Wunderschöne Welt - Andrea Grießmann - E-Book

Wunderschöne Welt E-Book

Andrea Grießmann

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Beschreibung

Für das WDR-Reisemagazin »Wunderschön!« reist Andrea Grießmann um die Welt, in der Sendung »Planet Wissen« beleuchtet sie spannende Themen und trifft faszinierende Gäste. Sie ist eine Frau, die den Dingen gerne auf den Grund geht – und sie hat gleichzeitig viel Humor. Ihr Lachen ist ansteckend. In den Geschichten ihres Buches teilt sie ihren persönlichen Erfahrungsschatz, erzählt von bewegenden Begegnungen rund um den Globus, einer Ballonfahrt in Marokko, den Farben von Mexiko, Bergwanderungen mit und ohne Esel oder wie sie sich in Namibia überreden lässt, eine Termite zu essen. Aber in diesem Buch geht die Reise auch nach innen. Andrea Grießmann schreibt über persönliche Werte und Kraftinseln im Leben. Sie liebt es, in alten Kirchen zur Ruhe zu kommen. Und das Wort »Heimat« ist für sie ein schillernder Begriff. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Barcelona, Buenos Aires und im Frankenland, wo sie in Erlangen die Schule besuchte. »Die schönsten Reisen beginnen im Kopf – und beim Lesen – in diesem Sinne viel Spaß mit diesem Buch!« Andrea Grießmann

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Andrea Grießmann

Wunderschöne Welt

Geschichten vom Reisen und der Sehnsucht nach Heimat

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Für das WDR-Reisemagazin »Wunderschön!« reist Andrea Grießmann um die Welt, in der Sendung »Planet Wissen« beleuchtet sie spannende Themen und trifft faszinierende Gäste. Sie ist eine Frau, die den Dingen gerne auf den Grund geht – und sie hat gleichzeitig viel Humor. Ihr Lachen ist ansteckend. In den Geschichten ihres Buches teilt sie ihren persönlichen Erfahrungsschatz, erzählt von bewegenden Begegnungen rund um den Globus, einer Ballonfahrt in Marokko, den Farben von Mexiko, Bergwanderungen mit und ohne Esel oder wie sie sich in Namibia überreden lässt, eine Termite zu essen.

Aber in diesem Buch geht die Reise auch nach innen. Andrea Grießmann schreibt über persönliche Werte und Kraftinseln im Leben. Sie liebt es, in alten Kirchen zur Ruhe zu kommen. Und das Wort »Heimat« ist für sie ein schillernder Begriff. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Barcelona, Buenos Aires und im Frankenland, wo sie in Erlangen die Schule besuchte. »Die schönsten Reisen beginnen im Kopf – und beim Lesen – in diesem Sinne viel Spaß mit diesem Buch!«

Andrea Grießmann

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

Die Welt hört nicht auf, mich zu begeistern

London Heathrow forever?

Die Farben von Mexiko und der längste Schatten des Vaterlands

Die Boutique in Rom – eine Liebesgeschichte

Erwartungen

Mit dem Wassertaxi über den Dubai-Creek

Scheitern als Weg

Das sauberste Wasser Österreichs

Dringende und unlösbare Anliegen

He took the soup

Bielefeld meets the Rolling Stones

Schritte in unbekanntem Terrain

Schockverliebt in Afrika

Termitenessen mit Werner

Das Gewürz des Lebens im Souk von Marrakesch

Heimlich im Hotelzimmer

Im Heißluftballon über das Atlasgebirge

Mit der Göttin der Morgenröte auf der Kurischen Nehrung

Wir haben ein Recht auf Glück!

Die Stunde der Wahrheit

Auf dem Markt von Castelldefels

Der Bus kommt. Meistens

Koffer packen! Aber richtig

»Handle with tender loving care«

Gürteltiere und Säcke voller Geld

Wie schmeckt und wie klingt Heimat?

»Allmächt na!«

Fränkisch by nature!

La bandera

Kölsche Casanova

Beneidenswert

Einer von uns

Reise in die Vergangenheit

Oma Jule

Sehnsucht nach dem Ursprünglichen

Kleine Fluchten

Dreimal umgezogen ist wie einmal abgebrannt

(K)eine Berlinerin

Schon lange

Ankommen

Heimat

Schmecken, fühlen, riechen, sammeln

Geborgenheit

Bleiben Sie zu Hause!

