Der Weg nach Sheridan - William Mark - E-Book

Der Weg nach Sheridan E-Book

William Mark

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Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Über das Yampa-Hochland strich ein sanfter Frühlingswind und brachte den Duft der Bergwälder mit. Der einsame Reiter, der über die ansteigende Prärie ritt, beschattete die Augen mit der Hand und blickte nach Norden. Da oben vor den Bergen tauchten die Häuser einer Stadt auf. Einer Stadt, nach der sich Tom Coogan zehn Jahre lang gesehnt hatte. Chelsea! Aber für den einsamen Reiter war es mehr. Viel mehr. Vor zwölf Jahren war er mit dem großen Treck vom Osten gekommen. Unten am Arkansas entlang, hier herauf. Mit dem frischen Mut und der Unbekümmertheit seiner zweiundzwanzig Jahre. Inzwischen schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Der Mann im Sattel seufzte leise vor sich hin. Er war groß, hatte breite Schultern und ein eckiges lederbraunes Gesicht, das von vielen harten Falten gezeichnet war. Das dunkle Haar, das unterm Hutrand hervorlugte, hatte schon silberne Fäden, und auch in den schwarzen Brauen konnte man es silbern blinken sehen. Nur die Augen des Reiters waren jung; sie hatten etwas von der Farbe zugefrorener Bergseen. Tom Coogan war vierunddreißig. Man hätte ihn für vierzig halten können. Die vergangenen zehn Jahre hatten ihn hart und reif gemacht. Der Stetson auf seinem Kopf mußte vor langer Zeit einmal schwarz gewesen sein. Ebenso die Weste.

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Wyatt Earp – 269 –

Der Weg nach Sheridan

William Mark

Über das Yampa-Hochland strich ein sanfter Frühlingswind und brachte den Duft der Bergwälder mit.

Der einsame Reiter, der über die ansteigende Prärie ritt, beschattete die Augen mit der Hand und blickte nach Norden. Da oben vor den Bergen tauchten die Häuser einer Stadt auf. Einer Stadt, nach der sich Tom Coogan zehn Jahre lang gesehnt hatte.

Chelsea!

Aber für den einsamen Reiter war es mehr. Viel mehr. Vor zwölf Jahren war er mit dem großen Treck vom Osten gekommen. Unten am Arkansas entlang, hier herauf. Mit dem frischen Mut und der Unbekümmertheit seiner zweiundzwanzig Jahre.

Inzwischen schien eine Ewigkeit vergangen zu sein.

Der Mann im Sattel seufzte leise vor sich hin. Er war groß, hatte breite Schultern und ein eckiges lederbraunes Gesicht, das von vielen harten Falten gezeichnet war. Das dunkle Haar, das unterm Hutrand hervorlugte, hatte schon silberne Fäden, und auch in den schwarzen Brauen konnte man es silbern blinken sehen. Nur die Augen des Reiters waren jung; sie hatten etwas von der Farbe zugefrorener Bergseen.

Tom Coogan war vierunddreißig. Man hätte ihn für vierzig halten können. Die vergangenen zehn Jahre hatten ihn hart und reif gemacht.

Der Stetson auf seinem Kopf mußte vor langer Zeit einmal schwarz gewesen sein. Ebenso die Weste. Jetzt hatte der Felsstaub ein mißfarbenes Grau daraufgelegt. Das rote Hemd wollte nicht so recht zu dem grünen Halstuch passen. Die Lewishosen verrieten an einigen Stellen eine bedenkliche Offenherzigkeit. Nur die Stiefel waren noch gut. Und die großen Sternradsporen blitzten in der untergehenden Sonne.

Der hochbeinige Braune trabte müde dahin.

Der Reiter hatte den Kopf gesenkt und blickte scharf am Hutrand vorbei nach Norden.

Chelsea.

Da drüben an dem alten Coleantabaum war ein Schild angenagelt, das den Namen der Ortschaft trug.

