Zärtliche Indira - Barbara Cartland - E-Book

Zärtliche Indira E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

In seinem Club rühmt sich der Marquis von Ardsley eine Lady jederzeit erkennen zu können. Zwei anwesende Adlige schließen eine Wette ab - sie wollen die Probe aufs Exempel machen und dem Marquis eine Dame unterjubeln die keine ist. Als sie kurz darauf die schöne Indira kennenlernen, ist die Wette perfekt. Doch der vermeintliche Scherz nimmt eine überraschende Wende und wird für alle zum bitteren Ernst.

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1

Der White’s Club füllte sich rasch mit seinen aristokratischen, berühmt-berüchtigten Mitgliedern. Der Erkerplatz mit Blick auf die St. James Street, der durch Beau Brummell Berühmtheit erlangt hatte, war bereits besetzt, und es war auch sonst keiner der braunen Ledersessel mehr frei, als Lord Frodham und sein Freund, Sir James Overton, eintraten.

Sie wechselten ein paar Worte mit einem Bekannten, mit dem sie am vergangenen Abend zusammengewesen waren, und hörten jemanden in verächtlichem Ton sagen: „Du wirst mit deinem Geschwätz über die Liebe allmählich genauso langweilig wie George Byron. Dabei ist sie nichts anders als hübsch mit Schleifchen verzierte Begierde.“

Es gab Gelächter, und Charles Frodham raunte Jimmy Overton zu: „Ardsley hat wieder mal seine zynische Ader. Ich behaupte immer noch, daß er als Jüngling mal unglücklich verliebt war.“

„Unsinn!“ widersprach Jimmy Overton. „Er hat niemals jemand anderen geliebt als sich selbst und seine Pferde.“

Charles Frodham lachte und trat näher an das Erkerfenster heran, um sich nicht entgehen zu lassen, was der Marquis von Ardsley sonst noch über das Thema Liebe und Frauen von sich gab.

Offenbar stritt er sich mit jemandem, denn er erklärte gerade abfällig: „Frauen dienen doch nur unserem Vergnügen und dem Zweck, uns den erforderlichen Stammhalter zu gebären. Ansonsten verfolgt ein einigermaßen intelligenter Mensch weiß Gott andere Interessen im Leben.“

„Alles gut und schön, Ardsley“, ließ sich ein stadtbekannter Lebemann vernehmen, „trotzdem mußt selbst du zugeben, daß unser Leben fad und farblos wäre, könnten wir nicht ab und zu eine hübsche Frau in den Armen halten.“

„Da spricht der Fachmann!“ rief jemand und erntete lautes Gelächter.

„Jeder nach seinem Geschmack“, erwiderte der Marquis. „Allerdings mußte ich heute morgen in der Zeitung lesen, daß Oliver Markham einen verdammten Narren aus sich gemacht hat, und davor hätten wir ihn warnen müssen.“

„Willst du damit sagen, er hätte die reiche Erbin nicht heiraten sollen?“ fragte der Lebemann verdutzt. „Du kannst es dir ja leisten, dich verächtlich über Geldangelegenheiten zu äußern, Ardsley, aber manch einer von uns hat angesichts leerer Taschen keine andere Wahl, als durch eine Geldheirat seinen Stammsitz zu erhalten und gute Pferde in den Stall zu bekommen.“

„Trotzdem sollte man sich nicht unter Niveau verkaufen“, sagte der Marquis kalt. „Ist euch klar, daß dieser Markham die Tochter eines Krämers geheiratet hat?“

Eisige Verachtung klang aus seiner Stimme.

„Vielleicht hatte er keine andere Wahl“, warf jemand ein.

