Yeager - Carolyn J. Cherryh - E-Book

Yeager E-Book

Carolyn J. Cherryh

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Beschreibung

Überleben um jeden Preis

Bet Yeager ist eine ausgebildete Space Marine, eine Expertin für Spezialeinsätze im Vakuum – doch das zuzugeben würde ihren Tod bedeuten, wenn nicht Schlimmeres. Sie wurde von ihrer Truppe getrennt und sitzt auf Thule fest, einer dem Verfall preisgegebenen Raumstation, die nur noch selten von interstellaren Schiffen angeflogen wird. Bet hofft, auf einem von ihnen anheuern zu können, um sich durch feindliche Linien, deren Verlauf niemand so genau kennt, zur Erde durchzuschlagen. Inzwischen muss sie jeden Tag um ihr Überleben kämpfen. Als eines Tages die Loki, ein umgebauter bewaffneter Frachter unbekannter Herkunft und mit einer seltsamen, bunt zusammengewürfelten Besatzung, an Thule andockt, sieht Bet ihre Chance gekommen. Sie fliegt mit – und muss feststellen, dass sie vom Regen in die Traufe geraten ist …

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C. J. CHERRYH

YEAGER

Roman

Das Buch

Bet Yeager ist eine ausgebildete Space Marine, eine Expertin für Spezialeinsätze im Vakuum – doch das zuzugeben würde ihren Tod bedeuten, wenn nicht Schlimmeres. Sie wurde von ihrer Truppe getrennt und sitzt auf Thule fest, einer dem Verfall preisgegebenen Raumstation, die nur noch selten von interstellaren Schiffen angeflogen wird. Bet hofft, auf einem von ihnen anheuern zu können, um sich durch feindliche Linien, deren Verlauf niemand so genau kennt, zur Erde durchzuschlagen. Inzwischen muss sie jeden Tag um ihr Überleben kämpfen. Als eines Tages die Loki, ein umgebauter bewaffneter Frachter unbekannter Herkunft und mit einer seltsamen, bunt zusammengewürfelten Besatzung, an Thule andockt, sieht Bet ihre Chance gekommen. Sie fliegt mit – und muss feststellen, dass sie vom Regen in die Traufe geraten ist …

Der Autor

Titel der Originalausgabe

RIMRUNNER

Aus dem Amerikanischen von Rosemarie Hundertmarck

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1989 by Caroline Janice Cherryh

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat

Satz: Thomas Menne

DIE NACHKRIEGSPERIODE

Aus: »Die Company-Kriege« von Judith Nye

2534: Universität der Cyteen Press,

Nowgorod, U.T.

Amt für Information, Lit.Verz.

# 9795 89 8759

Im Jahr 2353, als die Flotte der Earth Company unter dem Kommando Conrad Mazians von Pell floh, herrschte bei der Union wie auch bei der Allianz die Furcht vor, Mazian werde sich zur Erde zurückziehen und sich ihre großen Menschen- und Materialreserven zunutze machen. Deshalb gingen die strategischen Überlegungen sofort dahin, der Flotte diesen Zufluchtsort zu verschließen.

Schnell wurde offenbar: Die Großfirmen der Sol-Station, die die Flotte gebaut hatten, würden Mazian in seinem Bestreben, den Krieg in das Sol-System zu tragen, nicht unterstützen, und da die Kriegsschiffe der Union eintrafen, bevor die Mazianni auch nur Reparaturen hatten vornehmen lassen können, wurde Mazian zu einem zweiten Rückzug gezwungen.

Allianz-Schiffe, die dicht hinter der Union-Flotte ins Sol-System eintraten, nahmen sofort Verhandlungen auf, um die Erde in die Allianz einzubeziehen. Union-Schiffe, die aus der Schlacht zurückkehrten, boten ähnliche Bedingungen an. Die Regierungen der Erde sahen in dieser Rivalität eine Situation, die es ihnen ermöglichte, vor keiner von beiden Seiten zu kapitulieren. Nun mag zwar einerseits die uneinheitliche Politik der Erde zu den Company-Kriegen geführt haben, doch war es andererseits die lange terranische Erfahrung in der Diplomatie, die einen vernünftigen Friedensvertrag ermöglichte und das Überleben der Allianz sicherte.

Tatsächlich kann behauptet werden, dass die Allianz ohne die Unabhängigkeit der Erde keinen Bestand als politische Einheit gehabt hätte, und ohne die Allianz wäre die Erde niemals unabhängig geblieben. Die Allianz, die damals nur aus dem einen Sternsystem Pell bestand, erhob sofort Anspruch auf die aufgegebenen Hinder-Sterne – eine Brücke dicht beieinanderliegender Massepunkte, die Pell mit der Erde verbanden und wirtschaftliches Wachstum für die neugeborene Allianz versprachen.

Die Union, die mit intakter Industrie durch den Krieg gekommen war, beanspruchte die vom Krieg verwüsteten näher gelegenen Sternenstationen Mariner und Pan-paris, einfach weil sie die einzige Regierung war, die die riesigen Kosten des Wiederaufbaus tragen konnte. Außerdem bot sie bestimmten Flüchtlingen, die von diesen Stationen nach Pell evakuiert worden waren, Repatriierung, kostenlosen Transport und einen vollen Stationsanteil an. Es handelte sich vor allem um Personen, die technische Kenntnisse nachweisen konnten und sich nicht an dem kriminellen Profitmachen beteiligt hatten, das in Pells Quarantäne-Zone eingerissen war. Dieses Programm der Repatriierung, das Werk von Präsident Bogdanowitsch und Verteidigungsrat Azow, zog eine große Zahl qualifizierter Flüchtlinge in die Union zurück, und dazu ging die Rechnung auf, dass für die Allianz der lästige Personenkreis zurückblieb, der für die Union unerwünscht war.

Außerdem war die Pell-Station nicht in der Lage, eine solche Zahl von Ungelernten und Mittellosen einzugliedern.

Dieses Problem versuchte die Allianz zu lösen, indem sie auf ähnliche Weise Stationsanteile und freie Beförderung zu den sieben eingemotteten Stationen in den Hinder-Sternen anbot, auf die sie Anspruch erhoben hatte.

Die Verbündeten hatten gehofft, sie hätten der Company-Flotte jede Möglichkeit einer Rückkehr aus dem tiefen Raum genommen und sie habe sich in der Zwischenzeit erschöpft. Aber Mazian war offenbar aus dem Sol-System zu einer geheimen Nachschubbasis geflohen – an genau welchem Massepunkt, ist immer noch ein Rätsel. Die Mazianni tauchten plötzlich wieder im Sol-System auf, doch dank der alliierten Streitkräfte, die dort Wache hielten, wurden sie ein zweites Mal verjagt.

Nach diesem Scharmützel ging die Strategie der Union dahin, die Mazianni ihres Nachschubs zu berauben, indem sie sie auf der anderen Seite von Sol in den tiefen Raum trieben. Die Union vertrat die Ansicht, wenn die Hinder-Sterne neu eröffnet und der Handel mit der Erde wiederaufgenommen werde, schaffe das eine potentielle Versorgungslinie für Mazian, der seine Schiffe während der letzten Phasen des Krieges regelmäßig durch Überfälle auf Handelsschiffe versorgt hatte. Die neugeborene Allianz, die auf der Habenseite nur die Hinder-Sterne und deren Nachbarschaft zur Erde aufzuweisen hatte, entschloss sich jedoch, das Risiko ungeachtet des Protestes der Union einzugehen.

