Work-Life-Bullshit - Thomas Vašek - E-Book

Work-Life-Bullshit E-Book

Thomas Vasek

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Beschreibung

Das wahre Leben beginnt nicht erst nach Feierabend

Hier ist es: Ein positives Buch über Arbeit! Der Burnout-Debatte stellt Thomas Vašek die These entgegen, dass Arbeit nicht per se krank macht. Sie bindet in die Gesellschaft ein, stiftet Sinn und gibt Struktur. Die Work-Life-Balance dagegen ist ein Selbstbetrug, da sie den Arbeitnehmer nicht als handelndes Subjekt betrachtet und suggeriert, das wahre Leben beginne erst nach Feierabend. Arbeit ist aber das Zentrum unseres Lebens und das Herz unserer Gesellschaft. Arbeitszeit ist Lebenszeit.

Thomas Vašek plädiert für eine radikale Neubewertung der Arbeit, auf individueller, ökonomischer und gesellschaftlicher Ebene. Denn: Der Wert der Arbeit hängt davon ab, was wir persönlich aus ihr machen und wie sich Politik und Gesellschaft ihrer annehmen, um sie als Lebensform sicherzustellen und Chancengleichheit zu gewährleisten.

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Thomas Vašek

Work-Life-Bullshit

Warum die Trennung von Arbeit und Lebenin die Irre führt

Verlagsgruppe Random House

1. Auflage

Originalausgabe

© 2013 Riemann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Lektorat: Ralf Lay

Umschlaggestaltung: Stephan Heering, Berlin

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-10682-9

www.riemann-verlag.de

Inhalt

Einleitung

1. Ora et labora:Eine kleine Geschichte der Arbeit

Nichts als Arbeit

Muße und Sklaven

Ora et labora

»Rastlose Berufsarbeit«

Das Recht auf Faulheit

Rädchen im Getriebe

Die Arbeitslosen von Marienthal

Instrumentelle Vernunft

Das Ende der Arbeit?

Stimmen der Arbeit

Birgit, 72, ehemalige Fotoredakteurin,seit zwölf Jahren pensioniert

Jochen, 43, Schuhmacher im eigenenLaden

2. Work vs. Life

Sich zum Ding machen

»Knecht seines Gegenstands«

Das aktive Leben

Anerkennung

Stimmen der Arbeit

Friederike, 54, Reformhaus-Angestellte

Michael, 44, selbständiger Grafikdesignerund Fotograf

3. Gute Arbeit

Arbeit schafft Gründe

Das gute Leben

Selbstachtung

Arbeitsteilung

Gerechtigkeit

Stimmen der Arbeit

Beate, 49, selbständiger Coach

Sabine, 56, Erzieherin im Kindergarten

4.Eine Frage der Praxis

Authentizität

Erfahrung

Vertrauen

Anerkennung

Kooperation

Flow

»Handwerk«

Muße

Gewohnheit

Stimmen der Arbeit

Gerhard, 49, Friseur und Geschäftsführer

Helga, 62, Honorarsachbearbeiterin in derUnterhaltungsindustrie, gekündigt

5.Flexibilität

Das erschöpfte Selbst

Selbstoptimierung

Völlig entgrenzt

Sei kreativ!

Shareholder-Value

Stimmen der Arbeit

Markus, 23, IT-Berater

Luise,43, freie TV-Autorin mit wechselnden Auftraggebern

6.Seelenbrand

Die Leiden der Arbeit

Stress

Ausbrenner

Stimmen der Arbeit

Marie, 21, Praktikantin bei einerFrauenzeitschrift

Sarah, 42, ehemalige Hoteldirektorin,heute selbständig mit Start-up

7. Einkommen ohne Arbeit?

Geschichte

Pro-Argumente

Gegenargumente

Leben ohne Arbeit

Bürgerarbeit?

Neue Arbeit

Neue Vagabunden?

»Glückliche Arbeitslose«

Stimmen der Arbeit

Karin, 52, Floristin

Christine, 55, Verkäuferin in einem Strumpfladen

8.Die Arbeit, die Liebe und das Leben

Die Arbeit der Fürsorge

Gute Arbeit hält die Gesellschaft zusammen

Sicherheit und Freiheit

Ethik der Verantwortung

Mindeststandards

Begrenzte Entgrenzung

Konflikte

Soziale Sicherheit

Neue Solidarität

Alles Arbeit?

Arbeit und Liebe

Danksagung

Literatur

Anmerkungen

Register

Einleitung

Ich liebe meine Arbeit. Ohne sie könnte ich nicht leben. Oft stehe ich frühmorgens auf, um schon mal was wegzuschaffen. Und am liebsten arbeite ich an Wochenenden oder im Urlaub, da habe ich am meisten Zeit. Bin ich ein Workaholic, ein Karrierist, ein Süchtiger, womöglich am Rande des Burnout?

Nichts von alledem. Meine Arbeit ist mir wichtig, sie macht mir Spaß, sie füllt mich aus. Es geht mir auch ums Geld. Aber nicht in erster Linie. Vor allem liebe ich das, was ich tue. Meine Arbeit fordert mich heraus. Sie erweitert meine Fähigkeiten, sie führt mich an meine Grenzen. Der Job bringt mich mit interessanten Menschen zusammen, die ich sonst nie kennenlernen würde. Meine Arbeit bildet mich, sie formt meinen Charakter, meine Persönlichkeit.

Sie macht mich zu dem, der ich bin.

In meinem Leben hatte ich schon viele Jobs. Gut bezahlte und schlecht bezahlte, erfüllende und sinnlose, leitende und untergeordnete, körperlich anstrengende wie intellektuell fordernde Jobs. Ich habe kranke alte Menschen gepflegt, als Kellner ausgeholfen, in Büros Kopierarbeiten erledigt und Werbeprospekte verteilt. Als investigativer Reporter habe ich Skandale aufgedeckt, als Autor ein paar Bücher geschrieben. Ich stand in Angestelltenverhältnissen und schlug mich durch als freier Journalist. Ich habe erlebt, wie es ist, monatelang auf Aufträge zu warten. Wie es ist, wenn plötzlich die EC-Karte gesperrt wird. Wenn man allein zu Hause sitzt und keine Anrufe kommen, keine Mail. Wenn man das Gefühl hat, für die Welt da draußen nicht mehr existent zu sein. Wenn man arbeiten will und nicht kann.

