Wolkenmeer - Neues Glück auf Hiddensee - Jule Vesterlund - E-Book
SONDERANGEBOT

Wolkenmeer - Neues Glück auf Hiddensee E-Book

Jule Vesterlund

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine unabhängige Inselbewohnerin, ein attraktiver Festland-Bewohner und jede Menge Chaos. Nach dem Erfolg von »Wolkenblau« kommt nun der nächste Hiddensee-Roman von Romance-Autorin Jule Vesterlund. Nach ihrer ersten Saison auf Hiddensee könnte sich Café-Betreiberin Insa eigentlich zufrieden zurücklehnen. Ihr kleines Inselcafé ist bei Urlaubern und Einheimischen äußerst beliebt, und auch ihr Bruder scheint Insas gastronomische Ambitionen endlich ernst zu nehmen. Wären da nur nicht die Gerüchte um die hippe Coffee-Shop-Kette »Semaro«, die gleich um die Ecke von Insas Café eine Filiale eröffnen will. Doch dann begegnet Insa im Ferienhaus ihrer Tante dem charismatischen Benedikt. Zwischen den beiden funkt es auf Anhieb, und plötzlich treten all ihre Sorgen in den Hintergrund. Nicht einmal der mächtige Konkurrent kann Insa in ihrem Glück mit Benedikt noch etwas anhaben. Nur ahnt Insa dabei nicht, dass sie ihr Herz genau an diesen verloren hat ... »Wolkenmeer« von Jule Vesterlund ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite. Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte - wir freuen uns auf Dich!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 257

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jule Vesterlund

Wolkenmeer

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Eine unabhängige Inselbewohnerin, ein attraktiver Festlandbewohner und jede Menge Chaos. Nach dem Erfolg von »Wolkenblau« kommt nun der nächste Hiddensee-Roman von Romance-Autorin Jule Vesterlund.

Nach ihrer ersten Saison auf Hiddensee könnte sich Café-Betreiberin Insa eigentlich zufrieden zurücklehnen. Ihr kleines Inselcafé ist bei Urlaubern und Einheimischen äußerst beliebt, und auch ihr Bruder scheint Insas gastronomische Ambitionen endlich ernst zu nehmen. Wären da nur nicht die Gerüchte um die hippe Coffeeshop-Kette »Semaro«, die gleich um die Ecke von Insas Café eine Filiale eröffnen will.

Doch dann begegnet Insa im Ferienhaus ihrer Tante dem charismatischen Benedikt. Zwischen den beiden funkt es auf Anhieb, und plötzlich treten all ihre Sorgen in den Hintergrund. Nicht einmal der mächtige Konkurrent kann Insa in ihrem Glück mit Benedikt noch etwas anhaben. Nur ahnt Insa dabei nicht, dass sie ihr Herz genau an diesen verloren hat …

Inhaltsübersicht

BenediktInsaBenediktInsaSteffenBenediktInsaSteffenInsaBenediktInsaBenediktSteffenInsaInsaBenediktInsaBenediktInsaInsaInsaBenediktInsaInsaInsaBenediktInsa
[home]

Benedikt

Ein lautes Rumpeln schreckte ihn aus seinem Dämmerschlaf. Benedikt Kirchner öffnete die Augen und ließ den noch verschwommenen Blick über den Vitter Bodden gleiten. In seichten, gleichmäßigen Wellen schlug das Wasser gegen die Bordwand der Blauen Anna. Eine leichte Brise strich ihm durch das dichte dunkelblonde Haar. Schläfrig hob er den Kopf, beobachtete einen Möwenschwarm, der vor einem makellosen Himmel kreischend dahinsegelte. Nach drei tiefen Atemzügen spürte er, wie die jodhaltige Luft, die seine Lungen füllte, eine ungeahnte Energie in seinen müden Körper pumpte. Rauschend pulsierte das Blut in seinen Adern. Lange hatte Benedikt sich nicht mehr so lebendig gefühlt.

Er wandte sich zur Seite um. Erst jetzt bemerkte er, was ihn so unsanft aus seinem Halbschlaf gerissen hatte. Das Fährschiff hatte am Hafen von Kloster angelegt, und die ersten Fahrgäste drängten bereits von Bord. Rasch erhob auch er sich von der Sitzbank. Er fasste nach dem Griff seiner braunen ledernen Reisetasche und mischte sich unter den Menschenstrom.

»Junger Mann!«

Benedikt zögerte. Galt der Ruf ihm? Suchend spähte er in die Richtung, aus der er die sonore Stimme vernommen hatte. Am Kabinenhaus entdeckte er die hagere Gestalt des alten Fährmanns. Auch an diesem milden, sonnigen Herbsttag trug er eine schwere Öljacke. Er war aus der Tür getreten und blickte Benedikt aus grauen Augen freundlich an. In seinem schmalen, kantigen Gesicht hatten Wind und Sonne tiefe Furchen gegraben.

»Den werden Sie bestimmt brauchen.« Der Fährmann ruckte den Kopf herum. Dorthin, wo Benedikt noch vor wenigen Minuten gesessen hatte. Sein Herz schien für einen winzigen Moment stillzustehen. Unter der Sitzbank stand sein schwarzer Pilotenkoffer. Der Grund, warum er die Reise nach Hiddensee überhaupt angetreten hatte.

»Allerdings.« Benedikt seufzte erleichtert. Nicht auszudenken, wenn ihm das Gepäckstück abhandengekommen wäre. Nur, weil er für einige Sekunden unachtsam gewesen war.