Chelsea.

Der Mann nahm die Zügel hoch und ließ den Braunen anhalten. Tief in Gedanken versunken starrte er auf das Schild. Und plötzlich gruben sich zwei scharfe Falten um seinen Mund.

Erst nach Minuten ritt er weiter.

Rechts und links reihten sich die ersten Häuser auf. Er war in der Mainstreet.

Auf den Stepwalks herrschte geschäftiges Treiben. Die Woche ging zu Ende, und die Menschen hatten noch tausenderlei zu erledigen.

Niemand achtete auf den Mann, der da in die Stadt eintritt. Und wohl niemand wäre auf den Gedanken gekommen, daß er der gleiche Mann war, der fast auf den Tag genau vor zehn Jahren in Ketten durch die gleiche Straße als Mörder abgeführt worden war.

Auf der linken Seite ragte ein großes Schild in die Straße. »Kid Walkers Saloon.«

Tom lenkte den Braunen hinüber, stieg mit seltsam eckigen Bewegungen aus dem Sattel und band das Tier am Zügelholm fest. Er blieb noch einen Augenblick auf der Straße stehen und blickte zu dem Schild hinauf. Die Hände hatte er dabei nach Cowboyart hinten in den Waffengurt gesteckt.

Langsam stieg er die Stufen hinauf und näherte sich der mit mattierten Blumen verzierten Glastür des Saloons.

Durch die Scheiben konnte er in den Schankraum blicken.

Zu dieser Stunde hätten damals dort keine Zecher gesessen. Aber es schien den Leuten in Chelsea heute besserzugehen. Der Saloon war schon ziemlich besetzt.

Tom öffnete die Tür. Ein blecherner Dreiklang ertönte. Aber niemand beachtete den neuen Gast.

Der ging durch die Tischreihen zur Theke und schob sich in eine Lücke zwischen zwei Männer.

Der Wirt, ein feister Mann in den Vierzigern, stand mit hochgekrempelten Ärmeln da und spülte Gläser. Er blickte kurz auf, als er Ton bemerkte, und wandte sich wieder seiner Beschäftigung zu.

Erst als der neue Gast seine Bestellung aufgegeben hatte: »Einen Brandy Blue!« warf Kid Walker den Kopf herum. Aus weit geöffneten Augen starrte er den Fremden an.

Dessen Gesicht war hart und verschlossen. Kein Muskel zuckte darin.

Walker wich einen halben Schritt zurück und ließ den Unterkiefer herunterfallen. Sein gelbes Pferdegebiß kam zum Vorschein.

Tom wiederholte seine Bestellung: »Einen Brandy Blue!«

Der Wirt wischte sich über den kahlen Schädel und schluckte. Dann griff er mechanisch mit der Linken nach einem Glas, zog mit der Rechten eine schlanke Flasche heran, schnipste den Korken davon und goß ein, ohne hinzusehen. Erst als seine Frau ihn anstieß, weil der Brandy bereits über die Theke rann, blickte er auf.

Ganz langsam schob er Tom das Glas zu.

Der nahm es, hob es an, blickte dem Wirt eiskalt in die Augen und kippte das beißende Getränk in die Kehle.

Ein Geldstück klimperte auf der Theke.

Tom Coogan wandte sich um und ging hinaus.

»Heh, wer war denn das?« fragte ein langer Kerl, der neben dem Fremden an der Theke gelehnt hatte.

Der Wirt blickte auf die bemalte Glastür, die sich hinter Tom geschlossen hatte. Erst als seine Frau, die blonde Kitty, ihn erneut angestoßen hatte, kam er wieder zu sich.

»Wer war der Mann?« fragte sie halblaut.

Kid zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht…, ein Gespenst…«

*

Das »Gespenst« ging unterdes auf die Straße, bestieg seinen Braunen und ritt weiter.

»Grand Hotel«. Da stand es breit und weithin sichtbar auf der weißgetünchten Fassade eines neuen Gebäudes.

