Der Eisenweg nach Santa Fé - William Mark - E-Book

Der Eisenweg nach Santa Fé E-Book

William Mark

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Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Es war im Spätherbst 1873, als in Santa Fé der Bankier Clyde Henderson auf den Gedanken kam, eine Bahnlinie vom Nordosten her nach Santa Fé legen zu lassen. Er wollte damit der wohl größten und bekannteren Stadt der Mittelstaaten etwas geben, was andere Städte – beispielsweise Dodge City – längst hatten. Es gab viele Dinge, die von Kansas her, das näher an den dichteren Verkehrslinien des Ostens lag, und von Colorado herunter nach New Mexico gebracht werden mußten. Dazu konnte bis 1873 nur die alte knarrende und polternde Postkutsche, die Overland, benutzt werden. Die Linie, die von Raton, an der Südgrenze Colorados, nach Santa Fé führte, gehörte einem Mann namens Austin Portland. Er war sehr reich, hatte in Raton drei Bars, einen großen Spiel-Saloon, mehrere Wohnhäuser und außerhalb der Stadt nahe an der Grenze zwischen Colorado und New Mexico auf der Chicorico Mesa eine große Ranch. Er war ein zwielichtiger Mann, dieser Austin Portland. Viele seiner Zeitgenossen hielten ihn für einen fortschrittlich gesinnten Menschen, der viel für das Land, die Stadt und seine Mitmenschen getan habe. Aber sie irrten sich. Portland war ein sehr eigennütziger Mann, der seine Ziele unter dem Deckmantel großer Freundlichtkeit mit kalter Brutalität verfolgte. Die Postlinie nach Santa Fé war seine Haupteinnahmequelle. Er hatte von der Regierung gleich nach Beendigung der Sezessionskriege eine Lizenz dafür bekommen und duldete keine Partner auf der fast einhundertfünfzig Meilen langen Strecke. Es gab sowohl in Santa Fé als auch in Raton selbst einige Leute, die gern noch eine Linie errichtet hätten; aber Portland wußte das immer zu vereiteln. Und als der kleine Jerome Walbrook im Frühjahr 1872 dennoch eine eigene Linie bei der Regierung durchsetzte, rastete der Rancher nicht, bis der Konkurrent zugrunde ging. Auch Allan Eastern, ein Kaufmann aus der kleinen Stadt Black Lake, die etwa fünfundsechzig Meilen nordostwärts von Santa Fé lag, hatte eine Linie aufgebaut. Eine kleine Overland mit nur zwei Wagen und sechzehn Pferden. Austin Portland ließ der Eastern-Linie ganze drei Monate, dann brach auch sie zusammen. Melwin Talbot, ein Getreidehändler aus Santa Fé, war der letzte, der gegen das harte Monopol Portlands anrannte und am 17. Mai 1873 eine eigene Linie aufbaute. Er hatte nicht einmal einen ganzen Monat Zeit, sich an seinem Werk zu erfreuen.

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Wyatt Earp – 273 –

Der Eisenweg nach Santa Fé

William Mark

Es war im Spätherbst 1873, als in Santa Fé der Bankier Clyde Henderson auf den Gedanken kam, eine Bahnlinie vom Nordosten her nach Santa Fé legen zu lassen. Er wollte damit der wohl größten und bekannteren Stadt der Mittelstaaten etwas geben, was andere Städte – beispielsweise Dodge City – längst hatten.

Es gab viele Dinge, die von Kansas her, das näher an den dichteren Verkehrslinien des Ostens lag, und von Colorado herunter nach New Mexico gebracht werden mußten. Dazu konnte bis 1873 nur die alte knarrende und polternde Postkutsche, die Overland, benutzt werden. Die Linie, die von Raton, an der Südgrenze Colorados, nach Santa Fé führte, gehörte einem Mann namens Austin Portland. Er war sehr reich, hatte in Raton drei Bars, einen großen Spiel-Saloon, mehrere Wohnhäuser und außerhalb der Stadt nahe an der Grenze zwischen Colorado und New Mexico auf der Chicorico Mesa eine große Ranch.

