte sie schon öfter gesehen und konnte ihn daher sehr gut einordnen.

»Was ist los?«, wollte sie von Joi wissen und ließ ihren Eisbecher auf den Oberschenkel sinken.

»Also, ich wollte dich fragen, ob es okay ist, wenn du bei Opa wohnst, solange du hier bist.«

»Bei Opa?«, wiederholte sie überrascht. »Wieso das denn?«

Opa wohnte etwa fünfzehn Minuten außerhalb von Akureyri, er betrieb dort eine kleine Fischfarm für Lachs und Saiblinge. »Ist es wegen Magnea? Ich schwöre, dass ich sie nicht störe, ich werde mich ruhig verhalten und euch so gut ich kann unterstützen.«

»Nein, Stella, es ist nicht wegen ihr. Ich weiß, dass du ihr nicht – wie andere Familienmitglieder …«, er bedachte Stella mit einem hilflosen Blick, und sie wusste, dass er die werdenden Großmütter meinte. Die konnten die Ankunft der Zwillinge kaum noch erwarten und gingen, seit sie wussten, dass Babys unterwegs waren, Magnea und Jói mit guten Ratschlägen auf den Keks. Sie waren einfach so furchtbar übermotiviert. Jói fuhr fort. »Ich wollte dich bitten, erst einmal ein paar Tage bei Opa zu wohnen, weil ich das Gefühl habe, Opa vereinsamt ein bisschen da draußen. Er sagt zwar nichts, aber … na ja, schau es dir einfach mal an, okay? Es wäre cool, wenn du bei ihm mal nach dem Rechten sehen könntest. Frauen bemerken so was ja eher.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Was meinst du mit so was? Soll ich ihm das Haus putzen, oder worauf willst du hinaus?«

Mit einem Schulterzucken erwiderte Jói. »Schau es dir einfach an, okay? Sag mir, was du von Opa hältst. Und du bist nicht als Reinemachefrau engagiert, klar? Ich finde, dass er sehr zurückgezogen lebt, er kommt nicht mehr so oft zu uns, auch nicht, wenn wir ihn einladen. Da hat er dann immer neue Ausreden, warum er nicht kann. Ich habe das Gefühl, dass er noch immer stark trauert. Ich mache mir einfach Sorgen um ihn.«

Stella wurde schwer ums Herz. »Wieso sagt mir denn niemand was? Das habe ich nicht gewusst.«

»Weißt du, Stella. Wir telefonieren nicht häufig, und wenn ich dich mal an der Strippe habe, dann hast du meistens nach drei Minuten jemand anderen in der Leitung, der dringendere Anliegen hat. Ich weiß echt nicht, wann und wie ich das Thema mal mit dir hätte besprechen sollen. Außerdem ist London weit weg, und, na ja, jetzt bist du da. Sieh mal nach ihm, vielleicht täusche ich mich ja auch, und Opa hat einfach nur keinen Bock auf uns.«

Das konnte Stella sich nicht vorstellen. Opa Gunni war ein lebensfroher Mensch, der sich sehr um seine Lieben sorgte. Aber ja, seit Omas Tod hatte sich viel für ihn verändert. Dass er sehr traurig war, hatte sie gewusst, aber das war ja normal. Sie hatte gedacht, dass er sich irgendwie damit arrangieren würde, alleine zu leben.

War es wirklich so schlimm, wie Jói sagte?

O Gott. Stellas Gewissen meldete sich. Ihr Bruder übertrieb selten, dafür war er nicht der Typ. Stella hatte seit Ewigkeiten nicht mit Opa geredet. Und ehrlichweise musste sie vor sich selbst zugeben, dass es stimmte, was Jói ihr eben wie einen Spiegel vor Augen gehalten hatte. Stella hatte ihre Familie und auch Freunde vernachlässigt. Mehr als das. Außer ihrer Arbeit gab es nichts in ihrem Leben. Das bisschen Freizeit, das ihr blieb, verbrachte sie mit Marvin, und auch mit ihm ging es in den Gesprächen größtenteils um ihre oder seine Karriere. Gerade fragte Stella sich, warum sie das nicht früher erkannt hatte, denn das konnte ja wohl nicht alles im Leben sein, oder?

