Young Agents – New Generation (Band 4) – Verrat im Hauptquartier - Andreas Schlüter - E-Book

Young Agents – New Generation (Band 4) – Verrat im Hauptquartier E-Book

Andreas Schlüter

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Offiziell gibt es sie gar nicht. Und doch leben sie mitten unter uns: die YOUNG AGENTS – topsausgebildete Geheimagenten, die nicht älter sind als du! Längst haben Tim, Abena und Balu, die NEW GENERATION der YOUNG AGENTS, bewiesen, dass sie ihre Aufträge auch ohne die Hilfe ihrer Mentoren, den YOUNG AGENTS der ersten Stunde, erfolgreich meistern können. Doch plötzlich tauchen im Hauptquartier Fotos auf, die die Nachwuchsagenten im Einsatz zeigen. Alarmstufe Rot! Der Professor reaktiviert Billy, Naomi und Charles, denn um den Fotografen ausfindig zu machen, ist die geballte Erfahrung aller YOUNG AGENTS gefordert. Schon bald ist klar: Die Spuren führen ins eigene Lager. Wird es den jungen Agenten gelingen, den Maulwurf zu enttarnen? Oder werden sie selbst enttarnt und damit vorzeitig in den Ruhestand geschickt? Bei ihrem neuesten Fall müssen die YOUNG AGENTS alles riskieren ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 264

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

Überfall!

Sechs Agenten, zwei Teams

Die neue Ausrüstung

Ein wasserdichter Plan

Wieder undercover

Ein geheimnisvolles Mädchen

Einer für alle, alle für einen

Gefährliche Flucht

Unheimlicher Besuch

Eine neue Spur

Die Falle

Ein ungeheuerlicher Verdacht

Eine riskante Aktion

Gefährliche Hausdurchsuchung

Auf der Flucht

Verbannung in den Untergrund

Flucht vor allen

Kampf der Agenten

Eine böse Überraschung

Der geheime Unterschlupf

Gefangen

Befreiung in letzter Sekunde

ÜBERFALL!

Mein Gespür für Gefahren ist eigentlich recht gut ausgeprägt. Spätestens seit unserem letzten Fall, der damit begann, dass ich mit meiner Mitschülerin Maria in deren Schrebergarten gefahren bin, wo uns dann das Gartenhäuschen um die Ohren geflogen ist. Im wahrsten Sinne des Wortes. Kaum hatten wir den Garten betreten, explodierte das Häuschen. Hätte ich mir nicht zufällig gerade Marias Baumhaus zeigen lassen, wäre die Explosion unser Ende gewesen. Schon auf dem Weg zu dem Garten hatte ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend, ohne zu ahnen, worauf sich dieses unangenehme Gefühl bezog.

Jetzt spüre ich es wieder.

Nicht so stark wie damals, aber deutlich genug, um gewarnt zu sein. Nur: Was soll mir hier und jetzt passieren? Ich bin auf dem Weg zur Schule. Eben, kurz bevor ich in die Straße eingebogen bin, in der unsere Schule liegt, hatte ich das Gefühl noch nicht. Einmal um die Ecke, und schon war es da.

Ich bleibe stehen und schaue mich um. Nichts Verdächtiges. Das Schultor liegt noch etwa hundert Meter vor mir. Von allen Seiten strömen die Schüler herbei. Viele mit dem Fahrrad auf dem Weg zum großen Abstellplatz, um dort ihre Räder anzuschließen. Nur wenige Schüler kommen zu Fuß, entweder von der nahe gelegenen Bushaltestelle, oder sie wohnen nah genug an der Schule hier im Stadtteil. Seit ich nicht mehr bei Billy wohne, sondern bei meinen neuen Pflegeltern, die mir die Agentenzentrale besorgt hat, wohne ich genau so weit von der Schule entfernt, dass ich beide Möglichkeiten habe: Rad oder zu Fuß. Heute zu Fuß.

Bei meinem Rundumblick sehe ich Maria, die mit dem Fahrrad kommt und mit der ich bei meinem letzten Auftrag einige gefährliche Situationen durchgestanden habe, ohne dass sie ahnte, dass ich ein Kinderagent bin; einer von wenigen in ganz Europa organisierten YOUNG AGENTS. Ich gehöre zu der neueren, jüngeren Generation, der New Generation.

Maria hat mich entdeckt und winkt mir freudig zu. Sie kommt neben mir zum Stehen.

»Hallo, Tim!«

Ich grüße freundlich zurück.

»Alles klar mit Mathe?«, fragt sie.

»Natürlich!«, schwindle ich. Mathe ist meine große Schwachstelle. Maria hat mir schon öfter geholfen und mir etwas Nachhilfe gegeben. Trotzdem bin ich immer noch schlecht in Mathe. Maria weiß das. Dennoch mag ich es ihr gegenüber nicht zugeben.

»Na dann. Ich drücke dir die Daumen. Wir sehen uns gleich.«

»Ja!«

Maria fährt mit ihrem Rad weiter. Da wir in dieselbe Klasse gehen, werden wir uns gleich dort sehen. Erste Stunde. Matheklausur.

Vielleicht kommt daher mein ungutes Gefühl im Magen? Und es liegt gar keine Gefahr in der Luft? Jedenfalls kann ich nach wie vor nichts Gefährliches entdecken.

