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Almuth träumte ihr Leben lang davon, um die Welt zu segeln. Bis zu ihrer Pensionierung hatte sie allerdings noch nie einen Fuß auf ein Segelboot gesetzt. Als sie den passionierten Segler Edi traf, sprang sie ins "kalte Wasser" und folgte ihm auf sein Boot. So kam es, dass sich eine segelunerfahrene Landratte zusammen mit einem ihr unbekannten, brummigen Skipper auf eine Reise über die Weltmeere begab, die ihr Leben veränderte und ihr ganz neue Welten eröffnete. Almuths lebendige Reiseerzählungen – ergänzt durch ihre originellen Zeichnungen und historische Fakten – gewähren vielfältige Einblicke in das Leben zweier nautischer Weltenbummler: von den alltäglichen Herausforderungen an Bord über unvergessliche Begegnungen in fremden Kulturen bis hin zu Abenteuern in faszinierender Natur.
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Seitenzahl: 638
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99146-591-1
ISBN e-book: 978-3-99146-592-8
Lektorat: Melanie Gunz
Umschlag- & Innenabbildungen: Almuth Keck
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Zitat
NAVIGARE NECESSE EST,
VIVERE NON EST NECESSE.1
Pompeius Magnus, 56 v. Chr.
1 Seefahrt tut not, leben nicht.
Zur Entstehung dieses Buches
Von Beginn unserer gemeinsamen Reise an verfassten Edi und ich immer wieder kleine Berichte über unsere Reiseabschnitte, die ich mit meinen Zeichnungen illustrierte. Wir versandten diese Berichte an Familie und Freunde, zeigten sie interessierten Menschen, die wir trafen, gaben Interviews und mit der Zeit wurden auch so einige Texte in Zeitschriften veröffentlicht.
Nicht im Traum wäre ich auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben. Doch je mehr Menschen unsere Berichte lasen, unsere Interviews hörten und meine Zeichnungen sahen, desto öfter wurde ich aufgefordert: „Mach doch da ein Buch draus!“
Bekanntlich höhlt steter Tropfen den Stein, und so begann ein Abenteuer, das ganz anders war als meine zahlreichen Reiseerlebnisse. Das Ergebnis dieses Abenteuers halten Sie nun in den Händen, und ich hoffe, es bereitet Ihnen Freude.
Danksagung
Mein großer Dank geht an Kai Petra Stich, mit deren Hilfe ich das Manuskript meines Buches überarbeitete. Wie ich erhofft hatte, half sie mir sprachlich sehr weiter, hinterfragte Tätigkeiten, die mir als Seglerin derart alltäglich geworden waren, dass ich sie nicht mehr erwähnenswert fand und sie daher nicht beschrieben hatte, berichtigte allerlei Unstimmigkeiten und machte eben das, was man von einer guten Lektorin erwartet.
Womit ich jedoch gar nicht gerechnet hatte, war, dass sie mir half, dem Buch eine weitere Dimension zu verleihen. Zunächst hatte ich unsere Erlebnisse neutral beschrieben, interessante historische und andere Fakten mit eingebaut und meine Zeichnungen eingefügt. Das Ganze war im wahrsten Sinne des Wortes „gefühllos“, denn ich wollte auf gar keinen Fall irgendwelche meiner Gefühle im Buch preisgeben.
Nachdem Kai Petra mir verständlich gemacht hatte, dass ein Buch durch die Schilderung der eigenen Gefühle viel lebendiger und interessanter wird, begann für uns beide eine herausfordernde Aufgabe: Sie durfte mir mit viel Diplomatie und Engelsgeduld die Gefühle aus lange vergangenen Zeiten entlocken. Ich durfte in mir nach Gefühlen suchen, die mich meine Erlebnisse noch einmal auf eine ganz neue Weise nacherleben ließen. Dafür bin ich zutiefst dankbar.
Meiner Ansicht nach hat dieses Werk durch Kai Petras unermüdliche Arbeit viel gewonnen, und ich bin sehr froh, dass sie so viel Zeit, Diplomatie und Geduld aufgebracht hat, mit mir dieses Buch zur Veröffentlichung zu bringen.
Innigen Dank spreche ich meinem großartigen Partner Eduard (Edi) Keck aus, der während der inzwischen 25 Jahre gemeinsamen Lebens auf der SINGLE MALT vom Fremden erst zum geschätzten Segelkameraden, dann zum Lebenspartner und nach 24 Jahren auf See zu meinem Ehemann wurde.
Dank ihm konnte ich meinen Lebenstraum erfüllen, um die Welt zu segeln. Kaum jemand hätte mich Landratte für lange Fahrten an Bord genommen. Kaum jemand hätte mich an Bord behalten, nachdem ich übereifrig versuchte, alles besser zu machen und uns dadurch mehrfach in brenzlige Situationen brachte.
Doch Edi nahm mich nicht nur ohne viele Diskussionen an Bord, er vermittelte mir auch alles, worauf es beim Fahrtensegeln ankommt: was beim Leben an Bord zu beachten ist, wie man navigiert, und natürlich wie man segelt. Und er brachte mich mit seinen umfassenden Kenntnissen und seinem kühlen Kopf wohlbehalten durch alle Unbilden – seien es die des Wetters, des Meeres, der Behörden oder des Lebens allgemein.
Mit ihm als Vorbild lernte ich auch, über meine Grenzen hinauszuwachsen, in schwierigen Situationen durchzuhalten und einfach weiterzumachen, selbst wenn ich mich am Ende meiner Kräfte glaubte. Überwundene Missgeschicke beschrieb Edi später mit seinem feinen Humor, sodass wir schlussendlich darüber scherzen konnten.
Edis Interesse verdanken das Buch und ich zahllose Besuche geschichtsträchtiger Orte, die Verfolgung der Spuren alter Seefahrer, das Kennenlernen so zahlreicher Kulturen und Länder und noch so viel mehr. Ohne ihn hätte es dieses Buch nie gegeben.
Als es allerdings darum ging, tatsächlich ein Buch über unsere Erlebnisse zu schreiben, machte er mir unmissverständlich klar, dass er damit nichts zu tun haben wollte. Er hätte „Besseres“ zu tun. Umso dankbarer bin ich ihm für seine unermüdliche Unterstützung bei diesem Buchprojekt, das mir zur Herzensangelegenheit geworden war. Stunde um Stunde verbrachte er damit, mir geduldig zuzuhören, wie ich die Texte vorlas, mir Tipps zu geben, Dinge zu verbessern und Fehler auszumerzen. Und das, obwohl er bei meinen Schilderungen ja auch noch einiges abbekam!
Edi, du bist der wunderbarste Kamerad und Partner, den ich mir vorstellen kann. Vielen, vielen Dank, dass du da bist, mit mir durchs Leben gehst und mich selbst dann mehr als tatkräftig unterstützt, wenn ich – wie mit diesem Buch – auf „Abwegen“ wandle.
Teil I
Landratte trifft Seemann
März 1998
1. Zufällige Begegnung in Bern mit unabsehbaren Folgen
Einige Jahrzehnte arbeitete ich in einem Beruf, den ich mochte. Als man mir (und vielen anderen Kollegen) aus unternehmenstechnischen Gründen den Vorruhestand anbot, zweifelte ich lange, weil ich gerne arbeitete. Außerdem hatte ich gehört, man würde „in ein Loch fallen“, sich zu Tode langweilen und sich unnütz vorkommen.
Zudem lebte ich allein, was einen vorzeitigen Ruhestand unter diesen Gesichtspunkten noch bedrohlicher erscheinen ließ. Andererseits machten bereits länger bestehende Schmerzen, gegen die die Ärzte nichts tun konnten, ein Weiterarbeiten zur Qual, und ich hatte ja genügend Hobbys. So entschloss ich mich, das Angebot anzunehmen.
Meine gesundheitlichen Probleme nahm ich nicht einfach so hin. Da die westliche Medizin anscheinend ratlos war, ging ich zur Akupunktur, zum Heilpraktiker und zu einem Chiropraktiker, und machte trotz Schmerzen täglich meine Übungen – und siehe da: Nach einigen Jahren war ich schmerzfrei!
Unterdessen hielten mich viele Interessen beschäftigt – ich „litt“ unter einem gesunden Freizeitstress. Dennoch fehlte mir etwas. Mein Unternehmungsgeist erwachte, und ich wollte einfach mal raus aus meinem Alltag. Nun war ich schon Rentnerin, hatte alle Zeit der Welt und wollte diese nicht einfach so mit Alltäglichem „vertrödeln“. Ich entschied mich, nach und nach einige der europäischen Hauptstädte kennenzulernen. Einige hatte ich bereits besucht. Nun zog Bern meine Aufmerksamkeit auf sich, da die Stadt so gemütlich und bodenständig wirkte, gar nicht wie eine große Hauptstadt.
Anfang 1998 gab es das Internet mit all seinen Möglichkeiten noch nicht, weshalb ich mich allein durch Prospekte aus dem Reisebüro informierte. Ich entschied mich für die Reise nach Bern und reiste, um Hotelkosten zu sparen, mit dem Nachtzug.
Im März kam ich an einem Samstagmorgen, dem Markttag, in Bern an und deponierte meinen Koffer in einem Schließfach. Fröhlich schlenderte ich durch die Straßen mit den malerischen Lauben und über den Bundesplatz mit seinen bunten Marktständen.
