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Den Liebesbrief ihres verschwundenen Mannes hütet Marcella wie einen Schatz. Nachdem Sven jedoch nicht nach Hause kommt, sucht und findet sie die Schuld bei sich. Unerwartet wird sie von der lebensfrohen Dana, Svens ehemaliger Affäre, getröstet. Ist ihr zu trauen? Marcella wirft ihre Bedenken über Bord und verzeiht notgedrungen Dana. Svens dubiose Geschäftspartner könnten mehr wissen, vermuten die Frauen. Beide fahren an den Bodensee, um dort Svens Spuren zu verfolgen. Marcella fühlt sich plötzlich kränklich und überlässt der Anderen die Recherche. Nachdem Dana den Konstanzer Bankier David Fürst von Sayn-Wittgenstein auf ihre Weise verhört, fährt sie nach Sizilien und findet Sven auf einer Jacht. Danas Glücksgefühle währen nicht lange. Bevor die Umstände um Svens Entführung aufgedeckt werden, fällt Marcella ins Koma. Die Polizei verdächtigt Dana, die keine der Anschuldigungen auf sich sitzen lässt. Niemand glaubt ihr. Nur Sven steht felsenfest hinter ihr. Ist das sein Untergang? Es sind die Zwischentöne, die diesem emotionalen Krimi Tiefe verleihen. Wie bei allen Geschichten von Isabella Anders, spielt die Liebe eine große Rolle. Es handelt sich um die Fortsetzung der Bodensee-Romanze, die bisher im Gmeiner-Verlag erschienen ist. Jeder Serienteil ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Romanen gelesen werden.
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Seitenzahl: 450
Veröffentlichungsjahr: 2025
© 2025 Isabella Anders
Herausgeberin: Jasmin Süßmann
Lektorat: Christian Deuling
Cover designed by Freepik,
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Druck und Distribution im Auftrag der Autorin durch:
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Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jegliche Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, D-22926 Ahrensburg.
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Lieben Dank an alle, die mir die Veröffentlichung ermöglichen. Erwähnen möchte ich die Herausgeberin, Jasmin Süßmann, die mit ihrer wundervollen Stimme Hörbücher der Bodensee-Reihe einspricht. Bei meinem wichtigsten Unterstützer und Förderer, dessen Namen ich nicht schreiben soll, bedanke ich mich von ganzem Herzen und, last not least, bei allen, die sich von meinen Geschichten in eine andere Welt entführen lassen und mich beflügeln.
Danke Heinz, für die Rezension und Genehmigung mit deinem fürstlichen Namen arbeiten zu dürfen. Er hat mich inspiriert. Der Vorname des Protagonisten ist erfunden, genauso wie die Geschichten rund um ihn und seine Frau.
Danke an alle, die mich von Anfang an entschlossen unterstützt und an den Erfolg geglaubt haben: Karin Both, Ute Kopp, Ewald Piel, Landkreis Konstanz, Silke Löhle, Bodenseekreis, Hedda Vollmer, Andrea-Konstanze Dieterle sowie Jochen Frank Schmidt, Landkreis Waldshut, Sarah Kiefer, Landkreis Lörrach.
Jetzt geht’s gleich los Gute Unterhaltung wünscht, Isabella Anders
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Rückblick
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Fortsetzung folgt
Weitere Serienteile
Über den Autor
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Rückblick
Sven De Luca, Geschäftsführer der Seniorenresidenz Marven in Stuttgart-Weilimdorf, hatte sich am Freitag zum Wochenendseminar Die Reise zu dir nach Benediktbeuern aufgemacht, war wie vereinbart am Abend im Allgäu angekommen und in der Nacht spurlos verschwunden. Die Polizei sicherte am Morgen danach die Spuren eines Einbruchs und führte ergebnislose Gespräche mit Zeugen.
Ein erstes Lebenszeichen von Sven lag sechs Tage später, am Donnerstagmorgen, im Briefkasten seiner Stuttgarter Villa. In Form eines handgeschriebenen Liebesbriefes an Svens Ehefrau Marcella. Darin kündigte er ein baldiges Wiedersehen an. Über den Grund seines Verschwindens und seinen derzeitigen Aufenthaltsort verlor er keine Silbe.
Kapitel 1
Svens zauberhafte Zeilen versetzten Marcella in eine euphorische Stimmung. Neben den zuckersüßen Worten, in denen er seine Liebe beteuerte, lag es an dem unfrankierten Umschlag. Aufgrund der fehlenden Briefmarke, vermutete sie ihren Mann in der Nähe des Wohnhauses. Wie jeden Morgen war sie zum Briefkasten gelaufen, hatte schlaftrunken die Tageszeitung entnommen und dabei seinen Brief entdeckt. Mit freudigem Schreck hatte sie seine Zeilen gelesen und sich suchend umgeschaut. Obwohl sie ihn nicht entdeckte, umspielte ein Lächeln ihr Gesicht. Sie ahnte den Grund seines kuriosen Verhaltens: Er hatte sicherlich am frühen Morgen, während die Familie noch schlief, den unverschlossenen Brief in den Briefkasten eingeworfen, um ihre Vorfreude auf das ersehnte Wiedersehen zu steigern. Er kannte ihre Morgenroutine, der mit einem Blick in die Tageszeitung und einem Schluck Kaffee begann. Vermutlich zupfte ihr Mann im Park hinterm Haus Rosenblätter und besorgte im daneben liegenden Restaurant der Marven ein Frühstück. Svens romantische Inszenierungen waren legendär. Zumindest erinnerte sie sich an frühere Tage, in denen ihre Liebe frisch und unversehrt war. Nur im Pyjama und unfrisiert rannte sie Richtung Park, um ihn in die Arme zu schließen. Weder auf der Privatstraße, die durch den Wald führte, noch im Park war jedoch eine Spur ihres Mannes zu entdecken. Sie lief zurück zur Villa, darauf hoffend, dort ein weiteres Lebenszeichen von ihm aufzufinden.
Während sie den Frühstückstisch deckte, schaute sie ständig zur Tür und achtete auf jedes Geräusch. Marcella hoffte, nein, sie wusste, ihr Mann würde sie jeden Moment mit frischen Brötchen und verliebten Küssen überraschen. Sie war die dritte Woche krankgeschrieben und daher zu Hause. Normalerweise arbeitete sie als Ärztin in der Seniorenresidenz und hatte morgens keine Zeit für ein ausgiebiges Frühstück. Aufgeregt setzte sie sich an den Küchentisch, trank einen Schluck Kaffee, träumte sich zu ihm, sah dabei sein lausbübisches Grinsen, die verwuschelten Haare und seinen schiefen Blick, bei dem sie heute noch, nach über sieben Jahre Ehe, schwach wurde. Wenn sie die Augen schloss, spürte sie seine weichen Lippen und fühlte nach langer Zeit wieder dort ein Kribbeln, wo es sein sollte. Sie malte sich das Wiedersehen in den schönsten Farben aus, während sie verträumt das Haustelefon in die Hand nahm und die erste der vier Kurzwahltasten drückte.
»Kannst du Linus in die Kita und Mia zur Schule begleiten?«, überfiel Marcella ihre Mutter.
»Geht es dir nicht gut?«, fragte Emilia besorgt.
»Im Gegenteil. Sven kommt nach Hause«, sprudelte es aus ihr heraus.
»Hat sich die Polizei gemeldet?«
»Ich habe es im Gefühl, er hat mir…« Sie stockte mitten im Satz. Besorgt, Svens Zeilen könnten ihren Zauber verlieren, teilte sie seine Worte mit jemandem. »Kannst du dich bis zum Abend um die Kleinen kümmern?«, weitete sie ihre hektisch vorgetragene Bitte aus und beendete das Telefonat, ohne eine weitere Nachfrage zuzulassen. Gedankenverloren legte sie ihr Telefon beiseite und versank erneut in seiner Liebeserklärung, welche sich wie ein magisches Versprechen las.
