Worauf es ankommt - Uwe Böschemeyer - E-Book

Worauf es ankommt E-Book

Uwe Böschemeyer

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Beschreibung

Immer mehr Menschen erleben heute ein Dasein ohne Werte und ohne Sinn, Krankheiten an Körper und Seele nehmen zu. Der Psychotherapeut Uwe Böschemeyer, ein Schüler Viktor E. Frankls, hat das Konzept der »wertorientierten Persönlichkeitsbildung« entwickelt, das vor allem zeigt, wie wichtig Werte sind für Glück und Selbstvertrauen im Leben. Er erklärt anhand aktueller Lebensthemen sein Konzept und macht es in seinen praktischen Folgen deutlich. Seit Jahren hilft er damit Menschen in der Sinnkrise, den Weg zu sich selbst und zu einem bejahenden Leben zu finden.

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www.piper.de

 

ISBN 978-3-492-97629-9

© Piper Verlag GmbH, München 2003

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: Haunreiter/Mauritius Images

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Cover & Impressum

Zitate

Vorwort

Einführung in die Wertorientierte Persönlichkeitsbildung

Das Kernproblem unserer Zeit

Was ist Geist?

Was sind Werte?

Was ist existenzielle Frustration und wie wirkt sie sich aus?

Existenzielle Frustration, Leid und Krankheit

Viktor E. Frankls Neuansatz

Wertorientierte Persönlichkeitsbildung

Die »Dimension der Tiefe« und ihre Bedeutung

Werte, die das Unbewußte kennt

Exkurs: Was sind Wertimaginationen?

Zwanzig wertvolle Erfahrungen der inneren Welt

Wertverwirklichung in der Praxis

Wer ist der Mensch?

Achtzehn Aspekte

Anregungen zur Vertiefung

Von der Voraussetzung, gegenwärtig leben zu können

Die Macht der alten Bilder

Versöhnung mit der Vergangenheit

Widerstände gegen das Vergangene loslassen

Typologische Unterschiede im Umgang mit der Vergangenheit

Wege, das Vergangene sein lassen zu können

Eltern sind nicht an allem schuld – Von der Möglichkeit der Selbstverantwortung

Die Legende von der Allverantwortlichkeit der Eltern

Selbst Eltern sind dem Gesetz der Polarität unterworfen

Zu wenig beachtet: Jeder Mensch hat auch einen Typus

Jeder Mensch ist frei und verantwortlich

Gedanken zur Vertiefung

Warum wir nicht tun, was wir wollen – Vom Inneren Gegenspieler

Was es bedeutet, sich selbst abzulehnen

Die Gründe für Selbstablehnung

Die allgemein menschlich bedingte Selbstablehnung

Die typologisch bedingte Selbstablehnung

Die lebensgeschichtlich bedingte Selbstablehnung

Die selbstverantwortete Selbstablehnung

Gibt es schicksalsbedingtes Nicht-Wollen?

Wege zum Sinn

Was ist Sinn?

Die unbeantwortbare Frage nach Sinn

Sinn kann nicht erdacht – er muß gefunden und erlebt werden

Sinn kann jeder nur für sich finden

Sinn betrifft den ganzen Menschen

Sinn ist in allen Lebensbereichen zu finden

Sein Wesen entfalten

Wer neuen Sinn will, kann alte Erinnerungen wecken

In die »Wüste« gehen

Die innere Welt kennenlernen

Barrieren beseitigen

Nicht ausweichen

Bei sich beginnen

Anderen und Anderem begegnen

Hier und heute ist Sinnerfahrung möglich

Wünsche sind Lotsen zum Sinn

Die Lust an der Verantwortung entdecken

Liebe ist die tiefste Sinnerfahrung

Sinnerfahrung trotz Leiderfahrung

Dem Seinsgrund näherkommen

Fragen, die Zugänge zu Wert und Sinn öffnen können

Exkurs: Worauf soll man hoffen? Ein Brief an einen jungen Freund nach dem 11. September 2001

Wege zum Glück

Was ist Glück?

Sich selbst erfahren

Offen bleiben

Herausforderungen annehmen

Sehen lernen

Sein »kleines Ich« überschreiten

Das innere Kind aufleben lassen

Versöhnungstag

Bestimmte Träume leben

Spielen

Ist das so wichtig?

Vieles leichtnehmen

Im Gleichgewicht bleiben

Lust entwickeln

Lachen

Humor

Dankbarkeit

Begeisterung für das Leben entwickeln

Wege zum Selbstvertrauen

Was ist Selbstvertrauen?

Mangel an Selbstvertrauen – ein allgegenwärtiges Problem

Weitere Ursachen und Gründe des Mangels an Selbstvertrauen

Die Sehnsucht nach Selbstvertrauen entdecken

Erschütterung und Empörung aufkommen lassen

Selbsterkenntnis suchen

Standfest werden

Qualitätsgefühl entwickeln

Gelassenheit entwickeln

Vertrauen ins Leben suchen

Ichbezogenheit überwinden

Aufgaben annehmen

Kein Mensch gleicht einem anderen

Bedingungsloses Angenommensein

Es gibt auch Grund zum Jubel

Überwindung von Streß

Streß und seine Auswirkungen

Wie entsteht Distreß?

Distreß durchschauen

Prioritäten und Ziele

Nichts darf »alles« sein

Die Sorge vermindern

Mehrdimensionales Denken

Geduld wachsen lassen

Sich auf den Tag vorbereiten

Sich auf die Nacht vorbereiten

Sich entspannen

Weitere konkrete Hinweise

Exkurs: Brief an einen gestreßten Ehemann

Überwindung von Lebensangst

Lebensangst in dieser Zeit

Die Wirkungen der Angst

Sich der Angst stellen

Ängste differenzieren

Sich entspannen

Angstauslösende Situationen aufsuchen

Von der Trotzmacht des Geistes

Mut entwickeln

Es gibt Wichtigeres als die Angst

Mit der Angst nicht eins werden

Die Nähe von Menschen suchen

Angst vor Menschen überwinden

Angst ist nicht in der Liebe

Man muß nicht jede Angst überwinden

Überwindung von Niedergeschlagenheit

Nicht jede Niedergeschlagenheit ist eine Depression

Ursachen und Gründe von Niedergeschlagenheit

Fast jede Krise ist eine Gunst

Vitalisierung des Körpers

Umstände ändern

Gedanken sind Mächte

Phantasien können Flucht und Hilfe sein

Es gibt auch die gute Traurigkeit

Zorn macht frisch

Grenzen akzeptieren

Worauf sehe ich?