Der Fährmann nickte bedächtig, als wüsste er, wie viel von dessen Inhalt abhing. Für Benedikt. Für die Firma. Und für diese Insel. Benedikt ging zur Bank, bückte sich nach seinem Koffer und zog den Griff heraus. Das Gestänge rastete mit einem geräuschvollen Klacken ein.

»Sie haben etwas gut bei mir«, sagte er über die Schulter hinweg, aber der alte Fährmann war bereits von Bord gegangen. Er stand unweit der Kaimauer in einen Plausch mit einer Gruppe Urlauber vertieft. Eiligen Schrittes verließ auch Benedikt die Fähre. Auf dem Anleger blieb er neben einem Hafenpoller stehen. Er stellte Reisetasche und Koffer ab und angelte das Smartphone aus der Innentasche seines dunkelgrauen Jacketts. Swantje, seine neue Assistentin, wollte ihm die Anschrift des Hotels mailen, in dem sie ihren Chef für die nächsten sieben Tage einquartiert hatte. Sieben Tage! Was glaubte Swantje, wie lange er bräuchte, um den Hiddenseer Bürgermeister von ihrem Firmenkonzept zu überzeugen? Spätestens übermorgen wollte Benedikt zurück in Lüneburg sein. Das Millionenangebot, das Monique und er der Gemeinde für den Kauf eines ihrer Grundstücke in Kloster unterbreitet hatten, war unübertrefflich. Zudem würde die Ansiedlung einer angesagten Coffeeshop-Kette der Insel auf Jahre sprudelnde Steuereinnahmen bescheren.

Trotzdem war Benedikt mit einem mulmigen Gefühl an die Ostsee gereist. In der Vergangenheit hatten die Baupläne ihrer neuen Coffeeshops häufig für Unmut bei Anwohnern und Gewerbetreibenden gesorgt. Insbesondere die ansässigen Gastronomen wehrten sich oft mit heftigem Widerstand. Und in dieser beschaulichen Inselgemeinde dürfte ihr Vorhaben eine Lawine der Empörung unter den Einheimischen ausgelöst haben. In drei Tagen wollten die Gemeindevertreter über den Grundstücksverkauf abstimmen, und sehr wahrscheinlich würden darunter nicht nur Befürworter zu finden sein. Wenngleich er davon ausging, dass sich der Bürgermeister der finanziellen Vorteile eines Coffeeshops für seine Haushaltskasse bewusst war, würde bei ihrem morgigen Treffen viel Fingerspitzengefühl nötig sein. Benedikt musste auch die allerletzten Zweifel zerstreuen, damit die Expansion nach Hiddensee nicht wie eine rosa Seifenblase zerplatzte. Über Wochen hatten Monique und er auf dieses Ziel hingearbeitet. Vor allem Monique hatte endlose Stunden Arbeit in das lukrative Geschäft investiert. Allein ihretwegen durfte Benedikt es nicht vermasseln. Außerdem wollte er sie ungern auch noch als Geschäftspartner enttäuschen.

Er hatte schon als Ehemann auf ganzer Linie versagt.

Dem ständigen Druck, der seit der Gründung ihrer Coffeeshop-Kette Semaro auf ihnen lastete, hatte ihre Ehe nicht standhalten können. Der pausenlose Streit über die Ausrichtung der Firma, finanzielle Engpässe und letztlich die bloße Angst vor dem Versagen hatten dazu geführt, dass Benedikt eine kurze, bedeutungslose Affäre eingegangen war. Monique war tief verletzt und er mit zweiunddreißig ein geschiedener Mann gewesen. Das war jetzt knapp drei Jahre her.

Allein dem Zureden seines ehemaligen Schwiegervaters hatte Benedikt es zu verdanken, dass sie beide wenigstens als Geschäftspartner weiter an einem Strang zogen. »Wegen einem Liebes-Aus schmeißt man nicht alles hin, was man sich mühsam zusammen aufgebaut hat«, hatte er gesagt. Ein Mann, der eines der größten Bäckereiunternehmen Norddeutschlands führte und drei gescheiterte Ehen hinter sich hatte, wusste vermutlich, wovon er sprach. Geschäft und Privatleben trennte man eben. Seine Idee war es auch gewesen, auf die Insel Hiddensee zu expandieren. Die Eröffnung eines weiteren Coffeeshops in einer Urlauberhochburg an der Ostsee würde Semaros Umsatz explosionsartig in die Höhe schießen lassen. Was der Kauf eines Grundstücks dort kostete, war Nebensache. Der Alte hatte gut reden. Er brauchte die Millionen dafür ja nicht auf den Tisch zu blättern.

Benedikt öffnete sein Postfach. Nichts. Leise stöhnte er auf. Swantje Krusendorf war ein liebes Mädchen, das nach bestandener Prüfung zur Kauffrau für Bürokommunikation ihre neue Aufgabe als Assistentin der Geschäftsführung durchaus engagiert anging. Die Zubereitung seines innig geliebten Espresso beherrschte sie im Handumdrehen, und mittlerweile las sie ihm am Augenaufschlag ab, wann er seinen Koffeinspeicher auffüllen musste. Einen Geschäftsvertrag tippte Swantje schneller, als Usain Bolt die hundert Meter lief, und selbst Überstunden tat sie lediglich mit einem gleichmütigen Schulterzucken ab. Aber eines war an Swantje während ihrer Ausbildung irgendwie vorbeigegangen: Kommunikation. Kurze E‑Mails, WhatsApp-Nachrichten oder einfach eine klassische SMS zu senden, um ihren Chef über Termine oder schlichtweg die Adresse eines gebuchten Hotels in Kenntnis zu setzen, bekam sie nicht auf die Reihe. Verstimmt wählte Benedikt die Nummer seines Lüneburger Büros.