„Unsinn!“ sagte der Marquis. „Markham stammt aus einer angesehenen alten Familie, und Gott sei Dank haben blaues Blut und ein ehrwürdiger Adelstitel immer noch einen hohen Stellenwert auf dem Heiratsmarkt. Er war ein Narr, und das werde ich ihm bei nächstbester Gelegenheit ins Gesicht sagen.“

„Zu spät, Ardsley“, sagte der Lebemann. „Er ist verheiratet, und es wird uns allen ein Vergnügen sein, an den Partys teilzunehmen, die Oliver in Zukunft geben wird. Ich persönlich mochte ihn immer schon sehr gern.“

„Und jetzt magst du ihn noch lieber, weil er es sich leisten kann, dich zu bewirten“, meinte einer spöttisch.

„Mich trifft genauso viel Schuld wie alle anderen“, erklärte der Marquis ernst. „Als uns klar wurde, daß Oliver dieser unmöglichen Person nachstieg, hätten wir mit allen Mitteln verhindern sollen, daß er sie auch noch heiratet.“

„Wie ich gehört habe“, meldete sich einer zu Wort, der bisher geschwiegen hatte, „ist sie bildhübsch und Markham unsterblich in sie verliebt.“

„Ihr mit eurer Liebe!“ rief der Marquis verächtlich aus. „Hört doch auf mit dieser unerträglichen Gefühlsduselei! Ich sage es euch klipp und klar: Für einen Mann, der auch nur einen Funken Verstand besitzt, spielt die Liebe bei einer Heirat die geringste Rolle.“

„Zum Beispiel für dich, wie?“ spottete der Lebemann.

„Sehr richtig“, erwiderte der Marquis. „Wenn ich einmal heirate, was erst in ferner Zukunft der Fall sein wird, dann muß es eine Frau sein, die mir ebenbürtig ist und dem hohen gesellschaftlichen Ansehen, das sie als meine Gemahlin genießt, nicht durch schlechte Manieren und niedrige Denkart Schande bereitet.“

„Bist du sicher, daß du sofort erkennst, welchem Stand sie angehört?“ fragte jemand.

„Wenn ich einen Vollblüter nicht auf Anhieb erkennen könnte, würde ich den Rennsport aufgeben“, erwiderte der Marquis scharf. „Und ich versichere dir, daß man bei einer Frau leichter erkennen kann, ob sie aus einem guten Stall kommt.“

Eine Weile herrschte Stille im Klubraum, dann fragte einer: „Du hältst dich also nicht nur für einen Experten für Rassepferde, Ardsley, sondern auch für Rassefrauen, wie? Und du behauptest, auf Anhieb erkennen zu können, ob jemand edler Herkunft ist oder nicht?“

„Selbstverständlich“, erwiderte der Marquis überzeugt. „Eine Frau kann noch so hübsch und charmant sein, sie kann eine noch so blendende Schauspielerin sein, mich kann sie bestimmt nicht täuschen. Niemals!“

„Am liebsten würde ich mit dir wetten, daß du dich doch täuschen kannst“, sagte der Lebemann seufzend, „aber ich habe das unbehagliche Gefühl, es wäre hinausgeworfenes Geld. Deshalb verzichte ich lieber auf einen Eintrag ins Wettregister.“

Das Wettregister war eine der berühmtesten Einrichtungen im White’s Club. Seit 1743 schlossen Klubmitglieder die kuriosesten Wetten ab und trugen sie in ein Buch ein, das an einem sicheren Ort im Klub aufbewahrt wurde. Kein Klubmitglied hätte gewagt, gegen darin eingegangene Verpflichtungen zu verstoßen. Die meisten der abgeschlossenen Wetten waren ziemlich frivol.

So waren Geburten und Eheschließungen als Wettgegenstand mindestens ebenso beliebt wie Todesvorhersagen. „Würde Lord E. seiner Pflicht genügen und Lady B.s Tochter heiraten?“ - „Erwartete Lady C. Nachwuchs?“

Im Jahre 1757 hatte zum Beispiel Lord Eglington gewettet, er werde einen Mann finden, der zwanzig Schnepfen mit dreiundzwanzig Schüssen erlegen konnte. Und während des Krieges gegen Frankreich wurden über den Ausgang von Wellingtons Schlachten zahlreiche Wetten abgeschlossen. Die meisten Klubmitglieder wetteten, Napoleon sei unbesiegbar, und verloren so eine Menge Geld.