Er war ein zwielichtiger Mann, dieser Austin Portland. Viele seiner Zeitgenossen hielten ihn für einen fortschrittlich gesinnten Menschen, der viel für das Land, die Stadt und seine Mitmenschen getan habe. Aber sie irrten sich. Portland war ein sehr eigennütziger Mann, der seine Ziele unter dem Deckmantel großer Freundlichtkeit mit kalter Brutalität verfolgte.

Die Postlinie nach Santa Fé war seine Haupteinnahmequelle. Er hatte von der Regierung gleich nach Beendigung der Sezessionskriege eine Lizenz dafür bekommen und duldete keine Partner auf der fast einhundertfünfzig Meilen langen Strecke.

Es gab sowohl in Santa Fé als auch in Raton selbst einige Leute, die gern noch eine Linie errichtet hätten; aber Portland wußte das immer zu vereiteln. Und als der kleine Jerome Walbrook im Frühjahr 1872 dennoch eine eigene Linie bei der Regierung durchsetzte, rastete der Rancher nicht, bis der Konkurrent zugrunde ging. Die Mittel, derer er sich dazu bediente, waren mehr als gesetzlos…

Auch Allan Eastern, ein Kaufmann aus der kleinen Stadt Black Lake, die etwa fünfundsechzig Meilen nordostwärts von Santa Fé lag, hatte eine Linie aufgebaut.

Eine kleine Overland mit nur zwei Wagen und sechzehn Pferden. Austin Portland ließ der Eastern-Linie ganze drei Monate, dann brach auch sie zusammen.

Melwin Talbot, ein Getreidehändler aus Santa Fé, war der letzte, der gegen das harte Monopol Portlands anrannte und am 17. Mai 1873 eine eigene Linie aufbaute. Er hatte nicht einmal einen ganzen Monat Zeit, sich an seinem Werk zu erfreuen. Portland sorgte dafür, daß seine drei Wagen, seine drei Kutschen und drei Gunman in den schwierigen Bergpassagen nördlich vom Rio Grande ihr Ende fanden.

Sie hatten ihre Linien nicht aus purer Gewinnsucht aufgebaut, die kleinen Leute – es war tatsächlich so, daß die Overland des Ranchers Portland den Verkehr und Transport auf der wichtigen Strecke nicht bewältigen konnte. Walbrook, Eastern und Talbot hatten sogar Gelder aufgenommen, um die Verkehrslinien aufzubauen und zu stärken. Sie machten alle drei Bankrott. Walbrook erhängte sich. Eastern verfiel dem Alkohol und schwankte in Blake Lake von einem Saloon zum anderen, und Talbot schließlich wanderte zu Fuß nach Westen, nachdem er alles, was er einst besessen hatte, verlor. Nicht einmal ein Pferd hatte man ihm gelassen.

Das war Portlands Werk.

Und niemand wußte es.

Niemand hätte den harten, biederen Mann für einen Verbrecher gehalten, für einen Menschen, der nicht einmal vor einem Mord zurückschreckte, um seine Ziele durchzusetzen.

Aber das Unglück der drei Männer hatte den Tatendrang aller anderen, die sich vielleicht mit ähnlichen Plänen getragen hatten, zerstört. Man war weiterhin auf die Portland-Linie angewiesen, mußte sich weiterhin beschränken, wochenlang auf Post und andere Güter warten, oft monatelang, um einen vorbestellten Platz in den Wagen kämpfen.

So stand es gegen Ende Oktober des Jahres 1873, als Clyde Henderson in Santa Fé auf den Gedanken kam, eine Bahnlinie nach Norden bauen zu lassen. Vielleicht muß noch erwähnt werden, daß der Bahnbau damals fast nur in Privathänden lag. Noch heute gehört ein Großteil der amerikanischen Eisenbahnen privaten Gesellschaften. Es läßt sich also denken, daß ein einzelner Mann ein Vermögen aufwenden mußte, um ein solches Vorhaben zu beginnen.