Regnerisches, ungemütliches Wetter ließ mich bald ein Café aufsuchen. Dabei erinnerte ich mich an einen Rat meiner Mutter: Wenn man allein verreise und Gesellschaft haben wolle, reise man im Sommer an einen Strand oder im Winter in ein Skigebiet, wo man sich an den Sesselliften trifft, oder man suche ein voll besetztes Restaurant auf. Als Einzelperson würde man schon noch einen freien Platz finden und zwangsläufig mit den Tischnachbarn ins Gespräch kommen.
Ein winzig kleines Café, der „Batzen“, in das ich durch das große Fenster hineinschauen konnte, war gut besucht. Ich trat ein und fragte, ob der eine Stuhl hier noch frei sei. Die erfreuliche, wenn auch knappe Antwort war ein „Ja“, und so setzte ich mich und bestellte mir einen Cappuccino.
Wie erwartet gerieten mein Gegenüber und ich in ein Gespräch. Der Herr erzählte mir, er sei zwar aus Bern, halte sich jedoch meistens im Ausland auf, da er seit einigen Jahren auf seinem Segelboot lebte. „Ohhhh!“, horchte ich auf und erinnerte mich an meine Teenagerzeit, als es um meine Berufswahl ging und ich meinem Vater erzählte, dass ich zur See fahren wolle.
„Mit deiner Ausbildung“, hatte er sachlich erklärt, „kannst du nur als Stewardess gehen. Wenn jemand seekrank ist und sich übergibt, musst du das wegputzen!“ Brrr! Bei dieser Vorstellung ekelte ich mich, und mir war klar, dass ich das nicht wollte und schon gar nicht konnte. Damit schob ich diesen Berufswunsch in die hinterste Kammer meines Gedächtnisses. Doch jetzt hatte sich die Tür zu diesem Kämmerlein wieder geöffnet.
Im Laufe des Gesprächs erzählte mir der Herr, seine Frau sei vor einigen Jahren gestorben. Er zitierte Schuberts Lied: „Allein seyn ist öde, wer kann sich da freun!“ Sein Segelboot liege gegenwärtig in der Türkei, er würde in den nächsten Tagen dorthin fliegen und es bereit machen, um bald Segel zu setzen.
Schüchtern bekundete ich Interesse am Segeln. Als hätte ich einen Schalter umgelegt, schilderte der Herr mir wie umgewandelt in den schwärzesten Farben, dass, einmal unterwegs, erst sein Segelschiff, dann … sein Segelschiff, dann … wieder sein Segelboot das Wichtigste sei und erst irgendwann danach ich an die Reihe käme. Auch sei mit dem Segeln viel, viel Arbeit verbunden.
Und doch schien er an meiner Gesellschaft interessiert zu sein, denn wir tauschten unsere Interessen und Vorlieben aus: Wer isst gerne was; ob ich Fisch äße, viel oder wenig Fleisch, und ob ich rauchte. Schließlich kam die Frage auf, ob ich segeln könne. „Nein, hab ich noch nie gemacht!“, war meine ehrliche Antwort. Dennoch schien Edi (wir waren inzwischen per Du, denn unter Seglern duzt man sich) an meinem Kommen interessiert zu sein und gab mir die Adresse der Marina in der Türkei, in der sein Boot lag.
Am folgenden Tag unternahmen wir trotz regnerischen Wetters einen Spaziergang entlang der Aare. Dieser reißende Fluss erinnerte mich an die Drau, einen Fluss in Österreich, den man mit einer Seilfähre überqueren konnte, was mich damals sehr beeindruckt hatte. Ohne zu diesem Thema etwas zu sagen, wanderten wir weiter bis … wir eine derartige Seilfähre erreichten.
Edi läutete eine Glocke, um die Fähre zu rufen, und nach einer Weile erschien am anderen Ufer ein Fährmann, der in seinen Kahn stieg und sich zu uns herübertreiben ließ. Wir setzten über und fanden am anderen Ufer ein kleines Restaurant, das „Fähre Beizli“. Edi bemerkte, es sei soeben elf Uhr. Zu dieser Zeit nehme ein Berner einen Apéro; ob ich ihm dabei Gesellschaft leisten würde? Welch eine Frage! Gerne war ich für eine kleine Pause bereit und genoss mit ihm ein Dreierli Weißen – Weißwein serviert in einem kleinen Glaskrug.
Wir verbrachten noch eine schöne Zeit miteinander, doch bald schon nahte die Abfahrt meines Nachtzugs. Wir einigten uns, dass ich Edi bald in die Türkei folgen würde. „Es wäre gut, wenn du so bald wie möglich kämest, damit du siehst, welche Art Arbeit auf dich zukommt. Dann kannst du dich entscheiden, ob du wirklich mitwillst.“ Zufrieden mit meinem Erlebnis und der Aussicht, bald segeln zu gehen, fuhr ich zurück nach Bremen.
2. Auf ins Ungewisse
Nur meinem engsten Bekanntenkreis erzählte ich von meinem Vorhaben, und dass ich wahrscheinlich etwas länger weg sein würde. Einer dieser Bekannten fragte am Ende unseres Telefongesprächs empört: „Wenn deiner alten Mutter etwas passiert, bist du nicht da. Und wenn etwas mit deinem behinderten Bruder ist, kannst du nicht helfen! Hast du dir das wirklich gut überlegt?“
In der Tat kam ich mir plötzlich schlecht vor. An solche Notfälle hatte ich keine Gedanken verschwendet. Ich wollte keine schlechte Tochter sein, genauso wenig eine schlechte Schwester. Also rief ich Edi, der noch in der Schweiz weilte, umgehend an und sagte ab. Von ihm kamen nur knappe Reaktionen wie „Ja“ und „Hm, hm“. Keine Bemerkung, es sei schade, dass ich nicht käme, oder dass er sich gefreut hätte, Gesellschaft zu bekommen. So knapp? Das war schon etwas enttäuschend.
Bereits unmittelbar nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, war mir klar, dass es ein Fehler gewesen war, abzusagen. Viele Jahre hatte ich auf so eine Gelegenheit gewartet. Nun war sie zum Greifen nah, und ich hatte sie nicht angenommen! Ich Blödfrau! Doch nun konnte ich doch nicht wie eine Fahne im Wind sofort wieder anrufen und mein Gesagtes rückgängig machen. Was tun?
Ratlos besuchte ich meine Mutter und erzählte ihr bei einer Tasse Kaffee von meiner Reise am Wochenende in die Schweiz, meiner Begegnung mit dem Segler und der vertanen Gelegenheit, mit ihm segeln zu gehen. Nach kurzem Überlegen fragte sie mich: „Erinnerst du dich noch an unsere ausgiebigen Spaziergänge vor zehn Jahren am Werdersee entlang? Wir erreichten die Weser und – auf die Segel von kleinen Segelbooten weisend – hast du mir damals prophezeit: ‚Eines Tages werde ich mit einem Segelschiff um die Welt segeln!‘ Hast du das vergessen? – Du musst gehen!“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. Der Gedanke, eine schlechte Tochter oder Schwester zu sein, war wie weggeblasen.
Erleichtert und schnellstmöglich begab ich mich zum nächsten Reisebüro. Das konnte mir nur einen Flug bieten, der für mich viel zu teuer war. Daher klapperte ich alle Reisebüros in der Nähe ab und fragte nach einem Flug nach Izmir. Eine türkische Gesellschaft bot kurzfristig einen Flug an, der sogar zu meinem Geldbeutel passte, und den ich sofort buchte – nur den Hinflug, denn ich war mir sicher, für etwa zehn Jahre nichts mehr von der Heimat zu sehen, und stattdessen auf dem Meer und in fremden Landen zu weilen.
Edi war in der Zwischenzeit in die Türkei gereist und hatte mich vermutlich schon längst abgeschrieben, doch wir hatten vorsorglich unsere Adressen ausgetauscht. Also sandte ich ihm ein Telegramm in die Marina in Kuşadasi: „Abenteuerlust überwiegt, ankomme 20.03.1998, 23:55. Almuth.“ Bereits am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf von Edi, der mir sachlich mitteilte, er würde mich in Izmir vom Flughafen abholen.
Da ich mir noch keine Gedanken gemacht hatte, wie ich von Izmir wohl weiter nach Kuşadasi gelangen könnte, war ich froh über diese Lösung und flog bereits wenige Tage später in die Ungewissheit. Würden Edi und ich uns überhaupt verstehen? Wie ist wohl das Leben auf einem Segelboot? Ich erinnerte mich an Bilder, auf denen „Segler“ gemütlich im Cockpit zusammensaßen und etwas tranken.
In Izmir gelandet, wartete Edi wie versprochen auf mich, und ich erwartete eine normale und freundliche Begrüßung. Doch was hörte ich da? „Du bist zwei Stunden zu spät gelandet! Ich warte schon so lange in der Kälte, friere erbärmlich und muss zudem den Taxifahrer bezahlen!“
Erschrocken ob dieser vorwurfsvollen Worte, schaute ich mich nach einem Flugzeug um, das mich wieder zurückbringen würde. Nur schwarze Nacht – kein einziges Flugzeug weit und breit. Also wandte ich mich wieder Edi zu. Es hatte mir die Sprache verschlagen. Ich war ihm ausgeliefert.
Wie kam es zu dieser Situation? Das Flugzeug hatte eine Stunde Verspätung, und das Reisebüro hatte mir die Ankunftszeit in deutscher Zeit statt in der lokalen türkischen angegeben. Daher die zwei Stunden Unterschied. Nachdem Edi seinem Ärger Luft gemacht hatte, stellte er mir den Taxifahrer vor, der offenbar ein guter Bekannter von ihm war, und los ging die Fahrt nach Kuşadasi.
