Wo sind die Männer, vor denen uns unsere Mütter immer gewarnt haben? - Monika Eschborn - E-Book
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Wo sind die Männer, vor denen uns unsere Mütter immer gewarnt haben? E-Book

Monika Eschborn

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Beschreibung

Egal ob bei Blind-Dates oder Single-Treffs, ob in der Mann-oh-Mann-Show oder im ganz normalen Alltag: Ständig stolpern die Studentin Gaby und ihre Freundinnen über Mängel und Macken der Männer. Bis ihnen ein Mittel einfällt, wie sie doch noch an den Mann ihres Lebens kommen können. Ein beschwingter, spritziger Roman. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Monika Eschborn

Wo sind die Männer, vor denen uns unsere Mütter immer gewarnt haben?

Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

Die Frau in der [...]Männer sind wie Feuer. [...]1. Kapitel Wenn’s in diesem Leben nichts mit uns wird, Baby, dann bestimmt im nächsten oder: Mit dem Justitiar zum Tête-à-Tête2. Kapitel Besser ein tranchierender Gatte als gar keiner? oder: Die Angst der Frauen vor dem Tiger3. Kapitel It’s raining men, nur wo? oder: Je größer die Auswahl, desto einsamer der Single4. Kapitel Es regnet Knallerbsentarzans oder: von Uni-Charmeuren und anderen Herzensbrechern5. Kapitel Volksmund tut Chauvi-Weisheit kund oder: Jetzt aber ran an die Fische!6. Kapitel Der frühe Vogel fängt nicht immer den Wurm oder: Ein besonders schwerer Fall für Florence Nightingale7. Kapitel Zigtausend Jahre Evolution für die Katz? oder: Ein (fast) männerfreies Wiegenfest8. Kapitel Wenn männliche Jogger schneller zu laufen beginnen oder: Der Letzte der unbändigen Machos9. Kapitel Luftveränderung mit texanischem Feuertopf oder: Eine Irrfahrt in die Weltstadt mit Herz10. Kapitel Auch Männer haben Zellulitis oder: Chauvi oder Hausschwein, das ist hier die Frage11. Kapitel Wenn Psychonauten auf die Reise gehen oder: Der Feminist im Manne12. Kapitel Als blindes Huhn zum Blind Date oder: Für den etwas anderen Mann: Man nehme

Die Frau in der Gesellschaft

Herausgegeben von Ingeborg Mues

Männer sind wie Feuer.

Wenn sie nicht beachtet werden, gehen sie aus.

 

Den seltenen Exemplaren gewidmet, die trotzdem weiterbrennen.

1. Kapitel Wenn’s in diesem Leben nichts mit uns wird, Baby, dann bestimmt im nächsten oder: Mit dem Justitiar zum Tête-à-Tête

Durch den schweren Stoff des Brautkleides hindurch kniff ich mich in meine linke Hinterbacke. Ich konnte es kaum fassen. An der Seite von Robert Redford stand ich vor dem Traualtar. Mit unendlicher Zärtlichkeit steckte er mir den Ring an und bedeutete mir mit begehrlichem Blick, wie sehr es ihn danach verlange, mich in die Arme zu schließen. Da erklangen auch schon die ersehnten Worte: »Sie dürfen die Braut jetzt küssen.« Erwartungsvoll schloss ich die Augen und reckte mich auf Zehenspitzen zu dem mir Angetrauten empor. Doch es geschah … erst einmal gar nichts. Bis plötzlich heftig am Rock meines Brautkleides gezogen wurde, und einen halben Meter unter mir ein verschmitztes »Hallo, hier bin ich!« ertönte. Aufs Höchste verwundert neigte ich mich hinab und blickte in ein Paar rumpelstilzchenhaft funkelnde Augen, die … Danny DeVito gehörten! Er steckte in einer riesigen roten Tüllschleife und säuselte: »Na, Baby, pack mich doch aus.«

»Neiiin!« Entsetzt fuhr ich auf und rieb mir die Augen. Weit und breit war kein Traualtar zu sehen, stattdessen fielen meine Blicke auf die leicht heruntergekommenen Möbel meines fünfzehn Quadratmeter großen Zimmers im Studentenwohnheim. Ich tastete nach dem Wecker. Oje, schon sieben Uhr abends! Nach dem stressigen Weihnachtseinkauf in der Stadt hatte ich mir eine kleine Mütze Schlaf gönnen wollen. Über zwei Stunden Bettruhe waren nun daraus geworden, Albtraum inklusive.

Was hatte mein Unterbewusstsein wohl derart auf Trab gebracht? In meiner Verwandtschaft waren seit einer halben Ewigkeit keine Ehen mehr geschlossen worden. Auch beim Zahnarzt, in dessen Wartezimmer ich mich stets über die neuesten Ringwechsel der Hautevolee informierte, hatte ich mich seit Monaten nicht sehen lassen. Mein Blick streifte die Fernsehzeitschrift, die auf dem Bettkasten lag. Natürlich, die Flimmerkiste! Ich ging das Programm der vergangenen Tage durch. Das musste es gewesen sein: Lange ›Schnell gefreit, noch schneller gereut‹-Filmnacht mit … Kathleen Turner, Michael Douglas, Bette Midler, aha … Danny DeVito, Robert Redford. Dazu meine momentan angeschlagene Seelenverfassung, und mein Unterbewusstsein stellte die wildesten Spekulationen an!

Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. Mein Liebeskummer feierte heute bereits sein Zweiwöchiges, und der Grund dafür trug denselben Vornamen wie der blonde Hollywood-Beau, mit dem ich im Traum vor den Traualtar geeilt war. Und der in einer roten Schleife verpackte Danny DeVito? Das musste ein vom Unterbewusstsein geschickt verschlüsseltes Symbol für meinen vorweihnachtlichen Blues sein. Und damit für das unglückselige ›Gans-mit-Trüffeln-und-Streit-Weihnachten‹ im trauten Heim meiner Erzeuger, das unerbittlich näher rückte.

Ich bohrte den Kopf ins Kissen. Am liebsten wäre ich gleich wieder eingeschlummert und erst am Morgen des Siebenundzwanzigsten erwacht. Oder war das Ganze nur eine Frage der richtigen Einstellung? Ja, ich musste versuchen, mich in positive Stimmung, in Pro-Christmas-Vibrations zu versetzen!

Bloß womit? Ich rollte mich aus dem Bett und schlurfte an mein ›Schränkchen für sentimentale Stunden‹. Darin lagerte ich allerlei Krimskrams aus glücklicheren Augenblicken meines nun fünfundzwanzig Lenze zählenden Daseins. Nach kurzem Stöbern stieß ich auf ein Album mit Bildern aus meiner Kindheit. Langsam blätterte ich mich durch die mit abgelichteten Strampelhöschen, Laufställchen, Schultüten und Schiefertafeln voll gepfropften Seiten. Dann kamen sie: drei Hochglanzfotos, auf denen eine selig dreinblickende Familie unter der festlich hergerichteten Weihnachtsfichte verewigt war. Genau das, was ich brauchte. Jetzt noch ein Schlückchen Schampus, und ich würde schnurstracks auf die richtige Vorweihnachtsstimmung zusteuern!

Ich packte das Fotoalbum auf den Schreibtisch, sprang zum Kühlschrank und schnappte mir meinen Lieblingssekt. Mit flinken Fingern befreite ich den Flaschenhals von Alupapier und Metallhalterung. Eigentlich hatte ich den Sekt ja für ein Rendezvous aufgespart. Ach, Robert, gedachte ich wehmütig des Verursachers meiner Herzschmerzen, diese Flasche hätten wir gemeinsam leeren sollen …

Ich verscheuchte die trüben Gedanken und machte mich an den Korken. Eine leichte Drehung nach rechts … nichts. Eine leichte Drehung in die andere Richtung … nichts. Womit machten sich angebliche Sektkenner immer wichtig? Richtig, den Korken galt es festzuhalten und die Flasche zu drehen. Vergebens. Ich kam mir vor wie bei diesem albernen Kinderspiel, bei dem man die rechte flache Hand über dem Kopf kreisen lässt und sich dabei gleichzeitig mit der linken auf den Bauch haut. Erbost starrte ich die Flasche an. In bestimmten Lebensbereichen hatten die Kerle eindeutig die Nase vorn! Etwa beim vakuumdicht verschlossenen Marmeladenglas, beim verstopften Abflussrohr des Gemeinschaftsklos oder eben bei einem widerspenstigen Sektkorken.