Heute bin ich Chefredakteur eines Philosophiemagazins – und könnte mir keinen schöneren, befriedigenderen und erfüllenderen Job vorstellen. Dabei arbeite ich mehr als je zuvor. Genau genommen, tue ich gar nicht sehr viel anderes. Und doch fühle ich mich weder krank noch erschöpft, geschweige denn ausgebrannt. Ganz im Gegenteil. Meine Arbeit fühlt sich gut und richtig an, sie motiviert mich Tag für Tag, sie bringt mich voran.

Das Gejammer über die Zumutungen der Arbeit kann ich nicht mehr hören. »Rettet den Feierabend«, titelt der Stern vom 7. Februar 2013. Das Leben brauche »Schutz vor dem Job«, so heißt es da, flankiert vom unvermeidlichen Interview mit einem Psychologen, der ein Buch über die »erschöpfte Gesellschaft« geschrieben hat. Die Zeit vom 17. Januar 2013 konstatiert eine neue Sehnsucht nach mehr Freizeit und fragt sich, ob die Workaholics nun »ausgedient« hätten. »Puschendeutschland«, lautet die Überschrift, unter der ein Paar plüschige Hausschuhe abgebildet sind. Und selbst das Wirtschaftsmagazin brandeins, das sonst gerne tatkräftige und arbeitswütige Start-up-Unternehmen feiert, wettert imTitelschwerpunkt der August-Ausgabe 2012 gegen die Arbeitsgesellschaft und propagiert »Nichtstun« und Müßiggang: »Zu tun, worauf man Lust hat, und nicht, was man muss – das ist eines der ältesten und wichtigsten Ziele der Menschheit.«

Unübersehbar ist auch die Flut an Büchern, die vor der »Burnout-Falle« warnen, vor Stress und anderen Gefahren des Arbeitslebens. Das Buch Dead Man Working1 der britischen Arbeitswissenschaftler Carl Cederström und Peter Fleming beschreibt die Arbeitswelt gar als eine Art Todeszone von dressierten Zombies, die ihren Job bis ins Letzte verinnerlicht haben. Andere tragen Titel wie Hört auf zu arbeiten. Eine Anstiftung, das zu tun, was wirklich zählt2 von Anja Förster und Peter Kreuz oder Die 365-Tage-Freiheit3 von Volker Kitz – mit dem griffigen Untertitel: Ihr Leben ist zu wertvoll, um es mit Arbeit zu verbringen.

»Work-Life-Balance«, so lautet die Losung der Stunde. Schluss mit der Maloche, mit Arbeitswut und protestantischer Askese: Der Job ist nicht alles. Wir müssen das Leben vor der Arbeit retten, unsere Seelen vor dem Burnout. So ist die Stimmungslage, der man sich kaum noch entziehen kann: Workaholics sind von gestern. Bloß nicht Arbeit und Freizeit vermischen. Gerne zeichnet man das Bild vom Hamsterrad, in das uns die kapitalistische Profitgier zwingt.

Tatsache ist: Die Menschen arbeiten heute weniger als je zuvor – und doch jammern sie darüber, dass sie kaum noch zum Leben kommen. Einst standen die Arbeiter zwölf Stunden und länger in der Fabrik, mit krummem Rücken und wunden Füßen, heute fühlen wir uns überfordert, weil wir zu viele Mails beantworten müssen. Früher kommandierten autoritäre Chefs ihre Mitarbeiter herum, heute herrschen in vielen Unternehmen Teamarbeit und flache Hierarchien. Arbeit – das hieß einmal monotone Fließbandarbeit, immer die gleichen Abläufe, stupide, abstumpfend und fremdbestimmt, diktiert vom Takt der Maschinen. Heute stressen uns angeblich Eigenverantwortung und Autonomie.

Meine Großmutter, eine kleine, zarte Frau, arbeitete in den Nachkriegsjahren in einem Lebensmittelgeschäft. Damals bedeutete das unter anderem, um vier Uhr morgens aufzustehen und schwere Milchkannen zu schleppen. Dennoch mochte sie die Arbeit, ihre Kunden, ihre Kolleginnen. Und trotz all der beschwerlichen Jahre bei miesem Lohn vermisste sie die Arbeit im Ruhestand. Ich weiß schon: Die Zeit, die Welt war damals eine andere. Und doch hilft es gelegentlich, sich daran zu erinnern, was Arbeit einmal bedeutet hat, wenn wir heute darüber klagen, dass sie unser Leben zerstört.

Wir arbeiten zu viel, so lautet der Tenor – und vergessen dabei, was wirklich wichtig ist. Der Job habe zu viel Raum, zu viel Gewicht in unserem Leben. Die Überbewertung der Arbeit passt, wie es scheint, zum Bild einer wachstumsfixierten Ökonomie, die sich nur am Profitstreben orientiert – auf Kosten all jener Werte, die sich nur jenseits der Arbeit verwirklichen lassen, in Freizeit und Familie. Das Unbehagen ist dabei alles andere als neu. Die Kritik an der Arbeit hat eine lange und ehrwürdige Tradition, die zurückreicht bis zu Aristoteles (384–322 v.Chr.).

Unser Verhältnis zur Arbeit ist zutiefst paradox. Einerseits brauchen wir sie, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen und unseren Wohlstand zu sichern. Andererseits empfinden wir sie oft als Zumutung, als Mühe und Last. In vielfacher Hinsicht war Arbeit noch nie so gut wie heute. Und doch scheint es uns, als wäre sie schlimmer und trostloser denn je.

