Wolkentanz (Band 1) - Hannah D. Brunold - E-Book
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Wolkentanz (Band 1) E-Book

Hannah D. Brunold

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Beschreibung

Sascha tanzt – nicht für Ruhm, nicht für Applaus, sondern aus purer Leidenschaft. Ihr Leben ist ruhig, fast unauffällig: eine geregelte Tanzausbildung, enge Freundschaften, eine Familie, die zusammenhält. Alles scheint im Gleichgewicht – bis sich ihre Schwester in Fynn verliebt. Mit Fynn tritt nicht nur ein neuer Mensch in ihr Umfeld, sondern gleich eine ganze Welt – und Nicola. Der charismatische Musiker stellt Saschas innere Ordnung auf eine Weise auf die Probe, mit der sie nie gerechnet hätte. Plötzlich wird aus Sicherheit Unsicherheit, aus Routinen neue Möglichkeiten – und aus zaghaften Blicken ein Gefühl, das alles verändern könnte. Ein Roman über stille Leidenschaften, unerwartete Begegnungen und die leisen Töne des Neuanfangs.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Hannah D. Brunold

Wolkentanz (Band 1)

Danke Rahel, weil du so hungrig aufs Lesen warst und mich zu mehr und mehr Kapiteln angetrieben hast,Sarah, weil du alles gelesen hast und mir Mut zugesprochen hast, und Lilly, für deinen Sinn fürs Schöne und das Buch-Cover.

Inhaltsverzeichnis

(01) Sommernacht

(02) Begebenheiten

(03) Geschichten

(04) Glanzvoll

(05) Bars, Drinks, Music

(06) Lost in Space

(07) Neustart

(08) Drive

(09) Wolkentanz

(10) Ja, aber

(11) Ungewollt

(12) Public Relations

(13) Schmale Gassen

(14) Um die Ecke gedacht

(15) Seeluft

(16) Ungeheim

(17) Gnadenlos

(18) Herausforderungen

(19) Alte Mauern

(20) Zusammengefasst

(21) Neue Zeiten

(22) Anspruchsvoll

(23) Flying

(24) Wenn alles möglich ist

(25) Voreskalation

(26) Das doppelte Lottchen

(27) Oh du Fröhliche

(28) Eskalation

(29) Shutdown

(30) Schuldig

(31) Cut

(32) Gefallen

(33) Shit Happens

(34) Beep Out

(34) Zurück

(35) Weiter geht’s

Impressum

Danke

Rahel, weil du so hungrig aufs Lesen warst und mich zu mehr und mehr Kapiteln angetrieben hast,

Sarah, weil du alles gelesen hast und mir Mut zugesprochen hast,

und Lilly, für deinen Sinn fürs Schöne und das Buch-Cover.

(01) Sommernacht

 

Noch immer ist die windstille Abendluft angenehm warm, beinahe zu warm, nachdem die Hitze des Tages den Asphalt zum Flimmern gebracht hatte. Ich fühle mich kurz in meine Kindheit zurückversetzt. In den heißen Sommermonaten verbrachten meine Geschwister und ich viele Nachmittage und Abende an dem kleinen See, der unweit von unserem Elternhaus lag. Ab und zu war auch unser Vater dabei und fast immer ein Au-pair-Mädchen oder sonst jemand, der sich wenigstens ein bisschen für unsere Erziehung verantwortlich fühlte. Wir spielten Federball, bauten Sandburgen, versuchten Eis schnell genug zu essen, bevor es uns den ganzen Arm bis zum Ellenbogen hinablief, und sammelten Insektenstiche. Besonders Jim war darin gut. Abends war er übersät von roten Punkten. Erwischte ihn eine Biene oder Wespe schwoll die entsprechende Körperstelle augenblicklich an. Einmal war es besonders spektakulär. Beim unaufmerksamen Trinken aus einer Colaflasche stach ihn etwas in die Lippe – oder Zunge – und wir verbrachten den Rest des Nachmittags in der kühlen Notaufnahme des Krankenhauses. Viana und ich speicherten diesen Anlass als aufregende Abwechslung ab: Beim Anblick der Spritze, die ihm verabreicht wurde, war Jim in panische Tränen ausgebrochen. Ich glaube, dass wir, seine jüngeren Schwestern dies mit ansahen und in hysterisches Lachen ausbrachen, verursachte bei ihm ein größeres Trauma als die ärztliche Behandlung, der schmerzhafte Stich und die kurze Atemnot selbst. Noch heute hasst er diese Geschichte. Und wir erzählen sie immer wieder gerne. Mal mehr, mal weniger detailliert ausgeschmückt. Diese Erinnerungen, an den See und unsere erlebten Abenteuer, sind jedoch blass und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich vielleicht nur auf Grund einzelner Fotos daran zu erinnern glaube. Oder weil bestimmte Dinge einfach oft genug erzählt worden waren, dass ich sie nun für meine eigenen Erinnerungen halte.

Fynn hielt mit seinem schwarzen, glänzenden und gut klimatisierten Jeep in der ersten freien Parklücke am Straßenrand die er finden konnte und wir mussten noch einige Meter und um zwei Häuserecken zu Fuß gehen. Aiden legt seinen Arm um meine Schultern, während er sich munter mit Fynn über die aktuelle Fußballsaison unterhält. Der Abend langweilt mich schon jetzt und am liebsten würde ich unsere kleine Gruppe verlassen. Vielleicht um mich in den nächsten kleinen Park zu legen (davon sind in diesem netten Wohngebiet einige zu finden), die warme Abendluft zu genießen und so lange nichts zu tun, bis die nächtliche Kühle mich nach Hause in mein warmes Bett treibt. Meine Schwester wird sich den ganzen Abend damit beschäftigen verliebt in ihren Fynn zu sein. Und Aiden, nun ja, mit der ausreichenden Menge Alkohol und seinem Interesse am Nationalsport findet er schnell Anschluss auf jeder Party. Ich hingegen muss mich den anwesenden Herren Chips und Sekt widmen, um den Abend heiter zu überstehen. Heute verging die Arbeit im Fitnessstudio quälend langsam. Da nicht nur ich Semesterferien, sondern auch meine Tanzschülerinnen Sommerferien haben, war nur einer meiner Kurse zustande gekommen und ich verbrachte die übrige Zeit hinter der Bar, um eklige Proteinshakes, Café und Smoothies an die Kundschaft zu verkaufen. Zudem ließ ich mich von vor Body Öl glänzenden Muskelprotzen über ihre großartigen Erfolge zutexten. Dementsprechend ist meine Laune für einen Freitagabend schlecht und ich hätte doch lieber meine Ruhe. Ich bin einfach einen Tick zu träge und erschöpft, um mich auf lautes Feiern einzulassen. Aber ich hatte Viana schon vor einer Woche zugesagt mitzugehen und Aiden verbringt seine Wochenenden lieber feiernd im Trouble als gemütlich in den eigenen vier Wänden. Mit einem zweisamen Kinoabend an einem Freitag gäbe er sich niemals zufrieden. Mit viel Cola, Nachochips und würzig-scharfer Salsa gilt so etwas höchstens als gemütliche Ausnüchterungsgelegenheit an einem Sonntagabend. Still gehe ich nun also neben den drei anderen her. Hier und da zupfe ich ein grünes Blättchen von saftigen Hecken, die die dahinter liegenden Gärtchen und Häuschen vor neugierigen Blicken – wie den meinen – schützen. Aidens nackter, bereits gut gebräunter Arm liegt schwer auf meinen Schultern. Seine Haut klebt an meiner. Auch zu einer dritten Dusche würde ich jetzt nicht nein sagen. Doch da biegen wir schon um die nächste Ecke und meine Hoffnung auf einen kurzen Abend steigt etwas an. Laute Musik, heitere Menschenstimmen und ein dröhnender Bass begrüßen uns. Allzu lange kann diese Party gar nicht gehen, schließlich befinden wir uns in Tallah, einem sittsamen Vorort der Stadt, an dem sich Einfamilienhaus an Einfamilienhaus und Garten an Garten reihen. Es ist beinahe zehn Uhr und zu den umliegenden Bewohnern zählen bestimmt jede Menge Kinder, die bald ihre Ruhe brauchen, um erholsam schlafen zu können. Zufrieden lächle ich vor mich hin: Dusche und Bett – ich bin schon fast wieder zu Hause. Im Haus der Party ist bereits eine stattliche Menschenmenge versammelt. Absolut jeder dem wir begegnen trägt mindestens einen gefüllten Becher oder eine Bierflasche in der Hand. Manche balancieren gleich mehrere davon oder tragen zusätzlich gefüllte Teller mit sich. Wir schlängeln uns einen Weg durch die sommerlich gekleidete Menge und finden Paddy, den Gastgeber, schließlich im Garten, wo er gerade ein großes Feuer in einem gigantischen Grill entfacht. „Fynn!“ Paddy breitete seine Arme aus und umarmte seinen Kumpel überschwänglich. „Man, ist das lange her! Scheiße! Wie geht’s dir?!“ Dann fällt sein Blick auf meine Schwester. „Oh verdammt, entschuldige. Du musst die bezaubernde Viana sein. Cassy hat schon so einiges von dir erzählt - da hast du wohl alles richtig gemacht, Fynny-Boy.“ Er klopft Fynn auf die Schultern, lacht, umarmt Viana, entschuldigt sich fluchend für seine Wortwahl, begrüßt auch Aiden und mich freundlich und erklärt uns: „Mi casa es su casa. Die Bar ist drin, die Bowle steht in der Küche, Burger gibt’s hier am Grill, die Salate sind gleich da drüben und Snacks müssten überall verteilt sein. Beschwerden nehm‘ ich ab Montag entgegen, denn heute wird gefeiert und die nächsten beiden Tage widme ich meinem Hangover.“ Mit dieser Ansage sind wir wieder auf uns gestellt. Ich sehe mich um. Paddy hat für seine Geburtstagsfeier keine Mühe gescheut. Der Garten wird von vielen verschiedenen Lichteffekten erleuchtet. Es gibt einen Pavillon, der direkt an die Gartentür grenzt und den halben Garten ausfüllte. Mit Freuden entdeckt Aiden ein riesiges Bierfass, von dem fleißig gezapft wird. Die Bar ist mit vielen abwechslungsreichen Getränken bestückt und die Musik wird an einem Mischpult von einem DJ aufgelegt – alles in allem erinnerte es mich an eine unserer Studentenpartys. Nur der Altersdurchschnitt ist höher. Mit meinen dreiundzwanzig Jahren gehöre ich eher zu den jüngeren Gästen.