Nicht zu viel klagen

Einfache Hilfen können einfach helfen

Verlassen werden – zu sich selbst kommen

Hoffnungen nach der Trennung

Die Krise – Gefährdung und Chance

Der Verlassene und das soziale Umfeld

Sich den Gründen der Trennung stellen

Sich das Scheitern eingestehen

Die Intensität des gelebten Lebens zählt

Sich nicht auf die Not fixieren

Kein Mensch ist Besitz eines anderen

»Fehler« in der Trennungszeit

Mensch und Partner

Voraussetzungen für einen Neubeginn

Umgang mit Unabänderlichem

Plädoyer für Versöhnung nach der endgültigen Trennung

Bedingungen für ein gelingendes Gespräch

Das wertorientierte Gespräch

Worte können wirken

Grundlegendes für ein wertorientiertes Gespräch

Voraussetzungen für ein wertorientiertes Gespräch

Sich auf ein wichtiges Gespräch vorbereiten

Fragen und Gedankenanstöße

Das »dichte« Gespräch

Beispiel für ein idealtypisches wertorientiertes Gespräch

Erfreuliche Aspekte des Alters

Zwei Sichtweisen des Alters

Leistungsveränderung und Leistungsverfall

Licht im Dunklen?

Der eigene Wert des Alters

Loslassen

Sinnvolles Leben trotz Beendigung des Berufslebens

Mit der Zeit gehen

Jede Gegenwart birgt Sinn in sich

Hilfreiche Vorstellungen

Der gereifte Mensch

Bedenken, daß wir sterben müssen

Anhang: Brief an einen süchtigen Freund

Einführende Gedanken

Du bist mehr als dein Problem

Die Sucht und ihre Faszination

Das Sinnlosigkeitsgefühl als Grund der Sucht

Die Sucht als Hauptsache

Der schwere Abschied von der Sucht

»Innerer Gegenspieler« und »Innerer Verbündeter«

Sind Süchtige Opfer?

Willst du gesund werden?

Verdräng nicht mehr

Lust am Leben?

Selbstmitleid und Mitgefühl mit sich selbst

Ungelebtes Leben

Mitgefühl mit sich selbst löst neue Ideen aus

Den Mut wiederfinden

Lohnt es sich, gesund zu werden?

Was wäre, wenn du frei wärest?

Zum Schluß

Anmerkungen

Literatur

Informationen

Zitate

Keine Zeit hat so viel und so Mannigfaltiges vom Menschen gewußt wie die heutige – und keine Zeit wußte weniger, was der Mensch sei, als die unsrige.

(Martin Heidegger)

 

Das Wissen, die intellektuelle Beherrschung, nimmt ständig zu. Das Begreifen aus dem Ganzen heraus wird immer schwächer. Das Wissen wächst, die Weisheit wird weniger.

(Romano Guardini)

 

Wir müssen heute fürchten, daß der Mensch die Weisheit nicht hat, seine eigene Intelligenz zu steuern, daß er also zu töricht ist, seine Klugheit vor Torheit zu bewahren. Er muß endlich lernen, Weisheit zu gewinnen, statt seinen Verstand anzubeten und ihm hirnlos zum Opfer zu fallen.

(Jörg Zink)

 

Wir leben im Zeitalter der Überarbeitung und der Unterbildung; das Zeitalter, in dem Menschen so fleißig sind, daß sie verdummen.

(Oscar Wilde)

 

Das spezielle Problem unserer Zeit ist aber das des Menschen selbst; das Problem der Rettung der menschlichen Persönlichkeit vom inneren Zerfall, das Problem der Bestimmung und der Berufung des Menschen.

(Nikolai Berdjajew)

 

Ohne eine feste Vorstellung davon, wozu er leben soll, wird der Mensch gar nicht leben wollen, und er wird sich eher vernichten, als daß er auf Erden leben bliebe – selbst dann nicht, wenn um ihn herum Brote in Fülle wären.

(Fjodor Michailowitsch Dostojewski)

Vorwort

Wanderungen haben Ziele. Ziele muß man kennen, wenn man ankommen will. Wer keine Ziele kennt oder sie aus den Augen verliert, kann in Not geraten. Auf manchen Wanderungen stellen sich uns Hindernisse und Widerstände in den Weg. Sie fordern uns heraus, sie zu beseitigen oder zu umgehen, damit wir unseren Weg fortsetzen können. Auf keinen Fall aber darf die Beschäftigung mit den Hindernissen dazu führen, daß wir unser Ziel aus dem Blick verlieren.

Mit unserem Leben, das einer Wanderung gleicht, ist das nicht anders. Die Ziele im Leben nenne ich Werte. Werte sind Gründe für Sinn. Und nichts ist wichtiger als die Erfahrung von Sinn. Deshalb ist die Suche nach Sinn das Menschlichste im Menschen.

Die Widerstände auf dem Weg zur Sinnerfahrung nenne ich Sinnfindungsbarrieren. Manche von ihnen liegen in der äußeren, die meisten jedoch in der inneren Welt. Manche der inneren Widerstände sind neurotisch und daher krankhaft zu nennen, viele dagegen menschlich, weil sie Ausdruck des Mangels an Sinnerfahrung sind. Wer auf seinem Lebensweg solche Barrieren vorfindet, ist daher herausgefordert, seinen Weg freizumachen. Wichtiger noch ist es, auf seine Ziele und Werte ausgerichtet zu bleiben.

Sucht nicht jeder Mensch seine eigenen Ziele und Werte? Ich spreche nicht von verordneten Werten, die in Büchern nachzulesen sind, sondern von denen, die unsere eigene Seele kennt. Denn sie kennt »Gründe zum Leben, die der Verstand nicht kennt« (Pascal). Die Seele kennt diese Gründe? Ja, denn die Pfade der Seele sind nicht nur dunkel, sondern auch hell.

In diesem Buch ist weniger von ihren Abgründen die Rede, mehr von ihrer Mitte, dem »unbewußten Geist«, den der berühmte Wiener Psychiater und Neurologe Viktor E. Frankl als Dreh- und Angelpunkt seines Menschenbildes gesehen hat. »Unbewußter Geist« meint das jedem Menschen potentiell zugängliche Wissen von den großen und kleinen Zusammenhängen des eigenen und des großen Lebens. Er ist die Quelle jener Wertgefühle, die ein sinnvolles Leben ermöglichen. Darüber hinaus stellt er das stärkste Energiezentrum dar, zu dem wir Zugang haben können.