Identitätskrisen

Zum Schluss

Ich widme dieses Buch meinen Männern:

meinem Vater Wilfried, der mir zweifelsohne sein Reise-Gen vererbt hat,

meinem Mann Stefan

und meinen Söhnen Len und Eddie.

Prolog

Wenn ich am Strand von Castelldefels, wo ich meine Kindheitsjahre verbracht habe, die Augen zumache, ist es wie früher. Die Brise, die vom Meer rüberweht, der Salzgeruch in der Luft, das Flirren der Hitze über dem feinen Sand. Von Weitem höre ich schon den Eismann rufen: »Helaaadoooooooooo!«, und denke an damals. Der Eisverkäufer ist noch weit genug weg, um mir in aller Ruhe zu überlegen, welches Eis ich meinem Vater heute aus den Rippen leiern will. Erdbeere oder Zitrone, das habe ich immer am liebsten…

Der Spielplatz ist auch noch da, auf dem ich als Kind gespielt habe, »Tortuga!« haben sie mir hinterhergerufen, das weiß ich noch, das bedeutet »Schildkröte!«. Kinder können ganz schön fies sein. Offenbar habe ich damals eine Zeit lang meine Zunge zwischen den Zähnen durchgestreckt … eben wie eine Schildkröte. Aber nein, eigentlich ist das völlig ausgeschlossen, so was Blödes habe ich nicht gemacht, die Erinnerung muss eine falsche sein … Doch die Stimmen klingen mir noch gut im Ohr: »Tortuga, tortuga!« Diese Erinnerung ist so stark, dass ich mich geschlagene 40 Jahre später auf diesem Spielplatz noch unwohl fühle … gibt’s doch gar nicht, so was.

Auf den Ramblas, der berühmten Flaniermeile von Barcelona, kneife ich die Augen zu und bin noch einmal sechs, sitze bei Papa auf den Schultern. Rechts und links Blumenstände, Blüten in allen Farben, ein Meer aus Blumen. Wenn ich die Augen ein bisschen weiter aufmache heute, sehe ich fast nur noch Souvenirstände … Heimat verändert sich.

»Wo ist deine Heimat?«, »Wo kommst du her?« Mit diesen beiden Fragen hat alles angefangen. Ich habe viele Geschichten aufgeschrieben, um sie mit Ihnen zu teilen. Das Ergebnis halten Sie in Form dieses Buches gerade in den Händen.

Dieses Buch ist eine Reise in die Sehnsucht …

Sehnsucht nach Ferne und Nähe.

Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer.

Sehnsucht nach Geborgenheit und Heimat.

Sehnsucht nach Sinn.

 

Die schönsten Reisen beginnen im Kopf – und beim Lesen. In diesem Sinne viel Spaß mit diesem Buch!

 

Andrea Grießmann

Die Welt hört nicht auf, mich zu begeistern

© Privat

London Heathrow forever?

Der Flug von Köln nach London dauert eineinhalb Stunden, gefühlt ein Katzensprung. Das Fernsehteam ist samt Equipment mit dem Auto nach England vorausgefahren, ich darf fliegen. Das Ticket war günstig, aber die Passagiere sitzen in der Maschine wie die Hühner auf der Stange, noch dazu einer sehr schmalen Stange. Egal, der Flug dauert ja nicht lang. Bisschen lesen, bisschen schlafen, und schon leuchten wieder die Anschnallzeichen auf. Wir kreisen über dem Flughafen. Kaum ist die Maschine gelandet, springen die ersten Fluggäste aus ihren Sitzen. Ein Ritual in den frühen Maschinen, die meistens mit gehetzten Anzugträgern voll besetzt sind. So weit wie immer. Doch dann bremst diese Durchsage alle aus: »Verehrte Passagiere! In der Geschichte der Luftfahrt ist kein Fall bekannt, in dem ein Passagier vor dem Flugzeug das Terminal erreicht hätte. Sie können also in Ruhe wieder Platz nehmen. Schnallen Sie sich bitte wieder an und erst wieder ab, wenn wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben. Wir danken für Ihr Verständnis.«