Mit meinen Gedanken bei der Mathearbeit, die ich bestimmt wieder verhauen werde, schlendere ich weiter zum Schultor und merke erst viel zu spät, dass sich mir jemand in den Weg stellt.

»Na, du Zwerg?«, fragt mich ein Typ mit langen, strähnigen und sehr fettigen Haaren. Er trägt eine dünne Kunststoffjacke, so luftdicht wie eine Plastiktüte, bei deren Anblick man schon ins Schwitzen gerät. Dazu eine Cargohose mit mehreren Beintaschen, als wollte er sich für eine Safaritour anmelden. Natürlich ist er gut zwei Köpfe größer als ich, aber das sind ja fast alle in der Schule. Wäre ich nur einen Zentimeter kleiner, würde ich medizinisch offiziell als kleinwüchsig gelten.

Ich habe den Typ hier noch nie gesehen. Also gehört er nicht zu unserer Schule. Als Agent bin ich darin geübt, genau zu beobachten und mir Gesichter und Personen zu merken. Ich muss auch nicht nachfragen, um zu wissen: Der Typ bedeutet Ärger. Er wird der Grund gewesen sein für mein ungutes Bauchgefühl.

Prompt bestätigt er meinen Verdacht.

»Zoll!«, sagt er. Er lispelt.

»Wie bitte?«, frage ich zurück.

»Hier ist jetzt Zoll«, behauptet er. »Und du musst zahlen.«

»Und wenn nicht?«, frage ich naiv nach. Natürlich hätte ich das nicht fragen müssen. Ich weiß, dass sie mir gleich Gewalt androhen. Aber ich will sehen, ob sie eine echte Gefahr darstellen oder nur Großmäuler sind. Sein Alter schätze ich auf 15. Obwohl er viel größer und kräftiger ist als ich, habe ich keine Angst vor ihm. Als Agent habe ich es üblicherweise mit echten Verbrechern zu tun, nicht mit solchen halbwüchsigen Amateuren.

»Das würde ich dir nicht raten«, antwortet der Typ.

Ich bemerke, wie hinter seinem Rücken zwei weitere Jugendliche näher kommen und sich hinter mir auch noch zwei aufbauen.

Echt jetzt? Fünf kräftige Jungs, um einem – fast – Kleinwüchsigen wie mir etwas Geld abzunehmen? Es wäre kein großes Problem für mich, mich mit allen fünf auf einmal anzulegen. Aber: Niemand darf erfahren, welche Fähigkeiten ich habe. Niemand darf auch nur erahnen, dass ich ein Agent bin. Das bedeutet: Ich kann mich zwar wehren, aber ich darf es nicht. Das wurde uns immer und immer wieder auf der Agentenschule eingetrichtert. Auch Billy, mein Mentor und ein Agent der ersten Generation, hat mir das ständig eingebläut. Und unser Chef – der »Prof« – schärft es uns auch dauernd ein.

Mein Gegenüber holt blitzartig aus, um mir eine Ohrfeige zu verpassen. Vermutlich, um seine Forderung mit einer Warnung zu untermauern. Doch obwohl sein Schlag fast ansatzlos ausgeführt wurde, ist er für mich nicht schnell genug. Ich ziehe den Kopf ein und mache mich dadurch noch kleiner, als ich ohnehin schon bin, sodass er über mich hinweg in die Luft schlägt.

Peinlich für ihn, gefährlich für mich. Wir beide hoffen, dass das niemand gesehen hat.

»Ich mach keine Witze. Los, rück deine Wertsachen heraus«, fordert er jetzt in bedrohlichem Tonfall.

»Ich habe keine Wertsachen«, antworte ich ruhig. »Meine Schulbücher willst du ja wohl vermutlich nicht haben.«

Er zeigt auf mein Handgelenk. »Deine Uhr.«

Dann ergänzt er: »Und dein Handy.«

»Ich habe kein Handy«, behaupte ich.

»Quatsch. Jeder hat ein Handy.«

»Quatsch«, sage nun ich.

Noch ehe er seinen Jungs den Befehl erteilt, weiß ich schon, dass es jetzt wirklich brenzlig wird. Er nickt seinen Komplizen zu und befiehlt: »Durchsucht den Zwerg.«

Genau das hatte ich befürchtet. Denn sowohl meine Smartwatch als auch mein iPhone gehören zu meiner Agentenausrüstung. Die darf ich auf gar keinen Fall aus der Hand geben. Schon gar nicht an irgendwelche Diebe. Streng geheim. Top Secret.

Ich sehe mich aus den Augenwinkeln um, während sich die beiden Jugendlichen, die hinter mir stehen, bereit machen, mich und meine Hosentaschen abzutasten.

Noch immer fahren Schüler an uns vorbei, strömen die letzten aufs Schulgelände. Aber niemand schaut direkt zu uns. Im Gegenteil. Diejenigen, deren Blick kurz zu uns zuckt, erkennen wohl, was hier los ist. Aber niemand denkt daran, zu helfen. Stattdessen gucken alle sofort wieder schnell weg, um nicht am Ende selbst Opfer dieser offenkundigen Räuberbande zu werden.

Ich kann es also wagen.