Dieses Buch ist eine Verteidigung der Arbeit. Es richtet sich gegen die allgegenwärtige Klage über die Zumutungen der Arbeitswelt, gegen das Mantra einer Kapitalismuskritik, die Arbeit auf Ausbeutung und Entfremdung reduziert – und gegen jene, die ein Grundeinkommen für die Lösung aller Probleme halten. Mein Herz schlägt für all jene, die arbeiten wollen. Für die fast sechs Millionen Arbeitslosen unter 25 in Europa, vor allem in Ländern wie Griechenland und Spanien. Für jene Jüngeren, die sich von einem Praktikum zum nächsten plagen, in der verzweifelten Hoffnung auf einen Job, der ihren Fähigkeiten und Ambitionen entspricht. Für jene Minijobber und befristet Beschäftigten, darunter viele Frauen, die sich nichts sehnlicher wünschen als eine Vollzeitstelle. Für jene Älteren, die gern weiter arbeiten würden – und die einfach niemand mehr haben will, trotz all ihrer Erfahrung.

Weder will ich den Kapitalismus abschaffen, noch schwärme ich von einem bedingungslosen Grundeinkommen oder von Nachbarschaftshilfe und Bürgerarbeit. Die Erwerbsarbeit halte ich in Grundzügen für ein bewährtes System, die Marktwirtschaft trotz aller Schwächen für ein Erfolgsmodell. Und doch träume ich von einer Revolution – von einer Revolution der Arbeit.

Arbeit ist existenziell. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr davon – sinnvolle, gute Arbeit, die unseren Fähigkeiten und Bedürfnissen entspricht. Für gute Arbeit müssen wir auf die Barrikaden gehen – nicht für mehr Freizeit. Es geht nicht darum, früher Feierabend zu machen, sondern den Arbeitstag besser zu gestalten. Der beste Schutz vor Burnout ist Arbeit, die zu einem passt.

Work-Life-Balance, die Trennung von Arbeit und Leben, ist »Bullshit« – eine leere Formel, die uns in die Irre führt. Dahinter steht die konfuse Vorstellung, dass »Arbeit« und »Leben« verschiedene Dinge wären. Das ist schon begrifflicher Unsinn: Arbeit gehört zum Leben. Das ist eine Tatsache, ob sie uns passt oder nicht. Ohne zu leben, könnten wir gar nicht arbeiten. Also kann es auch keine »Balance« geben, keinen Ausgleich zwischen Leben und Arbeit.

Die neue Kritik an der Arbeit suggeriert uns: Arbeit ist schlecht, sie macht uns krank und hindert uns daran, unser wahres Selbst zu entfalten. Das gute, das wahre Leben findet außerhalb der Arbeit statt. Nur wenn wir nicht arbeiten, können wir das tun, was wir wirklich tun wollen. Nach Feierabend sind wir die, die wir wirklich sind. Erst in der Freizeit beginnt unsere Freiheit. In diesem Buch möchte ich zeigen, warum diese Auffassung falsch ist. Arbeit gehört nicht nur zum Leben. Sie ist auch nicht bloß eine lästige Notwendigkeit. Arbeit bereichert uns, sie gibt uns Sinn – und sie macht uns erst zu dem, was wir sind. Ohne Arbeit, so behaupte ich, gibt es auch kein gutes Leben. Ohne Arbeit verkümmert der Mensch, statt sich selbst zu entfalten.

Ein Leben, eine Welt ohne Arbeit ist nichts, was wir wünschen sollten. Es wäre eine langweilige Welt, reich an verfügbarer Zeit, doch arm an Herausforderungen. Mir graut vor einer Gesellschaft, in der die Menschen vor lauter Zeit nicht wissen, wo sie hinsollen mit ihrem Leben. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft von Müßiggängern leben, in der jeder nur das tut, wonach ihm der Sinn steht. Wer von einer Welt ohne Arbeit schwärmt, der muss erst einmal erklären, was die Menschen dann mit ihrer Zeit anfangen werden.

Freizeit – das ist die Zeit, über die wir frei verfügen können. Das klingt nach einem kostbaren, schützenswerten Gut. Nicht zufällig suggeriert das Wort eine Nähe zur Freiheit. Die freie Zeit – das ist scheinbar das genaue Gegenteil zur dumpfen Notwendigkeit, die wir »Arbeit« nennen. Bei Freizeit denken wir an Muße, Spiel und Spaß. An unbeschwerte Abende mit Freunden, an genussvolles Essen, an Sonne, Strand und Meer. Die Freizeit: Das ist scheinbar die Zeit, in der wir tun können, was wir wirklich tun wollen – und so sein können, wie wir wirklich sind.

»Wir machen Feierabend«, das heißt bis heute: »Wir haben genug gearbeitet.« – »Für mich ist Feierabend«, das kann aber auch heißen: »Es ist Schluss, ich mag nicht mehr, die Sache ist erledigt.« Gelegentlich steht »Feierabend« auch für Sterben und Tod. Die semantische Zweideutigkeit ist vielsagend.

Es ist ein Irrtum zu denken, dass uns Freizeit glücklicher macht als die Arbeit. Freie Zeit ist kein Wert an sich. Wir machen sie zu einem Wert, indem wir sie sinnvoll nutzen. Richtig verstandene »Work-Life-Balance« hieße also nicht, einfach die Freizeit auszudehnen, sondern Arbeit wie Freizeit an unsere Bedürfnisse anzupassen. Wir brauchen Arbeit, die wir genießen können – und wir dürfen unsere Freizeit nicht vergeuden.

Die Freizeit- und Mußegesellschaft ist in meinen Augen ein aristokratisches Ideal. Sie ist nicht das Ideal einer demokratischen Gesellschaft. Arbeit ist eng verbunden mit unserem Selbstverständnis. Wir identifizieren uns mit unserer Arbeit, wir ziehen daraus Befriedigung und Lust, wir arbeiten gern mit anderen zusammen. Das Arbeitsleben formt einen wesentlichen Teil unserer Identität. Und wir teilen es mit den meisten anderen Bürgern. Wer die Arbeit verachtet, verachtet auch die arbeitenden Menschen.