»Also gut, dann bring mich zu Opa. Vielleicht ist das wirklich ganz gut, denn ich habe ihn sehr vermisst. Nur, wie komme ich dann jeden Tag zum Angelladen? Es ist ein bisschen zu weit, um mit dem Fahrrad zu fahren«, witzelte Stella, um ihre emotionale Verwirrung zu überspielen.

»Opa hat doch ein Auto«, erinnerte Jói sie.

»Meinst du, ich darf das nehmen?«

Jói lachte. »Was ist das denn für eine merkwürdige Frage? Klar kannst du den Nissan ausleihen.«

Stella senkte den Blick und schämte sich fast ein bisschen für ihre Unsicherheit. »Ich weiß selbst nicht, wie ich darauf komme«, log sie, dabei wusste sie es ganz genau. In Marvins Garage stand ein Aston Martin – und den hatte sie noch nicht ein einziges Mal fahren dürfen. Einmal hatte sie ihn gefragt, da hatte Marvin nur gelacht und ihr einen Kuss gegeben, mit den Worten »Sweetheart, ich lass’ mir eher die Eier von dir abschneiden, als dir das Auto zu borgen«.

Danach hatte sie nicht mehr darum gebeten und war mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren.

Stella schluckte und schaute aus dem Fenster, während sie die in ihr aufsteigenden Gefühle niederkämpfte. So recht gelang es allerdings nicht.

Sie fuhren über die Landstraße an der Tankstelle vorbei über den Fluss, so dass sie auf die andere Seite des Fjords kamen. Von hier aus hatte man einen fantastischen Blick auf Akureyri. »Die Stadt wird ja immer größer«, murmelte sie vor sich hin.

»Es ist kaum zu glauben, oder? Andererseits, Akureyri hat alles, was man braucht. Für Familien ist es fantastisch, hier zu leben.«

»Ja, ganz bestimmt«, gab Stella einsilbig zurück.

Jói ging nicht auf ihre seltsame Stimmung ein, dafür war sie dankbar. »Kommst du morgen Abend zum Essen? Ich wollte dich heute erst mal in Ruhe ankommen lassen.«

»Ich bin doch nicht zum Vergnügen da, du musst mich nicht verköstigen«, erwiderte sie und knuffte ihm in den Oberarm. »Zuerst komme ich morgen in den Laden, und dann sehen wir weiter. Wenn ich nämlich eines nicht will, dann dir und Magnea Umstände bereiten. Um wie viel Uhr ist Dienstbeginn?«

»Wir machen um elf auf – das hat sich nicht geändert. Aber willst du dich nicht erst mal einrichten? Und, Stella, sei nicht albern, dich zum Essen dazuhaben sind keine Umstände, es ist eine große Freude. Was ist bloß in England mit dir passiert?«

Sie ging nicht darauf ein, aber hatte sich eben schon dieselbe Frage gestellt. Früher war sie ein absoluter Familienmensch gewesen. Sie hatte es genossen, von ihren Lieben umgeben zu sein. Heute fühlte sie sich wie eine Einsiedlerin, die unsicher wurde, wenn sie ihre Fühler mal aus dem Schneckenhaus strecken sollte. Bestimmt würde sich das in den kommenden Tagen legen – sie hoffte es zumindest.

»Um mich einzurichten, brauche ich doch keinen ganzen Tag.« Außerdem kann ich nicht ewig bleiben, schoss es ihr durch den Kopf. Sie wollte aber die begrenzte Zeit, die sie auf Island hatte, wirklich nützlich sein. »Wie lange fällt Arnaldur denn aus?«, fragte sie schließlich.