Haben wir Zugang zu diesem Zentrum, dann haben wir Zugang zu uns selbst. Haben wir Zugang zu uns selbst, dann bilden wir unsere Persönlichkeit weiter. Bilden wir unsere Persönlichkeit weiter, dann haben wir die besten Voraussetzungen für ein starkes Leben.

Diese Gedanken werden in der Einführung des Buches entfaltet. Sie stellen zugleich die Grundlagen eines neuen »dritten Weges« neben Psychotherapie und Lebensberatung dar, der gesunden Menschen behilflich sein soll, den Weg zu sich und zu einem bejahenden Leben in dieser Zeit zu finden. Diesen »dritten« Weg – ich nenne ihn »Wertorientierte Persönlichkeitsbildung« – brauchen wir dringend, denn wir leben in einer »Epoche grandioser Unübersichtlichkeit der geistigen Strömungen, die gegeneinander wirken und nebeneinander herlaufen.«[1]

 

Im Hauptteil werde ich eine Reihe wichtiger Themen aus der »Schule des Lebens« behandeln. Diese »Schule« ist Teil des Konzepts der Wertorientierten Persönlichkeitsbildung und findet in der Praxis in Seminaren statt. Die beglückenden Reaktionen auf die bisherigen Veranstaltungen waren Anlaß, einige ihrer wichtigsten Inhalte zu veröffentlichen.

Teile dieses Buches hatte ich zunächst bei »Books on Demand« erscheinen lassen. Die Weiterentwicklung des Gesamtkonzeptes machte allerdings so rasche Fortschritte, daß ich an eine Neuauflage denken konnte. Einige Abschnitte sind geblieben, jedoch gründlich überarbeitet und ergänzt worden, andere sind neu hinzugekommen.

 

Vorläufer dieser »Schule« waren »Leben-lernen-Seminare«, die ich in den achtziger Jahren im »Hamburger Institut für Existenzanalyse und Logotherapie« hielt. Sie waren thematisch und zeitlich weniger intensiv als die heute laufenden Veranstaltungen. Am Ende eines dieser Seminare bat ich die Teilnehmer um Rückmeldungen. Einige wenige davon möchte ich wiedergeben:

 

Das Seminar bringt Bewegung in mein Leben, denn es hilft mir, Zusammenhänge des Lebens zu erkennen. – Es hat mich angespornt, geistig zu arbeiten. – Dinge, die ich gehört habe, kann ich ausprobieren und anwenden. – Viele Ängste habe ich abgelegt. – Ich habe gelernt, »ja« zum Leben zu sagen. – Liebe, Glaube, Hoffnung, wenn diese Fragen sterben, dann stirbt auch die Welt. Das habe ich begriffen. – Das Seminar hat meine pseudo-intellektuelle Distanz zum Leben erschüttert, weil ich in diesem Seminar über urmenschliche Anliegen als ganzer Mensch betroffen und angesprochen wurde. – Leben geht! Trotz oder gerade wegen meiner Sorgen. – Ich habe mich verändert. – Das Seminar ist eine »Präventivmaßnahme«, die mir hilft, gar nicht erst in ein neurotisches Leben hineinzugeraten.

Ermutigt zur Gründung einer »Schule des Lebens« wurde ich auch von C. G. Jung, der mehrfach »Schulen für Erwachsene« forderte. So sagte er z.B. am 17. Juli 1960 in einem Interview mit der Londoner »Sunday Times« anläßlich seines nahenden 85. Geburtstages: »Wir geben uns alle Mühe, den jungen Menschen eine Ausbildung zu geben, die ihnen den Aufbau einer erfolgreichen sozialen Existenz ermöglicht. Diese Art der Ausbildung behält ihre Gültigkeit, ihren Wert bis ungefähr zur Lebensmitte. … Wir haben aber heute die Chance, doppelt so lang zu leben wie früher, und die zweite Lebenshälfte weist bei vielen Menschen eine Struktur auf, die sich von Grund auf von der ersten unterscheidet. Aber diese Tatsache bleibt vielen unbewußt. … Wenn aber die verhängnisvolle Zeit um das vierzigste Lebensjahr erreicht ist, beginnt man Rückschau zu halten, und stumme Fragen drängen sich immer mehr auf …«[2]

 

Ich hoffe allerdings, daß nicht nur Ältere die »Schule des Lebens« lesen oder besuchen werden, denn die zunehmende Orientierungslosigkeit betrifft inzwischen Erwachsene jedweden Alters.

 

Ich habe dieses Buch für Menschen geschrieben,

die ihre Persönlichkeit weiterbilden wollen,

die wissen möchten, was Werte sind und wie sie sie leben können,

die Hunger nach Sinn haben,

die Leben tiefer verstehen möchten,

die neu beginnen müssen,

die nach einem günstigen Umgang mit Krisen suchen,

die möglichen Erkrankungen vorbeugen wollen,

die mit Menschen arbeiten und für neue Anregungen offen sind.

 

Noch drei Bemerkungen:

An einigen Stellen des Buches werden Sie Wiederholungen finden. Da jedoch die Seele in ihrer Vielfalt nicht teilbar ist und manche Aspekte für mehrere Themen bedeutsam sind, ließen sich die Wiederholungen nicht vermeiden.

Auf vielen Seiten ist von »er« und »ihm« die Rede. Selbstverständlich meine ich damit den Menschen, die Frau und den Mann.

Frankl folgend schreibe ich existenziell mit»z«.

Einführung in die Wertorientierte Persönlichkeitsbildung

Das Kernproblem unserer Zeit

In keiner Zeit haben Menschen so vielfältige Veränderungen erfahren wie in unserer. Die Veränderungen beglücken und bedrücken uns. Wir sind Zeugen einer rasant verlaufenden technologischen Entwicklung, eines umfassenden Wandels unserer Gesellschaft in eine »Informationsgesellschaft«, einer Internationalisierung des Lebens, einer radikalen Veränderung in der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Diese und andere Entwicklungen sind eine nie dagewesene Herausforderung, Leben neu zu begreifen und sich neu darauf einzustellen. Darüber hinaus hat der 11. September 2001, an dem die Türme von New York fielen, das Daseinsgefühl der Menschen weltweit verändert. Unverhohlener denn je zieht die Angst mit ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen durch die Länder. Die Träume sprechen davon eine deutliche Sprache.

