Wyatt Earp 279 – Western - William Mark - E-Book

Wyatt Earp 279 – Western E-Book

William Mark

0,0

Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Ein kühler Herbstwind trieb den Straßenstaub schmirgelnd an den hölzernen Häuserwänden entlang. Bleigrau lag der Himmel über Dodge City. Es war der 4. November 1877. Der Mann, der sich in Joe Harpers Western-Bank schob, war untersetzt, trug einen grauen Tuchanzug und ein mißfarbenes, verwaschenes Kattunhemd. Der helle Stetson war fleckig und an den Kronenseiten von großen Schweißflecken besetzt. Er hatte ein pockennarbiges, rissiges Gesicht und gelbliche Augen, der Mann, der den Schalterraum der Bank betrat. Die große Uhr über einer Tür zeigte die Mittagsstunde an. Die Bank war leer. Hinter dem ersten der drei Schalter saß ein alter Mann mit kahlem Schädel und müdem Gesicht. Er trug einen breiten Schirm aus grünem Marienglas über den Augen. Nur träge blickte er auf, als sich die Tür öffnete. Der Fremde kam langsam an den Schalter heran. Dann hatte er plötzlich einen großen, mattblinkenden Revolver in der Hand. Der alte Jeff Howell riß die Augen entsetzt auf und holte Luft zu einem Schrei. In diesem Augenblick stieß der Fremde den Revolver vor, preßte ihn auf die Herzspitze des Alten und drückte ab. Howell sank hinter der Schalterbank zusammen. Der Colt, den er noch an sich gerissen hatte, entglitt seiner Hand. Dumpf brach sich das Geräusch des Schusses an den Wänden. Ehe der Mann über die Schalterbank greifen und die Geldlade aufreißen konnte, flog im Hintergrund des Raumes eine Tür auf.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 170

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wyatt Earp – 279 –

Der Bluffer

William Mark

Ein kühler Herbstwind trieb den Straßenstaub schmirgelnd an den hölzernen Häuserwänden entlang. Bleigrau lag der Himmel über Dodge City.

Es war der 4. November 1877.

Der Mann, der sich in Joe Harpers Western-Bank schob, war untersetzt, trug einen grauen Tuchanzug und ein mißfarbenes, verwaschenes Kattunhemd. Der helle Stetson war fleckig und an den Kronenseiten von großen Schweißflecken besetzt.

Er hatte ein pockennarbiges, rissiges Gesicht und gelbliche Augen, der Mann, der den Schalterraum der Bank betrat.

Die große Uhr über einer Tür zeigte die Mittagsstunde an.

Die Bank war leer.

Hinter dem ersten der drei Schalter saß ein alter Mann mit kahlem Schädel und müdem Gesicht. Er trug einen breiten Schirm aus grünem Marienglas über den Augen.

Nur träge blickte er auf, als sich die Tür öffnete.

Der Fremde kam langsam an den Schalter heran. Dann hatte er plötzlich einen großen, mattblinkenden Revolver in der Hand.

Der alte Jeff Howell riß die Augen entsetzt auf und holte Luft zu einem Schrei.

In diesem Augenblick stieß der Fremde den Revolver vor, preßte ihn auf die Herzspitze des Alten und drückte ab. Howell sank hinter der Schalterbank zusammen. Der Colt, den er noch an sich gerissen hatte, entglitt seiner Hand.

Dumpf brach sich das Geräusch des Schusses an den Wänden.

Ehe der Mann über die Schalterbank greifen und die Geldlade aufreißen konnte, flog im Hintergrund des Raumes eine Tür auf.

Schüsse krachten.

Der Fremde wurde herumgewirbelt, schoß auch, dann knickte er zusammen.

In der aufgerissenen Tür zum Nebenraum stand Joe Harper. Er hatte den rauchenden Colt noch in der Hand.

Langsam und vorsichtig kam er auf den Niedergeschossenen zu.

Der Mann hatte einen Streifschuß an der Schläfe abbekommen.

Harper ließ den Colt fallen und schleppte den Banditen hinaus auf den Vorbau.