»Kein gutes Thema – ich weiß es nicht, das mit seinem Bein scheint kompliziert zu sein. Aber ich habe natürlich schon eine Stellenanzeige laufen. Nur finde mal jemanden, der Ahnung von Angel- und Jagdausrüstungen hat. Das ist momentan geradezu unmöglich.«

Sie hörte an seiner Stimme und wusste auch so, dass es ihm seit Tagen furchtbares Kopfzerbrechen bereitete. Daher wechselte sie lieber das Thema. »Die Winter hier können lang sein, wenn man das mit London vergleicht.«

»Der Winter ist lange vorbei. Bald ist Mai«, witzelte Jói, während er die Scheibenwischer anstellte, weil der Schneefall dichter geworden war.

»Ich fürchte, ich habe die falschen Schuhe eingepackt«, brummte Stella und schaute auf ihre Pumps mit Pfennigabsätzen. Sie passten perfekt zur schwarzen Lederleggins und dem cremefarbenen Rollkragenpullover, den sie trug.

»Das sind hoffentlich nicht die einzigen Schuhe, die du mithast?« Als sie das Entsetzen in Jóis Gesicht sah, prustete Stella los.

»Nein, keine Sorge.«

Das zweite Paar waren ein paar weiße Sneaker, das behielt sie für sich, denn Witze auf ihre Kosten konnte sie gerade nicht ertragen. Stella hatte keine Ahnung, was sie sich beim Packen gedacht hatte. Wenig vermutlich, weil sie sauer auf Marvin gewesen war. Auch beim Verabschieden heute Morgen war die Stimmung frostig gewesen.

Sie hatte ihm bisher nicht einmal getextet, dass sie gut gelandet war.

Und er hatte nicht nachgefragt.

Stella zückte ihr Handy und schaute erneut darauf. Sie hatte unzählige Nachrichten und E-Mails, aber keine war von ihm. Gut, soll mir recht sein, dachte sie beleidigt. Wenn er sich darüber ärgern will, dass ich meine Familie unterstütze, sollte er das tun. Das wird mich nicht davon abhalten.

»Du willst doch jetzt nicht noch arbeiten, oder?«, riss Jói sie aus ihren Überlegungen.

»Nein, will ich nicht«, gab sie knapp zurück und löffelte den Rest ihres Eisbechers aus, obwohl ihr schon ganz frostig zumute war. Das ließ sich glücklicherweise mit der Sitzheizung beheben.

»Weißt du, ich bin echt froh, dass ich hier bin«, meinte sie schließlich, während sie über den lang gezogenen Fjord schaute. Das Meer war rau und wirkte ohne leuchtende Sonnenstrahlen beinahe schwarz. Ein Trawler war auf dem Weg in den Hafen. Links von der Straße ging es hinab zum Ufer. Auf den Weiden lag kein Schnee mehr, aber das Gras war auch noch nicht grün, sondern bräunlich. Rechts ging es steil den Berg hinauf, sie waren vor ein paar Minuten am neuen Tunnel vorbeigekommen und links in Richtung Grytubakkahreppur abgebogen, wo Opas Haus lag. Stella kannte nicht alle Bauernhöfe der Gegend, aber einige.

Es war schön zu sehen, dass sich hier wenig bis gar nichts verändert hatte. Zehn Minuten später bogen sie links ab und fuhren den schmalen Schotterweg, der serpentinenartig zu Opas Haus hinabführte.

Von hier aus konnte man die beiden Fischteiche und das Bassin mit den jüngeren Fischen sehen, die noch nicht groß genug waren, um umgesetzt zu werden.

»Weiß Opa eigentlich, dass ich komme?«, fragte Stella.

»Er wird es gleich erfahren.«

Stella rollte mit den Augen. »Ich habe echt vergessen, wie spontan wir sind.«

Jói tätschelte ihren Oberschenkel. »Ein bisschen zurück zu den Wurzeln wird dir guttun, Stella. Um dich habe ich mir nämlich auch Gedanken gemacht.«

Wieso sollte man sich um sie sorgen? Mit diesem kryptischen Satz parkte Jói den Truck vor dem Wohnhaus. Der Wasserfall dahinter plätscherte wie eh und je und mündete in ein kleines Bächlein, das weiter unten in den Fjord führte. In alten Tagen, als es noch keine Wasserleitungen gegeben hatte, war das die Trinkwasserquelle gewesen. Die Gegend hier wirkte wie aus der Zeit gefallen, ursprünglich, unverändert. Rein. In Stellas Bauch fing es an zu kribbeln.