„Wie alt wird er?“, frage ich. Denn nicht einmal zu meinem Achtzehnten habe ich mir eine so fette Feier gegönnt.

„Einunddreißig – aber er feiert jedes Jahr so“, erklärt Fynn, als hätte er meine Gedanken gelesen.

„Was sagen die Nachbarn dazu?“

„Nichts. Sie sind entweder hier, übers Wochenende weggefahren oder nehmen es stillschweigend hin. Ich glaube er kündigt es jedes Mal frühzeitig an.“

„Ganz nach meinem Geschmack.“ Aiden grinst und steuerte zielstrebig auf das Bierfass im Garten zu, während meine Hoffnung auf ein schnelles Ende soeben beerdigt wurde. Fynn wird unterdessen immer wieder von Leuten begrüßt. Er stellt Viana vor und auch mich. Bis ich mir als drittes Rad und als kleine, lästige Schwester vorkomme, mich entschuldige und beginne nach meinem verschwundenen Freund zu sehen. Viana scheint im Glück; sie strahlt, lacht, schüttelt Hände und Fynn lässt kaum einmal ihre Hand los. Heimlich mache ich ein Foto von ihnen. Die beiden, groß und schlank, mit den dunklen Haaren – sie über die Schulterblätter lang, er modisch kurz geschnitten – leger schick gekleidet, wirken perfekt, beinahe symbiotisch. Wie gesucht und gefunden. Schön Viana so gelassen zu sehen. Viel zu oft ist sie voller Ernst an Arbeiten dran, die sie mit Perfektion vollenden will. Was sie auch anpackt, ein einfaches Mittelmaß genügt in der Regel nicht. Meines Erachtens hat sie eine gewaltige Portion an Perfektionismus und Strebsamkeit zu viel. Ich dafür viel zu wenig. Ihr Zimmer sieht aus wie ausgeschnitten aus einem Einrichtungskatalog, meines wie nach einem Bombenanschlag. So viel Mühe ich mir auch gebe nach einer Aufräumaktion alles ordentlich zu halten, es funktioniert nicht. Wenn sich Viana etwas in den Kopf setzt, gibt sie alles, um mit hundert Prozent Elan und Einsatz ans Ziel zu kommen. Egal wie viel oder wenig Spaß es macht. Ich kann auch mit Engagement und dickköpfig hinter etwas her sein, aber nur solange der Weg und das Ziel eine gewisse Portion Spaß bereiten. Alles andere wird schnellstmöglich oder gar nicht und ohne Mühe fürs Detail beendet. Aiden kommt mir entgegen und drückt mir einen Becher Bowle in die Hand. „Ich dachte, das ist dir lieber als Bier.“ Das ist es. Das selbst gemischte Getränk hat es in sich, schmeckt aber sehr lecker. Irgendetwas zwischen Himbeere, Mango und Traube. Beim Trinken prickelt es auf der Zunge. Dieses lustige Gefühl hebt meine Stimmung rasant. Zuversichtlicher umschließe ich die Hand meines Freundes und folgte ihm. Im Wohnzimmer wurden die Möbel alle an die Wände geschoben, um in der Mitte Platz für eine Tischtennisplatte zu schaffen. Kaum haben wir die gute Stube betreten, werden wir von einem Team aufgefordert gegen sie in einer Runde Bier-Pong anzutreten. Darum lässt sich Aiden nicht zweimal bitten und da ich nichts Besseres zu tun habe, mache ich mit. Ich finde mehr und mehr Gefallen an dem Abend. Die jeweils 10 Becher pro Plattenseite, die in einem zur Tischmitte spitz zulaufenden Dreieck aufgestellt sind, wurden jeweils bis zur Hälfte mit Bier gefüllt. Es gibt einen Tischtennisball, den die Teams abwechselnd versuchen in einem Becher der gegnerischen Mannschaft zu versenken. Landet der Ball im Becher, muss der Becher getrunken werden. Verloren hat jene Seite, die zuerst alle Bierbecher geleert hat. Zu Beginn finden auch meine Würfe ihr Ziel, doch schließlich bin ich Aiden nur noch beim Leeren der Becher eine Hilfe. Doch auch das gebe ich nach vier Bechern auf. Mein Pegel steigt zügig an, denn unsere Gegner treffen ausgesprochen gut. Nach dem wir uns geschlagen zurückziehen, muss ich mich erst einmal setzen. Ich lasse mich auf die Couch fallen. Von Bier habe ich für den Abend genug. Aiden findet sofort einen neuen Gesprächspartner und wartet auf die nächste Runde des Trinkspiels. Manchmal frage ich mich, wo er diese Mengen Alkohol verstaute. Noch sieht man von einem Bierbauch nichts. Das oben aufgeknöpfte Poloshirt spannt nur um seine Schultern. Lachend fährt er sich mit der Hand über seine kurzen Stoppelhaare. Doch, vermutlich passen er und ich optisch auch gut zusammen. Weniger klassisch wie meine Schwester mit ihrem prominenten Freund, eher sportlich. Auch jetzt trägt er Shorts und ich ein dunkelgraues Jersey Kleid mit weißen Turnschuhen, statt eines luftig blumigen Kleides wie Viana. Ich stehe wieder auf, um draußen frische Luft zu schnappen. Es ist ein merkwürdiger Zustand; ich fühle mich nüchtern und betrunken zu gleich. Unter keinen Umständen will ich meine Schwester blamieren, darum werde ich mich bemühen meinen Pegel zu senken – oder wenigstens nicht weiter zu steigern. Sie hat wohl eine Art übernatürliches Gespür, denn kaum setze ich mich im Garten auf eine der Bänke, setzt sie sich zu mir. „Geht’s dir gut?“

„Jip“, nicke ich. „Ein bisschen viel Bier.“ Glücklicherweise habe ich meine Zunge noch voll unter Kontrolle und lalle nicht. Wenigstens wäre es mir nicht aufgefallen. „Amüsierst du dich?“

„Ja“, sie strahlt mich an. „Um Mitternacht gibt es übrigens ein Feuerwerk. Paddy ist Pyrotechniker und hat schon bei ein paar Bandauftritten die Lichtshow organisiert. Aber jetzt hab ich Hunger. Kommst du mit?“

Augenblicklich läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Bis gerade eben habe ich nicht gemerkt, wie hungrig ich geworden bin. Ein leckerer, gegrillter Burger ist genau das Richtige. Wir stellen uns zum Grill, der mittlerweile von einem anderen Partygast überwacht wird. Vor uns warten noch zwei andere Gäste, doch der Grillmeister arbeitet fix und auch wir bekommen schnell unsere Burger. Am Salatbuffet motzen wir sie mit Tomaten, Gurken und Salat auf. Die Zwiebeln lassen wir vorsorglich weg. Obwohl ich bezweifle, dass es mit Aiden nach einer Partynacht wie dieser noch zu viel Intimität kommt. Er ist hier ganz in seinem Element, wird zu Hause aber sofort in einen tiefen Babyschlaf fallen. Gerade als wir in die saftigen Burger beißen, kommt Fynn mit Koa auf uns zu. „Ah, die Schwestern“, begrüßt dieser uns mit seinem Grinsen, das sein ganzes Gesicht zum Strahlen bringt. Seine dunkelblonden Haare hat er dieses Mal unter einer babyblauen Baseballcap versteckt, dafür offenbart sein enges, schwarzes T-Shirt seine muskulösen Arme. Er gibt jeder von uns einen höflichen Kuss auf die Wange, als würden wir dies schon seit eh und je so tun und nicht so, als wäre es erst das zweite Mal, dass wir uns überhaupt begegnen. Bei seiner herzlichen Umarmung ist mir mein Burger erst mal egal. Koa habe ich als übersympathisch und charismatisch abgespeichert. Er ist der Typ Sunny-Surfer, mit einem Tick zu langen Haaren, leicht zerzauster Frisur, die ungewollt gut aussieht, lässiger Kleidung, Lederarmband und an dem Bändel, der unter seinem Shirtkragen verschwindet hängt sicher ein Anhänger mit einem Hawaii-Symbol. Er bildet einen Kontrast zum stillen, stilvoll klassischen Fynn, bei dem man von seiner Stimmgewalt überrascht wird, wenn er zu singen beginnt. Die beiden setzen sich zu uns und Koa beginnt sofort zu plaudern. Es ist unglaublich, wie leicht ein Gespräch mit ihm fällt. Er stellt die einfachsten Fragen und lässt sich so interessiert auf die Antworten ein, als lese er ein spannendes Buch. Beinahe so, als kennen wir uns schon ewig. Dabei haben wir uns seit dem Abend vor zwei Monaten, an dem alles zwischen Viana und Fynn begann, nicht mehr gesehen. Wir hatten gescherzt, gelacht, getrunken. Und da sitzt er mir jetzt gegenüber, erzählt von der letzten Arbeitswoche und bringt uns mit Anekdoten immer wieder zum Lachen. Wir hören davon, wie Salomon begonnen hat sich mit Nicola über einen neuen Song zu streiten. Melodie, komponiert von Salo, passte nicht zum Text, den Nicola verfasste. Salo versuchte konstruktiv Lösungen zu finden, während Nico stur darauf beharrte, den Text zuerst geliefert zu haben. Schließlich hatte Nicola kurzerhand eine Bridge eingebaut die Salomon so gegen den Strich ging, dass er beschloss einen eigenen Text zu schreiben. „Jetzt werden sie zwei Tage nicht miteinander reden und dann so tun, als sei nichts gewesen“, schließt Fynn die Geschichte ab.