Mit dem linken Fuß trete ich nach hinten aus und erwische das Schienbein des Typen, der mir gerade in die Hosentasche greifen wollte. Fast mit derselben Bewegung grätsche ich dem zweiten zwischen die Beine, packe seinen rechten Arm zu einem Schulterwurf und schleudere ihn über mich hinweg gegen den Typen vor mir. Gemeinsam stürzen die beiden auf die zwei weiteren Jugendlichen, die gar nicht so schnell mitbekommen haben, was geschehen war, und sich nur wundern, dass sie plötzlich zu viert zu meinen Füßen auf dem Boden liegen, während der hinter mir sich humpelnd sein Schienbein hält. Doch jetzt muss ich zusehen, dass ich verschwinde.

Sie werden sich gleich aufrappeln. Und weiter bekämpfen darf ich sie nicht. Die Gefahr wäre zu groß, mich zu enttarnen – oder zumindest unnötig auf mich aufmerksam zu machen. Also flitze ich los. Und höre noch hinter mir, wie der Typ seine Bande auffordert: »Hinterher! Schnappt euch den Zwerg!«

O nein. Verflixt! Genau das, was ich vermeiden wollte.

In die Schule zu laufen, hieße, in die Falle zu gehen. Denn wohin sollte ich dort fliehen, ohne dass sie nachkommen können? Außerdem wäre ich dann wirklich unter Beobachtung aller Mitschüler. Also muss ich in die andere Richtung von der Schule fortlaufen. Allerdings werde ich dann wohl zu spät zur Matheklausur kommen. Und da Maria mich ja schon gesehen hat, werden alle glauben, ich hätte in letzter Sekunde die Matheklausur geschwänzt. Das kann ich jetzt leider nicht mehr ändern.

Ich renne die Straße entlang. Während ich laufe, sehe ich mich um: Alle fünf Typen haben sich aufgerappelt und die Verfolgung aufgenommen.

Ich bin flink. Aber ich habe kurze Beine. Wenn meine Verfolger nur einigermaßen sportlich sind, werden sie mich schnell einholen. Also muss ich den »Batman« machen. Soll heißen: Obwohl ich über keine Superkräfte verfüge, muss ich mich so schnell und trickreich unsichtbar machen, als wäre ich buchstäblich vom Erdboden verschluckt worden.

Das ist in einer Hochhaussiedlung normalerweise zwar leichter gesagt als getan, aber ausgerechnet in dieser leichter, als man denken würde. Die hohen Häuser sind in Ringen angeordnet, sodass große autofreie Innenhöfe entstanden sind, die allesamt dicht begrünt und großzügig mit Spielplätzen ausgestattet wurden. Es gibt Hunderte von Versteckmöglichkeiten, in denen man nie gefunden werden würde.

Es sei denn, man läuft in der Unterführung zum Hinterhof jemandem direkt in die Arme, der einen kennt: Murat!

Verdammt noch eins. Instinktiv bin ich genau zu jenem Häuserblock gerannt, in dem Billy, mein Agenten-Mentor, wohnt.

Murat wohnt einen Hauseingang weiter.

Bei meinem ersten Einsatz gemeinsam mit Billy, bei dem ich undercover in einer Einbruchbande tätig war, hätte Murat mich um ein Haar erwischt und mich für einen echten Dieb gehalten. Zwar konnte Billy ihn unter großen Mühen davon abhalten, mich zu verprügeln, aber seitdem beäugt mich Murat immer argwöhnisch, sobald er mich sieht. So wie jetzt.

Ich will an ihm vorbeilaufen. Aber das klappt natürlich nicht.

Er streckt den linken Arm aus, versperrt mir dadurch den Weg und zischt: »Stopp! Wo willst du denn hin, Digger?«

Innerlich stöhne ich auf und denke daran, dass meine Verfolger jeden Moment hier sein werden.

»Ich … äh …« Ich muss mir blitzschnell eine plausible Erklärung einfallen lassen, mit der Murat zufrieden ist, um mich durchzulassen. »Billys Mutter hat ihre Brille vom Balkon fallen lassen. Ich bin schnell runtergeflitzt, um sie ihr wiederzuholen.«

Murat runzelt kurz die Stirn, dann sagt er: »Okay. Kannst durch!«

Zum Glück ist Murat nicht der Hellste. Ich flitze los, an ihm vorbei, hinein in den Hinterhof. Dann erst stutzt Murat. Ich höre ihn hinter mir rufen: »Moment mal! Billys Mutter? Die trägt doch gar keine Brille!«

»SON-NEN-BRIL-LE!«, brülle ich zurück und schlage dabei einen Haken, damit Murat nicht erkennen kann, hinter welchen Büschen ich gleich verschwinde.

Murats schlechte Eigenschaft ist im Moment ausnahmsweise mal gut für mich. Weil er sich nämlich nicht nur mir gegenüber oft wie ein Tyrann verhält, sondern fast jedem gegenüber, der hier im Stadtteil auftaucht und den er nicht kennt. So auch gegenüber meinen Verfolgern. Die kommen gerade durch den Torbogen.

Ich habe mich unter einem Dornenbusch flach auf den Bauch gelegt und kann sie sehen. Obwohl sie zu fünft sind und jeder von ihnen fast so groß, alt und stark wie Murat, hat der keinerlei Angst, sie aufzuhalten.

»STOPP!«, befiehlt er.

Meine Verfolger bleiben tatsächlich stehen.