Als der Gesprächspartner des Marquis das Wettregister erwähnte, sahen Charles Frodham und Jimmy Overton sich vielsagend an und dachten beide das gleiche. Unauffällig entfernten sie sich von ihrem Lauschposten und zogen sich in einen entlegenen Winkel des Klubraums zurück, um etwas zu trinken und ungestört miteinander reden zu können.

„Glaubst du, jemand würde mit uns wetten, daß er früher oder später doch getäuscht wird?“ fragte Charles Frodham aus seinen Gedanken heraus.

„Keine Chance“, erwiderte Jimmy Overton. „Vermutlich könnte ihn tatsächlich keine Frau täuschen.“

„Das glaube ich eben nicht“, widersprach Charles. „Frauen sind die geborenen Schauspielerinnen. Wenn wir eine finden, die außerhalb der Bühne so gut ist wie Madame Vestris auf der Bühne, könnte sie es schaffen, ihn zum Narren zu halten.“

„Das möchte ich zu gern erleben!“ stieß Jimmy hervor. „Er geht mir auf die Nerven mit seiner verdammten Selbstgefälligkeit. Leider hat er tatsächlich eine Spürnase wie ein Jagdhund und würde eine Betrügerin entlarven, bevor sie überhaupt den Mund aufgemacht hat.“

„Du redest schon wie er!“ fuhr Charles den Freund wütend an. „Um dich und ihn jedoch Lügen zu strafen, werde ich irgendwo eine Frau auftreiben, der Ardsley nicht anmerkt, daß sie nicht zur crème de la crème gehört, sagen wir, innerhalb von drei Tagen nach der ersten Begegnung. Ich wette mit dir um hundert Pfund.“

„Die Wette gilt!“ erklärte Jimmy sich einverstanden. „Aber du mußt dich genau an die Spielregeln halten!“

„Das müßte ich dir raten“, entgegnete Charles empört. „Dir wäre zuzutrauen, daß du Ardsley heimlich einen Tip gibst, um deine hundert Pfund zu retten!“

„Willst du mich beleidigen?“ brauste Jimmy auf. „Noch ein Wort, und ich fordere dich zum Duell!“

„Dazu wird es genauso wenig kommen wie zu Ardsleys Eingeständnis, von uns Lügen gestraft worden zu sein“, bemerkte Charles.

„Aber ein Riesenspaß wäre es doch, ihn aufs Kreuz zu legen.“

„Ich kann Ardsley nicht ausstehen“, bekannte Charles. „Immer bricht er den Stab über alle Frauen und verdirbt uns teilweise auch den Spaß an ihnen, was sicherlich sogar seine erklärte Absicht ist.“

„Ich habe Ardsley auch nie gemocht“, erwiderte sein Freund. „Allerdings muß man ihm zugestehen, ein großer Pferdekenner und Sportsmann zu sein. Seine Pferde sind besser als die aller anderen.“

„Und seine Frauen sind auch immer eine Klasse für sich“, mußte Charles zugeben. „Um die Wahrheit zu sagen, ich verzeihe ihm nie, daß er mir Clarice ausgespannt hat.“

„Das kann ich verstehen“, sagte Jimmy mitfühlend. „Sie war

reizend. Das hübscheste Püppchen, das du jemals in deiner Sammlung hattest.“

„Nicht lange, dank Ardsley!“ entgegnete Charles bitter. „Deshalb brenne ich drauf, es ihm irgendwie heimzuzahlen. Wenn ich eine zweite Clarice auftreiben und ihn davon überzeugen könnte, daß sie ebenso blaublütig ist wie er, müßte er sich geschlagen geben und würde wie ein verdammter Narr aussehen, wenn wir ihm verraten, daß sie direkt aus der Gosse stammt.“