Kurz entschlossen klemmte ich mir den Schampus unter den Arm und marschierte damit zur Tür meines Zimmernachbarn. Seit nun schon vier Semestern wohnten Volker und ich Tür an Tür. Vieles an Sorgen und noch viel mehr an flüssigen Sorgenkillern hatten wir miteinander geteilt. Und natürlich wussten wir um unsere geheimsten Schwächen. Zum Beispiel darum, dass Volker um diese Zeit für gewöhnlich ein kleines Schläfchen einlegte, um sich nach dem harten Uni-Alltag für einen noch härteren Zech- und Kartenkloppabend in der Wohnheimbar zu rüsten. Da war der ganze Mann gefordert, das sah ich ein. Sollte ich ihn wirklich stören? Ach was, bei einem Notfall.

Sanft pochte ich an die Tür. »Vooolker«, flötete ich mit süßem Stimmchen, »kannst du mir einen Gefallen tun?« Da stehen die Typen normalerweise drauf: dem schwachen Geschlecht etwas unter die Arme zu greifen. Doch da Volker schon diverse Hilfeleistungen hinter sich hatte, hatten meine weiblichen Reize offenbar an Anziehungskraft eingebüßt.

Auch ein verlangendes »Volker, ich brauche dich!« blieb erfolglos. Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit, ihn auf Trab zu bringen. Mit dem Flaschenboden hieb ich auf die Tür ein. »Volllker, hier gibt’s was niederzumachen!«

Fehlanzeige, wieder nichts. Spätestens jetzt hätte er sich aus Morpheus’ Armen lösen und mir freudestrahlend die Tür aufmachen müssen. Ratlos latschte ich in mein Zimmer zurück, goss mir missmutig ein Glas Wasser ein und setzte mich damit an den Schreibtisch. Den Schampus rüttelte ich kräftig durch und stellte ihn vor mir ab, für den Fall, dass der Korken es sich doch noch anders überlegte.

Ich griff nach dem Fotoalbum und versuchte mich der Weihnachtsfichtenidylle zu widmen. Doch der Liebeskummer mit Robert ließ einfach keine Pro-Christmas-Vibrations aufkommen. Nun gut, vielleicht würde es ja helfen, mir das Hin und Her mit ihm noch einmal in Erinnerung zu rufen …

 

»Unscheinbar.« Das war das Erste, was mir zu Robert eingefallen war. Er war mittelgroß, weder von kräftigem noch von zartem Körperbau, hatte glatte, hellbraune, zu einer Nullachtfünfzehn-Seitenscheitelfrisur gekämmte Haare, eine blasse Gesichtsfarbe und war nichts sagend gekleidet. Jemand, wie man ihn dutzendweise in Seminaren, auf Partys oder beim Einkauf trifft. Einer, mit dem man sogar noch an der Supermarktkasse ein nettes Gespräch führt. Aber mehr auch nicht. Ein Typ, der auf der Bühne des geschlechtlichen Miteinander meist nur die Nebenrolle spielt.

»Der Lächler.« Das war das Erste, was meinen Freundinnen zu Robert eingefallen war. Eine nicht ungerechtfertigte Bezeichnung. Der Tag konnte noch so trübe sein, wann und wo auch immer Robert mich antraf, er lächelte! Ein eher hilfloses Lächeln allerdings. Vor gut einem halben Jahr fasste er sich endlich ein Herz und sprach mich an. Seinen Mut wusste ich durchaus zu schätzen. Aber das war’s dann auch schon. Mehr als ein paar Becher Kaffee und ein paar Flaschen Multivitaminsaft in der Uni-Cafeteria waren bei mir nicht drin.

Bis vor drei Wochen. Dabei war gar nichts Aufregendes geschehen. Außer, dass zu Roberts hilflosem Lächeln und den tapsigen Verabredungsversuchen noch eine gewisse Unbeholfenheit im Umgang mit realen Gegenständen gekommen war, sobald ich in der Nähe weilte. Vielleicht war es sogar diese Unbeholfenheit, die meine Gefühle für Robert letztendlich entflammt hatte. Frauen sprechen bei Männern ja auf die seltsamsten Dinge an, wie ich aus intensivem Zeitschriftenstudium im Wartezimmer meines Zahnarztes wusste.

Nachdem Robert mir also über Monate hinweg vergebens den Hof gemacht hatte, war ich auf einmal willens, mich auf mehr einzulassen. Ich frohlockte. Jetzt würde ich ihn und mich glücklich machen! Ich kramte das Telefonbuch hervor, suchte Roberts Nummer heraus, läutete bei ihm an und lud ihn für einen bestimmten Abend zu mir ein. Ich hatte zwar nicht gerade erwartet, dass er vor Wonne fast ohnmächtig würde, doch mit einem freudigen »Ja, ich komme gern« hatte ich nach seinen zahllosen mühseligen Avancen schon gerechnet. Stattdessen entpuppte sich Robert als harte Nuss. Als ziemlich harte Nuss sogar: Er wollte gar nicht glücklich gemacht werden. Jedenfalls nicht so schnell.

Zuerst tat er so, als verwechsele er mich mit einer anderen Gaby. Dann murmelte er etwas von zurzeit vielen Adventsfeiern und sonstigen unaufschiebbaren Verabredungen vor Weihnachten. Dann sagte er nichts mehr. Blieb aber weiterhin auf Sendung, um meinen nächsten Vorschlag auf keinen Fall zu verpassen.

Ich schaltete sofort. Anscheinend war ich zu forsch vorgegangen und hatte ihn in seiner Männlichkeit getroffen. Egal, wie klemmig die Typen auch sind, der erste Schritt muss von ihnen ausgehen, sonst ziehen sie den Schwanz ein. Ich überlegte, wie ich ihn zu mir locken und ihm trotzdem ein Hintertürchen offen halten konnte.

Mit »Die Einladung ist natürlich ganz unverbindlich« hoffte ich ins Schwarze zu treffen.

»Jaaa, wenn das so ist …« Robert bekam wieder Oberwasser und ich eins auf die Mütze. »Tja, sofern ich die Zeit finde, beehre ich dich gerne mit meinem Besuch«, gab er aufgeblasen von sich.

Als Student der Rechtswissenschaften, das hatte ich von Anfang an gemerkt, stand Robert auch in der Alltagssprache auf Einflechtungen von juristischem Fachvokabular. Neben ›unverbindlich‹ standen noch ›ohne Vorsatz‹ und ›bis auf Widerruf‹ hoch im Kurs. Auch ›ohne Gewähr‹ gehörte zu seinem Repertoire. Da konnte man einiges draus machen. Zum Beispiel ›Verabredungen ohne Gewähr‹. Vielleicht sollte ich mir ja einen Justitiar zulegen, der die Tête-à-têtes hieb- und stichfest für mich machte? Und zwar mit aufgesetztem Vertrag, in dem beide Parteien vorab festlegten, inwieweit etwas laufen sollte oder nicht.

Ach, wie oft schon waren brüllende Löwen mit stolzer Mähne zu zahn- und haarlosen Stubentigerchen mutiert, die im Grunde nichts weiter wollten als ihr regelmäßiges Fresschen! Ein Vertrag brächte so was von vornherein ans Licht. Da müssten die potenziellen Rendezvousler dann ankreuzen, ob sie der Gattung ›wilder Draufgänger und unersättlicher Liebhaber‹ angehörten oder doch eher unter die Rubrik ›Unterhemd-mit-Bier-vor-dem-Fernseher-Freak‹ fielen. Nicht zu vergessen natürlich das große Kästchen für die heißblütigen Pantoffelheld-Casanovas. Und damit beim Ankreuzen nicht geschummelt würde, müsste zusätzlich ein Seelenklempner-Gutachten erstellt werden. Positiver Nebeneffekt: Man bekäme jede Menge arbeitsloser Juristen und Psychologen von der Straße.

Wie wohl so ein Gutachten bei Robert ausgefallen wäre? Erst will er, dann will er nicht, aber so richtig nicht wollen will er eigentlich auch wieder nicht. Wenn ich wenigstens rechtzeitig geahnt hätte, dass Robert ein Typ vom Schlage ›Wenn’s in diesem Leben nichts mit uns wird, Baby, dann bestimmt im nächsten‹ sein könnte, dann hätte ich nicht nur sinnlos vergeudete Energie gespart, sondern auch zum Fenster hinausgeworfenen Zaster.

Für besagten Abend hatte ich nämlich meinen Kühlschrank bis zur Halskrause aufgefüllt, kräftig Putzlumpen und Staubtuch geschwungen sowie mich selbst auf Hochglanz gebracht. Kurz vor Rendezvous-Time trug ich ein paar Tropfen meines schärfsten Parfüms auf. Mein Wellensittichmännchen, das meine fünfzehn Quadratmeter mit mir teilte, geriet daraufhin dermaßen in Fahrt, dass ich dem Gegurre und Gebalze ein Ende bereiten musste und den Käfig kurzerhand ins Abstellkämmerchen verfrachtete. Wenn einer gurren und balzen sollte, dann doch wohl nur Robert.