Siebenmal schlug das Uhrwerk der Standuhr und erinnerte Marcella an ihre Pflichten. Mit einem Kuss weckte sie den vierjährigen Linus und seine zwei Jahre ältere Schwester Mia. Von ihren Sorgen und Hoffnungen erzählte sie nichts. Den Kindern hatte sie, genauso wie die Mitarbeiter der Seniorenresidenz Marven, bisher damit vertröstet, Sven sei auf einer Geschäftsreise. Ihr Herz pochte, weder ängstlich noch überlastet wie sonst, sondern stark und voller Vorfreude. Berauscht tanzte sie durchs Haus, hüpfte ins Badezimmer und nahm aus Gewohnheit Tabletten, die ihr früher gegen die Kopfschmerzen geholfen hatten. Ebenso das Präparat, welches sie sich selbst gegen ihre diffuse Herzsymptomatik verschrieben hatte und die »Hallo-Wach-Pille«, wie sie die illegale Droge nannte, mit denen sie sich morgens aufputschte, um die »Träum-Gut-Pille« vom Abend abzulöschen. All das hätte sie heute nicht nötig gehabt. Ihre Hormone schlugen Purzelbaum und versorgten sie mit allem, was glücklich, schmerzfrei und wach machten. Sie zog voller Ungeduld drei Röcke und fünf Blusen aus dem Schrank, warf alles auf ihr Bett, und entschied sich für ein sommerliches Kleid, welches im Schrank zufällig vom Bügel gefallen war. Sie begutachtete sich im Spiegel, kämmte ihre Haare und wählte das blumige Parfum, welches er besonders mochte. Aufgedreht verabschiedete sie die Kinder, die zwanzig Minuten später von ihrer Oma abgeholt wurden. Sie fand rosafarbenes Briefpapier in ihrem Sekretär und schrieb ihrem Mann einen Liebesbrief zurück und legte ihn, verziert mit Herzen und einem dicken Lippenstiftkuss, auf sein Kopfkissen im Schlafzimmer. Seinen Brief versteckte sie unter ihrem Kissen. Anschließend lief sie in das Erdgeschoss hinunter und wartete, am Fenster stehend, voller Vorfreude auf ihn.
Bis zum Abend geschah nichts. Sie hatte die verwunderten Fragen ihrer Mutter unbeantwortet gelassen und war froh darüber, wieder allein zu sein. Die Kinder schliefen bereits und draußen war es stockfinster geworden, nachdem dunkle Regenwolken aufgezogen waren. Sie ließ den Rollladen nach unten, setzte sich aufs Bett, überlegte sorgenvoll, wo ihr Mann so lange blieb, und zog seinen Brief aus ihrem Versteck hervor. Mit zitternden Händen las sie abermals seine Zeilen. Es war kein Traum. Er hatte ihr geschrieben, versprochen nach Hause zu kommen. Tapfer kämpfte sie gegen die aufkeimende Unsicherheit an und murmelte mantraartig vor sich hin:
»Du kommst zurück und wirst für immer bleiben.« Als ob ihr die antike Standuhr, Emilias Hochzeitsgeschenk, zustimmen wollte, schlug das Uhrwerk elfmal. In Marcellas Ohren klang jeder einzelne Gong, der vom Wohnzimmer bis zu ihr nach oben ins Schlafzimmer drang, wie ein Versprechen und erzählte von der glücklichen Zukunft mit ihm. Sie legte sich ins Ehebett. Angezogen. Einschlafen konnte sie nicht. Die Gedanken an ihn hielten sie wach. Bei jedem Geräusch schreckte sie hoch. Nach Mitternacht griff sie entnervt zu den »Träum-Gut-Pillen«, auf die sie heute verzichten wollte. Sie schluckte zuerst eine, fünfzehn Minuten später zwei weitere. Schließlich wollte sie am Morgen ausgeschlafen sein. Die Wirkung des stark sedierenden Präparats, von welchem sie nur eine Portion hätte nehmen sollen, setzte wie eine Keule ein.
*
Am Freitagvormittag, nachdem sie sich nach einer traumlosen Nacht in den Tag gekämpft und geduscht hatte, entschied sie sich verschlafen für eine verspielte, weiße Bluse mit Rüschen, einem langen Rock mit floralem Muster und schnappte sich die hohen Schuhe, damit sie ihn besser küssen konnte. Dazu wählte sie den Maiglöckchenduft mit Vanille, der an ihre erste Begegnung mit ihm erinnerte. Während sie zufrieden die Rollladen öffnete, entdeckte sie den Sonnenschein und schaute erschrocken zur Uhr. Sie sprang in den Flur, öffnete die Tür zu Mias Kinderzimmer. Ihr Bett war leer. Sie riss bestürzt die nächste Tür auf. Auch Linus war verschwunden, nur sein Schlafanzug lag auf dem Stuhl. Angst drückte ihr die Kehle zu und sie versuchte ihre Mutter zu erreichen. Zuerst über das Haustelefon, dann wählte sie Emilias mobile Nummer.
»Meine Langschläferin, sind wir schon wach?«, meldete sich ihre Mutter nach dem ersten Klingelton. Marcella überhörte in ihrer Panik den vorwurfsvollen Unterton und schluchzte:
»Mama, jetzt sind alle weg!«
»Beruhige dich. Ich bin im Park, bei den Rosen und die Kinder sind …«
»Sind sie bei ihrem Papa, ist er gekommen?«, unterbrach sie ihre Mutter hoffnungsvoll.
»Von Sven gibt es weiterhin keine Spur, ich habe die …«
»Hast du die Kleinen zur Kita und in die Schule begleitet?«
»Natürlich, mein Schatz. Sie kommen bald nach Hause. Was ist mit dir los?«
»Ich bin erst vor einer halben Stunde aufgewacht«, murmelte sie entschuldigend.
»Soll ich dir ein Brötchen bringen?«
»Nein, Mama. Ich warte mit dem Frühstück auf meinen Mann«, rief sie entrüstet.
»Hat er sich gemeldet oder hast du nur von ihm geträumt?«
»Ich fühle das.« Marcella verabschiedete sich verärgert und benötigte zwei Anläufe, um das rote Symbol auf ihrem Smartphone zu betätigen. Trotz ihres Zustandes spürte sie, wie wenig ernst ihre Mutter sie nahm. Sie halluzinierte nicht. Svens Brief lag neben ihr. Entschieden warf sie ihre Tabletten in die nächstbeste Schublade im Badezimmer. Gegen ihre zitternden Hände und ihr pochendes Herz half nur Sven. Die Präparate erzielten seit Wochen keine gewünschte Wirkung. Zumindest nicht in der üblichen Dosierung. Zudem fühlten sich heute die Symptome harmlos an. Schließlich war der Brief ihres Mannes der Grund ihrer inneren Unruhe, redete sie sich ihre gesundheitlichen Probleme klein, und lief ins Erdgeschoss. Erwartungsvoll stand sie am Küchenfenster. Von hier konnte sie die Zufahrt einsehen, zumindest bis zu den ersten Bäumen. Bald würde sie ihn sehen und küssen, stellte sie sich das Wiedersehen vor. Durch diesen kleinen Wald, der das Privatgelände der De Lucas von der Parkresidenz Marven trennte, schlängelte sich die einzige Durchfahrt zur Villa. Sie fühlte sich aufgeregt wie vor dem ersten Rendezvous, während sie sich buchstäblich die Nase an der Fensterscheibe plattdrückte. Jedoch, auch nach einer Stunde, keine Spur von ihm. Sie konnte nicht länger tatenlos warten, entschied sie, während sie sich eine Träne von der Wange wischte. Entschlossen zückte sie ihr Smartphone und suchte die Nummer der französischen Stylistin, die sich um die Residenzbewohner kümmerte. Wahlweise konnte man die Beauty-Termine in Jolies Salon neben dem Restaurant der Marven buchen oder Termine im Zimmer vereinbaren. Vor allem stellte Jolie keine dummen Fragen, obwohl sie jeden Tratsch in der Parkresidenz mitbekam und auch von ihren Eheproblemen wusste.
»Hi Jolie, hast du heute Zeit für einen Hausbesuch?«, fragte Marcella ohne Umschweif.
»Bien sûr«, gab Jolie freundlich Auskunft.
