Ein Toter sitzt im Sattel - William Mark - E-Book

Ein Toter sitzt im Sattel E-Book

William Mark

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Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Der große Brand hatte sich gelegt. Auch der Rauch war verzogen. Mehr als vier Fünftel der kleinen Savannenstadt Tirone waren in Schutt und Asche gelegt. Aus den verkohlten Balken stiegen immer noch Dunstspiralen empor. Drüben am Ufer des Little Rio Grande stand der Marshal Earp, der vor sich den Begründer dieser Stadt stehen hatte, nämlich den griechischen Spielhöllen-Inhaber Serge Osakis. Neben Osakis stand seine Tochter Ruth. Hinter beiden verharrte mit steinernem Gesicht der Georgier Doc Holliday. Vor wenigen Tagen war in der kleinen Präriestadt ein Cowboy verschwunden, dessen Name Jerry Scotland war. Der Cowboy war der Sohn eines Ranchers aus der Umgebung von Tirone. Der alte Scotland hatte Wyatt Earp um Hilfe gebeten. So war der Marshal nach Tirone gekommen. In den zwölf Stunden, die er sich in der Stadt aufhielt, war vieles geschehen. Eine ganze Hölle hatte sich aufgetan, und das Inferno hatte schließlich den größten Teil der Stadt in Schutt und Asche gelegt. Aber der verschwundene Cowboy war nicht gefunden worden. Im Morgengrauen hatte die Stadt dann in Flammen gestanden. Als der neue Tag sein erstes diffuses Licht über den Horizont schickte, war Tirone vernichtet. Die Bürger hatten sich alle retten können, und niemand war an Leib und Leben zu Schaden gekommen. Serge Osakis und seine Tochter hatten erklärt, dass ein Mann namens John Allison den Brand gelegt hätte. Es war für Wyatt Earp und Doc Holliday natürlich keine so ungeheure Überraschung, denn sie befanden sich nicht allzu weit von der gefürchteten Stadt La Punta entfernt, in der der große Desperado Clay Allison mit seinen beiden Brüdern Jonny und Matthew lebte. Clay Allsion war Wyatt Earps größter Gegner.

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Wyatt Earp – 234 –

Ein Toter sitzt im Sattel

William Mark

Der große Brand hatte sich gelegt. Auch der Rauch war verzogen. Mehr als vier Fünftel der kleinen Savannenstadt Tirone waren in Schutt und Asche gelegt. Aus den verkohlten Balken stiegen immer noch Dunstspiralen empor.

Drüben am Ufer des Little Rio Grande stand der Marshal Earp, der vor sich den Begründer dieser Stadt stehen hatte, nämlich den griechischen Spielhöllen-Inhaber Serge Osakis. Neben Osakis stand seine Tochter Ruth. Hinter beiden verharrte mit steinernem Gesicht der Georgier Doc Holliday.

Vor wenigen Tagen war in der kleinen Präriestadt ein Cowboy verschwunden, dessen Name Jerry Scotland war. Der Cowboy war der Sohn eines Ranchers aus der Umgebung von Tirone. Der alte Scotland hatte Wyatt Earp um Hilfe gebeten. So war der Marshal nach Tirone gekommen. In den zwölf Stunden, die er sich in der Stadt aufhielt, war vieles geschehen. Eine ganze Hölle hatte sich aufgetan, und das Inferno hatte schließlich den größten Teil der Stadt in Schutt und Asche gelegt.

Aber der verschwundene Cowboy war nicht gefunden worden.

Im Morgengrauen hatte die Stadt dann in Flammen gestanden. Als der neue Tag sein erstes diffuses Licht über den Horizont schickte, war Tirone vernichtet.

Die Bürger hatten sich alle retten können, und niemand war an Leib und Leben zu Schaden gekommen.

Serge Osakis und seine Tochter hatten erklärt, dass ein Mann namens John Allison den Brand gelegt hätte.

Es war für Wyatt Earp und Doc Holliday natürlich keine so ungeheure Überraschung, denn sie befanden sich nicht allzu weit von der gefürchteten Stadt La Punta entfernt, in der der große Desperado Clay Allison mit seinen beiden Brüdern Jonny und Matthew lebte. Clay Allsion war Wyatt Earps größter Gegner. Der Marshal, der sich mit Doc Holliday auf dem Wege nach Dodge City befand, hatte sich vorgenommen, so weit wie möglich von La Punta wegzubleiben. Aber wie von magischer Gewalt gezogen, wurde er offenbar dort hingetrieben. Der griechische Spielhöllenbesitzer Serge Osakis behauptete steif und fest, Jonny Allison hätte den Cowboy Jerry Scotland getötet und auch die Stadt angezündet.