Während unserer Fahrt erzählte Edi mir, dass er mich in ein Hotel bringen würde, und dass am selben Tag – es war bereits etwa drei Uhr in der Früh – mit einigen Seglern ein Ausflug mit Besichtigungen und anderen Unternehmungen stattfinden würde. Ob ich Lust hätte, teilzunehmen. Kurz überlegte ich mir, dass ich schlafen könne, wenn ich tot sei, und sagte zu. Um vier Uhr früh kamen wir im Hotel an, und ich bezog mein Zimmer, während Edi weiter zu seinem Boot fuhr.
Die Nacht war sehr kurz. Nach kaum drei Stunden Schlaf war ich um acht Uhr für den Ausflug bereit. Wie eine Schlafwandlerin kam ich mir vor, während ich die vielen Segler begrüßte, die – anders als Edi – alle sehr freundlich waren und sich wegen meiner Übernächtigung mitfühlend zeigten. Es ging direkt los und ich erlebte einen wirklich interessanten Tag.
Wir besichtigten eine Seidenfabrik, in der gezeigt wurde, wie die Fäden von Seidenraupenkokons abgewickelt, zu einem soliden Faden gedreht und daraus Stoffe gewebt wurden. An einem anderen Ort wurden Seile nach alter Tradition hergestellt. Wir besuchten Antikes wie Säulen, Tempel und Theater, die etwa 500 vor Christus entstanden waren. Natürlich fehlte auch ein gutes Essen nicht. Zwischendurch bekam ich Deckelschnecken, d. h. mir fielen die Augen zu, aber man weckte mich für jede weitere Attraktion.
Am späten Nachmittag kehrte unsere Gruppe zurück nach Kuşadasi. Nach diesen vielen Besichtigungen und Gesprächen mit meinen Mitreisenden war ich todmüde und wollte nur noch schlafen. Doch meine Neugier siegte, und bevor ich endlich ins Bett fiel, wollte ich das Boot sehen, das wahrscheinlich für die nächste Zeit mein Zuhause werden würde.
3. Besichtigung der SINGLE MALT
Wenn von Booten oder Schiffen die Rede ist, wird in weiblicher Form von ihnen gesprochen. Die SINGLE MALT – so der Name dieser Schönheit, vor der ich mich nun befand – stand auf dem Trockenen, aufrecht gehalten von Holzstützen, weil an ihrem Rumpf Arbeiten zu erledigen waren. Der Teil des Rumpfes, der im Wasser liegt, muss bei Booten anders behandelt werden als der Teil über Wasser, und er hat meist auch eine andere Farbe. Solche Dinge sollte ich demnächst lernen.
Um an Bord zu gelangen, musste ich eine Leiter mit rund elf weit auseinanderliegenden Sprossen hochklettern. „Schaffe ich das überhaupt? Kann ich so hohe Sprossen erklimmen? Falle ich da auch nicht runter? Wird mir auch nicht schwindelig da oben? Falls ja, kann Edi mich auffangen? Er steigt ja hinter mir die Leiter hoch!“
Diese Fragen schossen mir durch den Kopf, als ich mich auf die Leiter wagte. Aus Angst zu fallen, packte ich fest zu, zog mich Stück für Stück von Sprosse zu Sprosse, gelangte tatsächlich nach oben und war schließlich vollkommen aus der Puste. Aber immerhin: Geschafft!
Nun war da noch eine Hürde: Die Reling, ein fester Handlauf, der um das ganze Boot ging, und über den ich auch noch steigen musste. Gerade schwang ich ein Bein hinüber, musste dabei höllisch aufpassen, nicht die Balance zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen, als ich in strengem Ton hörte: „Sofort die Schuhe ausziehen!“, noch bevor ich überhaupt das Deck berührte. Nein, auch das noch! Nun kostete es mich noch mehr Konzentration, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Ich gab keine gute Figur ab. Aber immerhin schaffte ich es, einen Schuh nach dem anderen auszuziehen und an Deck abzustellen, ohne in die Tiefe zu stürzen. Auf Socken stand ich endlich an Deck und kletterte schnell ins Cockpit, wo mich die Tiefe nicht so magisch anzog.
Das Cockpit interessierte mich wenig, da ich ja weder Ahnung von Instrumenten noch vom Segeln hatte. Außerdem war mir kalt, und so zog es mich in die windgeschützte Kabine. Vom Cockpit aus stieg ich zwei Stufen hinab ins Schiffsinnere, und Edi zeigte mir Haupt-, Vorder- und Achter- sowie die winzige WC-Kabine. Alles war recht klein, aber gemütlich.
Die Wände, der Tisch und die Schränke aus solidem Mahagoniholz waren auf Hochglanz poliert, die Abschlüsse der Wände mit erlesen geformten Holzleisten verschönert, altmodische Petroleumlampen hingen an den Wänden und die Decke war mit hellem, aufwändig punziertem Lederimitat beklebt – urgemütlich!
„Hier könnte ich mich wohlfühlen“, dachte ich erfreut. Schränke und Türen hatten keine Türklinken, wie ich sie kannte. Wunderschön glatt polierte, abgerundete Holzkeile musste man entsprechend drehen, um eine Tür zu blockieren. Wow, so etwas hatte ich noch nie gesehen!
Es war alles anders als in einem Haus. Die Gänge so eng, dass man nur knapp aneinander vorbeikam. Zwischen Haupt- und Vorderkabine befand sich ein Schott, also ein Durchgang, der bei Eindringen von Wasser ins Schiff mit einer Tür verschlossen werden kann, um so die Gefahr eines Untergangs zu vermindern. Um dort hindurchzugehen, musste ich mich leicht bücken (ich bin mit meinen 1,76 m recht groß geraten).
Hinter diesem Durchgang nach vorne (also Richtung Bug, wie ich später lernte) lag links ein kleiner Raum hinter einer weniger dickwandigen Tür, in dem ein Waschbecken und das WC untergebracht waren. Rechts, von der schweren Tür des Schotts verdeckt, befand sich ein Kleiderschrank. Noch einen Durchgang weiter lag die Vorderkabine, mit je einer Koje (Bett) links und rechts, und darüber kleine Schränke mit Schiebetüren; alles in wunderschönem, polierten Mahagoni-Holz.
Um in die Achterkabine (die hinterste im Schiff, auch Eignerkabine genannt) zu gelangen, musste ich mich auch ein wenig ducken und durch einen etwa 1,5 m langen Durchgang gehen. Dort befand sich an jeder Seitenwand eine Koje. Zwischen den Kojen war an der Rückwand eine sorgfältig gearbeitete Tischplatte mit zwei Scharnieren angebracht, die bei Bedarf heruntergeklappt werden konnte und dadurch einen Tisch zwischen den Kojen bildete. Alternativ konnte dort ein weiteres Bett eingefügt werden.
Ich staunte, wie praktisch so vieles eingerichtet war. Die kleine Küche und den Kartentisch beachtete ich noch gar nicht, da so viele neue Eindrücke auf mich einprasselten, dass ich gar nicht alles aufnehmen konnte. In der folgenden Zeit erst erkannte ich, wie klein die Küche war: Eigentlich konnte nur eine Person darin werkeln.
Gleich neben dem Niedergang (den beiden Stufen vom Cockpit ins Schiffsinnere hinab) gab es eine kleine Spüle. Daneben, quer zum Schiffsrumpf, eine Arbeitsfläche von etwa 60 cm x 60 cm, die mit Holzleisten umrandet war, damit bei Schräglage nichts hinunterfallen konnte. Unter dieser Arbeitsplatte befand sich der Kühlschrank, den man nur von oben öffnen konnte. Dementsprechend musste zum Öffnen des Kühlschrankes zunächst die Arbeitsplatte angehoben werden.
Eine weitere kleinere Arbeitsfläche befand sich neben der ersten in der Ecke, und im Anschluss daran, also um die Ecke und an der Bordwand, der Gasherd mit 3 Flammen. Huch, der bewegte sich ja! „Der gimbelt“, erklärte Edi mir. „Er ist also längs zum Schiff aufgehängt und schwingt bei Seegang vom Koch aus gesehen vor und zurück.“ Über der Herdplatte ließen sich mit dem Herd verbundene Stangen hin- und herschieben, um Töpfe einzuklemmen, damit sie nicht verrutschten oder vom Herd sprangen. Gleich neben der Küche wurde der Platz durch die Sitzecke begrenzt.
Ich war überwältigt von all dem Neuen und wusste nicht, ob es mir je gelänge, mich da einzuleben. Edi brachte mich zurück zum Hotel, wo ich völlig erledigt ins Bett fiel und traumlos schlief.
4. Aller Anfang ist schwer
Edi hatte mich eingeladen, am kommenden Morgen auszuschlafen und dann in die Werft zu kommen. Beim Erwachen sah ich vom Bett aus den geröteten Morgenhimmel, öffnete die Balkontüre, genoss den schönen Ausblick auf das Meer … und schlief wieder ein. Endlich wieder erwacht, genoss ich in aller Ruhe ein ausgiebiges Frühstück vom Buffet mit seiner reichhaltigen Auswahl an allem, was das Herz begehrte.
Derart gut gestärkt spazierte ich zur Marina, wo Edi schon mit Wasserstrahl und geeigneten Hilfsmitteln am unteren Teil des Rumpfes schmirgelte und mir fröhlich zurief, dass er bereits seit 6 Uhr an der Arbeit sei. Oho, dachte ich, braucht er so viel weniger Schlaf als ich? Ob ich doch wohl etwas früher hätte erscheinen sollen? Nun ja, daran konnte ich jetzt nichts mehr ändern.