Jimmy warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. „Wirklich, Charles, du mußt verrückt sein, wenn du dir das einbildest! Du weißt genauso gut wie ich, daß jede Frau, die es an Liebreiz und Charme mit Clarice aufnehmen könnte, von unseren Damen der Gesellschaft niemals zu Partys eingeladen würde. Ardsley bildet sich vielleicht ein, jederzeit eine Hochstaplerin zu durchschauen, aber keiner ist so scharfsichtig wie andere Frauen, wenn es gilt, eine hübsche Rivalin als nicht standesgemäß zu entlarven.“

„Da hast du allerdings recht“, gab Charles zu. „Meine Großmutter hat ein Gespür dafür, woher jede Debütantin stammt, und nimmt sie genau unter die Lupe, bevor sie mir jemanden als geeignete Braut zuführt.“

„Du bist zu bedauern! Deine Großmutter jagt mir Angst ein. Wie hast du es nur geschafft, dich trotzdem so lange um eine feste Bindung zu drücken?“

„War gar nicht immer so einfach“, gab Charles zu, „und eines Tages wird es mich doch noch erwischen.“

Eine Weile schwiegen die beiden Freunde, dann sagte Jimmy: „Wie wär’s jetzt mit einem Lunch? Vergessen wir am besten das leidige Thema!“

„Keineswegs!“ widersprach Charles heftig. „Ich lasse das Wettbuch kommen und werde unsere Wette eintragen.“

„Erwähne nicht Ardsleys Namen!“

„Nein, natürlich nicht“, entgegnete Charles. „So schwachsinnig bin ich nicht.“

Er hob den Arm, und sofort eilte ein Klubdiener herbei.

„Das Wettbuch!“

„Sehr wohl, Mylord.“

Das ledergebundene Buch wurde gebracht und aufgeschlagen vor Charles Frodham hingelegt, dazu ein Tintenfaß und ein Federkiel.

„Charles überlegte einen Augenblick, bevor er folgende Eintragung machte:

1. Mai 1818

Lord Frodham wettet mit Sir James Overton, daß er einen gewissen Edelmann drei Tage lang täuschen wird, ohne daß es diesem bewußt wird.

„Ist das zweideutig genug?“ fragte Charles den Freund.

„Es wird jeden, der es liest, verdammt neugierig machen“, erwiderte Jimmy.

„Da haben sie was, worüber sie sich den Kopf zerbrechen können“, bemerkte Charles grinsend. „Laß uns jetzt hinauf in die Kaffeebar gehen.“

Er legte die Feder nieder, und der Diener brachte das Buch weg. Dann bahnten sich die beiden Freunde einen Weg durch den überfüllten Klubraum.

An der Tür angelangt, wurden sie von hinten angesprochen.

„Frodham! Overton! Euch beide habe ich gesucht. Ich veranstalte wieder eine Steeplechase und möchte euch beide einladen, daran teilzunehmen. “

Die Augen der beiden jungen Männer leuchteten auf.

Die Hindernisrennen des Marquis waren nicht nur wegen der gepflegten und heiteren Atmosphäre, in der sie stattfanden, sehr beliebt, sondern vor allem wegen der in Ardsley Hall anschließend veranstalteten glänzenden Feste. Eine Einladung dazu war begehrter als ein Empfang in Carlton House oder im Königlichen Pavillon in Brighton.

„Wir bedanken uns sehr herzlich“, sagte Charles Frodham, bevor sein Freund sich äußern konnte. „Jimmy und ich freuen uns schon darauf.“

„Schickt eure Pferde am besten voraus“, bemerkte der Marquis beiläufig, „damit sie sich vor dem großen Ereignis ausruhen können. Ich erwarte euch beide am Donnerstagabend. Das Rennen findet am Samstag statt, und ich rechne mit einer Menge Teilnehmer.“

„Davon bin ich überzeugt“, sagte Charles. „Ich habe ein neues Pferd, das vielleicht Eurer Lordschaft den Sieg streitig machen könnte.“

Der Marquis lachte. „Du kannst es ja versuchen, aber ich wäre äußerst ungehalten, wenn meine neueste Errungenschaft, die ich noch nicht auf die Probe gestellt habe, nicht als Sieger hervorgeht.“

Mit diesen Worten entfernte er sich, selbstsicher und überlegen, wie es seine Art war, die ihm den Respekt seiner Zeitgenossen einbrachte, ob sie es nun zugeben mochten oder nicht.