„Die beiden gehen mir grade so was von auf den Sack“, fügt Koa hinzu und stiehlt eine herausgeflutschte Tomate von meinem Teller.

„Wie in einer Familie“, lache ich und beginne wieder zu essen.

„Nur, dass man sich seine Familie nicht aussuchen kann“, murmelt Viana und vor mir ploppen zahlreiche Bilder vergangener Familienstreitigkeiten auf. Als wir alle, das heißt meine beiden älteren Geschwister und ich, noch zu Hause wohnten gab es gegen Ende beinahe jeden Tag Zoff. Dabei fühlte ich mich meistens zwischen zwei Stühlen, mittendrin, auf dünnem Eis. Viana und Jim legten sich in einer verlässlichen Regelmäßigkeit mit unserem Vater an. Wegen allem und jedem. Mit unserer Stiefmutter Judith sprach Viana gegen Ende kaum noch ein Wort. Dann zog meine Schwester in ein Studentenwohnheim in der Nähe ihrer Uni, worauf sich die Situation etwas beruhigte. Nur die familiären Pflichtveranstaltungen wie Geburtstage und Weihnachten blieben ein Pulverfass. Jim und ich blieben zunächst zuhause bei Papa, seiner zweiten Frau und unseren beiden viel jüngeren Halbbrüdern. Wieso Jim, als Ältester, nicht schon viel eher ausgezogen war, verstehe ich bis heute nicht. Vermutlich lag es ganz subtil an seiner verwöhnten Faulheit. Da Judith als Hausfrau und Mutter für eine beinahe bedingungslose Grundversorgung sorgte was Wäschewaschen, Kochen und Putzen betraf, nahm er die ständigen Vater-Sohn-Konfrontationen wohl einfach in Kauf. Vor ungefähr einem halben Jahr legte Viana Jim und mir ihren Plan vor. Über ein paar Ecken von Studienkollegen war sie an eine Wohnung herangekommen. Viereinhalb Zimmer. Balkon. Renovierter Altbau. Nahe zum Stadtzentrum. Zu teuer für eine Studentin mit Nebenjob. Groß genug für drei Personen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Jim schon in den ausländischen Konzernen seiner Firma als Unternehmensentwickler eingesetzt und war häufig auch im Ausland unterwegs. Dort darf er nun entscheiden, welche Köpfe rollen und wer bleibt. Es fällt mir schwer, mir meinen vier Jahre älteren Bruder, der sich immer um seine jüngeren Geschwister und vor allem auch jetzt rührend um die beiden Kleinsten kümmert, vorzustellen, wie er Kündigungen ausspricht oder harte Bedingungen stellt. Anscheinend macht er seinen Job aber gut. Jedenfalls willigte er ein, mit seinem festen und guten Gehalt als Hauptmieter den Vertrag zu unterschreiben und einzuziehen. Mir selbst war es im Familienhaus immer ganz gut gegangen. Ich mag Judith sehr gerne und finde es bis heute gar nicht schlecht, mich nach einem anstrengenden Tag an der Academy ein bisschen verwöhnen zu lassen. Doch gleichzeitig war es verlockend endlich die eigenen vier Wände zu bewohnen. Zu gehen und zu kommen, ohne Absprachen zu treffen. Und vermutlich war es auch längst Zeit, die Rolle als „Papas Prinzesschen“ an den Nagel zu hängen - wie Jim es formuliert. Kleinlaut, mit schlechtem Gewissen unterbreitete ich meinen Eltern die Möglichkeit, mit meinen Geschwistern zusammen zu ziehen. Denn ich war in gewisser Weise von ihrer Entscheidung abhängig. Meine Ausbildung als Tänzern an der RDA, der Royal Dance Academy, ist nicht günstig und wird von meinem Vater finanziert. Mit meinem Nebenjob im Fitnesscenter verdiene ich längst nicht genug, um meinen Lebensunterhalt vollständig selbst finanzieren zu können. Ich hatte Glück. Sie erklärten sich bereit, mich weiterhin finanziell zu unterstützen. Vielleicht haben sie dadurch auch ein wenig die Hoffnung, dass sich Viana und Jim nicht ganz abkapseln und durch mich noch eine Art Verbindung bestehen bleibt.

Koa grüßt plötzlich ans andere Ende des Gartens. Ich drehe mich um und sehe die drei Mädels, die zu uns herübersehen und ihm offenbar bedeuteten zu ihnen zu kommen. Er steht auf und verabschiedet sich mit einem: „Bis später – die Pflicht ruft!“ Ein Augenzwinkern und weg ist er. Auch ich stehe auf. Mittlerweile fühle ich mich wieder ausreichend nüchtern, um einen Nachschlag zu vertragen. „Ich seh‘ nach, ob noch Bowle da ist.“

„Bring mir was mit!“, ruft mir Viana nach.

Zu meiner großen Enttäuschung ist die gläserne Schüssel leer. Lediglich eine dunkelrote Pfütze, in der ein paar zermanschte Früchte schwimmen, ist übriggeblieben. Traurig hängt der Schöpflöffel über dem Schüsselrand, ein müder Tropfen rollt seinen Stil entlang der Herdplatte entgegen. Ich sehe mich um. Von Bier habe ich definitiv genug. Und auch Wasser oder hochprozentigere Getränke sind keine Alternative zu der verführerisch fruchtigen Bowle. Im Kühlschrank finde ich eine Flasche Sekt, entkorke sie kurzerhand und schütte den Inhalt in die leere Schüssel. So, und jetzt? Es kann ja wohl kaum so schwer sein eine Bowle zu mischen. Ich angle mir die offene Flasche Orchard Thief und leere diesen zum Sekt.

„Hier soll‘s noch Cidre geben?“ Ich erschrecke fast zu Tode, als hinter mir jemand spricht. Mit der Flasche in der Hand drehe ich mich um und fühle mich wie damals, als Fünfjährige, als Viana mich dabei erwischte, wie ich ihrem Schokoladennikolaus den Kopf abgebissen hatte.

„Ähm“, ist alles, was ich herausbringe. Der Typ steht da, sieht von mir zum leeren Cidre in meiner Hand und wieder zu mir.

„Ja, genau das“, er grinst. Langsam normalisiert sich mein Herzschlag wieder. Ich brauche nur ein paar Sekunden, um ihn zu erkennen. Dunkelblonde, an den Seiten kurz geschnitten und oben längere Haare, wohl definiert gestylt, die blauesten Augen, die ich je gesehen habe und dieses schiefe Grinsen, auf den nackten Unterarmen, die sein weites, blütenweißes Shirt freigeben, sind zahlreiche Tattoos zu sehen. Er gehört zu Fynns Band. Ich bin mir sicher. Also, reiß´ dich zusammen! Befehle ich mir selbst, öffne den Mund und beginne zu sprechen: „Leer.“ Verdammt! Was soll das denn?! Sein belustigter Blick bohrt sich ungeniert in meine Augen. Das Grinsen wird breiter. „Soso. Was hast du stattdessen anzubieten?“

„Ähm…“ Toll! Ich mache echte Kommunikationsfortschritte. Mein Blick wandert hilfesuchend zur Bowle-Schüssel. Er tritt neben mich und sieht sich mein Werk an. „Was ist das?“

Ich atme tief ein - er riecht gut - und zwinge mich einen klaren Satz zu bilden. In meinem Kopf nehmen die Worte Form an und reihen sich in sinnvoller Folge aneinander. Schließlich traue ich mir zu, ihm eine Antwort zu geben: „Sekt und Cidre und die Reste der Bowle und ein paar matschige Früchte.“ So wie er mich jetzt ansieht – dazu muss er nur den Kopf drehen, denn er hat sich sehr nah zu mir gestellt und das wird mir sehr bewusst und es macht mich etwas verlegen – scheint er entweder über die Kombination der Getränke überrascht zu sein oder darüber, dass ich auch ganze Sätze sprechen kann. In der Hoffnung, dass es sich um die Getränkemischung handelt, füge ich schnell hinzu: „Sie war leer – die Bowle. Und ich dachte, es kann nicht so schwer sein eine neue zu mischen.“ Ich finde den richtigen Hebel in meinem Kopf und schalte auf „normal“. Er nickt verständnisvoll. „Dann wollen wir doch mal sehen…“ Er geht gezielt zu einem Küchenschrank, öffnete ihn und zieht eine Flasche Jameson Whisky heraus. Sie ist noch beinahe voll. Als er den Deckel entfernt, sehe ich das Alter des flüssigen Goldes. Ohne zu zögern, kippt er eine großzügige Menge in meine Brühe.