Jetzt spricht Murat mit ihnen in normaler Lautstärke, sodass ich es nicht mehr verstehen kann. Aber ich kann mir denken, worüber sie reden. Murat fragt sie, was sie hier wollen. Und vielleicht werden sie sogar ehrlich antworten, dass sie hinter mir her sind. Wobei sie sicherlich auslassen werden, dass ich sie gerade eben alle fünf niedergestreckt habe.

Aber: Murat zeigt nicht in den Innenhof, sondern aus dem Torbogen heraus, rechtsherum die Straße entlang. Die Verfolger drehen ab und laufen in die von Murat angezeigte Richtung. Das muss man Murat lassen: Er ist oft ein wirklicher Fiesling. Aber ein Verräter ist er nicht. Er hat meine Verfolger auf eine falsche Fährte geschickt.

Allerdings dreht er sich jetzt um und kommt in den Innenhof. Ich weiß, was das bedeutet. Jetzt sucht er mich, um mich zu fragen, weshalb ich verfolgt werde. Na super! Wahrscheinlich denkt er wieder – oder immer noch –, ich wäre ein Dieb und hätte die fünf bestohlen. Ob er mir glauben wird, dass es genau umgekehrt war?

»EY! TIM!«, brüllt Murat. »Wo steckst du?«

Ich krieche aus dem Dornenbusch hervor und rufe: »Mist, nicht zu finden!«

»Was?«, fragt Murat und kommt auf mich zu.

»Die Sonnenbrille. Nicht zu finden!«

Doch so blöd ist Murat dann doch nicht.

»Verarsch mich nicht, Digger«, blafft er mich an. »Du suchst doch gar keine Sonnenbrille. Du bist vor den Typen eben weggelaufen. Was wollen die von dir?«

Ausnahmsweise kann ich ihm ehrlich antworten: »Die wollten mich ausrauben. Vor der Schule!«

Während ich ihm das beichte, rechne ich damit, dass Murat mich auslacht oder eine »Beschützer-Gebühr« verlangt oder so etwas. Doch weit gefehlt. Er macht ein ernstes Gesicht und murmelt: »Also stimmt es doch.«

Ich ziehe verwundert die Augenbrauen hoch. »Was stimmt doch?«

»Dass sich da eine Bande vor eurer Schule tummelt und die Schüler abzockt«, erklärt Murat. »Zehra hat mir davon erzählt.«

Zehra? Das ist eine von Murats Schwestern. Sie ist sehr nett und geht in meine Schule. Aber von einer räuberischen Bande, die sich an »unserer Schule tummelt«, hatte ich bis eben noch nichts gehört. Und das, obwohl ich Agent bin und auch Billy, mein Mentor, sowie meine YOUNG-AGENTS-Kollegin Abena in derselben Schule sind wie ich. Ich frage natürlich sofort nach.

Murat berichtet, was Zehra ihm erzählt hat: dass diese Fünferbande wohl schon einige Male vor dem Schultor aufgetaucht ist und verschiedene Schüler ausgeraubt hat.

Und DAS ist mir entgangen??????

»Wirklich?« Ich muss meine Entrüstung gar nicht spielen. Ich bin echt zutiefst entsetzt; vor allem darüber, dass wir YOUNG AGENTS davon nichts mitbekommen haben. »Das geht ja gar nicht!«

»Ganz meine Meinung«, pflichtet Murat mir bei, was mich sehr erstaunt. So viel Sorge wegen zunehmender Kriminalität hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Doch dann ergänzt er: »Digger. Das ist mein Revier!«

O nein, das schon wieder! Murat spielt sich gern als so etwas wie ein »Gangsterboss« auf. Obwohl er mit echten, gefährlichen Gangstern rein gar nichts gemeinsam hat. Das weiß ich nun wirklich, weil ich als YOUNG AGENT es ständig mit richtig gefährlichen Banditen und Mafia-Bossen zu tun habe.

»Und meine Schwester abzuzocken, das geht schon dreimal nicht!«, stellt Murat klar. »Gut, dass ich jetzt wenigstens weiß, wie die Typen aussehen. Wenn ich vorhin gewusst hätte, dass die das waren …«

»Äh … Murat«, wage ich zaghaft einzuwenden. »Ich würde mich nicht mit denen anlegen. Lieber bei der Polizei melden.«

Murat lacht auf. »Denkst du, ich werde mit so ’n paar Luschen nicht fertig, Digger?«, fragt Murat großspurig. In Sachen Großmaul macht ihm wirklich niemand etwas vor. »Die können sich auf was gefasst machen, Digger. Die mach ich platt.«

SECHS AGENTEN, ZWEI TEAMS

Am selben Nachmittag treffen wir alle uns in unserem Hauptquartier. Früher befand es sich in den geheimen Kellerräumen unterhalb einer Tankstelle. Irgendwann wurde es dort zu brenzlig, und wir mussten umziehen. Jetzt ist unser Büro in einem alten, ausgedienten, unterirdischen Bunker untergebracht. Der Eingang oben ist mit einer Imbissbude getarnt. Nur durch die kann man in die Bunkerräume gelangen.

Jeder von uns YOUNG AGENTS hat zu Hause ein eingerahmtes Poster hängen, in das ein komplettes, sicher vernetztes Computersystem eingebaut ist. Darüber kann die Zentrale – sprich: unser Chef, der Prof – uns jederzeit beobachten, mit uns sprechen oder uns eben zu einer Sitzung oder einem Einsatz rufen.