»Hallo, Herr Kirchner«, piepste Swantje so leise, dass ihre feine Stimme in dem zänkischen Möwengeschrei über ihm beinahe unterging.

»Swantje! Hatten wir beide nicht etwas ausgemacht?« Benedikt schob die freie Hand in die Gesäßtasche seiner Bluejeans und richtete den Blick auf den Bodden, wo sich am Horizont die Silhouette Rügens abzeichnete.

»Semaro … Swantje Krusendorf … Guten Tag …«, spulte sie die offizielle Begrüßungsformel zögernd herunter.

»Nicht, wenn meine Nummer auf dem Display steht.« Er atmete tief durch. »Zumal ich auf die Adresse des Hotels warte.«

»Ach, das!« Seine Assistentin schien hörbar erleichtert. »Hätte ich Ihnen noch geschickt, Herr Kirchner, aber weil Sie eh immer anrufen … «

»Warum wohl, Swantje«, dachte Benedikt und knurrte: »Die Adresse!«

»Hab ich gleich.« Am anderen Ende vernahm er das Rascheln von Papieren. »Eine Buchungsbestätigung konnte man mir nicht mailen, darum hab ich sie aufgeschrieben. Warten Sie …«

Keine Bestätigung per E-Mail? In was für eine Absteige hatte Swantje ihn da einquartiert? Er sehnte sich nach einem anständigen Espresso und verspürte keine Lust, sich dafür extra in eins der Cafés im Ort zu begeben. Doch irgendwie überkam ihn die dunkle Vorahnung, dass das unumgänglich sein würde.

»Birkenweg«, hörte er Swantje triumphieren.

»Ist das alles?«

»Jaaa …«

»Kein Name?«

»Muss ich noch mal nachschauen.« Erneut raschelte es für einige Sekunden in der Leitung. »Da steht’s … Haus Helene.«

Benedikt schloss die Augen. Haus Helene. Alles, wonach dieser Name klang, war lauwarmer Kaffee aus einer Thermoskanne.

[home]

Insa

Wann genau wollte dein neuer Gast eintreffen?«, fragte Insa, während sie ihrer Tante Doris drei Gläser Pfefferminztee auf das Tablett stellte.

»Seine Sekretärin meinte, mit der Fähre um eins.« Doris hob den Kopf und blickte zu der Uhr über dem gusseisernen Kaminofen. Ihr kurz geschnittenes graues Haar schimmerte silbern im Licht der Mittagssonne, das in hellen Streifen durch die Fenster fiel.

»Oh, nein!« Voller Entsetzen sah die ältere Frau ihre Nichte an. »Die Blaue Anna dürfte längst eingelaufen sein.«

»Dann mache ich mich besser gleich auf den Weg.« Insa legte zu jedem Glas noch einen Haferkeks auf den Unterteller und löste im Rücken den Knoten ihrer blauen Schürze. »Kommst du allein zurecht?«

»Natürlich, mein Mädchen«, versicherte Doris und strich ihr kurz über die Wange. »Momentan ist nicht viel los im Café, und ich bin froh, dass du mir den Weg zum Ferienhaus abnimmst.«

»Ich nehme das Rad. So bin ich schnell zurück«, versprach Insa und hängte ihre Schürze an den Haken neben der Tür.

»Lass dir genügend Zeit für meinen neuen Gast«, mahnte Doris eindringlich, griff nach dem Tablett und steuerte auf den Fensterplatz zu, wo drei ältere Herren in Wanderkleidung auf ihren Tee warteten.

Noch einmal schweifte Insas besorgter Blick durch ihr kleines Café. Es stimmte. Heute war kaum Betrieb. Außer den fitten Wanderern in der Fensterecke hockte nur noch ein verliebt blickendes Pärchen an einem der Tische. Und jetzt, in der Nebensaison, blieb auch der nachmittägliche Ansturm für gewöhnlich aus. Sie konnte Doris ruhigen Gewissens ein Weilchen allein lassen. Und irgendwie war sie auch froh, endlich einmal etwas für ihre Tante tun zu können. Denn seit Insa Anfang des Jahres das Café im Kirchweg gepachtet hatte, unterstützte Doris sie, wo es nur ging. Ohne die unermüdliche Hilfe ihrer Tante hätte sie den Gästeansturm in den vergangenen Monaten niemals bewältigen können. Doris war stets ihr rettender Anker gewesen, obwohl sie mit der Vermietung ihres Ferienhäuschens selbst genug um die Ohren hatte und mit bald siebzig nicht mehr die Jüngste war. Jede freie Minute hatte Doris in Insas Café verbracht. Zusammen hatten sie im Akkord Torten und Kuchen gebacken, Berge an schmutzigem Geschirr gespült und im Laufschritt die Gäste bedient. Vor allem in den Sommermonaten war ihnen kaum Zeit zum Luftholen geblieben. Insa hätte an so manchen Abenden im Stehen einschlafen können. Doch sie war glücklich, dass ihre erste Saison als Gastronomin auf Hiddensee so fantastisch gelaufen war.