Es war eine seltsam zusammengesetzte Gruppe von Freiwilligen, die auszogen, diese verlassenen Stationen wieder in Betrieb zu nehmen, Abenteurer, Überlebende der von Aufruhr geplagten Quarantäne-Zone Pells und bestimmt auch ein paar, die von einem neuen Great-Circle-Handel träumten …

Die Allianz bewog kleine, unrentable Frachter, diese gefährlichen Routen zu wählen, eine Gelegenheit, die diesen Schiffen bei einem aufblühenden Nachkriegshandel die Aussicht bot zu überleben. Aber sie rechnete nicht mit der Entdeckung eines Massepunktes bei Bryants Stern, der vier der kürzlich neueröffneten Stationen umging, und vor allem rechnete sie nicht mit der Konkurrenz der von der Union gebauten Superfrachter wie Dublin Again, die bald abseits der Langsprung-Routen der Union auftraten – Schiffe, die via dem winzigen Gaia Point, bis dahin für jeden Frachter unerreichbar, die Hinder-Sterne ganz umgehen konnten …

1. Kapitel

Jeden Tag kam sie in das Stellenvermittlungsbüro, und Don Ely fing an, sie zu beobachten: Eine große, dünne Frau, unauffällig unter den anderen, die einen Job suchten, auf Thule gestrandeten Männern und Frauen. Sie waren am Ende und hofften auf einen neuen Anfang, irgendwo, in einer anderen Station oder an Bord eines Schiffes, das in dieser Zeit des zweiten Niedergangs von Thule andockte und Handel trieb.

Ihr Jumpsuit, einst entschieden blau, war fadenscheinig, in letzter Zeit nicht mehr glatt, aber immer noch sauber. Ihr helles Haar war hinten und an den Seiten kurz geschnitten, oben auf dem Kopf saß ein wirrer Schopf, der vor frisch gewaschener Statik knisterte. Jeden Tag kam sie in das Stellenvermittlungsbüro und unterschrieb das Bewerbungsformular: Elizabeth Yeager, Raumfahrerin, Maschinistin, Zeitkraft, und setzte sich mit gefalteten Händen an einen Tisch hinten. Meistens saß sie für sich, ließ sich auf kein Gespräch ein und sah durch jeden Unentwegten, der ihre Gesellschaft suchte, hindurch. Regelmäßig um 17.00 Haupttag schloss das Büro, und sie ging. Wenn es am nächsten Haupttag um 08.00 öffnete, war sie wieder da.

Tag für Tag. Sie ging zu Vorstellungsgesprächen, und manchmal nahm sie eine Zeitarbeit an und ließ sich für einen oder zwei Tage nicht sehen, aber sie kam immer zurück, so regelmäßig wie Thules Bahn um seinen trüben, an Handelsverkehr armen Stern, sie setzte sich, und sie wartete mit ausdruckslosem Gesicht. Die übrigen Klienten kamen und verschwanden mit den seltenen Schiffen, die hier anlegten, teils als zahlende Passagiere, teils, indem sie sich die Fahrt verdienten. Nicht Elizabeth Yeager.

Der Jumpsuit – es war anscheinend jeden Tag derselbe – verlor seinen Glanz und schlotterte um ihren Körper, und sie ging langsamer als anfangs, immer noch aufrecht, aber in letzter Zeit mit geschwächten Schritten. Sie setzte sich auf den Platz und an den Tisch, wo sie immer gesessen hatte, und in diesen letzten paar Tagen hatte Don Ely begonnen, sie zu beobachten. Er hatte tatsächlich zusammengerechnet, wie lange sie zwischen ihren Zeitarbeiten und Aushilfsbeschäftigungen schon herkam.

Eines Hauptabends sah er sie gehen, er sah sie am nächsten Morgen hereinkommen und unterschreiben, eine von siebenundvierzig Bewerbern. Es war Wochenende, und es war diese Woche nichts im Dock, wenig Handel auf den Dockanlagen und nichts in Thules sterbender Ökonomie, das auch nur eine Zeitbeschäftigung geboten hätte. In diesen letzten Monaten war ganz Thule von ständiger Verzweiflung, schwindenden Hoffnungen und dem Warten auf die lange Nacht erfüllt, länger als die erste, als die Entwicklung der Schneller-als-Licht-Technologie die Station schon einmal geschlossen hatte. Jetzt wurde von einer neuen Schließung geredet, vielleicht würde die Thule-Station auf eine sonnenwärts gerichtete Bahn geschickt, damit sogar ihr Metall verdampfte, weil es unwirtschaftlich sei, es zu bergen, und weil man Thule nur noch wünschen konnte, ihr werde eine dritte Wiedergeburt als Mazianni-Basis erspart bleiben.

Nichts im Hafen, keine Jobs in der Station, ausgenommen das Minimum an Wartungsarbeiten, das die Station zugestand.

Und er sah die Frau zu ihrem gewohnten Tisch gehen, ihren gewohnten Platz einnehmen, einen Blick auf den Nachrichten-Monitor, die Uhr und die Theke werfen.

Er ging zu dem leeren Arbeitsplatz hinter der Theke, setzte sich und holte die Akte auf den Schirm: Yeager, Elizabeth A., Maschinistin, Frachter. 20 Dienstjahre.

Weiter?, fragte der Computer. Ely bestätigte.

Geboren als Tochter einer Fremdarbeiterin auf dem Frachter Candide, Staatsangehörigkeit Allianz, Alter 37, Ausbildung Level 10, keine Angehörigen, frühere Tätigkeiten: verschiedene Schiffe, Wartungsarbeiten auf interplanetaren Schiffen, Pell.

Die Liste der Beschäftigungen floss über seinen Schreibtisch, und dabei erinnerte er sich an andere Bewerber in der gleichen Kategorie. Sie arbeiteten entweder auf Thule an den interplanetaren Schiffen – Thules paar Boote in Betrieb zu halten, erforderte konstante Wartung – und häuften einen beachtlichen Kontostand an, oder sie waren nach Pell oder weiter nach Venture hinausgezogen. Yeager jedoch bekam Dreckarbeiten, sprang bei dieser oder jener unqualifizierten Tätigkeit ein, wenn jemand krank wurde. Offenbar wartete sie die ganze Zeit, dass sich etwas ergab. Und es hatte sich in letzter Zeit nichts ergeben.

Ely sah sie bis zum Nachmittag dasitzen, als das Büro schloss, sah sie aufstehen und übertrieben gerade zur Tür gehen. Betrunken, hätte er gedacht, wenn er nicht gewusst hätte, dass sie sich den ganzen Tag nicht vom Stuhl gerührt hatte. Es war diese Art steifrückigen Stolperns. Vielleicht stand sie unter Drogen. Aber er hatte noch nie bemerkt, dass sie high wirkte.

Er beugte sich über die Theke. »Yeager«, sagte er.

Sie blieb im Eingang stehen und drehte sich um. Vor den Scheinwerfern der Docks draußen war ihr Gesicht hohl, müde, älter als die siebenunddreißig Jahre, die in der Akte standen.