Großartig. Ich platze fast vor unterdrücktem Lachen, die Zusammengestauchten sinken überall um mich herum leise wieder in ihre Sitze. Nicht dass ich das auch nicht schon gemacht hätte. Aber heute eben nicht. Warum haben es viele so eilig? Ich habe dazu eine Theorie, es sind drei Gruppen von Menschen, die in dieser Situation aufspringen. Gruppe1: die, die es wirklich sehr eilig und die sprichwörtlichen Hummeln im Hintern haben (da reihe ich mich immer wieder ein). Gruppe 2: Menschen mit Flugangst, die einfach so schnell wie möglich aus der Maschine rauswollen, Ratio ausgeschaltet. Gruppe 3: Raucher.

Schließlich hat das Warten ein Ende, und wir erreichen glücklich unsere endgültige Parkposition in London Heathrow. Was für eine Stadt: London. Den ganzen Tag werden wir hier drehen, auf den Spuren der Beatles und der Stones, ich liebe meinen Job.

Wie versprochen ertönt das Signal, die Anschnallzeichen erlöschen. Brav stehen alle betont lässig auf, kramen ihr Gepäck aus den oberen Klappen. Ich danke dem lieben Gott, dass mir bis heute tatsächlich noch keiner in solchen Momenten konzentrierter Hektik seinen mattschwarzen Carbon-Cabintrolley aufs Hirn hat fallen lassen. Man könnte tot sein.

Die meisten Passagiere stehen jetzt dicht gedrängt im Gang und warten, dass die Tür geöffnet wird. Durch die kleinen Fenster auf der mir gegenüberliegenden Seite des Ganges sehe ich, wie eine Fluggastbrücke rangeschoben wird. Praktisch, diese langen Stahlwürmer, durch die man komfortabel einfach geradeaus rausspazieren kann, wenn sie mal angedockt sind. Vermutlich noch ein Minütchen, bis die Tür aufgehen wird. Ich sitze ziemlich weit vorne und sehe, wie es vor dem Fenster in der Tür dunkel wird. Der Tunnel dockt anscheinend gerade an, es klackt und ruckelt, dann betätigt der Steward den Mechanismus zum Öffnen der Tür. Aber es passiert nichts. Er wiederholt das Ganze. Er telefoniert. Die Tür bleibt zu.

Dann eine freundliche Durchsage: »Liebe Passagiere, wir bitten Sie noch einen kleinen Moment um Geduld, die Tür wird in wenigen Minuten geöffnet«. Wird sie aber nicht. Es scheint ein größeres Problem zu geben.

Ich sitze immer noch auf meinem Platz und beglückwünsche mich selbst zu meiner Reiseplanung. Heute ist nämlich einer dieser Tage, an denen mein Reiseplan bewusst luftig gehalten ist. Ich muss erst in zwei Stunden am Drehort sein, habe es tatsächlich nicht eilig und freue mich, vorher vielleicht noch was von der Stadt zu sehen.

Die Tür bleibt zu. Die Telefonate der Crew werden hektischer, die Passagiere, die meisten davon vermutlich Vielflieger, fangen an zu spekulieren, wie es weitergehen wird, und sich Storys aus ihrem Reiseleben zu erzählen, so in der Art: »… in Tadschikistan saßen wir mal zwei Tage fest, weil die Maschine einen technischen Defekt hatte …« Wir sind aber nicht in Tadschikistan. Wir sind in London Heathrow Airport, dem größten Flughafen Europas, dem siebtgrößten Drehkreuz der Welt, an dem jedes Jahr über 80 Millionen Fluggäste abgefertigt werden. Tag für Tag gehen hier bei Hunderten von Fliegern die Türen auf und zu. Bis dato bin ich jedenfalls davon ausgegangen. Aber wer weiß?

Die Tür bleibt weiterhin zu. Inzwischen warten wir schon eine halbe Stunde. Viele Menschen im Flugzeug haben gute Ideen, wie sich das Problem vielleicht lösen lassen könnte, ich auch. Wir haben doch noch eine zweite Tür? Außerdem könnte man doch den stählernen Wurm wieder wegfahren und stattdessen eine Old-School-Treppe hinstellen, über die wir runtersteigen. Dann laufen wir einfach übers Rollfeld. Aber all unsere Tipps sind nicht gefragt. Immerhin beweist der Steward wiederholt Humor. Sehr freundlich und glaubwürdig gut gelaunt hält er uns auf dem Laufenden, bringt uns immer wieder auf den neuesten Stand. Unter dem Strich bleibt es aber bei einem »Wir bemühen uns«. Eine Nachricht ohne jeden Neuigkeitswert.