„Bist du sicher, dass du das darfst? Der Whisky ist 18 Jahre alt und ich glaube das ist schon etwas wert.“

„Ich organisier´ ihm eine neue.“ Nun fischt er eine Flasche Sprite aus dem Kühlschrank und bringt damit die Mischung zum Schäumen. Trotzdem, die Bowle – oder was auch immer es jetzt ist – sieht noch lange nicht so appetitlich aus, wie das Original. „Hm…ich weiß ja nicht. Vorhin sah sie so lecker rot aus. Ich konnte nur leider keinen roten Saft entdecken.“ Da er offensichtlich so wenig Ahnung vom Mischen einer Bowle hat wie ich, werde ich ruhiger und meine Sprachfunktionen verhalten sich wieder wie gewohnt.

„Aha, ich verstehe.“ Wieder öffnet er diverse Schränke. Unter anderem fügt er noch eine weiße, dickflüssige Sauce aus einer unbeschrifteten Glasflasche hinzu. Vielleicht ist es selbstgemachte Vanillesauce oder Eierlikör. Stutzig werde ich, als er am Gewürzschrank fündig wird. Er schraubt den roten Deckel der kleinen Flasche ab.

„Tabasco?! Bist du dir sicher?“

„Hey“, er sieht mich ernst an, „vertrau mir. Es verleiht der Bowle die richtige Farbe und gibt dem Ganzen eine würzige Note – wodurch das alles zu einem ganz besonderen Geschmackserlebnis wird. Das wird die Bowle des Jahres.“ Tropf, tropf, tropf. Naja, die „richtige Farbe“ sieht meiner Meinung nach anders aus. Jetzt ist es ein merkwürdiges Orange, aber alles andere als Rot. Er befüllt uns je einen Becher. „Nicola“, stellt er sich nun vor.

Muss ich ihm sagen, dass ich schon weiß, wer er ist? Das kann er sich ja eigentlich denken, nehme ich an. Vermutlich gibt es für ihn nur wenige Situationen, in denen er sich vorstellen muss. Er ist auf Postern, in Zeitschriften und im Fernsehen zu sehen und im Radio zu hören. Andererseits erkennt man einen Promi im realen Leben, wenn man nicht damit rechnet ihn zu treffen? Wenn ich es mir genauer überlege, hätte ich ihn wohl auch nicht so schnell erkannt, wenn ich mich durch Fynn in letzter Zeit nicht intensiver mit Oblivion beschäftigt und schon zwei Mitglieder der Band hier angetroffen hätte. „Sascha“, ich hebe ihm meinen Becher entgegen.

„Na dann – Zum Wohl!“ Wir stoßen an und setzten die Becher an die Lippen. Meine Kehle schnürt sich augenblicklich zusammen, mein Mund brennt, doch es ist zu spät. Irgendetwas – vermutlich meine Geschmacksnerven – explodieren. Die widerlichste Flüssigkeit, die ich jemals zu mir genommen habe, läuft meinen Hals hinunter und beginnt mich von innen zu verätzen. Ihm ergeht es nicht ein bisschen besser. Nach einem kurzen Moment voller Ekel brechen wir in lautes Lachen aus.

„Noch nie“, kichere ich, „nie, nie, nie, habe ich etwas so ekliges getrunken!“

„Hier! Schnell!“ Er hat zwei saubere Gläser aus dem Schrank gezogen, etwas von dem teuren Whisky eingegossen und drückt mir eins der Gläser in die Hand. „Das desinfiziert.“ Der Whisky legt sich wie ein beruhigender Film über meine gequälten Geschmackssinne. Nicola genehmigt sich noch einen, während ich dankend ablehne. Es ist doch etwas fies, dem Geburtstagskind seinen teuren Schatz weg zu trinken. Schlimm genug, dass wir den edlen Tropfen für dieses grässliche Gepansche verschwendet haben.

„Wir sollten das entsorgen“, ich deute auf die Schüssel. Ein Wunder, dass sich darauf kein stinkender Dampf und explodierende Blasen bilden.

„Im Gegenteil“, er zwinkert mir zu. „Stell dir den Spaß vor, wenn andere davon trinken.“ Ich habe keine Zeit zu widersprechen und hätte es ohnehin nicht getan. In die Gesellschaft vor der Küche kommt plötzlich Bewegung und jemand streckt den Kopf durch die offene Küchentür: „Das Feuerwerk geht los!“ Wir lassen uns von der Menge mit nach draußen ziehen, allerdings verliere ich Nicola im Gedränge aus den Augen. Das Feuerwerk findet mitten auf der Straße statt, denn im Garten wäre viel zu wenig Platz für die ganzen Zuschauer. Ich finde Vivi und Fynn auf der gegenüberliegenden Straßenseite und bahne mir einen Weg zu ihnen. Ich habe sie noch nicht ganz erreicht, da legt mir Aiden einen Arm um die Schultern: „Da bist du ja. Ich dachte schon, du wärst gegangen.“ Er drückt mir einen Kuss auf die Lippen, der leicht klebrig nach Bier schmeckt.

„Hast du mir was mitgebracht? Ich verdurste.“ Viana streckt die Hand nach meinem Becher aus. Wieso ich den überhaupt mitgenommen habe? Ich zögere einen Moment. Doch dann überlasse ich ihn ihr. Kaum hat sie einen Schluck davon im Mund, spuckt sie ihn möglichst unauffällig zurück und drückt mir den Becher wieder in die Hand. „Willst du mich vergiften?!“ Ihre Empörung ist echt und das machte es umso lustiger. Als ich mich nach dem nächsten Mülleimer umsehe, entdecke ich Nicola etwas abseits der Menge. Er hat die Szene wohl beobachtet. Jedenfalls grinst er mir verschmitzt zu und freut sich ebenso wie ich über Vianas Ekel. Neben ihm steht Koa, der kurz zu mir rüber winkt. Dann sagt er etwas zu Nicola, der ihm grinsend mit einem Kopfnicken zustimmt. Lachend stoßen sie mit zwei Bierflaschen an. Ein lauter Knall zerreißt die Luft und die Show beginnt. Es ist eine abgestimmte Choreografie aus Lichteffekten, Feuer am Boden und explodierenden Raketen, hinterlegt mit epischer Musik. Sogar die Nachbarn mit einigen Kindern trauen sich für dieses Highlight aus ihren Häusern. Und Nicola behält recht: Die Bowle erreicht im Laufe des Abends wahrhaftig Prominenz. Schnell spricht sich herum, dass in der Küche ein übles Gebräu zu finden sei. Kurzerhand wird es für diverse Trinkspiele eingesetzt. Gerne hätte ich mich noch ein bisschen mit ihm über den Erfolg unserer Bowle gefreut. Doch immer, wenn ich ihn entdecke, ist er gerade in ein Gespräch verwickelt. Wenn sich unsere Blicke begegnen, grinst er oder hebt verschwörerisch prostend den Becher. Auch ich mische mich mit gehobener Feierlaune unters Volk. Ich nehme an lustigen Diskussionen und sinnlosen Trinkspielen teil. Gerade stehe ich, mit einer umgedrehten Plastikschale auf dem Kopf, auf einem Bein im Wohnzimmer und hoffe darauf, dass das Mädchen mir gegenüber zuerst ins Wanken gerät, da macht Aiden mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Er steht nicht weit von mir entfernt, als seine Diskussion mit einem anderen Typ zu einem hitzigen Wortgefecht anschwillt. Die beiden stehen sich bereits sehr nah gegenüber und einige umstehende Gäste tauschen besorgte Blicke. Das Thema und wer begonnen hat, interessieren mich nicht. Mir reicht das unterschwellige Aggressionspotential, das die beiden ausstrahlen. Von Aiden weiß ich genau, dass er vor einer Schlägerei nicht zurückschreckt. Es kommt nicht selten vor, dass er nach Fußballabenden mit seinen Kumpels mit Prellungen oder auch Schürfwunden zurückkommt. Ernste Sorgen hatte ich mir gemacht, als ich ihn nach einem Männerabend morgens besuchte und bereits im Flur ein blutiges Shirt fand. Das Blut stammte von etwas, das ganz nach einer Schnittverletzung auf der linken Seite seines Oberkörpers aussah. Er hatte das als Lappalie abgetan, ein neues Pflaster darüber geklebt und trägt seither eine Narbe mit sich. Fußball-Kneipenschlägereien kommen wohl öfter vor und gehören in bestimmten Kreisen vielleicht einfach dazu. Erschreckend finde ich die Häufigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der Aiden an solchen Events teilnimmt. Mittlerweile sage ich schon gar nichts mehr dazu. Je nach Stimmung findet er meine Sorge amüsant oder fühlt sich davon genervt. Was in beiden Fällen zu Auseinandersetzungen führt. Das sei seine Sache, davon verstände ich nichts und alles sähe ohnehin schlimmer aus als es ist.