Arbeit verbindet, sie hält die Gesellschaft zusammen. Wenn ich morgens zur Arbeit fahre, sitze ich in derU-Bahn mit Leuten aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten. Da ist der Handwerker, die Büroangestellte, der Banker – sie alle fahren morgens zur Arbeit. Natürlich gibt es gewaltige Unterschiede zwischen den Jobs und den Einkommen. Und doch teilen sie alle eine grundlegende Erfahrung: die Erfahrung der Arbeit. Auch der Banker muss ins Büro, der Handwerker hat seine Aufträge, die Büroangestellte ihre Aufgabe, die sie erledigen muss.

Weder plädiere ich für eine gnadenlose Leistungsgesellschaft, noch glaube ich, dass uns ein Gott dazu anhält, uns ein Leben lang abzuplagen. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass wir die Arbeit brauchen für ein gutes Leben. Was wir brauchen, ist gute Arbeit – also Arbeit, die uns bereichert und erfüllt.

Als Kind einer sozialdemokratischen Familie wuchs ich gleichsam auf mit dem Ethos der Arbeit. Von klein auf hörte ich, dass der Mensch für die Arbeit bestimmt sei – und Vollbeschäftigung das wichtigste, das höchste politische Ziel. Fasziniert betrachtete ich die Propagandabilder von muskulösen Proletariern im Stil des sozialistischen Realismus. Auf Maimärschen sang ich als Jungsozialist das »Lied der Arbeit«, unerträglich in seinem Pathos und doch so eindrucksvoll, dass ich die erste Strophe noch heute weiß: »Stimmt an das Lied der hohen Braut, die schon dem Menschen angetraut, eh’ er selbst Mensch war noch. Was sein ist auf dem Erdenrund, entsprang aus diesem treuen Bund. Die Arbeit hoch! Die Arbeit hoch!«

Der sozialdemokratische österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky hat einmal erklärt, dass ihm ein paar Hunderttausend Arbeitslose mehr schlaflose Nächte bereiteten als ein paar Milliarden Staatsschulden. Das war in den siebziger Jahren, als in Österreich Vollbeschäftigung herrschte. Das würde heute kein Politiker mehr sagen. Es ist vielleicht ein fahrlässiger Satz. Und doch kann ich ihn immer noch verstehen. Es gibt wenig schlimmere Schicksale als Langzeitarbeitslosigkeit.

Was der Verlust von Arbeit bedeuten kann, erlebe ich sogar in meinem eigenen, vergleichsweise privilegierten Umfeld. Hier muss kaum jemand fürchten, am Ende auf der Straße zu landen oder auch nur seine teure Miete nicht mehr bezahlen zu können. Und doch leiden sie darunter, wenn sie keine Arbeit haben. Sie klagen über den Wegfall der Strukturen, sie fühlen sich überflüssig und unnütz, selbst wenn es andere Dinge gibt, die ihnen Freude bereiten. Menschen ohne Arbeit verfallen in Depressionen, obwohl sie eine glückliche Beziehung haben. Und schlimmer noch: Wenn die Arbeit fehlt, geht oft genug auch die Beziehung kaputt.

Der Grund liegt weder ausschließlich im Einkommensverlust noch in den Imperativen der Arbeitsgesellschaft. Wenn Menschen keine Arbeit mehr haben, fallen sie oft ins berühmt-berüchtigte »Loch«. Das Wort ist vielsagend. Wo ein Loch ist, da fehlt etwas. Was fehlt, ist die Arbeit. Und sie fehlt nicht deshalb, weil wir glauben, dass sie uns fehlt, sondern vielmehr, weil sie für uns wichtig ist, egal, wie wir zu ihr stehen.

Arbeit schafft Gründe, sie bringt uns mit Menschen zusammen, sie gibt uns einen Sinn. Sie ist nicht nur ein Mittel, um Geld zu verdienen. Wer Arbeit auf ein Mittel zum Zweck reduziert, verfehlt ihren wahren Charakter – und ihre tiefe Bedeutung für unser Leben. Gute Arbeit hat ihren Zweck auch in sich selbst, sie erzeugt innere Güter, die für ein gutes Leben wichtig sind. Aus der Arbeit schöpfen wir einen Teil unserer Identität.

Wir sind, was wir tun.

Dieses Buch ist auch entstanden aus Unzufriedenheit mit weiten Teilen der heutigen Kapitalismuskritik. Die Philosophen, Soziologen und Kulturkritiker haben meinem Eindruck nach zwar viel – und oft zu viel – zum Gespenst des Finanzkapitals zu sagen, aber erschreckend wenig zur Frage der Arbeit. Ironischerweise bringt die Management-Literatur zum Thema mitunter mehr Ertrag als die eine oder andere »gesellschaftskritische« Großtheorie. Die Marx’sche Idee der Selbstverwirklichung durch Arbeit haben die Gesellschafts- und Kulturtheoretiker heute weitgehend aufgegeben. Stattdessen reduzieren sie Arbeit auf ihre instrumentelle Dimension. Was in den sechziger Jahren die Kritik an der »instrumentellen Vernunft« war, das ist heute jene an der ökonomischen Rationalität, die immer mehr die Gesellschaft durchdringt. Damals wie heute subsumieren die Theoretiker die Arbeit unter eine abstrakte Großkategorie, die am Ende alles erfasst – und nichts zugleich.

