Der Bastard - William Mark - E-Book

Der Bastard E-Book

William Mark

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"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Bleigrauer Himmel lag über der kleinen Westernstadt Little Brown am Südrand Colorados. Die Luft war drückend und stickig. Nicht der mindeste Hauch war zu spüren. Auf den rissigen Vorbaubohlen vor dem Haus des Sargtischlers Everett stand ein Mann. Er war hochgewachsen, hatte breite Schultern und schmale Hüften, sein Gesicht war von Wind und Wetter tief gebräunt. Es war ein gutgeschnittenes, ebenmäßiges Gesicht, das einen markant-männlichen Ausdruck hatte. Die Augen waren von einer dunkelblauen Farbe, die etwas von dem Ton zugefrorener Bergseen an sich hatte, mit langen Wimpern und von hohen Brauenbögen überdacht. Blauschwarzes Haar blickte unter dem breiten Hutrand hervor. Der Mann trug ein graues Kattunhemd, eine schwarze, sauber gebundene Samtschleife, eine Lederweste, die ärmellos war, und eng anliegende schwarze Levishosen, die über die kurzen Schäfte seiner Stiefel ausliefen. Um die Hüften hatte er einen breiten büffelledernen Waffengurt, in dem an den Seiten je ein schwerer schwarzknäufiger 45er Revolver steckte. Nichts an dem Manne war sonderlich auffällig, und dennoch besaß er ein eindrucksvolles Äußeres. Der Name, den er trug, war im ganzen Westen bekannt. Jeder Rancher und jeder Cowboy, jeder Richter und jeder Bandit zwischen der Grenze Canadas und dem Golf von Mexico kannte diesen Namen. Er lautete: Wyatt Earp. Ja, es war der große Marshal aus Dodge City, der ›Missourier‹, wie er seit Jahren in diesem Lande genannt wurde. Nie hat Amerika einen bedeutenderen Sheriff hervorgebracht, und noch heute, viele Jahre nach den damaligen Ereignissen, ist der große Wyatt Earp für das junge Amerika ein einzigartiges Idol geblieben. Damals an jenem düsteren Märzmorgen des Jahres 1885 befand sich Wyatt Earp auf dem Ritt von Arizona hin­über nach Kansas. Er war mit Doc Holliday in Tombstone vor Wochen aufgebrochen und hier oben im Las Animas-County aufgehalten worden. Bei einem nächtlichen Überfall auf eine Pferdewechselstation war Doc Holliday plötzlich verschwunden. Wyatt war auf der Suche nach ihm, und diese Suche hatte ihn hierher in das winzige Prärie-Nest Little Brown geführt.

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Wyatt Earp – 236 –

Der Bastard

William Mark

Bleigrauer Himmel lag über der kleinen Westernstadt Little Brown am Südrand Colorados. Die Luft war drückend und stickig. Nicht der mindeste Hauch war zu spüren.

Auf den rissigen Vorbaubohlen vor dem Haus des Sargtischlers Everett stand ein Mann. Er war hochgewachsen, hatte breite Schultern und schmale Hüften, sein Gesicht war von Wind und Wetter tief gebräunt. Es war ein gutgeschnittenes, ebenmäßiges Gesicht, das einen markant-männlichen Ausdruck hatte. Die Augen waren von einer dunkelblauen Farbe, die etwas von dem Ton zugefrorener Bergseen an sich hatte, mit langen Wimpern und von hohen Brauenbögen überdacht. Blauschwarzes Haar blickte unter dem breiten Hutrand hervor. Der Mann trug ein graues Kattunhemd, eine schwarze, sauber gebundene Samtschleife, eine Lederweste, die ärmellos war, und eng anliegende schwarze Levishosen, die über die kurzen Schäfte seiner Stiefel ausliefen. Um die Hüften hatte er einen breiten büffelledernen Waffengurt, in dem an den Seiten je ein schwerer schwarzknäufiger 45er Revolver steckte. Nichts an dem Manne war sonderlich auffällig, und dennoch besaß er ein eindrucksvolles Äußeres. Der Name, den er trug, war im ganzen Westen bekannt. Jeder Rancher und jeder Cowboy, jeder Richter und jeder Bandit zwischen der Grenze Canadas und dem Golf von Mexico kannte diesen Namen.