Die Entscheidung, das Café in Kloster zu pachten, hatte Insa vor einem guten halben Jahr spontan aus dem Bauch heraus gefällt. Ihr Bauch siegte meistens über den Kopf. Nach ihrem Master in Geschichte war Insa unsicher gewesen, ob einsame Stunden hinter dem Schreibtisch eines Instituts oder maulende Schüler durch ein Museum zu führen, sie für den Rest ihres Lebens ausfüllen würde. Ihr Bruder Christian hatte fassungslos den Kopf geschüttelt, als er gehört hatte, dass sie ihr erfolgreich absolviertes Studium in den Wind schreiben und auf Hiddensee ein Café betreiben wollte. Mit neunundzwanzig sollte man schließlich wissen, wo der eigene Platz im Leben war. Doch Insa wusste es nicht. Zumindest damals. Heute spürte sie, dass ihr Bauchgefühl sie nicht getrogen hatte und die Entscheidung, auf ihre Heimatinsel zurückzukehren, die richtige gewesen war.

Was vielleicht auch ein wenig an Steffen Facklam lag.

»Insa!« Doris’ mahnende Stimme riss sie aus ihrer Tagträumerei. »Mein Gast.«

»Bin doch schon weg, Tantchen«, erwiderte sie neckend und langte nach Schlüssel und Anmeldeformular auf dem Tresen, wo Doris die Sachen am Vormittag abgelegt hatte. Schnell streifte Insa noch ihre grüne Strickjacke über das weiße T-Shirt und eilte durch den Hintereingang aus dem Café. Ihr altes Hollandrad, das Steffen liebevoll für sie aufgemöbelt hatte, lehnte an der rot verklinkerten Hauswand. Insa knotete mit drei Handgriffen ihr blondes, schulterlanges Haar zusammen, stieg aufs Rad und bog in den Kirchweg ein. Doris’ Ferienhäuschen lag am nördlichen Ortsrand von Kloster. In drei Minuten war sie dort. So lange würde der neue Gast ihrer Tante sich noch gedulden müssen.

Insa radelte gemächlich durch den herbstlichen, sonnenbeschienenen Ort. Die Mittagssonne brannte warm auf ihren Oberschenkeln, die in einer roten Röhrenjeans steckten. Als sie Steffen heute früh am Fähranleger verabschiedet hatte, war der Oktoberhimmel noch wolkenverhangen gewesen. Ein kühler Wind war über sie hinweggeweht, und er hatte seine Arme schützend um ihren Körper geschlungen. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass es so ein traumhafter Herbsttag werden würde. Wie auch bei Steffen und ihr nichts darauf hingedeutet hatte, dass sie zwei einmal ein Paar werden würden.

Die viel besagten Schmetterlinge hatte Insa beim ersten Aufeinandertreffen nicht verspürt. Ende März, als sie sich in Kloster zum ersten Mal begegnet waren. Christians Frau Kathi hatte die Eröffnung ihrer dritten Modeboutique gefeiert, und Steffen, der im Ort einen Fahrradverleih betrieb, war auch unter den Gästen gewesen. Denn nach Kathis unbestrittener Meinung gehörte es zum guten Ton, benachbarte Geschäftsleute an seinem Erfolg teilhaben zu lassen. Nach zwei florierenden Boutiquen in Vitte und Neuendorf war es Kathi endlich gelungen, hier im Ort einen dritten Laden zu eröffnen. Inzwischen hegte Insa allerdings den Verdacht, dass diese Einladung nur darauf abgezielt hatte, Steffen und sie zu verkuppeln. Was eindeutig auf Christians Konto ging. Ihr Bruder war neben seiner eigentlichen Tätigkeit als Rohrdachdecker auch der Inselbürgermeister, und Steffen und er kannten sich aus dem Gemeinderat. Mit der Zeit waren sie enge Freunde geworden. Da Insa Hiddensee unmittelbar nach der Schule verlassen und nur an den Feiertagen ihre alte Heimat besucht hatte, war sie Steffen Facklam nie begegnet, obwohl er seit Ewigkeiten auf Hiddensee lebte. Auf Kathis Feier waren sie auf Anhieb ins Gespräch gekommen. Über die anstehende Neueröffnung ihres Cafés. Über seinen Fahrradverleih. Über das Glück, in diesem wunderbaren Landstrich leben zu dürfen. Insa hatte sofort gespürt, dass Steffen fasziniert von ihr gewesen war, und seine Art, um sie zu werben, hatte ihr irgendwie geschmeichelt: ihr rostiges, klappriges Hollandrad, das kurz darauf aufgemöbelt und fahrtüchtig vor ihrem Café stand, die ofenfrischen Brötchen, die jeden Morgen an ihrer Türklinke hingen, und die Reparaturarbeiten im Café und im Haus ihrer Tante, nach denen er förmlich Ausschau gehalten hatte. Sechs Wochen später war sie Steffens Avancen erlegen. Dabei hätte Insa sich früher nie vorstellen können, mit einem sechzehn Jahre älteren Mann zusammen zu sein. Doch Steffens ruhige, abgeklärte Art gab ihr Halt. Sicherheit. Ein Gefühl, das sie in dieser Phase ihres Lebens dringend brauchte.