»Danke. Ich warte in der Villa auf dich.«
Am frühen Nachmittag kam Jolie, die immer gute Laune und jeden Monat eine neue Haarfarbe hatte, stellte ihren pinkfarbenen Trolley in Marcellas großem Badezimmer ab und fragte:
»Ma chère, mit was darf isch disch verwöhnen?«
»Ich verreise. Heute oder morgen. Kannst du bitte meine Haare anschauen?«, antwortete Marcella und setzte sich auf einen höhenverstellbaren Bürostuhl, den sie zuvor ins Bad geschoben hatte.
»Nur anschauen? Deshalb hast du misch angerufen?«, fragte die Stylistin belustigt.
»Natürlich nicht. So kann man sie nicht lassen«, protestierte sie.
»Hast du einen besonderen Wunsch? Eine Tönung? Die Haare kürzer, comme avant, wie früher?«, übersetzte Jolie, während sie andeutete, wie ein schulterlanger Schnitt aussehen könnte. Während Marcella überlegte, sang die junge Frau das Lied »Comme avant« von Marie-Mai: »Comme avant. Apprendre à marcher, sans tenir la main«. Übersetzt: Wie früher, lerne zu Laufen, ohne eine haltende Hand.
»Ich weiß nicht. Nein«, antwortete Marcella. Sie klang zuerst niedergeschlagen, dann verängstigt, obwohl sie die Botschaft des französischen Liedtextes nicht verstanden hatte. Ihre Gedanken kreisten um Sven. Wo war er?
»Magst du überrascht werden?«
»Kein Bedarf«, lehnte die Ärztin erschrocken ab, weil sie Schlimmes ahnte. Jolie hatte heute ihre naturblonden Haare rosa gefärbt und zu einem dicken französischen Zopf geflochten. Bei der Französin sah es gut aus, überraschenderweise auch in Verbindung mit ihrer enzianblauen Bluse. Aber für sie selbst war das nichts. Zudem waren ihre Haare brüchig und bereits genug strapaziert. »Ich habe Spliss, schau dir das an«, jammerte sie und zeigte auf ihre spröden, fransigen Haarspitzen. Sie hatte im letzten Jahr ihre Haare wachsen gelassen und wenig gepflegt. »Ist es schlimm?«, hakte sie verunsichert nach, nachdem Jolie nur wortlos den Kopf geschüttelt hatte.
»Non, non, c'est un désastre«, antwortete die farbenfrohe Fachfrau affektiert, während sich ihre Mundwinkel schelmisch nach oben zogen und sie ihrem Koffer einen giftgrünen Friseurumhang entnahm, auf dem lachende Smileys, in gelb und rot, gute Laune verbreiten sollten.
»Eine Katastrophe?«, zeigte sich Marcella entsetzt, die mit ihrem Schulfranzösisch zwar Jolies Ausspruch verstanden, jedoch ihre Mimik nicht gesehen hatte.
»Du warst lange nischt bei mir. Dir fehlt meine aufbauende Kur, ein guter Schnitt. Et voilà, sie sehen wieder fröhlischer aus«, führte Jolie vergnügt die notwendigen Maßnahmen auf und zog aus ihrem Trolley ein ebenso grünes Handtuch.
»Du nimmst mich nicht ernst. Hier ist alles kaputt, siehst du das nicht«, beschwerte sich Marcella.
»Nach meiner Behandlung geht es dir und deinem Haar très bien«, versprach Jolie, verschloss den leuchtenden Umhang und zwinkerte ihr aufmunternd zu. »Vertraust du mir?«
»Gut. Ich lass mich vielleicht überraschen«, gab Marcella zögerlich nach. »Aber auf keinen Fall Rosa, Pink oder so ein fürchterliches Grün«, begehrte sie auf, während sie einen bangen Blick auf den Umhang warf, der ihr Jolie zurechtzupfte. »Wo sind eigentlich die schönen schwarzen Handtücher und Umhänge, die wir dir zur Eröffnung deines Salons geschenkt haben? Ich habe sie lange nicht gesehen.«
»Wie schade«, bedauerte Jolie, ohne auf ihre Frage eine Antwort zu geben, und zog ihr die Halskrause mit einem sanften Ruck enger. »Was hältst du vom French Cut.«
»Was ist das?«
»Der neue Trend aus meiner Heimat. Diese Frisur passt perfekt zu dir«, bewarb sie ihren Vorschlag und ließ begeistert ihre Augen sprechen.
»Keine Ahnung wie das aussieht. Schneide mir die Spitzen, das genügt.«
»Langweilig«, lehnte die Stylistin ab. »Apropos, natürlich habe isch diese edlen, mit Marven bestickten Handtücher und Umhänge von deinem Mann und dir. Isch nutze sie im Salon, niemals für meine Lieblingskundinnen.«
»So, so. Langweilig.« Marcella lachte über Jolies Bemerkung. »Wie soll dein Vorschlag aussehen?«
»Schulterlang, oben stufig, unten gerade geschnitten.«
»Besser nicht. Ich mag so langes Haar wie Dana haben. Aber sie wachsen bei mir viel zu langsam«, verfiel sie wieder in ihren wehleidigen Ton.
»Dana hat Locken. Dir steht schulterlang besser. Beim French Cut fallen sie très francais, wild und frech. Es passt zu deinem schmalen Gesicht. Lass disch überraschen.«
»Ich will kein Risiko eingehen«, wehrte Marcella ängstlich ab, während sie sich entschied, einen Tag länger in Stuttgart auf ihren Mann zu warten. Dana, die Nanny ihrer Kinder, vermutete ihn am Bodensee und hatte ihr versprochen Sven zu finden. Allerdings fehlte von Dana ebenfalls jede Spur. Telefonisch konnte man sie, wie so oft, nicht erreichen. Gequält strich sie sich über die heiße Stirn und entschied sich um. Sie sollte besser heute an den See fahren, um der treulosen Dana auf die Finger zu schauen und ihre abgebrochene Therapie in der Radolfzeller Klinik fortzusetzen, überlegte sie angespannt.
»Du brauchst das gewisse je ne sais quoi«, entschied ihre Stylistin.
»Ich brauche ein, ich weiß nicht was?«, übersetzte sie wörtlich, was Jolie zu einem vergnügten Lachen reizte. »Ziehst du mich auf, weil ich mich nicht entscheiden kann?«, schmollte sie.
»Non. Du brauchst das gewisse Etwas. Das ist gemeint.«
»Das habe ich längst«, trumpfte Marcella trotzig auf, während sie an ihre Rivalin Dana dachte.
»Normalerweise«, pflichtete Jolie ihr bei. »Nur heute nicht, ma chère. Du siehst traurig aus.«
Marcella sah nicht nur so aus, sie war es. Seit einer Woche keine Spur von Sven. Jolies Mühe hätte sie sich sparen können. Sie zog an ihren viel zu kurzen Haaren. Die Enttäuschung machte sich mit jeder Stunde, die der Zeiger ihrer Standuhr vorwärtsschritt, breiter. Emilia hatte am Abend ihre Enkel zu Bett gebracht und sich besorgt bei ihr erkundigt, ob sie am nächsten Tag rechtzeitig aufstehen könne. Traute sie ihr überhaupt nichts mehr zu? Leise kullerte eine Träne über Marcellas geschminktes Gesicht. Das Tiefdruckgebiet war abgezogen und hinterließ eine gespenstische Stille. Lediglich das Ticken der Uhr war zu hören. Sie saß inzwischen auf dem breiten Fenstersims in der Küche und starrte in die Dunkelheit. Plötzlich zuckte eine Welle aus Schmerz und Hitze durch ihren Körper. Benommen tapste sie in den ersten Stock, ging ins Badezimmer, kühlte sich die Stirn und nahm wahllos von allen Medikamenten, die sie in der Schublade fand. An der Wand sich haltend, schleppte sie sich ins Bett und schloss die Augen.