In der Kaffeebar nahmen die beiden Freunde einen Fensterplatz ein, wo sie ungestört waren.

„Rechnest du dir tatsächlich eine Chance aus, den Marquis zu schlagen?“ fragte Jimmy.

„Das habe ich nur gesagt, um ihn ein bißchen zu ärgern“, gab Charles zu. „Vermutlich wird er auch dieses Jahr wieder gewinnen.“

„Ist das nicht verrückt!“ rief Jimmy aus. „Ich weiß, daß meine Pferde keine Chance gegen seine haben, und werde trotzdem einen Heidenspaß an der Steeplechase und der Party haben. Möchte wissen, wen er sonst noch eingeladen hat!“

„Schönheiten in Hülle und Fülle“, sagte Charles überzeugt.

„Gestern abend erzählte man mir, der Marquis habe in Richmond House mehrmals mit Lady Beris getanzt“, berichtete Jimmy. „Und der Herzog lebt schon in dem Wahn, er könnte sein zukünftiger Schwiegersohn sein.“

Charles lachte. „Keine Chance. Er soll die meiste Zeit mit seiner neuen Flamme, Lady Sinclair, verbringen. Lange wird auch die ihn nicht halten können.“

„Die Gräfin Martindale ist eine der hübschesten Frauen, die mir je begegnet sind“, warf Jimmy ein, „trotzdem ließ Ardsley sie bereits nach einem Monat fallen. Woher willst du dein Gossenkind nehmen, das es mit einer solchen Konkurrenz aufnehmen kann?“

„Ich werde sie finden“, sagte Charles überzeugt, „aber bestimmt nicht in der Gosse. Ich dachte eher an eine Schauspielerin.“

„Das kostet dich einen schönen Batzen Geld.“

„Deine hundert Pfund reichen mir zur Kostendeckung!“

„Bei keiner Wette war ich mir so sicher wie bei dieser, daß ich gewinnen werde“, entgegnete Jimmy herausfordernd.

„Es wäre nur zu gerecht, wenn er auch einmal eine Niederlage einstecken müßte“, sagte Charles mehr zu sich selbst.

Sein Stirnrunzeln verriet Jimmy, daß er noch immer nicht verwunden hatte, auf welch lässige, unbekümmerte Art der Marquis ihm Clarice abspenstig gemacht hatte. Ausgerechnet ihm, Charles Frodham, mußte das passieren.

Er sah gut aus, war wohlhabend und besaß einen hübschen, wenn auch nicht sonderlich großen Landsitz in Huntingdonshire, und er war es gewohnt, daß die Schönen ihm nachliefen und ehrgeizige Mütter heiratsfähiger Töchter um seine Gunst buhlten.

Er hatte allen Grund, stolz auf sich zu sein, aber er machte sich nichts vor. Der Marquis von Ardsley stellte ihn weit in den Schatten.

Jimmy Overton hatte keinerlei Ehrgeiz und war zufrieden mit seinem Dasein. Sein Vermögen reichte immerhin, um sich in London vergnügen zu können und den entzückenden Landsitz aus dem 17. Jahrhundert, den er in Essex besaß, instand zu halten.

Da seine Mutter sich sehr umsichtig um das Herrenhaus kümmerte und noch keine Neigung zeigte, sich aufs Altenteil zurückzuziehen, würde er auch nicht so gedrängt wie sein Freund, seßhaft zu werden und zu heiraten.

