Wo die Anemonen blühen - Patricia Matthews - E-Book
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Wo die Anemonen blühen E-Book

Patricia Matthews

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Beschreibung

Ein wildes Herz lässt sich nicht zähmen: Der fesselnde Liebesroman »Wo die Anemonen blühen« von Patricia Matthews jetzt als eBook bei dotbooks. Der Bundesstaat New York im 19. Jahrhundert. Catherine Carnahan, die junge Tochter eines Schiffsführers, ist ebenso schön wie eigenwillig; keiner der Männer auf dem Erie-Kanal konnte bisher ihr Herz erobern. Doch als sie eines Tages einen gutaussehenden Unbekannten vor betrunkenen Schlägern rettet, erwachen in ihr bisher ungeahnte Gefühle: Morgan Kane scheint keine Erinnerung an seine Vergangenheit zu haben – doch er beeindruckt Catherine mit seinem erstaunlich guten Geschäftssinn und seiner charmanten Art. Aber obwohl Cat sich unausweichlich zu ihm hingezogen fühlt, beginnt sie, mehr und mehr an Morgans merkwürdigem Gedächtnisverlust zu zweifeln – und sie beschleicht der Verdacht, dass er ein Geheimnis verbirgt, das ihre Liebe auf eine harte Probe stellen wird … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der mitreißende historische Liebesroman »Wo die Anemonen blühen« von Patricia Matthews. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 442

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Über dieses Buch:

Der Bundesstaat New York im 19. Jahrhundert. Catherine Carnahan, die junge Tochter eines Schiffsführers, ist ebenso schön wie eigenwillig; keiner der Männer auf dem Erie-Kanal konnte bisher ihr Herz erobern. Doch als sie eines Tages einen gutaussehenden Unbekannten vor betrunkenen Schlägern rettet, erwachen in ihr bisher ungeahnte Gefühle: Morgan Kane scheint keine Erinnerung an seine Vergangenheit zu haben – doch er beeindruckt Catherine mit seinem erstaunlich guten Geschäftssinn und seiner charmanten Art. Aber obwohl Cat sich unausweichlich zu ihm hingezogen fühlt, beginnt sie, mehr und mehr an Morgans merkwürdigem Gedächtnisverlust zu zweifeln – und sie beschleicht der Verdacht, dass er ein Geheimnis verbirgt, das ihre Liebe auf eine harte Probe stellen wird …

Über die Autorin:

Patricia Matthews (1927–2006) wurde in San Francisco geboren, studierte in Los Angeles und lebte später viele Jahre in Prescott, Arizona. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe begann sie, sich intensiv dem Schreiben zu widmen – so lernte sie nicht nur ihren zweiten Ehemann, den Schriftsteller Clayton Matthews kennen, sondern legte auch den Grundstein zu einer internationalen Karriere. Patricia Matthews, die unter zahlreichen Pseudonymen veröffentlichte, schrieb zwischen 1959 und 2004 über 50 Bücher, vom Liebesroman bis zum Krimi. Für ihr Werk wurde sie mit dem »Reviewers Choice Award« und dem »Affaire de Coeur Silver Pen Readers Award« ausgezeichnet.

Bei dotbooks erschienen Patricia Matthews Romane »Wenn die Magnolien blühen«, »Der Wind in den Zypressen«, »Der Traum des wilden, weiten Landes«, »Der Stern von Mexiko«, »Das Lied der Mandelblüten«, »Der Himmel über Alaska«, »Die Brandung von Cape Cod«, »Der Duft von Hibiskusblüten«, »Die Jasmininsel« und die »Virginia Love«-Saga mit den Einzelbänden »Der Traum von Malvern Hall« und »Das Vermächtnis von Malvern Hall«.

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eBook-Neuausgabe Oktober 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1984 unter dem Originaltitel »Gambler in Love« bei Pyewacket, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1986 unter dem Titel »Spielball der Liebe« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1984 by Pyewacket Corporation, New York

Copyright © 2020 Robert Thixton

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1986 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Pinder Lane & Garon-Brooke Associates, Kontakt: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Richard Griffin, Leene, Heidi Hovind, nadtochy

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-96655-608-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Patricia Matthews

Wo die Anemonen blühen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Rosmarie Kahn-Ackermann

dotbooks.

Kapitel 1

Die vom Wasser des angeschwollenen Eriekanals aufsteigende Luft war kalt und feucht; Catherine Carnahan schauderte und krümmte die Schultern unter der kurzen, abgetragenen Plaidjacke.

Mit der Dämmerung war der Nebel herbeigekrochen, und nun umgab er das Boot wie eine Schicht grauer Watte, so daß sie kaum ihre Hand auf der Ruderpinne sehen konnte. Der Treidelpfad war völlig verhüllt, nur das gedämpfte Klappern der Maultierhufe auf dem harten Boden und die Bewegung von ›Carnahan’s Cat‹ verrieten ihr, daß die Tiere und Timmie Watkins, der Mulitreiber, an der Arbeit waren.

Die Laternen am Bug konnte sie hier, von der Ruderpinne aus, nicht sehen. Es war nicht üblich, daß Kanalboote in einer so nebligen Nacht wie dieser ihre Fahrt fortsetzten. Aber es wäre tollkühn gewesen, hier im ›Side-Cut‹ anzulegen, denn es war ein wahrer Hexenkessel, was Verbrechen, Gewalttaten und Ausschweifungen betraf. Innerhalb eines Gebiets von der Größe zweier Häuserblocks gab es neunundzwanzig Saloons, die von Kriminellen aller Grade der Verkommenheit aufgesucht wurden. Es wurde behauptet, im Cut gäbe es pro Tag mehrere hundert Raufereien und Krawalle und allwöchentlich eine Leiche im Kanal; und obwohl die ›Kanaler‹ im allgemeinen in Ruhe gelassen wurden, gab es gelegentlich doch ausreichend Betrunkene oder Verrückte, die eines der langsam fahrenden Boote aufs Korn nahmen.

Cat murmelte einen Fluch vor sich hin. Wenn Mick nicht gewesen wäre, so hätte sie den Cut noch bei Tageslicht durchfahren und jetzt in der Nähe von Albany angelegt, um eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen. Sie, Cat, hätte ihren Vater besser im Auge behalten sollen. Seine Unruhe und Nervosität, die jeweils einer Sauftour voranzugehen pflegte, war ihr einfach entgangen.

Und deshalb war Mick vom Kai verschwunden, während sie und Timmie mit Verladearbeiten beschäftigt waren, und er war erst am frühen Morgen sinnlos betrunken zurückgekehrt. Das wäre an sich nicht weiter schlimm gewesen, aber nun mußte die verlorene Zeit wieder eingeholt werden, und das war der Grund, weshalb Cat nicht wagte, die Nacht über anzulegen. Sie mußten sich mit ihrer Ladung Mehl an den Termin halten, sonst mußten sie Buße zahlen.

Flüchtig überkam Cat Bitterkeit beim Gedanken an ihren Vater, der unten in seiner Koje schnarchte; aber da sie letztlich nicht der Typ war, der über verschüttete Milch Tränen vergoß, wandte sie wieder ihre gesamte Aufmerksamkeit dem Bemühen zu, mit den Augen den dichten Nebel zu durchdringen. Schließlich ging es ihr besser als dem armen Timmie, der die weite Strecke hinter den langsam trottenden Mulis hergehen mußte, denn in einer Nacht wie dieser konnte er nicht reiten.

Durch den Nebelvorhang hindurch drangen die blechernen Töne eines verstimmten Klaviers und rauhes, betrunkenes Gelächter zu ihr herüber. Cat schauderte erneut. Wenn einer der miesen Bewohner des Cut herausbekam, daß ›Carnahan’s Cat‹ vorüberfuhr, die nur von einem zweiundzwanzigjährigen Mädchen und einem neunzehnjährigen Mulitreiber in Gang gehalten wurde, so hätte er einer so leichten Beute vielleicht doch nicht widerstehen können.

Natürlich, wer die ›Cat‹ nicht kannte, konnte kaum bemerken, daß ein Mädchen an der Ruderpinne des Boots stand, denn Catherine trug Hosen, Stiefel und Plaidjacke, und ihr langes, gerades, braunes Haar war in die Wollmütze eines Mannes gestopft.