Drüben aus dem Marshal-Office sprang ein hochaufgeschossener, sommersprossiger Bursche mit einem blinkenden Fünfzack auf der linken Seite der abgewetzten Lederweste.

Von allen Seiten kamen die Männer heran und starrten auf das blutbeschmierte Gesicht des Fremden.

Frank Ympy, der Hilfs-Marshal, schob die Männer auseinander und blickte auf den Verletzten.

Harper, der Bankier, schnappte nach Luft wie ein Karpfen, der auf das Trockene gezerrt worden ist.

»Er hat Jeff niedergeschossen!«

»Aufhängen!« brüllte einer der Umstehenden.

»Yeah! Sofort aufhängen!«

Der schlaksige Deputy zerrte den immer noch Betäubten in die Bank. Als auch Harper den Schalterraum betreten hatte, schob sich der Hüter des Gesetzes in die Tür und hielt die nachdrängenden Leute auf.

»Halt...«

»Aufhängen!«

»Sofort aufhängen!«

Als sich ein vierschrötiger Mann mit Bullbeißergesicht an dem Deputy vorbeischieben wollte, stieß der ihn zurück.

»Sie bleiben auch draußen, Mister Walker!«

»Was willst du denn?« giftete ihn der Vierschrötige an und zog seine buschigen Brauen zusammen. »Der Kerl hat Jeff Howell umgelegt.«

»Das eben werde ich untersuchen.«

»Was gibt’s da zu untersuchen? Der Mann ist ein Mörder. Er wird aufgehängt!«

»Yeah, aufhängen!« brüllte es hinter Walker.

Da zog der Deputy seinen Revolver. Es war nur eine kurze, schnelle Bewegung gewesen. Und jetzt war die Waffe drohend auf die Männer vor der Tür gerichtet.

Walker hielt inne und fletschte wütend die Zähne.

Da schlug Ympy die Tür zu und riegelte sie ab.

Der alte Howell war tot. Er konnte nichts mehr über den Hergang des Vorfalles erzählen.

Und draußen schrie die Menge immer noch aufgebracht: »Aufhängen! Gleich aufhängen!«

Der Deputy wischte sich den Schweiß von der Stirn und starrte auf den Toten.

Harper hatte seinen Colt wieder aufgenommen und stand am Fenster. »Wenn es so weitergeht, Frank, schlagen die Leute mir die Scheiben ein.«

Der Verletzte lag immer noch reglos am Boden.

Da stieß Ympy das Fenster auf. »Ruhe!« brüllte er. »Es gibt niemanden in der Stadt, der über Leben und Tod zu entscheiden hat. Auch ich nicht. Morgen kommt Richter Gordon aus Abilene...«

»Morgen!« brüllte der grobschlächtige Walker. »Da ist der Mann längst tot! Genau wie Howell!«

»Ruhe!« donnerte der Deputy in das wieder aufkommende Geschrei. »Richter Gordon wird den Fall untersuchen! Er ist morgen in der Stadt!«

»Der Kerl wird gehängt!« belferte ein krummbeiniger, hartgesichtiger Bursche.

»Los, holt einen Strick!«

»Sofort aufhängen!«

Walker stemmte seine Fäuste in die Hüften. »Was willst du denn, Ympy?« knurrte er. »Du kannst die Leute nicht aufhalten. Der Kerl ist ein Mörder. Also wird er aufgeknüpft!«

Da zwängte sich ein hünenhafter Mann mit eisgrauem Bart durch die Menge. Er hatte ein wetterbraunes, hartes Gesicht mit wasserhellen Augen.

»Männer!« rief er mit einer wahren Stentorstimme. »Hier wird keine Lynchjustiz geübt! Noch herrschen Ruhe und Ordnung in unserer Stadt. Genauso, als ob der Marshal hier wäre...«

»Er ist aber nicht da, Doc!« fauchte Walker.