Als Motiv für die Tat gab der Salooner an, dass Jonny Allison auf den Cowboy eifersüchtig gewesen wäre.

Ruth, die Tochter des Salooners, bestätigte die Aussagen ihres Vaters.

Das Gesicht des Griechen schien völlig verhärtet zu sein; wie verloschene Krater lagen die Augen darin. Und der Mund unter dem martialischen Schnauzbart bildete nur einen dünnen, scharfen Strich. Tiefe Falten zerschnitten dieses Antlitz, das über Nacht um ein volles Jahrzehnt gealtert zu sein schien.

Hatte er die Wahrheit gesagt?

Hatte Jonny Allison wirklich Jerry Scotland umgebracht? Und hatte er auch die Stadt angezündet?

Die Begründung, die der Spielhöllenbesitzer dem Gesetzesmann gegeben hatte, war nicht so ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Denn Wyatt Earp selbst hatte zu Beginn der Nacht oben im Arbeitsraum des Salooners in einer Schachtel einen Schuldschein gefunden, der von einem Mann namens John Allison unterschrieben worden war. Danach schuldete dieser John Allison dem Griechen eine Summe von siebenhundert Dollar.

Im Hirn des Missouriers jagten die Gedanken einander wie Stromstöße, die hin und her flogen.

Er suchte unentwegt einen Ausweg aus dem Dilemma, in das sie da hineingeraten waren. Es gab noch einen winzigen Hoffnungsstrahl: nämlich, dass dieser Jonny Allison nicht identisch war mit Clay Allisons jüngerem Bruder.

Aber das war wirklich nur eine ganz winzige Hoffnung.

Die Sonne war jetzt über den Horizont getreten und schickte ihre ersten glutroten Strahlen auf die eingeäscherte Stadt.

Ein leichter Wind kam von Westen her und trieb die Rauchfäden, die immer noch in winzigen Spiralen aus den Holztrümmern stiegen, in die Prärie.

Schweigend hockten die Menschen am Uferrand und starrten wie fasziniert auf die Trümmer ihrer Häuser. Selbst die Kinder brachten keinen Laut hervor. Die Angst hatte alle erstarren lassen.

Es war ohnehin nur eine kleine Stadt gewesen, dieses Tirone am Nordufer des Little Rio Grande am Südrand des Staates Colorado.

Auch die Tiere, die aus den Ställen befreit worden waren, hatten sich am Creekufer eingefunden, schienen ebenfalls von dem Bann des Schreckens ergriffen zu sein und glotzten auf die niedergebrannten Häuser.

Da drang das Geräusch von Hufschlag an die Ohren der Menschen.

Der Marshal nahm den Kopf herum und blickte nach Westen.

Da war ein Reiter aufgetaucht, der auf die ersten Häuser zuhielt.

Auch Doc Holliday hatte ihn gesehen.

Die beiden Westmänner behielten ihn forschend im Auge.

Ohne Hast kam er näher und schien sich schwer aufs Sattelhorn aufzustützen. Jetzt hatte er die ersten Menschen am Ufer passiert und die niedergebrannten Häuser erreicht.

Er machte keine Anstalten anzuhalten. Unentwegt trottete der Braune mit halbgesenktem Kopf weiter.

Als er Wyatt Earp passieren wollte, zog der die Brauen zusammen, wechselte dann einen raschen Blick mit Doc Holliday und ging auf die Straße, um das Pferd aufzuhalten.

Der Braune blieb sofort stehen.

In diesem Augenblick geschah es: Der Mann kippte aus dem Sattel, stürzte aber keineswegs zu Boden, sondern blieb seitlich neben dem Pferd hängen. Seine Hände waren mit der Lassoleine an den Sattelknauf festgebunden.

Wyatt blickte in das graue Antlitz eines etwa dreißigjährigen Mannes, in dem helle Augen standen, die zu großen Glaskugeln erstarrt zu sein schienen.

Der Mann war tot.

Wyatt nahm die Stricke vom Sattelhorn und ließ den Mann auf den Boden nieder.