Tom band sein Tier an den Zügelholm und betrat das Hotel. Ein weißhaariger Mann mit bernsteinfarbenen gutmütigen Augen kam ihm in der Halle entgegen.

Tom blieb vor ihm stehen. »Evening, Mister. Kann ich ein Zimmer haben?«

Der alte Herr nickte. »Natürlich.« Er winkte dem Graukopf hinter der Rezeption zu und sagte zu Tom: »Tragen Sie sich bitte drüben ein.«

Der Ankömmling schrieb seinen Namen in das dickleibige Gästebuch und nahm den Schlüssel, den ihm der grauhaarige Mann an der Rezeption vom Bord reichte.

»Zimmer sieben, Mister!«

Tom nickte und rief dem Mann zu: »Denken Sie an mein Pferd!«

»Keine Sorge, Mister. Es wird bestens versorgt.«

In dem kleinen grünschwarz tapezierten Zimmer auf dem ersten Stock ließ der Reiter sich auf einen der Stühle fallen, streckte die Beine weit von sich und senkte den Kopf müde auf die Brust.

Jetzt war er also in Chelsea.

Da, wohin er eigentlich gehörte. Und von wo sie ihn vor einem ganzen Jahrzehnt vertrieben hatten, weil er des Mordes beschuldigt worden war.

Des Mordes an Jonny Ray.

Tom schloß die Augen und sah einen flachsblonden frischen Burschen von zwanzig Jahren vor sich. Mit blauen Augen und breiter, untersetzter Gestalt, Jonny Ray.

Wie oft hatte er sich das Bild des Toten in den vergangenen zehn Jahren vor Augen gerufen! Wie oft hatte er noch im Schlaf seine helle Stimme gehört!

Jonny Ray war tot. Seit zehn Jahren lag er unten weit vor der Stadt Wichita in seinem stillen Grab unter einem kleinen Hügel am Ufer des Arkansas.

Sie waren immer zu viert gewesen, damals. Jack Donegan, Kid Walker, Jonny Ray und er. Vier Freunde, die sich auf dem großen Treck zusammengefunden hatten. Sie hatten zusammen gejagt, gegessen, getrunken und gelacht; ganze Nächte hatten sie am Spieltisch miteinander verbracht. In eiserner Freundschaft. Das Vierkleeblatt wurden sie genannt. Und wer sich mit ihnen anlegte, der hatte nichts zu lachen. Sie waren damals mit einem Trupp vom Arkansas hinauf bis zum Eldorado gezogen.

In jenen Tagen hatten ein paar Leute, denen es in Eldorado nicht behagte, zehn Meilen weiter nordöstlich auf die Berge zu eine neue Stadt aufgebaut.

Chelesa.

Jack Donegan, Kid Walker, Jonny Ray und Tom Coogan waren mitgezogen und hatten sich jeder ein hübsches Haus in der neuen Stadt gebaut.

Jonny arbeitete in der Schmiede des alten Duff Vaugham; Kid half im Saloon von Nat Cummings, und Jack arbeitete mit Tom zusammen auf der Ranch des greisen Peter Loon, vier Meilen hinter der Stadt.

Dann war der Tag gekommen, der die Freundschaft der vier mit einem Schlage zerschmetterte. Einer von ihnen war zum Mörder geworden.

Richter Gennan war in die Stadt gezogen. Mit ihm seine sechzehnjährige Tochter Mabel.