Fünf … zehn … fünfzehn Minuten nach Rendezvous-Time verstrichen, doch Robert kam nicht. Macht nichts, redete ich mir ein, das ist ganz normal bei Studentens. Da wird das akademische Viertelstündchen halt auch auf das Privatleben übertragen. Nachdem allerdings ein weiteres, von mir großzügig eingeräumtes ›cum tempore‹ ereignislos verstrichen war, begann ich mir Gedanken zu machen.

Vielleicht war ja die Klingelanlage defekt. Ich jagte nach unten, wo ich mit heißen Flecken im Gesicht auf Volkers Klingelknopf drückte. Aufgeregt hüpfte ich von einem Bein aufs andere. Nichts tat sich. Volker musste da sein. Ojemine! schoss es mir durch den Kopf, dann hat der arme Robert sich hier mit seinem Rosenstrauß die Beine in den Bauch gestanden und hat geklingelt und geklingelt und geklingelt …

Ein heiser-schrilles »Waaas?« schreckte mich aus meinen Grübeleien auf. Es war Volkers Stimme, ich hatte ihn wohl aus seinem Fit-für-die-Bar-Nickerchen geholt.

»Volker, hier ist Gaby, es geht um Leben oder Tod«, flößte ich ihm durch die Sprechanlage ein, um ihn erst mal auf Vordermann zu bringen. »Keine Angst«, beruhigte ich ihn daraufhin gleich wieder, »du brauchst nichts weiter zu tun, als dich mit aufgesperrten Lauschern an meine Zimmertür zu begeben.«

Nachdem ich Volkers Gebrummel als Zustimmung gedeutet hatte, legte ich los. Ich spielte alle nur möglichen Varianten durch, liebkoste den Klingelknopf zart mit den Fingerkuppen, drückte dann etwas stärker drauf und läutete zum Finale Sturm.

»Sag mal, haste se nich mehr alle«, drang Volkers Stimme an mein Ohr. »Willste hier ’ne Symphonie komponieren oder was?«

»Volkerli, ich danke dir. Hat’s wirklich die ganze Zeit ohne Unterbrechung geklingelt?«

»Ja doch, hab ich doch gesagt«, brummte Volker. »Erlauben Hoheit jetzt gnädig, dass der werte Diener sich noch ein wenig aufs Ohr haut?«

»Aber klar, leg dich nur wieder hin.«

Wieder in meinem Zimmer angelangt, überdachte ich belustigt meine Anstrengungen in puncto Klingelanlage. Na ja, halb so wild, wenigstens war ich jetzt sicher, dass mit der Bimmel alles in Ordnung war. Vielleicht lag’s ja am Telefon, kam mir jedoch schon der nächste Verdacht. Was nun, wenn Robert vergeblich versucht hatte, mir mitzuteilen, dass es etwas später werden könnte?

Ich schlich zu Volkers Zimmer und lauschte an der Tür. So schnell konnte ein normaler Mensch gar nicht wieder einschlafen. Unbeirrt brachte ich meine Hand mit Volkers Tür in Kontakt. Ich war kurz davor, ein zweites Mal zu klopfen, als die Tür mit einem heftigen Ruck aufgerissen wurde und ein verschlafener und überaus schlecht gelaunter Volker auf der Schwelle erschien.

»Geht’s etwa wieder um Leben oder Tod? Dann bin ich diesmal für den Tod.« Sprach’s und wollte mir die Tür vor der Nase zuschlagen. Ich schaffte es, in sein Zimmer zu schlüpfen, wo ich ihn inständig um eine weitere Hilfeleistung bat.

»Verdammt nochmal«, Volker warf sich mit einem Stoßseufzer aufs Bett, »wenn ihr Frauen bei den wichtigen Dingen des Lebens auch immer so hartnäckig am Ball bliebt wie bei irgendwelchen Belanglosigkeiten, dann könntet ihr euch die ganze Frauenbewegung schenken.«

Ich war Volker ob des heftigen Rundumschlags keineswegs böse, schließlich beanspruchte ich ihn wirklich sehr. »Okay, wenn dir danach ist«, gestand ich ihm großmütig zu, »dann darfst du ungestraft noch eine weitere Chauvi-Attacke ablassen.«

Ich hatte in die richtige Kerbe gehauen. Mit einem Mal wirkte Volker gar nicht mehr so übellaunig. Er warf sich in die Brust und schmetterte die vom Männerpublikum immer wieder gern gehörte Chauvi-Arie »Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht«.

»Jaja, ist schon gut, aber jetzt komm«, drängelte ich.

»Oooch, darf ich nicht nochmal?«

Das hatte ich nun davon: Der Deckel von Pandoras Büchse war gelüftet, und die Macho-Weisheiten dieser Welt brannten darauf, ins Freie gelassen zu werden.

»Meinetwegen«, gab ich nach, »doch dann verschließt du dein Chauvi-Füllhorn wieder. Aber vakuumdicht.«

Kaum hatte ich ausgesprochen, ließ Volker auch schon die nächste bühnenreife Vorstellung vom Stapel. »Schwachheit, dein Name ist Weib!« Mit hocherhobenen Armen und flehentlichem Blick schickte er seine Weisheit gen Himmel. Die Sache begann ihm sichtlich Spaß zu machen.

Mir jedoch weniger. Mit dem ganzen Einsatz meiner Muskelkraft zog ich Volker vom Bett hoch. »Und jetzt setzt du dich für einen klitzekleinen Augenblick in mein Zimmer. Es kommt nämlich gleich ein Anruf.«

»Ein Anruf? Versteh ich nicht. Wieso gehst du denn nicht selber ans Telefon?«

»Kann ich doch gar nicht! Ich bin doch diejenige, die anruft!«

»Häää …«, kommentierte Volker völlig fassungslos, prustete aber gleich darauf los: »Ist wohl weibliche Logik, wie?«

»Du hast’s erfasst! Und wie du bestimmt schon des Öfteren die bittere Erfahrung gemacht hast, greifen bei weiblicher Logik die üblichen Argumentationsmechanismen nicht. Also sei ein schlauer Junge, investiere nicht unnötig in sowieso sinnlose Vorhaben und begib dich jetzt bitte endlich auf mein Zimmer!«

Den Kopf kräftig schüttelnd kam Volker meiner Bitte nach.

Ich jagte die Treppen hinab.

Unten vor der Telefonzelle stand ich mir erst mal geschlagene fünf Minuten die Beine in den Bauch. Natürlich (Männer sind und bleiben doch die größten Klatschtanten!) war ein Typ drin. Nachdem er sich endlich ausgequatscht hatte, besaß er die Unverfrorenheit, seinen Geldbeutel nach Kleingeld für ein weiteres unsinniges Telefongespräch zu durchwühlen. Mit einem »Es geht um Leben oder Tod« stürmte ich die Zelle.

Hoffentlich hatte Volker sich nicht schon wieder auf seine Matratze gewälzt. Nervös fingerte ich an den Wähltasten herum und bekam prompt einen falschen Teilnehmer an die Strippe. Und zwar einen von der Sorte, die den ganzen Tag um ihren Apparat herumscharwenzeln und auf Fehlanrufe lauern. »Macht doch gar nichts, dass du dich verwählt hast, Schätzchen«, keuchte er mir ins Ohr, »ich unterhalte mich gern mit jungen Dingern. Siehste denn auch passabel aus?«

»Hallo, hier ist Müller von der Sittenpolizei«, reagierte ich trotz meiner Nervosität postwendend, »haben wir Sie endlich erwischt, Sie Schwein! Bleiben Sie noch einen Moment dran, bis unsere Fangschaltung Ihre Nummer aufgespürt hat. Währenddessen kann ich Ihnen ja schildern, wie ich aussehe. Nun –« Ich lauschte. Aha, der feige Wicht hatte eingehängt. Dann also ›Volker, die zweite‹ …

Tut … tut … tut … verdammt, es tat sich nichts. Vielleicht war mein Apparat ja tatsächlich von der Außenwelt abgeschnitten. Na also, es wurde abgehoben. »Volker, bist du’s?«

»Alles erlaubt sich ein Weib, und es dünkt unziemlich sie gar nichts!«

»Bitte, Volker, sei doch lieb und melde dich anständig, ja?«

»So geht’s, wenn Männer sind beherrscht von Weibern!«

»Lass jetzt den Quatsch, Volker. Und hör gefälligst auf, in meinen Zitatenbüchern rumzuschnüffeln!«

»Der Mann fragt Bücher, Freunde, Welterfahrung; das Weib vernimmt des Herzens Offenbarung … haha, fast schon drehbuchreif, unsere kleine Plauderei, was?«

»Sag mir lieber, ob du mich einwandfrei verstehen kannst?«

»Willst du die anderen verstehen, blick in dein eigenes Herz«, setzte Volker stattdessen noch kräftig eins drauf.

»Ich komme jetzt hoch!«, brüllte ich in die Muschel. Bevor ich den Hörer aufknallte, bekam ich noch ein »Alles verstehen, heißt alles verzeihen« ins Ohr gesäuselt.