Während die einen Arbeit auf Entfremdung reduzieren, reden die anderen ihr angeblich bevorstehendes Ende herbei. Mit blindem Eifer werde die Vollerwerbsgesellschaft beschworen, obwohl niemand ernsthaft an ihre Zukunft glaube, heißt es in brandeins. Die Arbeitsgesellschaft sei bloß eine »Inszenierung«, ein »übles Spiel« – und ein »relativ kurzlebiges Konstrukt aus der Industriegesellschaft«. Das sind bemerkenswert schneidige Parolen für ein Wirtschaftsmagazin, das die eigene Existenz der Tatsache verdankt, dass seine Mitarbeiter ihrem Tagwerk nachgehen.

Arbeit hat keine Zukunft mehr: Das behaupteten Kapitalismuskritiker und Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens schon in den achtziger Jahren. Unter dem Eindruck der Automatisierung schwärmte man von menschenleeren Fabriken, von einer Welt, in der Roboter und Computer die Arbeit machen.

Von einem »Abschied von der Arbeit« kann indes nicht die Rede sein. Tatsächlich ist die Beschäftigungsquote in Deutschland seit den neunziger Jahren konstant angestiegen, wie in fast allen europäischen Ländern. Heute liegt sie, trotz Finanz- und Eurokrise, mit über50 Prozent auf einem historisch immer noch hohen Niveau. 24 Millionen Menschen hatten 2011 einen unbefristeten Vollzeitjob, im Vergleich zu rund 27 Millionen vor zwanzig Jahren. »Man kann nicht sagen, dass wir uns ›jenseits der Lohnarbeit‹ befänden oder auch nur darauf zusteuern würden«, meint der französische Soziologe Robert Castel (1933–2013). »Wir nehmen keinen Abschied vom Arbeitnehmerverhältnis, weil dieses die weithin vorherrschende Organisationsform der Arbeit ist, ohne dass sich ein signifikanter Rückgang dieses Anteils feststellen lässt.«4

Sicher, die Arbeitsformen haben sich verändert. Fast acht Millionen Menschen arbeiten heute in Deutschland als »atypisch Beschäftigte« in Minijobs, Teilzeit- oder Leiharbeit oder in befristeten Beschäftigungsverhältnissen – so viele wie nie zuvor. Zugleich wächst derNiedriglohnbereich. Das trifft vor allem Frauen und jüngere, niedrigqualifizierte Arbeitnehmer, zeigt etwa eine Projektstudie5 der Soziologen Jutta Allmendinger, Johannes Giesecke, Lena Hipp, Kathrin Leuze und Stefan Stuth vom August 2012. Trotz eines starken Anstiegs atypischer Beschäftigungsverhältnisse sei die Normalarbeit im Zeitraum von 1996 bis 2009 allerdings nur leicht zurückgegangen, konstatieren die Forscher.

Wer die Arbeit kaputt redet, der ignoriert auch die Bedürfnisse der Menschen. Rund sieben Millionen Menschen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren – darunter2,5 Millionen Erwerbslose, zwei Millionen Teilzeitbeschäftigte und 1,7 Millionen Vollzeitbeschäftigte – wollen gern arbeiten oder wünschen sich mehr Arbeitsstunden, so ergab eine Haushaltsbefragung des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2011. Das allein zeigt schon den Stellenwert, den die Arbeit immer noch hat. Und das ist anscheinend nicht nur eine Frage des Geldes.

Die »Initiative neue Qualität der Arbeit« befragte 2004 im Rahmen der Studie »Was ist gute Arbeit?«7444 Erwerbstätige, was ihnen im Job wichtig ist. An der Spitze lag zwar das feste Einkommen (92 Prozent), knapp gefolgt von der Sicherheit des Arbeitsplatzes (88 Prozent). Doch auf die unmittelbare materielle Existenzsicherung folgt bereits, Arbeit solle Spaß machen (85 Prozent) und als sinnvoll empfunden werden (73 Prozent), 76 Prozent meinten zudem, die Arbeit solle den kollegialen Zusammenhalt fördern. Immerhin 73 Prozent der Befragten fanden es wichtig, dass sie auf ihre Arbeit stolz sein können. Und 66 Prozent äußerten den Wunsch, in der Arbeit ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Der Stellenwert der Arbeit zeigt sich auch daran, dass Menschen ihren Job oft auch dann nicht aufgeben, wenn sie eigentlich gar nicht mehr arbeiten müssten. Laut einer Emnid-Umfrage würden nur 15 Prozent der Deutschen nach einem Zehn-Millionen-Euro-Gewinn ihren Job aufgeben, internationale Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Die beiden Sozialarbeiter Christoph Lau und Ludwig Kramer befragten im Rahmen einer Forschungsarbeit vierzehn Lottomillionäre.6 Lediglich zwei der Befragten hatten nach dem Lottogewinn tatsächlich gekündigt. Einen besonders kühlen Kopf behielt ein 41-jähriger Krankenpfleger aus Nordrhein-Westfalen, der im Oktober 2006 fast 38 Millionen Euro gewonnen hatte. Schon am Sonntagabend stellte der Familienvater fest, dass er die richtigen Zahlen angekreuzt hatte. Und am nächsten Morgen erfuhr er, dass er der einzige Gewinner mit sechs Richtigen und Superzahl war. Der Mann rief von seiner Arbeitsstelle aus die Lottogesellschaft an, um knapp mitzuteilen, er könne erst nach Dienstschluss zum Beratungsgespräch erscheinen – die Arbeit gehe vor.

Arbeit ist immer noch ein zentraler Wert, der unser Leben, unsere Gesellschaft zusammenhält. Die Menschen definieren sich über ihre Arbeit, ob uns das passt oder nicht. Genau deshalb müssen wir die Arbeit wieder ins Zentrum rücken, statt ihr baldiges Ende herbeizusehnen.

Keine Frage: Arbeit kann unangenehm, sinnlos, entfremdet, ja entwürdigend sein. Aber es gibt auch entfremdete und entwürdigende Arten, seine »Freizeit« zu verbringen. Sicher: Der Job kann unglücklich machen. Aber unglücklich kann man auch aus ganz anderen Gründen sein. Und am unglücklichsten sind meist jene, die überhaupt keine Arbeit haben.