Nur eine nähere Betrachtung in gutem Licht hätte die zarten Züge einer Frau enthüllt. Sie hatte ein ziemlich schmales Gesicht mit lebhaften blauen Augen, einer kleinen Nase und einem großzügigen Mund. Immerhin, aus der Entfernung war das nicht ohne weiteres zu erkennen, denn Cat war ein großes, ziemlich breitschultriges Mädchen, dessen Schlaksigkeit in Männerkleidung den Eindruck knabenhafter Ungelenkheit erweckte.

Die anderen ›Kanaler‹, die sich im Gegensatz zu den üblichen Kanalschiffern so nannten, kannten sie zumeist seit ihrer Geburt und wußten natürlich auch, welchen Geschlechts sie war, aber sie waren durchweg verschlossene Iren, die selten mit den Leuten an Land sprachen, und selbst dann wären sie nie auf den Gedanken gekommen, Cat überhaupt zu erwähnen, denn sie waren in der Regel Menschen, die ein gewisses Maß an unkonventionellem Verhalten billigten und es als natürlich hinnahmen.

Trotz Kälte und Besorgnis merkte Cat, daß sie einzudösen begann. Sie hatte den Eindruck, sich gar nicht mehr daran erinnern zu können, wann sie das letztemal geschlafen hatte. Aber dann hörte sie ein Geräusch, das sie hellwach werden ließ – das Dröhnen einer Männerstimme und der Lärm einer Rauferei. Sehen konnte sie nichts.

»Timmie?« rief sie leise. Keine Antwort. War ihm etwas zugestoßen? »Timmie!« Diesmal war ihre Stimme lauter.

Die Fahrt des Bootes hatte sich verlangsamt, und gleich darauf stieß es gegen das Ufer; Timmie, ein kleiner, untersetzter Junge mit feuerrotem Haar, tauchte plötzlich aus dem Nebel auf.

»Da is, glaub’ ich, jemand überfallen worden, Miß Catherine. Ich hab’ bloß irgend’n Durcheinander sehen können. Ich glaub’, drei Kerle haben ’nen vierten vertrimmt.«

Cat zögerte. Sie empfand Mitgefühl für das Opfer, aber andererseits gab es jede Nacht so viele Opfer entlang dieses Teils des Kanals. Es war dumm von dem Mann, sich in diese Situation zu begeben, und es wäre von ihr ebenso dumm gewesen, ihm zu Hilfe zu eilen. Im Side-Cut konnte sie das teuer zu stehen kommen.

Mit einem Seufzer griff sie nach dem Colt im Holster, der neben der Ruderpinne hing. Sie haßte Schußwaffen, aber verbissen hatte sie sich dazu gezwungen, sich mit ihnen vertraut zu machen, denn die meisten der Halunken, die hier entlang des Kanals hausten, verstanden nichts anderes als Gewalt.

»Halte die Mulis an, Timmie«, sagte sie leise.

Dann kletterte sie hinaus auf den Treidelpfad.

Timmie starrte mit aufgerissenen Augen auf den Colt. »Miß Catherine, Sie werden doch nicht …«

»Es ist blöde von mir, ich weiß, aber ich kriege es einfach nicht fertig, irgendeinen armen Kerl zu Tode prügeln zu lassen, ohne wenigstens versucht zu haben, ihm zu helfen.«

»Dann komm’ ich mit Ihnen …«

»Nein«, sagte sie energisch. »Du bleibst bei den Mulis, sonst werden sie vielleicht von jemand gestohlen. Ich kann mit dem Ding hier umgehen.« Sie bewegte die Waffe in der Hand.

Während sie in Richtung des Lärms ging, spannte sie den Revolver. Ein Windstoß riß plötzlich eine Lücke in den Nebel, und sie sah vier Gestalten. Eine davon lag auf dem Boden, die drei anderen beugten sich über sie. Einer der Angreifer hielt einen kurzen Knüppel in den Händen, und während Cat zusah, fuhr er mit einem scheußlich dumpfen Laut auf den Liegenden hinab.

Cat nahm den Colt fest in beide Hände und hob ihn an. »Jetzt reicht’s, Gents«, sagte sie und zielte mit der Waffe auf den Mann, der ihr am nächsten stand.

Die drei erstarrten. Cat bewegte die Waffe. »Ich schlage vor, daß ihr drei ganz langsam zurückgeht und dann abhaut. Es sei denn, einer von euch möchte unbedingt ein Loch im Bauch haben.«

Die Männer starrten sie mit verschwommenen Blicken an. In ihrer Betrunkenheit wußten sie nicht recht, wie sie mit dieser neuen Entwicklung der Dinge fertig werden sollten. Dann sagte einer von ihnen verächtlich: »He, Kumpel, das is’ ja nur ’n junger Bursche.« Er trat einen Schritt auf Cat zu.

»Haut ab!« zischte sie. »Los, los!« Und um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, schoß sie eine Kugel in den Boden zu Füßen der Männer.

Die drei begannen zurückzuweichen, bis sie schließlich vom Nebel aufgeschluckt worden waren. Dann hörte Cat, wie sie in Richtung des Cut davontrampelten.

Sie wartete einen Augenblick, um sich zu überzeugen, daß sie wirklich weg waren, dann näherte sie sich der auf dem Boden liegenden Gestalt und beugte sich über sie. Es handelte sich um einen jüngeren Mann – schätzungsweise anfangs Dreißig – aber sein Gesicht war zu zerschlagen und blutig, als daß sie sich da hätte sicher sein können.

Jedenfalls war er gut angezogen, und Cat schüttelte den Kopf. Dumm, einfach dumm. Jedermann wußte, daß gut betuchte Leute bei Dunkelheit im Side-Cut nichts zu suchen hatten. Was hatte er sich denn gedacht?

Sie fuhr herum, als sie Schritte hinter sich hörte, aber es war nur Timmie. Er war blaß. »Ich konnt’ nicht mehr länger warten, Miß Catherine. Ich dachte, Sie wären vielleicht …« Er brach ab, als er den Mann zu ihren Füßen sah. »Himmel, Miß Catherine! Der arme Kerl ist aber in ’nem traurigen Zustand.«

»Hilf mir, ihn auf die ›Cat‹ zu schaffen, bevor jemand kommt.«

»Aber Miß Catherine«, sagte er in zweifelndem Ton, »finden Sie das gescheit? Vielleicht sollten wir erst den Cap fragen …«

»Mein Vater ist zu betrunken, um wegen irgendwas gefragt zu werden«, sagte sie scharf. »Nun hilf schon.«

Der Mann auf dem Boden war groß und kräftig, aber es gelang ihnen schließlich, ihn an Bord zu bringen. Als sie ihn neben die Ruderpinne aufs Deck gelegt hatten, wandte sich Cat an Timmie. »Geh zu den Mulis zurück, Timmie, damit wir weiterkommen. Wir müssen schnell von hier weg, bevor ich mich um seine Verletzungen kümmern kann.«

›Schnell‹ war eine kühne Bezeichnung, denn das Beste, was aus einem Kanalboot herauszuholen war, waren zwischen drei und sechs Kilometer pro Stunde. Aber nach einer halben Stunde war Cat der Ansicht, daß sie sich weit genug vom Cut entfernt hatten, um am Ufer anlegen zu können.

Sie schleppten den Fremden nach unten und legten ihn auf die leere Koje in der Kabine ihres Vaters. Mick Carnahan schnarchte genußvoll auf seiner eigenen Koje. Cat schickte Timmie wieder nach oben, damit er Wache hielt. Dann ging sie in die Kombüse, erweckte das Feuer im Herd wieder zum Leben und wärmte Wasser. Sie schüttete es in eine Schüssel, ergriff ein Tuch und kehrte zu dem Verletzten zurück. Vorsichtig wusch sie das Blut von seinem zerschlagenen Gesicht. Am Hinterkopf hatte er eine große, schwammige Beule; als sie sie abwusch, begann der Mann zu stöhnen, aber er kam nicht zu sich.