Jetzt kam Doc Holliday heran.

Als sich der ehemalige Bostoner Arzt über den an der Erde liegenden Fremden beugte, sagte er sofort:

»Er ist erschossen worden.«

Er wandte ihn auf den Rücken und deutete auf ein Loch in der grauen Weste. Das Hemd darunter war von einem dunklen Blutfleck getränkt.

»Seit wann ist er tot?«, wollte der Marshal wissen.

»Seit etwa einer Stunde«, kam es rau von den Lippen des Georgiers.

Der Grieche hatte der Szene zugesehen und versuchte jetzt, den Uferhang rückwärts hinunterzusteigen, um dem Marshal aus den Augen zu kommen.

Aber das scharfe Klicken eines gespannten Revolverhahns ließ ihn innehalten.

Wyatt Earp, der zwar jetzt zehn Schritt von ihm entfernt stand, hatte in der linken Hand seinen großen sechskantigen Revolver mit dem brünierten Lauf und richtete die Mündung auf Osakis.

»Ich will nicht hoffen, dass Sie die Absicht haben, sich davonzumachen, Mr Osakis. Selbst für den Fall, dass Sie mit dem Tod des Cowboys und dem Brand hier nichts zu tun haben, werden Sie als Zeuge gebraucht.«

Osakis zerrte sich an ein paar Grasbüscheln wieder auf den Weg hinauf. Seine Tochter hockte auf einem Wegstein und hatte den Kopf in die Hände gestützt.

Die anderen Leute standen etwa zwanzig Schritt von den beiden Osakis entfernt. Sie distanzierten sich damit offensichtlich von ihnen.

Wyatt hatte den Toten an den Wegrand gebracht und winkte die Leute heran.

»Kennt einer den Mann?«

Aber sie schüttelten nur den Kopf. Niemand kannte den Toten. Auch Osakis und seine Tochter behaupteten, ihn nie gesehen zu haben.

Was hatte das zu bedeuten?

Wer schickte den Toten in die Stadt?

Langsam ging der Missourier auf den Griechen zu und blieb dicht vor ihm stehen.

»Sie haben in der vergangenen Nacht mit Ihrem Freund Lockheed von einem Mann gesprochen, den Sie erwarten.«

Osakis senkte schweigend den Kopf.

»Ich habe weder Zeit noch Lust, Mr Osakis, mich hier mit Ihnen aufzuhalten«, sagte der Marshal mit schroffem Ton. Beantworten Sie meine Frage: Ist das der Mann, auf den Sie und Lockheed warteten?«

Osakis schüttelte den Kopf. Und die Worte, die er dann sprach, waren für Wyatt Earp und Doc Holliday alles andere als ermutigend.

»Wir haben auf Jonny Allison gewartet. Auf ihn und die anderen.«

Wyatt überspielte den Schock mit der nächsten Frage:

»Der Cowboy ist also ermordet worden. Wo ist seine Leiche?«

»Ich weiß es nicht«, entgegnete der Grieche.

»Das soll ich Ihnen glauben?«

»Wir wissen es wirklich nicht«, entgegnete Ruth, während sie den Kopf hochwarf und den Marshal aus ihren schönen Augen einen vernichtenden Blick zuschickte. »Wir haben gehört, dass Jonny ihn ausgelöscht hat. Er hat uns nicht gesagt, wohin er ihn dann geschleppt hat.«

Und was der Missourier auch versuchte, es war nichts mehr aus den beiden herauszubringen.

*

Was blieb, war der Albdruck, dass Osakis und sein Partner Lockheed am frühen Morgen dieses Tages noch vor Eintreffen der Overland einen Mann erwarteten.

Dieser Mann war Jonny Allison.

Stattdessen war ein Toter in die Stadt gekommen. Ein Mann, den niemand kannte.

»Well«, entschied der Missourier nach einigen Augenblicken, »wir werden hier nicht auf Jonny Allison warten.«

Als der Salooner schon glaubte, aufatmen zu können, wurde er vom nächsten Schlag getroffen, als der Marshal hinzufügte:

»Wir werden ihm entgegenreiten.«

*

Eine Viertelstunde später verließen vier Reiter die Stadt.

Wyatt Earp, Doc Holliday, Serge Osakis und seine Tochter.