Und Clyde Henderson setzte sein Vermögen ein.

Er setzte es unbewußt gegen das Mißgeschick, das den Namen Austin Portland trug.

Im Sommer 1960 war ich in Santa Fé. Wyatt Earps Spuren, denen ich viele Monate durch die Staaten folgte, hatten mich in die alte Spielerstadt geführt. Hier erfuhr ich Clyde Hendersons dramatische Geschichte, seinen Kampf gegen den Feind im Dunkeln.

Diese Geschichte will ich euch erzählen, Freunde, ich will euch berichten, wie der große Wyatt Earp in diesen historischen Kampf, der am 24. Oktober 1873 begann, verwickelt wurde.

William Mark

Joe Boswell wischte sich über sein staubiges, glühendheißes Gesicht. Er richtete sich auf und blickte zu der Bergkuppe hinüber, wo der kleine Arbeitertrupp den Weg für das Feuerroß, wie die Indianer die Eisenbahn nannten, ebneten.

Es war eine harte, mörderische Arbeit. Sichtlich hatte Henderson den Sommer vorübergehen lassen, um die Männer nicht in der Sonnenglut, die in den heißen Monaten in diesem Land herrschte, die Arbeit nur unter Qualen verrichten zu lassen.

Am Nordrand von Santa Fé hatte der Bahnbau begonnen.

Der Bankier hatte einen hohen Lohn für die Arbeitskräfte aussetzen müssen, um die Männer überhaupt auf die Plains zu bringen.

Der hünenhafte Joe Boswell stammte aus Los Angeles. Er war Ingenieur. Henderson hatte ihn aus Californien geholt, nachdem er erfahren hatte, daß Boswell die Bahn von Los Angeles nach Fresno gebaut hatte. Es hatte damals in allen Gazetten gestanden, wie schwierig der Bau über die Gebirgszüge der rauhen Temblor Ranges gewesen war.

Joe Boswell war gekommen. Und mit ihm zwei Dutzend Eisenbahn-Arbeiter aus Californien.

Aber nur sehr langsam kamen die Planierungsarbeiten vorwärts. Die Verhältnisse im wilden New Mexico erwiesen sich als bedeutend schwieriger, als die drüben in Californien.

Trotz der späten Jahreszeit herrschte am Rio Grande noch eine bruttige Schwüle. Die ersten Meilen nach dem nahegelegenen Tesque wurden verhältnismäßig schnell fertiggestellt. Und Boswell konnte die Bestellung für die Schienenstücke schon nach kurzer Zeit aufgeben. Aber dann ging es hinauf ins Gebirge, das schon zehn Meilen nördlich von der Stadt begann.

Boswell wußte, was man einer Lokomotive zumuten konnte, deshalb suchte er den Weg so anstiegsfrei und eben wie möglich zu halten. Aber er konnte nicht im Tal bleiben, durfte sich den Umweg nach Westen zum Rio Grande hinüber nicht leisten. Er mußte über die Berge.

Schon sehr bald wußte er, daß er hier vor einer Aufgabe stand, vor der schwersten seines Lebens.

*

Sie waren erst zwei Tage in den Bergen, als ein Trupp von fünfzehn Reitern gegen Abend ihr Lager aufsuchte und bat, die Nacht über dort verbringen zu dürfen. Im Morgengrauen brachen die Reiter auf. Und kurz vor Arbeitsbeginn meldete der Strecken-Boß dem Ingenieur, daß vier Kisten mit wichtigen Werkzeugen verschwunden waren.