Als kleines Mädchen hatte sie unzählige Tage hier verbracht. Sie hatte es geliebt, Opa bei der Arbeit behilflich zu sein und mit Oma Kuchen zu backen. Auch, wenn Stellas Talente eher in der Fischzucht lagen als im häuslichen Bereich, so hatte ihr beides Spaß gemacht. Seitdem hatte sich, was die Kochkünste betraf, bei ihr wenig geändert. Stella schaffte es gerade mal, Rührei und Pasta unfallfrei zuzubereiten.

Aber was die Saibling- und Lachszucht anging, war sie auch nicht sicher, ob sie nicht alles vergessen hatte. Das war es jedoch garantiert nicht gewesen, was Jói gemeint hatte, als er gesagt hatte, dass sie mal nach Opa schauen sollte. Opa brauchte bestimmt keine geschäftliche Hilfe. Er war einsam, hatte Jói gesagt, und das konnte Stella sich sehr gut vorstellen.

Seit ihre Oma vor zwei Jahren verstorben war, war Stella nicht mehr hier gewesen. Sie hatte gedacht, dass Opa irgendwie klarkommen würde. Er hatte eine Aufgabe, hatte Freunde und alles … Vielleicht war sie auch einfach zu sehr mit sich beschäftigt gewesen und hatte nicht an seinen Kummer denken wollen. Ihr Gewissen regte sich erneut, aber Stella schob das alles beiseite. Sie wollte sich die Wiedersehensfreude nicht von Schuldgefühlen trüben lassen.

Gerade fürchtete sie sich jedoch ein wenig vor der Begegnung. Vielleicht war Opa schrecklich gealtert und unglücklich. Zum Bangen blieb wenig Zeit, denn die Haustür ging auf, und Opa Gunni schaute heraus. Er hatte einen alten isländischen Wollpullover an, der ein bisschen fleckig war, ebenso wie die Arbeitshose. An den Füßen trug er Socken mit einem Loch am großen Zeh. Er war schmal geworden, das konnte Stella sogar auf die Entfernung erkennen.

»Ja, traue ich meinen Augen?«, stieß Opa hervor, schlüpfte in seine Stiefel und kam aus dem Haus.

»Sieh mal, wen ich dir mitgebracht habe«, verkündete Jói.

Stella sprang aus dem Auto und lief auf den alten Mann zu, den sie so liebte. »Überraschung!«, rief sie und breitete die Arme aus.

Opa drückte Stella fest an seine Brust, und sie schmiegte sich an ihn. Sie merkte, wie er über ihr Haar strich, als wäre sie noch das siebenjährige Mädchen und keine erwachsene Frau. Ein Gefühl der Geborgenheit und der Wärme rieselte durch ihre Brust, wie sie es lange nicht mehr gespürt hatte.

»Ich bin so froh, dass ich hier bin«, wisperte sie.

»Das ist die schönste Überraschung seit Langem«, brummte Opa, und er hörte sich ein wenig ergriffen an.

Stella löste sich von ihm. »Meinst du, ich kann ein paar Tage bleiben?«

Zuerst wirkte er überrascht, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem faltigen und vom Wetter gegerbten Gesicht aus. Er sah aus, als hätte er sich länger nicht rasiert, seine Wangen waren ein wenig eingefallen. Aber seine Augen strahlten fröhlich, wie Stella jetzt erleichtert feststellte. Er freute sich wirklich, sie zu sehen, und ihr ging es genauso.

»Kommt doch erst einmal rein. Du bist immer willkommen bei uns. Immer. Ich hoffe, das weißt du.« Er räusperte sich, dann huschte ein Schatten über seine Züge, was er mit einem Achselzucken überspielte. Er hatte bei uns gesagt. Als wäre Oma noch da.