Der alte Arzt blickte Walker kühl an. »Eben, und deshalb müssen wir selbst dafür sorgen, daß alles nach dem Gesetz geht!«

»Der Bandit da drinnen hat Jeff Howell erschossen!«

»Ich habe es gehört! Trotzdem wird es so gemacht, wie Ympy es befohlen hat. Morgen ist der Richter hier. Kommt, Leute, seid vernünftig. Ihr habt nicht das Recht, irgend jemanden zu hängen. Das wißt ihr genau. Geht jetzt nach Hause – oder kommt rüber in den Long Branch Saloon, ich geben einen aus!«

Das war eher etwas. Sieben Männer schlenderten augenblicklich hinter dem Arzt her auf den Saloon zu.

Walker und drei andere blieben vor der Bank stehen.

Der Deputy blickte in ihre harten Gesichter.

Hinter ihm rührte sich der Mann am Boden. Er atmete schwer und richtete sich keuchend auf den Ellbogen auf.

Walker konnte dessen blutverschmiertes Gesicht sehen. Er hob seine klobige Faust und schwang sie drohend.

»Aufgehängt wird er! Und zwar heute noch!«

»Verschwinden Sie!« gebot der Hilfs-Marshal.

»Well«, knurrte Walker. »Aber das verspreche ich dir, Frank, der Mann baumelt heute noch!«

Doc Gilbert sorgte dafür, daß die aufgebrachten Männer zur Ruhe kamen. Nach dem dritten Whisky hielt er ihnen einen eindringlichen Vortrag:

Danach hatte er sie auf seiner Seite.

Aber nur diese sieben.

Walker hatte indessen drüben vor Vaughams Mietstall ein halbes Dutzend anderer Männer um sich geschart. Die hatten ihre Hände schon auf den Knäufen ihrer Revolver liegen.

Ympy sah es durchs Fenster und entsicherte seinen Colt.

Dann trat er an die Tür.

Mit lauter Stimme rief er: »Ich schieße jeden nieder, der sich der Bank nähert. Ihr wißt, was geschieht: Morgen kommt Richter Gordon, und dann wird der Mann ordnungsgemäß verurteilt! Ich werde es um jeden Preis verhindern, daß Willkür in der Stadt herrscht!«

»He, ein kleiner Wyatt Earp!« rief ein langer, spindeldürrer Bursche und schlug seine kantige Hand an den Revolverkolben. »Wir werden den Mann aufknüpfen, Ympy. Und du wirst dein Schießeisen steckenlassen.«

»Yeah – ein kleiner Wyatt Earp!« mischte sich Walkers Baßstimme dazwischen. »Nur, daß ihm die Stiefel des Marshals ein paar Nummern zu groß sind!«

Ein kleiner rothaariger Bursche kam mit einem Mann quer über die Straße, der einen schweren Leib und eine Stirnglatze hatte. Er trug einen guten grauen Tuchanzug, ein weißes Hemd und eine Samtschleife.

Es war Jim Power, der Major.

Der Rothaarige führte ihn bis zum Vorbau der Bank und blieb dann stehen. »Gehen Sie nur weiter, Mayor. Sie wird er ja nicht gleich anschießen!«

Der Bürgermeister trat vor das offene Fenster der Bank und sah in Ympys glühendes Gesicht.

»Howell ist erschossen worden?«

Der Deputy nickte.

»Wie ist das passiert?«

»Ich weiß es nicht. Neben Howells Stuhl liegt auch ein Revolver.«

Der Mayor nickte, dann blickte er sich nach Walker und seinen Leuten um.

Der brüllte mit hochrotem Kopf: »Sie werden doch den Blödsinn Ympys nicht unterstützen, Mayor? Der Kerl wird ge­hängt!«

Nervös nestelte der Mayor an seiner Halsschleife.

Ympy sagte leise hinter ihm: »Ich habe es den Leuten schon gesagt: Ich schieße jeden nieder, der sich der Bank nähert.«

Power spürte, daß ihm kleine Schweißperlen auf die Strin traten. Und was er jetzt dachte, hatte er schon oft gedacht: Hätte ich doch bloß diesen unseligen Job nicht angenommen! Seit der Marshal die Stadt verlassen hatte, gab es dauernd Krawall. Mal in einer Bar, mal in irgendeiner Gasse. Hier wurde geschossen und da wurde geschossen. Es war keine Seltenheit, daß ein Toter auf der Straße lag.