Mabel Gennan war bildhübsch, zu

hübsch für Chelsea. Der Blick ihrer tiefbraunen Augen hatte eine verheerende Wirkung auf die jungen Männer der Stadt. Schon nach wenigen Tagen begannen sich die Bewerber um ihre Gunst zu streiten. Und schon nach einer Woche stand soviel fest, daß es nur einem Mann des Kleeblatts gelingen würde, Mabel für sich zu gewinnen. Seit der lange Potter sich in Cummings Saloon gerühmt hatte, er werde Mabel bekommen, und seit Tom Coogan ihn eines anderen belehrt hatte, seitdem Lat Hennings, Wynn Pingleroad und Ben Hunter sich gegen Tom stellten und sich plötzlich Jonny Ray, Jack Donegan und Kid Walker gegenübersahen – seit jener Stunde stand fest, daß Mabel nur einem Mann vom Kleeblatt zufallen konnte.

Aber wem?

Das war das große Rätsel.

Und die vier wußten es selber nicht.

Das schlimmste war, daß das stille Beobachten, das gegenseitige Belauern nicht nur rasend schnell die alte Freundschaft zerfraß – die Männer begannen einander auch zu hassen.

Vor allem seit jener Stunde, da sie merkten, daß sie alle vier um Mabel kämpften.

Merkwürdigerweise war niemand auf den Gedanken gekommen, Mabel selbst entscheiden zu lassen. Vielleicht hätte sie ja überhaupt keinen von ihnen gewollt. Schließlich war es ja ihre Sache gewesen.

Aber auf diesen Gedanken kamen die vier Männer nicht. Sie würden es unter sich ausmachen.

Und das Mädchen wußte nichts von dem heimlichen Kampf, der da um sie entbrannt war.

Der alte Rancher Loon machte der Geschichte ein vorläufiges Ende, indem er Tom und Jack dazu bestimmte, mit vier weiteren Cowboys nach dem Süden zu ziehen, um eine Herde aus New Mexico heraufzuholen.

Als Jonny Ray davon hörte, band er seine Schürze ab und sagte dem verdutzten Schmied, daß er in etwa einem Monat wiederkommen würde. Er ritt auf die Ranch und bat Loon, mitreiten zu dürfen.

Er ritt mit. Er wollte nicht in der Stadt bleiben, wenn die anderen beiden weg mußten.

Und noch einer ritt mit: Kid Walker. Als er hörte, daß die drei auf den Trail zogen, meldete er sich dazu.

Der alte Loon fand, daß er die anderen vier Cowboys, die er für den Trail bestimmt hatte, auf der Ranch lassen konnte, wenn die vier tüchtigen Männer zusammen waren.

Und so geschah es.

Es war im Frühjahr.

An einem kühlen, nebligen Morgen ritten sie los.

Der Rancher hatte Tom zum Trailboß bestimmt. Das besagte nicht viel und doch eine ganze Menge. Auf dem Trail war Tom der Chef. Nach dem Trail war er wieder ein Cowboy wie Jack und die anderen auf der Ranch.

Sie ritten nach Süden über Santa Fé nach Tucumcari. Wochenlang wälzte sich der Treck der zweitausend braunen Longhorns in einer Glocke von Staub nach Nordosten.

Die vier Männer hatten alle Hände voll zu tun. Der aufreibende Trail fraß alle anderen Gedanken auf. Jedenfalls schien es so.

Bis sie dann nach einer stürmischen Nacht, die sie mit der Herde am nördlichen Arkansasufer verbracht hatten, in den Morgenstunden den blonden Jonny tot auf seiner bunten Jacarilla-Decke fanden.

Er hatte eine Kugel im Herzen.

Wer hatte ihn ermordet?

Seit jener Stunde konnten die drei Männer einander nicht mehr in die Augen sehen. Und alle wußten plötzlich, daß der frische blonde Jonny die größten Chancen bei Mabel Gennan gehabt hatte. Schließlieh war er der einzige gewesen, der schon einmal mit ihr gesprochen hatte – als sie die beiden Pferde ihres Vaters zum Beschlagen in die Schmiede gebracht hatte.

Tom hob eine Grube aus.

Der tote Freund wurde in die Erde am Flußufer gelegt. Ein kleines Holzkreuz wurde auf den frischen Erdhügel gesetzt. Wortlos, die Hüte in den Händen, hatten die drei vor dem Grab des Freundes gestanden.