Zusätzlich haben wir alle solche Uhren und Smartphones wie die, die ich auf gar keinen Fall an die Räuberbande verlieren durfte. Mit diesen können wir über ein gesichertes Netzwerk in Kontakt treten. Auf diesem Weg habe ich den Prof über den Vorfall am Vormittag in der Schule informiert. In der Pause hatte ich schon Billy kurz davon erzählt. Die Zeit war aber zu knapp, um ihm wirklich alles zu berichten.

Jetzt also stehe ich in dem Imbiss, weil ich zur Sitzung will. Aber ich kann noch nicht gehen, weil zwei normale Kunden im Laden sind, die natürlich von nichts ahnen. Denen darf ich nicht zeigen, dass es hier einen geheimen Ausgang gibt, der gleichzeitig der Eingang in den Bunker ist. Ich stelle mich also brav in die Schlange und tue so, als wollte ich auch gleich etwas bestellen.

Der Verkäufer wird zwar vom Geheimdienst bezahlt. Aber er weiß nur, dass es diesen geheimen Bunker gibt und wer dazu Zutritt hat. Von allem anderen weiß er nichts. Vor allem nicht, dass es uns YOUNG AGENTS gibt.

Endlich ziehen die beiden Jugendlichen vor mir davon, der eine mit einer Currywurst mit Pommes, der andere mit einem Döner. Ich nicke dem Verkäufer zu. Der drückt einen Knopf unter seinem Tresen. Eine mit Borden getarnte Tür springt auf. Ich husche hindurch und steige eine schwach beleuchtete Treppe hinunter in den Bunker.

Da ich oben niemanden von uns entdeckt habe, vermute ich, ich bin der Erste, und die anderen werden gleich nachkommen.

Weit gefehlt. Als ich die Tür zum Sitzungsraum betrete, sitzen alle schon da. Nicht nur das erstaunt mich, sondern vor allem, dass wirklich alle da sind: nicht nur Abena und Balu, die mit zu meinem Ausbildungsjahrgang – der New Generation – gehören. Sondern auch die drei älteren YOUNG AGENTS, die ursprünglich nur als unsere Mentoren dienten. Also sozusagen als Ansprechpartner, wenn wir Hilfe brauchten. Inzwischen haben wir, die drei Jüngeren, drei Fälle sehr gut allein gemeistert, sodass wir keine Mentoren mehr brauchen, sondern im Gegenteil selbst welche werden könnten. Deshalb hätte ich nie damit gerechnet, dass der Prof die drei Älteren hierhergerufen hat. Gut, dass Billy dabei ist, kann ich nachvollziehen, weil ich ihm heute Morgen von dem Überfall erzählt habe. Aber auch Naomi, von der ich glaubte, sie wollte nach unserem letzten Fall zurück in ihre Heimatstadt Paris fliegen. Und Charles, der eigentlich schon länger wieder zurück in seiner Heimatstadt London war.

Zögerlich sage ich allen Hallo. Eigentlich sollte ich ihnen zur Begrüßung um den Hals fallen. Denn ich mag sie alle wirklich sehr, sehr gern. Ohne sie hätte ich mich nie so gut und schnell in die neue Gemeinschaft der YOUNG AGENTS eingefunden und wäre vermutlich immer noch ein streunender, obdachloser Junge auf der Flucht vor der Polizei, weil ich mehrfach in München aus einem Kinderheim getürmt bin.

Als ich nachfrage, kann mir niemand eine Antwort geben. Die Älteren wissen selbst nicht, weshalb sie hierhergerufen wurden. Na, das wird ja spannend.

Kaum denke ich das, kommt der Prof herein.

Wie immer mit schnellem, strammem Schritt. Wie immer ohne richtige Begrüßung. Nur ein knappes »Hallo« entfleucht seinem Mund. Leiser und unmerklicher als ein kleiner Seufzer. Er setzt sich hinter seinen Schreibtisch, betätigt eine Fernbedienung, und auf dem großen Plasmabildschirm, der rechts hinter ihm für alle gut sichtbar in der Ecke hängt, erscheint ein unscharfes Foto von einer Achterbahn auf einem Jahrmarkt.

Auf den ersten Blick sieht man nichts Ungewöhnliches. Nur auf den zweiten, wenn man seinen Blick entsprechend geschult hat. Oder dadurch, dass man einen Ausschnitt des Fotos vergrößert, was der Prof jetzt macht.

Man sieht nun deutlich Billy und Abena miteinander reden. In zwölf Meter Höhe, mitten auf den Schienen der Achterbahn!

»Huch!«, ruft Abena. »Das bin ja ich!«

»Ja«, bestätigt Billy. »Das war, als wir die Sprengstoffkapseln eines Erpressers entfernt haben. Plötzlich warst du auch dort oben, weil du uns gefolgt bist«, erinnert sich Billy.

»Das war dein Einstieg bei uns YOUNG AGENTS!«

»Ja.« Abena denkt lächelnd an diese Situation zurück. »Wer hat das Foto gemacht? Ich wusste gar nicht, dass es Aufnahmen davon gibt!«, ruft sie entzückt.