Yeah, solange Wyatt Earp in der Stadt war, blieb meist alles ruhig. Wenn er hier war, herrschte sein Waffenverbot. Aber im Frühjahr und im Herbst, wenn er die Stadt verließ und auf Büffeljagd oder sonstwohin zog, dann war in Dodge wieder der Teufel los. Jetzt war er kaum einen Monat weg, und schon hatte der Bürgerrat beschlossen, das Waffenverbot abzuschaffen. Man war der Ansicht, daß man sich so besser und schneller gegen Raufbolde und schießwütige Revolverschwinger schützen könnte. Aber es hatte sich bald herausgestellt, daß es jetzt viel mehr Schießereien in der Stadt gab als sonst. Die Leute schoben es auf die Abwesenheit des Marshals. Aber das war nicht der wahre Grund. Es lag vielmehr daran, daß jetzt auch die Bürger der Stadt und die Cowboys der umliegenden Ranches nachts oft in angetrunkenem Zustand von der Waffe Gebrauch machten. Früher hätten sie keine Gelegenheit dazu gehabt – mit leerem Halfter.

Jim Power war kein sonderlich mutiger Mann. Er hatte den Schuß in der Bank bis in seine Wohnstube gehört und schnell das Fenster geschlossen. Aber diese krummbeinige rothaarige Ratte hatte ihn geholt. Er sollte sich einschalten. Sollte den Willen der Leute gesetzlich durchsetzen.

»Der Kerl wird gehängt!« brüllte der spindeldürre Bursche jetzt wieder, der neben Walker vor dem Tor des Mietstalles stand.

Ympy glühte vor Zorn. »Sagen Sie den Leuten, Mayor, daß Richter Gordon morgen in die Stadt kommt, und daß er allein entscheidet, was geschieht!«

Der Mayor wischte sich mit der flachen Hand über die Stirn. Er hatte gesehen, daß sich drüben zu Walker ein Mann gesellt hatte, den er jetzt am wenigsten gebrauchen konnte. Es war ein mittelgroßer Mann mit olivfarbener Haut, harten Augen und faltigem Ledergesicht. Zwischen den schmalen Lippen hielt er eine lange, dünne Virginiazigarre. Der Mann war sehr elegant gekleidet. Seine Hände, die er jetzt ostenativ in die Hüften stützte, steckten in gelben Wapitihandschuhen. Zitronengelb leuchtete auch die bestickte Weste, und auf seiner weinroten Leinenkrawatte funkelte ein großer Diamant.

Dieser Mann war der Viehaufkäufer John Harris, der reichste und mächtigste Mann der Stadt. Er wäre im vergangenen Jahr gern Bürgermeister geworden und konnte es Power nicht vergessen, daß er das Amt bekommen hatte.

Der Mayor wußte, daß der scharfzüngige gefährliche Harris seitdem gegen ihn hetzte und stichelte, wo sich nur eine Gelegenheit dazu bot.

Und jetzt stand er drüben bei Walker und blickte aus kalten Augen zur Bank hinüber.

Powers Brust hob und senkte sich.

»Sie müssen es den Leuten sagen«, drängte Ympy hinter ihm.

Da öffnete der Mayor die Lippen. Seine Stimme klang zaghaft und ängstlich. »Männer, morgen ist Richter Gordon in der Stadt. Wir können ihm nicht vorgreifen. Wir haben kein Recht dazu.«

»Wir kennen Richter Gordon nicht!« rief Walker böse.