Als sein Gesicht gereinigt war, stellte Cat fest, daß er eigentlich gut aussah. Er hatte hohe Backenknochen, eine stark vorspringende Nase und einen breiten, gut geschnittenen Mund. Sie überzeugte sich, daß seine Zähne heil waren. Er hatte mehrere Schnitte im Gesicht, aber keiner war sonderlich tief; eine Schwellung unmittelbar neben seinem rechten Auge begann sich purpurn zu verfärben.

Nicht ohne Mühe zog sie seine Stiefel aus und ging zum Medizinschränkchen in der Kombüse, um eine Flasche Jod herauszunehmen, mit dem sie die Schnitte in seinem Gesicht betupfte. Der brennende Schmerz brachte ihn endlich zu Bewußtsein. Seine Augen, dunkelbraun, öffneten sich zögernd, und er betrachtete sie benommen.

»W-was?« murmelte er. »Wer sind Sie, Sir?«

Sie nahm ihre Mütze ab, und das feine, braune Haar fiel ihr über die Schultern.

Er sah überrascht drein. »Ein Mädchen. So was – entschuldigen Sie bitte, Ma’am.« Er versuchte den Kopf zu heben. »Wo bin ich?«

»Auf der ›Cat‹, Sir. Das ist ein Kanalboot, das meinem Vater und mir gehört. Erinnern Sie sich nicht, was mit Ihnen passiert ist?«

Er runzelte die Stirn und zuckte zusammen, als seine Hand die Beule an seinem Hinterkopf berührte. »Ich – ich kann mich offenbar an gar nichts erinnern.«

»Das wundert mich nicht. Sie haben da eine scheußliche Beule. Drei Raufbolde haben Sie neben dem Treidelpfad angegriffen. Einer von ihnen hatte einen Knüppel. Ich glaube, es ist Ihnen nichts weiter geschehen, wenn man von den Schnitten und den Schwellungen absieht. Übrigens – ich heiße Catherine Carnahan.«

»Ich …« Er runzelte erneut die Stirn und sah verwirrt drein. »Ich weiß nicht einmal, wer ich bin! Ich kann mich nicht mehr an meinen Namen erinnern.

Sie nickte mitfühlend. »Ein tüchtiger Schlag kann so was bewirken. Morgen sind Sie sicher wieder ganz in Ordnung. Im Augenblick wird es für Sie das beste sein, wenn Sie schlafen. Glauben Sie, daß Sie sich selbst ausziehen können oder soll ich Ihnen dabei helfen?«

»Oh, das schaffe ich ganz sicher allein«, sagte er hastig.

»Gut. Ich bin gleich außerhalb der Kabine. Wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie.«

Cat verließ den Raum und blieb draußen an der Reling stehen. Sie sollten eigentlich so schnell wie möglich weiterfahren. All dieser Unsinn hatte viel Zeit gekostet. Dieser verdammte Mick! Wenn er sich nicht betrunken hätte, wäre all das nicht passiert. Es fiel ihr schwer, ihn in solchen Augenblicken zu lieben, sich daran zu erinnern, wie das früher mit ihm gewesen war – vor der Tragödie. Seit Jahren hatte sie, Cat, das Boot allein in Betrieb gehalten.

Mit der Trinkerei hatte er nach dem Tod seiner Frau angefangen. Cat war erst zwölf gewesen, als es geschah, und die Erinnerung an ihre Mutter war verblaßt. Nur ein paar Erinnerungen an ein weiches, hübsches Gesicht, an Arme, die sie liebevoll umschlossen hatten, waren noch geblieben. Ihr Tod war tragisch gewesen – sie war in den Kanal gestürzt und ertrunken. Mick war zu dem Zeitpunkt betrunken gewesen, und seither hatte er sich immer für ihren Tod verantwortlich gefühlt. Aber dieses Schuldgefühl hatte ihn nicht bewogen, mit dem Trinken aufzuhören, sondern ihn zum wirklichen Saufbold gemacht. Die meisten ›Kanaler‹ verachteten ihn nun, aber Cats eigensinniger Stolz veranlaßte sie, ihn immer heftig in Schutz zu nehmen. Nur wenn sie mit ihm allein war, schalt sie ihn deswegen aus.

Sie seufzte. In anderen Jahren war sein Versagen nicht so sehr ins Gewicht gefallen; zumindest während des Tages war er im allgemeinen ausreichend nüchtern gewesen, um auf dem Boot mitzuhelfen, und wenn sie gelegentlich einmal bis zu vierundzwanzig Stunden festlagen, bis er wieder nüchtern war, so war das keine Katastrophe gewesen. Aber in diesem Jahr, 1832, lag die Sache anders. Im Land herrschte die erste große wirtschaftliche Depression seit seinem Bestehen. Vor dieser Depression waren die Kanalboote Tag und Nacht beschäftigt gewesen. Nun war ein verlorener Tag ein Unglück, und Cat konnte sich nicht leisten, einen weiteren Mann als Hilfskraft einzustellen.

Der Verletzte in der Kabine fiel ihr wieder ein. Sie rief Timmie auf dem Treidelpfad drüben zu, die Mulis für die Nacht zu versorgen und sich selbst schlafen zu legen. Sie wollte morgen in aller Frühe aufbrechen.

In die Kabine zurückgekehrt, stellte sie fest, daß ihr Vater nach wie vor schnarchte und daß der Fremde unter seiner Decke schlief. Sie hängte die Kleidung des Mannes ordentlich auf Haken neben der Koje und betrachtete sie, bis die Neugier sie übermannte. Schnell durchsuchte sie Rock, Hose und Weste, fand aber lediglich eine goldene Uhr mit einer langen Kette. In den Taschen befanden sich weder Brieftasche, noch Kleingeld, noch irgendwelche Ausweispapiere. Augenscheinlich war er ausgeplündert worden. Die Uhr war den Halunken offensichtlich entgangen.

Sie drehte sie in den Händen und entdeckte eingravierte Buchstaben auf der Hinterseite: MORGAN KANE.

Sie mußte die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß der Mann in der Koje ein Dieb war, daß er die Uhr gestohlen hatte. Jeder, der sich bei Nacht im Side-Cut aufhielt, mußte entweder ein Dummkopf oder ein Verbrecher sein.

Sie steckte die Uhr wieder in die Westentasche und ging in ihre eigene winzige Kabine. Aber obwohl sie hundemüde war, konnte sie nicht gleich schlafen. Immer wieder tauchte vor ihrem inneren Auge das Gesicht Morgan Kanes auf – wenn er überhaupt so hieß. Bisher hatte sie nie sonderlich auf Männer geachtet, sie hatte genug damit zu tun, das Boot in Betrieb zu halten. Zudem waren die meisten der unverheirateten Männer entlang des Eriekanals Rowdys oder Schlimmeres und ohne Anziehungskraft für sie.

Aber der Gedanke an den Fremden in der Kabine ihres Vaters ließ ihr Herz schneller schlagen, und ihr wurde klar, daß er durchaus anziehend auf sie wirkte.

Ärgerlich über sich selbst warf sie sich eine Zeitlang von einer Seite auf die andere, bis sie schließlich doch einschlief.

Am nächsten Morgen verschlief sie ihre gewohnte Aufstehzeit, und nachdem sie sich hastig angezogen hatte und an Deck geeilt war, stellte sie fest, daß Timmie die Mulis bereits aus ihrem Verschlag geholt, angeschirrt und auf den Treidelpfad gebracht hatte. Cat nahm ihren Platz hinter der Ruderpinne ein, und das Boot setzte sich in Bewegung.

Sie straffte die Schultern und sah sich befriedigt um. Cat liebte das Leben auf dem Kanal. Es verschaffte ihr ein Freiheitsgefühl, das sie an Land nie empfunden hätte, und sie wurde den stetig wechselnden Blick auf das Erieufer niemals müde.

Eine heisere Stimme hinter ihr grollte: »Was hat der Kerl in meiner Kabine zu suchen, Tochter?«

Cat drehte sich zu ihrem Vater um. Mick Carnahan war Mitte Fünfzig, aber die Trunksucht ließ ihn älter erscheinen. Seine Haare waren von schmutzigem Weiß, die verschwommen blickenden Augen blutunterlaufen, sein Körper gedunsen. Cat erinnerte sich an die Zeiten, als er noch groß und aufrecht gewesen war, für zwei gearbeitet hatte und trotzdem mit ihrer Mutter abends zum Tanzen gegangen war.