Oben angelangt, sah ich, dass ein Zettel an meiner Tür klebte. Ich schoss an mein Portal. Sicher war es eine Nachricht von Robert! Bestimmt hatte er gleich nach mir angerufen und Volker durchgegeben, dass er sich verspäten würde. Voller Freude begann ich zu lesen: »Eines Manns Verlust fällt schwer dem Hause, doch ein Weib wird leicht entbehrt.« Volll … Ich erstickte den in meiner Kehle sich anbahnenden Schrei, zerknüllte das Geschmier und stapfte ins Zimmer.

Männer! Nichts als Sprüche! Grollend sah ich auf die Uhr: Rendezvous-Time plus eine Stunde war es inzwischen. Die heiß ersehnte Verabredung konnte ich in den Wind schreiben. Wohin nun mit dem angebrochenen Abend und meinem Kummer? Um auf andere Gedanken zu kommen, überflog ich das Fernsehprogramm. Fehlanzeige! Natürlich lief nur wieder irgendein Liebesschmonzes! Was ich jetzt zur Entspannung gebraucht hätte, wäre ein schlagkräftiger Kung-Fu-Streifen gewesen. Einer, in dem die Protagonistin den miesen Typen ordentlich eins vor den Latz haut.

In Gedanken teilte ich selbst ein paar kräftige Handtaschen-Schwinger aus, holte mir ein würziges Pils aus dem Kühlschrank, füllte meine Wärmflasche prall auf und ließ mich auf meiner Liegestatt nieder. Kurze Zeit später fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf, in dem ich mich von den Kränkungen der vorangegangenen Stunden erholte.

Am nächsten Tag in der Uni-Cafeteria blieb mir die Luft weg. Bei meiner großen Glückssträhne lief mir prompt Robert über den Weg. Doch statt vor lauter schlechtem Gewissen wegzublicken, strahlte er mich an wie ein Honigkuchenpferd! Ich kapierte überhaupt nichts mehr.

In den nun folgenden Vorlesungen und Seminaren versuchte ich mir einen Reim auf Roberts Verhalten zu machen. Leider fiel mir kein einziger in Psychologie bewanderter Student ein, der mir mit Rat und Tat zur Seite hätte stehen können. Außer meiner frisch zur Medizin übergewechselten Freundin Eva alles nur Geisteswissenschaftler in meinem Bekanntenkreis, konstatierte ich missmutig. Und die würden einem bei der Problemanalyse vermutlich mit an den Haaren herbeigezogenen Fallbeispielen aus der Literatur kommen. Doch ein etwaiger Auszug aus den ›Leiden des jungen Werther‹ war so ziemlich das Letzte, was ich in meiner verfahrenen Situation gebrauchen konnte.

Auch des Abends in meinen fünfzehn Quadratmetern gelang es mir nicht, Strahlemann Robert aus meinen Gedankengängen zu verbannen. Wahrscheinlich hielt er sich jetzt für den größten Aufreißer aller Zeiten, der es sich leisten konnte, hin und wieder Mädels bei Verabredungen sitzen zu lassen. Sie würden sich eh wieder melden.

Seufzend blickte ich den Telefonapparat an.

Na gut, Robert, auf dein Lächeln hin würdest du eine zweite Chance bekommen.

Ich atmete tief durch und griff zum Hörer.

Nach unendlich langem Klingeln wurde abgehoben.

»Jaaa …?«, klang es mir vorsichtig-zögerlich entgegen.

Mein Gott, bei allem Verständnis für seinen Absicherungstick, seinen Namen konnte er doch zumindest verraten, schließlich wurde Robert ja nicht von der Mafia verfolgt.

»Hallo, Robert, bist du dran … hier ist Gaby, wollte mal hören, wie’s dir geht?«

»Äh … Gaby …« Pause. »Gaby …?« Längere Pause. Dann, er war schon kurz davor, als neuer Telefonpausen-Rekordinhaber ins Guinness Buch einzuziehen, fiel ihm ein: »Ach so, du bist dran, Gaby!«

Für Wehleidigkeiten war jetzt keine Zeit, ich musste ein Gespräch in Gang bringen.

»Schade übrigens, dass du gestern nicht kommen konntest. Bestimmt ist dir etwas dazwischengekommen?«

»Äh … nein«, druckste er herum, »ich meine … ja …« Dann, auf einmal, in einem deutlich selbstbewussteren Tonfall: »Wieso, die Einladung war doch unverbindlich gewesen!«

Hier also lag der Hund begraben! Mit meiner so schlauen Jurisprudenz-im-Alltag-Tour hatte ich mich ins eigene Fleisch geschnitten. Nun gut, dann musste ich zu anderen Mitteln greifen.

»Schade eigentlich«, begann ich harmlos. »Ich hatte nämlich eine Kleinigkeit für uns beide zum Essen vorbereitet.« Geflissentlich überhörte ich Roberts »Dafür kann ich nichts«-Protest und machte weiter. »Aber das mit dem Essen, weißt du, das war gar nicht so schlimm, denn zu vorgerückter Stunde kam noch ein Freund von früher ganz zufällig auf einen Sprung bei mir vorbei«, brachte ich geschickt einen fiktiven Nebenbuhler ins Spiel. »Und bei reichlich Speis und Trank haben wir uns dann über gemeinsam erlebte alte Zeiten unterhalten, und ruck, zuck, du weißt ja, wie das so geht, war es auf einmal viel später, als wir angenommen hatten.«

»Sooo, wie spät war es denn?« Robert versuchte seiner Stimme einen möglichst uninteressierten Klang zu geben.

»Du wirst es nicht glauben, Robert, aber als wir schließlich dazu kamen, aufs Zifferblatt zu schauen, da war’s drei Uhr morgens. Kannst du dir das vorstellen?« Ich flocht ein backfischhaftes Kichern ein. »Und natürlich fuhr um diese Zeit kein Bus mehr …« Jetzt musste er die entscheidende Frage stellen.

»Ja … äh … und wo … ähm … hat dein … äh … Kumpel … ähm … den Rest der Nacht verbracht?« Roberts Stimmbänder waren so gespannt wie Flitzbögen.

»Tja, weißt du, erst hatten wir uns überlegt, dass der Mike«, ich dachte mir ein cooles Nebenbuhlerpseudonym aus, »bei mir im Zimmer schlafen könnte. Aber dann«, ich kramte ein intimes Detail aus unserem vergangenen Liebesleben hervor, »erinnerte ich mich an sein Schnarchen von früher. Also hat Mike sein Nachtlager im Aufenthaltsraum aufgeschlagen.«

Ich glaubte einen leisen Seufzer der Erleichterung zu vernehmen. Jetzt aber ran, Robert, spornte ich ihn in Gedanken an, sonst zaubere ich aus meinem Zylinder den nächsten mich hart bedrängenden Don Juan hervor.

»Tja, ähm«, setzte Robert tatsächlich wild entschlossen an, »ich bin gerade meinen … äh … Zeitplan durchgegangen. Ich glaube, vor Weihnachten kann ich … ähm … doch mal bei dir reinschauen. Aber ich möchte mich da … äh … noch nicht so genau festlegen … du kannst mir ja auf alle Fälle deine … ähm … Telefonnummer geben …«

Ich unterdrückte einen Jauchzer und gab Robert meine Nummer durch. »Ich hoffe, dass ich dich mit meinem späten, unerwarteten Anruf nicht etwa gestört –«

»Aber nein.« Robert war jetzt ganz die Freundlichkeit in Person. »Dies ist sogar die sicherste Zeit, mich zu erreichen. Am besten rufst du frühmorgens oder spätabends an.« Er stellte mir doch tatsächlich einen Blankoscheck für weitere Telefonate aus.

In den nächsten Tagen widerstand ich hartnäckig allen Versuchungen, Roberts Nummer auch noch ein drittes Mal zu wählen. Stattdessen saß ich in jeder freien Sekunde vor dem Telefonapparat, um ja kein Lebenszeichen von ihm zu verpassen.

Doch der innig erhoffte Anruf blieb aus.

 

Und jetzt saß ich hier vor dieser verflixten Flasche Sekt, die ich gemeinsam mit Robert hatte genießen wollen und die ich mir nun allein runterkippen würde, wenn sie nur endlich aufginge. Wütend rüttelte ich die Flasche ein zweites Mal durch. Mit der Zunge fuhr ich mir über den Mundwinkel, wo ich etwas Salziges schmeckte. Da war mir doch wegen dieses unentschlossenen Schufts wahrhaftig eine Träne ausgebüchst, und weitere drohten ihr Kommen an.