Ich bemühe mich auch gleich! So langsam versickert meine gute Laune, ich fühle mich eingesperrt. Steht irgendwo im Kleingedruckten, dass man als Fluggast kein Anrecht darauf hat, das Flugzeug am Zielort direkt nach der Landung zu verlassen? Oder dass es okay ist, erst verspätet aussteigen zu dürfen, wenn sich die Crew vorher nachweislich ausreichend bemüht hat …? Wer weiß?

Jedenfalls bemüht sich die Crew weiter, die verflixte Tür zu öffnen. Aber die Tür bleibt zu.

Sie fragen sich vielleicht an dieser Stelle berechtigterweise, wie lange sich diese Geschichte noch hinzieht, irgendwann wird die Tür ja wohl aufgehen.

Mir ging’s in diesem Moment damals im Flieger ganz genauso. Angesäuert dachte ich: »Jetzt macht mal hinne, gute Laune hin oder her, mach die Sch...tür auf und Ende Gelände.«

Leider blieb die Tür einfach zu, und zwar noch, maßstabsgetreu auf dieses Buch umgerechnet, für mindestens zwei Seiten. Ich kürze das Ganze an dieser Stelle ab: Beim Andocken des Wurms ist offenbar irgendwas schiefgelaufen. Das Teil ließ sich nicht mehr entfernen. Er hatte sich sozusagen festgebissen. Einen zweiten Wurm für die Hintertür hatten sie gerade nicht da. An die Hintertür eine Leiter zu stellen (oder eine Notrutsche, was mein Profitipp gewesen wäre), wurde auch nicht gemacht, auf mich hört ja keiner.

Nach geschlagenen eineinhalb Stunden öffnete sich die Tür. Meine gute Laune war inzwischen sehr reduziert. Wir haben tatsächlich genauso lange auf die Türöffnung gewartet, wie der Flug gedauert hat. Halleluja!

Die Farben von Mexiko und der längste Schatten des Vaterlands

Vaterland? Auch das noch. »Heimat« ist ja schon ein großes Wort, aber »Vaterland« legt in Sachen Pathos noch einige Ziegelsteine drauf … Das Wort geht mir irgendwie schwer über die Lippen bzw. von der Hand. Der Begriff ist in Deutschland vorbelastet, seit er im Dritten Reich in die Mitte der Ideologie gerückt wurde. Ich schreibe trotzdem an dieser Stelle vom Vaterland, weil es um eine Geschichte aus Mexiko geht. Der spanische Begriff Patria steht für Vaterland und für Heimat. Meine mexikanische Nachbarin Brenda erklärt mir aus dem Bauch heraus, an dieser Stelle wäre die deutsche Sprache doch genauer. Vaterland ist für sie das Land, in dem sie geboren wurde. Heimat ist dort, wo die Menschen sind, die du liebst. Bei ihr ist die Heimat ganz klar Deutschland, denn hier lebt sie mit Mann und Töchtern. Dann zögert sie, während sie mir alles erklärt. Denn in Mexiko leben ihre Eltern … Brenda hat also ein Vaterland und zwei Länder, die sie Heimat nennt! Mit ihren Kindern übt sie von klein auf das unaussprechliche Wort »Parangaricutirimícuaro«. So heißt ein kleiner Ort in Mexiko, der als Zungenbrecher berühmt wurde. Brendas Kinder sollen lernen, den Namen so fließend auszusprechen, dass sie den mexikanischen Opa am Telefon sprachlos machen.

Den »längsten Schatten« von Brendas Vaterland kann man am Zócalo bewundern, das ist der gigantische Platz in der Mitte von Mexiko City, der Mega-Stadt mit über 20 Millionen Einwohnern. Vom Torre Latinoamericana, 1956 als erstes Hochhaus Lateinamerikas errichtet, kann man ihn sehen – aus 180 Metern Höhe blickt man über die Stadt, und egal in welche Richtung man schaut – nirgends ist ein Ende des Häusermeers auch nur zu erahnen. Wahnsinn!