Er lautete: Wyatt Earp.

Ja, es war der große Marshal aus Dodge City, der ›Missourier‹, wie er seit Jahren in diesem Lande genannt wurde. Nie hat Amerika einen bedeutenderen Sheriff hervorgebracht, und noch heute, viele Jahre nach den damaligen Ereignissen, ist der große Wyatt Earp für das junge Amerika ein einzigartiges Idol geblieben. Damals an jenem düsteren Märzmorgen des Jahres 1885 befand sich Wyatt Earp auf dem Ritt von Arizona hin­über nach Kansas.

Er war mit Doc Holliday in Tombstone vor Wochen aufgebrochen und hier oben im Las Animas-County aufgehalten worden. Bei einem nächtlichen Überfall auf eine Pferdewechselstation war Doc Holliday plötzlich verschwunden. Wyatt war auf der Suche nach ihm, und diese Suche hatte ihn hierher in das winzige Prärie-Nest Little Brown geführt. Er war einem Mann namens Fiett gefolgt, der Doc Hollidays Uhr auf einer Ranch verkauft hatte. Als der Marshal Fiett an der Theke einer kleinen Schenke in Little Brown entdeckt hatte, schoss dieser sofort auf ihn.

Wyatt Earp jedoch, der reaktionsschnell zurückfeuerte, traf den anderen schwer. Als der Marshal dann für den Verletzten einen Arzt herbeiholen wollte, wurde Fiett hinterrücks mit einer schweren Schrotladung erschossen. Sein Mörder war der Salooner Thomas Loundrey.

Die Spur, die Wyatt verfolgt hatte, war damit erloschen.

Oder wusste auch Thomas Loundrey etwas?

Wyatt hatte nichts aus ihm herausbringen können. Er hatte ihn eben im Sheriff Office abgeliefert, stand jetzt auf dem Vorbau und blickte düster vor sich hin.

Wo war Doc Holliday geblieben?

Die beiden Westmänner hatten sich anfangs vorgenommen, einen Bogen um das Las Animas-County zu machen, weil hier der Mann wohnte, den sie am meisten zu fürchten hatten: Clay Allison!

Der große Bravo aus La Punta war schon mehrmals mit dem Marshal zusammengestoßen, und Wyatt legte absolut keinen Wert auf weitere Auseinandersetzungen.

Der schlechte Gesundheitszustand Doc Hollidays hatte zur Folge, dass der Marshal nur langsam vorwärts kam. Er hatte dem Doc sogar verraten, wieder hinauf nach Colorado in die Stadt Glenwood Springs zu reiten, wo er sich schon einmal so gut nach einem Anfall erholt hatte. Aber den Georgier Holliday hatte es nach Dodge City gezogen, und unterwegs war er dann wieder von der Krankheit niedergezwungen worden.

Wyatt hatte deshalb mit ihm Quartier in einer alten verlassenen Pferdewechselstation bezogen, und eben da waren sie überfallen worden.

Seit jener Nacht war Doc Holliday spurlos verschwunden. Im Sheriff Office von La Punta hatte Wyatt Earp den Hut des Spielers gefunden und auf der Sullivan Ranch, fast zwanzig Meilen von La Punta entfernt, die Uhr des Spielers.

Und dann war das geschehen, was offenbar nicht zu vermeiden war: Der Mann, dem er hatte ausweichen wollen, stand plötzlich in der Nacht vor ihm.

Der Desperado Clay Allison!