Die beiden waren von dem Gesetzesmann gezwungen worden, mitzukommen.

»Wohin wollen Sie denn?«, hatte der Grieche versucht aufzubegehren.

»Nach La Punta, Mr Osakis.«

»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!« In den Augen des Griechen stand plötzlich flammende Angst.

»Doch, es ist mein tödlicher Ernst. Wir reiten nach La Punta, um Jonny Allison zu suchen.«

»Aber das ist doch Wahnsinn. Sie sollten doch wissen, was Ihnen da blüht.«

»Mir – oder Ihnen?«

Osakis schluckte schwer, und dann stieß er einen lästerlichen Fluch aus.

»Dann reiten Sie meinethalben in die Hölle. Sie werden schon sehen, was dabei herauskommt. Clay Allison lässt nicht mit sich spaßen. Sie sollten das wirklich wissen. Denn Sie sind der Mann, auf den er am schärfsten ist. Dessen dürfen Sie sicher sein.«

Der schweigende Holliday, der neben dem Griechen ritt, während der Marshal mit dem Mädchen folgte, wandte den Kopf und blickte in das verwüstete Gesicht des Spielhöllenmannes.

»Woher wussten Sie übrigens, Mister, dass Wyatt Earp in Tirone war?«

»Lockheed sagte es mir.«

»Wann?«

»Kurz nach zwei Uhr kam er zu mir.«

»Und woher wusste er es?«

Da griff der Grieche plötzlich in seine Tasche und zog ein Stück Zeitungspapier heraus, das er dem Georgier hinhielt.

Es war eine Zeitung aus Denver, auf der ein nicht eben sehr klares Foto Wyatt Earps zu sehen war. Darunter war ein Bericht, der den Kampf des Mar­shals mit einem Banditen-Duo schilderte, das in der Nähe von Denver gegriffen wurde. Am Schluss des Artikels standen die bemerkenswerten Worte:

Wieder einmal ist dem großen Gesetzesmann Wyatt Earp gelungen, zwei gefährliche Verbrecher unschädlich zu machen. Aber es sind nur zwei aus einem ganzen Heer, das den Westen heimsucht.

Holliday reichte ihm den Zeitungsfetzen zurück.

»Ein wacher Bursche, Ihr Freund Lockheed.«

»Er hätte gern früher darauf kommen können«, entgegnete der Grieche da ärgerlich.

Was erwartete dieser Mann eigentlich? In seinem Hause war der siebzehnjährige Cowboy Jerry Scotland verschwunden. Er behauptete, dass er von einem Nebenbuhler ermordet worden wäre, und er behauptete ferner, nichts mit dem Brand der Stadt zu tun zu haben. Er hatte sogar einmal den Satz fallen lassen: »Ich habe diese Stadt gebaut und würde sie wohl kaum wieder einäschern. Aber selbst wenn ich es täte, wäre es mein Recht, denn es ist meine Stadt.«

Jetzt nun war er von dem Gesetzesmann gezwungen worden, mit nach La Punta zu reiten. Aber obgleich es nur wenige Meilen bis hinüber zu der Stadt Clay Allisons waren, sollte der Weg dahin noch lang werden.

Nach anderthalb Stunden bemerkte der Marshal plötzlich, dass sich die Haltung des vor ihm reitenden Freundes auf eine seltsame Weise verkrampft hatte. Der Rücken war zwar kerzengerade wie immer, aber der Kopf war kaum noch zu sehen.

Wyatt, der sein Pferd sofort neben ihn trieb, sah, dass ihm der Kopf auf die Brust gesunken war. Sein Gesicht wirkte plötzlich grau und eingefallen, und seine Augendeckel waren halb geschlossen.

Ohne ein Wort zu sagen, hob der Missourier den Blick und suchte das Gelände ab.

Aber rings um sie her war nichts als offene tafelglatte Savanne. Halbhohes Büffelgras und nur selten ein Busch. Fern im Nordwesten blauten die Berge.

Da sie von Tirone aus ständig abwärts geritten waren, hatte es auch wenig Sinn, den ansteigenden Weg wieder zurückzunehmen.

Wyatt spürte, wie eine eisige Faust nach seinem Herzen griff. Wieder wehten die Schatten des Unglücks an ihn heran. Doc Holliday, in dessen Brust seit einer Reihe von Jahren eine unheimliche Krankheit wütete, hatte mit einem Anfall zu kämpfen. Aber der eisenharte Mann aus Georgia hielt sich mit übermenschlicher Kraft im Sattel.