Das Klingeln des Handys holte sie aus ihren Erinnerungen. Insa bremste ab und zog das Telefon aus der Hosentasche. Vicky Wolff, ihre Verpächterin. Bevor Vicky im Frühjahr die Pension Dünenrose in Kloster übernommen hatte, hatte sie das Café im Kirchweg viele Jahre selbst betrieben. Aber dann war Vicky schwanger geworden, und die moderaten Arbeitszeiten einer Frühstückspension ließen sich mit einem Baby nun mal besser vereinbaren. Daher hatte Vicky das Café zur Pacht angeboten.

Vor einigen Wochen waren sie und ihr Freund Tobias stolze Eltern einer Tochter geworden.

»Hallo Vicky! Wie geht’s der kleinen Luise?«, erkundigte sich Insa sofort.

»Sie hält ihre Eltern mächtig auf Trab. Vor allem ihren Vater. Manchmal schläft Tobias sogar beim Wickeln ein.« Vicky kicherte aufgekratzt. »Aber für nichts in der Welt möchten wir tauschen.«

»Das glaube ich dir gern.«

Vicky räusperte sich. »Sag mal Insa, bist du zufällig bei Steffen?«

»Nein. Auf dem Weg zu Doris’ Ferienhaus. Ein neuer Gast checkt gleich ein.«

Insa schielte auf ihre Armbanduhr. Sie sollte sich endlich sputen, bevor der Mann noch bei der Konkurrenz Zuflucht suchen würde.

»Schade.« Vicky klang enttäuscht

»Was ist denn los?«, horchte Insa auf.

»Ach, nichts Dramatisches. An meinem Fahrrad springt nur dauernd die blöde Kette runter. Ich dachte, du könntest Steffen bitten, sich die Sache heute noch anzuschauen.«

»Steffen ist nicht da. Er ist zur Fahrradmesse nach Hannover gefahren.«

»Zum Siebzigsten deiner Tante kommt er aber schon, oder?«, fragte Vicky gespielt ungläubig.

»Vicky, die Geburtstagsparty ist morgen.«

»Eben«, entgegnete diese vorwurfsvoll, »und Steffen lässt dich auf den ganzen Vorbereitungen sitzen.«

»Es ging nicht anders. Ein renommierter Radhersteller hat ihn spontan eingeladen, und gute Kontakte muss man schließlich pflegen, wie Kathi sagen würde.«

Vicky gluckste. »Na, wenn Kathi es sagt, kann er sich diese Chance selbstverständlich nicht entgehen lassen.«

Insa lachte ebenfalls. Dabei war sie schon enttäuscht gewesen, als Steffen ihr vor zwei Tagen von dem Termin in Hannover erzählt hatte. Dass Doris ihren siebzigsten Geburtstag im Café feiern wollte, stand seit Langem fest, und halb Kloster hatte sich dazu eingeladen. Insa hatte Steffens Hilfe fest eingeplant. Doch für Steffen bedeuteten Fahrräder mehr, als nur seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Eine Messehalle mit Rädern, so weit das Auge reichte, war für ihn vermutlich das Paradies auf Erden. Für Insa war ein Rad lediglich ein bequemes und hier auf der Insel unentbehrliches Fortbewegungsmittel.

»Im Übrigen hat Steffen für die Party ein Spanferkel bestellt«, versuchte Insa ihren Freund in Schutz zu nehmen, obwohl sie deshalb anfangs ein wenig verstimmt gewesen war. Er hatte es einfach über ihren und auch Doris’ Kopf hinweg entschieden. Dabei wusste Steffen, dass ihre Tante die Vorbereitungen für Familienfeste nur ungern in fremde Hände gab.

»Das ist wohl das Mindeste, wenn er sich schon vor der ganzen Arbeit drückt«, hörte sie Vicky wieder am anderen Ende. »Und Kathi? Bindet die sich wenigstens eine Schürze um?«

»Sorry, Doris!«, ahmte Insa die Stimme ihrer Schwägerin nach. »Aber Kochen und Backen ist einfach nicht meins.«

»Ja, ich erinnere mich dunkel an die verkohlten Fleischklopse, die sie uns zu ihrer Boutique-Eröffnung kredenzt hat. Ich kriege heute noch Magenschmerzen, wenn ich daran denke.«

»Wir alle.« Insa wechselte das Handy an das andere Ohr. »Außerdem ist Kathi ohnehin unterwegs. Ein Termin mit einem dänischen Modelabel.«

»So en vouge, liebe Doris«, imitierte nun Vicky Kathis affektierten Tonfall. »Das kann ich unmöglich absagen.«

»Unmöglich.«

Beide verfielen in schallendes Gelächter. Insa beruhigte sich als Erste. »Dank Steffens Spanferkel ist der Rest zum Glück ein Kinderspiel. Noch ein paar Salate und Aufläufe heute Abend in Doris’ Küche, und wir sind fertig.«

»Wieso bei deiner Tante? Im Café hättet ihr doch wesentlich mehr Platz.«

»Da blockieren bereits Berge von Kuchen alles.«

»Kuchen?« Vicky horchte auf. »Auch Doris’ Hiddenseer Welle?«

»Gleich drei davon.« Insa musste grinsen. Doris’ Blechkuchen aus Biskuitteig, Sahne und Sanddornfrüchten war eine kleine Berühmtheit auf der Insel, der nicht nur ihre Verpächterin verfallen war.