Kapitel 2
Nachdem Marcella am Samstagmorgen nach einer traumlosen Nacht aufgewacht und lediglich Dana in Stuttgart mit Svens Panamera aufgetaucht war, fiel Marcella in ein Loch aus Selbstmitleid und Hoffnungslosigkeit. Dagegen half nichts. Auch nicht ihre Mutter, die sie seit zwei Stunden antrieb, ihren Koffer fertig zu packen. Seit ihrer beruflichen Überlastung war sie zunehmend in einem Strudel von Depressionen und wirren Gedanken gefangen. Ihr Herzschlag stolperte. Sie spürte einen Druck in der Brust, dann ein Brennen. Beunruhigt lief sie ins Badezimmer, damit ihre Mutter nichts mitbekam und drückte mehrere Tablette aus einer der Blisterkarten heraus und hielt inne. Sie musste sich zuerst entspannen. Sanft atmete sie durch die Nase ein, wie sie es ihren Patienten anriet: Vier Sekunden lang.
Gleichzeitig drückte sie ihre Zungenspitze beruhigend gegen den Gaumen. Dann schloss sie die Augen und hielt den Atem an. Sieben Sekunden lang. Anschließend ließ sie mit gespitzten Lippen langsam die Luft über den Mund ausströmen. Vergebens versuchte sie mit dieser Übung ihren Parasympathikus zu beruhigen, wie sie es im Medizinstudium gelernt hatte. Ohne Erfolg. Ihr Nervensystem war überfordert, ihre Gedanken fuhren weiterhin Achterbahn, waren nicht einzufangen und trieben ihren Puls stetig nach oben.
Hatten die anderen recht? Nein. Niemals. Anton Berger, Svens bester Freund und Privatermittler, der von einer Entführung ausging, war gewiss auf der falschen Fährte, versuchte sie sich vergebens zu beruhigen, während sie die Tabletten mit einem Schluck Wasser hastig hinunterschluckte. Ebenso Dana Veselá, die Nanny ihrer Kinder, die ihren Mann in den letzten Tagen am Bodensee gesucht hatte und heute am frühen Morgen unverrichteter Dinge nach Stuttgart zurückgekehrt war und ebenfalls von einer Entführung ausging. Weshalb? Es gab keinen Grund. Allerdings wollte ihr auch keine sinnvolle Begründung einfallen, weshalb er nicht nach Hause kam. Ihr war heiß. Sie ließ den kalten Wasserstrahl über ihren Unterarm laufen, um sich abzukühlen. Liebte er sie nicht mehr? Sie versuchte die dunklen Gedanken ihrer Ehekrise beiseite zu schieben, die sich wie bedrohliche Gewitterwolken immer höher auftürmten. Sie zuckte zusammen, nachdem ein stechender Schmerz vom Nacken in ihren Hinterkopf schoss und ihr für eine Sekunde die Sicht nahm. Trotz geöffneter Augen sah sie lediglich blitzende Sterne auf schwarzem Hintergrund. Sie hielt sich krampfhaft am Waschtisch fest, bis sie die Umgebung wieder halbwegs erkennen konnte.
»Mama, was ist, wenn er uns alle im Stich lässt?«, jammerte die 37-jährige Marcella, nachdem sie ins Schlafzimmer zurückgekehrt war und lustlos ein Nachthemd in ihren Koffer warf, den sie für ihren Klinikaufenthalt am Bodensee packte. »Ich hatte gehofft, er würde nach Hause kommen, bevor ich fahre. Liebt er mich nicht mehr?«
»Unsinn. Du weißt, was Anton vermutet. Wenn Sven könnte, würde er nach Hause kommen«, verteidigte Emilia De Luca ihren Schwiegersohn.
»Er hat mich mit der Nanny unserer Kinder betrogen.«
»Dana hat die Lage ausgenutzt, nachdem sie mit ihm tagelang am Gardasee festsaß«, korrigierte sie ihre Tochter.
»Macht es die Sache besser?«
»Hast du dich mit ihm ausgesprochen und ihm verziehen?«, stellte Emilia zum wiederholten Male die rhetorische Frage. Marcella nickte, während ihre Augen glasig wurden und eine weitere Hitzewelle durch ihren Körper schoss, die ihr den Atem nahm. »Dann vergiss die alten Geschichten und benimm dich nicht wie ein verunsichertes Mädchen. Das bist nicht du«, mahnte ihre Mama und strich ihr, mit sorgenvoller Miene, die dunklen Haare aus dem Gesicht.
»Was ist, wenn Dana sich heimlich mit ihm getroffen hat?«, jammerte sie kläglich.
»Weshalb sollte er das tun? Packe deinen Koffer und rede kein wirres Zeug.«
»Schau mich an. Meine Gesichtshaut ist aufgedunsen, meine Haare sind so brüchig wie mein Selbstvertrauen.« Sie fuhr fahrig mit der Hand durch ihre Haare, wartete die Antwort ihrer Mutter nicht ab und lief ins Bad, um eine weitere Tablette gegen ihre zitternden Hände einzunehmen und eine, um den Blutdruck zu stabilisieren. Sie litt weder unter einem organischen Herzproblem noch unter Wechseljahren, dafür war sie zu jung. Zudem hatte sie ihren Hormonspiegel bestimmen lassen, der in Ordnung war. Als Ärztin wusste sie, dass es Nebenwirkungen ihrer vielen Tabletten waren, die ihren Organismus durcheinander und ihr Herz zum Stolpern brachten. Mit einer Bürste brachte sie ihren French Cut in Ordnung, der im Grunde nicht ordentlich aussehen sollte, und begutachtete argwöhnisch die dunklen Haare, die in der Bürste hängen geblieben waren. Litt sie womöglich unter Haarausfall? Jolie hatte davon nichts gesagt. Die Stylistin müsste es wissen, erklärte sie sich selbst den Sachverhalt und kühlte sich mit einem nassen Tuch die heiße Stirn und versuchte, nachdem das nichts nutze, die negativen Gedanken mit einem Strahl kaltem Wasser abzuwaschen. »Ich werde gesund. Sobald ich diese verdammte Tablettensucht los bin und du bei mir bist«, murmelte sie vor sich hin, während sie sich ihr Gesicht abtrocknete und eincremte. Sie schaute betrübt in den Spiegel und malte mit ihrem Lippenstift ein Herz auf das Glas.
»Ich sehe eine hübsche Südländerin, die von Sven begehrt und geliebt wird. Seit dem ersten Moment an«, munterte Emilia ihre Tochter auf, nachdem sie wieder ins Schlafzimmer zurückgekommen war.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Marcella abwesend.
»Du hast mich eben gefragt, was ich sehe. Du bist wunderschön. Dein neuer Schnitt steht dir wunderbar. Unabhängig von den Äußerlichkeiten, bist du Svens Traum«, klärte Emilia sie auf.
»Seitdem ist viel passiert. Ich bin depressiv und habe unsere Beziehung vernachlässigt. Ist es verwunderlich, wenn sich mein Mann erneut auf die lebensfrohe Dana einlässt?«
»So ist er nicht.«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil ich ihn lange genug kenne.«
»Du kennst ihn aus seiner Zeit als Escort«, echauffierte sich Marcella und spürte abermals die Hitze aufsteigen. »Erinnere mich nicht daran und auch nicht an seine Ex-Freundin, die hier ungefragt auftauchte und alles durcheinanderbrachte.« (Roman Wie du es willst! Gmeiner Verlag)
»Escort – wie das klingt. Das war Sven niemals für mich. Wie du weißt, habe ich ihn damals als geschäftliche Assistenz und Fahrer gebucht. Er begleitete mich zu meinen Terminen nach Rom. Dein Onkel hat ihn nach italienischer Manier auf Herz und Nieren geprüft und dir gesagt, er sei der Richtige für dich. Dein Mann hat für dich sein altes Leben aufgegeben. Hast du alles vergessen?« Ein zaghaftes Lächeln huschte über Marcellas Gesicht, während ihre Mama engagiert weitersprach: »Er hat deinen Nachnamen angenommen, um unter seine Vergangenheit einen Schussstrich zu ziehen. Er liebt nur dich und die Kinder. Basta.«
Die beiden Frauen packten schweigend weiter, bis Emilia einen Anruf bekam und sie in ihre Einliegerwohnung lief, welche sich im Parterre der 100 Jahre alten Villa befand. Sie nahm die Abkürzung über die Terrasse im Garten, vorbei an den kunstvoll verzierten Sandsteinen und duftenden Rosen, die dem Haus etwas Heimeliges, fast schon Märchenhaftes gaben. Marcella schaute gedankenverloren ihrer Mutter hinterher, bis sie ihren Blicken entschwand.