Edi erteilte mir in den folgenden Tagen verschiedene Aufträge, so z. B. den Anker zu schmirgeln und zu streichen. Seinerseits wachste er in einem der nächsten Arbeitsgänge am Rumpf oberhalb der Wasserlinie immer wieder kleine Flächen ein, um sie danach auf Hochglanz zu polieren. Mir fiel die Aufgabe zu, mich als Handlanger zu bewähren und ihn auf ausgelassene, noch matte Stellen aufmerksam zu machen, wo er „Ferien“ gemacht hatte, wie er sagte.
Glücklicherweise waren mir Werkzeugbezeichnungen wie „Engländer“, „Schraubzwinge“, „Inbus-Schlüssel“ usw. geläufig, sodass ich mir recht nützlich vorkam. Andererseits ging es bei diesen Arbeiten sehr ernst zu. Kein Spaß, kein Lachen lockerte die Stimmung auf, und so schrieb ich einer Freundin, dass ich am liebsten wieder nach Hause reisen würde, jedoch entschlossen sei, mich erst nach dem ersten Segeltörn zu entscheiden, ob ich an Bord bleiben würde.
Mittwochs fand in der Innenstadt von Kuşadasi ein Markt statt. Für den Transport der Segler dorthin, stellte die Marina einen Traktor samt einem mit harten Bänken ausgestatteten Anhänger bereit. Nach einer abenteuerlichen Fahrt mit diesem „Marktexpress“ erreichten wir unser Einkaufsziel.
An zahlreichen Ständen wurden mannigfaltige Gemüse, Früchte und Blumen feilgeboten, ferner Gewürze, lebendes Geflügel, aber auch Köpfe und Innereien von Tieren lagen säuberlich in Reih und Glied zum Verkauf bereit. An weiteren Ständen gab es Gebäck und kleine Speisen, darunter eine Art Pfannkuchen.
Edi war offensichtlich selbst mit den seltsamsten Angeboten vertraut, feilschte sogar auf Türkisch mit den Händlern, kaufte wilden Spargel sowie Artischocken, die als ganze Pflanze mit vielen kleinen Knospen an den Zweigen verkauft wurden. „Kann man das alles essen? Und schmeckt das überhaupt gut?“, fragte ich mich.
Am Abend zeigte Edi mir, wie der wilde Spargel zurechtgemacht, „gerüstet“ wird, wie er dazu sagte. Gleiches geschah mit den Artischocken, einem Gemüse, das ich noch nie zuvor gegessen hatte. Er schnitt die harten Stellen entlang der Stiele ab und überließ mir die Feinarbeit, also die letzten harten Fasern abzuschneiden. Die Stiele sind nicht einfach nur essbar, sondern schmecken hervorragend.
Edi war zuständig für das Kochen und das Abwaschen; zu meinen Aufgaben gehörte das Rüsten, Abtrocknen und das Verpacken des Geschirrs in Stoffsäcke, damit es auf See nicht klapperte, und schließlich das Einräumen in die Schränke. Nach des Tages Müh begleitete er mich zum Hotel, wo ich mich müde in mein Zimmer begab und Edi sich in der Bar vor dem Rückweg zur Werft einen „Nightcap“ (zu Deutsch: Schlummertrunk) in Form eines Rakis oder ähnlichem genehmigte.
Nach etwa 14 Tagen war die SINGLE MALT bereit eingewassert zu werden. Ein Portalkran, wegen der Masten in U-Form gebaut, fuhr über das Boot. Zwei starke Gurte wurden um den Rumpf gelegt, strammgezogen, das Boot vorsichtig angehoben. Langsam rollte der Krahn mit seiner Fracht zu einem Becken mit ausreichender Breite. Vorsichtig wurde die SINGLE MALT, zunächst hoch über dem Wasser schwebend, abgesenkt, bis sie schwamm.
Edi und ich kletterten an Bord und fuhren zum Steg, wo uns einige Segler erwarteten, die uns beim Festmachen des Schiffes halfen. Nun stand mir der Sinn nach einem Kaffee im Cockpit, doch nein, zuerst mussten der Strom- und der Wasseranschluss am Schiff angebracht sowie weitere Arbeiten erledigt werden. So wurde es ohne einen Kaffee Abend, und wir machten uns ans Kochen.
Nach einem gemütlichen Abendessen informierte Edi mich, dass die Bugkabine für mich bereit sei und ich am nächsten Tag auf das Schiff umziehen könne. So geschah es, und fast wie in Trance zog ich in die Bugkabine ein; konnte keinen Gedanken fassen; wusste nicht, ob ich mich freuen sollte oder nicht. Die Ungewissheit übermannte mich, und ich konnte nur abwarten und weitermachen wie bisher, das Neue auf mich zukommen lassen und durch das Machen lernen, lernen, lernen.
5. Was tust Du eigentlich den ganzen Tag?
Edi war offenbar von Freunden gefragt worden: „Was tust du eigentlich den ganzen Tag?“ So schrieb er seinen Freunden einen Brief, in dem er von seinen Arbeiten an Bord erzählte. Darin erwähnte er elektrische und elektronische Geräte wie Autohelm, Autopilot, Koden und GPS, die für mich noch ein Buch mit sieben Siegeln waren. Er berichtete von neuen Ersatzteilen, die wieder und wieder nicht funktionierten, über ein neues Segel und nicht zuletzt über Probleme mit der Toilette.
Auch mir erzählte Edi bis in alle Einzelheiten von seinem Ärger und ließ währenddessen seinem Zorn freien Lauf, sodass ich mich fast schuldig fühlte und ganz still zuhörte. Edi behauptete, er müsse auf diese Weise seinen Ärger loswerden, es habe nichts mit mir zu tun.
Mit der Zeit würde ich die Funktionen der Geräte schon noch kennenlernen, aber vorerst schaute ich Edi und die Geräte wohl nicht gerade intelligent an. Obwohl Edi selbst sicher nicht darüber lachen konnte, musste ich bei der Schilderung seiner Gesundheit in einem seiner Briefe unfreiwillig schmunzeln:
Zitat:
„Im Prinzip geht es mir gut. Auch mein Handgelenk (Sportunfall in jungen Jahren) bereitet mir trotz der Arbeit am Schiff wenig Sorgen. Doch noch während sich das Schiff an Land befand, litt ich während zweier Wochen unter einer höchst unangenehmen Darmgrippe, die ich schlussendlich mit Antibiotika bekämpfen musste. Die Bordtoilette war nicht benutzbar, weil das Schiff auf dem Trockenen lag. Als wäre das noch nicht schlimm genug, sozusagen als Krönung meines Problems, wurden die WC-Anlagen in der Marina gerade umgebaut und Not-Toiletten aufgestellt, zu denen der Weg drei Mal so lang war wie vorher …“
Mein Schmunzeln wurde noch breiter, als ich weiterlas:
Zitat:
„Inzwischen bin ich auch in der Lage, bezüglich Maul- und Klauenseuche aus erster Hand zu berichten! Kürzlich erwachte ich mit einem fürchterlichen Schmerz: Hatte ich mir auf die Zunge gebissen? Der ganze Mund tat mir weh, als hätte ich mindestens 2,5 Liter kochendes Wasser getrunken. Um eine halbe Banane zu essen, brauchte ich zehn bis fünfzehn Minuten und hatte mir damit vorerst genügend Schmerzen angetan.
Es wurde nicht besser! Vor Schmerzen sah ich das Feuer im Elsass[Bedeutung: höllisch schmerzhaft; geht wahrscheinlich zurück auf den Krieg, als der Elsass bombardiert wurde und das Feuer bis in die Schweiz zu sehen war], weshalb ich den Rat einer bekannten Apothekerin suchte. Von ihr erhielt ich ein Mittel, mit dem ich regelmäßig den Mund einpinseln musste.
Dabei erinnerte ich mich an die Pythonschlange, die ich Peter [Anmerkung der Autorin: Edis einstiger Schulkamerad, der Biologielehrer wurde] einmal aus Ghana für seine Schule mitgebracht hatte. Dort lebte sie friedlich, bis sie plötzlich an Mundfäule erkrankte. Trotz intensiver Pflege durch die Schüler unter Peters kundiger Leitung ging sie ein.
Für mich befürchtete ich ein ähnliches Schicksal, besonders, als mein Mund zusätzlich zum Schmerz so zu brennen begann, als würde ich laufend Salzsäure trinken. Also suchte ich einen Arzt auf. Versorgt mit vielen Medikamenten, einem neuen Termin und einigen guten Ratschlägen (weder heiße noch kalte Speisen oder Getränke zu mir nehmen, keinen Alkohol trinken, nach dem Zähneputzen mit einem Medikament gurgeln), begab ich mich zurück auf mein Schiff.
Diese Ratschläge des Arztes waren eigentlich überflüssig, denn meine „Salzsäure“ war für mich schon genug. Für nichts in der Welt wäre ich mit einer Zahnbürste auch nur in die Nähe meines Mundes gelangt. Meine täglichen zwei halben Bananen genügten mir vollauf.
Einige Tage später hatte der Schmerz noch immer nicht nachgelassen. Daher ging ich erneut zu Dr. Mustafa, der mich daraufhin in ein Privatspital zu einem Spezialisten brachte. Heute, Sonntag, konnte ich bereits zwei (!) Bananen zu mir nehmen.