Der Bravo hatte dem Marshal gesagt, dass er sich auf die Suche nach dem Grab Doc Hollidays machen sollte. Die Bemerkung des Gangsters hatte den Gesetzesmann schockiert. Er hatte Mühe gehabt, ruhig zu bleiben, und dann versucht, Einzelheiten über den Verbleib Doc Hollidays herauszubekommen. Aber Clay Allison wusste anscheinend nicht viel mehr als das, was er von dem Landstreicher Fiett erfahren hatte. Wyatt war Fiett hierher in dieses Nest gefolgt, und hier war Fiett dann ermordet worden.

Der Mörder steckte ein paar Häuser weiter in einer der beiden kleinen Zellen des Sheriff Offices.

Als Wyatt Loundrey festgenommen hatte, war urplötzlich Loundreys Bruder Pepe, ein berüchtigter Revolvermann, und Greg Proharka, ein Spieler aus La Punta, und mit ihnen zusammen Hanc Billinger in Little Brown aufgetaucht und hatten den Marshal daran hindern wollen, den Mörder ins Jail zu bringen. Ein aufrichtiger Mann, ein ehemaliger Feldscher, hatte dem alten Sheriff von Little Brown bestätigt, dass er Wyatt Earp kannte, und dass er auch beobachtet hätte, wie Fiett getötet worden war.

Jetzt, als der Marshal aus dem Office kam, nach seinem erfolglosen Versuch, den Salooner Loundrey zum Reden zu bringen, war die Straße menschenleer. Wie ausgefegt lag sie da, und die kleinen graubraunen Häuser starrten einander hohläugig an.

Clay Allison hatte Wyatt Earp gesagt, dass er Fiett wahrscheinlich hier in diesem Little Brown finden könnte.

Was hatte sich der Bravo dabei gedacht, als er den Marshal hierher geschickt hatte? War es eine Falle gewesen, in die er den Marshal hatte locken wollen?

Wyatt vermochte da nicht recht klar zu sehen.

Er wandte jetzt den Kopf, blickte die Straße nach Osten hinunter und schob sich den Hut etwas aus der Stirn.

Es war wirklich drückend heiß, und die Luft war schwer. Flimmernd stand sie zwischen den Häusern. Sonst war es um diese Jahreszeit meist noch ziemlich kühl, aber in diesem Frühjahr war die berüchtigte Schwüle schon früh gekommen.

Wyatt dachte daran, dass eine solche Luft für Doc Holliday eine Qual sein musste.

Aber lebte er überhaupt noch? War Clay Allisons Äußerung unwahr?

Wenn sie doch bloß weiter südlich geritten wären, durch das Land der Sonora Diavola, dann wären sie heute zwar vielleicht wegen der unwegsamen Gebiete noch nicht so weit wie jetzt, aber sie wären nicht in das Land Clay Allisons gekommen, und vielleicht hätte Doc Holliday sich dort wohler gefühlt.

Aber all diese Überlegungen waren müßig. Es galt jetzt, die Fährte des Vermissten zu finden.

Aber die letzte Spur, die der Marshal hatte auffinden können, war hier in der schmutzigen Schenke von Loundrey versandet.

Wyatt blickte auf das kleine dunkle Haus, in dem der alte Feldscher wohnte.

Vielleicht wusste der Mann doch etwas von der Geschichte, vielleicht kannte er Fiett und konnte dem Marshal einen Hinweis geben?

Der Marshal verließ den Vorbau und ging mit staksigen Schritten quer über die Straße auf das Haus des Arztes zu. Er betrat den Vorbau und betätigte dann den schweren messingnen Klopfer.

Es dauerte nicht lange, und ein rascher Schritt war im Flur zu hören. Dann wurde die Tür geöffnet.