Vor vier Jahrzehnten hatten sich ihre Eltern in die alten Mauern verliebt. Heute war es ihr und Svens Zuhause. War es das noch? Würde Sven jemals zu ihr zurückkehren, fragte sie sich verzweifelt und schaute missgelaunt auf ihre Packliste. Ihr war klar, wer Sven in Danas Arme getrieben hatte. Ihre Tablettensucht hatte sie zu einer anderen Frau werden lassen. Sie wollte nach dem Mittagessen mit ihrem VW-Bus nach Radolfzell fahren, um ihre unterbrochene Therapie in der Radolfzeller Hermann-Albrecht-Klinik fortzusetzen. Nach einer turbulenten Zeit als leitende Ärztin der Parkresidenz Marven, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und einer Handvoll Investoren auf dem ehemaligen Speditionsgelände ihrer Eltern aufgebaut hatte, war sie in eine Medikamentenabhängigkeit gerutscht. Die vielfältigen Aufgaben in der Seniorenresidenz und in der angeschlossenen Hausarztpraxis, waren ihr über den Kopf gewachsen. Sie hatte ihren Mann, die Kinder und auch sich selbst vernachlässigt, warf sie sich bitter vor. Zumindest hatte sie sich mit Sven ausgesprochen, bevor er zu seinem Wochenendseminar ins Allgäu gefahren war. Sie waren auf einem guten Weg, versuchte sie sich aufzumuntern. In seinem Brief, von dem sie ihrer Mutter weiterhin nichts erzählte, hatte er von einem Neuanfang geschrieben. Weshalb er in der ersten Nacht im Kloster Benediktbeuern verschwunden war, rekonstruierte derzeit die Polizei und war bisher zu keinem gesicherten Ergebnis gekommen. Alle sprachen von Entführung und einer möglichen Verwechslung. Der Grund lag für sie im Dunkeln, genauso, weshalb Dana seit ihrer Rückkehr vom Bodensee übertrieben gute Laune hatte.
»Kann ich dir beim Packen behilflich sein«, fragte gutgelaunt die blondgelockte Nanny, die in den oberen Stock gekommen und im Türrahmen des Schlafzimmers stehen geblieben war.
»Nein, ich bin gleich fertig«, lehnte Marcella bemüht freundlich ab, die Danas fürsorgliche Art einerseits schätze, jedoch nicht einordnen konnte. Hatte die Nanny ein schlechtes Gewissen oder wollte sie einen ehrlichen Neuanfang, genau so, wie sie es nach ihrer Aussprache miteinander vereinbart hatten? Tausend Fragen schwirrten ihr im Kopf herum und stellte jedoch nur eine, die nichts damit zu tun hatte: »Wo sind die Kleinen? Ich höre sie nicht.«
»Sie spielen beide im Sandkasten und möchten dir ihre Burg zeigen.«
»Wie schön«, antwortete sie abwesend und überlegte, ob die Nanny immer noch Sven liebte.
»Magst du einen frisch gepressten Obstsaft?«
»Gerne. In zehn Minuten bin ich unten und schaue mir Mias und Linus‘ Sandburg an.« Misstrauisch zu sein brachte ihr nichts, riss sie sich aus ihren negativen Gedanken und warf lustlos ein T-Shirt in den Koffer.
Kapitel 3
»Jetzt kann ich sprechen. Wo bist du?«, meldete sich Emilia außer Atem, nachdem sie in ihrer Wohnung angekommen war und Anton zurückgerufen hatte. Seinen Anruf hatte sie seit Danas Ankunft am Morgen erwartet. Er tat ihr gut. Mehr als das. Sie mochte ihn und seine fürsorgliche Art.
»Weiterhin auf Sizilien. Genauer gesagt in Trapani. Ich mache mich jetzt auf den Weg in die Berge, nach Erice, und warte auf Santinos Rückkehr. Wie geht es dir und den beiden Mädels?«, erkundigte sich Anton, der seit Svens Verschwinden mehrmals am Tag mit ihr telefonierte.
»Sven ist weiterhin nicht nach Hause gekommen – das verunsichert meine Tochter«, ordnete Emilia Marcellas Zustand ein.
»Hat sie dir inzwischen erzählt, weshalb sie so felsenfest von Svens Rückkehr überzeugt war?«
»Nein. Seit Donnerstag war sie hoffnungsvoll, himmelhochjauchzend. Heute ist sie wieder am Boden zerstört. Sie so enttäuscht zu sehen, macht mich unendlich traurig.«
»Sind das die Nebenwirkungen der Tabletten?«
»Vermutlich«, antwortete sie niedergeschlagen.
»Wie geht es Dana?«, fragte Anton, um Emilia auf ein anderes Thema zu bringen.
»Sie ist ausgelassen«, gab sie verächtlich Auskunft.
»Du denkst, Dana müsste geknickt sein, weil sie keinen Erfolg hatte?«, hakte er nach.
»Ja, das meine ich. Man sieht ihr zudem die anstrengende Fahrt nicht an. Wenn jemand aus Italien in einem Rutsch nach Stuttgart fährt, ist man müde. Sie führt etwas im Schilde, was sie motiviert«, fasste sie die Situation besorgt zusammen. »Hast du herausfinden, was die Nanny in der Toskana wollte?«
»Nein, die Frage wollte ich dir stellen. Was hat sie dir erzählt?«
»Nicht viel. Sie ist am Morgen aufgetaucht, als ob nichts gewesen wäre. Auf meine Frage, wo sie die letzten Tage war, hatte sie etwas von Konstanz und einem missglückten Ausflug in den Süden angedeutet, ohne konkret zu werden. Mir gegenüber ist sie verschlossen.«
»Hatte sie Kontakt zu Sven? Könnte das der Grund für Danas gute Laune sein?«, mutmaßte er.
»Marcella befürchtet es.«
»Kann sie ihren Verdacht begründen?«, bohrte er nach.
»Nein, meine Tochter macht sich vermutlich grundlos Sorgen, weil sie heute nach Radolfzell fahren wird und ihre Kontrahentin genau jetzt in Stuttgart auftaucht.«
»War die Aussprache zwischen den beiden nutzlos?«
»Ich weiß es nicht. Dana bemüht sich wie eine Freundin um sie. Marcella honoriert das und hat ihr verziehen, jedoch nichts vergessen. Wenn ich wüsste, was in Danas Kopf wirklich vorgeht, wäre mir wohler«, setzte sie hinzu und atmete schwer.
»Danas Rückkehr nach Stuttgart hat jedenfalls nichts mit Sven zu tun«, beruhigte er sie.
»Du hast mir heute Nacht geschrieben, sie wäre von der Polizei am Lago di Bilancino aufgegriffen worden. Weshalb?«
»Der Grund war harmlos«, verriet Anton lachend. »Der See liegt in einem Naturschutzgebiet und sie war dort verbotenerweise mit Svens Sportwagen unterwegs. Auf einem Naturpfad neben dem Schilf. Polizeibeamte hatten von ihrem Schiff aus zuerst sie schlafend auf einem Holzsteg entdeckt und später das geparkte Fahrzeug«, klärte er den Sachverhalt auf.
»Diese Dana. Vorschriften interessieren sie offenbar nicht«, bemerkte Emilia abfällig.
»Das ist ihre Schwachstelle. Dafür ist sie warmherzig und kümmert sich liebevoll um die Kinder und hilft Marcella, wo sie kann«, wiegelte er ab, worauf sie nicht einging.
»Weshalb stand in deiner Nachricht etwas von einem Landesverweis? Konnte sie das Bußgeld nicht bezahlen?«, fragte sie stattdessen.