»Genau das ist der Punkt«, antwortet ihr der Prof mürrisch. »Wir wissen es nicht. Aber die Tatsache, dass es dieses Foto überhaupt gibt, ist ein riesiges Problem für uns.«

Billy und Abena schauen entsetzt. Und nicht nur sie begreifen gerade, worum es geht. Wenn ein Fremder, Außenstehender, das Foto geschossen hat, dann gibt es vielleicht jemanden, der von uns YOUNG AGENTS weiß! Das könnte die gesamte internationale Abteilung auffliegen lassen, woraufhin es nur eine Konsequenz geben kann: die gesamte Abteilung und damit uns YOUNG AGENTS aufzulösen.

Der Blick des Profs lässt erkennen: Er weiß, dass er nichts weiter zu erläutern braucht. Wir haben das Problem erfasst.

Trotzdem fragt Billy noch mal nach: »Jemand hat uns bei diesem Einsatz fotografiert?«

»Nicht nur bei diesem«, antwortet der Prof mit finsterem Gesicht.

Nie zuvor habe ich bei einem Menschen so eine düstere Miene gesehen wie die des Profs jetzt. Er zeigt das nächste Bild.

»Verdammt!«, flucht Charles.

Auf dem Bild ist er in unserer Ein-Personen-Drohne zu sehen!

Drittes Bild: ich, als ich als Einbrecher in ein Haus einsteige. Mein erster Undercover-Einsatz!

»Wie ist das möglich?«, rufe ich entsetzt aus.

»Wie gesagt«, wiederholt der Prof. »Wenn wir das wüssten. Genau deshalb habe ich euch alle sechs hierherbeordert. Irgendjemand spioniert euch YOUNG AGENTS nach. Das ist brandgefährlich. Ihr müsst unbedingt herausbekommen, wer dahintersteckt. Und ihm sämtliches Fotomaterial abnehmen. Selbstredend!«

In unserer Runde herrscht betretenes Schweigen. Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die wir uns im Rahmen unserer Agentenausbildung angeeignet haben, ist eben jene, unentdeckt zu bleiben. Und dann tauchen plötzlich von nahezu jedem unserer Fälle Fotos auf, anonym und unbemerkt aufgenommen von irgendeiner unbekannten Person?

Peinlicher geht es wirklich nicht.

Der Prof erspart uns die Frage, wie so etwas geschehen konnte. Er weiß, diese Frage stellen wir alle uns selbst, ohne dass wir auch nur annähernd eine Antwort darauf finden können.

Viel wichtiger ist ja auch die Frage, was jetzt zu tun ist. Die Antwort liegt auf der Hand. Der Prof hat sie soeben ausgesprochen: Wir müssen herausfinden, wer die Fotos gemacht hat, ob und inwieweit sie schon verbreitet sind und ob man die Veröffentlichung gegebenenfalls noch irgendwie verhindern kann. Eines ist klar: Geraten diese Bilder mit der richtigen Story an irgendeine Zeitung, haben wir nicht nur sämtliche Medien an den Hacken, sondern die Regierung würde den YOUNG AGENTS sofort ein Ende setzen.

Aus dem aschfahlen Gesicht des Profs sind diese Konsequenzen und Gedanken gut abzulesen. In die Stille hinein wagt Naomi die Frage: »Woher haben Sie die Fotos? Wo sind die aufgetaucht?«

Das Gesicht des Profs zerknittert noch mehr. Bis eben hätte ich nicht gedacht, dass das überhaupt möglich ist. Doch seine fahle, immer grauer werdende Gesichtshaut besteht nur noch aus sorgenvollen Falten, als er antwortet: »Sie lagen im Briefkasten. Oben im Imbiss.«

»WAS?« Naomi springt auf. Ihre Augen sind vor Entsetzen weit aufgerissen. Ebenso ihr Mund, als sie das fragt. Hektisch schaut sie sich um, als ob der Feind schon bei uns im Raum stünde. »Und dann treffen wir uns hier?«

»Das gesamte Umfeld der Imbissbude wird gerade systematisch beobachtet und gefilmt«, erläutert der Prof. »Wenn uns der unbekannte Fotograf auflauert, dann entdecken wir ihn mit unseren Kameras. Ich dachte, das wäre vielleicht eine klitzekleine Chance, ihn schnell auf frischer Tat zu erwischen.«

»Wenn ich es richtig verstanden habe«, meldet sich jetzt Abena zu Wort, »dann weiß dieser anonyme Fotograf seit Langem von uns und hat uns die ganze Zeit über systematisch verfolgt?«

Der Prof nickt.

»Was hat ihn dann bis jetzt daran gehindert, uns auffliegen zu lassen?«, fragt sie weiter.

»Gute Frage«, bestätigt der Prof. »Vielleicht noch nicht genügend Beweise? Seht euch die Fotos genau an. Mit denen ist zunächst mal nicht zu beweisen, dass es Kinderagenten gibt. Und Naomi ist bisher auf keinem der Fotos zu sehen.«

Naomi lehnt sich für einen kurzen Augenblick erleichtert zurück.

Der Prof spricht weiter: »Und auf den meisten Fotos seid ihr auch nicht eindeutig zu identifizieren. Man erkennt euch eigentlich nur, wenn man euch schon kennt. Offenbar wurden die Fotos immer aus großer Entfernung geschossen oder aus guten Verstecken heraus, vor allem aber in großer Eile und Hektik. Fast kein Foto ist wirklich scharf.«

»Ein Spion, der nicht mit einer Kamera umgehen kann?«, fragt Billy verwundert.