Mit dieser Entwicklung geht einher – wie sollte das anders sein? – ein tiefgreifender Wandel des Werteverständnisses. Nicht wenige bedauern einen Werteverlust. Sie beklagen, das fand das Allensbacher Institut[3] heraus, den Verlust der Bindung an die Religion, den Mangel an Anerkennung von Normen, Hierarchien und Autoritäten, den Verlust traditioneller Tugenden wie z.B. Höflichkeit, Ordentlichkeit, Sauberkeit, Sparsamkeit, den Mangel an Gemeinsinn und die sinkende Bereitschaft zu politischem Engagement. Gleichzeitig entwickelt sich eine Freizeitmentalität (Freizeit statt Leistung) und wachsen die Ansprüche an den Staat.

Andere dagegen sprechen fast euphorisch vom Wertewandel, von neu gewachsenen Werten, vom Wachsen der Bereitschaft, sich auch außerhalb der politischen Parteien, etwa in Bürgerinitiativen, zu engagieren, von der zunehmenden Toleranz gegenüber Randgruppen, von der Zunahme kreativer Selbstentfaltung, von zunehmendem Selbstbewußtsein der Menschen und ihren Tendenzen zur Emanzipation, von sich verbreiterndem Interesse an der Kultur, von wachsender Hilfsbereitschaft.

 

Was ist das Kernproblem dieser Zeit? Sind es die vielfältigen Veränderungen selbst? Ist es die Angst als Folge der Veränderungen oder gar die vor neuen Terroranschlägen? Was bedeutet es, daß Menschen mehr denn je Fragen stellen wie diese: Welche Werte gelten (noch)? Wie finde ich Sinn für mein Leben? Wonach kann ich mich richten? Welche Wegweiser für Leben gibt es? Wie kann ich in dieser Zeit leben? Wie kann ich eine veränderte Beziehung zu dem sich verändernden Leben finden?

 

Der Wiener Psychiater und Neurologe Viktor E. Frankl, der sich wie kein anderer Seelenarzt des 20. Jahrhunderts mit der Sinnfrage befaßte, sah als Kernproblem dieser Zeit weder die Umwälzungen selbst noch die daraus resultierende Angst, sondern die »existenzielle Frustration« – als Folge »eines weltweit um sich greifenden Sinnlosigkeitsgefühls«[4]. Angebahnt wurde diese Entwicklung seiner Auffassung nach vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die in der Biologie, Psychologie und Soziologie sich ausbreitende Tendenz, das Menschenbild um die geistige Dimension zu reduzieren. Diese Reduzierung führte, so Frankl, zunächst zum »gelehrten Nihilismus«, dann zum »gelebten Nihilismus«[5]. Nihilismus aber bedeutet Verleugnung des Sinns menschlichen Lebens, Degradierung des Menschen zum bloßen Produkt physiologischer, psychologischer und soziologischer Fakten und zugleich Relativierung jener Werte, die sinnvolles Leben begründen.

 

Mag sein, daß der streitbare Wiener in seiner leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Reduktionismus deren Urheber nicht immer differenziert genug sah oder sehen wollte – insgesamt scheint er einen bedeutsamen Schlüssel zum Gesamtverständnis der Probleme unserer Zeit gefunden zu haben.

Was ist Geist?

Geist ist eine Erfahrungstatsache, die sich nicht begründen läßt. Er ist im Menschen erfahrbar, aber nicht erklärbar. Er geht in ihm nicht auf.

Geist ist die wichtigste Dimension des Menschen, das spezifisch Menschliche, denn Geist bewirkt Erkenntnis des Lebens und Liebe zum Leben. Er ist die Mitte der Seele.

 

Geist ist die schöpferische Gestaltungskraft, die ihn befähigt, sein inneres und äußeres Leben innerhalb bestimmter Grenzen frei gestalten zu können. Er ist die Fähigkeit, sich nicht nur gehen, sondern auch stehen zu lassen.

 

Das Spezifische des Geistes liegt in seiner Intentionalität, d.h. in seinem Gerichtetsein auf solche Werte im Leben, die Sinn begründen. Zugleich ist der unbewußte Geist die Quelle der spezifisch menschlichen Werte, z.B. der Freiheit, Verantwortlichkeit, Liebe, Hoffnung, des Mutes, Vertrauens, der Religiosität, Kreativität und damit der Grund der Sinnerfahrung. Nichts aber ist dem Menschen wichtiger als diese Erfahrung, und deshalb ist die Suche nach Sinn sein wichtigster Beweggrund, sein primäres Motiv zum Leben und daher für Leib, Seele und Geist entscheidend.

Was sind Werte?

Werte sind allgemeine Leitlinien zur Orientierung auf der Suche nach Sinn. Darüber hinaus sind Werte »dynamische Größen, Brenngläsern gleich, die die Lebenskraft der Person bündeln«. Sie sind »der Nährstoff der Person, das Bewegende im Leben, das, was das Herz zu erwärmen vermag«[6]. Werte sind Energiezentren mit hoher Anziehungskraft.

 

Alles, was einen Menschen motiviert, sinnvoll zu leben, ist ein geistiger Wert. Setzt er sich mit einem dieser Werte in Beziehung, denkt er, fühlt er, träumt er sich in ihn hinein, dann zieht der Wert ihn an. Dann wird der Wert zum Magneten. Dann beeinflußt und bestimmt er sein Denken, Fühlen und Handeln. Dann motiviert er ihn zu Veränderungen. Dann bewirkt er in ihm neue Erfahrungen.

Werte sind also Gründe für Sinnerkenntnis und Gründe für Sinnerfahrung.

 

Zwei einfache Beispiele

 

Das erste:

Sie sind auf einer Wanderung. Ihr Ziel ist eine Barockkirche. Sie haben sie in einem Buch entdeckt und freuen sich darauf, dieses herrliche Kunstwerk kennenzulernen und zu erleben.

Sie sind schon lange unterwegs. Irgendwann bemerken Sie, daß Sie sich verlaufen haben. Sie sind inzwischen müde und setzen sich an den Wegrand. Zu allem Überfluß haben Sie sich zwei Blasen erwandert. Ihre gute Stimmung ist verflogen. Sie ärgern sich, daß Sie den Weg verfehlt haben. Sie bleiben einfach sitzen.