Wyatt blickte in ein unwahrscheinlich blaues Augenpaar und sah sich einem etwa zwanzigjährigen Mädchen gegenüber. Es hatte langes blondes Haar, das in weiten Locken um ihr sehr hübsch geschnittenes Gesicht fiel. Die Nase war kurz und stupsig, die Lippen voll und weich. Sie trug ein himmelblaues Kleid mit weißen Tupfen und eine Schürze, die bis auf ihre Schuhspitzen ging.

Als das Mädchen jetzt die Lippen öffnete, blitzten dem Marshal zwei weiße, ebenmäßig gewachsene Zahnreihen entgegen. Er, der selbst prächtige Zähne hatte, vermochte den Blick nur schwer davon zu lösen, und die Veilchenbläue der Augen irritierte ihn geradezu.

»Sie sind Wyatt Earp, nicht wahr?«, sagte das Mädchen mit einer hellen frischen Stimme.

»Ja, ist es vielleicht möglich, Miss, dass ich einen Augenblick mit Mister …«

»Sie wollten mit meinem Onkel sprechen?«

»Wenn wir beide den gleichen Mann meinen, dann ja. Ich suche den ehemaligen Feldscher aus Wichita.«

»Ja, das ist mein Onkel«, meinte das Mädchen lächelnd. »Aber er ist leider nicht da. Er hat vor einer Dreiviertelstunde das Haus verlassen.«

»Wissen Sie, wann er zurückkommt?«

»Nein, das kann ich nicht sagen.«

Die beiden standen einen Augenblick unschlüssig an der Türschwelle, und dann sagte das Mädchen:

»Ich bin Mabel Tamborini.«

»Ein hübscher Name, er klingt so italienisch.«

»Das ist er auch«, versetzte das Mädchen, »aber wie kommen Sie denn darauf?«

»Ich habe einen Freund«, sagte Wyatt und unterbrach sich selbst, um dann aber rasch fortzufahren, »der diese Sprache spricht, und da hörte man so etwas schon.«

»Ja, mein Vater stammte aus Italien. Es muss ein wunderschönes Land sein. Ich glaube, ich werde ein ganzes Leben davon träumen.«

Ihre veilchenblauen Augen nahmen jetzt einen so verträumten Ausdruck an, dass die hübsche Mabel Tamborini wirklich hinreißend aussah.

Wyatt wandte den Kopf etwas zur Seite und blickte die Straße hinunter.

»Gut, Miss, ich will Sie dann nicht länger stören. Wenn ich später noch einmal zurückkommen darf –«

»Natürlich, Marshal, Sie sind jederzeit willkommen.«

Unverhohlen strahlte sie ihn an.

Wyatt nahm den Hut ab und deutete eine Verbeugung an. Dann überquerte er die Straße und stand einen Moment vor der Schenke, in der sich vor einer knappen Stunde ein Drama abgespielt hatte. Noch lagen die Scherben der zertrümmerten Scheiben auf den Vorbaudielen. Der Eingang war unverschlossen wie vorhin.

Wyatt legte die Linke auf eine der Schwingarme der Tür, schob sie auf und lauschte dem unangenehm knarrenden Geräusch der Angeln nach.

Vor ihm lag der dunkle Schankraum. Nur wenige Schritte von der Tür entfernt war ein dunkler Fleck auf den rissigen Fußbodendielen. Es war die Stelle, auf der der Landstreicher Daniel Fiett von der mörderischen Schrotladung getroffen worden und verblutet war.

Gedankenvoll starrte der Gesetzesmann auf den Fleck. Dann wandte er sich um und blickte wieder auf die ­Straße. Seltsam diese Leere. Die Straßen bekamen dadurch etwas Unheimliches.

Er nahm sein Taschentuch heraus und wischte sich über die Stirn, trocknete sich den feucht gewordenen Nacken und schlenderte dann weiter über die Vorbauten, um vor dem Haus des Sargmachers erneut stehenzubleiben.

Nebenan aus dem Hof klang ein dumpfes dröhnendes Hämmern.