Meine Maul- und Klauenseuche, die ich nur solchen Personen zur Nachahmung empfehle, die unbedingt Gewicht verlieren wollen, scheint sich also langsam zu bessern. Deshalb schreibe ich jetzt. Das ist mehr, als ich in den letzten Tagen tun konnte. Meine Zähne sind durch das Pinseln und Gurgeln dunkler geworden, und ich hoffe, dass Ihr mich trotzdem eines Tages wiedererkennen werdet.“
Diese Art Humor hatte Edi bisher vor mir verborgen. Ob das an der Anspannung lag, das Boot für die Ausfahrt fertigzumachen? Mussten so viele Reparaturen ausgeführt oder Instrumente nachgerüstet werden? Das würde ich mit der Zeit schon noch herausfinden.
6. Vor Glück schweben
Während seines „Nightcaps“ ein paar Tage zuvor war Edi im Hotel an der Bar erzählt worden, dass an dem Abend, nachdem ich auf das Schiff umgezogen war, eine Veranstaltung für türkische Lehrerinnen stattfinden würde, unter anderem mit Bauchtanzeinlagen, und auch wir seien dazu eingeladen.
Wegen des regnerischen und kalten Wetters machten wir uns in dicker, warmer Kleidung auf den Weg dorthin. Die Frauen hießen uns willkommen und wiesen uns freundlich Plätze zu. Nach einigen Reden in türkischer Sprache begann der festliche Teil. Die Musik begann zu spielen, und eine junge Bauchtänzerin in hübschem Kostüm trat ein, sich im Rhythmus der Musik bewegend.
Ich war begeistert, so etwas erleben zu dürfen, zappelte vor Aufregung auf dem Stuhl hin und her und reckte meinen Hals, damit ich diese schöne Frau auch sah. Sie tanzte auf uns zu, und Edi schwitzte Blut und Wasser aus Angst, sie könnte ihn zum Tanz auffordern. Es sei üblich, einen ungelenken Gast zum Spaß des Publikums zum Mittanzen aufzufordern, und er könne doch überhaupt nicht tanzen, beichtete er mir später.
Die junge Dame forderte stattdessen mich auf, ihr zu den Musikern zu folgen. Dort schwenkte sie ihre Hüften, zeigte mir einige Figuren und ermunterte mich, diese nachzutanzen, was mir mühelos gelang. Nach einigen Übungen schien sie ratlos zu sein, und daher zeigte ich ihr eine weitere Figur. Die hübsche Bauchtänzerin legte erschrocken einen Finger an den Mund, hauchte ein entsetztes „Ohh“ und schwebte aus dem Saal.
Woher hätte sie auch wissen können, dass ich bereits Bauchtanzunterricht genommenund einige Auftritte in Gesellschaften hinter mir hatte? Ich war so aufgeregt vor Freude, dass ich in dem Moment gar nicht merkte, dass ich dieser Bauchtänzerin nicht nur die Schau gestohlen hatte, sondern auch die Einnahmen, denn es ist üblich, den Tänzerinnen Geldscheine zuzustecken, während sie tanzen. Heute tut es mir leid, so unüberlegt gehandelt zu haben.
Wiederholt wurde ich von den Lehrerinnen ermuntert, mit ihnen zu tanzen, was ich nur zu gerne tat. Am Ende des Abends wurde jeder der Frauen eine Rose übergeben, und zu meinem Erstaunen wurde auch ich nach vorne gebeten und erhielt eine Baccara-Rose. Glücklich über diese unerwartete Geste kehrte ich zu Edi zurück, der es sich nicht nehmen ließ, mir eine weitere Rose zu schenken. Ein Bekannter von Edi, der soeben in den Saal gekommen war, tat es ihm gleich. Mit drei Rosen kehrte ich vor Glück schwebend zur SINGLE MALT zurück.
7. Edi schenkt mir ein Bauchtanzkostüm
Eines Tages, nachdem wir unsere Einkäufe erledigt hatten, begann es heftig zu regnen, sodass wir bei Mehmed, einem Teppichhändler und gutem, alten Bekannten Edis, Unterschlupf suchten. Aus einem der Nachbargeschäfte ertönte zufällig Musik, und Edi ermunterte Mehmed, die Musiker zu uns in sein Geschäft zu bitten. Tatsächlich kamen sie und begannen zu musizieren.
Edi bedurfte keiner großen Überredungskunst, mich zum Tanzen zu veranlassen, und schon bald bewegte ich meine Hüften und Arme im Takt der Musik. Ein Passant, der dem Geschehen zugeschaut hatte, erkundigte sich bei Edi, ob ich Bauchtanzlehrerin sei. „Nein, nur begeisterte Tänzerin“, erwiderte er. Mehmed und Edi tuschelten miteinander, aber ihre Heimlichkeiten blieben mir verborgen.
Wenige Tage später suchten wir ein Geschäft für Bauchtanzkostüme auf, wo ich mir eine passende Ausstattung aussuchen durfte, die meinen Wünschen entsprechend angepasst und ergänzt wurde. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich zu meiner Überraschung, dass Mehmed drei Musiker für einen Abend in seine kleine Filiale in der Marina bestellt hatte und ich dort auftreten sollte. Das hatten die beiden also zu Tuscheln gehabt!
Besagter Abend kam, und wir fanden uns nach einem ausgiebigen Lammessen unter einer großen, 800 Jahre alten Platane in Mehmeds Laden ein. Einige potentielle Käufer sahen sich gerade Teppiche an, als die bestellten Musiker ins Geschäft kamen und zu spielen begannen.
Ich zog mein neues Bauchtanzkostüm mit glitzernden Pailletten an und begann zu tanzen – erst noch zaghaft, doch dann schaute ich in die Augen der Zuschauer und der Musiker, in denen ich Überraschung und Freude sah. Ein Funken der Begeisterung sprang von den Musikern und Gästen auf mich über. Edi lachte vor Freude, Mehmed klatschte im Takt in die Hände, sang ausgelassen zur Musik, und auch die türkischen Frauen schienen sich über die unverhoffte Darbietung zu freuen.
Nach einigen Tänzen bedeutete mir der Trommler, mich zurückzulehnen und auf den Boden zu gehen. Langsam, die Hüfte schwingend und mit charmanten Armbewegungen, ging ich auf die Knie und lehnte mich so weit zurück, dass meine Schultern den Boden berührten. Der Trommler legte sein Instrument auf meinen Bauch und trommelte wie verrückt.
Aus dieser Lage, auf Knien und Schultern liegend, war es nicht einfach, wieder hochzukommen und dabei eine gute Figur zu machen. Durch Wellenbewegungen mit den Armen versuchte ich, meine Schwerfälligkeit zu überspielen. Als ich wieder stand, steckten mir die Gäste Geldscheine zu, vorsichtig darauf achtend, meine Haut nicht mit ihren Händen zu berühren. Am Ende der Darstellung reichte ich das Geld an die Musiker weiter, die tagsüber anscheinend als Schuhputzer arbeiteten.
Nun, das war wirklich ein besonderes Erlebnis für mich, das ich wohl nie vergessen werde und das mich vor Freude fast platzen ließ. Dazu kam, dass ich Edi endlich einmal ausgelassen hatte lachen sehen, was mir zuvor noch nicht vergönnt war. Das machte ihn mir endlich mal richtig sympathisch.
8. Zusammenraufen
Meine Tage als Handlanger verliefen eintönig. Wenn wir uns überhaupt unterhielten, ging es nur um die notwendigen Dinge, und die Gespräche verliefen ausschließlich sachlich. Zwar war ich es durch meine Kindheit gewohnt, wenig Beachtung zu bekommen, weil mein behinderter Bruder sehr viel Aufmerksamkeit brauchte, aber diese Sachlichkeit und Nüchternheit von Edi, die er außer bei der Bauchtanzaufführung immer an den Tag legte, gefielen mir gar nicht. Ich fühlte mich wie ein funktionierendes Werkzeug.
So sollte das Seglerleben mit Edi sein? Immer mehr schlich sich Enttäuschung in meine Gefühle. Trotzdem nahm ich mir vor, die Zähne zusammenzubeißen und durchzuhalten, bis wir mindestens einmal gesegelt wären. Dann würde ich mich endgültig entscheiden, ob ich bliebe oder nach Hause flöge.
Da ich nun auf Edis Boot wohnte, waren wir fast die ganze Zeit zusammen. Während einiger Nachmittagsstunden besuchte Edi allein die mit ihm befreundeten Segler Ella und Helmut. Nach seiner Rückkehr entschuldigte er sich für seine lange Abwesenheit und berichtete von der Unterhaltung mit den beiden. Sie hätten ihn gefragt, ob er mir mitgeteilt habe, dass er über meine Gesellschaft an Bord froh sei, und dass er meine Mitarbeit schätze.
Das hatte er natürlich nicht, und deswegen fühlte ich mich wie ein Neutrum an Bord. Auf diese Weise erfuhr ich wenigstens, dass ich gern gesehen war. Damit hatte Edi mir seines Erachtens wohl genug gesagt, denn weiter äußerte er sich nicht dazu und wurde auch nicht gesprächiger. Das sollte erst viele Monate später passieren.
Unser Zusammenraufen erfolgte mit der Zeit, langsam und über lange Diskussionen. Zunächst einmal mussten wir lernen, uns zu verständigen, denn Hochdeutsch und Schweizerdeutsch sind zwei verschiedene Sprachen. Tatsächlich gibt es nicht einmal ein einheitliches Schweizerdeutsch. Stattdessen findet man verschiedene Arten von „Schweizerdeutsch“, z. B. Berndeutsch, Basler- und Züridütsch, so wie es in Deutschland ja auch Dialekte von Region zu Region gibt.
Edi sprach zwar immer Hochdeutsch mit mir, doch seine Aussprache des Hochdeutschen war natürlich unverkennbar mit der des Berndeutschen gefärbt, sodass ich lange dachte, Edi würde in seiner Heimatsprache mit mir reden.