Arbeit schränkt unsere Freiheit ein. Wir könnenes uns nicht einfach aussuchen, ob wir morgens um9.00 Uhr im Büro erscheinen oder nicht. Und wenn der Vorgesetzte eine Anweisung gibt, müssen wir sie ausführen, selbst wenn wir keine Lust dazu haben. Aber auch abseits der Arbeit müssen wir bestimmte Dinge tun, zum Beispiel, weil wir Verpflichtungen gegenüber anderen haben. Wir müssen eben nicht nur zur Arbeit gehen, sondern auch die Kinder zur Schule bringen, Rechnungen bezahlen oder Versprechen halten. Überall unterliegen wir Verpflichtungen, Einschränkungen und Zwängen. Jenseits der Arbeit beginnt nicht notwendigerweise das »Reich der Freiheit«.

Kritik am Kapitalismus ist nicht dasselbe wie Kritik an der Arbeit. Man kann den Kapitalismus kritisieren und doch anerkennen, dass das System auch gute, sinnstiftende Arbeit schafft. Umgekehrt kann man miserable Arbeitsbedingungen angreifen, ohne deshalb den Kapitalismus grundsätzlich in Frage zu stellen. Wer den Kapitalismus verändern will, muss zuallererst die Arbeit revolutionieren. Zu glauben, es gehe umgekehrt, war und ist einer der großen Denkfehler der Kapitalismuskritik.

Was wir brauchen, das ist ein neues Verständnis von Arbeit, das frei ist von ideologischen Vorurteilen. Ichargumentiere für eine »Arbeitsbewegung«, die nicht auf einem dubiosen Klasseninteresse gründet, sondern auf dem Anspruch auf gute Arbeit. Schlechte Arbeit sollten wir nicht akzeptieren, weder als Individuen noch alsGesellschaft. Gegen schlechte Arbeit müssen wir aufbegehren.

In diesem Buch versuche ich, philosophisch zu begründen, was gute Arbeit heißt – und warum sie so wichtig ist für unser Leben. Gute Arbeit zu ermöglichen – das heißt für mich mehr, als bloß anständig bezahlte Jobs zu schaffen. Es geht um eine fundamentale Frage der Gerechtigkeit. Gute Arbeit hängt nicht nur von der Entlohnung ab. Und bessere Bildung verbessert zwar die Chancen, aber sie garantiert noch lange nicht einen befriedigenden Job, der den eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen entspricht. Wenn Gerechtigkeit bedeutet, dass jeder bekommt, was ihm zusteht, dann hat meiner Auffassung nach jeder Mensch einen Anspruch auf Arbeit, die zu einem guten Leben beiträgt.

Antikapitalistisch müssen wir dort sein, wo der Kapitalismus schlechte Arbeit schafft. Wo Menschen ausgebeutet werden, wo Arbeit nur mehr dem Profitinteresse dient und nicht dem Menschen. Nicht die kapitalistische Marktwirtschaft per se ist schlecht. Schlecht sind Jobs und Arbeitsformen, die uns Lebenszeit rauben und daran hindern, unsere Fähigkeiten weiterzuentwickeln – und damit letztlich uns selbst.

Genau deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Menschen gute, gerecht entlohnte Jobs finden, die ihre Fähigkeiten zur Geltung bringen – und nicht bloß Mini- und Teilzeitjobs, zu denen sie keine wirkliche Beziehung aufbauen können. Und genau deshalb dürfen wir auch nicht akzeptieren, dass gut ausgebildete Akademiker in Praktikumsstellen ausgebeutet werden, statt einen Job zu bekommen, der ihren Qualifikationen entspricht.

Wir brauchen keine Heerscharen von Motivationstrainern und Coachs, die ihr Geld damit verdienen, schlechte Arbeit irgendwie erträglich zu machen – zum Beispiel mit besserer »Work-Life-Balance«. Was wir brauchen, das ist sinnvolle, gute Arbeit, die uns weiterbringt im Leben.

Wir sollten die Arbeit nicht kaputt reden, sondern sie verändern. Das ist die eigentliche, zentrale gesellschaftliche Herausforderung. Da sind Politik und Wirtschaft gefragt. Und es ist eine Herausforderung für jeden Einzelnen von uns.

Wenn wir Arbeit ernst nehmen wollen, braucht es Engagement und »Commitment«. Es genügt nicht, jeden Tag am Arbeitsplatz zu erscheinen. Wir müssen unsere Arbeit zu unserer eigenen machen – zu einer Praxis, die unserer Vorstellung von einem guten Leben entspricht. Arbeit darf uns nicht gleichgültig sein. Das ist eine Frage von Selbstachtung, von Würde.

Die Verantwortung für gute Arbeit liegt auch beim Individuum. Wer ohne Not oder aus Bequemlichkeit in einem schlechten Job bleibt, wer seine Arbeit nur als Mittel zum Zweck betrachtet, der verschwendet nach meiner Auffassung einen wesentlichen Teil seiner Lebenszeit. Wahre Selbstbestimmung bedeutet nicht, sein Heil in der Freizeit zu suchen, sondern selbst darüber zu entscheiden, welche Arbeit zu einem »passt«. Wer immer nur unglücklich im Job ist, kann nicht nur seinen Arbeitgeber oder das »System« dafür verantwortlich machen. Er ist auch ein Stück weit selber schuld.

Wenn wir Selbstbestimmung wollen, müssen wir auch bereit sein, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die wahre Revolution geht von Menschen aus, die selbstbestimmt genug sind, ihr Recht auf sinnvolle, erfüllende Arbeit einzufordern – und die bereit sind, ihren eigenen Beitrag dazu zu leisten. Machen wir uns also an die Arbeit.