Ich verlasse die spielende Gruppe, steuere auf die Streithähne zu und nehme Aiden am Arm. Aber statt mit mir zu gehen oder mich auch nur anzusehen, schiebt er mich einfach ärgerlich zur Seite. Sein Gegenüber setzt ein belustigtes Grinsen auf, das Aiden noch mehr provozierte. Welche Schande, von einer Frau gemaßregelt zu werden! Auf dieses Machogehabe gebe ich nicht viel und entschlossen schiebe ich mich zwischen die beiden. Meine Hände lege ich Aiden auf die Brust und sage bestimmt: „Wir gehen jetzt.“ Seinem Gesicht sehe ich förmlich an, wie er überlegt. Schließlich reißt er seinen Blick von dem anderen los und sieht mich an. Aus seinen schönen, braunen Augen verschwindet die Härte und seine Gesichtszüge werden wieder weicher. Er nickt und macht sich rückwärts auf den Weg zum Ausgang, wobei er den anderen Typ scannt. Draußen zündet er sich eine Zigarette an, während ich ein Taxi rufe und Viana eine kurze Nachricht tippte.

(02) Begebenheiten

Seit wir ausgezogen sind, besteht Eduard, unser Vater darauf uns regelmäßig zu sehen. Spätestens alle zwei Wochen gehen wir gemeinsam Mittag- oder Abendessen. Meistens findet dies im in unserem Elternhaus statt. Mit Judith, Samuel und dem kleinen Tom. Heute, am Sonntag nach der spassigen Geburtstagsparty, treffen wir uns zu dritt in Roly’s Bistro am Großen Tiergarten. Das Ambiente ist eine Mischung aus gemütlich und schick und das Essen wird immer sehr kunstvoll angerichtet. Zudem schmeckt es natürlich hervorragend. Wenn wir uns unter der Woche an einem Abend sehen, gehen wir aber auch gerne in eine einfache Fish & Chips Bar oder einen Pub. Eduard finde ich an einem Tisch, der für fünf Personen gedeckt ist. Die Tischdecke ist in schlichtem Weiß gehalten, ein modisch leuchtend grasgrüner Tischläufer und kleine stilvolle Blümchen geben frische Farbakzente dazu. Ihm wurde bereits ein Aperitif serviert und er hält ein Dokument in den Händen, das schwer nach Arbeit aussieht. Als er mich bemerkt, legt er die Papiere zur Seite und lässt sich mit einem Kuss auf die Wange begrüssen. „Erwartest du noch mehr Gäste? Jim ist in Shanghai.“ Ich setze mich ihm gegenüber in den schwarzen Sesselstuhl.

„Ich dachte, vielleicht kommt ihr in Begleitung“, er lächelt mir zu.

„Zu einem Vater-Töchter-Essen? Mittags an einem Sonntag? Bestimmt nicht.“

„Für Aiden wäre das doch kein Problem. Und diesen Fynn würde ich schon gerne kennen lernen.“

„Allerdings wäre das ein Problem für Aiden. Er ist erst von drei Stunden schlafen gegangen.“ Kläre ich meinen Vater auf. Immer wieder frage ich mich, wie es sein kann, dass Eduard meinen Freund mag. Aidens Bruder Daniel ist Junior-Partner bei Castell & O’Donell, der Kanzlei meines Vaters. Dadurch war Aiden an ein lukratives Praktikum und dann an seinen Studentenjob gekommen, der zu seinem Jurastudium passt. Da er nicht selten in der Kanzlei arbeitet, muss mein Vater zwangsläufig von seinen Blessuren etwas mitbekommen. Ein blaues Auge oder eine aufgeplatzte Lippe heilen nicht innerhalb von 24 Stunden. Trotzdem schätz Eduard Aiden sehr und amüsiert sich darüber, wenn diesem seine durchzechten Nächte anzusehen sind. Eines muss ich meinem alten Herrn lassen: Er ist nicht blauäugig, was das Leben der „jungen Leute“ anbelangte. Solange wir uns keine gröberen Konflikte mit dem Gesetz leisten, ist für ihn alles okay. Vielleicht erinnert er sich noch gut an die Zeit, bevor er zum Anzugträger wurde; als er mit meiner Mutter in einem VW-Bus durch die Welt reiste und nie so genau wusste, was in nach der nächsten Kurve erwartete. Auf alten Fotos von ihm, sieht er auch nicht so aus, als sei seine Jugend ein Trauerspiel gewesen. Doch typisch Mann – oder Vater - hält er mit seinen Jugendgeschichten eher hinterm Berg.

„Wo bleibt Viana?“, er wirft einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr

„Keine Ahnung. Sie kommt von Fynn.“

„Dann bringt sie ihn vielleicht mit?“

Ich werfe ihm einen prüfenden Blick zu. Er glaubt doch hoffentlich nicht wirklich daran. Kurz nachdem ich ein Mineralwasser und einen Weisswein bestellt habe, erscheint Viana. „Gerade haben wir uns gefragt, wann uns Fynn vorgestellt wird“, erläutert Eduard seine Gedanken, nachdem sich die beiden begrüßt haben. Vivi zieht eine Augenbraue in die Höhe, stellt ihre Handtasche neben den Sessel und setzt sich an die Stirnseite des Tisches. „Tatsächlich? Habt ihr das? Komisch. Sascha kennt ihn doch schon.“ So ist sie manchmal. Besonders bei unserem Vater legt meine Schwester gerne jedes Wort auf die Goldwaage.

„Schön“, berichtigt er sich. „Ich habe mich das gefragt.“

Wieder einmal fällt mir auf, dass Viana eine ungleich kompliziertere Beziehung zu unserem Vater hat als ich. Als unsere Mutter das sittsame Leben in der Vorstadt nicht mehr aushielt und ging, musste das für meine Geschwister sehr schwer gewesen sein. Die beiden machen ihn dafür mitverantwortlich, dass sich Cosima nicht glücklich genug gefühlt hatte und jetzt ihr freies, unstrukturiertes Leben als Dokumentarfilmerin einem Familienleben mit uns vorzieht. Als dann auch noch Judith bei uns einzog kühlte sich das Familienklima rapide ab. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon immer ein Papa-Kind war und daher unserer Mutter die Alleinschuld gebe. Viana hingegen hat seit jeher unsere Mutter bevorzugt und sich nach der Trennung umso mehr mit ihr solidarisiert. Jim steht irgendwo dazwischen und hat sich seit neuestem eine kühle Zurückhaltung angeeignet, mit der er die meisten Diskussionen im Keim erstickt. Das funktioniert eigentlich ganz gut. Viana und Eduard liefern sich hingegen weiterhin hitzige Wortwechsel – und wenn es dabei nur ums Wetter geht. Manchmal glaube ich, beiden macht es Spaße aneinander vorbeizureden.

„Und, wann können wir mit ihm rechnen?“, hakt unser Vater nach. Vivi sieht nicht einmal von ihrer Speisekarte auf. „Vielleicht nach einer offiziellen Einladung“, murmelt sie.

„Ist nächste Woche Sonntag bei uns zu Hause offiziell genug?

Viana nickt und bleibt unverbindlich: „Ich werde ihn fragen.“

Nach dem dies geklärt ist, Eduard endlich Aussicht darauf hat Fynn kennen zu lernen, um seine Informationen über ihn nicht weiterhin aus der Klatschpresse beziehen zu müssen, werden wir nach sonstigen Neuigkeiten gefragt. Ich erzähle von den Vorbereitungen für den Semesterauftakt an der Academy. Viana berichtet von der Wahl ihrer Prüfungsfächer für ihr letztes Semester und dass sie sich überlege, die kleine Boutique, in der sie arbeitet zu übernehmen. Sally, der die Boutique gehört, plant aufzuhören, da sie bald ihr erstes Kind erwartet und sich voll auf das Projekt „Familie“ konzentrieren will. „Ich habe noch nicht alles durchgerechnet, aber Sally käme mir mit dem Preis entgegen und würde mir alles überlassen.“ Eduard wittert seine Chance auf eine Beziehungsverbesserung und schlägt sofort vor, sich genauer zu informieren und ihr so weit wie möglich zu helfen. Ich finde die Idee auch sehr gut. So habe ich wohl immer einen Aushilfsjob zur Stelle, wenn meine Tanzkarriere nicht in Schwung kommt. Leider gehört meine Ausbildung nicht zu jenen, die einen leergefegten Arbeitsmarkt bedienen. Für einen Job, der mich über Wasser hält, brauche ich Talent und Glück. Auch wenn ich mir um ersteres keine Sorgen mache, lässt sich der zweite Faktor leider nicht besonders beeinflussen. Die ebenfalls talentierte Konkurrenz ist riesig. Ich schlucke das unangenehme und beängstigende Gefühl herunter und verdränge den Gedanken, bevor sich meine unklare Berufszukunft als dicker, stacheliger Klumpen in meiner Magengegend einnisten kann. Darin bin ich gut. Und wenn schon, dann bleibe ich eben eine unterbezahlte Tanzlehrerin im Fitnessstudio. Aiden wird früher oder später ausreichend verdienen und wir beide kämen mit einer kleinen Wohnung schon zurecht. Um seinem Traum von einem teuren Auto nicht im Weg zu stehen, könnte ich weiterhin mit Bus und Fahrrad meine Mobilität bewerkstelligen. Also irgendwie würden wir schon über die Runden kommen.