»Also, wenn ihr Unterstützung braucht: Sag Bescheid!«

»Das ist lieb von dir. Aber du hast selbst genug mit der Pension um die Ohren. Und außerdem sollst du deine freie Zeit mit Luise genießen.«

»Tobias ebenso«, sagte Vicky lachend. »Ruf an, wenn es eng wird, okay?«

»Versprochen.«

Unweigerlich erinnerte sich Insa an ihr eigentliches Vorhaben. Doris würde ihr den Kopf abreißen, wenn sie sich verquatschte und der Feriengast die Tür verschlossen vorfand.

»Vicky, ich muss dringend weiter«, drängelte sie.

»Ja, ja, dein mysteriöser Inselgast, ich weiß«, feixte diese. »Sieh zu, dass du weiterkommst.«

Sie verabschiedeten sich, und Insa steckte das Handy zurück in die Tasche. Zügig trat sie in die Pedale. Bis zum Ferienhaus ihrer Tante waren es noch gut fünfhundert Meter. Als sie jedoch auf der rechten Seite das verlassene, zugewucherte Grundstück mit dem Zu-verkaufen-Schild passierte, drosselte sie unwillkürlich wieder das Tempo. Seit Monaten kursierte auf der Insel das Gerücht, dass die Coffeeshop-Kette Semaro das unbebaute Grundstück, das der Gemeinde Hiddensee gehörte, erwerben wollte. Und nun war es für Insa bittere Gewissheit geworden. Steffen hatte kurz vor seiner Abreise von Christian erfahren, dass die Interessenten ihr millionenschweres Angebot noch einmal kräftig erhöht hatten und die Gemeinde in den nächsten Tagen über den Verkauf entscheiden würde. Insa vermochte sich nicht vorzustellen, was ein positives Votum für die Existenz ihres kleinen Cafés bedeuten könnte. Das, wofür der Name Semaro stand, würden die Leute dann auch auf Hiddensee bekommen: Kuchen- und Gebäckstücke, die so verlockend aussahen wie ihre Dumpingpreise, dazu verführerische Macchiato- und Caffè-Latte-Variationen, von denen Insa nicht im Entferntesten eine Ahnung hatte, wie man sie aussprach, ohne sich die Zunge zu brechen. Wen verlangte da noch nach einem hausgemachten Filterkaffee oder klassischen Cappuccino? Sollte die Coffeeshop-Kette sich in Kloster niederlassen, bedeutete das auf kurz oder lang die Schließung ihres Cafés. Und dass es sehr wahrscheinlich dazu kommen würde, davon war Insa überzeugt. Ein Unternehmen wie Semaro war für jede Gemeinde ein Segen. Kommunalverwaltungen waren immer knapp bei Kasse. Natürlich wusste sie, dass Steffen als Gemeinderatsmitglied niemals einem Verkauf zustimmen würde. Das hatte er ihr versprochen. Genau wie ihr Bruder dagegen entscheiden würde. Auch wenn sie mit Christian noch nicht über die Angelegenheit gesprochen hatte, ging Insa davon aus, dass er diesem Plastikirrsinn nie zustimmen würde. Aber konnten sie allein den Verkauf aufhalten? Nach Steffens Worten schien so mancher im Ort der hippen Kaffeehaus-Kette nicht abgeneigt. Vermutlich in der stillen Hoffnung, dass das eigene Geschäft von einer Filiale Semaros profitieren würde. Dabei interessierte es die Leute offenbar auch nicht, dass dieser Coffeeshop, der mehr einem seelenlosen Fast-Food-Restaurant glich als einem beschaulich romantischen Inselcafé, einfach nicht nach Kloster passte.

Am Ende des Sandwegs konnte Insa mittlerweile die windgebeugten Kiefern ausmachen, die Doris’ reetgedecktes Häuschen umsäumten. Energisch schob sie die hässlichen Gedanken an Semaro beiseite. Der Tag war viel zu schön, um sich Sorgen über etwas zu machen, das noch nicht einmal amtlich abgesegnet war. Und vielleicht würden die Eigentümer von Semaro doch die Erfahrung machen müssen, dass auf Hiddensee nicht alles käuflich war. Millionen hin oder her.

Als das Haus Helene endlich in Sichtweite kam, stockte ihr kurz der Atem. Das Gartentor stand sperrangelweit offen, aber von Doris’ neuem Gast fehlte jede Spur. Insa stieg vom Rad, lehnte es gegen den niedrigen Lattenzaun und schaute sich um. Vor dem weiß verputzten Haus mit den braunen Sprossenfenstern konnte sie nirgends Gepäck entdecken. Ihr Blick wanderte noch einmal zurück in die Richtung, aus der sie eben gekommen war. Selbst wenn sie sich um ein paar Minuten verspätet hatte, hätte sie dem Mann begegnen müssen. Schließlich war der unbefestigte Trampelpfad der einzige Weg, der zum Ferienhaus führte. Doch aus irgendeinem Grund musste sie ihn um ein Haar verpasst haben. Vermutlich war er längst zur Tourist-Information am Hafen marschiert, um sich eine andere Bleibe in Kloster zu suchen. Was ihm keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten dürfte. Anfang Oktober waren für gewöhnlich weniger Ferienhäuser belegt als in der Hochsaison. Erst an Weihnachten kamen die Touristen wieder in Scharen auf die Insel, um sich zum Jahresausklang die raue, kalte Ostseeluft um die Nasen wehen zu lassen. Insa fluchte leise. Doris wäre unter Garantie enttäuscht, wenn sie von dem Schlamassel erfuhr. Immerhin hatte er das Haus für eine ganze Woche gebucht. Da kam ihr ein Gedanke. Mit viel Glück konnte sie den Mann vielleicht noch telefonisch davon abhalten, anderswo einzuchecken. Schnell angelte Insa das Anmeldeformular aus ihrer Hosentasche und faltete es auseinander. Aber ihre Tante hatte keine Telefonnummer notiert. Nur seinen Namen. Krusendorf.