Erst als ich ihn nach langer Zeit in der Schweiz besuchte und dort seinem Freundeskreis vorgestellt wurde, stellte ich fest, dass Berndeutsch wirklich eine ganz andere Sprache ist, die ich nicht verstand. Es dauerte lange, bis ich sie verstehen gelernt hatte, natürlich auch, weil wir selten und immer nur kurz in die Schweiz flogen. Zudem sind die Schweizer derart höflich, dass sie sofort in die Sprache des Gegenübers wechseln, sobald sie hören, dass dieser aus Deutschland oder Frankreich kommt.
Ein schönes Beispiel sowohl unserer sprachlichen als auch unserer sonstigen Verständigungsschwierigkeiten ist unser Verständnis des Wortes „Pfanne“: Für mich gab es die Bratpfanne, vielleicht noch die Bettpfanne. Edi nutzte dieses Wort nicht nur für Bratpfannen, sondern sagte auch Pfanne, wenn er einen Kochtopf meinte.
Außerdem teilte er mir mit, dass er bei dem Wort „Topf“ an Blumentopf, Nachttopf oder die Topfkollekte in der Kirche dachte. Sehr viel später erst fiel mir bei genauem Hinschauen ein schalkhaftes Blitzen in seinen Augen auf; so versteckt brachte er seinen Humor an.
Mit der Zeit lernte ich, besser zwischen ernsten und humorvollen Kommentaren Edis zu unterscheiden. Besonders in den ersten Jahren nahm ich jedoch viele der lustig gemeinten Kommentare ernst, weil ich sie einfach nicht als solche erkannte. Mehr als einmal hätte ich Edi ob seiner haarsträubenden Aussagen gern sitzen gelassen. Doch dazu später mehr.
Jedenfalls war und ist es noch heute ein wirkliches Problem für mich, wenn Edi mich bittet, eine Pfanne hervorzuholen. Es gab (und gibt) durchaus Momente, in denen ich mir dumm vorkam und nicht gerade vor Glück schwebte. Allerdings schmunzle ich heute über diese „Sorgen“.
Viele Jahre später wurden wir gefragt, wann wir uns denn – nach unseren anfänglichen Schwierigkeiten – endlich ineinander verliebt hätten. Gab es nicht ein plötzliches Erkennen der großen Liebe und ein Dahinschmelzen mit inniger Umarmung? Nein, das gab es nicht. Edi war froh, Gesellschaft zu haben; ich war froh, meinen Lebenstraum, das Segeln, zu verwirklichen und hatte damit zu tun, mich an das enge Bordleben zu gewöhnen, Edi näher kennenzulernen und Vertrauen zu ihm zu gewinnen.
Es dauerte einige Zeit, bis ich spürte, dass ich volles Vertrauen zu ihm haben und mich voll auf ihn verlassen konnte. Ich war tatsächlich sein Mittelpunkt (neben der SINGLE MALT natürlich)! Erst mit der Zeit erkannte ich, was für einen großartigen Kameraden ich an meiner Seite hatte, und welch breites Wissen in ihm steckte.
Immer wieder wunderte es mich, dass er nicht an erster Stelle stehen wollte, sondern mich vorschickte, um auszukundschaften, nachzufragen, ein- und auszuklarieren. Ein ehemaliger Generalstabsoffizier eben. Aber die Aufgaben eines solchen Offiziers (wie zum Beispiel das Delegieren) kannte ich nicht, nicht einmal diese Bezeichnung. Daher verstand ich das nicht gleich.
Auch besprach er alles mit mir: „Wohin segeln wir?“ „Welche Orte und Länder laufen wir als nächste an?“ „Welche von den nächsten Buchten würdest du am liebsten besuchen?“ Und er erklärte, welche davon er empfehlen würde und warum sie sicherer seien. Er sah (und sieht!) mich offensichtlich als gleichberechtigten Partner, und mir geht es mit ihm ebenso. Wir waren irgendwann zusammengewachsen wie ein Team, zufrieden mit der Gesellschaft des anderen, und eines Tages fanden wir uns einfach auch als Paar.
9. „Kartoffeln machen dick und dumm“
Während unserer vielen gemeinsamen Tage und Wochen an Bord, sei es vor Anker oder auf Fahrt, überlegten wir täglich, welches Gemüse aus unserem Vorrat es nötig hatte, gekocht zu werden. Das Nachtessen war und ist unsere Hauptmahlzeit, damit wir am Mittag mehr Zeit für anderes haben, und damit der Magen für den, der die Nachtwache übernimmt, gut gefüllt ist, was nebenbei auch die Moral hebt.
Nach der Entscheidung, welches Gemüse gekocht würde, kam natürlich die Frage auf: „Und was gibt es dazu?“ Ich, aus Bremen stammend, wo zu jeder Speise Kartoffeln gegessen werden, schlug diese natürlich vor. „Kartoffeln machen dick und dumm!“, vernahm ich von Edi, wobei er das „D“ von „dick“ und „dumm“ lustvoll betonte.
Hörte ich richtig? Stimmte das? Also, dick bin ich wirklich nicht! Und dumm? Mein Vater hatte mir zwar einmal gesagt, ich sei doof. Er als Autoritätsperson, der keinen Widerspruch und keine Kritik duldete, war eine Sache. Aber nun hier? Vielleicht war ich dumm, mir das anzuhören und das alles mitzumachen. Meinem behinderten Bruder gegenüber musste ich immer Verständnis zeigen und ruhig sein. Aber hier? Ich war ratlos und stumm.
Ich überlegte: Wir waren unterwegs; aussteigen konnte ich nicht; außerdem gefiel mir eigentlich das Leben an Bord. Edi wiederholte mit großem Vergnügen diesen Ausspruch: „Kartoffeln machen dick und dumm!“ Das war mir neu, und ich verstand die Welt nicht mehr. Ich war in der Nachkriegszeit mit Kartoffeln groß geworden. Es hieß damals: „Iss dich an Kartoffeln satt.“ Mir war zum Heulen zumute.
Warum fragte er mich erst und kochte dann doch etwas anderes? Es gab anstatt Kartoffeln entweder Reis, Bulgur, Couscous oder Nudeln. Beleidigt nahm ich mir vor, nie wieder Kartoffeln als Beilage vorzuschlagen. Zu sehr war ich betroffen, als dass ich auf die Idee gekommen wäre, Edi könnte das scherzhaft gemeint haben. Noch weniger war ich in der Lage, das schelmenhafte Funkeln in seinen Augen zu bemerken.
Nudeln waren das nächste Thema, über das Edi sich lustig machte. Er erklärte: „Nudeln sind eine von vielen Formen der „Teigwaren“!“ Wieder kam ich mir dumm vor. Ich kannte Kuchenteig, Blätterteig, Mürbeteig und Brotteig – das waren Teigwaren für mich. Was Edi als „eine besondere Form von Teigwaren“ bezeichnete, waren für mich Nudeln. Diese unterteilte ich – wie es in Bremen üblich war – in Hörnchen, Spiralen, Spaghetti, Sternchen, Muscheln und was es sonst noch an Nudelformen gab.
Nur Leute, die von wo anders herkamen und sich als etwas Besseres fühlten (so mein Eindruck), sprachen vielleicht von Teigwaren. Nun ja, ich war ja lernfähig. Wie froh war ich, wenn ich norddeutsche Segler traf, die ebenso wie ich den Ausdruck Nudeln gebrauchten, worauf ich Edi selbstverständlich triumphierend aufmerksam machte!
Es gab noch andere Themen, mit denen wir unsere Schwierigkeiten hatten. Beispielsweise verstand Edi nicht, dass man sich scheiden lassen würde. Er kannte seine Frau seit dem Kindergarten, und seine Ehe war sehr glücklich. Nie hätte er sich scheiden lassen. Im Gegenteil: Er verurteilte eine Scheidung sogar.
Meine Ehe hatte nicht funktioniert, und so ließen mein damaliger Mann und ich uns nach 18 Jahren scheiden. Um zu erklären, warum meine Ehe schiefgegangen war, versuchte ich, ihm Situationen zu beschreiben, die zur Trennung geführt hatten.
Daraufhin pries Edi seine Frau jedes Mal, zählte auf, was sie alles gekonnt und gemacht habe; mehrere Sprachen fließend sprechen, dazu in der jeweiligen Sprache stenografieren, sie sei eine hervorragende Gastgeberin gewesen … die Liste der lobenswerten Fähigkeiten und Eigenschaften war schier endlos. Das alles hob nicht gerade mein Selbstwertgefühl. Irgendwann konnte ich diese Loblieder nicht mehr hören und ließ vom Thema ab.
Mit der Zeit lernte ich, Edis provokante „Scherze“ als solche zu erkennen und mich damit zu arrangieren. Es dauerte lange, doch irgendwann hatte ich sogar Spaß an seinen Wortspielen. Heute blödeln wir mit allen möglichen Wörtern und Wortverdrehungen herum und amüsieren uns köstlich darüber.
Im Gegenzug musste Edi mit dem Gedanken leben, dass ich geschieden war, und mich nehmen, wie ich war. Offenbar konnte er das, denn ich bin immer noch an Bord!
10. Ausflug in die Antike
Sie werden vielleicht bemerken, dass ich zahlreiche schweizerische Ausdrücke von Edi übernommen habe, was nach so vielen Jahren des Zusammenlebens nicht verwunderlich ist: im Folgenden z. B. das Wort „Unterhaltsarbeiten“, das im Hochdeutschen wohl „Wartungsarbeiten“ heißt, sowie den Ausdruck „bis anhin“, zu Deutsch „bis dato“ bzw. „bis dahin“.