»Man hat ihr lediglich damit gedroht. Das ist alles.«
»Wurde Dana überführt? Anton, sprich. Ich muss wieder zu meiner Tochter«, forderte sie ihn ungehalten auf.
»Wenn du auf deinen Verdacht in Bezug auf Marcellas Kammerflimmern anspielst, nein.«
»Es war ein Herzstillstand. Sie musste wiederbelebt werden und ich kann mir vorstellen, dass jemand nachgeholfen hat. Du kannst die Sache beim Namen nennen«, korrigierte Emilia ihn aufgebracht.
»Beruhige dich. Ich wollte dich nicht an den schlimmen Moment erinnern.«
»Es war ein feiger Mordanschlag und ich will wissen, ob Dana dahintersteckt.«
»Deine Tochter hat dir gegenüber von einer Ohnmacht erzählt, ausgelöst von ihrem Tablettenmix. Zudem wurden keine bleibenden Schäden festgestellt.«
»Dana gegenüber war sie ehrlicher. Ich habe das Telefonat zwischen den beiden mitbekommen und dir davon berichtet«, fiel sie ihm aufgebracht ins Wort. »Du musst nicht so tun, als ob es eine Bagatelle gewesen wäre. Es reicht, wenn meine Tochter mich anlügt. Offenbar färbt der Umgang mit Dana auf sie ab.«
»Marcella wollte dich nicht beunruhigen. Nur deshalb erzählte sie dir nicht alles.«
»Mein Problem ist Dana. Sie führt sich auf, als ob sie Marcellas beste Freundin wäre. In Wahrheit sind sie
Rivalinnen und wir wissen nicht, welchen Plan sie verfolgt«, reagierte Emilia allergisch auf Antons besänftigende Worte. »Wie weit würde Dana gehen, um Sven für sich zu gewinnen?«, brach Emilias drängendste Frage aus ihr heraus.
»Es gibt keine Beweise für diese Theorie. Lass uns daher nicht spekulieren«, wich Anton aus.
»Ist das alles, was du dazu sagen kannst?« Sie wurde laut, was nicht ihre Art war, ihre Stimme überschlug sich. »Du wolltest mir beistehen.«
»Ich stehe dir bei und habe Uwe auf die Sache angesetzt, weil ich noch nicht aus Italien abreisen kann. Sobald er in Radolfzell sein wird, kümmert er sich. Neuigkeiten erfährst du sofort. Wie immer«, reagierte er verärgert.
»Anton, bitte entschuldige mich. Ich weiß, dass du auf meiner Seite stehst.«
»Ich verstehe deinen Kummer«, nahm er ihre Entschuldigung an. »Dennoch darfst du dich nicht auf Dana einschießen. Wir haben keinerlei Beweise.«
»Weshalb hat man Dana des Landes verwiesen? Die Fahrt im Naturschutzgebiet kann unmöglich der Grund dafür gewesen sein«, fragte Emilia versöhnlich.
»Dana hat die Papiere von Svens Panamera in einer Handtasche in Stuttgart liegen lassen, was die Guardia di Finanza auf den Plan rief. Sie rief mich an, ob ich ihr aus der Patsche helfen könne. Daraufhin habe ich Santino gebeten, sie nach Hause schicken zu lassen, damit sie keinen Unsinn macht. Er kennt den Polizeipräsidenten und hat mir meinen Wunsch erfüllt. Ab jetzt darfst du auf sie aufpassen«, scherzte Anton.
»Wie soll ich das anstellen? Ich kann sie nicht einsperren«, erwiderte Emilia ermüdet und setzte sich mit einem Seufzer in ihren Lieblingssessel.
»Beschäftige sie mit den Kindern. Du hast dich die letzten Tage um deine Enkel gekümmert. Dir wird Ruhe guttun. Du kannst mit Marcella an den Bodensee fahren«, schlug er vor.
»Dana hat bereits angekündigt, weiter nach Sven zu suchen. Ich kann sie nicht einsperren.«
»Dann soll es ihr Marcella verbieten. Sie ist Nanny und die Angestellte deiner Tochter.«
*
Nach dem Telefonat mit Anton ruhte sich Emilia ein paar Minuten aus, lief anschließend um das Haus herum und sah vom Garten aus Marcella und Dana auf der Veranda stehen. Davor, auf der rechten Seite, blühte ein alter Rosenstock, den sie vor 40 Jahren gepflanzt hatte, auf der linken spielten Mia und Linus einträchtig im Sandkasten, der von einem Sonnensegel beschattet wurde. Die beiden Frauen, die von der Veranda ins Wohnzimmer liefen, bemerkten sie nicht. Sie hörte, wie ihre Tochter zu Dana sagte:
»Wenn sich meine Mutter weiterhin um die Kinder kümmert, kannst du mich an den Bodensee begleiten. Ich fahre in einer Stunde.«
»Das wird sie. Ich nehme Svens Auto, damit ich flexibel bin«, antwortete Dana freudig, drehte sich um und entdeckte erschrocken Emilia, die sich in dem Moment auf den Rand des Sandkastens setzte und sie dabei nachdenklich anschaute.
»Was baut ihr für schöne Sachen«, erkundigte sich Emilia interessiert bei Linus und strich ihm über den blonden Schopf, nachdem Dana ihrem Blick ausgewichen war. Ihr Enkel antwortete nicht, zu vertieft war er in sein Spiel. Emilia beobachtete, wie Dana eine halbleere Karaffe Orangensaft ins Haus hineintrug und damit einen Moment später wieder auf die Veranda herauskam. Sie schaute dabei unschlüssig zu Emilia, stellte den Saft auf einen Tisch ab und rückte betreten die Stühle zurecht.
»Hier wohnt der Papi und das hier ist der Bodensee«, erzählte Mia und deutete auf eine Burg und mehrere Sandkastenformen, die im Sand eingegraben und mit Wasser gefüllt waren.
»Dein Bodensee sieht schön aus«, lobte Oma die kleine Baumeisterin, während Dana den beiden in Hörweite zuschaute.
»Dana hat mir geholfen«, stellte es Mia richtig und steckte drei Barbie-Puppen in den Sand neben der Burg am Wasser. Einer der Puppen hatte sie einen Dreitagebart mit einem Filzstift aufgemalt.
»Weshalb sind bei deinem Papa zwei Frauen? Ist die blonde Frau Dana?«, fragte sie die Kleine.
»Ja. Die hier, mit dem kurzen Rock ist Dana, das ist Mama und die Puppe mit dem Bart ist der Papi. Zum Geburtstag schenkt mir Dana eine männliche Puppe«, plauderte Mia fröhlich.
»Jeder hat einen Koffer in der Hand. Was bedeutet das?«, erkundigte sie sich.
»Ist doch logisch. Die wohnen dort nicht für immer. Wenn sie ihre Arbeit gemacht haben, dann kommen sie alle wieder nach Hause«, erklärte Mia. Während sie ihrer Oma weitere Details ihrer Burg zeigte, kam Dana zum Sandkasten gelaufen, ging in die Hocke und sagte zu Emilia:
»Ich habe die Kleinen vorher gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn ich dem Papa und der Mama am Bodensee bei der Arbeit helfe. Damit sie schneller zu Hause sind. Sie finden das gut. Bist du auch einverstanden und kannst du dich weiterhin um die beiden kümmern?«
»Was hast du vor?«, fragte Emilia leise, während sie aufstand. Dana stand ebenfalls auf, lief mit Emilia zur Veranda und setzte sich mit ihr an den Tisch, auf dem die Karaffe und Gläser standen.
»Magst du?« Emilia nickte und ließ sich von ihr ein Glas einschenken. »Ich möchte dort weitermachen, wo ich aufgehört habe«, beantwortete sie Emilias Frage. »Ich will Sven nach Hause bringen. Für die Kinder und für Marcella. Sie brauchen ihn.«
»Weshalb bist du heute zurückgekommen, wenn du jetzt bereits wieder fahren möchtest?«, fragte Emilia skeptisch nach.