Nachdenklich blickte Insa zum Ferienhaus zurück. Machte es Sinn, noch länger auf ihn zu warten? Sicher nicht. Aber wenn sie schon einmal hier draußen war, konnte sie gleich im Häuschen nach dem Rechten sehen, und der betagte Kühlschrank musste die Stromkosten nun auch nicht mehr unnötig in die Höhe treiben. Schnellen Schrittes lief Insa den mit roten Klinkersteinen gepflasterten Weg entlang. Das erste Herbstlaub raschelte unter ihren Füßen. Als sie gerade den Schlüssel ins Schloss schieben wollte, schallte eine aufgebrachte Stimme zu ihr herüber. Sie reckte den Kopf und lauschte. Erneut hörte sie ein lautes Fluchen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Es war jemand im rückseitigen Garten. Erleichtert atmete sie auf. Offensichtlich war Doris’ Feriengast noch hier. Insa ging um das Haus herum und stoppte an der Ecke, als sie auf der Terrasse die hochgewachsene Gestalt eines Mannes erspähte. Dunkelgraues Jackett, Bluejeans, braune Lederschuhe. Fraglos alles sündhaft teure Designerstücke. Insa hatte während des Studiums ihr Studiendarlehen als Verkäuferin in einem Outlet-Center aufgestockt und daher einen Blick dafür entwickelt.

Er stand mit dem Rücken zu ihr, am rechten Ohr ein Handy. »Herrgott, Swantje! Was soll ich in einer Gartenlaube?«

Insa wurde hellhörig. Gartenlaube? War das etwa sein Eindruck von Doris’ kleinem Schmuckstück?

»Ich brauche irgendein Hotel … WLAN, eine gekühlte Minibar und einen flauschigen Bademantel … Heute noch!«

»Arroganter Schnösel«, dachte Insa empört und kreuzte die Arme vor der Brust.

»Nein, Swantje! Ich rufe nicht noch mal an … Bis gleich.« Mit einem tiefen Stöhnen legte er auf. Er fuhr sich nervös durch die dunkelblonden Haare und ließ die Hände im Nacken liegen. Für ein paar Sekunden verharrte er wie versteinert in dieser Haltung, den Blick auf Doris’ alte Hollywoodschaukel unter dem Kirschbaum gerichtet. Insa befürchtete schon, dass ihn der Anblick des antiken Relikts aus den Neunzigern endgültig in einen Schockzustand versetzt hatte, doch dann atmete er hörbar aus und drehte sich um. Abrupt hielt er in seinen Bewegungen inne und starrte sie mit schreckgeweiteten Augen an. Es war ihm deutlich anzumerken, dass es ihm zutiefst peinlich war, weil sie seine Fluchtpläne belauscht hatte.

»Oh … hallo«, stieß er schließlich hervor.

Seine Stimme hatte sich verändert, war zurückhaltender. Weicher. Dabei überraschte es Insa, dass sie ihren Klang irgendwie mochte, obwohl sie sich eben noch gewaltig über sein anmaßendes Verhalten geärgert hatte.

»Guten Tag«, entgegnete sie förmlich, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt.

Allmählich schien der Mann sich von seinem Schrecken zu erholen. Langsam kam er näher, während er sich das leicht zerzauste Haar glatt strich. Insa betrachtete ihn genauer. Mitte dreißig. Sportliche, eher schmale Statur. Und er überragte sie um eine halbe Kopflänge. Zwei Schritte von ihr entfernt blieb er mit betretener Miene stehen.

»Etwas nicht in Ordnung mit dem Haus?«, fragte Insa herausfordernd. Seine peinliche Lage amüsierte sie.

»Alles bestens«, wehrte er entschieden ab.

»Sicher?« Sie wies auf das Smartphone in seiner Hand.

Verlegen wanderte sein Blick zum Handy und wieder zu ihr zurück. »Ach, das … Meine Assistentin hat nur etwas gründlich missverstanden.«

»Na dann …« Insa streckte den Arm vor. »Willkommen auf Hiddensee, Herr Krusendorf.«

»Krusendorf?« Er hob die Augenbrauen.

»So steht es auf dem Anmeldeformular …«

Jetzt war sie es, die betreten dreinschaute. Verwundert zog Insa den Zettel aus der Hosentasche. Als sie sich vergewissern wollte, ob sie nur flüchtig gelesen hatte oder die falsche Person vor ihr stand, ergriff er ihre Hand und schüttelte sie.

»Diesen Namen habe ich nie gemocht. Wie wäre es einfach nur mit Benedikt?«

»Gut …«, erwiderte sie zögernd. »… Benedikt.«

Doch er hielt sie weiter fest, musterte sie abwartend aus blaugrauen Augen. Ein schwaches Ziehen durchfuhr ihren Magen. Was war bloß los mit ihr?

»Doris. Richtig?«

»Bitte?«

»Dein Name.« Erst jetzt registrierte sie, wie er auf das Anmeldeformular in ihrer linken Hand schielte. Im Briefkopf stand Doris’ Anschrift.