Henderson, dem Boswell selbst die Nachricht in die Stadt brachte, lächelte. »Mit diesen Dingen müssen wir rechnen, Boswell. Wir leben hier in einem merkwürdigen Land. Es gibt eine Menge Leute, denen die Bahn nicht passen wird…«

Es war ein höllisch merkwürdiges Land! Das sollte der Ingenieur Boswell bald erkennen.

Henderson ließ neue Werkzeuge kommen.

Die Arbeit ruhte solange.

Die Männer warteten in Santa Fé.

Als sie am Morgen des 5. November wieder an ihrem letzten Lager ankamen, sahen sie da, wo sie in mühevoller Arbeit einen kleinen Paß in einen störenden Felsenvorsprung geschlagen hatten, ein gewaltiges klaftertiefes Loch.

Boswell biß die Lippen aufeinander. Er spürte, daß ihn der Vorarbeiter Jim Gennan anblickte.

»Das ist gesprengt worden…«, sagte Gennan dumpf.

Boswell schwieg.

Fast einen vollen Tag brauchte der Trupp, die Vertiefung wieder so auszugleichen, daß sie nicht nur eben war, sondern auch einen festen Untergrund für den Bahnkörper abgab.

Die Arbeit ging weiter.

Über ein ebenes Stück zwischen Bergkuppen hindurch, eine sanft ansteigende Halde hinan auf einen Hügelkamm zu, den Boswell am liebsten umgangen hätte.

Am Abend zuvor hatte er sich mit Gennan besprochen.

Sie waren dahin übereingekommen, die niedrigste Stelle des Kamms wieder so einzubrechen, daß die Bahn hin­übergeführt werden konnte.

Und daran arbeiteten die Männer am Morgen des 8. November.

Boswell hatte in der Frühe einen Ritt nach Süden gemacht und war hinter Tes­que auf den Schwellenleger-Trupp gestoßen, der rasch vorwärtsgekommen war.

Während der Ingenieur nach seinem Lager im Norden zurückritt, überlegte er, daß er vielleicht in vierzehn Tagen schon mit dem Legen der Schienen von Santa Fé nach Tesque beginnen lassen könnte.

Da hörte er plötzlich Schüsse vor sich.

Eine Tamariskenbuschgruppe verdeckte dem Reiter die Sicht auf das Plateau, an dessen Ende die Arbeiter mit dem Einbrechen des Hügelpasses noch beschäftigt waren.

Boswell gab seinem Braunen die Sporen und preschte vorwärts.

Und dann, als er die Büsche erreicht hatte, sah er es: Seine Männer hatten sich hinter Planwagen, Gesteinsbrocken und Pferden verschanzt und feuerten wie wild über die Nordseite des Passes.

Der Ingenieur preßte die Fäuste um die Zügelleinen.

Hinter einem Pinto erkannte er den Vorarbeiter.

»Gennan!« rief er ihm zu, während er vom Pferd sprang und vor einer dicht an ihm vorbeipfeifenden Kugel hinter einem Felsstein Deckung suchte.

Der Bestman sah sich um. »Hallo, Boß!« rief der rothaarige Bursche. »Kleine Unterbrechung!«

»Wo stecken die Banditen?«

»Keine Ahnung. Sie schießen drüben hinter einer Felsnase hervor.«

»Wieviel sind es?«

»Weiß ich nicht. Mindestens ein Dutzend. Jack Halbert und Jonny Covers sind verwundet. Auch Maxwell hat was abgekriegt.«

Der Ingenieur kroch vorwärts und fand die Verwundeten bei den Gerätekisten.

»Damned!« fluchte er und blickte auf die große Wunde in der Schulter des kleinen Arbeiters Jonny Covers. »Wo ist der Verbandskasten, Gennan!« rief er dem Bestman zu.

»Oben bei dem kleinen Wagen!«

Boswell wischte sich übers Gesicht.

Der kleine Wagen stand am weitesten vorgeschoben auf dem Hügelkamm. Es war unmöglich, ihn bei dieser Schießerei zu erreichen. Kurz entschlossen zerriß der Ingenieur das graue Kattunhemd Covers’ und legte ihm nicht sehr geschickt einen Verband an.