Das war die letzte Minute gewesen, in der sie noch miteinander hätten sprechen können.

Aber sie rann in die Ewigkeit, diese letzte Minute. Und von nun an waren sie offene Feinde.

Niemand konnte sagen, wer Jack und Kid eingeredet hatte, daß Tom nun die größten Chancen bei Mabel hätte. Jedenfalls hatte es sich in die Köpfe der beiden eingebrannt.

Als der Trail zu Ende war, ging jeder schweigend wieder an seine Arbeit.

Vergebens wartete der Blacksmith Vaugham auf seinen Gesellen. Und Peter Loon wunderte sich, daß Jonny sein Trailgeld nicht holen kam.

Da machte sich der Sheriff auf den Weg zur Ranch.

Jetzt endlich berichtete Tom ihm von dem Vorfall am Arkansas.

Jack schwieg verbissen zu allem.

Als der Sheriff dann in den Saloon ging, um mit Kid zu sprechen, war der nicht da. Er hatte sich bei einem anderen Rancher zu einem neuen Trail gemeldet.

Der Sheriff fand ihn in Eldorado.

Kid mußte mit nach Chelsea zurückkommen.

Richter Gennan setzte eine Verhandlung an.

Und da erklärten Kid und Jack nach einigem Hin und Her, daß sie Tom für den Mörder hielten.

Der zweiundzwanzigjährige Tom Coogan war so entsetzt, daß er kein Wort zu seiner Verteidigung herausbrachte. Die Geschworenen verurteilten ihn nach neunstündiger Beratung zum Tode.

Es gelang Richter Gennan jedoch, das Urteil in eine fünfzehnjährige Zwangsarbeit umzuwandeln.

In den Steinbrüchen von Sescattewa hat er sieben Jahre schuften müssen, dann wurde er mit einem großen Schub nach dem Süden abtransportiert.

Auf der langen Bahnfahrt entsprang der Sträfling Tom Coogan und floh in die Bergwildnis Arizonas, wo er drei Jahre als Cowboy bei einem kleinen Rancher arbeitete.

Als Tom vor zwei Monaten seinen letzten Lohn bekommen hatte, war er gegangen. Außer dem gesparten Geld hatte er noch etwas anderes mitgenommen, etwas viel, viel Wertvolleres: Er hatte oben in den Plains eine Goldader gefunden…

*

Die Sonne war gesunken.

Als sich die Dämmerung über die

Mainstreet breitete, trat der Heimkehrer aus dem Grand Hotel und ging mitten üher dle Straße zur Schmiede hinunter.

Es war noch das alte Haus des greisen Vaugham. Nur stand oben über dem breiten Tor der Name Irvin Ray.

Tom betrat die Schmiede.

Ein untersetzter blonder Mann von vielleicht fünfunddreißig Jahren stand am Amboß und ließ den Hammer auf ein glühendes Eisen fliegen.

Jetzt hob er den Kopf und blickte dem Eintretenden entgegen.

Tom kam langsam auf ihn zu.

Der Schmied ließ den Hammer rasten.

Die beiden Männer blickten einander an.

»Ich bin Tom Coogan.«

Der Schmied zog die Brauen zusammen. »Wer… wer sind Sie?«

»Ich bin Tom Coogan. Vor zehn Jahren bin ich wegen Mordes an Ihrem Bruder Ray zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden.«

Der Schmied legte den Hammer neben das Eisen und warf die schwere Greifzange auf die Kohle der Esse. Dann wischte er sich durchs rußige Gesicht.

»Sind Sie verrückt?« fragte er gedehnt.