Der Marshal hatte sein Nelsonglas aus der Satteltasche genommen und suchte den Horizont im Osten und im Süden ab. Als das Glas nach Westen hinüberschwenkte, glaubte er, ein Dach erspäht zu haben.

Sofort ritt er mit dem kleinen Trupp nach Südwesten hinüber.

Das Dach wurde größer, und schließlich erkannte er einen langgestreckten Bau, der aussah wie eine Pferdewechselstation. Bald auch konnte er daneben die Gatterhölzer der Fenz erkennen.

Eine Pferdewechselstation ohne Straße?

Als sie bis auf eine Dreiviertelmeile herangekommen waren, sah er dann auch die Straße. Aber sie war kaum noch zu erkennen, so sehr war sie

vom Grau der Prärie überwuchert worden.

Eine stillgelegte Linienstraße, auf der vor Jahren einmal eine Postkutsche verkehrt hatte, die dann aus dem Verkehr genommen worden war.

Wahrscheinlich also war die Station auch unbewohnt.

Erst jetzt bemerkte der Grieche, dass sie vom Kurs abgewichen waren.

Er zog die Stirn in Falten, blickte auf das kantige dunkle Profil des Marshals und fragte:

»Wohin reiten wir denn jetzt?«

Aber Wyatt Earp würdigte ihn keiner Antwort.

Als sie die Station erreicht hatten, stieg der Marshal ab und blieb neben dem Pferd Doc Hollidays stehen.

Aber der Spieler glitt auf der anderen Seite aus dem Sattel. So sehr er sich aber bemühte, es leicht zu tun, der Freund sah doch an den weiß hervortretenden Fingerknöcheln, wie sehr er sich anstrengen musste.

Osakis und seine Tochter waren im Sattel geblieben.

»Absteigen!«, gebot ihnen der Mar­shal.

Mit trägen Bewegungen stieg der Grieche vom Pferd. Seine Tochter rührte sich nicht.

Wyatt schoss ihr einen ärgerlichen Blick zu.

»Ich möchte nicht alles zweimal sagen. Steigen Sie gefälligst ab!«

Da erst bemühte auch sie sich vom Pferd.

Der Marshal wartete, bis Doc Holliday auf die Bank gegangen war, die vorn am Haus stand.

Aber als der Georgier mit der linken Hand danach griff, um ihre Festigkeit zu prüfen, brachen die Hölzer in sich zusammen, und ein feiner Staub stieg empor.

Das Holz war völlig von Termiten zerfressen.

Holliday lehnte sich gegen die Hauswand und senkte den Kopf, verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen.

Osakis, der nicht wusste, was los war, blickte ihn forschend an.

Plötzlich machte das Mädchen ein paar hastige Schritte vorwärts, deutete auf den Georgier und sagte:

»Marshal, was ist mit dem Doc? Der sieht ja plötzlich grau aus wie ein Stein.«

»Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten«, versetzte der Missourier, während er einen kurzen Rundgang um das Anwesen machte und das Haus dann von der Hoftür her betrat.

Es war eine Pferdewechselstation, so wie er es sich gedacht hatte. Ein großer Raum, der von einem kleinen Flur getrennt wurde. Dahinter lag ein kleiner Schlafraum und eine Gerätekammer.

Der Hof wurde durch einen kleinen Stall gebildet, an den ein Schuppen anschloss. Auf der anderen Seite war die Fenz, deren Bretter ebenfalls von Termiten so sehr zernagt waren, dass sie auseinanderfielen wie Streichhölzer, als der Marshal sie anfasste. Die Rückseite des Hofes war offen.

Als Wyatt die Schwelle betreten hatte, gab sie unter ihm nach, und der feine gelbe Holzstaub stieg hoch.

Also auch das harte Schwellenholz hatten die unermüdlichen Tiere bereits zerfressen.

Wyatt stieß mit dem Revolverkolben an die Decke und an die Wände und stellte fest, dass auch hier bereits das Vernichtungswerk der Insekten fortgeschritten war.

Aber Doc Holliday musste sich irgendwo hinlegen können. Wyatt fand in dem Schlafgemach, das einst dem Overlandmaster gedient hatte, eine Schlafstätte, auf der er sofort sämtliche Satteldecken ausbreitete.