Ympys Kopf schoß vor. »Ihr habt alle von ihm gehört. Lester Gordon ist der bekannteste Richter in ganz Kansas. Er kommt morgen, um die Verhandlung gegen Hal Thopson zu führen.«

»Well, das ist auch seine Sache. Thompson ist ein Rancher, und wenn er sich mit Mead oben auf King Bells Weide in den Haaren liegt, so kümmert uns das nicht. Gordon soll das regeln. Aber dieser Mann da drinnen ist ein Mörder. Und deshalb werden wir ihn hängen. Dazu brauchen wir keinen Richter.«

Power seufzte und wandte sich nach Ympy um. »Sie hören es selbst, Frank – was soll ich noch tun?«

Das Gesicht des Deputys war hart wie Granit. »Sie sollen sich nicht unterkriegen lassen! – Morgen kommt Richter Gordon...«

*

Der Kutscher brachte die sechs Pferde vor dem alten Post-Office zum Stehen. Er kletterte langsam vom Bock und nahm hinten ein Paket vom Gepäckhalter, warf es auf die Rampe und zündete sich eine Zigarette an. Verwundert blickte er in die starren Gesichter der Männer.

Die blickten nur auf den Wagenschlag.

Der blieb zu.

Gerade wollte John Harris sich umwenden, um dem Mayor etwas zuzurufen, als sich der Griff des Wagenschlages bewegte.

Langsam wurde die enge Tür geöffnet.

Alles starrte gebannt auf die Kutsche.

Zuerst wurde ein staubfreier, neuer schwarzer Stetson sichtbar, dann ein gipsfarbenes, hageres, tiefzerfurchtes Gesicht. Gleich darauf schob der Mann seinen langen drahtigen Körper hinaus.

Und schließlich stand er auf der Straße und blickte mit seltsam stechenden schiefergrauen Augen in die verdutzten Gesichter der Leute.

Die konnten sich nicht genug an ihm sattsehen.

Welch eine Erscheinung!

Der Mann war wenigstens einsneunzig hoch, hatte eine auffallende gerade, fast steife Haltung, trug in der Linken eine kleine lederne Reisetasche, hatte einen sauberen schwarzen Anzug an, ein blütenweißes Hemd und eine dünne schwarze Schnürsenkelschleife um den Kragen.

Sein weißes Gesicht wirkte wie alles an ihm, wie sein Anzug, seine Hände, seine Tasche und seine Haltung: kalt, ernst, gefährlich.

Hochaufgerichtet stand er da und blickte auf die Männer.

Dann schoben sich noch zwei Figuren aus der Kutsche. Zwei unsympathische Gestalten in dunklen Anzügen, die unter den Rockaufschlägen ausgebuchtet waren. Jedermann wußte, daß die beiden da an einem Kreuzgurt zwei schwere Revolver hatten.

Auch die beiden Gestalten musterten ihrerseits die Leute forschend. Es war ein ungläubiges, staunendes Verwundern in ihren Blicken.

Totenstille herrschte auf der Straße.

Da setzte sich der Mayor, der den großen schwarzgekleideten hageren Mann mit leuchtenden Augen betrachtet hatte, in Bewegung.

Mit hastigen Schritten eilte er auf ihn zu. Einen Yard vor ihm blieb er stehen.

Der Fremde musterte ihn mit einem Blick, der voller Ablehnung und Kälte war.

Jim Power holte tief Luft und sagte so laut, daß es jedermann auf der Straße genau verstehen konnte: »Richter Gordon – ich begrüße Sie im Namen der Stadt Dodge City!«

Der Blick des Hageren blieb kalt. Ganz langsam hob sich die linke Braue seinem schwarzen Hutrand entgegen. Das war alles, was sich an ihm bewegte.

Power streckte dem sonderbaren Mann die Hand entgegen, der aber übersah sie zum Schrecken aller Umstehenden.

Der so abgewiesene Mayor machte eine leichte Verneigung. »Darf ich Sie zum Hotel führen, Euer Gnaden?«

Der Hagere bewegte langsam den Kopf und warf einen kurzen Blick zurück auf seine beiden Begleiter, die mit nicht gerade sehr intelligenten Gesichtern wie Holzfiguren hinter ihm standen. Dann wandte er den Kopf wieder zum Bürgermeister. Langsam hob er die Rechte, blickte prüfend auf die nervigen langen Finger, auf die eckigen Nägel und ließ die Hand dann wieder sinken.