Seine Absicht war es, sich noch viele Jahre zu vergnügen und seine Freiheit zu genießen, bevor er eine Frau, und wenn sie noch so attraktiv und geeignet war, zu seiner Gemahlin machte.

Weil er und Charles seit Eton und Oxford eng befreundet waren, gingen sie gemeinsam ihren Vergnügungen nach und wurden nicht nur von den hochgestellten Damen der Gesellschaft zu jedem Ball, jedem Empfang oder anderen Zusammenkünften eingeladen, sondern auch von den Damen in den „Freudenhäusern“ und den Tanzhallen mit offenen Armen aufgenommen.

Jimmy wußte, daß Charles’ Stolz zutiefst verletzt worden war, als der Marquis ihm genau zu dem Zeitpunkt Clarice ausgespannt hatte, als er in Erwägung zog, ihr ein kleines Haus in Chelsea einzurichten und sie unter seinen persönlichen Schutz zu stellen.

„Woran denkst du?“ fragte Jimmy den Freund.

„Welche Genugtuung ich empfinden werde, wenn Ardsley eine Niederlage einstecken muß.“

„Vorher müßtest du allerdings dieses Wunderwesen finden, von dessen Existenz ich erhebliche Zweifel habe“, gab Jimmy zu bedenken.

„Ich lege ihn aufs Kreuz, und wenn es das letzte ist, was ich tue!“ entgegnete Charles angriffslustig.

Jimmy lachte. „Ich würde gern fünftausend Pfund springen lassen, nur um Ardsley einmal auf die Knie zu zwingen, obwohl er mir im Grunde nie etwas getan hat.“

„Es ist unerträglich, wenn einer sich wie ein Gott aufspielt!“

„Kein schlechter Vergleich“, mußte Jimmy zugeben. „Er gleicht jenem Gott, von dem sie uns in Oxford erzählt haben, der tagsüber mit seinem Streitwagen am Himmel entlangjagt.“

„Apollo meinst du? Als wir in Rom waren, haben wir eine Statue von ihm gesehen. Ardsley gleicht ihm tatsächlich.“

„Dann haben wir ja die Antwort“, bemerkte Jimmy. „Er ist der göttliche Apollo, und wir sind ganz gewöhnliche Erdenwürmer.“

„Wenn meine Kenntnis der Mythologie mich nicht täuscht, waren selbst Götter für Frauenschönheit höchst empfänglich“, warf Charles ein, „aber ich habe das dumpfe Gefühl, daß es die männlichen Götter waren, die sich verkleideten oder andere Gestalt annahmen, um eine Eroberung zu machen, nicht die Göttinnen. “

„Meinetwegen kannst du die ganze griechische - oder war es die römische? - Götterlehre auf den Kopf stellen, wenn es dir in den Kram paßt“, erklärte Jimmy. „Ob Apollo oder nicht, ich habe jetzt Hunger.“

Eine Woche später brachen Lord Frodham und Sir James Overton zu ihrer Landpartie nach Ardsley Hall auf.

Ihre Pferde waren zwei Tage zuvor von ihren Stallburschen hingebracht worden, die Anweisung hatten, dafür zu sorgen, daß die Tiere am Samstag zur Steeplechase in bester Form waren.

Außer seiner Sorge um die Pferde kümmerte sich Charles die meiste Zeit um die Suche nach einer jungen Schauspielerin, die dem Marquis vortäuschen sollte, ebenso blaublütig zu sein, wie er es war.

„Wenn du ihr einen Phantasienamen gibst“, sagte Jimmy, „mußt du sorgfältig darauf achten, daß du einen wählst, der beim Marquis keinen Verdacht erregt. Er kennt ganz sicher den Stammbaum jeder adligen Familie des Landes.“

„Das soll unsere geringste Sorge sein“, sagte Charles am dritten Tag seiner erfolglosen Suche in Theatern, Tanzhallen und selbst in „Freudenhäusern“.