»Eher ein Spitzel, der nicht lange genug irgendwo in Ruhe allein war«, vermutet der Prof dagegen.

»Gut!«, sagt Balu. »Wie fangen wir an? Ich kann gern mal das Internet durchforsten, ob die Fotos schon irgendwo im Netz aufgetaucht sind.«

Der Prof schüttelt den Kopf. »Sind sie nicht. Zum Glück. Das haben wir natürlich sofort geprüft.«

»Gibt es irgendwelche Forderungen? Erpressungsversuche?«, werfe ich als Frage ein.

Der Prof schüttelt den Kopf. »Nach meiner Einschätzung wird das auch nicht passieren. Irgendwer hat ein Interesse daran, dass wir aufgelöst werden, denke ich. Er hat nur noch nicht genug Material gesammelt.«

»Ich kann nicht verstehen das«, wendet Charles ein, der von allen internationalen Agenten am schlechtesten Deutsch spricht. Zumindest, wenn er aufgeregt ist, verfällt er auch in der deutschen Sprache immer wieder gern in den englischen Satzbau. »Why er gibt uns dann diese Hinweis, dass er hat schon gemacht diese Fotos?«

Abena kann sich das erklären. »Um uns aufzuschrecken vielleicht. Damit wir Fehler machen. Vielleicht sogar in der Hoffnung, dass wir in der Panik unser Hauptquartier aufgeben und dadurch den Standort für ihn preisgeben.«

»Dann sollen wir trotz allem erst mal hierbleiben?«, fragt Naomi skeptisch.

»Nein«, antwortet Charles. »Ich denke, es wird sein das Beste, wenn wir treffen uns in meine Wohnung.«

»Unsere Wohnung!«, betont Naomi.

Billy wohnt hier in Hamburg bei seinen Eltern. Für mich hat die Zentrale sehr nette Pflegeeltern gefunden: Anyamanee und Chanchai sind ein thailändisches Ehepaar mit deutscher Staatsbürgerschaft, das gemeinsam einen sehr guten thailändischen Imbiss führt. Das hat nebenbei den Vorteil, dass ich nicht nur ein gemütliches Zuhause habe, sondern seitdem auch immer sehr, sehr leckeres Essen bekomme. Balu, der dritte von uns New-Generation-Agenten, kommt aus Mumbai in Indien und wohnt hier in einer Agentenwohnung, in der zuvor Charles und Naomi gewohnt hatten. Genau diese Wohnung hat Charles eben gemeint. Denn seit sie zurück sind, so teilt er uns gerade mit, müssen sie zu dritt in der Unterkunft leben, die eigentlich nur für zwei Personen ausgelegt war: eben Naomi und Charles. Im Moment belegt Naomi dort ihr eigenes Zimmer, das sie schon immer gehabt hat, und Charles und Balu teilen sich das andere. Da Balu unser Computer-Spezialist ist, stand bislang auch das gesamte technische Equipment in seinem Zimmer.

»Dafür ist es jetzt aber zu eng«, erzählt er. »Ich habe alles in die Küche geräumt.«

»Ich hab’s heute Morgen gesehen«, kommentiert Naomi etwas schnippisch. »Ist echt toll, wenn man erst zwei Überwachungsmonitore beiseiteräumen muss, um ans Müsli heranzukommen.«

Der Prof winkt ab. »Wir werden kurzfristig eine bessere Lösung finden«, verspricht er. »Sowieso. Denn wir müssen davon ausgehen, dass der anonyme Fotograf auch die Wohnung im Visier hat.«

Schon einmal mussten wir von jetzt auf gleich die ganze Wohnung räumen, als uns die Polizei auf den Fersen war, weil uns ein Nachbar verpfiffen hatte. Wenn zwei oder drei Kinder allein in einer Wohnung wohnen und nie ein Erwachsener zu sehen ist, fällt das auf Dauer natürlich auf.

Abena hat das meiste Glück. Sie lebt zu Hause bei ihren Eltern, und das ohne jegliche Geheimnistuerei, weil ihre Eltern früher einmal selbst Agenten des Geheimdienstes von Ghana waren.

»Gut«, kommentiert Balu nun das Versprechen des Profs. »Damit haben wir dann ja automatisch einen neuen Treffpunkt. Können wir eine große Wohnung bekommen? Jeder ein Zimmer für sich und zusätzlich ein Computerraum und ein Sitzungszimmer?«

»Ja!«, ruft Naomi begeistert. »Das wäre voll cool!«

»Und auf dem Dach einen Landeplatz für unsere Drohne!«

»Und im Keller einen Schießstand!«, ergänzt Billy.

»Wow!«, rufe ich. »Klasse. Und noch einen Pool im Keller!«

Alle Augen richten sich plötzlich auf mich.

»Was denn?«, verteidige ich mich. Ich weiß natürlich, warum die so komisch gucken. Ich habe als Einziger etwas vorgeschlagen, was nichts mit unserer Agententätigkeit zu tun hat. »Wünsche werden ja wohl erlaubt sein!«

»Wir haben zwei, drei Optionen. Nächste Woche kann ich euch Näheres sagen«, verspricht der Prof.