Wo steckten bloß die Taschentücher? Mit einem Schleier vor den Augen richtete ich mich aus meinem Schreibtischstuhl auf und beugte mich über den Lieblingssekt zu dem dahinter stehenden Ablagekasten vor – da schoss mir ein »Klong« machendes Etwas entgegen. Das Geschoss prallte direkt unter meinem linken Auge auf. Dann wurde es nass in meinem Gesicht. Ich riss den Kopf zurück und versuchte, die Lage zu erfassen. Eine sprudelnde Sektfontäne war dabei, große Teile meines Schreibtisches zu besprengen. Ich schnappte nach der Flasche, rutschte aber am klebrigen Glas ab und warf sie um: Vom Schreibtischrand aus ergoss sie ihren Inhalt nun über den Fußboden. Ich fuhr auf, stieß dabei den Stuhl um, streifte die Flasche, die auf den Boden polterte, sprang nach hinten, rutschte mit den Plastiklatschen auf der sich ansammelnden Sektlache aus und knallte der vollen Länge nach auf eine höckerartige Ausbuchtung meines Linoleumfußbodens.

Ächzend richtete ich mich auf.

Aus der Schampusflasche floß nur noch ein dünnes Rinnsal.

Ich taumelte zum Spiegel. Die vom Sektkorken beschossene Stelle unter meinem linken Auge glänzte bereits in knalligem Pink. Als hätte ich vom Weihnachtsmann eins aufs Auge gekriegt, versuchte ich das Ganze mit Humor zu nehmen. Doch äußerer sowie innerer Schmerz stachelten mich zu bitterbösen Gedanken an: »Soso, Robert«, ließ ich meinem Kummer freie Bahn, »statt mit Amors Pfeilen auf mich zu schießen, hast du also ein anderes Wurfgeschoss auf mich angesetzt.« In einer Aufwallung von Zorn ergriff ich mit der einen Hand den vermaledeiten Sektkorken und packte mit der anderen den Telefonhörer. Jetzt würde ich dieser absurden Angelegenheit ein Ende bereiten!

Ich hieb Roberts Nummer in die Tastatur ein und presste die Muschel ans Ohr. Eins … zwei … drei … zählte ich bei jedem Klingeln mit. Wirst du wohl endlich ans Telefon gehen, du Feigling!

»Hallllo«, ertönte plötzlich ein monotones Stimmchen. So, du raffiniertester aller Uni-Casanovas, hast du dir jetzt einen Anrufbeantworter zugelegt, damit dir auch ja kein Antrag deiner unzähligen Verehrerinnen entgeht, tobte ich. Gleich würde ich dir einen besonders feurigen aufs Band sprechen!

»Hallo«, klang es auf einmal ganz und gar nicht mehr monoton an mein Ohr. »Wer ist denn dran, bitte?«

Ach, was hatte Robert doch für eine entzückende Stimme! Wut sowie geplantes Vorhaben waren wie durch Zauberhand außer Kraft gesetzt, und mein Herz nahm einen sehnsuchtsvoll pochenden Schlag an.

»Hi, hier ist die Gaby. Wie geht’s denn so?«, hörte ich mich schon wieder flöten, fügte aber geistesgegenwärtig hinzu: »Ich wollte dir noch frohe Weihnachten wünschen, falls wir uns vor den Festtagen nicht mehr –«

»Äh, das ist jetzt ungünstig«, unterbrach mich Robert brüsk und fachte meinen fast schon verrauchten Zorn erneut heftig an. »Ich bin gerade auf dem Sprung zu einer Party. Eine Freundin von mir hat Geburtstag. Aber du darfst gern wieder anrufen.«

»Okay, alles claro, dann also tschüs«, presste ich noch zwischen den Lippen hervor, bevor ich völlig aus dem Häuschen geriet. Soso, ungünstig, kochte ich vor mich hin. Diesmal nicht unverbindlich, sondern ungünstig! Und anrufen durfte ich auch wieder. Natürlich würde ich wieder anrufen! Dann würde der Lächler ja sehen, wie ungünstig es war, mich je angesprochen zu haben!

Ich ließ meinen Raubtierblick im Zimmer auf und ab streifen. Er blieb an einem kleinen Stapel Zitatenbücher auf dem Bettkasten hängen. Voller Tatendrang griff ich danach und schlug im jeweiligen Register unter ›Gunst‹ nach. Was hatten wir denn da …»du hast der Götter Gunst erfahren«… Nein, das war nicht das Passende … Mal sehen …»Wem Gott will rechte Gunst erweisen …« Ach, du meine Güte, hatten die Klassiker nicht mal einen flotten, feministisch angehauchten Spruch auf der Pfanne gehabt? Na also – ich blätterte weiter – da war ja doch noch was Brauchbares. Hm, nicht schlecht, da ließe sich was draus machen: »Nur der verdient die Gunst der Frauen, der kräftigst sie zu schützen weiß.« Ich klappte die Bücher zu und machte mich ans Fabulieren. Dies musste ein verbaler Handtaschen-Schwinger der unvergesslichen Art werden!

Nachdem Roberts Blechkasper sein Sprüchlein runtergeleiert hatte, legte ich hoheitsvoll rezitierend los: »Du, der du die Gunst der Stunde nicht zu nutzen weißt, bist alle Mal kein Günstling des Schicksals, so dünkt es mir. Wer mit einem ›ungünstig‹ seine Pforten schmückt, an dessen Tür wird die holde Dame Gunst alsbald nicht mehr mit ihrem zarten Schlage anklopfen. Denn merke, nur der verdient die Gunst der Frauen, der eine günstige Gelegenheit nicht leichtfertig vorüberziehen lässt!«

Mit dem leeren Sektkelch prostete ich mir zu. Ein bisschen Schadenfreude war doch wohl erlaubt: Genüsslich stellte ich mir Roberts Gesicht vor, wenn er nach der Party seinen Anrufbeantworter abhören würde. Apropos Gesicht, ich musste unbedingt etwas gegen die Schwellung unter dem linken Auge unternehmen!

Ich holte mir gerade Eis aus dem Gefrierfach, da riss mich ein dröhnendes »Hoho« an meiner Tür, dicht gefolgt von lautem Klopfen, hoch. Ungebetener Besuch hatte mir gerade noch gefehlt! Ich tat keinen Muckser.

»Aber da ist doch Licht unter der Tür.« Ich erkannte Volkers Stimme. »Pass auf, wenn ich sie frage, ob sie die Flasche Sekt mit leert, macht sie bestimmt auf.«

Pah, glaubte Volker wirklich, ich sei so leicht zu ködern? Mit einem Schwung riss ich die Tür auf. Volker und sein Spezi stierten wie gebannt in mein Gesicht.

»Na, Jungs, wohl noch nie eins aufs Auge gekriegt?«, legte ich betont lässig los.

»Haha«, platzte Volker heraus. »Haste dich etwa mit dem Weihnachtsmann angelegt? Hat dir wohl ein Ding verpassen müssen, weil du nicht brav warst!«

Ich sandte ein Warnsignal aus, dass es mit meinem geselligen Wesen nicht zum Besten bestellt war: »Und, was wollt ihr zwei Nikoläuse von mir?«

»Haste Lust, einen mitzuschlucken?«

»Nee danke, ich hatte mein Quantum bereits.«

»Moment noch«, rief Volker, bevor ich die Tür schließen konnte, »dann zeig uns wenigstens, wie wir die verflixte Flasche aufkriegen!«

Belustigt blickte ich auf Volkers Spezi, der am Flaschenkorken rumfummelte. »Also Jungs, mein absoluter Geheimtipp lautet: Kräftig schütteln und dabei an Robert denken!«

Volkers berühmt-berüchtigtes »Häää …« schenkte ich mir diesmal und knallte die Tür zu.

»Was hat die denn?«, hörte ich draußen den Spezi verdutzt fragen. »Ich dachte, ihr versteht euch blendend?«

»Tun wir ja auch«, vernahm ich Volkers Stimme. »Aber weißt du, manchmal sind die Weiber halt einfach launisch. Und jetzt, so kurz vor Weihnachten, wenn die da keinen Kerl haben, werden sie entweder ganz sentimental oder rasten völlig aus!«

»Jaja, Weihnachten …«, hörte ich den anderen noch murmeln, dann waren sie in Volkers Zimmer verschwunden.

Jaja, Weihnachten. Mir kam mein Vorhaben wieder in den Sinn. Das Fotoalbum! Ich setzte mich an den Schreibtisch und betrachtete von neuem die Weihnachtsfichtenidylle, die auch ein paar Sekttropfen abgekriegt hatte. Mit der Fingerkuppe hob ich die Tropfen vorsichtig ab und ließ sie mir auf der Zunge zergehen. Reuevoll dachte ich an Volker und seinen Schampus.

Ich seufzte, blickte erneut auf die Bilder und versank in Kindheitserinnerungen. Ach was, sagte ich mir schließlich lächelnd, vielleicht würde Weihnachten in diesem Jahr ganz nett werden. Festlich gestimmt, heftete ich Volker schon mal einen Weihnachtsgruß an die Tür:

Lieber Volker-Nachbar!