»Er ist von irgendwelchen Halunken überfallen worden, als wir durch den Cut fuhren.«

»Das erklärt noch nicht, wie er in meine Kabine kommt.«

»Ich bin ihm zu Hilfe gekommen und habe die Burschen mit meiner Pistole vertrieben.«

Er starrte sie mit offenem Mund an. »Heiliger Bimbam! Bist du verrückt, Mädchen? Wie oft habe ich dich davor gewarnt, im Cut an Land zu gehen, vor allem bei Nacht?«

Sie zuckte die Schultern. »Wenn ich ihm nicht geholfen hätte, wäre er jetzt wahrscheinlich tot. Im übrigen kann sich der arme Kerl nicht einmal mehr an seinen eigenen Namen erinnern.«

»Alles gut und schön, Catherine, aber es war nicht deine Sache, dich darum zu kümmern. Es hätte dir was passieren können.«

»Wer hätte es denn sonst tun sollen? Du vielleicht?« sagte sie grimmig. »Du warst für die Welt verloren, Mick.«

Er errötete und wandte den Blick ab. »Tut mir leid. Aber deshalb hättest du trotzdem kein solches Risiko für einen Fremden auf dich nehmen dürfen.«

»Du hättest den Mann auch nicht seinem Schicksal überlassen«, sagte sie etwas freundlicher. »Wie wär’s, wenn du uns jetzt Frühstück machen würdest?«

Er nickte dumpf und stolperte nach unten. Cat lächelte vor sich hin. Wenn er nicht allzu betrunken war, war er ein guter Koch und bereitete die Mahlzeiten sehr wohlschmeckend zu, wenn auch unter dauerndem Gebrumm über die ›Weiberarbeit‹.

Cat ihrerseits war an Kochen uninteressiert, wofür ihr Vater sie gelegentlich schalt. »Wie willst du je ’nen Mann kriegen, Mädchen, wenn du nicht mal kochen kannst?«

»Wenn mich ein Mann nicht heiratet, weil ich nicht kochen kann, dann will ich ihn auch nicht haben.«

Zwei andere Kanalboote begegneten ihr, beide größer als üblich und bunt bemalt. Die meisten Besitzer von Kanalbooten gaben sich gar nicht die Mühe, ihre Schiffe zu streichen.

Als die beiden Boote näher kamen, sah Cat, weshalb sie so bunt waren – es waren Zirkusboote. Auf einem Schild stand: ZIRKUS DER GEBRÜDER BLANTON.

Warum sollte irgend jemand den Wunsch haben, den Kanal zu verlassen – außer um irgendwelche Geschäfte zu erledigen? Alles, was man im Leben brauchte, gab es hier – Theaterschiffe, Boote mit Ärzten, Saloons und Tänzerinnen, Restaurantboote – ja sogar welche, auf denen Gottesdienste abgehalten wurden.

»Guten Morgen, Miß«, sagte eine Stimme zögernd hinter ihr.

Cat drehte sich um und erblickte den Fremden. Er sah blaß aus, die Bandage um seinen Kopf war blutbefleckt.

»Sind Sie die junge Lady, die mich gerettet hat? Ich habe irgendwie die Erinnerung an einen barmherzigen Engel, der sich gestern nacht über mich gebeugt hat, aber ich war mir nicht sicher, ob es nicht nur ein Traum war.« Er lächelte ein bißchen mühsam.

Cat lächelte zurück. »Wie fühlen Sie sich denn, Mr. Kane?«

»Ich weiß nicht recht, Miß …« Er runzelte die Stirn. »Ich meine mich zu erinnern, daß Sie sich gestern abend vorgestellt haben, aber ich …«

»Catherine Carnahan, aber jeder nennt mich Cat.«

»Was Ihre Frage betrifft – ich weiß nicht recht, wie ich mich fühle …« Er berührte sachte die Beule an seinem Hinterkopf und zuckte zusammen.

»Ein paar Kilometer weiter vorn kommen wir zu einer Stadt, in der Sie vielleicht einen Arzt aufsuchen können. Ich habe mein Bestes getan, aber ich verstehe nicht viel vom Herumdoktern.«

»Sehen wir mal, wie ich mich dann fühle.« Er warf ihr einen verblüfften Blick zu. »Sie haben mich ›Mr. Kane‹ genannt. Wieso kennen Sie meinen Namen? Ich habe ihn gestern abend doch selbst nicht mehr gewußt.«

Cat spürte, wie sie verlegen errötete. »Da Sie sich offenbar an nichts mehr erinnern konnten, habe ich Ihre Taschen durchsucht, um irgendein Ausweispapier zu finden. Aber ich fand nur eine Uhr mit einem eingravierten Namen. Es ist doch Ihre Uhr und Ihr Name, oder nicht?«

Er zögerte einen Augenblick und wandte den Blick ab, bevor er antwortete. »Ehrlich gesagt, ich bin mir nicht sicher. Aber vermutlich ist es so, meinen Sie nicht?«

»Wenn Sie’s nicht wissen, Sir, wie sollte dann ich es wissen?«

Er wollte etwas sagen, schwieg aber, als seine Aufmerksamkeit durch etwas auf der anderen Seite des Kanals abgelenkt wurde. Es war ein anderes Boot, ein schäbig aussehendes Fahrzeug. Die ursprüngliche Farbe war seit langem abgeblättert und nicht mehr erneuert worden. Am Heck standen zwei Leute. Der Mann an der Ruderpinne war groß und massig und hatte langes, schwarzes Haar und einen Vollbart. Er trug Arbeitskleidung. Der Mann neben ihm war sehr gut angezogen; in Cats Augen mußte er so etwas wie ein Dandy sein.

Der Mann an der Ruderpinne schüttelte die Faust und beschimpfte seinen Treiber auf dem Treidelpfad drüben. »Bring diese verdammten Mulis in Trab, du Faulpelz! Ich möcht’ noch vor Weihnachten ankommen!«

Dann drehte er den Kopf und erblickte Cat, die zu ihm hinüberblickte. Er fletschte die Zähne und schüttelte die Faust auch in ihre Richtung. »Was glotzt du denn so, du verdammtes Frauenzimmer! Kümmere dich um deinen eigenen Kram.«

Cat hielt es nicht für nötig, zu antworten, aber sie wandte auch den Blick nicht ab. Sie starrten einander über den schmalen Streifen Wasser hinweg an, bis der gut angezogene Mann den anderen in die Rippen stieß und auf ihn einredete. Der Mann am Steuerrad drehte hastig den Kopf zurück und merkte, daß er vom Kurs abgekommen war. Mit einem Fluch versuchte er, seinen Fehler zu korrigieren.

Cat lachte schadenfroh und keineswegs leise. Dann glitten die beiden Boote schnell auseinander, aber die Flüche des Mannes drüben waren noch deutlich hörbar.

»Wer ist das denn?« fragte Morgan Kane.

»Das, Mr. Kane, ist die Geißel des Eriekanals«, sagte Cat trocken. »Zumindest hält er sich dafür, und in gewisser Weise hat er recht. Er heißt Simon Maphis. Die ›Kanaler‹ sind ein rauhes Volk, aber er ist zudem völlig skrupellos. Wie Sie sicher wissen, stecken wir im Augenblick in einer Depression. Wir haben alle Schwierigkeiten. Simon Maphis unterbietet jeden, um seine Ladungen zu bekommen, und er trampelt alles nieder, was mit ihm konkurrieren möchte. Es ist schon behauptet worden, er habe ›Kanaler‹ umgebracht, und er habe mehr als einmal andere Boote versenkt, um dann ihre Kontrakte zu übernehmen.«

Morgan sah sie neugierig an. »Gibt es denn auf dem Kanal keine Gesetze?«

»Sehr wenige, so lange wir keine Scherereien mit den Leuten auf dem Land anzetteln. Man läßt uns weitgehend in Ruhe, und was wir untereinander tun, ist unsere Sache.«

»Für eine Frau scheint mir das ein seltsames Leben zu sein.«

»Es ist nicht so schlimm«, sagte sie ernsthaft. »Die meisten ›Kanaler‹ sind nicht wie Maphis. Einige der Männer raufen vielleicht miteinander, trinken und saufen, aber im wesentlichen arbeiten alle hart und lassen einander in Ruhe. Unglücklicherweise gibt es Ausnahmen.« Sie seufzte. »So wie Simon Maphis.«

»Er scheint Sie zu kennen. Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß er Sie nicht leiden kann.«

Sie lachte kurz. »Kann man wohl sagen. Er hat mich einmal allein auf der ›Cat‹ angetroffen und…« Sie zögerte und spürte, daß sie rot wurde. Sie ließ den Satz unbeendet. »Ich konnte mich wehren. Das hat sich dann herumgesprochen, und auf dem Kanal hat alles über ihn gelacht. Das verträgt er nicht gut.«

Der unangenehme Zwischenfall war Cat noch lebhaft im Gedächtnis und würde es vermutlich immer bleiben.