Wie traurig, dachte Stella. Wieso habe ich ihn nie angerufen?

Etwas in ihr zog sich kummervoll zusammen. Vergangenes ließ sich leider nicht nachholen, aber die Zukunft, die konnte sie ändern. Vielleicht war Jóis Hilferuf viel mehr als das gewesen – Stella begriff, dass es eine Chance für sie war. Es könnte eine Gelegenheit sein, nicht mehr länger ihr eigenes Leben zu verpassen. Stella kam London plötzlich viel weiter als ein paar Tausend Kilometer entfernt vor. Es war merkwürdig, beängstigend sogar. Sie war gerade mal ein paar Stunden auf Island, und plötzlich stellte sie alles infrage, was sie bisher glücklich gemacht hatte. Aber stimmte das wirklich? War sie glücklich gewesen oder einfach nur beschäftigt?

»Nun kommt schon rein!« Opa riss sie aus ihren Grübeleien. Er gestikulierte aufgeregt, was hieß, dass er sich sehr über ihren Besuch freute. »Wir wollen uns doch nicht die Beine in den Bauch stehen. Liebes Kind, du siehst nicht so aus, als wärst du auf Schneefall eingerichtet.«

Stella verzog ihre Lippen. »Da hast du vollkommen recht.« Sie schlang sich die Arme um den Körper, während ihr Bruder das Gepäck von der Rücksitzbank nahm und ins Haus trug. Es war wirklich eiskalt, das hatte sie bis eben gar nicht wahrgenommen, dafür jetzt umso mehr.

Opa legte ihr einen Arm um die Schultern und ging mit Stella bis zu den Stufen, dann ließ er ihr den Vortritt. »Nach dir, Liebes.«

Schon wieder brannte es hinter ihren Lidern. Tränen der Freude. Tränen der Liebe. Es war unglaublich, wie sehr sie Island und ihre Familie vermisst hatte.

Im Hausflur zog sie ihre Schuhe aus. Es roch ein wenig muffig. An der Garderobe hingen nicht nur Opas Klamotten, sondern auch Omas Jacken. Stella wurde schwer ums Herz, aber sie sagte nichts. Auf der Kommode lag eine dicke Staubschicht, die auch den Strauß mit getrockneten Blumen überzogen hatte. Ein Gefühl der Schwermut hing in der Luft, das ihre Brust eng werden ließ. Wie es wohl im Rest des Hauses ausschauen mochte? War Opa zum Messi geworden? Das konnte sie sich nicht vorstellen, aber Trauer stellte mit manchen Leuten seltsame Dinge an.

Stella ging mit leichtem Unwohlsein über den Flur in die Küche. Dort wurden ihre Ahnungen glücklicherweise nicht wahr. Es stapelten sich kein von Dreck verkrustetes Geschirr oder schmutzige Töpfe im Zimmer. Aber etwas fehlte trotzdem: Behaglichkeit.

Es gab kein Gebäck wie früher, kein Obst in der Schale. Auf dem Fensterbrett stand eine vertrocknete Grünpflanze. Man konnte nicht mehr erkennen, was es mal gewesen war. An der Wand neben dem Küchentisch, an den – wenn man sich eng quetschte – vier Personen passten, hingen Familienfotos und Omas Todesanzeige.

Der Kloß in Stellas Hals wurde riesengroß. Sie sagte nichts, sie hätte es auch gar nicht gekonnt.

»Wollt ihr erst einmal einen Kaffee?«, erkundigte Opa sich und begann bereits damit an der Filtermaschine, die auch schon bessere Tage gesehen hatte, herumzuhantieren. »Wie geht es Magnea?«, wollte er von seinem Enkel wissen.