»Yeager, ich möchte mit Ihnen reden.«

Sie kam zurück, weniger stolpernd, aber mit dieser Art von leerem Blick, der sagte, sie erwarte nichts anderes als Ärger. Aus der Nähe, über die Theke weg gesehen, hatte sie Narben – zwei, sternförmig, über dem linken Auge, eine lange auf der rechten Seite, eine am Kinn. Und die Augen …

Ely wusste, wie eine Frau aussieht, die Schwierigkeiten hat, und jetzt hatte er sich die Schwierigkeiten aufgehalst. Augen wie Wunden. Augen ohne Vertrauen, ohne jede Hoffnung. »Ich möchte mit Ihnen reden«, wiederholte er. Sie musterte ihn zweimal von oben bis unten und nickte lustlos, und er führte sie nach hinten durch den Flur mit den Glaswänden in sein Büro. Er schaltete das Licht wieder an.

Vielleicht machte sie sich Gedanken um ihre Sicherheit. Ganz bestimmt machte er sich Gedanken um die seine, um seine Karriere, die er gefährdete, wenn er die Frau nach der Dienstzeit mit nach hinten nahm. Er stellte den Com auf seinem Schreibtisch an, winkte Yeager zu einem Sessel und nahm selbst hinter dem Bollwerk seines Schreibtischs Platz. Er hoffte, seine Kollegin sei noch nicht zur Eingangstür hinaus. »Nan, Nan, bist du noch da?«

»Ja.«

Das war eine Erleichterung. »Ich brauche zwei Becher Coca, Nan, mit viel Zucker. Dafür hast du bei mir einen Gefallen gut. Macht es dir etwas aus?«

Pause. »In beiden?«

Er trank seine Coca immer ungesüßt. »Ja. Hast du ein paar Waffeln, Nan?«

Wieder eine Pause. Ein trockenes: »Will nachsehen.«

»Danke.« Ely lehnte sich in seinem Sessel zurück, betrachtete Yeagers finsteres Gesicht. »Woher stammen Sie?«

»Geht es um einen Job?«

Heiser. Sie roch stark nach Seife, nach der desinfizierenden Seife in öffentlichen Toiletten, und er brauchte eine Weile, bis er den Geruch untergebracht hatte. Unter der Deckenbeleuchtung fielen ihre hohlen Wangen und der Schweiß auf, der ungesund auf ihrer Oberlippe glitzerte.

»Was war Ihre letzte Heuer?«, fragte er.

»Maschinistin. Auf dem Frachter Ernestine.«

»Warum sind Sie von Bord gegangen?«

»Ich hatte meine Überfahrt abgearbeitet. Schwere Zeiten. Sie konnten mich nicht behalten.«

»Sie haben Sie entlassen?« Es war verdammt hart, wenn eine Schiffsfamilie eine Fremdarbeiterin ausgerechnet auf Thule hinauswarf, es sei denn, sie hatte es auch verdient, weil sie dieses oder jenes angestellt hatte.

Yeager zuckte die Achseln. »Wirtschaftliche Gründe, nehme ich an.«

»Nach was suchen Sie?«

»Frachter, wenn ich einen bekommen kann. Interplanetares Schiff geht in Ordnung.«

Ein bisschen Hoffnung belebte ihr Gesicht. Ely fühlte sich schuldig, weil er die Verantwortung für diese Illusion trug. »Sie sind schon lange Zeit hier.« Um es schnell und geradeheraus hinter sich zu bringen, setzte er hinzu: »Ich habe nichts für Sie. Es gibt jedoch Arbeit in der Station. Sie wissen doch, dass Sie solche Arbeit bekommen können. Damit könnten Sie sich das Notwendigste verdienen, Unterkunft, Essen, Sie bekämen automatisch eine Bescheinigung, dass Sie keine Schulden zurücklassen, wenn Sie wieder auf einem Schiff anheuern. Hier ist es ziemlich leer. Das Essen ist scheußlich, aber als Unterkunft könnten Sie sich in der ganzen Station aussuchen, was Sie wollen. Eine Maschinistin könnte ganz bestimmt mehr als das bekommen, wenn sie gut ist.«

Yeager schüttelte ablehnend den Kopf.

»Warum wollen Sie nicht?«

»Raumschiff«, antwortete sie.

Ely konnte es nicht so ganz verstehen. Er hatte es schon hundertmal gehört – die Leute, die lieber verhungerten als sich auf einer Station niederließen, einen Job annahmen, Verpflegung fassten. Sie verfielen Drogen oder begingen gleich Selbstmord, statt dass sie ihren Platz oben auf der Heuerliste des Büros verloren, weil die Reihenfolge bestimmte, wer als erster zu einem Vorstellungsgespräch gehen durfte.

»Papiere?«, fragte Ely, denn in der Akte waren keine gewesen, vermutlich eine Computer-Panne, nichts Ungewöhnliches bei Thules häufig defekten Systemen.

Yeager berührte ihre Tasche, ohne Anstalten zu treffen, ihm den Inhalt zu zeigen.

»Lassen Sie sehen«, sagte Ely.

Sie holte einen Aktendeckel heraus, hielt ihn Ely hin. Ihre Hand zitterte wie die einer alten Frau.

»Mein Name ist Don Ely«, sagte er im Gesprächston, da ihm einfiel, dass er sich noch nicht vorgestellt hatte. Er öffnete die Mappe. Sie enthielt nicht die Dokumente, die er erwartet hatte, sondern nur einen Brief.

An jeden Kapitän, lautete er.

Hiermit bescheinigen wir den guten Charakter und die ausgezeichnete Leistung von Bet Yeager, die in den Jahren 55 und 56 bei uns an Bord war und die Fahrt mit ehrlicher Arbeit bei der Wache in der Kombüse und mit kleinen technischen Aufgaben bei der Instandhaltung bezahlte. Sie bewies darin viele Kenntnisse, die sie sich unter Aufsicht erfahrener Raumfahrer angeeignet hat und die sie mit Eifer und Sorgfalt anwendete. Sie verlässt dieses Schiff zu meinem und der ganzen Familie Bedauern. Sie hat ihre Überfahrt verdient und bei ihrem Ausscheiden ein Guthaben im Computer.

Bet Yeager kam ohne Papiere unter Notfall-Bedingungen an Bord und diese Schiffsfamilie bezeugt, dass wir sie als Elizabeth Yeager kennen, deren Daumenabdruck und Beschreibung angeheftet sind, und die ehrenhaft auf diesem Schiff gedient hat. Kraft meiner Vollmacht nimmt dieses die Stelle der verlorenen Personalpapiere ein und bestätigt sie gemäß der Pell-Konvention Artikel 10 als diese Person Elizabeth Yeager.

Unterschrieben und beschworen von:

T. M. Kato, Senior-Kapitän, AM Ernestine, Basis neuerdings Pell.

E. Kato, Schichttag-Kapitän.

O. Jennet Kato, Chefingenieur, Interstellar-Pilot.

Y. Kato, Zahlmeister.

G. B. Kato, Supercargo, IS-Pilot.

R. Kato; W. Kato; E. M. Tabriz;

K. Kato …

Ely warf einen Blick auf die Rückseite. Die Unterschriften setzten sich fort. Das Papier begann, in den Kniffen zu brechen. Die Mappe enthielt kein anderes Blatt, nichts Offizielles außer dem geprägten Siegel der Ernestine und dem Datum.

»Das ist alles?«, fragte er.

»Der Krieg«, antwortete sie tonlos und schnell.

»Flüchtling?«

»Ja, Sir.«

»Von wo?«

»Ernestine«, sagte sie. »Sir.«

Abgeblitzt. Gehen Sie zur Hölle, Sir.

Durch die Glaswand sah er Nan mit einem Tablett kommen. Sie fing diskret seinen Blick ein, erhielt sein Nicken und betrat das Büro.