Du wirst es nicht für möglich halten,

aber ich habe tatsächlich vom Weihnachtsmann

eins aufs Auge gekriegt. Das heißt,

nicht vom ihm persönlich. Einer seiner

Gehilfen hat das in die Hand genommen.

Codename Robert.

Keine Bange, wenn du nichts verstehst.

Manchmal kapiere ich die Welt und ihre

(männlichen) Bewohner auch nicht.

Wie auch immer, falls wir uns nicht mehr sehen:

Merry Xmas!!!

Gabylein

Auf einmal verspürte ich den starken Drang, jemandem etwas Gutes zu tun. »Okay, Caruso«, sagte ich und blickte zum Wellensittichkäfig hinüber, »warum sollst du dein Geschenk eigentlich erst an Heiligabend bekommen?« Ich holte ein extragroßes Sittich-Knabberherz hervor und machte es im Käfig fest. Kaum hatte ich das Türchen verschlossen, fing Caruso auch schon an, munter draufloszupicken. Wenigstens einer, der meine Aufmerksamkeiten zu schätzen wusste!

Ich machte mich ans Gefrierfach, gönnte meiner Blessur endlich den Eisbeutel und schrieb die letzten Karten.

Ich war bereit.

Weihnachten konnte kommen!

2. Kapitel Besser ein tranchierender Gatte als gar keiner? oder: Die Angst der Frauen vor dem Tiger

Meine fabelhafte Stimmung währte exakt vierundvierzig Stunden und fünfunddreißig Minuten …

Während der Anreise zu meinen Eltern hatte ich mich mit schmissigen Weihnachtsliedern aus dem Autoradio nochmal so richtig in Fahrt gebracht.

Die letzten Takte von ›Rudolph, the red-nosed rein-deer‹ vergnügt vor mich hin pfeifend, schloss ich die Tür des elterlichen Hauses auf.

Als Erstes betrat ich die Küche.

Zunächst sah ich nur rote Weihnachtssterne. Dann weiße. Dann sah ich den Kopf meiner Mutter. Aha, hatte sie sich also heute schon in ihre Festtagskittelschürze mit dem weihnachtlichen Muster geworfen. Sie kauerte mit gerötetem Gesicht vorm Backofen, wo sie mit einer Stecknadel hektisch auf den halb aus der Röhre ragenden Gänsebraten einstach.

»Frohe Weihn –«, setzte ich schwungvoll an.

»Stör mich jetzt nicht, du siehst doch, dass ich noch in der Arbeit stecke. Mir hilft ja auch nie jemand!«, klagte sie mit der üblichen Anspielung auf meinen Vater. »Wenn ich dagegen andere Männer sehe, was die alles für ihre Frauen tun! Heute Morgen erst hat mir Frau Schicklgruber erzählt, was für drei schöne Tage sie sich machen kann. Über Weihnachten würde ihr Mann sie gar nicht erst in die Nähe der Küche kommen lassen!«

Mutter tat einen tiefen Seufzer und dann einen herzhaften Stich in den Gänsebürzel.

Weitere Ausführungen über Frau Schicklgruber und ihren Mustergatten schenkte ich mir und ging ins Wohnzimmer, wo ich meinen Vater bei Weihnachtschormusik aus der Flimmerkiste und einer Flasche Bier auf dem Sofa vorfand.

Es kam auf einen zweiten Versuch an: »Frohe Weihnachten!« Wenigstens hatte ich diesmal aussprechen dürfen.

»Ach, hallo Gaby … Was hast du gerade gesagt?« Mein Vater blickte mich verständnislos an.

»Ach nichts«, murmelte ich und setzte mich zu ihm aufs Sofa. Er starrte bereits wieder auf den Bildschirm.

»Was läuft denn da?«, versuchte ich eine Unterhaltung anzukurbeln.

»Von mir aus kannst du ruhig umschalten. Wie sieht’s denn mit dem Essen aus?«

»Ich glaube, es dauert noch etwas.«

»Ich weiß auch nicht, was deine Mutter immer so lange in der Küche treibt. Wir waren damals zu siebt in der Familie, und trotzdem haben die Mahlzeiten stets pünktlich auf dem Tisch gestanden. Gerade an den Feiertagen. Da hätte mein Vater meiner Mutter schön was erzählt!«

Also auch im Wohnzimmer die gleiche Leier! Stell dir vor, sagte ich mir, du machst die Augen zu, und – simsalabim – Weihnachten ist vorüber. Für einige Sekunden kniff ich meine Sehschlitze fest zusammen, um danach nur wieder die Goldkehlchen des Knabenchors aus Dingelskirchen vor der Linse zu haben, die frohgemut ein weiteres Lied anstimmten.

»Und meine Mutter besaß weder Gefrierschrank noch Geschirrspüler, noch Brotschneidemaschine!«

Ich nahm meinem Vater, der immer noch seinen Kindheitserinnerungen nachhing, wo Männer noch Männer und Frauen noch Frauen waren, die Fernbedienung aus der Hand. Doch auch auf den anderen Kanälen lief nichts, was mich weihnachtsmäßig hätte antörnen können.

»Und auch keine Fritteuse oder Entsafter geschweige denn Mikrowelle!«

Ein Stöhnen unterdrückend, schritt ich zur Stereoanlage, setzte den Kopfhörer auf und stellte das Radio auf den Sender mit den fetzigen Weihnachtsliedern ein. Nach zehn Liedern wurde ich zum Tischdecken in die Küche gerufen. Exaktes Timing, das musste man meinem Vater lassen: Kaum hatte ich den letzten Handgriff getan, kam er ebenfalls und setzte sich an die gedeckte Tafel.

Mit feierlicher Geste griff er zum Tranchierbesteck und zerlegte mit stolzer Miene den Gänsebraten. Obwohl er sonst eher mit zwei linken Händen geschlagen war, im Tranchieren von Weihnachtsvögeln war er nicht zu übertreffen. Wenn es nach ihm ginge, würde jeden Tag irgendein Flattermann in die Röhre geschoben. Denn dann wäre seine außergewöhnliche Begabung nicht nur an den letzten Dezembertagen zur Geltung gekommen. Eine Begabung, die von meiner Mutter allerdings auch in diesem Jahr wieder nicht gebührend geschätzt wurde, wie ich am verkniffenen väterlichen Gesichtsausdruck sehen konnte.

Nach Vollendung des Werkes legte sich mein Vater ein großes Stück Gänsebrust auf den Teller. Betont auffällig kaute er auf dem ersten Bissen herum. »Ein bisschen zäh, das gute Vögelchen, was?«, holte er zu einem Seitenhieb auf die Kochkünste der Gattin aus. »Na ja, besser ein zähes als gar kein Weihnachtsessen, haha!«

Das Spielchen konnte beginnen!

Ich schielte nach meiner Mutter, die so tat, als habe sie nichts gehört. Doch ich wusste, sie feilte bereits an einer passenden Replik. »Na, Gaby, hast du denn auch das praktische Heimwerkerlexikon bekommen, das du besorgen solltest?«

Väterchen spitzte die Ohren.

»Nein«, schwindelte ich. »Die Buchhandlungen hatten es nicht mehr vorrätig gehabt.« Dabei hatte ich gar nicht danach Ausschau gehalten. Soweit vermeidbar, würde ich mich in die elterlichen Ehescharmützel nicht hineinziehen lassen.

»Ach, das ist aber schade.« Mutter setzte ein süffisantes Lächeln auf. »Da drin werden nämlich die Handgriffe, die mann in Haus und Garten so draufhaben sollte, quasi idiotensicher erklärt, sodass jeder«, sie räusperte sich, »wirklich jeder sie verstehen kann.«

Vater verschluckte sich und begann heftig zu husten.

»Weißt du überhaupt schon, Gabylein, dass die Bickelhaupts jetzt einen Partykeller haben? Mit jeder auch nur erdenklichen Raffinesse ausgestattet.« Mutter packte ein Gänsebein beim Schlafittchen und fuchtelte damit aufgeregt in der Luft herum. »Hat der Herr Bickelhaupt auf Wunsch seiner Frau alles selbst in die Hand genommen! Jaja, es ist schon viel wert, wenn man einen geschickten Mann im Hause weiß.«

Dabei war das eigentliche Pech meines Vaters gar nicht, dass ihm der Umgang mit Hammer und Nagel nicht in die Wiege gelegt worden war. In einer anderen Umgebung hätte meine Mutter das Fehlen des Heimwerker-Gens sicherlich überhaupt nicht bemerkt. Nein, das Unglück meines Vaters bestand vielmehr darin, dass er in der Nachbarschaft von lauter Feierabendbastlern und Freizeittüftlern umzingelt war. Egal, ob es nun Frau Schicklgruber, Frau Bickelhaupt oder Frau Kolbenschlag war, jede der Damen hatte einen Allroundgatten für Haus und Garten aufzuweisen. Da konnte meine Mutter mit ihrem perfekt tranchierenden Ehegespons nicht mithalten. Auch wenn sie ihn nach dem alle vierzehn Tage stattfindenden Großeinkauf noch in den Baumarkt verschleppte, der vor kurzem in unserer Gegend eröffnet hatte.