Doc Holliday, den er in den Raum gebracht hatte, schüttelte den Kopf.

»Wenn ich mich da herauflege«, sagte er, »bricht das Bett zusammen.«

»Nein«, versetzte der Missourier, »es ist noch fast unversehrt. Auch die Decke und die Wände hier. Ich habe alles geprüft.«

Ohne ein Wort zu sagen, ließ sich Doc Holliday auf dem Lager nieder und starrte mit großen, weit offenen Augen gegen die Decke.

Wyatt, der ans Fenster getreten war, sah den Salooner draußen mit seiner Tochter tuscheln.

Plötzlich entfernte sich das Mädchen und ging auf das Pferd des Missouriers zu.

Da zog Wyatt das kleine Fenster hoch und rief:

»Wenn Sie sich entfernen wollen, Miss Osakis, dann sagen Sie mir vorher, wohin. Falls Sie aber auf den Gedanken kommen sollten, etwa mein Pferd zu besteigen, so möchte ich Sie warnen. Der Hengst wirft jeden Fremden ab.«

Ruth Osakis war stehen geblieben und hatte den Kopf herumgeworfen. Aus schmalen Augen maß sie die Distanz bis zu dem Fenster. Mit einem sicheren Schuss konnte der Marshal sie hier sicher nicht mehr erreichen. Sie glaubte, eine große Chance zu haben, und war tödlich entschlossen, sie wahrzunehmen. Mit zwei, drei Sprüngen hatte sie das Pferd des Marshals erreicht und zog sich in den Sattel.

Aber schon im nächsten Augenblick lag sie an der Erde und rührte sich nicht mehr.

Der Salooner lief auf seine Tochter zu, beugte sich über sie und raufte sich dann die Haare.

»Sie ist verletzt! Sie ist verletzt!«

Er bückte sich nach seinem Hut, stülpte ihn sich wieder auf und hob dann seine Tochter vom Boden auf, um sie zum Haus zu bringen. Er schleppte sie in den Wohnraum und lehnte sie da gegen die Wand.

»Ich brauche Wasser, ich brauche sofort Hilfe!«

Wyatt, der einen kurzen Blick auf das Mädchen geworfen hatte, zuckte mit den Achseln.

»Es ist ihre eigene Schuld.«

Da fuhr der Grieche ihn an, ballte die Fäuste und schrie: »Sie Unmensch!«

Der Marshal maß ihn mit einem Blick voller Verachtung, wandte sich ab und ging hinaus.

Verblüfft starrte er auf den Georgier, der in der Mitte des kleinen Flures stand und sich mit beiden Händen an den Wänden festhielt.

Er ließ ihn vorbei und Holliday warf einen Blick auf das Mädchen.

Dann sagte er mit schwacher Stimme:

»Sie ist nur ohnmächtig – und wird bald wieder zu sich kommen.«

Er wandte sich um und ging mit müdem, schleppendem Schritt hinaus.

Nachdem sich der Marshal davon überzeugt hatte, dass er sich wieder auf sein Lager niedergelassen hatte, nahm er die Pferde hinten in die Fenz, zog mit seiner Lassoleine über die zertrümmerten Stellen des Gatters eine Sperre und ging ins Haus zurück.

Ruth Osakis war zu sich gekommen und saß auf einem Hocker, hatte die Arme auf den grob gezimmerten Tisch gestützt und den Kopf daraufgelegt.

Der schnauzbärtige Grieche stand am Fenster und starrte hinaus.

Wyatt brachte Doc Holliday die schwarze krokodillederne Tasche, die der ehemalige Arzt seit einer ganzen Reihe von Jahren mit sich herumschleppte. Sie enthielt chirurgische Instrumente und eine Menge Arzneien.

Wyatt blickte voller Mitleid in das plötzlich schrecklich eingefallene Gesicht des Freundes.

»Ist nichts darin, Doc, das ich Ihnen geben könnte?«

Müde schüttelte der Spieler den Kopf.

»Nein, Wyatt, gar nichts.«

Wyatt stellte die Tasche ab, trat an das Lager des Gefährten heran und krampfte die Hände in den Hut, den er unwillkürlich abgenommen hatte.

»Was soll ich tun, Doc? Sagen Sie es mir.«

»Bringen Sie mir einen Whisky.«