Yeager nahm den Becher, den Nan ihr anbot. Ihre Hand zitterte. Sie ignorierte die Waffeln und stellte den Becher unberührt auf den Tisch neben sich.

»Stelle es dahin«, sagte Ely zu Nan und zeigte auf denselben Tisch. Er meinte das Tablett mit den Waffeln. Er trank einen Schluck von dem süßen Zeug aus seinem Becher, während Nan alles Übrige bei Yeager ließ. »Nehmen Sie eine Waffel«, forderte er Yeager auf.

Yeager nahm eine, ergriff den Becher und trank.

Zum Teufel mit Ihnen, sagte der Blick immer noch. Ich nenne es Gastfreundlichkeit; Sie täten gut daran, es nicht für Wohltätigkeit zu halten.

»Danke«, sagte Ely zu Nan. »Geh bitte noch nicht.«

Nan musterte ihn, zählte zwei und zwei zusammen und ging, erfüllt von irritierter, besorgter Geduld. Nan hatte ihre eigenen Probleme, wahrscheinlich wurde das Essen im Herd kalt, wenn sich dies in die Länge zog, vielleicht hatte sie eine Verabredung einzuhalten. Ely war ihr dafür etwas schuldig, und Nan hielt ihn offensichtlich für einen Trottel. Als Veteranin des Stellenvermittlungsbüros auf Pell hatte Nan wahrscheinlich Hunderte von Yeagers gesehen, während er in einsamer Glorie in Mariners Reederei gesessen hatte. Ganz bestimmt hatten sie in diesem Büro mit merkwürdigen Typen zu tun. Alle hatten Schwierigkeiten. Einige von ihnen machten Schwierigkeiten.

Er legte Yeagers Brief vor sich auf den Schreibtisch. Ihr Blick folgte seiner Bewegung – die erste Spur von Nervosität, jetzt, da Nan fort war –, hob sich wieder und traf auf den seinen. »Wie lange«, fragte Ely, »sind Sie schon hier?«

»Ein Jahr. Ungefähr.«

»Wie viele Jobs?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht zwei, drei.«

»In letzter Zeit?«

Ein Kopfschütteln.

»Vielleicht kann ich etwas für Sie finden.«

»Was?«, fragte sie, sofort misstrauisch.

»Hören Sie, Yeager«, sagte er, »reden wir offen miteinander. Ich sehe Sie hier seit – langer Zeit. Das da …« – er schnippte mit dem Finger nach dem Brief von der Ernestine – »behauptet, Sie wüssten, wie man arbeitet. Zeigen Sie diese Bescheinigung bei Vorstellungsgesprächen?«

Ein Nicken. Ausdruckslos.

»Aber Sie nehmen keine Stationsarbeit an.«

Ein Kopfschütteln.

»Hier steht nichts von einem Abschlusszeugnis. Oder einem Dienstgrad.«

»Der Krieg«, sagte sie. »Alles verloren.«

»Was für Schiffe?«

»Frachter.«

»Wo?«

»Mariner. Pan-paris.«

»Name.« Mariner war sein Heimatterritorium. Er kannte die dortigen Namen.

»Ich habe auf vielen Schiffen gearbeitet. Die Flotte kam durch, jagte uns zum Teufel. Ich war in der Station.« Sie verriet keine Empfindung, sie machte nur einen Bericht, sachlich, mit heiserer Stimme, die ihm an den Nerven zerrte. Für einen Augenblick wurde alles zu lebendig, stürmten zu viele Erinnerungen auf ihn ein: die Flüchtlingsschiffe, der Gestank und das Sterben.

»Mit welchem Schiff wurden Sie transportiert?«

»Mit der Sita.«

Das war ein richtiger Name.

»Keine Akten, keine Papiere der Stellenvermittlung.« Yeager stellte den Becher hin, an dem sie kaum genippt hatte, und steckte die Waffel in die Tasche. »Sie wurden mir gestohlen. Wie alles andere auch. Trotzdem vielen Dank.« Sie stand auf.

»Warten Sie. Setzen Sie sich wieder. Hören Sie mir zu, Yeager.«

Sie stand da und blickte auf ihn herab. Leichter Schweiß glitzerte auf ihrem Gesicht vor dem Dunkel draußen und der einsamen Schreibtischlampe in der nächsten Glaszelle, die Nans Büro war.

»Ich war dort«, sagte er. »Ich war auf der Pearl. Ich weiß, wovon Sie reden. Ich war in Q, genau wie Sie. Wo wohnen Sie? Von was leben Sie? Woher bekommen Sie Geld?«

»Ich komme zurecht, Sir.«

Ely holte tief Atem, griff nach dem Brief, reichte ihn ihr, und sie nahm ihn mit zitternder Hand. »Es geht mich also nichts an. Sie nehmen also keine Almosen. Ich sehe Sie Tag für Tag herkommen. Sie warten schon lange, Yeager.«

»Ja«, bestätigte sie. »Aber ich nehme keine Arbeit in einer Station an.«

»Lieber verhungern Sie. Hat man Ihnen andere Jobs angeboten?«

»Nein, Sir.«

»Sie lehnen sie ab?«

»Nein, Sir.«

Das hätte in der Akte gestanden. Es war ungesetzlich, eine Arbeit abzulehnen, wenn der Bewerber mittellos war.

»Also führen bei Ihnen die Vorstellungsgespräche zu nichts. Keines. Warum?«

»Ich weiß es nicht, Sir. Ich bin wohl nicht das, was die Leute suchen.«

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Yeager. Sie tun ein paar Wochen lang die Dreckarbeit in diesem Büro, Sie kehren den Boden und sortieren den Abfall. Wollen Sie das für einen Cred pro Tag tun?«

»Ich bleibe auf der Liste?«

»Sie bleiben auf der Liste.«

Eine Weile stand sie bloß da. Dann nickte sie. »Bar«, verlangte sie.

Anders ging es gar nicht. Ely nickte. Sie sagte: »In Ordnung«, und sie war seine Verantwortung, ein nicht leicht zu lösendes Problem, und seine Frau würde ihn ansehen und ihn fragen, was, zum Teufel, er sich dabei denke, wenn er einer Fremden sieben Creds die Woche gab. Ein Posten im Stellenvermittlungsbüro auf Thule war keine Luxuskoje, und wenn Abschnitt Blau es nachprüfte, hatte er keine Erklärung. Wahrscheinlich verletzte er Vorschriften. Drei oder vier fielen ihm auf der Stelle ein.

Zum Beispiel Beschäftigung von Schwarzarbeitern in einem Stationsbüro.

Zum Beispiel Unterlassung der Meldung bei der Sicherheit, dass es sich hier wahrscheinlich um eine illegale Verbraucherin handele. Es war absolut ausgeschlossen, dass Bet Yeager sich ein Zimmer leisten konnte. Es stand absolut fest, dass sie die Einrichtungen der Station in Anspruch nahm und nichts dafür zahlte.

Tag für Tag in der Stellenvermittlung. Mit dem Geruch der Seife aus öffentlichen Toiletten.

Er fischte in seiner Tasche herum. Was herauskam, war ein Zwanzig-Creds-Schein. Kleineres Geld fand er nicht. Er hielt ihr den Schein hin, wenn auch bedauernd.