»Ich bin zurückgekommen, weil ich unschuldig bin.«

Der Schmied stemmte die Arme in die Hüften und blickte den Fremden an wie einen Kranken. »Wie kommen Sie denn hierher? Ihre… Ihre Zeit ist doch noch nicht um?«

Tom schüttelte den Kopf. »Nein, ich müßte noch fünf Jahre in den Steinbrüchen schuften. Fünf Jahre noch. Für eine Tat, die ein anderer begangen hat.«

Wieder wischte sich der Schmied durchs Gesicht. Dann ging er langsam an Tom vorbei aus der Schmiede hinaus.

Erst nach Minuten folgte ihm Tom.

Er sah den Mann oben in der Mainstreet. Er wußte, daß er zum Sheriff gehen würde.

Tom ging zurück zum Hotel, holte sein Pferd aus dem Stall und ritt durch eine Nebengasse davon.

Genau in dem Augenblick, als Irvin Ray mit dem Sheriff zur Schmiede ging.

Der unwillkommene Heimkehrer ritt aus der Stadt hinaus nach Norden, über hügeliges Land. Schon nach drei Meilen sah er links neben dem schmalen Weg die Triangel-Ranch liegen. Er hielt auf sie zu.

Am Tor saß ein alter Cowboy, der ihn mißmutig aus einem bärtigen Gesicht anblickte.

»Ist Mister Haller auf der Ranch?«

Der alte Cowboy sprang beim Klang der Stimme des fremden Reiters von seinem Holzklotz hoch. »He – wer sind Sie?«

»Ich heiße Coogan. Tom Coogan. Kann ich den Rancher sprechen?«

Der Alte ließ den Mund offenstehen und zeigte den letzten Rest seiner schlechten Zähne. Dann machte er ein paar Schritte rückwärts, ohne den Reiter aus den Augen zu lassen, und rannte schließlich davon, auf das Ranchhaus zu, in dessen Tür er verschwand.

Nur eine Minute später erschien oben auf der Veranda ein großer vierschrötiger Mann. Er war hemdsärmelig, hatte ein rotes Gesicht und dunkle Augen. Er beobachtete den Reiter im Ranchhof mit zusammengezogenen Brauen.

Tom ritt an die Veranda heran. »Evening, Mr. Haller. Ich bin Tom Coogan und…«

»Was wollen Sie hier?« herrschte ihn der Rancher an.

Tom stieg vom Pferd und kam an die Treppe.

»Bleiben Sie im Sattel, Mann! Hier ist kein Platz für Sie!«

Tom blieb stehen und blickte den Rancher an. Für einen Augenblick zuckte rasender Zorn in ihm hoch. »Ich bin unschuldig, Mr. Haller«, stieß er halblaut hervor.

Der Rancher wandte sich um. Kurz bevor er die Tür erreicht hatte, sagte er hart über die Schulter: »Verlassen Sie meinen Boden, Coogan!«

Oben fiel die Tür zu.

Als Tom sich umwandte, ging sie wieder auf, und der alte Cowboy kam heraus.

Tom stand noch vor der Treppe, als er die keifende Stimme des zahnlosen Alten hörte. »Haben Sie nicht gehört, Coogan? Sie sollen verschwinden!«

Mit einem Satz war Tom auf der Veranda und stand vor dem Alten. Der Zorn brannte in seinen Augen. Er ballte die Linke zur Faust. Aber im letzten Augenblick besann er sich. Und als er den Kopf hob, sah er oben am Fenster das Gesicht eines Mädchens. Es mochte vielleicht achtzehn Jahre alt sein, hatte dunkles Haar und tiefblaue Augen. Ein zierliches Gesichtchen von bezaubernder Schönheit.

Tom wandte sich ab und ging die Verandatreppe hinunter.

Da hörte er den Alten rufen: »Das ist Tom Coogan, Miß Mary! Ein Mörder. Er hat Jonny Ray erschossen und…«

»Geh an deine Arbeit, Mac!« rief das Mädchen.

Als Tom im Sattel saß, warf er noch einen Blick hinauf zum Fenster. Die Mädchenaugen hafteten auf seinem Gesicht. Langsam ritt er aus dem Ranchhof.