Der Zócalo ist nicht nur der Mittelpunkt der Stadt, sondern sogar ganz Mexikos. Schon für die Azteken war hier das Zentrum ihrer Hauptstadt Tenochtitlán, mit dem Palast des Königs Moctezuma und dem mächtigen Templo Mayor. Heute ist der Zócalo umrahmt von Sehenswürdigkeiten: dem Palacio Nacional als Sitz des Präsidenten, dem Rathaus und der großen, prächtigen Kathedrale. Mitten auf der Plaza de la Constitución, so heißt der Zócalo offiziell, steht ein gigantischer Fahnenmast mit einer unglaublich großen Fahne. Ich habe im Reiseführer nachgelesen – 350 Quadratmeter groß ist dieses »Stück« Stoff! Die Fahne weht, wenn der Wind reicht, majestätisch langsam.

An einem heißen Sommertag stehe ich am Rande des riesigen Platzes. 56000 Quadratmeter umfasst die Plaza de la Constitución – das entspricht in etwa der Größe von acht Fußballfeldern. Wir sind die letzte Stunde durch enge Straßen gegangen. In den Häuserschluchten ist zum Glück Schatten. Nun gilt es den Zócalo zu überqueren, um unser nächstes Ziel zu erreichen. Die normalste Sache der Welt, könnte man denken, aber das Ganze hat einen Haken, stelle ich fest. Auf dem Platz gibt es nirgendwo ein Fitzelchen Schatten. Wer will schon minutenlang über ein heißes Backblech laufen? Was man auch anhat, es ist zu viel bei dieser Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit. Wir machen deshalb erst einmal Pause. Als wir uns an einer Hauswand herumdrücken, die uns gnädig Schatten spendet, fällt es mir auf: Was machen die Leute da? Mitten auf dem Platz beginnt eine lange Menschenschlange, es könnten Hunderte sein, die dort anstehen: Erwachsene, Familien, Geschäftsleute im Anzug mit Aktentasche unterm Arm, Bauarbeiter, Alte und Junge, die ganz große Mischung. Worauf warten sie? Manche unterhalten sich, andere essen oder trinken etwas, viele lesen Zeitung, manche sitzen am Boden – schläft da nicht sogar einer?

Wenn Leute auf etwas warten, gucken sie meistens alle in die gleiche Richtung. Aber die Menschen in dieser Schlange auf dem großen Platz schauen alle woanders hin.

Jetzt fällt bei mir der Groschen – die Leute warten gar nicht, sie stehen bloß alle im Schatten! Die gigantische Fahne am Mast wirft einen fetten, breiten Schattenstreifen quer über die Sonnenwüste, und die meisten Menschen machen hier schlicht und einfach Pause. Mittagspause. Pause vom Shoppen, Pause von der Sonne. Genial.

Wir wollen zum Nationalpalast, der mit einer Breite von 200 Metern die ganze Ostseite des Zócalo einnimmt. In diesem Palast haben alle residiert, die in Mexiko das Sagen hatten – Kaiser und Könige, Präsidenten und Diktatoren, Eroberer und Revolutionäre. Mexiko hat im Laufe seiner Geschichte viel durchgemacht. Keiner hat das monumentaler festgehalten als der Künstler Diego Rivera. Seine meterhohen Wandgemälde, die oft dramatische Szenen zeigen, hängen im Eingangsbereich des Präsidentenpalastes, der Eintritt ist frei. Diego Rivera, der mexikanische Nationalmaler, war der Ehemann der Malerin Frida Kahlo. Die beiden lebten in einem wunderschönen Haus im Stadtteil Coyoacán in Mexiko-Stadt. Man nennt es la casa azúl, das blaue Haus. Heute ist es ein Museum, in dem die Werke der beiden und ihre Ateliers zu besichtigen sind, aber auch Privaträume.