»Nein, Sir«, lehnte Yeager ab. »Ich kann jetzt noch nicht sagen, wo ich in zwanzig Tagen sein werde. Es ist ein Schiff fällig.«

»Geben Sie es mir zurück, wenn Sie eine Heuer haben. Dann haben Sie das Geld.«

»Ich mag keine Schulden, Sir.«

»Von Prinzipien werden Sie nicht satt, Yeager. Wenn Sie nicht essen, können Sie nicht arbeiten.«

»Nein, Sir. Aber ich komme zurecht. Mit Verlaub, Sir.«

»Seien Sie nicht …«, so verdammt dumm, wollte er sagen. Wahrscheinlich würde sie dann gehen. Er sagte: »Ich möchte, dass Sie morgen früh hier sind. Mit vollem Magen. Nehmen Sie das Geld. Bitte.«

»Nein, Sir.« Ihre Unterlippe zitterte. Sie sah das Geld, das er ihr hinhielt, nicht einmal an. »Keine Wohltätigkeit.« Sie berührte die Tasche, in der sie die Mappe mit dem Brief hatte. »Ich habe, was ich brauche. Danke. Bis morgen.«

»Morgen«, wiederholte er.

Sie nickte knapp, drehte sich um und ging.

Militär, dachte er, seine Eindrücke zusammenfassend. Und dann wurde er nervös, denn in dem Brief stand nichts dergleichen. Sehr wenige Frachter waren dermaßen peinlich sauber, und Militär bedeutete Stationsmiliz oder, was ebenso gut sein konnte, Flotte oder Union, wenn Yeagers Dienstzeit mehr als ein paar Jahre zurücklag.

Das machte ihm Angst – denn große, bewaffnete Handelsschiffe waren selten, und wo die Norwegen, das einzige richtige Schlachtschiff im Besitz der Allianz, zu irgendeinem gegebenen Zeitpunkt war, wusste Gott allein, und wo die Flotte der Earth Company war, wusste auch Gott allein, und bei jedem nicht identifizierten Blip, der sich in der Station auf den Schirmen der Fernerfassung zeigte, zitterte ganz Thule.

Ruf die Sicherheit an, hallte es in Elys Schädel wider. Eine Überprüfung war noch keine Festnahme. Die Sicherheitsleute konnten Yeagers Werdegang nachgehen, herumfragen, feststellen, ob sich unter den dreitausend Seelen auf Thule jemand befand, der sich an Bet Yeager auf der Sita oder in Pells berüchtigter Q-Zone erinnerte.

Doch natürlich würden die Sicherheitsleute sie festnehmen, wenn sie ihnen mit dieser Das-geht-Sie-nichts-an-Haltung kam. Thules sehr nervöse Sicherheit würde sie einbuchten und verhören … nun ja, und ihr zu essen geben … aber man würde ihr immerfort unbeantwortbare Fragen stellen wie: Wo wohnen Sie? und: Wovon leben Sie? Und vielleicht war Bet Yeager das, was sie zu sein behauptete, und hatte in ihrem Leben kein anderes Verbrechen begangen, als auf Thules Docks zu hungern, aber wenn sie auf die Fragen über ihre Finanzen die falschen Antworten bekamen, würden sie Bet Yeager auf die Liste der Stationsbewohner setzen und sie mit dem, was sie schuldig war, belasten, und damit hätten sie Bet Yeager zur Verbrecherin gemacht.

Eine Raumfahrerin würde in einer kleinen Zelle im Abschnitt Weiß eingesperrt werden. Eine Raumfahrerin, die bereit war, alles zu erdulden, um nur in der Nähe der Docks zu bleiben und sich die Chance auf eine Heuer zu erhalten, würde damit enden, dass sie für eine sterbende Station arbeitete, bis man die Lichter abschaltete.

Das alles konnte seine Rückfrage Bet Yeager antun.

Ely ging in das vordere Büro, stellte sich hinter die Theke, sah Yeager die Eingangstür öffnen.

Er hatte keine Ahnung, wo Yeager die Hauptnacht verbrachte. Vielleicht verkroch sie sich in irgendeiner kalten Ecke der Docks, ebenso wie in den früheren Nächten. Warten Sie!, hätte er jetzt noch rufen können. Er konnte sie mit nach Hause nehmen, ihr ein Abendessen geben, sie im Vorderzimmer schlafen lassen. Aber er dachte an seine Frau, er dachte an ihre eigene Sicherheit und an die Möglichkeit, dass Bet Yeager mehr als ein bisschen verrückt war.

Der Ruf kam ihm nicht über die Lippen, und Yeager ging aus der Tür, hinaus in das helle Licht und die tiefen Schatten der Dockanlagen.

»Hu«, sagte er und kehrte aus seinen Gedanken zurück ins Büro, zurück zu Nan, die an ihrem Schreibtisch stand und ihn ansah.

Er deutete mit einer Kopfbewegung zur Tür hin. »Kennst du die?«

»Sie ist jeden Tag hier«, antwortete Nan.

»Weißt du etwas über sie?«

Nan schüttelte den Kopf. Sie schalteten die letzten Lichter aus, gingen zur Tür. Die Tür schloss sich hinter ihnen, und sie gingen zusammen die Dockanlagen hinunter, unter dem kalten, erbarmungslosen Gleißen des Flutlichts oben, in der Kälte und in den Gerüchen nach kalten Maschinen und schalem Alkohol.

»Ich habe ihr einmal einen Fünfer angeboten«, erzählte Nan. »Sie wollte ihn nicht nehmen. Glaubst du, dass sie richtig im Kopf ist? Meinst du, wir sollten – vielleicht – die Sicherheit benachrichtigen? Diese Frau ist in Schwierigkeiten.«

»Ist es verrückt, hier wegzuwollen?«

»Es ist verrückt, es immer weiter zu versuchen«, sagte Nan. »Sie brauchte nur abzuwarten. Noch ein Jahr, dann wird hier zugemacht, man packt uns zusammen und bringt uns irgendwohin. Dort könnte sie ebenso gut eine Heuer finden wie hier. Es würde leichter sein als hier.«

»Solange lebt sie nicht mehr«, gab Ely zu bedenken. »Nur kann man ihr das nicht sagen.«

»Ich mag es nicht, dass sie ständig bei uns herumsitzt«, murmelte Nan.

Ely wünschte, er könnte etwas tun. Er wünschte, sich im Klaren zu sein, ob sie die Sicherheit benachrichtigen sollten.

Aber die Frau hatte nichts getan außer zu hungern. Er hatte ein Jahr an dem Stellenvermittlungsprogramm mitgearbeitet, hatte geholfen, ein System aufzustellen, das human sein sollte, das den Bewerbern, die am längsten auf der Liste standen, den Vorrang gab und sie als erste zu Vorstellungsgesprächen schickte. Doch es endete damit, dass Fälle wie Bet Yeager ermutigt wurden, es endete mit Verbissenheit, die Leute erduldeten alles, bloß um ihren Platz auf der Liste zu behalten und keinen anderen vorzulassen. Woher sollte im Augenblick wohl ein Raumfahrer kommen, der Yeager ihren Platz streitig machen könnte, es sei denn, von der erwarteten Mary Gold? Nur sage einer das Yeager! Und dabei war sie bis auf die kleinen Zeitjobs heruntergekommen, die es ihr ermöglichten, noch ein Weilchen durchzuhalten, und jetzt gab es auch die nicht mehr. Noch ein paar Tage, und es bedeutete, dass die Station sie auf die Liste der Mittellosen setzte: Die Justizverwaltung der Station berechnete illegalen Verbrauchern für jeden Tag, an dem sie keine Zahlungsfähigkeit nachweisen konnten, zehn Creds. In Bet Yeagers Fall war das Geld wahrscheinlich schon vor einem Jahr zu Ende gegangen. Und sie hatte es so verdammt lange versucht.