Dann schauen Sie durch ein Gebüsch. Und was sehen Sie? Den Turm »Ihres« ersehnten Bauwerks. Innerhalb von Sekunden stehen Sie auf. Daß neben der Kirche ein feines Restaurant sein soll, beflügelt zusätzlich Ihren inzwischen raschen Schritt. Vergessen ist die Enttäuschung über Ihren scheinbar verfehlten Weg, vergessen sind die Blasen und die Müdigkeit. Sie lassen den Turm nicht mehr aus den Augen. Fast magisch zieht er Sie an. Dann stehen Sie in dem wunderbaren Bau. Sie lassen sich von seiner einmaligen Ausstrahlung gefangennehmen. Sie sind angefüllt von seinem Geist. Sie staunen.

 

Das zweite:

Ob Sie einmal die Augen schließen und sich einige Minuten Einfälle zu der Frage kommen lassen: Was wäre, wenn ich freier wäre? (Diese »Übung« nimmt reale Möglichkeiten als Vision vorweg. Sie hat sich in der Praxis als äußerst hilfreich erwiesen). Sie würden unter anderen diese Antworten finden:

Ich hätte weniger Angst.

Ich wäre nicht so gehemmt.

Ich wäre nicht so empfindlich.

Ich wäre sicherer.

Ich hätte mehr Selbstvertrauen.

Ich würde mehr auf Menschen zugehen.

Ich wäre versöhnter.

Ich würde Dinge tun, die ich bisher nicht getan habe.

Ich würde mehr lachen etc. …

 

Sollten Sie sich wirklich auf diese Frage einlassen, würden Sie nicht nur deutlicher als bisher erkennen, was Ihnen fehlt – Sie würden auch die ersten Wirkungen Ihrer Einfälle erfahren[7].

Geist und Werte gehören untrennbar zusammen. Der Geist des Menschen ist nur dann lebendig, er entwickelt nur dann Erkenntnis und Kraft, wenn er auf Werte bezogen ist. Die Werte wiederum werden nur dann erkennbar und wirksam, wenn sich der Geist auf sie ausrichtet. Ohne das Zusammenspiel von Geist und Wert gibt es keinen Sinn. Ohne dieses Zusammenspiel gibt es keine Zufuhr von Leben und keine Bejahung für Leben.

Was ist existenzielle Frustration und wie wirkt sie sich aus?

Was existenzielle Frustration bedeutet, zeigt eindrucksvoll die folgende Tagebuchaufzeichnung des französischen Dramatikers Eugène Ionesco, einem der Hauptvertreter des »absurden Theaters«:

 

»Was hätte ich alles machen, was hätte ich alles hervorbringen können, wenn nicht diese unvorstellbare, enorme Müdigkeit gewesen wäre, die seit ungefähr fünfzehn Jahren oder vielleicht noch länger auf mir lastet. Eine Müdigkeit, die mir das Arbeiten, aber auch das Ausruhen verwehrt, die mich das Leben nicht genießen läßt, die mich hindert, mich zu freuen, mich zu entspannen, und die es mir unmöglich macht, mich mehr den anderen zuzuwenden, so wie ich es gern gewollt hätte, statt mein eigener Gefangener zu sein, Gefangener meiner Müdigkeit, dieser Last, dieser Bürde, die die Bürde meiner selbst ist: Wie sich andern zuwenden, überwältigt vom eigenen Ich? Kein Arzt unter den dreißig oder vierzig, die ich konsultiert habe, keiner hat es verstanden oder vermocht, diese unendliche Mattigkeit zu heilen, wahrscheinlich weil keiner von ihnen dem Übel auf den Grund gegangen ist, seinen Ursprung erforscht hat. Ich begreife von Mal zu Mal besser, was die Ursache dieser Erschöpfung ist: Es ist der Zweifel, es ist die ewige Frage »Wozu?«, die von jeher in meinem Geist Wurzeln geschlagen hat und die ich nicht ausreißen kann. Ach, wenn das »Wozu?« in meiner Seele nicht gekeimt hätte, wenn es später nicht gewachsen wäre, bis es alles andere überwuchert und die anderen Pflanzen erstickt hat, dann wäre ich wohl ein anderer Mensch geworden, wie man so sagt.«[8]

Je weniger ein Mensch auf diese Frage Antworten weiß und lebt, je weniger er Sinn erfährt, desto beziehungsloser ist er – sich selbst, anderen und anderem gegenüber. Je beziehungsloser er ist, desto mehr kreist er um das, was er nicht ist, nicht kann und nicht hat. Je mehr er um seine Mängel kreist, desto frustrierter ist er. Je frustrierter er ist, desto mehr entwickelt sich in ihm innere Leere. Je größer dieses Vakuum ist, desto kraftloser wird sein Geist und desto weniger findet er Beziehung zu Werten. Je weniger Beziehung er zu Werten findet, desto mehr öffnet sich seine »leere« Seele für Angst, Aggressivität, Depressivität, Stress, Lebensmüdigkeit, Sucht, psychosomatische Störungen und all das, was Sinnerfahrungen und beglückendes Leben behindert oder verhindert. Je mehr seine Seele angefüllt ist von sinnverweigernden Gefühlen, desto mehr stagniert die Weiterbildung seiner Persönlichkeit. Je mehr die Weiterbildung seiner Persönlichkeit stagniert, desto frustrierter ist er. Hier schließt sich der Kreis.

 

Das Fazit:

Wertleeres Leben erzeugt Sinnkrisen und, wenn sie andauern, möglicherweise Krankheiten an Körper und Seele. Die Folge ist Lebensverneinung. Lebensverneinung aber behindert oder verhindert Sinnsuche und Sinnfindung.

Wert- und sinnvolles Leben dagegen ist erfülltes Leben und daher der Grund für Lebensbejahung. Lebensbejahung aber ist die primäre Voraussetzung für Sinnfindung und deshalb für Prävention von Konflikten, Störungen und Erkrankungen.