»Mir ist ein kleines Malheur passiert«, beichtete sie und erzählte wahrheitsgemäß von den vergessenen Papieren und dem Naturschutzgebiet. »Ehrlich. Ich habe das Verbotsschild nicht gesehen. Wenn Anton mich nicht gerettet hätte, dann würde ich heute noch in der Toskana festsitzen. Hat er es dir nicht längst erzählt?«, fragte sie Emilia und bekam keine Antwort. »Weißt du, wo er im Moment ist und wann er zurückkommt?«
»Frag ihn selbst«, gab Emilia zur Antwort. »Viel wichtiger ist, wo willst du Sven suchen?«
»Ich bin mit David verabredet«, wich sie ebenfalls aus.
»David Fürst von Sayn-Wittgenstein?«
»Genau der. Der Bankier von Konstanz. Bei ihm finde ich den Schlüssel zu…, ich meine, einen Hinweis, der zu Sven führt.«
»Wie kommst du darauf?«
»Das sagt mir mein Instinkt. Sobald ich Sven gefunden habe, melde ich mich«, versprach Dana und zwinkerte ihr erleichtert zu. Schnell stand sie auf und ließ Emilia mit einem unguten Gefühl zurück.
Kapitel 4
Wie geplant fuhren Marcella und Dana in zwei Fahrzeugen Richtung Bodensee. Eineinhalb Stunden später an der Rastanlage Hegau, wenige Kilometer vor dem Autobahnkreuz in Singen. Sie parkten ihre Autos und liefen zur Hotelterrasse, von der man einen wunderschönen Blick auf die lange erloschenen Vulkanschlote des Hegaus hatte.
»Ein Traum. Hier möchte man ein Haus bauen und bleiben«, rief Dana entzückt und schaute Marcella besorgt an, nachdem sie sich den letzten freien Tisch mit Ausblick auf die Alpen geangelt hatte. »Wie geht es deinem Kreislauf?«
»Dem geht es bestens. Soll ich dir ein Geheimnis anvertrauen?«, fragte sie. Dana nickte. »Ich bin gedopt, wie lange nicht«, flüsterte Marcella ihr ins Ohr, bevor sie sich setzte.
»Gut vorbereitet ist die halbe Miete. Von mir erfährt niemand etwas«, versprach Dana grinsend und zwinkerte verschwörerisch. »Magst du etwas essen? Was Warmes? Eine Suppe vielleicht?«
»Eine Suppe für mich und etwas Süßes. Hier, nimm meine Geldbörse, ich lade dich ein.«
»Kommt nicht in Frage. Heute bin ich an der Reihe«, lehnte Dana ab und lief nach innen zur Selbstbedienungstheke des Restaurants. Marcella schaute ihr nach, wie Danas blonde Locken bei jedem Schritt tanzten und nicht nur damit die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich zog. Ihr war es heute, als ob sie mit ihrer besten Freundin in Urlaub fahren würde. Sie hatte sich von Danas Leichtigkeit und Fröhlichkeit anstecken lassen. Irgendwie liebte sie ihre unkonventionelle Art. Dana bewertete nichts und fand für alles eine Entschuldigung oder wahlweise eine Lösung. Daher konnte sie mit ihr auch über alles reden. Nur nicht über Männer. Kein Wunder, dass Sven und die Kinder die hübsche Nanny mochten. Schnell verbot sie sich diejenigen Gedanken, die zu nichts führten, und schaute sich um. Die Tische im Außenbereich waren alle besetzt. Sie sah ein junges Pärchen, deren Teller kaum angerührt waren, weil sie miteinander turtelten. Ein Mann, vermutlich ein Handelsvertreter, der sie durch seine Sonnenbrille musterte und eine kleine, laut lachender Reisegruppe.
Marcella schaute hinunter, auf das mittelalterliche Städtchen Engen, dessen Dächer im Sonnenlicht reflektierten. Östlich davon Erhebungen mit Burgruinen und dahinter die Berge. Sie erinnerte sich daran, wie oft sie mit Sven diesen Ausblick genossen hatte. Damals, als sie beide in Konstanz gewohnt und er seinen Job als Escort für sie aufgegeben hatte. (Roman Bleibst du für immer? Gmeiner Verlag)
Seine Begeisterung für die reizvolle Bodenseeregion entlockte ihr ein Lächeln. Wäre es nach ihm gegangen, wäre er nie weggezogen. War er von etwas überzeugt, konnte er jeden mit seiner Begeisterung anstecken. Hätten sie das ehemalige Firmengrundstück ihrer Eltern in Stuttgart nicht bekommen und die Marven dort aufgebaut, würden sie heute noch am See wohnen. Sie schmunzelte bei dem Gedanken, wie engagiert ihr Mann sich auch für ihre Träume eingesetzt hatte und ihr zuliebe nach Stuttgart gezogen war. Er liebte sie wirklich. Sie überlegte, ob es Pillen gegen Eifersucht gab und entspannte sich zunehmend, je mehr schöne Erinnerungen ihr einfielen.
Sie hörte Danas helles Lachen, schaute durch den Sucher ihres Smartphones, während Dana ein überfülltes Tablet durch die Terrassentür balancierte, und machte einen Schnappschuss.
»Für unser Familienalbum«, sagte sie und zeigte Dana das Foto. Sven behandelte die Nanny, als ob sie zur Familie gehörte. Vielleicht sollte sie seine Ansicht teilen und Stärke signalisieren. Nicht eifersüchtig sein oder gar paranoid nach Anzeichen suchen, die sie verunsicherten und ihre Stimmung nach unten zogen. Ihr Mann hatte ihr geschrieben, sie sei sein alles. Vielleicht würde er in Radolfzell auf sie warten? Sie würde jedenfalls am Abend nicht nur ihre restlichen Tabletten entsorgen, sondern auch belastende Erinnerungen, die sich in ihrer Seele angesammelt hatten.
»Du bist lieb«, honorierte Dana Marcellas freundliche Geste mit dem Fotoalbum und stellte zwei Suppen, Kuchen und die Getränke ab. »Magst du Emilia anrufen?«, fragte sie, während sie sich ihr gegenübersetzte und das Besteck verteilte. »Sie sorgt sich, wenn sie zu lange nichts von uns hört.« Marcella nickte und wählte die Nummer.
»Seid ihr in Radolfzell angekommen? Geht es dir gut?«, meldete sich Emilia wie erwartet besorgt.
»Dana bemuttert mich. Sie bestand auf eine Pause. Im Moment genießen wir den Ausblick über den Hegau. Der Säntis ist immer noch schneebedeckt, obwohl wir Spätsommer haben. Ich schicke dir ein Foto.«, erläuterte Marcella gut gelaunt die Umgebung.
»Was macht dein Kreislauf?«
»Der ist stabil, ich habe vor der Abfahrt die doppelte Ration genommen, um …«
»Du nimmst immer noch das Teufelszeug?«, unterbrach sie ihre Tochter entgeistert. »Hast du mir nicht versprochen aufzuhören, weil jeder Tag länger deinen Körper ruiniert?«
»Ich weiß, was ich mache. Bis ich in der Klinik bin, muss ich einiges weiter einnehmen. Die Entgiftung beginnt heute Abend unter ärztlicher Aufsicht. Die starte ich garantiert nicht auf der Autobahn«, antwortete sie schnippisch.
»Entschuldige. Du bist Ärztin und kannst das besser einschätzen. Pass auf dich auf und melde dich, wenn du angekommen bist.«
»Alles klar. Ich soll dich von Dana grüßen.«
Kapitel 5
Emilia war erleichtert, dass ihre Tochter fast am Ziel war und über Dana, die ihr vor der Abreise wahrheitsgemäß von ihrem Missgeschick in Italien berichtet hatte. Es deckte sich mit Antons Aussage. Hatte die Nanny aus ihren Fehlern gelernt und würde künftig ihrer Tochter ehrlich zur Seite stehen? Sie wählte Antons Nummer. Wenn sie einige Stunden nichts von ihm hörte, vermisste sie ihn inzwischen. Vielleicht, weil sie bei ihm sein durfte, wie sie war? Sie konnte mit ihm über alles sprechen. Selbst ihre haarsträubenden Verdächtigungen Dana gegenüber nahm er ernst. Nach dem zweiten Klingelton meldete sich Anton:
»Hallo Emilia. Du hörst dich müde an.«
»Ich habe mich bis eben um die Kinder gekümmert.«
»Wird dir das nicht zu viel?«
»Dana hat gut vorgesorgt. Sie hat einen Mitarbeiter der Marven überzeugt, die Kinder mit ins Seniorenschwimmen nach Bad Dürrheim zu nehmen und sie nicht aus den Augen zu lassen.«
»Die Nanny ist ein unschlagbares Organisationstalent«, anerkannte Anton lachend Danas Ideen.