Kapitel 1

Ora et labora:Eine kleine Geschichte der Arbeit

Am Anfang war Arbeit, nichts als Arbeit. In einer Sechstagewoche schuf Gott Himmel und Erde, Tag und Nacht, Wasser und Land. Er säte Pflanzen, setzte Lichter ans Himmelsgewölbe, schuf lebendige Wesen – und schließlich auch noch den Menschen. Erst am siebten Tag ruhte Gott, nachdem er sein Werk vollbracht hatte. Der Sonntag ist uns daher heilig.

Der fleißige Schöpfergott hat den ersten Menschen zwar ins Paradies gesetzt und nicht in eine Schraubenfabrik. Doch auch Adam konnte nicht einfach faulenzen, sondern musste auf Gottes Geheiß immerhin den Garten Eden hüten und bebauen. Aus dem Alten Testament wissen wir, wie es weiterging. Adam und Eva lassen sich dazu verlocken, Früchte vom verbotenen Baum der Erkenntnis zu essen. Daraufhin stellt Gott die beiden zur Rede und vertreibt sie aus dem Paradies. Eva muss fortan unter Schmerzen Kinder gebären, Adam wird zu mühseligem Ackerbau verdonnert: »Im Schweiße deinesAngesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück.«

Kein anderer Mythos hat unser Bild von der Arbeit so nachhaltig geprägt. Die Arbeit als Fluch, als göttliche Strafe: Seit dem Sündenfall sind wir zur Maloche verdammt – und verbinden Arbeit mit Mühsal und Plage, die Freizeit mit dem Paradies.

Schon das Wort »Arbeit« selbst ist vorbelastet. Das germanische arebeit bedeutete »schwere körperliche Anstrengung« und »Strapazen«. Es taucht etwa in der ersten Strophe des Nibelungenlieds auf, und auch da meint es nichts Gutes, sondern Krieg und Metzelei. Etymologisch gibt es auch eine Verbindung zum englischen orphan, darunter verstand man ein verwaistes, zu schwerer körperlicher Arbeit gezwungenes Kind. Das französische travail leitet sich ab vom mittellateinischen tripalis oder »Dreipfahl«. Im Hochmittelalter bedeutete travaillerso viel wie »martern« oder »quälen«. Das slawischeWort robota wiederum kommt von »Frondienst« oder »Zwangsarbeit«, der »Roboter« ist eigentlich ein »schwer arbeitender Mensch«. Und bis heute verwenden wir manchmal das Verb »roboten«, um auszudrücken, dass wir richtig schuften müssen. Nüchterner wirkt da schon das moderne englische Wort work, das wiederum mit unseren Wörtern »Werk« oder »Werkzeug« zusammenhängt.

Die Etymologie spricht scheinbar eine klare Sprache. Doch die Haltung gegenüber der Arbeit hat sich im Verlauf der Geschichte mehrfach fundamental verändert – von radikaler Ablehnung über die Arbeit als Glaubenspflicht bis zur Idee der Selbstverwirklichung.

Das Wort »Arbeit« verwenden wir heute in allen möglichen Zusammenhängen. Manchmal bedeutet es Berufsausübung, manchmal bloßes Beschäftigtsein – oder einfach nur Mühe und Plage. Wir reden von Büroarbeit ebenso wie von Gartenarbeit, Haus- oder Beziehungsarbeit. Arbeit kann »vorangehen«, »Spaß machen« oder »ins Stocken kommen«. Sie wird »verrichtet«, »ausgeführt«, »erledigt« oder einfach nur »geschafft«. Wir »gehen an die Arbeit« oder »stürzen« uns gar in sie. Die Arbeit »läuft nicht weg«, sie »gerät ins Stocken«, »bleibt liegen«, und manchmal »wächst« sie uns sogar über den Kopf.

An Begriffsdefinitionen herrscht kein Mangel. Karl Marx bestimmte die Arbeit als »Prozess zwischen Mensch und Natur, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert«7. Der Brockhaus definiert sie als »bewusstes, zielgerichtetes Handeln des Menschen zum Zweck der Existenzsicherung wie der Befriedigung von Einzelbedürfnissen«, der Duden als »körperliches oder geistiges Tätigsein mit einzelnen Verrichtungen«. Der Wiener Arbeitssoziologe Manfred Füllsack bestimmt sie als »Tätigkeit, die unternommen wird, wenn ein bestimmter Zustand oder eine Gegebenheit in der Welt als unbefriedigend oder mangelhaft erlebt wird, oder wenn sich Ressourcen, die uns wichtig erscheinen, als knapp erweisen«.8

Alle diese Definitionen sind irgendwie unbefriedigend. Arbeit kann viele Formen annehmen, die kaum etwas gemeinsam haben. Was wir unter Arbeit verstehen, ist historisch und kulturell bedingt. Über viele Jahrhunderte bedeutete Arbeit in erster Linie körperliche Anstrengung. Man malochte auf dem Acker oder schuftete im Bergwerk, intellektuelle Betätigung galt als Muße, nicht als Arbeit. In der modernen Arbeitsgesellschaft hieß Arbeit lange Zeit, jeden Morgen ins Büro oder die Fabrik zu gehen. Heute wissen wir, dass man auch mit dem Laptop im Café sitzen und arbeiten kann. Und manche traditionelle Gesellschaften, wie etwa die westafrikanischen Ayizo, machen bis heute keinen Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit.

Offenbar ist Arbeit nicht einfach eine Daseinsform, für die man Geld bekommt. Sonst müssten wir ja einräumen, dass auch ein Sozialhilfe- oder Rentenempfänger arbeitet. Andererseits gibt es unbezahlte, ehrenamtliche Tätigkeiten, die wir durchaus als Arbeit qualifizieren. Arbeit ist nicht immer eine produktive Tätigkeit, sondern oft eine Dienstleistung. Und Bedürfnisse lassen sich auch befriedigen, indem man eine Bank ausraubt.

Der Begriff »Arbeit« ist abstrakt. Wenn ich Ihnen mitteile, dass ich gerade »arbeite«, dann sagt das noch nichts darüber, was ich gerade tue, jedenfalls wenn Sie meine Art von Arbeit nicht kennen. Ich könnte genauso gut eine Mail schreiben, Holz fällen oder ein Auto lackieren.