Drüben hinter einem Stein lag Halbert. Er stöhnte laut.

Boswell robbte über den Boden.

Jetzt näherte er sich einer Stelle, die von drüben eingesehen werden konnte.

Und schon klatschten zwei Kugeln auf den felsigen Boden, heulten jaulend als Querschläger davon.

Boswell preßte den Kopf an die Erde. Er ballte die Fäuste und fluchte vor Verzweiflung.

Dann sprang er hoch und rannte vorwärts.

Ein Gewehrschuß heulte auf.

Boswell verspürte einen harten Schlag im linken Oberarm, rannte aber mit Todesverachtung weiter.

Noch zwei Kugeln klatschten hinter ihm aufs Gestein.

Dann hatte der Ingenieur die Stelle erreicht, an der Halbert lag.

Mit schreckgeweiteten Augen starrte Boswell in das blutüberströmte Gesicht des hageren blonden Mannes. Er dachte einen Sekundenbruchteil daran, daß Halbert eigentlich die Reise nach New Mexico nicht hatte mitmachen wollen, weil er heiraten wollte. Der Ingenieur hatte ihn aber überredet. Und jetzt lag der arme Bursche da, mit zerschundenem Gesicht, ächzend und stöhnend.

Boswell krich zu ihm heran, riß die Wasserflasche vom Leibgurt und goß dem Verwundeten das lauwarme Naß übers Gesicht.

»Hilfe!« stöhnte der Arbeiter.

»Yeah – ich muß erst sehen, wo du verletzt bist!« stieß der Ingenieur heiser hervor.

Da sah er, daß Halbert quer übers Gesicht eine tiefrote breitklaffende Wunde hatte.

Boswell kniete tief am Boden neben ihm und starrte auf sein Gesicht. »Jack…« Er krampfte seine Hände in die Schultern des Arbeiters. »Warte, Jack…, ich bringe dich zurück…«

»Nein, Boß, lassen Sie mich nur liegen. Ich bin fertig… Diese verdammten Schweine… Schießen Sie doch…«

Völlig verzweifelt blickte Boswell sich um.

Da drüben stand der kleine Wagen mit den Medikamenten. Fünfundzwanzig Yards entfernt. Ganz allein. So unerreichbar allein, daß der Californier in wildem Grimm das Gesicht verzerrte.

Dann sprang er auf und hetzte vorwärts.

Der Bestman starrte ihm nach und schrie: »Boß! Sind Sie wahnsinnig!«

Schüsse peitschten über die Halde.

Die Arbeiter starrten wie gelähmt vor Schreck hinter ihrem Chef her.

Boswell warf sich an den Boden, rollte nach rechts, sprang wieder hoch, hetzte weiter, ließ sich wieder fallen, sprang erneut auf und war fast nur noch sieben Yards vor dem Arzneiwagen, als ihn eine Kugel wie ein Keulenschlag zurückwarf.

Er stürzte hintenüber und blieb reglos am Boden liegen.

Die Arbeiter brüllten auf vor Wut und Verzweiflung. Jim Gennan, der Vorarbeiter, richtete sich auf, die Schüsse, die aufbellten, nicht achtend, riß er seine Winchester hoch und schoß… Sechs Kugeln schickte er ab – dann brach auch er zusammen.

Boswell lag am Boden und starrte in den Himmel.

Ein fürchterlicher Schmerz hämmerte in seiner Brust.

So ist es also, wenn du stirbst! zuckte es durch sein Hirn. Du siehst den Himmel, wie sonst auch. Er ist sogar blau und wolkenlos. Und da hinten sind die Berggipfel.

Und dann sah er den Wagen vor sich.

Nur sieben Yards trennten ihn davon.

Der Mann brachte die Rechte an die Brust, tastete über seine Jackentasche, zur linken Brusttasche hinüber… und fühlte seine metallene Tabaksdose.