Wenn existenziell frustrierte Menschen in die Praxis kommen, sagen sie über ihre Befindlichkeit z.B. dieses:

 

Irgend etwas stimmt nicht mit mir. Irgend etwas habe ich verloren. Ich bin unzufrieden. Ich bin zerstreut. Ich bin initiativlos und interesselos. Ich langweile mich. Ich bin so schwer geworden. Es gibt für mich nichts Besonderes mehr. Ich funktioniere zwar noch, aber in mir ist es leer. Ich habe keine Schlüssel mehr, um neue Türen zu öffnen. Nichts verändert sich mehr. Ich sehe die Sonne, aber sie wärmt mich nicht mehr. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal gelacht habe. Ich gleiche einem Menschen, der in einem gläsernen Fahrstuhl zwischen zwei Etagen hängt, und um ihn her tobt das Leben. Ich bin mir selbst fremd geworden. Ich bin bei mir nicht mehr zu Hause. Das soll mein Leben sein? Wer bin ich nur? Was will ich denn? Ich bin irgendwie vom Leben beleidigt. Ich wandere nicht, ich irre durchs Leben. Ich kenne keine Ziele mehr. Ich suche mein verschüttetes Ich. Ich suche meine verborgene Seele. Ich suche Halt. Ich suche nach neuen Ideen, nach Wegweisern für mein Leben. Ich bin weit davon entfernt, mich selbst zu bestimmen. So habe ich mein Leben nicht gewollt. So will ich nicht weiterleben. Mein Leben braucht eine Wende.

Ich fühle mich niedergeschlagen, kraftlos, deprimiert, freudlos, müde vom Leben, bin wie gelähmt. Ich sehe und empfinde nichts mehr. Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich habe Lebensängste, die ich bisher nicht kannte. Ich bin krankheitsanfälliger als in vergangenen Zeiten, ich bin auch irgendwie krank. Ich kenne keine Wünsche mehr. Ich weiß kaum noch Antworten auf die Frage, was wert ist zu leben und was nicht. Ich bin orientierungslos, bin ratlos. Ich habe nur noch wenig Hoffnung auf Veränderungen. Ich werde immer aggressiver, spöttischer, zynischer. Ich weiß nicht mehr, wozu ich da bin. Ich fühle kaum noch Sinn. Ich habe das Gefühl für Sinn vergessen. Ich bin verzweifelt. Ich bin verloren.

Kommen existenziell frustrierte Menschen mit einem konkreten Problem in die Praxis, mit einem Partnerschafts- oder Berufskonflikt, zeigt sich häufig, daß dessen Auslöser zwar in erklärbaren psychischen und sozialen Schwierigkeiten besteht, der Grund aber in ihrer geistig bedingten existenziellen Frustration. Es trifft zu, was Einstein gesagt hat: »Wer sein eigenes Leben und das seiner Mitmenschen als sinnlos empfindet, der ist nicht nur unglücklich, sondern auch kaum lebensfähig.«[9]

 

Ein typisches Beispiel:

Eine etwa fünfzigjährige Frau kam zu mir mit der Klage, ihr Freund habe ihr vor längerer Zeit die Ehe versprochen und halte sich nun nicht an sein Versprechen. Zwar gehe die Beziehung »irgendwie« weiter, doch mache dieser Zustand sie unglücklich.

Der Freund habe ihr in wenigen Monaten all das gegeben, was sie in langen Ehejahren von ihrem inzwischen verstorbenen Mann nicht bekommen habe.

Bald stellte sich heraus, daß sie nicht nur unglücklich, sondern auch lebensmüde war, doch hatte dieses Gefühl nur vordergründig mit ihrem Freund zu tun. Zwar hatte sie – außer der gewünschten Beziehung – alles, was Glück zu versprechen scheint: Luxus, interessante Menschen, die Möglichkeit, weit zu reisen, die Freiheit, mit ihrer Zeit tun und lassen zu können, was sie wollte. Trotzdem fand sie kaum Sinn in ihrem Dasein.

Mehr und mehr ging ihr auf, daß der eigentliche Grund ihres desolaten Lebensgefühls nicht der unwillige Freund war, sondern ihre »leere Seele«. Sie begriff, daß sie die Leere viel zu lange schon überdeckt hatte – in der Ehe mit Äußerlichkeiten, danach mit ihrer Leidenschaft zu ihrem neuen Partner. Deshalb sagte sie – und der Satz wirkte keineswegs als Formel: »Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich weiß nicht, was ich will. Ich weiß auch nicht, wofür ich leben könnte.«

 

Merkwürdig ist, daß zunehmend Menschen über Sinnmangel klagen, die äußerlich »alles« haben, und doch mit ihrem Leben nicht einverstanden sind. Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, daß sie hauptsächlich Werte anstreben, die ihre Seele nicht als Hauptsachen anerkennt.

 

Ein weiteres Beispiel:

Ein 40-jähriger Mann, verheiratet, Vater von zwei liebenswerten Kindern, beruflich erfolgreich, beklagte im Gespräch, er habe »eigentlich« Anlaß, laut zu jubeln, doch sei ihm danach keineswegs zumute, im Gegenteil: Seine Freude am Leben nehme seit Monaten ab. Er sei bedrückt und befürchte, krank zu werden. Er habe nichts dagegen, wenn sein Leben bald zu Ende sei.

Im Verlauf der Gespräche zeigten ihm seine Träume, daß er schon lange nicht mehr danach gefragt hatte, wer er sei, was seine Seele von ihm wolle, welche Ziele zu seiner Persönlichkeit gehörten und ob sein innerer und äußerer Weg durchs Leben ihr entsprächen. Ihm ging auf, daß er viel zu einseitig lebte, daß das Streben nach Erfolg zur Hauptsache in seinem Leben geworden und das, was ihm in jüngeren Jahren einmal wichtig gewesen war – die Liebe, das Spiel, die Kunst, das Fragen nach den Zusammenhängen des Lebens etc. – für ihn an Bedeutung verloren hatte.

Er begann zu begreifen, daß die Sachzwänge der »Welt« zwar stark sind, die eigene Seele jedoch unbeirrt an den für sie wichtigen Werten festhält und ihre Wünsche geltend macht.

 

Diese Beispiele bedeuten nun nicht, daß nur wohlhabende oder erfolgreiche Zeitgenossen unter existenzieller Frustration leiden. Das Problem zeigt sich vielmehr in allen Gesellschaftsschichten. Die Beispiele sollen lediglich darauf hinweisen, daß die zur Zeit in den Medien und anderenorts gepriesenen Werte (Werte?) wie Geld oder Geltung keineswegs die Voraussetzung für ein wertvolles Leben sind.

Existenzielle Frustration, Leid und Krankheit

»Nicht in allem, wo Krankheit draufsteht, ist auch Krankheit drin,« sagte kürzlich jemand, der viel Erfahrung mit seelischen Störungen hat. Er wollte sagen: Nicht alle Ausdrucksformen von Leid oder Bedrückung sind Depressionen im klinischen Sinne. Es gibt auch Formen von Niedergeschlagenheit und Traurigkeit, die »menschlich« zu nennen sind, dann nämlich, wenn sie unmittelbarer, sensibler Ausdruck von Leiden am Leben sind, wenn also Fragen nach Wert, Sinn und Halt aufbrechen, die zu den wichtigsten im Leben gehören.