Es gab in diesem Augenblick keinen Menschen auf der Straße, der dem Mayor eine solche Behandlung gegönnt hätte.

Nicht einmal der Viehaufkäufer John Harris.

Wie eine Pappfigur stand der dickleibige Bürgermeister vor dem schwarzgekleideten, hageren Riesen.

Da löste sich Frank Ympy von seinem Platz an der Treppe und kam mit harten Schritten näher. Er blieb neben dem Mayor stehen. »Richter«, sagte er rauh, »Ihr Quartier ist drüben im Canadian-Hotel. Wir haben schon heute morgen auf Sie gewartet. Gehören diese beiden Männer zu Ihnen?«

Der Richter warf einen scharfen, forschenden Blick über Ympys Gesicht. Seine Augen blieben an dem silbernen Fünfzack auf der Weste des Hilfs-Marshals haften. Dann öffneten sich endlich seine Lippen. »Yeah – sie gehören zu mir.«

»Haben Sie noch weiteres Gepäck?« fragte der Deputy.

Der Richter schüttelte den Kopf. Dann setzte er sich in Bewegung und ging, von seinen beiden Begleitern und den fassungslosen Blicken der Umstehenden gefolgt, mit seltsam staksigen, hölzernen Schritten auf das leuchtendweiß gestrichene Hotel Canadian zu.

Als er hinter dem Eingang verschwunden war, wandten sich die Menschen betreten um und gingen wortlos auseinander.

Nur Ympy und der Mayor blieben mitten auf der Straße stehen.

Da war also der berühmte und gefürchtete Richter Lester Gordon!

Nach einer Minute wandte der Deputy den Kopf. »Nun, wie gefällt es Ihnen?«

Der Bürgermeister zog den massigen Kopf zwischen die Schultern. »Ein merkwürdiger Mensch.«

Ympy nickte. »Ich hatte ihn mir auch anders vorgestellt. Aber irgendwie paßt sein Äußeres zu seinem Ruf. Jetzt kann ich mir vorstellen, daß er so hartgesottene Burschen wie Lewton Kay, Sugar Herter, Eisen-Chester, den zähen Radzun und andere Halunken fertiggemacht hat.«

Der Mayor nickte nur.

*

In der Stadt gab es von dieser Minute an nur noch ein Gesprächsthema: Richter Gordon!

Überall in den Bars und Spielsaloons sprachen sie über den seltsamen Mann, der da am Mittag mit der Overland angekommen war, der aussah wie ein Mormonenprediger oder wie ein Gespenst, der aber mit seinem bloßen Auftauchen die Stille der Angst in die Stadt gebracht hatte.

Es gab eine Menge Leute, die beim Anblick des Richters nur ihre lärmende Stimme verloren zu haben schienen. Das gipsfarbene Gesicht Lester Gordons erinnerte manche zu sehr an Dinge, die sie in mehr als unliebsamer Erinnerung hatten. Zum Beispiel an Zuchthaus, an Streinbruch und dergleichen...

Yeah, er herrschte. Ohne eigentlich etwas zu sagen, herrschte er schon.

Alles in Dodges vornehmsten Hotel in der Ausbuchtung der Frontstreet am Marktplatz dienerte um den finsteren, unheimlichen Mann herum, suchte ihm die Wünsche von den Augen abzulesen und verbreitete dadurch eine stickige, gedrückte Atmosphäre in dem großen Steinhaus.

Mit ausdruckslosem Gesicht nahm Lester Gordon das Mittagessen ein.

Steif und aufrecht saß er am Tisch. Er hatte den Hut abgenommen, und jedermann konnte sein kurzgeschorenes, stoppeliges graublondes Haar sehen, das sein Aussehen nicht eben milderte.

Mit eckigen Bewegungen nahm er die Speisen an sich heran, kaufte wie ein Nußknacker, und wenn er einmal das Gesicht hob und seinen forschenden Blick durch den großen Speiseraum schickte, zogen die anderen Gäste und das Personal die Köpfe ein.

Von anderen Gästen konnte nur noch beim Dinner die Rede sein.