Boswell riß die Dose heraus.

Der Deckel war von einer Kugel zerschlagen worden.

Langsam drehte der Mann am Boden die kleine metallene Dose vor seinen Augen.

Die Rückwand war unversehrt.

Boswell riß die Dose auf.

Tabakfäden fielen in sein Gesicht… und etwas Heißes.

Mit zitternder Hand tastete der Mann zur Brust, schob die Finger unter das Hemd.

Dann fuhr ein heißer Strahl zu seinem Herzen.

Ich bin unverletzt! Der Schlag der Kugel hatte ihn also nur betäubt.

Sofort schnellte er hoch, rannte benommen vorwärts und war schon in der Deckung des Wagens, als die verdutzten Gegner wie wild nach ihm feuerten.

Jim Gennan kauerte hinter einem Stein. Blut rann heiß und klebrig von seiner Schläfe.

Er hatte einen sengenden Streifschuß abbekommen.

Aus halbblinden Augen starrte er zu seinem Boß hinüber. Heavens! Was war denn das? Der Ingenieur war ja wieder aufgesprungen und rannte torkelnd auf den Wagen zu.

Da riß sich der Vorarbeiter ebenfalls hoch und brüllte: »Los, Boys, schießt, was die Läufe hergeben! Gebt ihnen keine Chance, ihre Nasen um den Fels zu schieben!«

Gennan rannte vorwärts wie ein angeschossenes Tier.

Und die Arbeiter hämmerten mit ihren Kugeln auf die Felsecke.

Der Vorarbeiter erreichte keuchend den Ingenieur.

Der blickte ihn entsetzt an. »Mann, wie siehst du aus…«

»Nur eine Schramme, Boß! Schnell, wir beide ziehen die Karre zurück!« Gennan zerschlug das Fußbrett des Kutschbockes und klemmte es mit einem harten Stoß vorn vor die Deichsel. »So –, jetzt können Sie schlimmstenfalls noch unsere Absätze treffen«, meinte er grinsend, während er die Deichsel packte und sich wie ein Zugtier nach vorn stemmte.

Unter Aufbietung aller Kräfte zerrten die beiden Männer den Planwagen zum Paß hinauf.

Lauter Jubel empfing sie.

Und drüben war das Feuer verstummt. Die Angreifer deuteten die Aktion falsch. Sie glaubten anscheinend, der Planwagen enthalte Dinge, die die Kampfkraft der Arbeiter stärken könne. Nie und nimmer hätten sie es für möglich gehalten, daß die beiden Männer ihr Leben für ein paar Arzneikisten aufs Spiel gesetzt hatten.

Der Kampf war zu Ende.

Gennan und zwei andere Arbeiter umritten den Paß, und als sie zurückkamen, berichteten sie, daß sie in der Ferne ein Dutzend Reiter bemerkt hätten, die im Eilgalopp das Weite suchten.

Die Verwundeten wurden verbunden.

Glücklicherweise stellte sich heraus, daß keiner der Männer lebensgefährlich verletzt war.

Halbert allerdings hatte starke Schmerzen.

An eine Weiterarbeit war für heute nicht mehr zu denken.

Boswell schickte sofort einen Boten nach Santa Fé.

Noch am Abend kamen Henderson und Sheriff Pat McCrea hinaus in das Lager am Paß.

Der Bankier, ein mittelgroßer blasser Mann in den Vierzigern, blickte entsetzt auf die Verwundeten. Er suchte die Männer zu trösten und ließ Whisky verteilen.

*

Drei Tage später erfolgte der nächste Schlag.

Boswell stand gerade mit seinen Karten auf einer Anhöhe, wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte in den wolkenverhangenen Himmel.

Da sah er ihn.

Er hielt auf einer in den Himmel ragenden Bergspitze. Reglos wie ein Denkmal.

Ein Indianer.