Es war vor achtzehn Monaten gewesen, zwei Wochen nach ihrem einundzwanzigsten Geburtstag. Sie hatten gerade eine Ladung Getreide an Land gebracht und wollten ein paar Tage wohlverdiente Rast am Kanalufer machen. Cat war allein auf dem Boot; ihr Vater war in die nächste Taverne verschwunden, und Timmie besuchte seinen Onkel in der Stadt.

Cat war der Gedanke, ein bißchen allein zu sein, nur angenehm. Sie hatte den Morgen damit verbracht, die alte Farbe auf eine auf dem Boden ausgebreitete Decke herunterzukratzen. In der Kabine war es, obwohl Tür und Fenster offenstanden, brütend heiß. Cat trug der Hitze wegen eine auf halber Höhe der Schenkel abgeschnittene Männerhose, darüber ein Männerhemd, das nur mit zwei Knöpfen über den nackten Brüsten geschlossen war, und sie war barfuß. Da sie an einem verlassenen Seitenarm des Hauptkanals angelegt hatten, dachte sie sich nichts dabei, in ihrer spärlichen Aufmachung an Deck zu gehen, um die alte Decke mit den Farbresten auszuschütteln.

Sie hatte eben damit begonnen, das Schott in der Kabine zu streichen, als sie eine leichte Erschütterung des Boots spürte, dann waren oben schwere Schritte zu hören. Sie lauschte. Timmie war das nicht, und das war gut so, denn sie wußte seit einiger Zeit, daß er sie anhimmelte. Also mußte es ihr Vater sein. Beruhigt fuhr sie in ihrer Arbeit fort.

Sie malte gern, und die ›Cat‹ sah im Gegensatz zu den meisten anderen Kanalbooten immer tipptopp aus; und ihr Vater pflegte die Komplimente dafür einzuheimsen, auch wenn er seit Jahren keinen Pinsel in der Hand gehabt hatte.

Als sie nun von der Tür der Kabine her eine fremde Stimme hörte, fuhr sie herum und stieß einen Schreckensschrei aus.

»Du heißt Cat, nicht wahr? Nennt man dich nicht so?«

Der Mann auf der Schwelle war riesig, füllte den Türrahmen völlig aus. Sein dichter schwarzer Bart, das dunkle, fettige Haar, das hämische Lächeln und die kalten Augen hatten etwas Finsteres an sich.

Er trat einen Schritt weiter in die Kabine hinein. »Ich hab’ dich auf dem Deck gesehen, Kleine. Vorher warst du immer in Männerkleidung versteckt. Ich hab’ gar nicht gemerkt, wie hübsch du bist. Ist doch ein Jammer, so hübsche Arme und Beine und alles übrige zu verstecken, oder nicht?«

Sein Blick war gierig auf ihre halb entblößten Brüste gerichtet. Cat hob unwillkürlich einen Arm, um sie zu verbergen. Sie begriff plötzlich, was er wollte, und sie zermarterte sich den Kopf nach einer Möglichkeit, ihm zu entkommen. Es war sinnlos, um Hilfe zu schreien, das wußte sie.

Irgendwie kam ihr der Mann bekannt vor, aber sie wußte nicht, wie er hieß. Um Zeit zu gewinnen, sagte sie in möglichst ruhigem Ton: »Sie sind mir gegenüber im Vorteil, Sir. Sie kennen meinen Namen, aber ich kenne Ihren nicht.«

»Ich bin Simon Maphis, der Besitzer der ›King‹. Ich bin der König des Eriekanals.« Er grinste bösartig und trat schwankend näher. »Und wenn du dir einbildest, es würde deine Haut retten, wenn du meinen Namen kennst, dann bist du auf dem Holzweg. Wer will denn dagegen was tun? Dein besoffener Vater? Oder der Rotzlöffel von Mulitreiber?«

Sie spielte die Verdutzte. »Wieso retten? Wovor soll mich etwas retten, Sir?«

Simon Maphis lachte derb. »Du bist nicht blöde, Mädchen. Du weißt genau, was ich möchte, und ich geh’ nicht weg, bevor ich’s gekriegt hab’. Simon Maphis bekommt immer, was er will.« Er trat einen weiteren Schritt vor. »Du kannst’s auf die einfache Tour haben oder mit Gewalt, wie du willst. Ich, ich mag die Weiber so oder so. Allem nach, was ich gehört hab’, bist du eine wilde kleine Hexe. Es wird Zeit, daß du gezähmt wirst, und Simon Maphis ist genau der Richtige, um das zu besorgen.«

Langsam und vorsichtig bewegte er sich auf sie zu, und dann war er so nahe, daß ihr sein Körpergeruch in die Nase stieg – der widerliche Gestank eines seit langem eingesperrten und ungewaschenen Tiers. Cat hielt noch immer den Farbeimer in der Linken, den Pinsel in der Rechten. Sie wich nicht einen Zentimeter weit zurück, und sie schrie auch nicht.

Dieser Mangel an Furcht überraschte Maphis offensichtlich ein bißchen, denn er blieb auf Armabstand stehen und begann dann zu grinsen. »Dann also auf die einfache Tour? Das ist gescheit von dir, Kleine. Zeigt, daß du Verstand hast.«

Er machte einen weiteren kurzen Schritt auf sie zu, und Cat hob mit all ihrer Kraft den Farbeimer hoch und stieß ihn mit Macht in Maphis’ Leistengegend. Er brüllte vor Schmerz auf. Während er zusammenklappte, wischte sie ihm mit dem Pinsel übers Gesicht und wieder zurück, so daß zwei breite gelbe Streifen zurückblieben.

Maphis wandte sich halb ab und stöhnte. Noch immer vornübergebeugt, die Hände gegen die schmerzende Stelle gepreßt, bewegte er sich wie ein verwundetes Tier auf die Kabinentür zu. Cat folgte ihm auf den Fersen, tauchte immer wieder den Pinsel ein und schwappte bei jedem Schritt Farbe über den Mann.

Als die beiden schließlich das Deck erreichten, war sie noch immer hinter ihm und bespritzte ihn mit Farbe.

Und dann, um Maphis’ Demütigung vollständig zu machen, kamen ausgerechnet in diesem Augenblick zwei ›Kanaler‹ den Treidelpfad entlanggeschlendert. Sie blieben bei dem Anblick mit offenem Mund stehen. Dann brach der eine in schallendes Gelächter aus und stieß den anderen in die Rippen. »Weißt du, wer das ist, Ned? Das ist Simon Maphis, der ›König des Eriekanals‹ persönlich!« Er hob die Stimme. »Was ist’n los, Cat? Versuchst du den König so anzumalen, wie es sich gehört?«

Maphis ignorierte die beiden, so gut es ging. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kletterte er über den Rand der ›Cat‹ und hinaus auf den Treidelpfad.

»Der Drecksack hat versucht, mich zu vergewaltigen!« rief das Mädchen den beiden Männern zu.

Deren Gelächter erstarb, und sie starrten Maphis an. »Das ist eine miese Sache, Maphis«, sagte der eine. »Du weißt, daß Cat eine von uns ist. Warum sparst du dir so was nicht für die Weiber im ›Cut‹ auf?«

Maphis ignorierte die beiden nach wie vor. Mit einer schmerzlichen Grimasse starrte er bösartig zu Cat hinüber. »Das wird dir noch mal leid tun, Mädchen. Niemand macht Simon Maphis ungeschoren lächerlich.«

Einer der Männer lachte erneut. »Sieht so aus, als hätte sie gerade das getan, Maphis. Du machst dich besser aus dem Staub, bevor sie den Rest der Farbe über dich schüttet.«

Maphis wandte mit der gleichen Bösartigkeit seinen Blick den Männern zu, und sie schwiegen und scharrten nervös mit den Füßen. Maphis drehte sich auf dem Absatz um und ging den Treidelpfad entlang – mit großer Behutsamkeit.

»Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Miß Catherine?« fragte einer der Männer. »Hat er Ihnen was angetan?«

Cat starrte hinter Maphis her. »Es ist alles in Ordnung«, sagte sie mit gepreßter Stimme. »Danke.«

Sie wandte sich wieder der Kabine zu und wußte, daß die Geschichte in Bälde entlang des gesamten Eriekanals bekannt sein würde. Simon Maphis würde für lange Zeit Ziel des Spotts sein. Sie wünschte sich inbrünstig, der Vorfall wäre unentdeckt geblieben. Und das Schlimmste war, sie wußte, sie würde Mick alles erzählen müssen. Früher oder später würde er es doch hören, und es war nicht auszudenken, zu welchen Dummheiten er sich würde hinreißen lassen, wenn er genügend Alkohol zu sich genommen hatte.

Es war gerade noch ausreichend Farbe im Eimer, daß sie die Kabine fertig streichen konnte, und als Mick und Timmie zurückkehrten, war auch alles gesäubert. Ihr Vater war komplett betrunken. Sie beschloß, bis zum nächsten Morgen zu warten, bevor sie ihm von der Sache erzählte.

Als sie ihm dann berichtete, was vorgefallen war, stürmte er auf dem Deck auf und ab. Mit geballten Fäusten brüllte er: »Ich werd’ den Drecksack zu Brei schlagen!«

»Du wirst nichts dergleichen tun«, sagte sie in scharfem Ton. »Das würde alles nur schlimmer machen. Und du bist Maphis nicht gewachsen, Mick. Er würde dich in kleine Stücke zerreißen und sie in den Kanal werfen.«

Er starrte sie an. »Du meinst, ich soll überhaupt nichts unternehmen? Der Mistkerl versucht, meine Tochter zu vergewaltigen, und ich soll gar nichts dagegen tun?«

»Genau das meine ich. Er hat mich nicht vergewaltigt, er hat’s bloß versucht.«

»Aber, Catherine, ich könnte ihm wenigstens die Polizei auf den Hals schicken.«

»Ach, die würde gar nichts unternehmen«, sagte sie verächtlich. »Du weißt doch, was die von den ›Kanalern‹ halten. Wahrscheinlich würden sie finden, ich hätte bloß gekriegt, was ich verdient habe.«

Er sah ihr offen ins Gesicht. »Und das stimmt auch. Ein Mädchen wie du sollte nicht auf dem Kanal arbeiten. Du solltest in einem feinen Haus wohnen, anständige Kleidung tragen und mit irgendeinem tüchtigen Burschen verheiratet sein und meine Enkel aufziehen.«

Sie seufzte verbittert. »Mick, das haben wir nun ich weiß nicht wie oft alles durchgekaut. Ich mag kein feines Haus und keine anständige Kleidung, und ich mag auch nicht mit einem ›tüchtigen Burschen‹ verheiratet sein. Ich bin ganz glücklich da, wo ich bin, und mit dem, was ich tue, und ich gedenke hier zu bleiben. Und damit basta.«

Das war dann das Ende der Angelegenheit gewesen, bis auf die wenigen Male, in denen Cat Maphis’ Weg kreuzte und seine gehässigen Blicke in Empfang nahm. Die Geschichte war auf dem ganzen Erie bekannt geworden, und Maphis war eine Zeitlang Zielscheibe des Spotts gewesen; aber wie alle solchen Dinge geriet das Ganze schließlich in Vergessenheit – genauso wie auch ihr Vater zweckmäßigerweise die Episode aus seiner Erinnerung verbannte, als ob sie nie geschehen wäre.

Trotzdem, Cat wußte, daß Maphis sie nicht vergessen hatte; und sie nahm sich vor, niemals in die Situation zu geraten, mit ihm allein zu sein.

Von all dem erzählte sie Morgan Kane natürlich nichts. Sie sagte lediglich: »Wir gehen einander aus dem Weg. Wir sehen uns nur, wenn wir wie heute auf dem Kanal aneinander vorbeifahren.«

»Gibt es viele andere Mädchen, die so wie Sie auf den Booten arbeiten?«

»Nicht allzu viele, nehme ich an. Die meisten ›Kanaler‹ sind Männer, die auf ihren Booten leben, manchmal mit Frau und Kindern.« Sie sah ihn neugierig an. »Sagen Sie mir eines, Mr. Kane … gerade vorhin behaupteten Sie, Sie wüßten nicht mit Sicherheit, daß das wirklich Ihr Name ist. Soll das heißen, daß Sie sich nach wie vor nicht erinnern, wer Sie sind und weshalb Sie sich gestern nacht im ›Cut‹ herumgetrieben haben? Und warum Sie überhaupt überfallen wurden?«

»Allem nach, was Sie mir über diesen ›Side-Cut‹ erzählt haben, liegt zumindest die Antwort auf die letzte Frage nahe. Es war ein Raubüberfall. Was den Rest betrifft …« Er zögerte und fuhr dann langsam fort: »Leider ist darauf die Antwort ›nein‹, Miß Carnahan. Ich erinnere mich an nichts. Ich weiß nicht einmal genau, wer ich bin.«

Kapitel 2

Mick Carnahan, in der Kombüse beschäftigt, war unglücklich. Erstens hatte er einen scheußlichen Katzenjammer, und der Duft nach gebratenem Schinken und Eiern verursachte ihm Übelkeit. Er hätte seine Seele – sofern er noch eine hatte, dachte er mürrisch – für ein Glas Schnaps gegeben. Aber er wußte genau, daß sich an Bord der ›Cat‹ kein Alkohol befand. Dafür sorgte seine Tochter.

Aber der zweite und Hauptgrund für seine miserable Laune war die Anwesenheit des Fremden, den Cat gestern nacht an Bord genommen hatte. Und sie hatte ihn auch noch aus dem ›Cut‹ herausgeholt! Vielleicht war er wirklich von Halunken überfallen worden, vielleicht aber auch nicht. Sicher, seine Kleidung war wesentlich besser als die im Cut übliche, aber er konnte sie auch gestohlen haben. Cat hatte mehr Courage als gut für sie war.

Er selbst war sich seines Versagens wohl bewußt, aber trotz seines immer wieder einmal gefaßten Entschlusses, sein Leben in Ordnung zu bringen, wußte er im Grund seines Herzens, daß er es nie schaffen würde. Er war relativ spät an den Erie gekommen, und auf einem Umweg. Eine große Anzahl der ›Kanaler‹ waren Iren, und viele von ihnen hatten ursprünglich beim Bau des Kanals geholfen. Aber Mick war kein gewöhnlicher Arbeiter; genau genommen war er einmal so etwas wie ein Gentleman gewesen, ein Schullehrer, aber dieser Beruf hatte dann nach Catherines Geburt seinen Reiz für ihn verloren. Mick hatte ein bißchen Geld gespart und gehört, daß sich entlang des Erie mehr davon verdienen ließ. Wenn ein Mann ein gutes Boot und ein paar kräftige Mulis hatte, konnte er dort ein Vermögen machen.

Er hatte das Ganze mit Katey besprochen, von der Catherine einen guten Teil Temperament und Abenteuerlust geerbt hatte. Sie war bereit gewesen, das Risiko auf sich zu nehmen. Die ersten Jahre waren gut gewesen. Mick hatte damals nur selten getrunken, und er hatte mit den hart und auf eigene Rechnung arbeitenden ›Kanalern‹ durchaus Schritt halten können. Sie hatten gut verdient, und dann hatte sich die Tragödie von Kateys Tod ereignet, für den sich Mick zum Teil verantwortlich fühlte. Er hatte sich in irgendeiner Taverne herumgetrieben, und Katey, die dumme Katey, hatte niemals schwimmen gelernt. Beim Wäscheaufhängen hatte sie das Gleichgewicht verloren und war ins Wasser gestürzt. Catherine hatte irgend jemand weiter oben am Kanal einen Besuch abgestattet, und die einzige Zeugin des Unfalls war eine alte Frau auf einem daneben liegenden Boot gewesen.