Die Unterhaltsarbeiten auf der SINGLE MALT waren abgeschlossen, und wir hätten eigentlich lossegeln können. Edi schlug jedoch vor, ein Auto zu mieten und die Umgebung anzusehen. Als Beifahrerin hätte ich die Straßenkarte lesen und Edi durch die Gegend navigieren sollen, doch mir wurde dabei schlecht.
Also saß ich am Steuer und fuhr uns zu den Ruinen von Ephesos, einer Stadt, die um 500 v. Chr. ihre Blütezeit erlebt hatte. Damals war sie eine reiche Hafenstadt mit zahlreichen Geschäften, großen Märkten und dem beeindruckenden Artemis-Tempel (dem größten Tempel der Antike, der eines der sieben Weltwunder ist). Heute liegen die Ruinen rund 20 km vom Meer entfernt – der Hafen und die Bucht sind längst versandet.
Wir begannen mit einem Spaziergang durch die Ruinen des berühmten Tempels der Artemis und genossen die historische Atmosphäre – trotz der für mich nahezu unvorstellbaren Hitze von über 30 Grad, die ich kaum aushielt. Die Arena wirkte aufgeräumt, die Sitzreihen waren im Halbrund terrassenähnlich angeordnet. Zwischen den Sitzen, bestehend aus einfachen Steinblöcken, wuchsen Gräser und Kräuter so hoch, dass die Steine darin zu versinken schienen.
Ganz unten in der ersten Reihe der Arena fiel mir eine Art Thron auf. „Der muss für eine ganz wichtige Person gewesen sein“, dachte ich mir, denn er hatte eine Rücken- und zwei Armlehnen. Davon wollte ich unbedingt ein Foto haben, natürlich mit mir darauf. Also bat ich Edi, eines zu machen. „Wie sich damals eine solch hoch geehrte Persönlichkeit wohl auf diesem Sitz gefühlt hat?“, überlegte ich.
Mit diesem Gedanken ließ ich mich auf die Sitzfläche fallen und sprang fast im selben Augenblick wie von der Tarantel gestochen wieder auf. Mein lang gezogenes „Auuuuuu!“ klang fast wie von einem Hund, der den Mond anheult. Die Sonne hatte den Stein derart erhitzt, dass man darauf Spiegeleier hätte braten können. Wäre ich nicht so blitzartig wieder hochgeschnellt, hätte ich mir mein Gesäß und meine Oberschenkel verbrannt. Erschrocken rieb ich beides, um das Gefühl loszuwerden, mich gerade auf eine heiße Bratpfanne gesetzt zu haben. Unter diesen Umständen konnte ich auf eine solche Ehrung definitiv verzichten!
Edi schaute mich verständnislos an und forderte mich mit einem unwirschen „Nun mach schon, wir wollen hier doch keine Wurzeln schlagen!“ auf, mich endlich auf den Thron zu setzen. Kurzentschlossen kramte ich ein Tuch aus meiner Tasche, faltete es mehrere Male, legte es auf die vordere Kante der Sitzfläche, setzte mich vorsichtig darauf und versuchte, entspannt in die Linse zu lächeln. Mit mäßigem Erfolg, wie ich nach ein paar Tagen feststellte, als das Foto entwickelt war.
Welch einen großen Vorteil die heutigen digitalen Kameras haben, die die Fotos umgehend zeigen! Damals musste der Fotofilm erst in ein Fotogeschäft gebracht werden, wo zunächst die Negative entwickelt wurden, von denen man dann Abzüge auf Fotopapier machen (lassen) konnte. So dauerte es mehrere Tage, bis ich das Ergebnis vor Augen hatte. Natürlich konnte ich nun nichts mehr daran ändern. „Naja, besser ein unentspanntes als gar kein Foto“, tröstete ich mich.
Doch zurück zu unserem geschichtlichen Ausflug. Wir verließen den Tempel und schlenderten durch die Ruinenstadt. Irgendwo entdeckte ich eine antike Toilettenanlage: Eine lange Marmortafel mit einer Reihe zunehmend größer werdender, runder Ausschnitte. Anfangs wunderte ich mich, doch dann wurde mir deren Sinn klar: Sie waren dem Alter der Benutzer bzw. der Größe ihrer Hinterteile angepasst. Und nicht nur das: Wie ich hörte, wurden den Herrschaften die Sitze von ihren Untertanen angewärmt, bevor sie ihre Notdurft erledigten.
In der Stadt befand sich auch ein Theater mit außergewöhnlich guter Akustik: Eine von mir angestimmte Melodie war bis auf die letzten Ränge problemlos hörbar.
Als wir genug von Ephesos hatten, fuhren weiter zu den Ruinen des ehemaligen Magnesia, die am Fluss Mäander (türkisch: Menderes) liegen. Hier begleitete uns auf unserem Besichtigungs-Spaziergang der Duft blühender Kräuter, wie ich ihn bis anhin noch nicht erlebt hatte. Schafe grasten zwischen antiken Säulenbruchstücken, auf denen Eidechsen herumhuschten; in einem Tümpel quakten Frösche; eine richtige Idylle, allerdings mit vielen Disteln, die meine Beine arg zerkratzten – ich trug dummerweise kurze Hosen.
Aus dem Schatten eines großen Baumes trat ein Wächter in Uniform hervor und nahm uns Eintrittsgeld ab. Als wir uns nach der Besichtigung von ihm verabschieden wollten, lag er in tiefem Schlaf auf einer Holzpritsche und schnarchte laut. Über ihm hingen ein gefüllter Korb, aus dem eine Flasche Wein ragte, und ein prall gefüllter Sack mit seiner Mahlzeit.
Mein besonderes Interesse galt den Käfern, die uns über den Weg liefen. Jeweils zwei Käfer rollten gemeinsam und mühevoll mit unbekanntem Ziel und wechselnder Richtung eine Kugel. Sie kletterten auf die Kugel, die dadurch zu rollen begann, und purzelten auf den Rücken. Mit zappelnden Beinchen brachten sie sich wieder in die richtige Lage und machten sich unermüdlich, mit unerklärlichem Eifer erneut an die Arbeit.
Es war mir nicht ersichtlich, woraus diese Kugeln bestanden – aus Ziegendreck? Es lag reichlich davon in der Gegend herum. Ich bemühte mich, keine dieser Kugeln, deren Zweck mir unbekannt blieb, zu zertreten.
(Anmerkung: Als mir diese kleinen Kerlchen über den Weg rollten, gab es noch kein Internet. Daher tappte ich diesbezüglich lange im Dunkeln. Heute weiß ich, dass die Kugeln tatsächlich aus Dung bestehen, und je nach Art der Käfer entweder als Nahrung für ihren Nachwuchs bzw. die erwachsenen Tiere selbst dienen. Daher stammt auch der Name dieser Tiergruppe: Mistkäfer.)
Für den nächsten Tag hatten wir uns Labranda als Ziel vorgenommen – wieder ein Ort mit antiken Säulen, die wir allerdings nicht zu sehen bekommen sollten. Der letzte Teil der Straße führte steil in Serpentinen bergan und wurde zu einem einspurigen Kiesweg. Wegen der Trockenheit wirbelten wir dichten Staub auf. Unverhofft tauchte ein großes, tiefes Loch vor uns in der Straße auf, sodass wir mit unserem kleinen Wagen nicht mehr weiterfahren konnten.
Genau zu diesem Zeitpunkt näherten sich hinter uns zwei Baufahrzeuge, die wegen ihrer Größe keinerlei Probleme mit den schlechten Straßenverhältnissen hatten. Mir wurde ganz mulmig. Was tun? Glücklicherweise befand sich etwas unterhalb von uns eine Ausweichbucht, wo die freundlichen Fahrer mit ihren schweren Lastwagen warteten, sodass wir in Ruhe wenden und zurückfahren konnten.
Bei so viel Staub in der Luft und der sengenden Hitze waren wir durstig geworden und wollten uns mit einem Ayran (Joghurt mit Salz gewürzt und mit Wasser vermischt) erfrischen. In einer kleinen Ortschaft stieg ich aus, um mich zu erkundigen, ob es hier ein Restaurant gäbe. Als ich die steile Abzweigung zum Ort hochging, schallte eine Stimme aus der Höhe auf Englisch herunter: „Kann ich helfen? Was suchen Sie?“ Ein Lehrer mit lärmenden Kindern hatte offenbar gerade Pause.
„Wir suchen ein Restaurant, um Ayran zu trinken“, war meine Antwort. „Tjaaa“, ertönte es gedehnt, „eine Gaststätte gibt es hier nicht, aber Ayran können Sie bekommen.“ Mein Mann solle das Auto auf dem Schulhof parken und auch heraufkommen. Der Einfachheit halber ließ ich den Herrn in dem Glauben, wir seien verheiratet, da es mir völlig unwichtig erschien.
Der Lehrer beauftragte zwei seiner Schülerinnen, Joghurt, Salz, Wasser, Gläser und eine Gabel zu bringen und bereitetedas Getränk persönlich für uns zu, während wir im Schatten eines alten Baumes saßen.
Die Mädchen umringten uns ganz aufgeregt ob dieser Abwechslung und probierten ihre Englischkenntnisse an uns aus, indem sie fragten: „How are you?“, „My name is …“ und „What is your name?“ Sie waren ganz glücklich, dass ich sie verstand und auf ihre Fragen antworten konnte. Ein Mädchen las mir aus ihrem Lesebuch von Atatürk vor. Zwar verstand ich nichts davon, lobte es aber trotzdem. Andere hatten Blumensträuße aus Mohnblumen und Kamille gepflückt, die sie mir schenkten – ich war gerührt.