»Soweit gut, danke. Ich kann leider nicht bleiben, ich muss nach Hause. Wir sehen uns aber bald. Morgen Abend gibt es essen bei uns.«

Opa ging nicht darauf ein, während er Kaffeepulver in den Filter löffelte. Stella wollte sagen, dass sie so spät – es war kurz nach sechs – keinen mehr trinken wollte, um nachts besser zu schlafen. Sie ließ es aber sein, denn in Island wurde Kaffee nun mal zu jeder Tages- und Nachtzeit serviert. Außerdem wollte sie Opa nicht vor den Kopf stoßen. Denn er wollte ihr eine Freude machen und sie willkommen heißen.

Erst jetzt fiel Stella auf, dass eine Reihe von sauberen Tupperdosen und Schüsseln auf der Arbeitsfläche standen. »Soll ich die wegräumen?«, bot sie an, weil sie sich nützlich machen wollte.

»Tschüss ihr beiden, dann bis morgen«, Jói nutzte die Gelegenheit, um sich zu verabschieden.

»Tschüss«, antwortete Opa, dann wandte er sich an Stella. »Du kannst sie rüber zu Lollis Hof bringen, Dudda hat mir ein paar Sachen rübergeschickt. Die Frau denkt, ich verhungere sonst.«

Ein Lächeln huschte über Stellas Gesicht. »Wie schön, das mache ich gern.« Sie kannte das Ehepaar vom Nachbarhof. Es tat gut zu hören, dass sich Dudda ein bisschen um Opa kümmerte – und sei es nur mit etwas Kuchen oder Suppe. Stella war davon überzeugt, auch ohne in den Kühlschrank geschaut zu haben, dass da nicht viel drin sein würde. Außer Butter und Milch vermutlich. Den Fisch hatte Opa direkt vor der Tür, und Gemüse oder Salat hatte er schon als Tierfutter bezeichnet und abgelehnt, als Oma noch täglich gekocht hatte.

Nach ihrem Tod war garantiert kein einziges Salatblatt in seinen Einkaufswagen gewandert. Nun, das konnte sich ja jetzt ändern, überlegte Stella, während sie die Tupperdosen in eine Tüte packte, die sie aus der Schublade neben der Spülmaschine geholt hatte. Dort waren sie früher schon immer gewesen.

»Bis du zurück bist, ist auch der Kaffee durchgelaufen. Und sag Dudda, ich brauche nichts, ich habe alles«, brummte er und kramte herum.

Das würde sie nicht tun!

Stella klopfte ihm liebevoll auf die Schulter. »Gern, Opa. Bis gleich.«

Im Flur schlüpfte Stella wieder in ihre Schuhe und ging nach draußen. Vielleicht hätte sie sich eine Jacke überziehen sollen – und Opas Stiefel statt der High Heels, aber daran hatte sie nicht gedacht. Außerdem war sie ein wenig zu eitel dafür. Schon nach wenigen Schritten merkte sie, dass sie das bald bereuen würde, wollte aber nicht noch mal umdrehen.

Außerdem wollte sie kein Weichei sein. Fröhlich vor sich hin pfeifend stakste sie über den Schotterweg bis zur Grundstücksgrenze. Sie musste ein Stück über eine Weide der Nachbarn gehen, was sich in den High Heels als gar nicht so leicht herausstellte. Aber sie meisterte den Weg, ohne umzuknicken. Bis sie drüben am Hof der Nachbarn, der Hjarðarholt hieß, ankam, war ihr auch gar nicht mehr so kalt. Bis auf die Finger und Nasenspitze jedenfalls – die fühlten sich an, als würden sie gleich abfallen.

Stella wurde von einem bellenden schwarz-weißen Hund begrüßt, der aufgeregt um sie herumlief. Es kam Stella so vor, als ob nicht oft Besucher auf den Hof kämen, aber das konnte auch täuschen. Der Vierbeiner wirkte jedenfalls nicht aggressiv. »Na, wer bist du denn?«, sprach sie ihn an. Sogleich setzte er sich brav vor sie hin, sein Schwanz wedelte über den Boden. Er schaute sie interessiert an, als erwartete er was Leckeres oder zumindest ein paar Streicheleinheiten von ihr. Sie hörte die Schafe im Stall hin und wieder blöken. Gerade wollte sie den Hund hinter den Ohren kraulen, als sie ein Geräusch aufblicken ließ.