Mit seinem Hang zur Unbeholfenheit hätte Robert einen prächtigen Schwiegersohn für meinen Vater abgegeben. Schmunzelnd stellte ich mir vor, wie beide Männer durch die Hintertür des Baumarktes zu entkommen versuchten, während meine Mutter mit einem Päckchen Dübel hinter ihnen herjagte.

»Das freut mich aber, dass du so gut gelaunt bist, Gabriele«, holte Mutter mich in die Realität zurück. »Ich habe nämlich ganz vergessen, dir etwas mitzuteilen.«

»Jaaa …?« Sie hatte mich beim vollen Vornamen genannt: Ich befürchtete das Schlimmste.

»Eine deiner Großtanten kommt morgen zu Besuch.«

»Sooo, welche denn?« Bitte, lass es Tante Clara sein und nicht Tante Hedwig, flehte ich innerlich.

»Du weißt doch, dass diesmal Tante Hedwig mit einem Besuch dran ist.«

Auweia, das hatte ich völlig verdrängt! Meine beiden Großtanten mütterlicherseits, Tante Hedwig und Tante Clara, wechselten einander stets mit ihren Abstechern bei der lieben Verwandtschaft ab. Dabei schneiten sie einem mit Vorliebe an Feiertagen wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten sowie an Geburts- oder Namenstagen ins Haus.

Doch während Tante Hedwig, die insgesamt viermal in den Hafen der Ehe eingelaufen war, es als ihre Lebensaufgabe ansah, beim weiblichen Nachwuchs ebenfalls die Hochzeitsglocken läuten zu lassen, machte die ledig gebliebene Tante Clara solche Bemühungen immer wieder zunichte, indem sie bei ihren Besuchen das Hohelied der weiblichen Unabhängigkeit sang.

Doch trotz aller Gegensätze bei der Ausübung ihrer sie tief erfüllenden Pflichten: Zwei nicht ganz unbedeutende Dinge verbanden die beiden alten Mädels miteinander.

Erstens: Die beiden stammten aus der gleichen elterlichen Produktionsstätte – sie waren Schwestern! Tante Hedwig erinnerte zwar eher an Zsa Zsa Gabor, verbrachte sie doch einen nicht unerheblichen Teil ihres Lebens in der Gesellschaft von Coiffeuren und Kosmetikerinnen. Tante Clara hingegen mit ihrer praktischen halb langen Ponyfrisur, die seit über einem halben Jahrhundert keinen Frisörsalon mehr von innen gesehen hatte, stand für natürliche Schönheit à la Barbara Rütting.

Und zweitens: Tante Hedwig und Tante Clara hießen eigentlich gar nicht Hedwig und Clara, sondern waren auf die Namen Charlotte beziehungsweise Emilie getauft – nach zwei der insgesamt drei schriftstellernden Brontë-Schwestern, die sich aus puritanischer Pfarrhausenge in eine Welt der heftigen Leidenschaften gesehnt hatten und deren seelenaufrüttelnde Romane meine Urgroßtante mit großer Begeisterung verschlungen hatte.

Charlotte, ebenfalls eine leidenschaftliche Leserin, entdeckte in ihren Backfischjahren die Welt der berühmtesten Herz-Schmerz-Autorin ihrer Zeit: Sie war tief berührt von den Schicksalen der Hedwig-Courths-Mahler-Heldinnen, die es immer wieder schafften, vom Dornenpfad ihres Lebens abzuschwenken und in die schützenden Arme eines Mannes zu eilen. In die eines reichlich betuchten wohlgemerkt! Denn das Liebesglück dieser Heldinnen, die so wohlgefällige Eigenschaften wie Unterwürfigkeit und Opferbereitschaft mit in die Ehe brachten, war mit einem enormen gesellschaftlichen Aufstieg verbunden.

Später vollzog Charlotte ihre Jungmädchen-Leseerlebnisse praktisch nach. Mit jeder Stufe, die sie zum Traualtar führte, erklomm sie – wie ihre Lieblingsheldinnen – auch eine Sprosse auf der sozialen Leiter. Und irgendwann fand sie es an der Zeit, ihrem Schriftstellerinnenidol, das sie mit so viel nützlichem Rüstzeug fürs Überleben in einer männlich geprägten Welt versehen hatte, einen symbolischen Dienst zu erweisen: Sie beschloss, den Namen Hedwig anzunehmen.

Auch Charlottes Schwester Emilie bekam schon früh spitz, dass die Welt eine von Männern beherrschte war. Doch statt die pubertierenden Knaben mit rosa Rüschenkleid und Käthe-Kruse-Puppen-Lächeln zu becircen, machte sie sie sich lieber durch Dresche gefügig.

Später griff Emilie dann zur Kraft des Wortes. Inspiriert durch das Lebenswerk von Clara Zetkin, der Begründerin der sozialistischen Frauenbewegung, streckte sie mit gezielten Verbalhieben jeden nieder, der es wagte, sich über den Kampf für die Gleichstellung der Frau lustig zu machen. Ganz im Sinne ihres Vorbildes stritt sie für die Erwerbstätigkeit der Frau als notwendige Voraussetzung ihrer Emanzipation. Etliche vergilbte Fotos, auf denen sie in ihrer Provinzstadt in vorderster Front mit Plakaten und Spruchbändern für die gerechte Sache marschierte, dokumentierten ihren wackeren Einsatz.

Kein Wunder, dass ihr die Entscheidung der Schwester, ihren Vornamen in den einer – »Frauen in die Sklaverei schreibenden« – Schmonzettenverfasserin umzuändern, großen Kummer bereitete. Gegen den Vornamen Hedwig selbst habe sie nichts, beteuerte sie immer wieder. Schließlich habe auch die mit spitzer Feder für die Rechte der Frauen kämpfende Hedwig Dohm so geheißen. Doch die habe das liebe Schwesterlein – »für das die Frauenbewegung ein Buch mit sieben Siegeln ist« – leider nicht im Entferntesten im Sinn gehabt.

Wie auch immer, an der Entscheidung der Schwester war nicht zu rütteln gewesen. Emilie blieb also nichts anderes übrig, als ebenfalls ein Zeichen zu setzen. Und so kam es, dass von der Leidenschaft meiner Urgroßtante für das schriftstellernde Brontë-Gespann nicht mehr als ein Eintrag im Familienstammbuch verblieb. Denn auch Emilie beschloss, fortan nicht mehr Emilie zu heißen, und nahm nach ihrem streitbaren Vorbild Clara Zetkin den Namen Clara an.

Bei ihr hatte ich nichts zu befürchten, im Gegenteil: Tante Clara versuchte mir höchstens beizubringen, wie ich wirkungsvolle Demo-Plakate mit zündenden Anti-Chauvi-Sprüchen noch wirkungsvoller gestalten konnte. Bei Tante Hedwig sah die Sache schon anders aus. Bei ihren Bemühungen, die ledigen Großnichten unter die Haube zu bringen, ging sie mit vollem Einsatz ans Werk. Sie half dem Glück ein wenig nach, um es mit ihren Worten auszudrücken. Kurzum: Sie versuchte zu kuppeln.

Aus Illustrierten und Zeitungen schnippelte Tante Hedwig Bekanntschaftsanzeigen und Heiratsannoncen aus, die sie uns armen Ledigen dann mit den mahnenden Worten »Kind, da muss doch was für dich dabei sein!« überreichte. Doch außer einigen kräftigen Lachanfällen beim Überfliegen der Anzeigen war für mich bisher nichts dabei gewesen. Meinen geplagten Cousinen ging es ebenso. Nur: Bei mir gab sich Tante Hedwig ganz besondere Mühe. Ich war nun mal ihre älteste Großnichte. Leider. Denn das bedeutete: Spezialbehandlung.

Um mich endlich an den Mann zu bringen, schreckte sie vor nichts zurück. Nicht einmal davor, in meinem Namen und ohne mein Wissen eine Kontaktanzeige aufzugeben, die Schriften der Bewerber im Vorfeld dann eigenhändig auszusortieren und ohne mein Einverständnis schließlich ein Treffen zwischen mir und dem aussichtsreichsten Kandidaten zu vereinbaren.

Als »angehende politische Beraterin« hatte sie mich, die Germanistikstudentin, in ihrer Provinzblattanzeige angepriesen. »Kind, verkauf dich nie unter Wert!«, lautete einer ihrer Lieblingssprüche. Dabei durfte ruhig etwas dicker aufgetragen werden, galt es doch, nicht etwa einen alten Stiefel an Land zu ziehen, sondern sich einen fetten Goldfisch zu angeln.