Ein unglaubliches Blau. Es leuchtet und nimmt dich ein, es ist unfassbar präsent und dominant. Ein geradezu unverschämtes Blau, das mir Jahre später noch mal begegnet, im Jardin Majorelle in Marrakesch. Der berühmte Modeschöpfer Yves Saint Laurent hat dort die Gebäude, die in einem traumhaft schönen Park liegen, in exakt diesem Frida-Kahlo-Blau angestrichen.

Fridas Haus ist von außen mit Ausnahme der Farbe unspektakulär. Man würde vermutlich daran vorbeilaufen, wenn es nicht so blau wäre. In diesem Haus wurde Frida Kahlo 1907 geboren. Ihr Vater war Deutscher. Karl Wilhelm Kahlo wuchs in Pforzheim auf und wanderte mit 18 Jahren nach Mexiko aus, wo er seinen deutschen Namen »Wilhelm« einfach ins Spanische übersetzte und sich fortan »Guillermo« nannte.

Meine Mutter Rosalinde ist auch in Pforzheim geboren. Sofort fühle ich mich mit Frida verbunden, als ich lese, wo ihre Wurzeln zu finden sind. Ich kann irrational emotional sein …

Im Innern des Hauses sieht alles bunt und fröhlich aus. Kräftige Farben, liebevoll gestaltete Einrichtungsdetails. Es scheint fast so, als wären die beiden Künstler, die hier einst gewohnt haben, erst gestern noch da gewesen. Auf den Kommoden und Tischen aus dunklem Holz stehen große Teller aus leuchtend bemaltem Steingut. An den Wänden unzählige Bilder, bunte Keramiken, verzierte Skelette und Totenköpfe, die vom berühmten mexikanischen Totenkult erzählen. Auch viele uralte Objekte aus der präkolumbischen Zeit, vor der Eroberung des Landes durch die Spanier, sind zu sehen. In Lateinamerika existiert übrigens noch heute der Begriff der »madre patria«, so wird das »Mutterland« Spanien bezeichnet.

La casa azúl ist auch eine Art Heimatmuseum. Dabei denke ich nicht nur an einzelne historische Ausstellungsstücke. Das Haus erzählt in seiner Gesamtheit von der innigen Liebe Frida Kahlos zu ihrer Heimat Mexiko. Sie war eine glühende Patriotin, stolz auf ihre indigenen Wurzeln. Oft malte sie sich in landestypischer Tracht.

Am berührendsten finde ich das Schlafzimmer von Frida Kahlo mit dem Bett, in dem sie einen Großteil ihres Lebens verbracht hat. Mit 18 Jahren wurde sie bei einem Busunglück schwer verletzt, eine Stahlstange bohrte sich durch ihr Becken. Es folgten unzählige Operationen, auch eine Beinamputation. Immer wieder lag Frida lange Zeit in diesem Bett, regungslos in einem Ganzkörpergips oder Stahlkorsett fixiert.

Ein Himmelbett aus dunklem Holz, reich verziert. Hier begann sie zu malen, um sich die Zeit zu vertreiben. Ihre letzten Tage verbrachte sie nur noch im Bett, in dem sie im Juli 1954 starb.

Vom Schlafzimmer blickt man in den wunderschönen, weitläufigen Garten des Hauses. Leider konnte Frida in ihrem Korsett nicht mal den Kopf drehen, um aus dem Fenster zu schauen. Sie war an ihr Bett gefesselt, den Blick an die Decke gerichtet. Schrecklich …

Da lag sie also. Wenn sie die Augen aufgemacht hat, blickte sie in einen großen Spiegel, der an der Decke des Bett-Himmels angebracht war (und immer noch ist). Sie hat sich die ganze Zeit selbst gesehen in ihrem Elend. Wie grausam! Warum hat sie keine bunten Bilder hinhängen lassen? Es jagt mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken, während ich an diesem Bett stehe. Fridas Leid und ihr Schmerz sind fast zu greifen, während die mexikanische Sonne freundlich durch die Schlafzimmerfenster scheint.