Beim Lunch speiste der Richter mit seinen Begleitern fast allein.

Nur ein Mann saß noch mitten in dem großen Raum an einem Tisch und verzehrte unbekümmert sein Mahl. Er scherte sich nicht um die drei finsteren Männer in den schwarzen Anzügen. Er aß, bestellte sich einen Whisky, rauchte eine Zigarette und erhob sich.

Auch am nächsten Mittag erschien er wieder als einziger Gast. Nur zögernd brachte ihm der Hoteleigner selbst das Essen an den Tisch.

Ohne daß ein Wort gesprochen wurde, spürte jeder im Hotel Canadian die Mißbilligung, mit der der Richter die Anwesenheit dieses hartnäckigen Speisegastes registrierte.

Aber der Mann blieb. Er kam regelmäßig fünf Minuten vor den Mahlzeiten, verzehrte schweigend sein Essen, trank jeweils seinen Whisky, rauchte dazu eine Zigarette und ging dann langsam hinaus, ohne den Richter eines Blickes zu würdigen.

Drei Tage hielt es so an.

Und in diesen drei Tagen hatte Lester Gordon noch nichts unternommen, um die Gerichtsverhandlung vorzubereiten.

Aber es gab niemanden in Dodge City, der ihn daran hätte erinnern wollen.

Ympy blickte jedesmal, wenn sich die Tür seines Büros öffnete, erwartungsvoll auf. Aber der Richter kam nicht.

Am Mittag des dritten Tages flog die Tür des Marshal-Office auf, und einer der beiden Begleiter des Richters stand in ihrem Rahmen. Er tippte kurz an den Hutrand und stemmte die schweren Fäuste in die Hüften.

»Ich bin Chuck Sitcheck«, sagte er schnarrend.

Chuck wies mit dem linken Daumen über die Schulter. »Der Boß schickt mich. Morgen früh geht’s rund.«

Der Deputy erhoch sich langsam. »Was geht rund?«

Chuck fuhr sich mit der Hand durch den Kragen und verzog dabei sein narbiges, wenig angenehmes Gesicht.

»Sie sollten in der City Hall alles vorbereiten. Um sechs Uhr fängt der Richter an.«

»Aber weshalb denn so früh? Da schlafen die Leute ja noch.«

»Sie werden schon noch wach werden«, versetzte der Mann feixend und machte kehrt.

Ympy nahm seinen Hut, setzte ihn auf und ging zum Mayor hinüber.

Auch das begriff er nicht. »Um sechs Uhr? Er muß wahnsinnig sein...«

Trotzdem wurde die Verhandlung vorbereitet. Und der frühe Beginn schien die Dodger nicht so sehr zu stören, wie Ympy und der Mayor geglaubt hatten.

Im Gegenteil, schon um fünf standen die Männer vor der City Hall.

Kurz vor sechs, als Ympy die Tore öffnete, strömten über hundertfünfzig Männer in die Halle. Damit war sie besetzt. Draußen auf der Straße sammelten sich immer mehr Leute an.

Punkt sechs verließ Lester Gordon das Hotel, stakste über die Straße und schritt mit starrem Gesicht und hocherhobenem Kopf durch die Gasse, die die Menschen für ihn bildeten.

Seine beiden Begleiter Chuck Sitchek und Steve Hormann folgten ihm wie ein Doppelschatten.

Das Stimmengewirr in der großen Stadthalle verstummte, als der Richter in der Tür erschien.

Er schritt sofort zu dem für ihn aufgestellten Tisch, nahm den Hut ab und setzte sich.

An jeder Seite neben seinem Sessel standen vier Stühle. Aber nur Sitcheck und Horman nahmen am Richtertisch Platz.

Ympy stand vor der kleinen Tür zu dem Raum, in dem der Mann eingesperrt war, der Jeff Howell erschossen hatte.

Es herrschte eine beklemmende Stille im Raum.

Der Richter legte ein schwarzes Buch vor sich auf den Tisch, nahm einen silbernen, dünnen Hammer aus der Tasche und behielt ihn in seiner knorrigen Rechten.