Nächste Woche, hatte sie gesagt. Vielleicht nächste Woche. Es wurde ein Schiff erwartet.

Aber keins der anderen Schiffe hatte sie genommen.

2. Kapitel

Bet ging vorsichtig. Sie hatte einen Zufluchtsort in Sicht, die Damen-Toilette auf Dock Grün, eine schrankähnliche Einrichtung, nachträglich installiert, wie das ganze Dock nachträglich installiert worden war, die Bars und die Hotels, die billigen Restaurants. Die Station war für die alten Unterlicht-Schiffe gebaut worden und versuchte später, in ihrer zweiten Jugend, den Schneller-als-Licht-Schiffen und ihren völlig anderen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Und da war diese Toilette. Sie war mit Graffiti vollgeschmiert, und sie stank, und es war nur eine matte Lampe im Vorraum und eine nicht hellere drinnen. Sie hatte vier Kabinen und zwei Waschbecken, und in der frühen Blütezeit der Station hatten Raumfahrerinnen Schiffsnamen und Grüße für später eintreffende Schiffe eingekratzt:

Meg Gomez von der Polaris, hieß es zum Beispiel. Hallo, Golden Hind.

Legendäre Schiffe. Schiffe aus der Zeit, als Stationen sich glücklich schätzen konnten, wenn alle zwei Jahre oder so ein Schiff anlegte. Die Wartungsabteilung hatte einiges davon übermalt.

Verdammte Dummköpfe.

Es war Heimat, dieses kleine Loch, ein sicherer Ort. Bet fand den schäbigen Raum wie üblich verlassen vor. Sie wusch sich das Gesicht und trank von dem tröpfelnden kalten Wasser, das das bessere der beiden Waschbecken lieferte.

Ihre Beine ließen sie im Stich. Sie hielt sich an dem Becken fest, taumelte und sank an der Wand daneben zu Boden. Der Raum drehte sich um sie, und sie fürchtete einen Augenblick lang, das Bewusstsein zu verlieren.

Sie war Essen nicht mehr gewöhnt. Die Coca hatte sie des Zuckers wegen gewollt, aber das bisschen, das sie getrunken hatte, hätte sie beinahe gleich in Elys Büro wieder von sich gegeben, und jetzt drohte die halbe Waffel hochzukommen. Ihre Augen tränten, und sie versuchte mit gleichmäßigem Atmen und wiederholtem Schlucken, ihren Magen zu bändigen.

Schließlich konnte sie ein Stückchen Waffel aus der Tasche nehmen und daran knabbern, nicht, weil es gut schmeckte, es schmeckte jetzt nichts mehr gut, und sie fürchtete sich zu essen, weil ihr von dem letzten Bissen schlecht geworden war und sie es sich nicht leisten konnte, das bisschen Nahrung zu verlieren, das sie im Magen hatte. Aber sie versuchte es, immer nur eine Krume, wartete, bis sie sich auf der Zunge aufgelöst hatte, und schluckte sie trotz der widerlichen Süßigkeit hinunter.

Das hast du mal wieder sehr schlau angefangen, Bet.

Diesmal sitzt du so richtig in der Scheiße.

Auf Pell hatte sie sich schon einmal so versteckt. Auf Pell war sie einmal beinahe ebenso verzweifelt gewesen. Es war schwer, einen Tag von dem anderen zu unterscheiden, wenn es so schlimm wurde. Irgendwie lebte man weiter, das war alles.

Irgendwie hielt man es durch, an diesem schmutzigen Ort, saß auf einem eiskalten Fußboden im Klo und versuchte, die Eingeweide zusammenzuhalten. Aber mit immer einem kleinen Bissen hielt man das Essen unten und sich selbst am Leben, auch wenn man bis auf eine Waffel in der Tasche und die Hoffnung auf einen Job für einen Cred pro Tag heruntergekommen war. Für einen Cred bekam man ein Käse-Sandwich. Ein Cred verschaffte einem einen Fischkuchen und einen Becher Synth-Orange. Man konnte davon leben, und man musste diese Nacht überleben, um den Cred zu bekommen, das war alles.

Bet hatte gestern aufgehört zu glauben, einfach aufgehört. Sie war nur ins Stellenvermittlungsbüro gegangen, weil die Wartung die Löcher ab und zu überprüfte, weil sie dort im Warmen war und weil sie damit bewies, dass sie immer noch nach Arbeit suchte, für eine nicht registrierte Einwohnerin die einzige Möglichkeit, den legalen Status zu behalten. Und vor allem behielt sie ihren Platz oben auf der Liste, wenn der erwartete Frachter irgendeinen Job zu vergeben hatte. Darauf zu hoffen war eine gute Art zu sterben, zu tun, was sie nach eigener Wahl tat, zu erstreben, was ihrer Meinung nach allein erstrebenswert war. Eine gute Art zu sterben. Sie hatte die schlechten Arten gesehen.

Und wenn es zu schlimm wurde, gab es einen Ausweg, und wenn das Gesetz sie erwischte, gab es Möglichkeiten, das Hospital zu vermeiden. Sie trug eine in der Tasche. Sie war schon so weit, dass sie über das »Wann« nachdachte, aber sie wollte es noch nicht gleich tun. Sie wusste nur, wenn sie das Bewusstsein verlor und Leute den Rettungsdienst riefen, konnte sie es tun, oder wenn man sie verurteilte, ihre Schulden gegenüber der Station zu bezahlen – dann konnte sie es immer noch tun. Einfach abhauen, dem Gericht ein Schnippchen schlagen.

Und jetzt bekam sie eine kleine zusätzliche Chance. Sie hatte also recht daran getan, bis jetzt durchzuhalten. Es mochte sich noch herausstellen, dass alles, was sie bisher getan hatte, auch richtig gewesen war. Sie konnte nur gewinnen. Dem Schiff nächste Woche konnte eine Arbeitskraft fehlen. Das war immerhin möglich.

So saß Bet im Schatten des Waschbeckens, bis eine ganze Waffel unten angekommen war, und dann sagte sie sich, dass sie sich bewegen müsse, weil ihre Beine und ihr Hintern taub wurden. Sie zog sich an dem Becken hoch und brachte noch etwas von dem metallisch schmeckenden Wasser in ihren Magen. Dann ging sie in eine der Kabinen, setzte sich, die Arme auf den Knien und den Kopf auf den Armen, und versuchte, sich auszuruhen und ein bisschen zu schlafen, denn das war der wärmste Platz, die Wände der Kabine hielten die Zugluft ab, die überall sonst zu spüren war, und gute Manieren hinderten die Leute daran, Fragen zu stellen.

Zwei Frauen kamen herein, noch spät unterwegs, wahrscheinlich Dock-Instandhaltung. Bet hörte das Stimmengemurmel, die Flüche, die Diskussion über irgendeinen Mann in der Crew, auf den sie ein Auge geworfen hatten. Es klang, als seien sie betrunken. Sie gingen weg. Das war der einzige Publikumsverkehr, und Bet döste, nickte ein, malte sich aus, dass sie morgen Abend an eine Verkaufsmaschine gehen und diesen einen Cred in einen Schlitz stecken und eine Dose heiße Suppe haben konnte … um damit anzufangen. Sie besaß Erfahrung mit dem Hunger. Halte dich an Flüssigkeiten, wenn du das erste Mal wieder etwas zu essen bekommst, nimm immer nur ein bisschen, nichts Fettes. Ihr Magen mühte sich mit der aufgelösten Waffel und dem Drittel eines Bechers Coca ab und wusste nicht recht, wie er damit fertigwerden sollte.