Die Boutique in Rom–eine Liebesgeschichte

Durch die Glasfront glitzert mich ein riesiger schwarz-goldener Kronleuchter an und saugt mich ins Geschäft am Rande der schicken Via del Corso in Rom. »Ciao!« ruft mir eine aufregend schöne Römerin von der Kasse aus zu, lacht mich fröhlich an und schwatzt dabei weiter mit ihrer Kundschaft. Alles richtig gemacht. Schon bin ich wild entschlossen, hier irgendwas zu kaufen, schließlich will ich dazugehören. Und auch der Colour-Code funktioniert, der ganze Laden strahlt Harmonie aus – alle Farben aufeinander abgestimmt, hohe Decken mit Stuck, Grandezza. Ein Stück von der Kasse entfernt ein Riesenpouf, ein rundes, gestepptes Sofa in einem satten Flieder, darauf fläzt sich ein bildhübscher Junge wie hingegossen, vielleicht neun Jahre alt. Der Arme wartet bestimmt auf seine shoppende Mutti und langweilt sich zu Tode, aber ein Model hätte sich nicht schöner hindrapiert.

Ich gehe nach hinten durch, in einen zweiten Raum. Auch hier alles komplett durchgestylt, die Wände in dunklem Petrolgrün, silbern-schwarze Kronleuchter, tolles Lichtdesign, chillige Loungemusik … Hier hat jemand Geschmack bewiesen. Ich weiß gar nicht, was ich zuerst bewundern soll, die Wände und Lampen oder das, was man hier alles kaufen kann: superlässige und trotzdem schicke Klamotten, glitzernde lange Halsketten, passende weiche Schals. Wie zufällig stehen einzelne Handtaschen herum, die perfekt dazu passen. Der ganze Laden ist voll mit zufrieden schnatternden, schönen jungen Frauen. Gedankenverloren tauche ich in dieses Gesamtkunstwerk ein und lasse eine grün schimmernde Kette durch meine Finger gleiten, als ein lang gezogener, kehliger Schrei mich im Mark erschreckt – was war das?

Noch ein kurzes Stöhnen, dann herrscht Ruhe. Ich schaue um die Ecke und sehe den hübschen Jungen verkrampft auf dem Pouf liegen, Spucke läuft ihm aus dem Mund. Was ist passiert? Soll ich einen Arzt rufen, kann ich helfen? Ich will gerade auf den Jungen zugehen, da steuert das Vollweib von der Kasse auf ihn zu, über die Schulter noch geschäftig mit einer Kundin plaudernd. Sie geht zu dem Jungen, wischt ihm routiniert den Speichel ab, nimmt ihn kurz in den Arm und küsst ihn auf die Stirn. Er sinkt wieder auf den Pouf und zwirbelt sich eine dieser Wahnsinnsglitzerketten, die sie hier im Laden verkaufen, um seine verkrampften Finger.

Ich schaue mir den Jungen noch etwas genauer an. Seine dunkelblonden, längeren Haare fallen ihm in einem Seitenscheitel lässig in sein schönes Gesicht. Dunkelbraune Augen mit langen Wimpern ziehen die Blicke auf sich. Er trägt eine ziemlich coole Jeans, topaktueller Schnitt, ein edles weißes Hemd und darüber einen wolligen, hellgrauen Langarmpulli, der sündhaft teuer aussieht. Oben guckt der blütenweiße Kragen raus, an den Ärmeln blitzen Manschettenknöpfe, aber er hat nur Socken an. Der Junge beachtet mich nicht. Er scheint niemanden in diesem vollen Laden wahrzunehmen, er ist ganz mit sich beschäftigt.

Ich brauche einen Moment, um diese Situation in Gänze zu erfassen.

Vergessen sind die Klamotten, die Ketten, die Kronleuchter. Der Junge zieht mich komplett in seinen Bann. Offenbar kann er nicht ohne Unterstützung aufrecht sitzen und auch seine Bewegungen nicht wirklich koordinieren. Er spricht auch nicht, sondern stößt immer wieder diese Schreie aus, dann kommt die Frau wieder. Sie wischt ihm den Mund ab, küsst ihn, kassiert weiter: »380 Euro signora! Grazie mille e ciao, arrivederci!«

Ich komme mir vor wie eine Voyeurin, schiebe leicht verunsichert ein paar Blusen auf einer Stange hin und her, will diese Frau tausend Sachen fragen, die mich nichts angehen. Der Junge ist offenbar ihr Sohn. Im Rausgehen wechsle ich noch ein paar Worte mit ihr: »Danke, toller Laden, ist das Ihrer?«

»Ja«, sagt sie, »ciao signora, grazie«, und strahlt mich an.