Nach unserer Erfrischung wurde uns die Schule gezeigt, die aus nur einem Klassenzimmer bestand. Hier wurden von der ersten bis zur fünften Klasse alle Kinder gleichzeitig unterrichtet. In der Mitte des Raumes befand sich ein alter gusseiserner Ofen samt langem Rohr zur Außenwand.
An den Wänden hingen ein Bild von Atatürk und selbst gefertigte Zeittafeln für den Geschichtsunterricht. Das Jahr Null war in der Mitte angelegt, und beidseitig davon waren Zeitspannen von je 100 Jahren gekennzeichnet. Darauf wurden wichtige Geschehnisse durch einfache Bastelarbeiten kenntlich gemacht, beispielsweise die Seefahrten von Magellan durch ein aus Papier gefaltetes Schiff.
Im Vorraum stand ein Karren aus Pappe, den die Kinder selbst gebaut hatten. Auf diese Weise erarbeiteten sie sich geschichtliches Wissen. Ich war beeindruckt, mit welch einfachen Mitteln der Lehrer Wissen vermittelte und den Unterricht gestaltete. Als wir uns schließlich verabschiedeten, hatte der Lehrer feuchte Augen, die Kinder winkten fröhlich, und ich schwenkte meine vielen hübschen Blumensträuße. Das war für uns alle ein besonderes Erlebnis.
Teil II
Mittelmeer
Von der Türkei nach Gibraltar
Mai bis August 1998
11. Es geht los, wir stechen in See
Mai 1998
Endlich: Im Mai kam der Tag, an dem wir den Motor starteten, die Leinen lösten und aufs offene Meer hinausfuhren. Ich wollte die Ausfahrt genießen, die ich mir romantisch vorstellte, wehmütig auf Kuşadasi zurückblicken, in Gedanken das Lied anstimmen: „Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn, bleib nicht so lange fort …“. Doch es kam anders: Die Fender mussten verstaut,Leinen zu Babilis (s. nautische Begriffe) zusammengelegt und in einer der Backskisten am Bug untergebracht werden.
Vollauf mit meinen Pflichten beschäftigt und darauf konzentriert, auf dem hin und her, auf und ab schwankenden Deck nicht hinzufallen, ging ich an Deck umher, nahm jede Möglichkeit wahr, mich festzuhalten, und wenn das Schiff von einer Welle gehoben wurde, zwang es mich entweder in die Knie, oder – noch schlimmer – ich saß unverhofft auf meinem Allerwertesten. Wie peinlich! Nachdem alles auftragsgemäß ausgeführt war, ging ich zufrieden ins Cockpit.
Nun wollte ich mich von der Arbeit erholen, doch schon wieder erhielt ich eine neue Aufgabe: Segel setzen! Nur kurz nahm ich mir Zeit, das Deck und die Segel der SINGLE MALT genauer anzuschauen. Das Boot war eine Ketch, hatte also zwei Masten, wobei der vordere, „Großmast“ genannt, mit seinen 14 m höher war als der hintere, Besanmast genannt. Unser Cockpit nannte sich Center-Cockpit, weil es im Zentrum des Schiffes lag, in unserem Fall vor dem Besanmast.
Im Cockpit dieses Schiffsmodells sitzt man gutgeschützt unter einem festen Dach mit einem kleinen, stabilen Fenster nach oben, durch das die Stellung der Genua, des Groß-Segels und des Windanzeigers oben auf der Mastspitze zu sehen sind. Auch nach vorne ist das Cockpit mit zwei soliden Fenstern ausgestattet, die fast über die gesamte Breite des Bootes reichen und fest mit dem Dach verbunden sind.
An den Seiten lassen sich flexible Plastikfenster mit Druckknöpfen befestigen, für den Fall, dass einem das Wetter zu ungemütlich wird. Alles in allem ist man in diesem Cockpit sehr gut geschützt vor Sonne, Wind, Regen und Spritzwasser. Das ist eine tolle Sache, deren Bedeutung mir erst mit der Zeit voll bewusst wurde.
Nun zu den Segeln. Ich staunte, wie einfach das vordere Segel, die Genua, auszufahren war. Sie wurde in ihrer vollen Höhe auf eine Stange gewickelt gelagert, die mit dem unteren Ende vorne am Bug, mit dem anderen Ende oben an der Spitze des Großmastes befestigt war. Am unteren Ende dieser Stange befand sich ein Motor, der die Stange drehte und den man vom Cockpit aus bedienen konnte.
Jetzt, bei Bedarf, brauchte ich nur einen kleinen Gummihebel im Cockpit zu betätigen, und die Stange drehte sich, wodurch sie die Genua abwickelte. Es funktionierte! An dem Zipfel des Segels, der als erstes abgewickelt wurde, dem Schothorn, war mit einem sicheren Knoten eine Leine, eine sogenannte Schot, befestigt.
Am freien Ende dieser Leine zog Edi, damit das Segel nicht wie ein loses Bettlaken flatterte, sondern stramm im Wind stand. Dieses Leinenende wickelte er um ein trommelähnliches Gebilde, eine Winsch, und sicherte es, damit es sich nicht löste, nicht „rausrauschte“, wie er es nannte.
Dank der gesetzten Segel lief das Boot nun etwas ruhiger. Bis dahin hatte die elektrische Selbststeuerung den Kurs gehalten. Jetzt, in der Straße von Samos, war der Wind böiger geworden, und ich sollte das Steuer von Hand übernehmen und per Kompass einen bestimmten Kurs steuern. Ich setzte mich hinter das Steuerrad, mit dem sich das Schiff ganz ähnlich wie ein Auto steuern ließ, und gab mir redlich Mühe, geradeaus zu fahren.
Dafür kurbelte ich wie verrückt am Steuer hin und her, um meine Aufgabe gewissenhaft auszuführen. Nach einer Weile bemerkte Edi trocken: „Ich sagte nicht, du sollst deine Unterschrift aufs Meer schreiben …“. „Stimmt ja gar nicht! Menschenskinder, mach das doch selbst besser!“, dachte ich empört. „Ich steuere das erste Mal in meinem Leben ein Segelboot und habe keinen einzigen Kreis aufs Meer geschrieben!“
Ich ärgerte mich so, dass ich vor Wut schäumte und Edi sicher den aufsteigenden Dampf aus meinem Kopf gesehen hätte, wenn er genau hingeschaut hätte. Am liebsten wäre ich direkt ausgestiegen.
12. Griechenland
Mai und Juni 1998
Ankern und Landgang auf griechischen Inseln
Schon nach wenigen Stunden hatten wir griechisches Hoheitsgebiet erreicht und mussten zusätzlich zu unserer Nationalflagge bereits vor unserer Ankunft an Land auch die griechische Höflichkeits-Flagge setzen. Außerdem wird zum Einklarieren – der Erledigung der Einreise-, Zoll- und Gesundheitsformalitäten – allgemein die gelbe Q-Flagge (Quarantäne-Flagge) gesetzt, die besagt: „An Bord ist alles gesund – Ich bitte um freie Verkehrserlaubnis“. Sie wird nach dem Einklarieren wieder heruntergenommen.
Aber erst einmal kam die Frage auf, ob wir im Hafen festmachen oder vor dem Hafen ankern sollten. Edi wusste, dass die Berufs- und Charterskipper in diesem Hafen oft rücksichtslos waren, sodass gelegentlich ein Anker ausgerissen wurde und somit ein Schiff haltlos trieb. Deshalb ankerten wir vor dem Hafen, wo man ebenfalls recht geschützt lag.
Für das Ankermanöver wurde der mit einer langen Schraube gesicherte Anker gelöst und ausgeworfen. Schon plumpste er ins Wasser, die daran befestigte Kette rasselnd hinter sich herziehend, bis er den Grund erreicht hatte. Während Edi langsam rückwärts fuhr, ließ er so lange Kette auslaufen, bis genügend davon am Meeresboden lag, um ein sicheres und angenehmes Ankern zu gewährleisten.
Dann zog er die Bremse der Ankerwinde an, wartete, bis sich die Kette streckte, und fuhr mit voller Motorkraft zurück. Er „grub den Anker ein“, erklärte Edi. Nun musste ich mit dem Fuß an der Kette fühlen, ob sie rumpelte und sich bewegte. Nein, sie war stramm wie die Sehne einer Armbrust. Zudem sollte ich mir ein Haus oder etwas Ähnliches an Land ansehen und feststellen, ob es sich vor dem Hintergrund verschob. Nein, alles blieb, wo es war. Nun war Edi zufrieden, denn er wusste, dass der Anker jetzt selbst bei starkem Wind halten würde.
Nachdem das Boot nun sicher vor Anker lag (die Sicherheit des Bootes ist oberstes Gebot, hatte Edi mir ja schon beim Kennenlernen gesagt), musste unser Beiboot (auch Dingi genannt) bereit gemacht werden, um an Land gehen zu können – welch ein Unterfangen!
Auf dem Achterdeck lag ein schweres Paket, das wir auspackten. Zum Vorschein kam unser Dingi – vorerst noch ein verschnürtes Päckchen. Sorgsam falteten wir es auseinander. Es besaß drei Luftkammern, die wir mit einer elektrischen Pumpe füllten, bis sie relativ prall waren. Um den endgültig notwendigen Druck aufzubauen, nutzten wir eine Handpumpe, die wie eine Luftpumpe für Fahrradreifen funktionierte.