Die nächste Woche startet mit voller Action. Um acht Uhr hatten wir mit der Choreografieprobe an der Academy begonnen. Es klappte gegen jede Erwartung sehr gut und es gelang uns sogar ein paar neue Schritte und Figuren dazu zu kreieren. Weil es so gut lief, verzichteten wir auf eine richtige Mittagspause. Das hätte womöglich unseren Flow innerhalb von Sekunden zum Stillstand gebracht. Daher futtere ich jetzt schnell einen Apfel und ein kleines Sandwich, während ich im Bus zu meinem Tanzkurs ins Fitnessstudio fahre. Die Kids, die ich unterrichte, sind aufgedreht wie kleine Kreisel. Einige kommen gerade aus ihren Ferien und haben viel zu erzählen. Das macht es schwer die Meute nach den Trinkpausen zum Weitermachen zu bewegen. Außerdem sind zwei Gruppen zusammengelegt worden, da sie sonst etwas klein ausgefallen wären. Nun ist es aber doch ein grösserer Haufen Kinder, als erwartet und der Platz in dem verspiegelten Raum ist beinahe zu eng. Wenn wir Tanzschritte üben, von denen man zügig von links auf rechts wechseln muss, kommt es immer wieder zu kleinen Zusammenstössen. Als um halb sieben das letzte Mädchen abgeholt wird, bin ich froh, dass kein grösserer Schaden als zwei Beulen auf zwei Köpfen entstanden ist. Die beiden Mädels haben es lachend weggesteckt. Total geschafft sehne ich mich danach, meinen Trainingsklamotten zu entfliehen und unter die Dusche zu hüpfen. Zu Hause erwartet mich sicher schon ein leckerer Aperol Spritz und ein brutzelnder Grill. Weil ich bereits in den Genuss von Fynns Grillkünste gekommen bin, freue ich mich umso mehr auf zu Hause. Den Abend auf unserem gar nicht mal so kleinen Balkon zu verbringen, ist genau das richtige, um den Tag ausklingen zu lassen. Ich schalte die Musikanlage aus und lösche die Lichter des Tanzraums. Im Studio ist nun Hochbetrieb. Fast alle Cardiogeräte sind belegt. Vor den Spiegeln im Kraftraum stehen aufgeplusterte Männer und stemmten stöhnend und ächzend ihre Gewichte. Tina kommt mir in neonfarbenen Trainingskleidern entgegen und grüßt mich mit einem Lächeln. In ein paar Minuten beginnt ihr Power Aerobic Kurs. Durch die geöffneten Fenster zieht warme Abendluft herein und gibt sich mühe gegen den typischen Studiogestank anzukämpfen. Frischer Schweiss und Reinigungsmittel - und wer weiß, wie viel die Sporties von ihren Eiweissshakes pupsen müssen. Ich winke Akuma zum Abschied zu, der hinter der Theke steht und einen Café Latte für eine hübsche Brünette zubereitet.

„Ah! Gut, dass ich dich erwische Sascha. Du hast Kundschaft.“

„Ich?“ Erstaunt bleibe ich stehen. „Kann nicht sein. Ich habe nur meine Tanzstunde gegeben.“ Ich gehe zu unserem Großen Terminplaner am Empfang. „Siehst du?“ Ich deutete auf meinen Namen und den dahinter eingetragenen Kurs im Buch. „Ich hab´ keine Schicht.“ Manchmal mache ich auch normale Schichten, in denen ich die Kundschaft betreue, Getränke ausschenke, blöde Fragen beantworte oder Probetrainings gebe. Super lächerlich, weil ich selbst nur einen Crashkurs in der richtigen Bedienung der Geräte bekommen habe. Ich kenne nur die Basics, tu aber so, als wüsste ich wie man gelenkschonend und effektiv trainiert. Wenn ich kann, überlasse ich solche Dinge meinen Kolleginnen und Kollegen, wie Akuma, der sowas wie Gesundheitsmanagement oder Fitnesstraining studiert.

„Jaja.“ Er serviert den Kaffee und kommt zu mir. „Der Typ hat vor einer Stunde angerufen und nach dir gefragt. Er hat eine Hovering gebucht.“

Ich stöhne genervt. „Maya und Katharina sind doch da. Ich hab´ Feierabend.“

Akuma hebt entschuldigend die Schultern. „Sorry. Der hat nach dir gefragt. Ich habe ja versucht ihm einen Termin für Ende der Woche zu buchen. Aber er hat auf heute bestanden. Es hat sich so angehört, als würdet ihr euch kennen und dass es für dich in Ordnung geht.“

Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu und grummle: „Keiner meiner Freunde würde mich zu einer extra Schicht nach Feierabend zwingen. Außerdem wissen die, wie schlecht ich in diesem Massagemist bin. Ruf ihn an und sag, ich sei schon weg.“ Ich bin fest entschlossen zu gehen.

„Geht nicht. Er wartet in der Lounge. Habe dir dafür schon alles vorbereitet und räum für dich auf. Versprochen.“

„Er ist schon da?! Dir sollte der Telefondienst entzogen werden. Du musst echt lernen Nein zu sagen…“, schimpfe ich drauf los, schultere meine Sporttasche und mache mich auf den Weg zum kleinen Wellnessbereich.

„Ich kann Nein sagen!“ Ruft er mir hinterher. Über die Schulter strecke ich ihm die Zunge heraus.

Wenigstens damit, ihn auf seine allseits bekannte Schwäche aufmerksam zu machen, konnte ich ihn ein bisschen ärgern. Nun aber ein paarmal tief durchatmen und ein Lächeln aufsetzen; von wegen Kundenservice und so. In meinem Ärger frage ich nicht einmal nach, wer mich um meinen entspannten Feierabend bringt. Überrascht bleibe ich vor meinem Kunden stehen. Es ist Nicola, der in einem der cremefarbenen Sessel sitzt, eine leere Tasse Kaffee neben sich und eines der ausliegenden Automagazine durchblätternd. Lächelnd steht er auf: „Hi.“

„Hallo“, erwidere ich. Gut, sehr gut. Meine Sprache gehorcht. Es wäre auch zu peinlich, wenn dieses Gespräch gleich verläuft, wie jenes auf der Party. Meine Synapsen haben Nicola wohl mit der grauenhaften Bowle verknüpft, was belegt, dass auch er kein Halbgott und nur ein normaler Mensch ist. Wenn auch ein sehr gut aussehender. Stopp! Das geht schon wieder in die falsche Richtung. Er ist so normal wie Fynn und Koaund ich muss aufhören diese Selbstgespräche in meinem Kopf zu führen. Ich gebe zu, mich ein bisschen zu freuen und es nicht mehr ganz so tragisch zu finden länger arbeiten zu müssen. Wobei, eine Sache wäre da noch: „Woher weißt du, wo ich arbeite?“ Ich lasse die lächelnde Service-Facette fallen. Das hier ist etwas anderes. Ich kenne ihn zwar nicht wirklich, er ist aber auch kein Kunde, der zu einem Fitnessabo überredet werden soll.

„Privatdetektiv“, gibt er zu und schiebt die Hände in seine Hosentasche. Vermutlich sehe ich etwas perplex aus. Er lacht: „Nein, Spaße. Viana hat auf der Feier etwas in die Richtung erwähnt und Fynn hat von diesem Hovering erzählt. Da dachte ich, ich probier’s auch mal.“

Mehr als ein „Ahja“ fällt mir auf die Schnelle nicht ein. Nicola hat sich auf der Party also mit Fynn und Viana unterhalten. Über mich. Fynn und Viana waren vor zwei Wochen zu einem Hovering gekommen. Das Fitnessstudio hatte sich diese Innovation erst vor kurzen angeschafft, so dass Freunde und Familie eingeladen waren, sich als Übungsexemplare zur Verfügung zu stellen. Das Besondere ist die Massageliege. Die Polsterung ist ein Gelkissen, welches auf die durchschnittliche Körpertemperatur beheizt wird und sich den individuellen Körperformen anpasst. So hat der Kunde das Gefühl zu schweben, statt zu liegen. Meine Arbeitskollegen und ich sind in unseren Pausen auch schon darauf eingeschlafen, denn es ist wirklich bequem. Mein Job besteht darin das Impulsgerät zu bedienen. Es wird hauptsächlich im Nacken und Rückenbereich bewegt und soll durch leichte elektrische Impulse Verspannungen lösen. Im Raum duftet es bereits nach Orangen und Tannen. Im Hintergrund plätschert ein kleiner Brunnen und von einer CD kommt Vogelgezwitscher, untermalt von leiser, entspannender Musik. Ich zeige Nicola die Umkleidekabine und kurze Zeit später liegt er oben ohne, in kurzer Sporthose auf der Liege. Interessiert begutachte ich seine verschiedenen Tattoos. Die geometrischen Formen, die mir auf der Party am Freitag bereits auf seinem linken Unterarm aufgefallen waren, finden sich als eine Wiederholung auf der rechten Seite seines Oberkörpers. Auch an den Beinen sind Motive zu finden. Ich mag Tattoos sehr gerne und bin meistens so frei, sie mir genau anzusehen. Selbst habe ich keines, da ich mich nie so richtig für eine Körperstelle entscheiden konnte und sich dauernd ändert, was mir gefällt. Diese dünnen Linien, die sich zu kleinen und großen Dreiecken und anderen Formen fügen gefallen mir richtig gut. Aber wer weiß, was mir nächstes Jahr gefällt.

„Was tust du hier genau?“ Seine Stimme klingt gedämpft, da das gepolsterte Kopfteil sein Gesicht umrahmt und er quasi zum Fußboden spricht. Ich starte das Impulsgerät.