Was wir unter Arbeit verstehen, hängt ab von der jeweiligen Perspektive. Der Arbeitende verdient mit Arbeit seinen Lebensunterhalt, das Unternehmen steigert damit seinen Profit. Wie verzwickt die Definition von Arbeit heute ist, erkennt man daran, dass nicht nur die »Arbeitnehmer« arbeiten, sondern auch die »Arbeitgeber« – und zwar zynischerweise nicht zuletzt dann, wenn sie damit beschäftigt sind, ihre Mitarbeiter zu entlassen.

Ich muss gestehen, dass ich mich außerstande sehe, Arbeit als Tätigkeit zu definieren. Wir können nicht einfach sagen, welche Tätigkeiten Arbeit sind und welche nicht. Und es hilft auch nicht viel weiter, nach Kontrastbegriffen zu suchen.

Schon die Kontraposition von Arbeit und Freizeit ist irreführend. Schließlich ist das eine Wort ein Zeitbegriff, sein Gegenteil nicht. Natürlich kann man Freizeit als jene Zeit definieren, in der man nicht arbeiten muss. Das sagt uns aber noch nichts über Arbeit. In Schwierigkeiten geraten wir auch, wenn wir versuchen, Arbeit mit Muße zu kontrastieren, also mit der tatsächlich frei verfügbaren, selbstbestimmten Zeit. Denn wie soll man es dann verstehen, wenn jemand seine Muße dazu nutzt, um zu arbeiten?

Auch »Arbeit« und »Spiel« halten wir oft für Gegensätze. Aber Arbeit kann ebenso gut spielerische Elemente enthalten. Und manche arbeiten sogar, indem sie spielen, man denke an Pokerprofis.

Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf die Geschichte werfen, um zu verstehen, wie sich die Praxis der Arbeit entwickelt hat – und damit auch ihr Stellenwert für das Individuum und die Gesellschaft.

Nichts als Arbeit

»Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums, sagen die politischen Ökonomen. Sie ist dies – neben der Natur, die ihr den Stoff liefert, den sie in Reichtum verwandelt. Aber sie ist noch unendlich mehr als dies. Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, dass wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.« So beginnt Friedrich Engels (1820–1895) seine berühmte Schrift über den Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen.9 Darin beschreibt er die Arbeit als den bezeichnenden Unterschied zwischen Mensch und Tier. Während das Tier die Natur nur benutze, mache sie der Mensch seinen Zwecken dienstbar und beherrsche sie. Die menschliche Arbeit, so Engels, beginne mit der Verfertigung von Werkzeugen. Tatsächlich weiß man heute allerdings, dass auch Affen Werkzeuge benutzen. Was den Affen zur Arbeit fehlt, das sind offenbar bestimmte Fähigkeiten des sozialen Lernens.

Die ältesten menschlichen Steinwerkzeuge sind etwa zwei Millionen Jahre alt. Doch während die Affen kulturell stehen blieben, lernte Homo relativ schnell,seine Werkzeuge für die Jagd einzusetzen, zum Zerlegen der Tiere oder zum Abschaben der Felle. Und vor 10000 Jahren, in der Nacheiszeit, fingen sie an, sich niederzulassen und Landwirtschaft zu betreiben – vielleicht der erste Vorläufer der Arbeit, jedenfalls im Sinne einer systematischen Nutzung natürlicher Ressourcen. Von »Work-Life-Balance«, also von einer Trennung zwischen Arbeit und Leben, war in dieser Welt wohl noch nicht die Rede.

Das Verständnis von Freizeit hat sich im Lauf der Geschichte ähnlich gewandelt wie der Arbeitsbegriff. Oft stellen wir uns vor, dass das Leben der Jäger und Sammler in der Steinzeit ein einziger brutaler Existenzkampf gewesen sein muss. Doch die meisten Anthropologen glauben, dass die Urmenschen wohl gar nicht so viel Zeit mit »Arbeit« verbrachten. Natürlich waren diese Menschen nach heutigen Maßstäben sehr arm. Aber sie hatten auch viel »Freizeit«, um etwa gemeinsam am Lagerfeuer zu sitzen.

Einige traditionale Gesellschaften haben diese Lebensweise bis heute beibehalten. Madagassische Bauern kennen nicht einmal ein Wort für Arbeit, ihre Tätigkeiten – vom morgendlichen Aufstehen über das Korbflechten und die Feldarbeit bis zum abendlichen Zusammensitzen – gehen einfach ineinander über, zwischen Arbeit und Freizeit gibt es keinen Unterschied.

Noch heute haben nicht alle Kulturen einen Arbeitsbegriff in unserem Sinne. Die Ayizo etwa, jene bereits erwähnte bäuerliche Gesellschaft in Westafrika, betrachten jede Tätigkeit für sich selbst oder andere als Arbeit. Ob jemand auf dem Feld arbeitet, eine Lehmhütte für Freunde baut oder Essen für die Familie kocht: Es gilt als Arbeit. Allerdings unterscheiden die Ayizo sehr wohl zwischen Arbeiten und Spielen. Arbeitslose im eigentlichen Sinn gibt es in dieser Gesellschaft nicht.

Zu jedem Lebensalter gehören bei den Ayizo bestimmte Formen von Arbeit. Die jungen Männer etwa sind zuständig für bestimmte Feldarbeiten, die viel Körperkraft erfordern. Der Ethnologe und Soziologe Georg Elwert beschreibt die »Arbeitsgesellschaft« der Ayizo eindrucksvoll: »Die Arbeit endet nie. Auch ein alter Mensch wird bis zum Ende des Lebens sich mit einem Werkzeug in der Hand fast jeden Tag in der Vegetationsperiode auf den Weg zum Feld oder Garten machen, zumindest um zwei, drei Pflanzen zu jäten.«10