»Doris ist meine Tante. Ihr gehört das Haus Helene«, erklärte Insa und wollte sich seinem Händedruck entziehen. Aber er ließ sie nicht los, den Blick nach wie vor fest auf sie gerichtet. »Muss ich wirklich Doris fragen, oder verrätst du mir doch noch deinen Namen?«

»Insa.«

»Klingt auch viel hübscher als Doris«, erwiderte er mit Schalk in den Augen.

»Danke«, hauchte sie.

Sie spürte, wie sein Griff sich lockerte. Schnell zog sie ihre Hand aus der seinen. Betriebsam blickte Insa sich um. »Wo ist dein Gepäck?«

Mit dem Kinn deutete er zu der flachen Feldsteinmauer, die das Grundstück auf der rechten Seite begrenzte. Dahinter erstreckte sich die sanfte Hügellandschaft Hiddensees. Insa erblickte vor der Mauer eine lederne Reisetasche und einen schwarzen Pilotenkoffer. Zum Ausspannen ist dieser Benedikt offensichtlich nicht auf die Insel gekommen, dachte sie.

Dann setzte Insa ein verschmitztes Lächeln auf und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihr zu folgen. »In die Laube geht es vorn rein, Benedikt.«

* * *

Insa streifte ihre Strickjacke ab und legte sie auf die Kommode. Anschließend zog sie die blauen Leinenvorhänge beiseite und öffnete eines der bodentiefen Fenster, die hinaus auf die Terrasse führten. Augenblicklich erfüllte der Geruch von Salz und Algen das Wohnzimmer. Nach einer kurzen Führung durch das Ferienhaus waren sie wieder in dem lichtdurchfluteten Raum angelangt. Die weiß getünchten Wände und das dunkel gebeizte Kiefernholz der Möbel strahlten eine behagliche Gemütlichkeit aus. Wenigstens empfand Insa das so. Was Benedikt Krusendorf betraf, war sie sich nicht sicher. Denn dass er einen anderen – luxuriöseren – Standard bevorzugte, hatte ihr sein schockierter Gesichtsausdruck verraten, als er einen Blick in Doris’ etwas antiquierte, eher zweckmäßig eingerichtete Küche geworfen hatte.

Fragend drehte sie sich zu ihm um. »Eine Woche ohne WLAN und flauschige Bademäntel? Denkst du, du schaffst das?«

Breit grinsend lehnte Benedikt am gemauerten Kamin. Seine Augen funkelten spöttisch. »Den Bademantel werde ich vermissen.«

»Als Alternative könnte ich dir einen täglichen Handtuchwechsel anbieten«, sagte Insa trocken und ging zum Couchtisch, wo das Anmeldeformular neben einem Windlicht lag. »Wie jeder Gast es wünscht. Ich muss es nur ankreuzen.«

Er setzte an, um etwas zu erwidern, doch das Klingeln seines Handys hielt ihn davon ab. Er holte es aus seiner Gesäßtasche und blickte auf das Display. Nach kurzem Zögern nahm er das Gespräch entgegen.

»Hallo, Swantje!«

Insa schmunzelte in sich hinein. Vermutlich hatte seine Assistentin sich die Finger blutig gewählt, um ihren Fehler mit der falschen Buchung wieder auszubügeln.

»Das mit dem Hotel hat sich erledigt. Ich bleibe, wo ich bin«, sagte Benedikt und warf Insa dabei einen reuigen Blick zu. »Sie können das Zimmer wieder stornieren.«

Ohne die Antwort seiner Assistentin abzuwarten, beendete er das Telefonat. Insa vermutete allerdings, dass die gute Swantje jetzt noch verunsicherter sein dürfte als vorher.

»Gründlich missverstanden, ja?« Provokativ hob sie ihr Kinn.

Seelenruhig schälte Benedikt sich aus seinem Jackett und ließ es auf das helle, beigefarbene Sofa fallen. Ein kaum merklicher Bauchansatz zeichnete sich über dem Gürtel seiner Jeans ab. Während er die Hemdsärmel hochkrempelte, steuerte er gemächlich auf sie zu. Die abgewetzten Dielenbretter knarrten leise unter seinen Schritten.

»Okay, ich bekenne mich schuldig«, sagte er und nahm ihr den Zettel aus der Hand. Insa machte unweigerlich einen Schritt zurück, als ihr der herbe Duft seines Aftershaves durch die Nase strömte. Nicht, weil sie ihn als unangenehm empfand, sondern, weil sie das wohlige Gefühl verstörte, das er in ihr auslöste.

»Wie kann ich es wiedergutmachen?« Benedikt blickte sie durchdringend an.

»Holz hacken?« Insa zeigte auf den Brennholzhaufen, den Steffen vor einigen Tagen im Garten abgeladen hatte, mit der Absicht, die dicken Kloben spätestens in dieser Woche zu spalten. Doch die Messe war ihm dazwischengekommen.

»Völlig talentfrei.« Unbeholfen wedelte Benedikt mit den Händen in der Luft. »Stadtkind.«

Insa tat, als überlege sie angestrengt. »Doris braucht dringend Hilfe bei der Quartalsabrechnung. Wie wäre es damit?«

»Sterbenslangweilig.«

»Dann bleibt dir als Wiedergutmachung nur noch ein saftiges Trinkgeld für meine Tante.« Sie wandte sich zum Gehen um.

»Abendessen?«, hörte sie Benedikt nun fast flehentlich hinter sich.

»Mit Doris?«

»Bring sie mit, wenn du willst.«