„Ich gebe Tanzstunden.“

„Zumba?“

„Nein“, ich lache. „Jazz. Hiphop. Für Kids. Und manchmal muss ich eben auch sonst aushelfen. Aber das ist mehr ein lästiger Nebeneffekt.“ Erkläre ich und merke sofort, wie das ankommt. „Entschuldigung“, beginne ich zu erklären. „Ich meine, es ist natürlich nicht mein Ziel hier ewig als halbqualifizierte Trainerin auszuhelfen und Kunden mit schlechter Massage zu quälen. Dazu bin ich echt nicht ausgebildet.“ Ich habe lediglich einen Crashkurs belegt, was mein Chef für völlig ausreichend hält. Glücklicherweise werden die Kunden darauf hingewiesen, dass wir hier keine physiotherapeutischen oder medizinischen Massagen erteilen und diese lediglich der sanften Entspannung dient. In der Regel nutzen die Klienten diese halbe Stunde genau dafür, um sich nach dem Training und einem anstrengenden Arbeitstag etwas auszuruhen. Nicht zu reden. Nicht zu denken. Meistens bin ich froh darum, aber es ist auch irgendwie langweilig. Nicola hingegen scheint an Ruhe nicht interessiert zu sein. „Hm“, macht er. „Kein Grund sich zu entschuldigen. Was ist dann dein Ziel, wenn nicht hier zu arbeiten?“ Oh nein, wie ich diese Frage hasse. Diese Gespräche enden immer auf die gleiche Art und Weise. Wenn ich sage, ich möchte „Tanzen“ kommt immer dieselbe Frage: „Und sonst?“ Darauf habe ich keine Antwort. Ich weiß es einfach nicht. Die Leute sehen meine ambitionierten Geschwister; Mit klaren Zielen oder zumindest einem Studium, das einmal als solide Grundlage für einen erfolgreichen Job dient. Meine Tanzausbildung gehört in die Kategorie der Träumer und brotlosen Künstler. Davon kann man nicht leben, wenn man nicht zu den Top Artisten gehört, die Choreografien für die Dollie Sisters erfinden oder in die Showgruppe von Lupine aufgenommen werden. Weil mir die Frage auf den Keks geht, habe ich mir mittlerweile ein Antwortenspektrum zurechtgelegt. Zum Beispiel sage ich Dinge wie „Ich werde noch Medizin studieren um plastische Chirurgin zu werden“ oder „Ich trete einer Hilfsorganisation bei und bringe südamerikanischen Straßenkindern das Tanzen bei“ oder „Ich heirate einen Millionär, werde Hausfrau und schlafe mit dem Pool Boy“. Heute gebe ich jedoch eine ehrliche Antwort. „Erst Mal die Ausbildung an der RDA beenden und dann hoffentlich so viel Geld damit verdienen, dass ich das hier nicht mehr machen muss.“

„Hast du schon was in Aussicht?“

„Nein“, gebe ich zu. „Ist ja leider nicht so, dass man sich mal eben auf eine ausgeschriebene Stelle bewirbt und dann einfach in jeder Stadt einen Job bekommen könnte.“

„Und wenn du es dir aussuchen könntest?“, diese Frage ist neu. Ich überlege. Wirklich aussuchen ist so weit weg von der Realität. „Eigene Choreografien erarbeiten wäre nice. Aber eben selbst auch auf der Bühne stehen und performen. Aber in der Realität wird es so sein, dass ich machen muss, was mir angeboten wird. Und wenn ich irgendetwas angeboten bekomme, das entfernt damit zu tun hat auf der Bühne zu stehen, kann ich schon von Glück sprechen.“

„Nur nicht aufgeben.“

„Das sagen nicht viele“, meine ich und wieder lacht er leise.

„Viele suchen sich eben auch nur Ziele aus, die leicht zu erreichen sind. Damit sind sie auf der sicheren Seite.“ Als Musiker weiß er wohl nur zu gut, wovon er spricht. Er fragt und fragt. Als es an die Tür klopft, weiß er über meine Tanzausbildung und Lieblingsclubs Bescheid und kennt sowohl meine Schuhgröße als auch den Inhalt des Traums von letzter Nacht. Akuma steht vor der Tür: „Alles klar?“

„Ja, wieso?“

„Du bist schon fast eine Stunde da drin“, flüstert er. „Und dafür, dass du es vorhin so eilig hattest nach Hause zu kommen… Na ich hab´ mich halt gewundert und dachte schon, ich hab´ dich vielleicht einem verrückten Killer ausgeliefert.“ Tatsächlich habe ich gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verging. Als ich mich wieder Nicola zuwende, hat er sich aufgesetzt und blinzelt mir aus seinem zerknautschten Gesicht zu. „Sorry, ich habe dich um deinen verdienten Feierabend gebracht. Hattest du noch Pläne für heute Abend?“ Ich zucke mit den Schultern. So schlimm finde ich es nun auch wieder nicht. „Ach, kein Ding. Vivi und Fynn haben gegrillt. Vielleicht schmeißt Fynn den Grill noch mal für mich an oder sie haben mir was übriggelassen.“

„Wie wär’s, wenn wir stattdessen noch etwas Essen gehen? Ich lade dich ein. Als Wiedergutmachung, sozusagen.“

Ich fange an zu lachen. Jetzt ist er derjenige, der irritiert aus der Wäsche schaut. „Lachst du mich aus?“

Ich schüttle den Kopf. „Nein. Ich wurde nur noch nie von jemanden mit so zerknautschtem Gesicht zum Essen eingeladen. Außerdem habe ich eine Dusche dringend nötig und nur Sportklamotten dabei – nicht das richtige, um Essen zu gehen. Aber trotzdem danke.“

„Und ich sehe bestimmt aus wie ein Mopsgesicht. Ist doch egal. Wenn´s dir um die Klamotten geht, lass ich meine Shorts an.“

Einen Augenblick überlege ich, dann bestehe ich darauf, wenigstens vorher zu duschen und beeile mich, ihn nicht zu lange warten zu lassen. Wenig später hat Nicola uns in seinem schicken silbernen Mercedes zu einem kleinen, gut versteckten Italiener am Stadtrand gefahren. Das Restaurant ist nicht weit vom Fitnessstudio entfernt und liegt quasi auf meinem Arbeitsweg, aber trotzdem ist es mir noch nie aufgefallen. La Bottega steht auf einem nostalgischen Schildchen über der Tür.

„Es gibt Lokale, da geht man hin, um gesehen zu werden. Und dann gibt es solche, wie dieses, in welchem man seine Ruhe hat. Das wirst du auch noch merken, wenn du mal eine berühmte Tänzerin bist“, er hält mir die Tür auf. Im Vorbeigehen werfe ich ihm einen Blick von der Seite zu und warte auf ein Zwinkern oder irgendein anderes Zeichen, das mir signalisiert, dass er sich nun doch lustig über mich macht.  Aber da ist nichts. Stattdessen lotst er mich geschickt zu einem kleinen Tischchen am hinteren Ende des Raums. Alles hier ist unauffällig und heimelig. Die Einrichtung aus Holz, die Schwarzweißfotografien von italienischen Olivenplantagen, Marktszenen und Küstendörfern, der kleine Steinofen der offenbar nicht mehr in Betrieb ist. Sofort ist ein kleiner, dicker Italiener mit zwei Speisekarten zur Stelle, zündet die einzelne Kerze in der Mitte des Tisches an und rattert dabei alle Gerichte herunter, welche nicht auf der Karte zu finden sind.

„Wein?“, fragt mich Nicola und gibt nach meinem zustimmenden Nicken eine Flasche Rotwein und stilles Wasser in Auftrag. Der Italiener grummelt etwas Unverständliches und geht. „Seine Frau ist die Köchin“, erklärt mein Begleiter. „Sie macht die weltbeste Pasta. Alles selbst.“ Also bestellen wir Pasta, ganz klar. Als Vorspeise bekommen wir frisch gebackene Piadina und dazu eine Auswahl an Antipasti. Bereits während der kurzen Autofahrt unterhielten wir uns gut. Über alles Mögliche. Nico, wie er von Freunden und Familie genannt wird, fragt mich weiter über meine Ausbildung aus und erzählt, welche Anfangsschwierigkeiten Oblivion gehabt hatte, bis ihnen der Durchbruch gelang. Wir amüsieren uns aber auch wiederholt über die Bowle und er zeigt mir ein Handyvideo, das am Ende der Feier entstanden war. Paddy versuchte einen seiner Gäste loszuwerden, der stöhnend und jammernd auf dem Sofa lag – nahe am Alkoholkoma. Immer wieder dreht sich Paddy zur Kamera um und schimpft lauthals über „das verdammte Gesöff“ und droht mit Konsequenzen für die Hersteller, sollte er auch nur irgendwo in der Wohnung eine Kotzpfütze entdecken. Wir tanzen von einem Thema zum anderen. Nur wenige Momente schweigen wir und hören der im Hintergrund laufenden italienischen Musik zu. Ich drehe mein Weinglas zwischen den Fingern und fühle mich rundum wohl. Der Wein und die gute Vorspeise sorgen für pures Wohlbehagen und das Ambiente lullt uns völlig ein. Außer uns sind nur wenige weitere Gäste in dem kleinen Lokal. Da sich vielleicht jeder auf so engem Raum irgendwie beobachtet fühlt, unterhält man sich nur sehr leise. Nur an einem Tisch sitzen vier Frauen, die immer wieder in schallendes Gelächter ausbrechen, sich dann aber peinlich berührt die Hand vor den Mund halten und leise weiter kichern. Nico erzählte, wie überrascht er und die drei anderen Jungs der Band gewesen waren, als Fynn plötzlich mit Viana aufgetaucht war. Dass sie sich aber auch alle einig sind, dass die beiden ein gutes Paar abgeben. „Fynn ist echt anständig“, erklärt er. „Wahrscheinlich einer der anständigsten Typen die man finden kann.“ So anständig und nett, dass es ihm oft schon wieder schwerfällt, jemanden zu finden. Weil seine stille, rücksichtsvolle Art mit Schüchternheit verwechselt wird. Wenn er sich also jemandem öffnet, dann will das schon was heißen. Und dann bedeutet es auch, dass es ihm verdammt ernst ist. „Das heißt, ich kann schon mal anfangen die Hochzeit zu planen?“, scherze ich. Nicola grinst und nickt. „Viana ist auch so. Die hat so eine gigantisch hohe Messlatte, was Männer betrifft - wenn sie sich mal auf einen einlässt, dann muss das was Ernstes sein.“

„Und du?“ Ein neugieriger Schimmer spiegelt sich in seinen Augen.