Wyatt trat bis an den Vorbaurand, blickte in den Hof und sah hinten in der offenen Tür einer halb verfallenen ­Werkstatt einen Mann damit beschäftigt, einen Sargkasten zusammenzunageln.

Wyatt ging an dem Hof vorbei, betrat den nächsten Vorbau und sah an der Tür ein ovales Schild mit der Aufschrift: Baur. Darunter stand zu lesen, dass hier ein Mann wohnte, der Ranchgeräte verkaufte.

Das nächste Haus war das kleine Sheriff Office.

Wyatt ging daran vorbei und hatte schon fast den Stadtrand erreicht.

Mit gierigen Fingern griff die Savanne nach der winzigen Stadt, als wolle sie sie verschlingen. Überall drängte das trockene Büffelgras bis an die Höfe heran.

Er hatte schon manche solcher Städte getroffen, die verlassen worden waren, oder in denen die letzten Bewohner gestorben waren, und die dann von der Savanne regelrecht überwachsen wurden.

Aber dieses Little Brown lebte ja – und machte dennoch einen so öden, verlassenen Eindruck.

Weshalb verließ er das Nest nicht? Der Mann, der ihm etwas über den Verbleib Doc Hollidays hätte erzählen können, war tot. Und der Mann, der ihn ermordet hatte, saß im Jail.

Weshalb mochte Thomas Loundrey den Landstreicher getötet haben.

Wyatt spürte, dass es da irgendein düsteres Geheimnis gab, das sicher nicht leicht zu ergründen war.

Vielleicht lohnte es auch gar nicht, das zu ergründen – es sei denn, dass es mit dem Verschwinden des Georgiers zusammenhing.

Ohne eigentlich zu wissen, weshalb er es tat, ging Wyatt wieder auf das Office zu. Es drängte ihn plötzlich dahin. Wollte er noch einmal mit dem verstockten, verschlossenen Mörder sprechen?

In dem Augenblick, in dem er anklopfte und dann die Officetür öffnete, hatte er das Gefühl, dass sich eine Klammer um sein Genick legte.

Der erste Blick, der vom leeren Tisch des Sheriffs gleich hinüber zur Zelle ging, offenbarte ein scheußliches Bild.

Gleich vornean hinter der Gittertür, lag der verkrampfte Körper Thomas Loundreys am Boden.

Aus seinem rechten Mundwinkel rann Blut.

Wyatt stürmte auf das Gitter zu, riss dann den Schlüssel von der Wand, öffnete die Tür und zerrte den Körper des Gefangenen weiter ans Licht.

Tom Loundrey war von mehreren Messerstichen getroffen worden. Offensichtlich hatte ihn jemand an die Zellentür gelockt und dann festgehalten, um ihn zu töten.

Aber er war noch nicht tot. In seinen Augen flackerte noch ein letzter Funke von Leben. Als er jetzt den Mann erkannte, der sich über ihn beugte, kroch eine böse Lache über sein schmerzverzerrtes Gesicht.

»Wer war es, Loundrey?«, fragte Wyatt und musste sich daran erinnern, dass er vor einer knappen Stunde in der gleichen Haltung über dem Manne gekniet hatte, den dieser Tom Loundrey mit einem so fürchterlichen Schrotschuss getötet hatte.

Aber Loundrey verzog das Gesicht nur noch mehr und schwieg. Vielleicht konnte er auch nicht reden.

Wyatt brachte ihn zu der Pritsche, auf der der Sheriff sonst zu schlafen pflegte, schob eine Decke unter seinen Kopf und riss das Hemd über seine Brust auf.

Aus drei Wunden blutete der Verletzte.

Wyatt rannte hinaus, überquerte die Straße und klopfte mit beiden Fäusten an die Tür des Feldschers.

Wieder war es Mabel Tamborini, die ihm öffnete.

Entsetzt starrte sie auf seine blutbefleckten Hände.