Von dem Schock hatte sich Mick niemals mehr völlig erholt. In seinen nüchternen Augenblicken war ihm wohl bewußt, daß es für Catherine ein ebenso schlimmer Schock gewesen sein mußte, und trotzdem hatte sie ihn überwunden und war zu einem reizenden, besonnenen Mädchen herangewachsen. In den ersten Jahren nach Kateys Tod hatte sich Mick immer wieder geschworen, das Boot zu verkaufen und ans Land zurückzukehren – damals hätte er wieder als Lehrer arbeiten können –, aber Trunk und Trägheit hatten ihn davon abgehalten; und nun war es viel zu spät.

Für eines konnte er dankbar sein. Seine Ausbildung zum Schullehrer hatte ihn befähigt, Catherine zu unterrichten, und darauf hatte er auch bestanden. Sie wußte ebensoviel, wenn nicht noch mehr als die meisten Mädchen ihres Alters. Es stimmte, daß sie sich manchmal ebenso derb und primitiv ausdrückte wie andere ›Kanaler‹, aber das tat sie dann ganz bewußt und nicht, weil sie es nicht besser konnte …

Das Frühstück war fertig. Mick stellte Teller mit Schinken, Ei und Toast auf zwei Tabletts und trug sie hinaus – bei schönem Wetter pflegten sie auf Deck zu essen. Er stellte eines der Tabletts vor Cat am Steuerruder und dem Fremden nieder, der neben ihr stand. Dann winkte er Timmie herbei. Der Junge holte sich sein Tablett und überließ vorübergehend die Mulis sich selbst, während er eine Tasse Kaffee trank und sich mit Schinken und hartgekochten Eiern ein herzhaftes Klappbrot machte. Mick bemerkte, daß der Bursche dem Fremden neugierige Blicke zuwarf und vermutete, daß Timmie sich über Catherines Empfindungen Gedanken machte. Der Fremde war ein gutaussehender Mann, das mußte ihm der Neid lassen.

Dann war Timmie wieder bei den Mulis, und Mick lehnte sich gegen die Kabine, während Cat und der Fremde zu essen begannen. Mick trank lediglich eine Tasse dicken, schwarzen Kaffee.

Cat wies auf den Fremden. »Das ist Morgan Kane, Mick. Das ist mein Vater, Mick Carnahan, Mr. Kane.«

Morgan Kane streckte die Hand aus, und Mick nahm sie einigermaßen widerwillig.

»Mick«, sagte Cat, »Mr. Kane hat nach dem Überfall gestern nacht sein Erinnerungsvermögen noch nicht zurückerhalten. Er weiß überhaupt nichts über seine Vergangenheit.«

»Tut mir leid, das zu hören, Mr. Kane. Wir kommen heute zur Schleusenkammer, und dort gibt es einen Arzt. Ich glaube, Sie sollten sich besser untersuchen lassen.«

»Er hat kein Geld, Mick, und keine Erinnerung daran, womit er seinen Lebensunterhalt verdient hat. Wir können ihn nicht einfach dort lassen.«

»Was hast du vor, Mädchen?« fragte Mick mißtrauisch.

»Ich dachte, er könnte vielleicht eine Zeitlang mit uns fahren, bis sein Gedächtnis wieder funktioniert. Bevor du heraufkamst, haben wir darüber gesprochen. Er ist bereit, für Unterkunft und Verpflegung zu arbeiten.«

»Was, wirklich? War das seine Idee?« sagte Mick bissig.

»Nein, meine. Wir brauchen noch jemand, der stakt und beim Laden und Entladen hilft. Das hast du bisher erledigt, aber du weißt, daß deine – äh, Gesundheit nicht die beste ist.« Sie warf ihm einen warnenden Blick zu.

Mick spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoß. »Hältst du das für eine gute Idee, Catherine? Du hast doch gesagt, er wisse nicht einmal, was für einen Beruf er hat – wenn überhaupt einen.«

Sie machte eine verächtliche Geste. »Was braucht man schon über die Arbeit auf dem Kanal hier zu wissen? Man muß nur einen starken Rücken und genügend Verstand haben, um die ›Cat‹ vom Ufer weg zu staken, wenn sie ihm zu nahe kommt. Nichts für ungut, Mr. Kane.«

»Schon gut«, sagte er trocken.

»Catherine, können wir kurz unter vier Augen miteinander sprechen?« sagte Mick.

»Nein«, erwiderte sie in scharfem Ton. »Du wirst mir das nicht ausreden. Wir brauchen noch eine Hilfe an Bord. Ich kann nicht gleichzeitig die Ruderpinne bedienen und staken. Es ist ein Wunder, daß wir die ›Cat‹ nicht bereits zuschanden gefahren haben.«

»Aber er ist ein völlig Fremder«, sagte Mick verzweifelt. »Wir wissen nicht das geringste über ihn.«

»Vielleicht sollten Sie beide es wirklich erst besprechen«, sagte Morgan.

»Nein. Sie bleiben sitzen«, fauchte Cat, ohne ihn anzusehen. Ihr Blick war auf ihren Vater gerichtet. »Mick, ich bin entschlossen. Abgesehen von der Tatsache, daß wir jemand brauchen – und der Himmel weiß, er kommt uns billig genug –, wäre es einfach unmenschlich, ihn in seinem Zustand seiner Wege gehen zu lassen.«

»Es ist mein Boot«, knurrte Mick.

»Und ich fahre es«, sagte sie trotzig. »Das klingt vielleicht grausam, Mick, aber du weißt, daß es stimmt. Wenn ich nicht wäre, hätten wir es schon längst nicht mehr. Willst du das bestreiten?«

Mick hätte ihr am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Aber sie hatte recht, und das wußte er. Mit zornigem Kopfschütteln drehte er sich auf dem Absatz um, kletterte ans Ufer und gesellte sich zu Timmie und den Mulis.

Mit einem Gefühl der Traurigkeit sah Cat ihrem Vater nach. Sie redete selten auf diese Weise mit ihm; aber heute morgen wirkte er besonders irritierend auf sie. Irgendwie war sie auch verwirrt ob ihres eigenen Verhaltens – wieso hatte sie sich für einen Mann eingesetzt, von dem sie überhaupt nichts wußte?

Als ob er ihre Gedanken ahnte, sagte Morgan: »Es tut mir leid, wenn ich der Anlaß zu einem Streit zwischen Ihnen und Ihrem Vater geworden bin. Vielleicht wäre es das beste, ich würde in der nächsten Stadt aussteigen.«

Ihre Verärgerung nahm zu, und sie sagte: »Und was wollen Sie da tun? Es ist alles abgemacht. Sie bleiben bei uns, bis Ihr Gedächtnis wieder funktioniert. Und was Mick betrifft – das ist nichts Neues. Wir streiten uns oft. Und ich will es Ihnen gleich sagen, weil Sie es doch früher oder später herausfinden – Mick trinkt. Um ganz deutlich zu sein, er ist ein Säufer. Ich liebe ihn sehr, aber ich bin nicht blind ihm gegenüber. Ich kann mich niemals auf ihn verlassen. Im allgemeinen ist Mick gutartig und so … so verdammt liebenswert.« Sie schluckte, nahe den Tränen. »Das macht mich ja so fuchsteufelswild – wie nett er sein kann, wenn er will.«

Sie schwiegen eine Weile und beendeten das Frühstück. Dann lachte Morgan plötzlich leise, und Cat warf ihm einen gereizten Blick zu. »Was finden Sie so komisch, Sir?«

»Ach, mir fiel nur eben ein altes chinesisches Sprichwort ein. Es heißt so ähnlich wie: ›Wenn du einem Mann das Leben rettest, bist du hinterher für alle Zeiten für ihn verantwortlich‹.«

»Na, Sie können überzeugt sein, daß ich nicht daran denke, für alle Zeiten für Sie verantwortlich zu sein. Wenn es Ihnen wieder gut genug geht, können Sie Ihres Weges gehen.«

»Dann muß ich es mir wohl bald wieder gut gehen lassen müssen, wie?« Er begann zu lächeln. »Andererseits sehe ich gar nicht ein, weshalb ich mich so beeilen soll.«

Sein Blick machte sie verlegen. »Was soll das heißen?«

Er betrachtete sie unentwegt, den Kopf auf die Seite gelegt. »Wissen Sie, Cat, Sie wären, wenn man Ihnen diese Aufmachung entzöge, Sie ein bißchen säuberte und in ein Kleid stecken würde, wirklich sehr hübsch. Aber besitzen Sie überhaupt ein Kleid?«

»Das, Sir, geht Sie nichts an.«

»Sie haben recht. Bitte tausendmal um Verzeihung, Miß Carnahan.«

Seine vollen Lippen waren spöttisch verzogen, und in seinen Augen lag ein Funkeln, das seine entschuldigenden Worte Lügen strafte.