Wow. Den Rest des Tages bin ich in Gedanken bei dieser Frau und bis heute immer wieder. Wie sie ihren Sohn, der so ganz anders ist, einfach mitnimmt in diese Glitzerwelt, ihn schön zurechtmacht, ihn zeigt. Voller Liebe, voller Selbstverständlichkeit. Weil er eben einfach dazugehört.

Erwartungen

Kuba hält wirklich alles, was der Reiseführer verspricht: Die Sonne strahlt ununterbrochen vom knallblauen Himmel, das warme karibische Meer ist noch viel türkisblauer als in meinen kühnsten Träumen und die Oldtimer in Havanna noch pinker als auf allen Fotos, die ich gesehen hatte. Die Strände endlos wie die Sehnsucht, die Menschen schön und gut gelaunt, die Frauen selbstbewusst und knallbunt angezogen, es ist eine Wonne, sie anzuschauen. Die Insel lockt mit wunderschönen Städten und einer traumhaften Natur, man weiß gar nicht, wo man zuerst hinfahren soll. Und das ist auf jeden Fall Pflicht: Kuba muss man auf einer Rundreise kennenlernen!

Genau das wollen wir in unserer Wunderschön-Sendung zeigen: die besten Tipps für den Trip, ein Roadmovie. Acht Tage lang fahre ich zusammen mit unserem Kamerateam über die Insel. Eindrücke, die ich nie vergessen werde, und Abenteuer, wo man sie nicht vermutet: zum Beispiel die Fahrt auf der kubanischen Autobahn.

Wir planen eine Tour die Nordwestküste hinunter, 200 Kilometer von der Hauptstadt Havanna nach Viñales. 200 Kilometer, das wäre auf einer (freien) deutschen Autobahn in geschmeidigen zwei Stunden zu machen, hier rechnen wir mal mit vier Stunden, die Straßen in Kuba sollen nicht ohne sein. Und das fängt schon damit an, dass man sie erst einmal finden muss. Straßenschilder sind auf Kuba durchaus vorhanden, aber nie dort, wo man sie braucht.

Aber wo sollte es eine gute Beschilderung geben, wenn nicht in der Hauptstadt? Weit gefehlt. Die Autobahn jedenfalls scheint eine Beschilderung nicht verdient zu haben. Es gibt sie, so viel ist klar, aber wo?

Jetzt denken Sie vielleicht: Schaltet halt das Navi ein! Aber GPS ist hier verboten.

Da lob ich mir doch die gute alte Old-School-Papierkarte! Technischer Fortschritt hin oder her, manche Dinge sollte man wirklich nicht zu schnell abhaken! Ich sitze also mit einer großen faltbaren Landkarte auf dem Beifahrersitz, versuche mich zu orientieren und unser Auto zu lotsen.

Kuba ist in jeder Hinsicht eine Zeitreise. Nach über einer halben Stunde Suche finden wir die Auffahrt auf die Autobahn schließlich doch … wir merken es aber nicht gleich! Sie kommt daher wie eine stinknormale, etwas breitere Straße, mit dem einzigen Unterschied, dass zwei Fahrbahnen in die gewünschte Richtung führen, manchmal gibt’s einen Mittelstreifen, manchmal auch nicht.

Natürlich habe ich nicht erwartet, dass die Autobahn auf Kuba so aussieht wie bei uns in Deutschland. Aber insgeheim offenbar doch, Frau Grießmann! Sonst würde ich mich doch jetzt nicht so sehr wundern! Eine weitere, tief in meinem Inneren verankerte Erwartung lautet: »Auf Autobahnen fahren die Autos schnell.« In diesem kurzen Satz stecken tatsächlich schon drei Fehler, drei falsche Erwartungen. Aber der Reihe nach.

1. Erwartung: »Fahren«

Muss nicht. Kubaner halten auf der Autobahn auch einfach mal an. Es geht doch schnell, wenn man nur kurz was aus seinem Kofferraum holen will oder eben eine Pause braucht. Die Menschen auf der rechten Fahrbahn winken uns freundlich zu, als wir sie langsam und glotzend überholen.

2. Erwartung: Auf der Autobahn sind Autos unterwegs