»Der Feldscher ist noch nicht zurück?«

»Nein«, meinte das Mädchen verblüfft.

»Drüben im Office ist ein Mann überfallen worden.«

»Loundrey?!«

Angst stand in den Augen des Mädchens bei dieser Frage.

»Ja.«

»Warten Sie, ich komme mit«, meinte das Mädchen, rannte in eines der Zimmer, nahm eine Tasche und kam damit auf die Straße.

Gemeinsam liefen sie zum Office.

Aber in dem Augenblick, in dem der Missourier die Tür aufriss, blieb er verblüfft stehen.

In der Mitte des Offices standen drei Männer.

Hanc Billinger, Greg Proharka und Pepe Loundrey.

Wyatt blickte ihnen verblüfft entgegen.

Da machte Hanc Billinger einen Schritt nach vorn, deutete mit der ausgestreckten Rechten auf den Missourier.

»Das ist er ja, der Mörder!«

Wyatt zog die Brauen zusammen.

»Was soll das bedeuten?«

Da sprang Pepe Loundrey zwei Schritte vor, ballte die Fäuste und schrie mit sich überschlagender Stimme:

»Sie haben meinen Bruder erstochen!«

Greg Proharka sprang zurück durch die Hoftür und rannte hinaus.

»Hilfe!«, schrie er, »Hilfe!«

Loundrey rannte auf das Fenster zu, riss es hoch, stieg hinaus und riss den eisernen Schläger aus der Halterung, um wie wild auf dem Triangel vor der Tür des Sheriffs herumzuhämmern.

Gellend zogen die scharfen Töne über die Stadt.

In wenigen Augenblicken waren Schritte auf den Vorbauten zu hören.

Menschen kamen heran und drängten ins Office.

Wyatt erlebte die nächste halbe Stunde wie im Dämmerzustand.

Er sah den greisen Sheriff vor sich stehen, der die Hand auf seine Schulter legte und sagte:

»Im Namen des Gesetzes sind Sie festgenommen!« Dann hörte er immer wieder den Ruf: »Mörder!«

»Aufhängen!«

Er sah in die harten Gesichter von Pepe Loundrey, Hanc Billinger und Greg Proharka.

Sieben oder acht andere Männer standen um ihn herum und blickten ihn drohend an …

Ein dickleibiger Mensch mit schwammigem Gesicht und kleinen rotgeäderten Schweinsaugen schrie unentwegt:

»Sofort aufhängen!«

Der Marshal nahm alles nur wie aus weiter Ferne wahr.

Plötzlich sah er, wie der greise Sheriff sich umwandte und nach einem alten gelblichen Strick aus irischem Hanf griff, um ihn in große Schlingen zu legen.

Eisiges Entsetzen griff plötzlich nach seinem Herzen.

In welch eine teuflische Falle war er hier gelaufen?

War das das Werk Clay Allisons?

Damned, zuzutrauen war es dem Briganten.

Tiefe Verzweiflung hatte den Missourier erfasst. Nicht genug, dass nun Doc Holliday vielleicht auf eine so elende Weise ums Leben gekommen war, geriet er hier in eine derart hoffnungslose Situation. Er sah es den Gesichtern der Männer an, dass sie tödlich entschlossen waren, Lynchjustiz zu üben.

Er hörte, wie Loundrey wortreich erklärte, dass er ein Betrüger sei, mit dem er sie schon in La Punta zusammengeraten wären. Er hätte am Kartentisch versucht, sie zu betrügen. Auch hätte er unterwegs einen Mann überfallen, und zwar einen Trader, der mit einem Planwagen von Ort zu Ort zog.

Proharda schwor, dass er ihn bereits in dem Jail von Basrah gesehen hätte, und Hanc Billinger schließlich erklärte den Leuten mit seiner dröhnenden rostigen Stimme, dass er vor Jahren in einer Stadt drüben in New Mexico gesehen hätte, wie er von einem Richter zu lebenslänglicher Straflagerhaft verurteilt worden wäre. Es könnte nur so sein, dass er auf dem Transport nach Fort Worth entsprungen wäre.