Es ist daher an der Zeit, die Frage zuzulassen, ob ein erheblicher Teil der immer häufiger auftretenden »Depressionen« tatsächlich als Krankheit einzustufen ist, ob nicht manchem Leidenden das Beste genommen wird, wenn man seine innere Dunkelheit pathologisch mißdeutet. Gewiß, der Grat zwischen krankhafter Depression und »menschlichem« Leiden ist schmal. Würden jedoch die unterschiedlichen Ursachen und Gründe dieser beiden Leidensformen mehr als bisher beachtet, würde man nach unterschiedlichen Lösungswegen suchen.

 

In vielem jedoch, »wo Krankheit draufsteht, ist auch Krankheit drin«. Nachdenklich macht mich ein »Zeit«-Artikel[10], in dem der Journalist und Arzt Werner Bartens auf zwei Phänomene aufmerksam macht:

 

Einerseits würden die Menschen immer gesünder, so daß der gesundheitliche Zustand der Bevölkerung erfreulicher denn je sei und die Lebenserwartung kontinuierlich steige.

 

Andererseits leide jeder zweite Patient an Krankheiten, die sich weder organisch noch infektiös noch biochemisch nachweisen ließen, z.B. Allergien, Erschöpfungssyndrome, Tinnitus, Schmerzen in allen Muskeln und Gelenken, Reizdarm, Kopfschmerz, Atemnot, Herzrasen, Rückenprobleme etc.

 

Das Fazit des Autors: »Mit dem Wandel der Krankheitsbilder steigen auch die Erwartungen an die Medizin. Zugleich sinkt die Bereitschaft, Leid und Entbehrung als Teil der Existenz [Hervorhebung vom Autor] wahrzunehmen. Doch ein Rundum-sorglos-Paket wird es nie geben. Auch wenn wir eines Tages die genetischen Grundlagen des Lebens vollständig entschlüsselt haben sollten.«

Kann es sein, daß die Entwicklung eines Großteils der nicht begründbaren Störungen und Krankheiten von existenzieller Frustration begünstigt wird? Denn Sinnmangel trifft den Kern des Menschen und damit seine Ganzheit. Doch selbst dann, wenn die Entstehung jener Erkrankungen nichts mit existenzieller Frustration zu tun haben sollte, gilt, daß ein sinnerfüllter Mensch weit besser mit Leid und Entbehrung umgehen kann als ein frustrierter[11].

Viktor E. Frankls Neuansatz

Das Problem dieser Zeit besteht nicht im Mangel an Werten und Sinn, sondern in den Zugängen zu Werten und Sinn[12]. Sie scheinen für viele Zeitgenossen verengt oder verschüttet zu sein. Sie öffnen sich jedoch in dem Maße, in dem der Geist sie öffnet. Daher ist die Auseinandersetzung mit der geistigen Dimension und die in ihr gründenden Wertgefühle und -kräfte eine not-wendende Aufgabe dieser Zeit, wichtig für Therapie und Beratung, vor allem für die Prävention von Störungen. Diese Aufgabe stellt sich nicht nur Ärzten und Psychologen, sondern allen, die Menschen begleiten und leiten.

 

Wir haben im 20. Jahrhundert mehr als in anderen Zeiten gelernt, Probleme analytisch zu durchdenken. Wir haben weniger gelernt, nach Gründen für sinnvolles Leben zu fragen. Wir haben gesehen, daß sich die therapeutischen und beratenden Einrichtungen für seelisch und körperlich erkrankte Menschen in erfreulicher Weise ausgeweitet haben. Doch darf man sich nicht auf die Betreuung, Beratung und Therapie erkrankter oder problembeladener Menschen beschränken. Notwendig wäre, sie auch auf jene auszuweiten, die nach gelingendem Leben fragen und darauf keine ausreichenden oder gar keine Antworten finden.

 

Wertorientierte Persönlichkeitsbildung

Seit etwa zehn Jahren arbeite ich an einem solchen Konzept. Seit kurzem liegt es vor. Ich nenne es die »Wertorientierte Persönlichkeitsbildung«. Ich sehe sie als einen eigenständigen, einen dritten Weg neben krankheits- und konfliktorientierter Psychotherapie und Beratung. Sie ist gedacht als geistig-emotionale Begleitung gesunder Menschen auf dem Weg zu sich und anderem Leben und daher zum Sinn. »Persönlichkeitsmentor« nenne ich den, der die Begleitung übernimmt.

 

Das Konzept der Wertorientierten Persönlichkeitsbildung läßt sich in acht Thesen zusammenfassen:

Menschsein ist Herausforderung zur Menschwerdung, die erst im Tod endet. Daher ist

Wertorientierte Persönlichkeitsbildung

mehr als die persönliche Arbeit an Entwicklungsdefiziten, mehr auch als die Hilfe zur Aneignung überlieferter Werte. Sie zielt vor allem darauf ab, die spezifisch menschlichen Wertgefühle, die in der »Dimension der Tiefe« (Tillich), d.h. im unbewußten Geist ihren Grund haben, so individuell und so weit wie möglich verwirklichen zu helfen. In dem Maße jedoch, in dem ein Mensch diesen Grund erfährt, sieht er über sich hinaus – nicht nur auf andere, sondern auch auf die Welt in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen, und weiß sich für sie mitverantwortlich.

»Der Mensch ›ist‹ Person und ›wird‹ Persönlichkeit«

[13]

. »Person« ist Geist, und Geist ist dasjenige im Menschen, das immer auch anders sein, sich anders einstellen und sich anders verhalten kann, das nicht festgelegt, sondern frei ist und weltoffen. »Persönlichkeit« meint nicht ein Zusammenspiel bestimmter angeborener Eigenschaften, auch nicht einen herausragenden Menschen, sondern das, was diese Person im Rahmen des ihr Möglichen aus sich gemacht, aus sich heraus gelebt hat.

Grundlage

der Wertorientierten Persönlichkeitsbildung ist das Menschenbild der Logotherapie (Betonung von Geist, Freiheit, Verantwortlichkeit, Liebe, Werten, Sinn), erweitert um die in Wertimaginationen gewonnenen Einsichten

[14]

.