»Achtung, er könnte beißen«, rief jemand unvermittelt. Stella erschreckte sich so sehr, dass sie rückwärts stolperte und unsanft auf ihrem Po landete. Sie quietschte auf.

Scheiße, tat das weh.

Es fühlte sich an, als hätte sie sich das Steißbein geprellt. Mindestens.

»Verdammt«, fluchte Stella und rappelte sich wieder hoch. Die Tüte hatte sie noch immer in den Händen. Schon während sie aufstand, fragte sie sich, warum ihr der Mann nicht wenigstens auf die Beine half. Als sie wieder auf den Beinen war, schaute sie sich genervt und gleichermaßen peinlich berührt um. Da war dieser grobe Kerl, der breitbeinig auf dem Hof stand, als gehörte er ihm. Der Typ schien, im Gesicht zumindest, nur aus Haaren zu bestehen. Er trug grüne Dunlop-Gummistiefel, eine braune, ausgebeulte und fleckige Hose und einen bunten Lopapeysa, einen traditionellen isländischen Wollpullover. Das gute Stück schillerte in allen Regenbogenfarben. Der Mann selbst war blond, seine Augen blau. Und so wütend. So grimmig. Er hatte einen Blick drauf, der so stechend war wie das schärfste Filetiermesser.

»Suchst du was?«, wollte er jetzt wissen und rührte sich nicht von der Stelle.

»Danke, mir geht’s gut«, erwiderte Stella erbost und fragte sich, was der Kerl überhaupt auf Lollis Hof zu suchen hatte. Wobei irgendwas an ihm kam ihr bekannt vor. Sie wusste bloß nicht, was es war.

Der Fremde ließ seinen Blick von Kopf bis Fuß über ihren Körper wandern, dabei ließ er sich Zeit und versuchte erst gar nicht, seine Musterung unauffällig wirken zu lassen. Sie las keine Anerkennung oder gar etwas Sexuelles darin, sondern … Verachtung.

Stella schnappte nach Luft.

Was sollte das denn? Sie hatte ihm nichts getan. Sie kannte den Kerl nicht mal.

Stella war auch nicht blöd. Sie begriff schnell, dass er ihren Look als unpassend und dämlich verurteilte. Anscheinend hatte er etwas gegen zivilisierte Frauen.

Gut, ihr gefiel sein Outfit auch nicht, trotzdem benahm sie sich nicht wie ein Höhlenmensch.

Wenn Stella eines nicht leiden konnte, dann arrogante Tölpel, die ihr vorschreiben wollten, wie sie zu sein hatte. Vor allem, wenn es jemand war, der selbst ein Bild des Schreckens bot. Fehlte nur noch, dass er den Rotz durch die Nase hochzog und ihr vor die Füße spuckte. Stella erschauderte bei dieser Vorstellung.

»Das wollte ich gar nicht wissen«, knurrte er zum Glück nur und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust.

Ein Arschloch war er trotzdem.

»Wer bist du überhaupt? Wo ist Lolli? Und wo ist Dudda?« Stella reckte ihr Kinn trotzig nach vorn. Sie schaffte es, nicht das zu sagen, was ihr auf den Lippen lag: Du bist der abscheulichste Kerl, der mir je begegnet ist.

Aber er schien auch so zu merken, was sie von ihm hielt. Er ließ sich davon nicht beeindrucken. Der Mann hob lediglich eine Braue. Sein Blick war noch immer kalt und abschätzend wie zuvor. »Wer will das wissen?«

Himmel! Hatte er niemals etwas von höflichen Umgangsformen gehört? Was war das bloß für ein Mensch? Ein Saisonarbeiter vielleicht. Lolli und Dudda waren nicht mehr die Jüngsten, und die Lammsaison fing bald an, wie sich Stella gerade erinnerte, weil sie das Blöken aus dem Stall immer wieder hörte.