Auf den Docks draußen wurde es stiller, es gab weniger Maschinenlärm, weniger Transporte. Auf Thule war es kaum der Mühe wert, am Schichttag wach zu bleiben. Kaum eins der Büros hatte geöffnet, es kamen keine Schiffe, die das nötig gemacht hätten, die wenigen Bars waren größtenteils leer. Früher, als Bet noch ein paar Scheine übriggehabt hatte, war sie in Bars gegangen, um es warm zu haben. Docks waren immer kalt, jedes Dock, das jemals gebaut worden war, fror einem den Arsch ab. Wenn auf Thule Schichttag war, wurde Feierabend gemacht, genau wie in irgendeiner alten Erdenstadt. Wahrscheinlich sank die Lufttemperatur in den Dockanlagen so rapide, weil dann in ganz Thule so viele Maschinen den Betrieb einstellten und die Leute es in ihren Wohnungen warm haben wollten. Was bedeutete, es war höchst unwahrscheinlich, dass Bewohner der Station während der Hauptnacht hierherkamen, und die Zeitpläne dachten nicht daran, das zu ändern.

Deshalb wurde überall da draußen auf den Docks nichts verladen, nichts unterschrieben, bewegt, getan, bis am Hauptmorgen die Lichter wieder angingen. Thule starb. Der Handel mit der Erde war nach dem Krieg wieder aufgeblüht, aber Thule hatte sich als überflüssig erwiesen, ein paar große neue Superfrachter wie die Dublin Again waren fähig, eine Abkürzung an den Hinder-Sternen vorbei zu nehmen, und die Entdeckung einer neuen dunklen Masse jenseits von Bryants Stern bedeutete sodann, dass Thule, Venture, Glory und Beta umgangen wurden, also mehr als die Hälfte der wiedereröffneten Stationen auf einen Streich.

Eine Route direkt zur Erde via Bryants Stern, vorbei an dem Ort, wo die Ernestine sie zurückgelassen hatte, und der Alte hatte entschuldigend gesagt: »Sei nicht dumm, Bet. Wir müssen nach Pell zurück, das geht nicht anders. Wir werden knapp an Arbeitskräften sein, aber wir können es dennoch schaffen. Hier ist nicht gut sein, und weiter draußen ist es noch schlimmer.«

Ich hoffe, du hast es geschafft, wanderten ihre Gedanken zu dem alten Kato. Doch sie wusste, wie gering die Chancen der Ernestine waren, dieses kleinen Schiffes, das meistens leer fuhr und gegen die Strömungen von wirtschaftlichen Bedingungen und Glück und unter der Bürde seiner eigenen Masse versuchte, nach Pell zurückzugelangen. Denn die Hinder-Sterne stellten eine große Gefahr dar, die Hinder-Sterne hatten mehr als ein kleines Schiff verschlungen, und die letzte Hoffnung der Ernestine war, nachdem sie durch einen größeren Maschinenschaden ihren ganzen Frachtkredit verloren hatte, Pell zu erreichen, und wenn es als Wrack wäre, ein paar Passagiere an Bord, deren Fahrgeld ihr ein bisschen Kredit in Pells Banken verschaffen würde.

Pell war jedoch nicht der Ort, an den Bet Yeager wollte.

»Ohne mich«, hatte sie gesagt. »Ohne mich.«

Die Leute von der Ernestine hatten ihr zugeredet; sie hatten wiederum gewusst, welche Chancen Bet hatte. Die Fremdarbeiter, die von anderen Schiffen abmusterten, fanden hier einen neuen Job und zogen weiter. Jim Belloni hatte versucht, ihr ein Drittel seines Handgeldes zu geben, als er mit der Polly Freas abreiste. Er hatte sie königlich betrunken gemacht. Er hatte es in ihrem Bett zurückgelassen.

Da hatte sie sich von neuem betrunken. Sie bereute diese Extravaganz immer noch nicht. Nicht einmal, als ihr Magen sich verkrampfte. Erlebnisse wie dieses hielten einen in Nächten wie dieser warm.

Bet nickte wieder für eine Weile ein und wachte davon auf, dass sie die Eingangstür gehen hörte.

Ihr Herz machte einen Satz. Es war ungewöhnlich, jetzt, am Schichttag, in der Hauptnacht, dass jemand ausgerechnet in diesem Winkel ausgerechnet diese Toilette brauchte. Vielleicht die Instandhaltung. Ein Klempner oder so jemand, der das eine Waschbecken reparieren wollte.

Bet zog die Knie in den Armen hoch, blieb einfach, wo sie war, zitterte ein bisschen in der Kälte. Dem Schritt nach war es ein Mann, der hereinkam. So ein Flegel. Keine Ankündigung für eine eventuelle Benutzerin der Toilette.

Sie hörte, dass die Tür sich schloss. Hörte ihn atmen. Roch den Alkohol. Also war es kein Klempner.

Du hast die falsche Tür erwischt, Kumpel. Hau ab! Du siehst doch, dass du hier falsch bist.

Der Mann ging die kleine Strecke bis zur Tür und blieb stehen.

Hau ab, Kumpel! Geh weg! Bitte.

Die Tür schloss sich. Bet ließ den Kopf auf die Knie sinken.

Und immer noch hörte sie ihn atmen.

O Gott.

Sie erschauerte. Sonst bewegte sie sich nicht.

Die Schritte kehrten zu der Kabine zurück. Bet sah schwarze Stiefel, einen blauen Overall.

Er versuchte, die Tür zu öffnen. Ratterte mit der Klinke.

»Mach, dass du hier wegkommst!«, rief Bet.

»Sicherheit«, sagte er. »Kommen Sie heraus!«

Teufel.

»Raus!«

Es war verkehrt. Es war verdammt unhöflich. Und er stank nach Alkohol.

»Nie im Leben bist du von der Sicherheit«, sagte Bet. »Ich bin eine Raumfahrerin, die hier Zwischenstation macht. Schwing du deinen Arsch aus dieser Toilette, Stationsmann, bevor du mehr bekommst, als du hast haben wollen.«

»Es ist gar kein Schiff da, Mädchen.« Er bückte sich. Bet sah ein unrasiertes Gesicht mit Hakennase. »Los, komm da raus!«

Sie seufzte. Sah ihn müde an. Schwenkte die Hand. »Pass auf, Stationsmann. Wenn du was von mir willst, schuldest du mir einen Drink und ein Zimmer. Dann bekommst du es die ganze Nacht. Andernfalls ist bei mir nichts zu machen.«

Sein Grinsen entblößte ein Pferdegebiss. »Klar. Pass nur auf, du wirst sicher Spaß mit mir haben. Komm da raus!«

»Also gut.« Bet holte tief Atem. Sie setzte einen Fuß auf.

Sie hatte es kommen sehen. Sie versuchte, dem plötzlichen Griff nach ihrem Knöchel auszuweichen, aber ihre Knie schlotterten, sie wankte, und er versuchte es von neuem, unter der Tür weg.