Der vollständige Text ihrer mir scheinbar auf den Leib geschriebenen Anzeige lautete: »Angehende politische Beraterin mit großen Karriereaussichten, aber noch größerem Sinn fürs Häusliche, sucht liebevollen Akademiker (gerne auch mit Lachfalten) für alles, was zusammen Spaß macht – wie etwa gemeinsame Lebensplanung.«

Beim Abfassen des Textes hatte Tante Hedwig jedes Wort sorgsam abgewägt. Schließlich sollte sich der Köder in das tiefste Unterbewusstsein des Goldfischs bohren. Folglich verbarg sich – laut Tante Hedwig – hinter jeder Formulierung eine haarscharf durchdachte Symbolik.

Das mit der »Beraterin« sollte den Fisch erst mal an den Haken bringen: Der potentielle Kandidat durfte dabei hoffen, dass die Beraterin ihre Tätigkeit auch im trauten Heim ausübte und er nach Vollendung des Tagewerks abends bei ihr den angestauten Seelenmüll entsorgen konnte. Die »großen Karriereaussichten« waren dazu gedacht, ihm ohne Umschweife einzuhämmern, dass er die Superfrau schlechthin bekam, die – so die noch beglückendere unterschwellige Botschaft in »mit noch größerem Sinn fürs Häusliche« – ihm zuliebe natürlich bereit war, auf die Wahnsinnskarriere zu verzichten. Die »Lachfalten« sollten liebevoll verdeutlichen, dass die Superfrau auch gewillt war, ein älteres Semester in ihre Arme zu schließen. Mit dem »alles, was zusammen Spaß macht« hatte Tante Hedwig bewusst unter die Gürtellinie gezielt, diesen koketten Eindruck mit dem darauf folgenden Beispiel der »gemeinsamen Lebensplanung« jedoch sofort wieder korrigiert, damit der Goldfisch nicht etwa auf den Gedanken kam, die Superfrau sei ein leichtfertiges Frauenzimmer.

Anscheinend hatte Tante Hedwig mit ihrer tiefenpsychologisch konzipierten Anzeige ins Schwarze getroffen: Gleich fünf Dutzend Aspiranten wollten diese erlesene Mischung aus Superfrau, Heimchen am Herd und kokettem Weibchen kennen lernen. Mit ihrer in vier Ehen reichlich angesammelten Lebenserfahrung sortierte Tante Hedwig das Bild- und Textmaterial der Bewerber, trennte die Spreu vom Weizen, legte nach nur ihr bekannten Kriterien eine Punkteliste an und vereinbarte mit dem Kandidaten, der – mit zwei Stellen hinter dem Komma – das Rennen machte, ein Treffen.

Am Ostermontag sollte es stattfinden.

Mit mir.

Am Ostersonntag wurde ich davon in Kenntnis gesetzt.

Mit einem Riesen-Überraschungsei von Tante Hedwig. Außen war Schokolade und innen war … Dr. Dr. Harald. Beziehungsweise sein Brief und sein Foto.

Ich war fest entschlossen, das trojanische Osterei wieder zurückgehen zu lassen. Doch mit Hinweis auf meine einmal zu erwartende Erbschaft nötigte mich Tante Hedwig, den Brief durchzuackern und das Foto in Augenschein zu nehmen.

Dr. Dr. Harald, seines Zeichens offenbar Zahnklempner, hatte es vorgezogen, sich ›in action‹ fotografieren zu lassen: Mit einem Schrecken erregenden Bohrer machte er sich über einen imaginären Patienten her. Der Bohrer beherrschte nahezu das ganze Bild. Dr. Dr. Harald hatte dem Fotografen anscheinend vergessen mitzuteilen, dass es nicht um die Dokumentation eines Bohrers in Bewegung ging, sondern um ein Bewerbungsfoto auf die Anzeige einer Superfrau. Eine schwere dunkle Haarlocke war ihm im Eifer des Gefechts ins Gesicht gefallen, sodass erst das Treffen enthüllen würde, ob Dr. Dr. Harald auch ein gut aussehender Zahnklempner war.

Der Brief ließ ebenfalls Spielraum für Interpretationen. Einige blumige Formulierungen ließen darauf schließen, dass auch Dr. Dr. Harald in seiner Backfischzeit einmal ein Hedwig-Courths-Mahler-Fan gewesen war. Wer weiß, vielleicht hatte diese Komponente – tiefenpsychologisch gesehen – bei Tante Hedwig sogar den Ausschlag für ihn als Kandidaten gegeben.

»Verehrte artverwandte Seele«, hatte Dr. Dr. Harald sein Schreiben eröffnet, »ich bin der liebevolle Akademiker mit den vielen Lachfalten – eine starke Erscheinung, jedoch auch feinfühlig und verletzlich, der für eine emotional und intellektuell intensive Beziehung eine hübsche, kluge und vielseitig interessierte Frau mit ebenfalls großem und warmem Herzen sucht, die noch dazu imstande ist, das Feuer am Herd zu entfachen. Nach rauen Jahren der Enthaltsamkeit sehne ich mich jetzt nach einer langen Zeit der Zärtlichkeit. Warum ich noch allein bin? Das Studium und der Aufbau einer Praxis haben bisher all meine Kraft und Aufmerksamkeit gefordert … PS: Alles Weitere beim Kennenlernen. Vorab noch ein interessantes Detail zu meiner Person: Bin ein Praktiker mit guter theoretischer Grundlage, der sogar einen Nagel gerade in die Wand schlagen kann.«

»Naaa, was sagst du?«, fragte mich Tante Hedwig mit einem freudigen Funkeln in den Augen, nachdem ich meine Lektüre beendet hatte.

»Tja, das kann alles oder nichts bedeuten«, sagte ich. »Ich tippe eher auf nichts.«

»Aber Kind«, empörte sich Tante Hedwig, »du musst zwischen den Zeilen lesen!«

»Aber das tue ich doch! Und weißt du, was da für mich steht? Überarbeiteter Zahnklempner, gutes Mittelalter, sucht unbezahlte Sprechstundenhilfe, die ihm das Haus in Schuss hält und abends noch die Füße wärmt. Und wer weiß, wie das mit der Enthaltsamkeit gemeint ist! Wahrscheinlich wartet da eine fast vierzigjährige männliche Jungfrau auf mich! Obwohl«, überlegte ich, »die Sache mit dem Nagel könnte auch etwas anderes bedeuten …«

»Na, na!«, tadelte mich Tante Hedwig, ließ sich aber auf keine weiteren Diskussionen ein. Stattdessen gab sie mir mit einem erneuten Wink auf das in ihren vier Ehen erwirtschaftete Vermögen zu verstehen, dass am Ostermontag-Rendezvous mit Dr. Dr. Harald kein Weg vorbeiführen würde.

Das Treffen fand im Eiscafé des Nachbarortes statt.

Wie bereits bei seiner Fotoaktion mit dem überdimensionalen Bohrer übertrieb Dr. Dr. Harald auch bei diesem Einsatz schamlos. Er drückte mir einen titanischen Rosenstrauß in den Arm, mit dem man einen Ochsen hätte erschlagen können. Bis der Eiskellner einen geeigneten Wasserkübel für das monströse Bukett herangeschleppt hatte, war ich ob der gewaltigen Last nicht fähig, mich von der Stelle zu rühren. Dem Rosenkavalier war das nur recht: Er ging derweil ein lauschiges Plätzchen für uns suchen. Ich konnte ihm ja nicht entwischen.

Nachdem mich der Eiskellner endlich von dem Rosenbusch befreit hatte, versuchte ich einen genaueren optischen Eindruck von Dr. Dr. Harald zu gewinnen. Doch das schwarze Haarbüschel hing wie ein Vorhang über seinem Antlitz und ließ auch weiterhin viel Spielraum für Interpretationen. Ich überlegte, ob ich die Gesichtsgardine für einen Augenblick beiseite ziehen sollte, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder. Dr. Dr. Harald hätte dies als spontanen Gefühlsausbruch zu seinen Gunsten auslegen können.

Es war irgendwie wie auf dem Foto. Auch der Bohrer fehlte nicht. Akustisch gesehen. Dr. Dr. Harald hatte ihn zwar nicht mitgebracht, schwärmte aber ununterbrochen davon. Auch artverwandte zahntechnische Geräte vergaß er nicht zu erwähnen und schmückte deren spezifische Eigenschaften derart plastisch aus, dass schon bald eine richtig heimelige Atmosphäre entstand.

Dann hielt er mir eine Laudatio auf seine zwei Doktortitel. Damit ich seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auch richtig würdigte, schilderte er mir den Zusammenhang zwischen dem Zahnen und einem Magen-Darm-Katarrh im dreizehnten Lebensmonat. In allen wissenschaftlichen Einzelheiten.