Die

wichtigsten Methoden

der Wertorientierten Persönlichkeitsbildung sind

das wertorientierte (»dichte«) Gespräch,

[15]

die wertorientierte Interpretation des Enneagramms,

[16]

die Wertimagination.

Ihre

konkreten Aufgaben

sieht die Wertorientierte Persönlichkeitsbildung

in der Weiterbildung und Entfaltung der Persönlichkeit und damit zugleich

in der Prävention (Vorbeugung) von seelischen und körperlichen Störungen,

in der supportiven (unterstützenden) Begleitung in Lebenskrisen,

in der Auseinandersetzung um die Werte, durch die das Leben der Menschen sinnvoller als bisher gestaltet werden könnte.

Ziel

der Wertorientierten Persönlichkeitsbildung ist die Hilfe zur Erfahrung der Ganzheit, die nie erreicht, doch immer intendiert werden kann. »Ganz« geworden wäre ein Mensch, der zu sich selbst gekommen wäre. Und zu sich selbst gekommen wäre er, wenn er das Leben in und trotz seiner Ambivalenz grundsätzlich bejahte.

Allgemeine Zielgruppe

sind

gesunde

Menschen, die wissen, daß nicht nur der Körper der Pflege bedarf, sondern auch die Seele, daß die Seele keineswegs vom Entspanntsein allein lebt, sondern auch und vor allem von einem lebendigen Geist. Denn die ständig wechselnden Situationen im Leben und die natürlichen Lebenskrisen wie z.B. die Pubertät, die Lebensmitte, das Alter, verlangen immer wieder neue Ein- und Umstellungen. Die

spezifische

Zielgruppe sind existenziell frustrierte, aber noch nicht erkrankte Menschen, die nicht mehr oder nicht mehr genügend Sinn im Leben erfahren.

Praktiziert

wird die Wertorientierte Persönlichkeitsbildung in

Einzelgesprächen

Sinnerfahrungsgruppen

der »Schule des Lebens«

der Erwachsenenbildung im weitesten Sinne

der Personalberatung.

Die »Dimension der Tiefe« und ihre Bedeutung

Mit »Dimension der Tiefe« meine ich das Unbewußte, im besonderen den unbewußten Geist mit seinen emotionalen Kräften, der tiefsichtig genug ist, um zu erkennen, wer der Mensch ist und was er zu einem wertvollen Leben braucht, und stark genug, die Erkenntnisse in die Tat umsetzen zu helfen.

 

Das Unbewußte ist der seelische Bereich in uns, zu dem unser Bewußtsein keinen unmittelbaren Zugang hat. Das Unbewußte ist die innere Welt, die der Verstand nicht ergreifen, geschweige denn begreifen kann, weil sie sich rationaler Logik entzieht. Man kann sie weder messen noch erklären, man kann sie allenfalls – und das nur nach reichlicher Selbsterfahrung – zu verstehen beginnen. Das Unbewußte ist das, was unserem Bewußtsein in Gedankenblitzen und Einfällen, Ahnungen und Visionen, Stimmungen und inneren Schmerzen, über Erinnerungen, Träume und innere Wanderungen nahekommt. Es ist die uns nicht bewußte Welt der Seele, deren Mitte der unbewußte Geist und in dem die »Logik des Herzens« (Pascal) zu Hause ist.

 

Jedes Land hat seine eigene Sprache. Wer ein fremdes Land kennenlernen will, tut gut daran, sich mit dessen Sprache vertraut zu machen. Das gilt auch und insbesondere für das uns unbewußte Land. Wer es näher kennenlernen möchte, sollte sich deshalb so weit wie möglich mit dessen Sprache vertraut machen. Von der Bewußtseinssprache hat Alfons Rosenberg gesagt: »Zu arm ist die menschliche Sprache, um die Fülle der Ahnungen, welche der Wechsel zwischen Leben und Tod wachruft, zu kleiden. Nur das Symbol und der sich ihm anschließende Mythos können diesen Bedürfnissen genügen. Das Symbol weckt Ahnungen, die Sprache kann nur erklären. Das Symbol schlägt alle Saiten des menschlichen Geistes zugleich an, die Sprache ist genötigt, sich immer nur einem einzigen Gedanken hinzugeben. Bis in die tiefsten Geheimnisse der Seele treibt das Symbol seine Wurzel, die Sprache hingegen berührt wie ein leichter Windhauch die Oberfläche des Verständnisses … Nur dem Symbol gelingt es, das Verschiedene zu einem einheitlichen Gesamteindruck zu verbinden. Die Sprache reiht Einzelnes aneinander und bringt (das Unsagbare) immer nur stückweise zu Bewußtsein.«[17]

 

Die Menge an Büchern, die auf die Frage nach dem Unbewußten eine Antwort zu geben versuchen, läßt sich nicht mehr messen. Die meisten von ihnen sind von der Empore des Bewußtseins aus, also in der Bewußtseinssprache geschrieben worden. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn wissenschaftliche Forschungen verlangen auch wissenschaftliche Sprache. Die Frage ist nur, ob diese Sprache dem Leser das Wesen des Unbewußten – mit seinen Abgründen ebenso wie mit seinem Reichtum – nahebringen kann.

 

Nicht so lang sind die Regale mit jener Literatur, die versucht, das unbewußte Land in dessen eigener Sprache, also der Bildersprache zu beschreiben. Ob sie jedoch ebenso differenzierte Aussagen machen kann wie die Bewußtseinssprache? Gewiß nicht. Zweifellos haben beide Literaturformen ihr Recht und ihre Begründung. Die Bewußtseinssprache klärt und ordnet, was wir vom Unbewußten wissen. Die Bildersprache macht mit seinen geheimnisvollen Erscheinungen vertraut. Sie ist berührende Sprache und schafft daher existenzielle Beziehungen zum Unbewußten. Gerade deshalb aber ist sie in unserer Zeit, in der die Berührungen mit der tieferen Dimension des Lebens verloren zu gehen drohen, wichtig. Erlauben Sie mir daher, Ihnen das Unbewußte in dieser Sprache vorzustellen:

 

Die Seele gleicht einer Stadt am Strom, die im Lauf der Zeit an jenem Berge hochgewachsen ist, durch dessen Tal ein Strom fließt. Die Häuser in der Oberstadt – auf ihrem Ortsschild steht der Name »Bewußtsein« – sind also jünger als die der Unterstadt. Deren Bewohner haben ihrem Ort keinen Namen gegeben. Die Oberstädter nennen ihn »Das Unbewußte«.