Alles schien sich in diesem verfluchten Nest gegen ihn verschworen zu haben.

Der greise Sheriff, der vorhin noch so pflichtbewusst getan hatte, als der Feldscher aus Wichita erklärt hatte, dass er Wyatt Earp kannte, schien plötzlich nichts mehr davon wissen zu wollen.

Als Wyatt sich schließlich an ihn wandte und ihn mit Vernunft ersuchte, meinte er:

»Nichts da. Ich habe die tollsten Dinge erlebt, und dies hier ist garantiert meine letzte Station. Ich denke nicht daran, mich von den Leuten absetzen zu lassen. Ich verdiene hier meine sechzig Dollar im Monat, und das ist weiß Gott schon ein Gnadenbrot. Machen Sie keine Faxen, Mann, Sie sind des Mordes ­überführt. Hier sind mehr als drei Zeugen.«

Mehr –? hörte Wyatt sich fragen.

Als er sich dann umwandte, sah er in der offenen Tür das Mädchen stehen. Es hatte noch die Tasche in der Hand, in der die Medikamente und das Verbandszeug waren, das ihrem Onkel gehörte.

Niemand hatte sich um den Schwerverletzten gekümmert.

Wyatt, der jetzt von sieben Männern umringt dastand, wandte den Kopf und suchte zwischen Billinger und Proharka hindurch den Körper des Verwundeten.

Aber die beiden versperrten ihm die Sicht.

Da ging er vorwärts, wollte Billinger zur Seite schieben – und hörte hinter sich das Knacken eines gespannten Revolverhahns. Er blickte sich um und sah in die kalten Augen Pepe Loundreys.

»Rühren Sie sich nicht vom Fleck! Wagen Sie es ja nicht, meinen Bruder anzufassen!«

»Aber er verblutet, wenn ihm nicht geholfen wird.«

»Geben Sie sich keine Mühe«, kam es da kalt von den Lippen Loundreys. »Er ist bereits tot.«

Es war einen Augenblick still, dann stieß Loudrey gallig hervor:

»Aber bevor er starb, hat er uns allen hier gesagt, wer sein Mörder war!«

»Das ist nicht wahr«, kam es da leise von der Tür.

Die Köpfe der Männer flogen herum.

Das Gesicht des Mädchens war flammend rot. Es hob die rechte Hand, deutete auf Billinger und sagte:

»Er hat selbst gesagt, es ist aus mit ihm, als wir hereinkamen. Ich habe es deutlich gehört, nachdem man den Marshal des Mordes bezichtigt hatte.«

»Marshal?«, bellte Billinger. »Was ist denn mit der Puppe los? Ich glaube, du bist wohl übergeschnappt? Wie kommst du dazu, diesen Betrüger Marshal zu nennen?«

Da wandte Mabel Tamborini sich um und ging hinaus.

Wyatt stand umgeben von den sieben Männern da und blickte von einem zum anderen.

Sein Auge blieb auf dem faltigen Gesicht des Sheriffs haften.

Aber der alte Mann blickte ihn ausdruckslos an.

»Aufhängen«, meinte der Mensch mit dem schweren Leib, und Billinger brüllte weiter:

»Sofort an den Strick mit dem Mörder!«

Ein untersetzter Mensch mit einem kurzen roten Stoppelhaarschnitt und einem weißlichen Gesicht, das mit Sommersprossen übersät war, baute sich vor dem Sheriff auf, deutete auf den Missourier und sagte:

»Wissen Sie, wer das ist? Ich werde es Ihnen sagen, Sheriff! Es ist Kahulke.«

Die anderen Männer wichen unwillkürlich einen Schritt zurück. Entsetzen stand auf ihren Gesichtern.