Einige Male hatte er ein Gesicht entdeckt, das so anziehend und hübsch war, daß er geglaubt hatte, seine Suche sei zu Ende. Die fragliche Schönheit brauchte jedoch nur den Mund aufzumachen, um ihn davon zu überzeugen, daß ein so scharfsinniger Beobachter wie der Marquis sich nicht täuschen lassen würde.

„Natürlich müssen wir damit rechnen, daß sie sprachliche Mängel aufweist“, gestand Charles ein. „Deshalb wäre es vielleicht einfacher mit einer Ausländerin.“

„Ich habe mir wiederholt sagen lassen, daß der Marquis sehr gut in Fremdsprachen ist“, entgegnete Jimmy. „Er soll Hawkesley vom Außenministerium schon bei verschiedenen Gelegenheiten ausgeholfen haben.“

Charles preßte die Lippen zusammen, äußerte sich aber nicht dazu. Sie setzten ihre Suche nach dem Wunderwesen fort, das Jimmys Auffassung nach nirgendwo zu finden sein würde. Trotzdem machte ihm die Jagd nach einem geeigneten weiblichen Objekt großen Spaß. Mit seinem Freund hatte er allerdings Mitleid, und das bekundete er ihm auch, als sie in flotter Fahrt mit Charles’ Kutsche ihrem Ziel zustrebten.

„Ich hätte darauf bestehen müssen, unsere Wette zeitlich zu begrenzen, sonst verbringen wir noch den ganzen Sommer mit der Suche nach etwas Unmöglichem, in deren Verlauf du immer mißmutiger wirst.“

„Ich bin nicht mißmutig“, widersprach Charles, „und ich habe die Hoffnung keineswegs aufgegeben. Allerdings bin ich zu dem Schluß gekommen, daß wir an den falschen Orten gesucht haben.“

„Was meinst du damit?“

„Die Art Frau, die uns vorschwebt, werden wir eher auf dem Lande als in London finden. Du weißt genauso gut wie ich, daß jedes einigermaßen hübsche Mädchen weggeschnappt wird, sobald es einen Fuß in eines der überfüllten Vergnügungsetablissements setzt. Und wenn es sich um eine Bühnendarstellerin handelt, dann würde ihre Garderobe sofort von Verehrern gestürmt.“

„Diese Überlegung hat etwas für sich“, erwiderte Jimmy. „Als Jüngling habe ich für die bildhübsche Tochter unseres Dorfpfarrers geschwärmt.“

Charles, der bisher starr geradeaus geblickt hatte, wandte sich dem Freund zu.

„Wo ist sie jetzt?“

„Verheiratet und hat viele Kinder“, erwiderte Jimmy lachend. „Warum, zum Teufel, erwähnst du sie dann überhaupt?“

„Weil ich deiner Überlegung, hübsche Mädchen gäbe es nicht nur in London, beipflichte.“

„Es bleibt aber das Traumziel jeder Provinzschönheit.“

„Dann brauchst du nichts weiter zu tun, als sie abzufangen, bevor sie ihr Ziel erreicht haben.“

„Du machst dich lustig über mich“, sagte Charles verdrossen, „und bist so verdammt sicher, mir meine hundert Pfund abknöpfen zu können, daß du bald genauso übel bist wie Ardsley.“

„Ich möchte ihn auch von seinem Podest stürzen!“ beteuerte Jimmy. „Das hält mich aber nicht davon ab, die exzellenten Speisen zu genießen, die er uns servieren läßt, wenn wir in seinem komfortablen Herrenhaus Einzug gehalten haben, und ihm zu applaudieren, wenn er das Hindernisrennen gewinnt.“

„Ein Wort noch“, drohte Charles, „und du fliegst aus der Kutsche und kannst zu Fuß gehen!“

„In den neuen Schaftstiefeln?“ rief Jimmy in komischem Entsetzen aus. „Um Himmels willen, Charles, das wäre schlimmer als die Chinesische Folter.“

Sie lachten beide und setzten die Fahrt fort.