Sie trat zu, knallte seinen Kopf auf die Fliesen, aber er rollte sich herum und bekam ihren Knöchel zu fassen und verdrehte ihn, und es gab keine Stelle, auf die sie den Fuß setzen konnte, als ihn, und er zog. Bet taumelte gegen die Kabinenwand, fühlte, wie seine Finger fester zufassten, versuchte, sich vor dem Fallen zu bewahren, und ließ sich gegen den Toilettensitz sinken. Schmerz durchfuhr ihre eine Seite, Schmerz war in ihrer Wange, als sie abprallte und gegen die Wand schlug und dann auf den Fußboden neben der Toilette. Seine Hände waren auf ihrem ganzen Körper, er kroch unter der Kabinentür auf sie, seine Arme wickelten sich um sie, und sie sah nichts mehr als verschwommene Lichter und sein Gesicht. Er schlug sie, knallte ihren Kopf einmal und zweimal gegen die Fliesen, und eine Weile waren da nur noch explodierende Farben, ein nach Alkohol stinkender Atem, sein Gewicht und seine Hände, die an ihren Kleidern zerrten.

Verdammte Scheiße, dachte sie und versuchte, sich schlaff zu machen, ganz schlaff. Er riss ihren Jumpsuit auf und befingerte sie, und sie konnte sich nicht dagegen wehren, denn er hatte sie zwischen der Toilette und der Kabinenwand eingeklemmt.

Nur ein bisschen mehr Atem. Nur ein bisschen Zeit, damit die Sterne aufhörten zu explodieren.

Er fing an, sie zu würgen. Und es gab verdammt wenig, was sie tun konnte, außer zu zappeln. Außer, ihre rechte Hand an die Tasche zu führen, während sein stoppeliger Mund auf ihrem lag und er sie würgte, dass sie das Bewusstsein zu verlieren drohte.

Sie hatte die Rasierklinge. Sie hielt die Finger ungeachtet des Schmerzes und des Nebels in ihrem Gehirn darum geschlossen, und sie brachte sie heraus und fuhr ihm damit das Bein entlang. Er bäumte sich heulend auf, den Rücken an der Tür. Sie nagelte ihn mit dem Stiefelabsatz fest, und er keuchte und fiel wieder auf sie, und da erwischte sie ihn von neuem mit der Rasierklinge.

Dann tat er nicht mehr viel, als dass er versuchte, aus der Kabine zu rutschen, und sie ließ ihn. Sie bekam einen Ellenbogen über die Toilette und hievte sich hoch und schloss die Tür auf. Er kotzte draußen.

Er lag auf den Knien. Bet stemmte sich gegen die Reihe der Kabinen und trat ihm von unten gegen das Kinn. Er wurde gegen das Waschbecken geschleudert, dann fiel er, ein Bein unter dem Körper, zu Boden. Sie wartete, bis er versuchte, wieder in die Höhe zu kommen, und trat ihm gegen die Kehle.

Danach war er ein toter Mann. Sie hätte ihn erledigen können, wie er dalag und sich zu Tode würgte, aber sie starrte ihn nur an. In ihrem Kopf hämmerte es, vor ihren Augen wurde es grau – als sie wieder zu sich kam, lief das Wasser, und sie hatte Wasser in den hohlen Händen und spritzte es sich ins Gesicht. Was dumm war. Sie konnte sich darin täuschen, wie schwer er getroffen war. Er konnte ein Messer haben, er konnte aufstehen und sie töten. Das Wasser tropfte ihr vom Gesicht und von den Händen und lief ihr in den Kragen, aber sie sah zu ihm hin, und da lag er mit offenen Augen.

Also war er tot. Schwindel packte sie. Sie ließ kaltes Wasser auf ihn rinnen, um sich zu vergewissern, dass er nicht markierte, aber er blinzelte nicht und zuckte nicht.

Wieder das Schwindelgefühl. Sie erinnerte sich, dass er gebrüllt hatte. Jemand mochte ihn draußen gehört haben. Sie sah nach, ob sie Spuren an sich trug. Am Hals und die ganze Brust hinunter waren Kratzer. Auf ihrem Jumpsuit war Blut, ein Knie war von Blut getränkt. Deshalb zog sie sich aus und wusch das Hosenbein im Waschbecken, bis das Wasser blassrosa ablief und der Jumpsuit so ziemlich sauber war. Es war schwer, dabei nicht ohnmächtig zu werden, sie stützte beim Schrubben die Ellbogen auf das Becken. Dann wrang sie den Jumpsuit aus und zog ihn wieder an, das eine Bein und eine ganze Menge Stellen anderswo waren eiskalt. Sie benutzte das Gebläse, um sie zu trocknen. Das war gefährlich, solange es auf den Docks derart ruhig war. Die Sicherheit hätte es hören können.

Trotzdem hätte sie sich am liebsten weiter in der warmen Luft an die Wand gelehnt, wäre die ganze Nacht hiergeblieben. Immer wieder drückte sie den Schalter des Gebläses, die Füße eingestemmt, den Blick auf den Mann auf dem Fußboden gerichtet, und vor ihren Augen kamen und gingen Grau und Rot. Von der Kabine bis zu der Stelle, wo er gestorben war, lief eine Blutspur. Bet dachte an die Rasierklinge, aber die steckte wieder in ihrer Tasche, sie überzeugte sich. Zusammen mit zwei Ein-Cred-Scheinen.

Sie ging draußen die Dockanlagen hinunter. Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie hingekommen war. Sie erinnerte sich an die Toilette, das war alles. Sie erinnerte sich an den Mann auf dem Fußboden. Sie erinnerte sich, in seinen Taschen nachgesehen zu haben. Jetzt blieb sie stehen und hielt ringsherum Umschau und versuchte festzustellen, wo sie war.

Man konnte auch aufgrund von Beweisen verhaftet werden. Die Stationsbank hatte ihre Fingerabdrücke. Aber eine Frau durfte die verdammte Damentoilette benutzen. Das hatte sie getan. Das hatte eine Menge Frauen getan. Der Mann aber war an einem Ort, wo er nichts zu suchen hatte. Bet ging schneller, dachte daran, dass die Polizisten ihr Genmuster unter seinen Fingernägeln feststellen konnten. Aber erst einmal musste man sie haben, sie hatten viele Karten, viele Fingerabdrücke, und sie mussten all diese Frauen vernehmen.

Wieder eine dunkle Stelle. Bet war schwach vor Hunger. Sie ging weiter, kratzte ein paar wenige durchweichte Waffelkrumen aus der Tasche und aß sie, und schließlich ging sie festeren Schrittes als vorher mit zwei Creds in der Tasche in eine Bar. Sie ließ sich einen Plastikbecher mit einer wässerigen Fischsuppe geben, und es gelang ihr sogar, sie zu essen.

Der Barmann fühlte sich einsam, sie blieb sitzen und sprach mit ihm. Wie sich herausstellte, wollte er mehr als das. »Gut«, sagte sie. Der Kopf tat ihr weh, und ihr war schlecht, und sie war müde. Sie hatte es schon getan, um eine Wette einzulösen, aber noch nie, um ihre Zeche zu bezahlen. Doch er war ruhig, er war einsam, es interessierte sie nicht, wie er hieß, er hatte ihr etwas zu bieten, und sie war endlich so weit unten angelangt, wenn es ihr nur ein warmes Plätzchen verschaffte und sie im Augenblick vor der Polizei in Sicherheit war. »Ein Platz zum Schlafen«, sagte sie. »Zum Teufel, was soll's.«