Cat, um eine Erwiderung verlegen, wandte das Gesicht resolut nach vorne. »Timmie!« rief sie zornig, »treib endlich diese Mulis an, sonst kommen wir überhaupt nicht weiter!«

Gleich darauf ertönte ein pistolenartiges Knallen von Timmies Peitsche, und die Geschwindigkeit des Boots nahm eine Spur zu.

Cats Zorn war verraucht. »Eines ist sicher«, sagte sie zu Kane, »Sie sind ein gebildeter Mann – so wie Sie sich ausdrücken und chinesische Sprichwörter zitieren.«

Morgan lachte leise. »Ich weiß nicht recht, ob ich das als Kompliment auffassen darf. Ich habe den Eindruck, die Kanalfahrer hegen nicht allzuviel Respekt vor Bildung.«

»Das ist nicht wahr. Mick war früher Schullehrer.«

»Das überrascht mich ein bißchen. Aber mir ist schon aufgefallen, daß Sie sich selbst gut ausdrücken, wenn Sie Lust dazu haben.«

Sie errötete und wollte eine hitzige Antwort geben, aber dann ertappte sie sich doch dabei, wie sie aus irgendeinem Grund Morgan vom Tod ihrer Mutter erzählte und davon, daß ihr Vater sich dafür verantwortlich fühlte.

Morgan nickte sachlich. »Ich kann schon verstehen, daß das einen Mann verändert. Aber für Sie erschwert das die Sache noch.«

Sie zuckte die Schultern. »Meistens macht es mir nichts aus. Ich bin gern auf dem Erie.«

»Sicher hat dieses Dasein seine Reize. Aber andernteils habe ich das Gefühl, daß Sie eine Ausnahme sind. Ich meine – ganz sicher ist eine gebildete Person auf dem Kanal eine Rarität.«

»Das stimmt«, gab sie zögernd zu. »Bildung braucht man auf dem Erie nicht. Man muß weder lesen noch schreiben können. Die Fähigkeit, selbst rechnen zu können, ist nützlich, aber die meisten ›Kanaler‹ sind sehr unwissend.«

»›Kanaler‹? Was ist das um Himmels willen für ein Wort?«

»Die ›Kanaler‹ sind die Erie-Schiffer, eine ganz besondere Rasse. Jedenfalls nennen die meisten von uns sich ›Kanaler‹.« Bisher hatte sich Cat noch nie den Kopf zerbrochen, woher der Ausdruck stammte. »Vielleicht …«

»Hallo – Sie dort drüben!«

Cat blickte zum Treidelpfad hinüber. Dort gingen ein Mann und eine Frau und versuchten, mit dem Boot Schritt zu halten. Der Mann war groß, hatte eine ebenso strenge wie abweisende Miene und war völlig schwarz gekleidet. Er schien über Fünfzig zu sein, und als Cat genauer hinüberblickte, stellte sie fest, daß die Frau eher noch ein Mädchen war, jünger als sie selbst. Sie war hübsch, unter ihrer Haube ringelten sich blonde Locken; ihr langes, graues Kleid hatte sie leicht angehoben, um es vor dem Schmutz zu schützen.

Der Mann sprach weiter. »Gentlemen, kennen Sie zufällig ein Kanalboot namens ›Rettende Gnade‹? Ich bin der Reverend Luther Pryor, und das hier ist meine Tochter Lotte.«

»Die ›Gnade‹ hat weiter unten am Kanal angelegt. Ich fuhr gestern an ihr vorüber – auf der anderen Seite des Cut«, erwiderte Cat.

Der Reverend spähte zu ihr hinüber und runzelte bestürzt die Stirn. »Ist das der berüchtigte ›Side-Cut‹?«

»Ja, Reverend.«

»Bewohnt von Dirnen, Trinkern und Sündern«, sagte der Reverend mit volltönender Stimme.

»Unter anderem«, pflichtete Cat trocken bei.

Der Reverend richtete sich auf. »Ein Ort, an dem Satan wohnt«, sagte er im Ton des Kanzelredners. »Ich habe den Ruf bekommen, zu ihnen zu gehen, um ihre Seelen zu retten.«

»Da sind Sie nicht der erste«, murmelte sie.

»Verzeihung, Sir?«

Sie hob die Stimme. »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Sir. Es waren schon viele andere da, die keinen Erfolg hatten.« Aus einer plötzlichen übermütigen Laune heraus nahm sie ihre Mütze ab und ließ ihr Haar über die Schultern fallen.

Der Reverend Pryor schnappte nach Luft und fuhr zurück. »Eine Frau, die ein Kanalboot lenkt – und unter den Sündern lebt und arbeitet. Gott mißfällt das mit Sicherheit, junge Dame.«

»Vielleicht, Reverend«, erwiderte sie kühl. »Aber ich gehe jede Wette ein, daß meine Moral ebenso unanfechtbar ist wie die einer Dame auf dem Land.«

»Komm, meine Liebe«, sagte der Reverend, zog seine Tochter am Arm, und sie strebten in anderer Richtung davon. Aber nicht, bevor Lotte Pryor Zeit gehabt hatte, einen scheuen Blick auf Morgan Kane zu werfen, der neben Cat stand.

Das Mädchen lachte, während das Boot weiter den Kanal entlangglitt. Morgan lächelte ebenfalls, aber er sagte in vorwurfsvollem Ton: »Sie haben den Reverend schockiert, Cat.«

»Das hat er vielleicht nötig gehabt. Er wird noch mehrere Schocks erleiden, wenn er versucht, die Leute im Cut zu bekehren. Im übrigen«, sie warf ihm einen verschmitzten Blick zu, »scheinen Sie die Aufmerksamkeit seiner Tochter erregt zu haben.«

Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Ach, das lag sicher nur an meinem Kopfverband.«

»Ich weiß nicht. Sie sehen so gut aus, daß Sie schon die Augen eines Mädchens auf sich ziehen können.« Warum zum Teufel war sie nun mit so etwas herausgeplatzt? Sie errötete heftig.

»Finden Sie wirklich, Miß Carnahan?« sagte er amüsiert.

»Es spielt keine Rolle, was ich finde«, sagte sie brüsk. »Vielleicht machen Sie sich jetzt einmal nützlich. Wir kommen zur Schleuse. Halten Sie uns mit der Stange vom Ufer fern, falls wir zu nahe daran kommen.«

Die Stimme ihres Vaters unterbrach sie. »Ich werde das erledigen, Catherine. Mr. Kane sollte vorläufig nicht etwas so Anstrengendes tun.« Mick stand über ihnen auf dem Kabinendach.

Ohne einen der beiden Männer anzusehen, sagte sie unwirsch: »Solange es einer von euch überhaupt tut, ist mir egal, wer es tut.«

Als sein Boot die ›Cat‹ hinter sich ließ, starrte Simon Maphis bösartig hinter ihr her. Wann immer er den Namen Cat Carnahan hörte oder das Mädchen zufällig sah, stieg Wut in ihm hoch.

Eines Tages, so schwor sich Maphis, während seine großen Hände das Steuerrad umkrampften, würde er es dem Frauenzimmer schon zeigen.

»Mr. Maphis?«

Maphis fuhr zusammen und warf einen Blick auf den Mann an seiner Seite. »’tschuldigung, Mr. Brawley. Ich hab’ wohl ’n bißchen spintisiert.«