»Allmählich wird mir das zu dumm hier! Keine Ahnung, wer du bist, aber so muss ich mich nicht behandeln lassen.« Sie marschierte an ihm vorbei und achtete darauf, nicht erneut zu stolpern. Stella stakste die drei Stufen bis zur Haustür hinauf und klingelte.

Sie spürte den bohrenden Blick des Ekelpakets in ihrem Rücken – oder auf ihrem Po, sie war sich nicht sicher. Wie auch immer. Stella drückte die Brust raus und hielt das Kreuz gerade. Von so einem Arschloch ließ sie sich nicht einschüchtern. Sie hatte es in ihrem Leben schon mit ganz anderen Kerlen zu tun gehabt. Sie konnte ebenso gut mit millionenschweren Machos wie mit ungehobelten Oligarchen umgehen, also würde sie sich bestimmt nicht von einem vollbärtigen Bauerngehilfen aus der Ruhe bringen lassen. Leider merkte sie, dass ihr Herz wie verrückt pochte. Ihr Atem kam schnell.

So was aber auch.

Sie wollte gerade umdrehen, als die Tür geöffnet wurde. Stella schaute in Duddas freundliches Gesicht. Dudda brauchte einen Moment, dann schlug sie freudig die Hände vor der üppigen Brust zusammen. »Stella? Bist du das? Meine Güte! Wie schön, dich zu sehen, komm rein!«

Dudda drückte sie warmherzig an sich, was sich seltsam anfühlte. Stella war einen ganzen Kopf größer als die alte Dame. Stella erwiderte die überschwängliche Begrüßung etwas unbeholfen und steif. Dudda ließ sich, sollte sie es merken, nicht davon irritieren.

»Eigentlich wollte ich nur kurz deine Tupperdosen zurückbringen, Opa hat sie mir gegeben …«, stammelte Stella, während sie Dudda ins Haus zog und die Tür hinter ihr schloss.

Stella schlüpfte mechanisch aus ihren Schuhen und folgte Dudda in die Küche, sie wusste, dass weiterer Widerstand zwecklos war – und unhöflich wollte sie auch nicht sein.

Es duftete köstlich nach allen möglichen Aromen, eine Mischung aus Braten und Gebäck. Aus dem Radio dudelten alte Schlager, zu denen Stella unbewusst anfing mitzusummen. In der Küche nahm Dudda ihr die Tüte ab. »Da hat sich ja ganz schön was angesammelt«, meinte sie lachend und stellte sie ab. Dann nahm Dudda die Alufolie von einem Kuchen ab und schob ihn Stella vor die Nase.

»Setz dich doch«, forderte Dudda sie freundlich auf. »Und erzähl mal! Wie lange bist du schon auf Island. Und wie lange willst du bleiben? Mein Gott, das ist ja ewig her, seit ich dich zuletzt gesehen habe …«

Dudda redete nicht weiter, weil sie sich wahrscheinlich beide daran erinnerten, dass es bei Omas Beerdigung gewesen sein musste.

Stella war ein wenig überfordert von der Herzlichkeit, die ihr hier entgegenschlug. Von dem ätzenden Typen von eben mal abgesehen, den würde sie gleich wieder vergessen. »Opa kocht gerade Kaffee, ich kann gar nicht lange bleiben, bin ja eben erst angekommen«, erklärte Stella mit einem Lächeln.

»Ach, komm, ein Stück Kuchen wirst du doch wohl essen können. Danach kannst du Gunni was davon mitnehmen. Im Kühlschrank habe ich auch noch Garnelensalat für ihn.«

»Es ist so lieb, dass du dich etwas um ihn kümmerst. Wo ist denn Lolli? Ich habe ihn gesucht, aber da war nur der …«, sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte.

So viel zum Thema, dass sie den ätzenden Typen gleich wieder vergessen wollte.

Aber gut, das war auch schwer, so ekelhaft, wie er sich ihr gegenüber verhalten hatte.

Dudda schob ein Stück Kuchen auf den Teller. Es sah nach Hjónabandssæla