„Ich? Ich habe keine Ansprüche an Männer. Da sind die Chancen jemanden zu finden viel zu gering und meine Angst davor, irgendwann allein und verbittert zu sterben zu groß.“ Ich lege so viel Ernst wie möglich in meine Stimme und bin froh, dass Nico den Scherz versteht und lacht. Nun fragt er direkt nach Aiden und ich erzähle ihm, wie ich meinen Freund vor drei Jahren auf einer privaten Feier unter Freunden kennengelernt hatte. Dass er Jura studiert und in der Kanzlei jobbt, um sein Studium zu finanzieren. Die Erinnerung ans Wochenende lasse ich weg. Den Samstag hatte er mit seinen Jungs im Stadion verbracht. Anschließend an das Fußballmatch war der Besuch im Pub ein Obligatorium. Daraufhin war Aiden am Sonntag erst am frühen Nachmittag aufgestanden. Als Mitbringsel des vergangen abends trug er ein paar aufgeschrammte Fingerknöchel, eine dunkelviolette Prellung auf dem rechten Rippenbogen und ein paar blassere Blessuren verteilt auf verschiedenen Körperstellen. Ich fragte gar nicht erst nach, was passiert war und vermute eine Kombination aus Alkohol und Begegnung mit Fans der gegnerischen Mannschaft. Ich denke lieber nicht weiter darüber nach.

„Scheint ja ein ganz anständiger Typ zu sein“, fasst Nico zusammen. Nach diesem ausführlichen Bericht meinerseits, interveniere ich noch bevor er eine weitere Frage über mein Leben stellen kann: „Wieso reden wir die ganze Zeit über mich? Erzähl mal was von dir, das ich nicht auf Google finden kann.“

„Du hast mich gegoogelt?“ Belustigung spielt mit seinen Gesichtszügen und ich glaube, dass ich ein bisschen erröte. Hoffentlich fällt das in diesem schummrigen Licht nicht auf. „Klar hab´ ich die Band gegoogelt. Ich muss doch wissen, mit wem sich meine Schwester so abgibt“, gebe ich meine Recherche betont lässig zu. Er muss ja nicht wissen, dass ich am Wochenende etwas gezielter nach ihm recherchiert habe. Ich fand ein paar Interviews, die ich mehr überfolgen als wirklich gelesen habe. Zahlreiche Fanposts mit Steckbriefen und Fotos – das fand ich sehr lustig, weil ich mich daran erinnerte, wie ich als Teenie total fasziniert von manchen Promis war – einen Wikipediaeintrag der in etwa gleich aussagekräftig wie die Fanbeiträge war und unzählige Fotos. Schlussendlich folgte ich ihm auch einfach auf Social Media, so wie der Band im Allgemeinen und seinen Bandkollegen.

„Hast du am Freitag schon gewusst, wer ich bin?“

Statt einer Antwort zucke ich nichtssagend mit den Schultern. „Du lenkst vom Thema ab. Erzähl was, wovon das Internet nichts weiß.“

Er sieht ganz glücklich aus, dass in diesem Moment das Essen kommt. Und einen Augenblick bin auch ich von diesem fantastischen Leckerbissen abgelenkt, doch ich lasse nicht locker. Es ist an der Zeit für einen Informationsgleichstand. Auch wenn wir viel geredet haben, richtig persönlich ist es bisher nur bei mir geworden. „Also? Wer bist du, wenn du nicht Popstar bist?“

„Du bist echt hartnäckig.“

„Das ist nur fair. Ich hab´ dir sogar erzählt, was ich letzte Nacht geträumt habe. Drei Dinge, die die Welt nicht über Nicola O´Mara weiß.“

„Ja gut“, lacht er. „Puh. Also, erstens: Ich bin kein Popstar.“

„Ach nein?“ 

„Nein. Ich bin Musiker. Popstars sind die gecasteten Sternchen ohne Charakter, die zu allem Ja sagen und nichts selbst können müssen, außer ein nettes Stimmchen zu haben.“

„Von mir aus“, stimme ich zu. „Als persönlicher Fakt zählt das aber trotzdem nicht.“

„Okay. Wie ist es damit: Ich telefoniere mindestens einmal pro Woche mit meiner Mutter. Ich bin ein richtiges Mamasöhnchen.“

„Grenzwertig, aber akzeptiert.“

„Mal sehen – was noch – In Frankreich habe ich momentan keine Fahrerlaubnis.“

Ich ziehe eine Augenbraue nach oben. „Wie das?“

„Eigentlich, kann ich nichts dafür“ beteuert er. „Wir waren auf Promotour in Deutschland. Weil sich die Gelegenheit bot, beschloss ich die neue S-Klasse von AMG Probe zu fahren. Koa und Ben waren dabei. Wir waren so schnell über der Grenze und in Frankreich, dass wir das gar nicht richtig realisiert haben. Eben waren wir noch in Deutschland ohne Geschwindigkeitsbegrenzung und in Frankreich dann mit fast 100km/h zu viel.“

Mein Mund klappt auf. „Wie kann man denn 100km/h zu schnell fahren, ohne es zu merken?“

„Es war schon ziemlich spät, kaum noch was los auf der Autobahn. Wir haben einfach nicht mehr dran gedacht, als die Straße vor uns frei war. Der Typ vom Autohaus hat schon extra eine Ausnahme gemacht, dass ich um die Zeit noch eine Fahrt machen konnte. Hat dann allerdings auch noch zusätzlich zur Verkehrsstrafe was gekostet, weil ich mit dem Auto das Land verlassen habe. Wenigstens konnten wir uns noch ein paar Croissants holen.“ Er lacht und ich lache mit, weil er es so erzählt, als sei es ein Riesenspaß gewesen.

„Hat es sich also gelohnt?“

„Allerdings. Ich habe das Auto bestellt. Dauert allerdings noch eine Weile, bis es geliefert wird.“

„Ich denke,“ mit den aufgedrehten Nudeln deute ich auf ihn, „du bist ein bisschen verrückt.“

„Ja, das kann sein. Sonst wäre es aber auch irgendwie langweilig, oder?“ Nun überlegt er eine Weile. Dreht ein paar Spaghetti auf die Gabel und trinkt einen Schluck Wein. „Drei Dinge wolltest du wissen, richtig?“ Ich nicke und er denkt weiter nach. „Ich glaube,“ fährt er dann fort, „ich war mal so was wie tot. Oder fast tot.“

„Wie das?“ Ich halte ihn weder für esoterisch noch abergläubisch oder für einen Spinner und bin gespannt, was für eine Geschichte mir jetzt aufgetischt wird.

„Überdosis.“

„Wovon?“ Auch für einen Junkie halte ich ihn nicht. Obwohl es auch nichts Neues ist, wenn Stars und Sternchen wegen illegalem Drogenkonsum vor Gericht oder in einer Entzugsklinik landen.

„Naja, im Grunde weiß ich es nicht genau. Ich dachte, ich nehme MDMA. Die Wirkung war nicht ganz wie erwartet.“

„Und davon hat niemand etwas mitbekommen?“

Er schüttelt den Kopf. „Das war noch relativ früh, bevor wir als Band wirklich bekannt waren. Ben und ich waren in Belgrad. Nur zum Feiern. Durch die ersten kleinen Erfolge, die wir hier im Land hatten, haben wir es manchmal ziemlich übertrieben. Jedenfalls war ich plötzlich weg. Das war dann das letzte Mal, dass irgendeiner von uns irgendetwas Synthetisches konsumiert hat. Deine Pasta wird kalt.“ Ich merke, dass ich aufgehört habe zu essen und pieke eine Cherrytomate auf. Mit sowas habe ich wirklich nicht gerechnet. „Wie ist das denn?“, frage ich weiter.

„Wie ist was? Ecstasy?“ Er schenkt uns Wein nach. Ich schüttle den Kopf. „Tot oder fast tot zu sein?“

„Keine Ahnung. Da war einfach nichts. Kein Licht oder was man so hört. Und mein Leben lief auch nicht in einem Schnelldurchlauf an mir vorbei. Es war einfach…nichts. Oder ich erinnere mich nicht daran. Eben hatte ich noch gefeiert und im nächsten Moment lag ich in einem sterilen Krankenhaus.“

„Hattest du keine Angst? Ich glaube ich hätte Panik.“

„Na in dem Moment selbst nicht. Danach ist es schon ziemlich grusselig, wenn dir bewusstwird, wie schnell es vorbei sein kann.“

„Und hast du dadurch dein Leben verändert?“