»Das stimmt. Daher konnte ich ihr den Wunsch nicht abschlagen, meine Tochter zu begleiten.«
»Sind die beiden in Radolfzell angekommen?«
»Sie haben eine Pause auf der letzten Raststätte eingelegt. Dana kümmert sich augenscheinlich um sie und achtet auf ausreichend Ruhezeiten. Ich wünsche mir so sehr, dass sich meine Befürchtungen ihr gegenüber in Luft auflösen.«
»Uwe wird sich kümmern. Er ist Polizist und wird sofort herausfinden, wenn sie Kontakt zu Sven haben sollte oder deiner Tochter in irgendeiner Weise schaden wollte. Wovon ich nicht ausgehe«, setzte er rasch hinzu.
»Ich möchte es ebenfalls nicht glauben. Wann wird Uwe am Bodensee ankommen?«
»Heute Nacht wird er in Rom übernachten und morgen nach Deutschland fahren. Mit seiner Schwester Amira.«
»Ich dachte, sie sei nicht seine Schwester?«
»Das stimmt. Er ging jahrelang davon aus und muss erst mit der neuen Situation klarkommen. Im Moment fährt sie mit dem Zug nach Rom und er ist im Auto parallel unterwegs. Morgen setzt sie sich in den Zug nach Mailand, versteckt in ihrem Abteil ihr getracktes Handy und steigt an einem Provinzbahnhof zu Uwe ins Auto.«
»Damit Santino denkt, sie würde wie geplant eine Rundreise mit der Bahn unternehmen«, fasste sie Amiras Plan zusammen.
»Sobald der Zug zurückfährt, wird der Schwindel auffliegen. Santino ist nicht dumm. Allerdings kann Amira später behaupten, sie hätte ihr Handy verloren.«
»Zumindest kann Santino seine Angestellte nicht länger orten. Soll ich Amira in der Parkresidenz verstecken, bis Gras über die Sache gewachsen ist«, bot Emilia an.
»Das mit dem Gras darüber wachsen, wird schwierig werden. Du kennst die alte Geschichte um Sven und Laura«, erinnerte Anton an die Hartnäckigkeit der sizilianischen Familie.
»Was wirst du tun?«
»Ich werde mit Santinos Vater verhandeln müssen. Bis dahin werden die beiden in Radolfzell bei Sara wohnen. Im Seeblick. Sonst kann Uwe sich nicht um Dana kümmern.«
»Ach, Anton. Ich mache mir Sorgen um dich, wenn du mit den Sizilianern verhandelst.«
»Brauchst du nicht.«
»Wann werden wir beide ein ruhiges Leben haben?«
»Wir?« Antons Stimme klang verblüfft, während sich auf seinem Gesicht ein Lächeln zeigte.
»Wir sind in einem Alter, in dem man einen unaufgeregten Lebensabend verbringen sollte. Ich habe im Moment nicht einmal genug Zeit für meine geliebten Rosen. Die verblühten Blätter müssen geschnitten werden.«
»Das tut mir leid für dich«, entgegnete er ernüchtert, der sich im Moment ungern mit dem Thema Lebensabend auseinandersetzen wollte.
»Dir ergeht es nicht besser. Du hast deine Detektei in Radolfzell an Alexander verkauft und arbeitest dennoch als Privatermittler weiter.«
»Im Seniorenheim ist es mir auf Dauer zu langweilig«, antwortete er pauschal.
»Davon rede ich nicht. Du könntest auf Sizilien Urlaub machen. Aber was machst du? Du begibst dich dort in Gefahr. Ich habe Angst um dich.«
»Brauchst du nicht.«
»Meldest du dich am Abend?«
»Natürlich, Emilia. Wie jeden Abend.«
Emilia schenkte sich den letzten Rest Orangensaft ein und schmeckte eine Bitterkeit, die ihr zuvor nicht aufgefallen war. Dana hatte sich die Orangen von der Marven Küche besorgt. Sie würde später beim Einkäufer anrufen und den Geschmack reklamieren. Die Bewohner der Parkresidenz waren beste Qualität gewohnt. Sie betrachtete mit Wehmut den Rosenstock, den sie mit ihrem Mann beim Einzug in dieses Haus, in welchem Marcella und Sven nun wohnten, vor vierzig Jahren eingepflanzt hatte. Ihre Gedanken schweiften ab. Sie erinnerte sich an alte Zeiten, die auch nicht immer einfach waren. Ihr Mann hatte mit ihrem italienischen Bruder die Spedition aufgebaut, während sie sich um die Buchhaltung und ihre einzige Tochter Marcella gekümmert hatte. Bevor sie gemeinsam die Rente genießen konnten, verstarb er. Wenn Sven und Marcella nicht die Parkresidenz auf dem Gelände gebaut hätten, würde sie hier nicht sitzen. Sie empfand eine Dankbarkeit ihrem Leben gegenüber. Alles war gut verlaufen. Abgesehen von den Sorgen um Marcella und Sven, war sie glücklich. Beinahe. Dennoch fühlte sie eine Leere in sich, die in der Hektik der letzten Jahre untergegangen war. Vor allem in den Momenten, in denen sie zur Ruhe kam, spürte sie das etwas fehlte. Seit dem Tod ihres Mannes hatte sie sich nie wieder auf einen Mann eingelassen. Zu sehr hatte sie ihn geliebt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemals ein anderer diesen Platz einnehmen könnte. Bis jetzt. Mit Anton konnte sie über alles sprechen. Nur nicht darüber. Er schwärmte für die verheiratete Doris. Zumindest sah sie es ihm an, wenn die Sprache auf Doris kam, wie viel er für diese Frau empfand. Was empfand Anton für sie? Sie würde ihn niemals fragen. Ihm nicht sagen, was sie fühlte, wie sehr sie ihn mochte. Darauf musste er selbst kommen. Eines Tages würde er es fühlen, hoffte sie.
Kapitel 6
Nachdem Marcella ihr Zimmer in der Klinik bezogen hatte, fuhr Dana von der Halbinsel Mettnau zurück zum Hotel Seeblick. Sara, die aufmerksame Besitzerin des Hotels, hatte sie bereits entdeckt und lief ihr auf dem kiesbelegten Parkplatz entgegen, der kurzzeitig durch Danas flotten Fahrstil in eine Sandwolke eingehüllt worden war.
»Dein Zimmer ist noch nicht vergeben«, begrüßte Sara sie erfreut und hustete übertrieben. »Hast du diesmal einen Koffer dabei?«
»Mehr als einen«, antwortete Dana vergnügt, zerrte aus dem Fond des Viertürers etwas Schweres heraus und drückte ihr eine große Kiste Obst und Gemüse in die Hand. »Kannst du die in deinen Vorratsraum nehmen?«
»Denkst du, wir haben nichts?« Sara lachte und nahm die Holzkiste entgegen.
»Das ist nicht für dich«, klärte Dana sie auf. »Darf ich deine Küche im Hotel nutzen? Ich möchte Marcella jeden Tag frische Säfte mixen und heute einen Kuchen backen.«
»Du bekommst den Schlüssel zu meiner Wohnung. Die Hotelküche ist das Revier von Doris, sie mag es nicht …«, zeigte sich Sara kooperativ und verdrehte dabei die Augen.
»Danke. Mit deiner Mutter will ich mich nicht anlegen«, antwortete sie grinsend und öffnete die Kofferklappe, um einen Korb mit Backzutaten zu entnehmen.
»Wie lange bleibst du?«, fragte die Hotelbesitzerin.