Der Ingenieur glaubte zu träumen. Er rieb sich die Augen und starrte wieder auf das Bild, das sich ihm da bot.

Kaum zweihundert Yards entfernt hielt der Rote auf einem scheckigen Pferd oben auf dem Fels und blickte in die Talsenke hinunter. Er trug helle Lederkleidung, hatte blauschwarzes Haar, das ihm hinten über die Schultern fiel und oben mit zwei weißen Federn geschmückt war. Bewegungslos standen Pferd und Reiter da.

Beinahe friedlich zeichnete sich diese Silhouette in den grauen dunstigen Himmel ab.

Friedlich – ? Joe Boswell spürte, daß etwas Drohendes von dem Mann da drüben ausging.

Was wollte er da, der Rote?

Der Ingenieur wußte, daß die nächste Comanchen-Reservation fast siebzig Meilen weiter westlich lag. Und die Apachen lebten noch weiter südwestlich in Arizona.

Hier war einst Comanchen-Land gewesen.

Vielleicht war der Reiter von Raton gekommen oder von Blake Lake, vielleicht war er auf dem Ritt zu der Reservation.

Seltsamerweise fühlte Boswell, daß es nicht so war. Daß der Indianer nicht allein war.

Und jetzt hatte auch Gennan ihn gesehen. Er war von der Straße zurückgekommen und hatte in einem der Wagen ein Gerät geholt.

Langsam kam er auf Boswell zu und blieb neben ihm stehen.

»He, Boß – wir haben Besuch!« sagte er, ohne den Blick von der Reitergestalt zu nehmen.

»Yeah –.«

Gennan wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn. »Verdammt schwül heute…«

Boswell nickte. »Yeah.«

»Merkwürdiges Bild. Gefällt mir nicht«, knurrte der Vorarbeiter.

Boswell gab sich den Anschein, als berühre ihn die Anwesenheit des Indianers nicht. »Was wollen Sie, der Mann sieht sich die Arbeiten an.«

Boswell hatte seine Karten zusammengelegt. Und plötzlich spürte er, daß der Vormann ihn anstieß und auf die Bergkuppe deutete. Gennans Stimme klang heiser und rauh. Auch er hatte einen Augenblick auf die Karten gesehen.

»He – sehen Sie sich das an…«

Die Bergspitze war leer. Kahl und öde ragte sie in das Himelsgrau.

»Er ist verschwunden!« Gennan schluckte und wischte sich wieder über die Stirn. »By gosh – vielleicht hat mich diese brütende Hitze fertigge­macht – aber das gefällt mir nicht – das Spiel. Bei uns in der Valley-Street sitzt immer ein alter Kerl in der Western-Bar. Er trägt Lederzeug und hat einen grauen Bart. Und immer hat er seinen Colt am Gürtel hängen. Die Leute haben es aufgegeben, sich über ihn lustig zu machen. Er erzählt immer von den Comanchen. Vor vielen Jahren hat er hier unten irgendwo gelebt, auf einer Ranch. Es hörte sich immer ganz verrückt an, wenn er von den Roten erzählte. Es gab wohl niemanden im Saloon, der ihn ernstnahm, ihm auch nur ein Wort glaubte. Aber das, was ich da eben gesehen habe, war genauso, als hätte er es erzählt…«

Boswell lachte wieder leise.

Der Vorarbeiter schob sich den Hut ins Genick. »Vielleicht ist es nur die Hitze…«

»Sicher.«

Gennan stieß den Tabakrauch durch die Nase aus. »Wie machen die Burschen das bloß? So schnell kann doch kein Mensch verschwinden! Die Schufte können doch nicht zaubern. Und weshalb ist er so plötzlich verschwunden?«

»Kümmern Sie sich nicht drum, Jim. Wir müssen heute noch ein Stück weiterkommen.«

Gennan nickte und ging langsam vorwärts auf die Arbeitsstelle zu.

Plötzlich stockte sein Schritt.