Es war fast schon dunkel, als er die Bauten der Ranch von Peter Loons vor sich auftauchen sah.

Das Ranchtor war geschlossen.Tom öffnete es vom Sattel aus und ritt über das kurze Weidestück auf den Hof zu.

Oben im Wohnhaus brannte hinter zwei Fenstern Licht.

Drüben im Bungalow war schon alles dunkel. Sollten die Cowboys etwa schon zur Ruhe gegangen sein?

Als er über den Hof ritt, schlug neben dem Geräteschuppen ein Hund an.

Tom stieg aus dem Sattel, ließ das Pferd frei stehen und klopfte an die Tür des Ranchhauses.

Gleich darauf hörte er Schritte im Flur.

Die Tür wurde aufgeschlossen.

Ein Lichtschein fiel auf die Veranda und beleuchtete den Mann.

In der Tür stand eine junge Frau.

Tom konnte nur ihre Silhouette sehen.

»Evening«, sagte er halblaut. Er kam nicht weiter. Die Frau schrie auf und schlug die Tür zu.

Der Reiter stand steif und reglos da, blickte auf die Tür und wartete.

Nach wenigen Minuten wurde links von der Tür ein Gewehrlauf durch eine Schießscharte gesteckt, und eine Frauenstimme rief: »Verschwinden Sie augenblicklich! Ich schieße Sie sonst nieder…«

Der Mann preßte die Lippen aufeinander und wandte sich zum Gehen. Unten vor der Verandatreppe hielt er noch einen Augenblick inne.

Da rissen oben der Frau die Nerven.

Sie drückte ab.

Tom Coogan fühlte einen Schlag hoch oben gegen die rechte Schulter und gleich darauf einen stechenden Schmerz. Er preßte die Linke auf die Schulter, warf einen langen Blick hinauf zu der Schießscharte und ging ganz langsam zu seinem Pferd.

Mühsam zog er sich in den Sattel, hob die Zügel an und ritt davon.

In die Nacht hinaus, über das Bergland zurück zu der Stadt, dahin, wo er auch nicht willkommen war.

*

Es war dunkel in der Mainstreet. Dunkel wie früher. Nur drüben aus Walkers Saloon fiel Licht auf die Straße.

Im Grand Hotel war die Halle beleuchtet.

An den Tischen saßen ein paar Leute.

Als Tom an der Rezeption seinen Schlüssel abholte, stand ein kleiner weißhaariger Mann neben ihm, der plötzlich einen Schreckensruf ausstieß. »He, Mann – Sie bluten ja!«

Tom nickte. »Ich weiß.« Er nahm seinen Schlüssel und ging die Treppe hinauf.

Der Kleine lief keuchend hinter ihm her. Er hatte eine dickbauchige Tasche in der Hand. »Kommen Sie!« Er schob den Cowboy ins Zimmer. »Los, die Jacke herunter, ich werde Sie verbinden!«

Tom winkte ab. »Nicht nötig, Mister. Es ist nicht so schlimm!«

Der Kleine riß die Augen auf und zwinkerte durch seine dickglasige Brille. »Nicht so schlimm? Na, hören Sie… Los, schnell! Ich bringe das in Ordnung.«

Er brachte es in Ordnung.

Die Gewehrkugel hatte glücklicherweise nur die Schulter aufgerissen. Es war eine tiefe Fleischwunde. Kein Steckschuß. Der kleine Mann hatte also keine Kugel herausoperieren müssen.

»Ein ordentliches Loch«, sagte er, als er sich die Hemdsärmel wieder herunterkrempelte.

Tom, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte, kramte einen Golddollar aus seinem Gürtel und reichte ihn dem Mann. »So, Doc – damit wären wir wohl quitt.«

»Doc?« fragte der Kleine. »Gott bewahre, ich bin kein Arzt.«

»Kein Arzt?« forschte Tom verblüfft.