Die Sonne, die seit Tagesanbruch nur zögernd geschienen hatte, war jetzt hinter dunklen Wolken verschwunden.

Nach einem Mittagsmahl in einem gepflegten Landgasthof, wo Charles sein Gespann gegen vier prächtige Braune ausgetauscht hatte, war der Himmel bedeckt und Donnergrollen in der Ferne zu hören.

„Verdammt!“ sagte Charles nervös. „Wir werden naß werden. Ich hätte meine schnellste Kalesche nehmen sollen, die mit einem Verdeck ausgestattet ist.“

„Es wäre höchst unangenehm, naß wie eine gebadete Maus anzukommen“, überlegte Jimmy. „Wenn der Marquis an unserer Stelle wäre, würde es ihm bestimmt gelingen, die Elemente zu bändigen.“

„Wir haben noch eine gute Stunde Fahrt vor uns, das schaffen wir nicht“, erkannte Charles.

Ardsley Hall befand sich in Hampshire, und erst in diesem Augenblick erkannte Charles, daß sie früher hätten starten müssen, um ihr Ziel vor Ausbruch des Gewitters zu erreichen.

Ein greller Blitz: zuckte auf und machte die Pferde scheu. Wenn das Gewitter näher kam und heftiger wurde, würde es schwierig sein zu verhindern, daß die relativ jungen Pferde durchgingen.

„Eine halbe Meile von hier gibt es einen Rasthof“, erinnerte sich Charles. „Ich war noch nie da und vermute, daß es ein ziemlich finsterer Schuppen ist, aber es wäre trotzdem ratsam, sich dort unterzustellen, bis das Gewitter vorüber ist.“

„Ein vernünftiger Vorschlag“, sagte Jimmy erleichtert. „Bei Gewittern wie diesem hat es schon die scheußlichsten Unfälle gegeben.“

Ganz in der Nähe zuckte ein Blitz auf, gefolgt von krachendem Donnerschlag, und Jimmy war heilfroh, als Charles das Vierergespann auf einen Hof lenkte, der zu einem freundlich aussehenden, schwarzweißen Gasthof gehörte.

Der livrierte Herrenkutscher stieg vom Rücksitz und brüllte dem herbeieilenden Stallburschen einige Befehle zu.

Charles ließ die Zügel fallen und stieg aus dem Phaeton. Jimmy folgte seinem Beispiel.

Sie betraten den niedrigen Gasthof. Ein dicker Mann, offensichtlich der Wirt, kam auf sie zugelaufen und wischte sich dabei die Hände an der Schürze ab.

„Seien Sie mir willkommen, Gentlemen!“ dienerte er.

„Ich bin Lord Frodham“, stellte Charles sich vor, „und möchte zusammen mit meinem Freund für die Dauer des Gewitters Unterschlupf suchen. Sicher haben Sie einen privaten Raum?“

„Ich fürchte, Mylord, er ist sehr klein und bescheiden“, erwiderte der Wirt.

Er führte sie durch einen geräumigen Schankraum, in dem ein Kaminfeuer prasselte, zu einer offenbar nachträglich eingebauten Holzwand, die nicht zur übrigen Einrichtung paßte.

Der Aufenthaltsraum war tatsächlich winzig, hatte aber ebenfalls einen Kamin und eine kleine Sitzgruppe, wo vornehme Gäste ihre Mahlzeiten einnehmen konnten, ohne mit dem gewöhnlichen Volk in Berührung zu kommen.

Der dicke Wirt zündete das Kaminfeuer an, und Charles gab seine Bestellung auf: „Bringen Sie uns eine Flasche Ihres besten roten Bordeaux. Champagner haben Sie vermutlich nicht, oder?“

„Ich fürchte, nein, Mylord“, erwiderte der Wirt, „aber mein Bordeaux ist gut, und der Brandy aus Frankreich ist auch sehr zu empfehlen.“

Die Art, wie er das sagte, ließ vermuten, daß die Flaschen über den Ärmelkanal geschmuggelt worden waren.