»Also«, kommt Naomi auf unser eigentliches Thema zurück. »Wir treffen uns in der Wohnung, okay? Aber wie gehen wir dann vor? Womit fangen wir an, um den anonymen Fotografen ausfindig zu machen?«

Ich melde mich zaghaft zu Wort. Irgendwie finde ich plötzlich mein Anliegen etwas deplatziert und überhaupt nicht mehr so wichtig. Andererseits geht es doch nicht, dass ich das Geschehnis von heute Vormittag überhaupt nicht zur Sprache bringe.

Der Prof erteilt mir das Wort. Und ich sehe den Gesichtern an, dass alle von mir erwarten, etwas zu unserer möglichen Enttarnung zu sagen. Den Gefallen kann ich ihnen aber leider nicht tun.

»Äh …«, stottere ich etwas. »Ich … bin … heute Morgen überfallen worden!«

»WAS ?«, fragt der Prof entsetzt.

Während Naomi, die schon immer am strengsten mit mir war, erst mal nachhakt: »Wie? Überfallen? Was meinst du damit? Von wem?«

Ich erzähle, was am Vormittag vor der Schule passiert ist.

Die anderen hören es sich zwar ruhig an. Aber ihre Reaktionen sind sehr unterschiedlich.

Als Erste wieder Naomi: »Du bist weggelaufen? Echt jetzt?«

»Na ja, ich …«, setze ich gerade zu meiner Verteidigung an, da springt Balu mir bei: »Er darf sich doch gar nicht wehren. Haben wir doch gerade eben gesehen und besprochen, was dabei herauskommen kann. Vielleicht hätte es wieder nur weitere Fotos gegeben, auf denen der kleine, schmächtige Tim es mit vier Jugendlichen aufnimmt und sie niederstreckt.«

»Fünf Jugendlichen«, korrigiere ich zaghaft.

Naomi verzieht das Gesicht. »Aber da muss man ja nun nicht gleich weglaufen!«

Ich weiß, Naomi hat noch andere Möglichkeiten drauf. Billy hat mir mal erzählt, dass er in seiner Klasse einen echten Widerling sitzen hat: Gonzo. Ständig provoziert und demütigt der unseren Billy, ohne dass der sich wehrt, weil er sich nicht wehren darf. Einmal aber bekam Gonzo es mit Naomi zu tun. Die hat ihn nur mit ihrem Auftreten und ihrer Ansprache derart eingeschüchtert, dass Gonzo es vermutlich niemals mehr wagen würde, ihr dumm zu kommen.

Aber so etwas kann ich nicht.

Immerhin stimmt der Prof mir zu: »Du hast richtig gehandelt, Tim. Wir dürfen künftig noch weniger Risiko eingehen, entdeckt zu werden, als ohnehin schon. Wer weiß, ob der Fotograf vielleicht gar kein Einzeltäter ist und uns irgendeine Bande Tag und Nacht überwacht?«

Diesen Gedanken hatte bisher niemand von uns. Entsprechend erschrocken schauen nun alle drein.

»Merde!«, flucht Naomi auf Französisch. »Wenn das stimmt …!«

»Aber wir sollten auch diese Jugendbande an sich ernst nehmen«, füge ich noch hinzu.

»Warum, weil du Angst vor denen hast?«, wirft Naomi schnippisch ein.

»Naomi, lass doch mal Tim zufrieden«, mischt sich jetzt Abena ein und schlägt sich auf meine Seite. »Du weißt ganz genau, dass Tim schon Großartiges als Agent geleistet und viel Mut bewiesen hat. Undercover-Einsatz in einer organisierten Einbrecherbande, sag ich nur.«

Ich werfe Abena einen dankbaren Blick zu.

»Murat hat mir jedenfalls erzählt, dass …«, will ich weiter berichten.

Doch da springt Billy auf und unterbricht mich: »MURAT? Der Murat? Du hast mit Murat über den Überfall gesprochen? Wieso? Was hat denn DER damit zu tun?«

Ich weiß, dass Murat so etwas wie ein rotes Tuch für Billy ist. Die beiden sind sozusagen Nachbarn und liegen im Dauerclinch.

Ich versuche, ihm ruhig zu erklären, was geschehen ist.

Bevor sich Billy weiter aufregen kann, übernimmt wiederum Naomi das Wort: »Zehra wurde also von der Bande auch schon überfallen?«

Das hatte Billy wohl überhört. Dabei ist dieser Punkt der Entscheidende. Deshalb gehe ich sofort auf Naomis Zwischenruf ein.

»Ja, genau«, bestätige ich. »Ohne, dass wir es mitbekommen haben, treibt diese Bande wohl schon seit einiger Zeit ihr Unwesen an unserer Schule.«

Naomis Blick wandert von mir zu Billy und von Billy zu Abena. Wir gehen ja auf dieselbe Schule.

»Ihr alle drei habt davon nichts mitbekommen?«, hakt Naomi skeptisch nach.

Ich schüttle verlegen meinen Kopf. Wahrscheinlich ein Grund mehr für Naomi, mich für total unfähig zu halten.

Doch auch Billy und Abena schütteln die Köpfe.

»Nein, nichts«, bestätigen beide.

»Wie kann das sein?«, will Naomi wissen.