Zeit zum Lesen - Doris Zakrzewski - E-Book

Zeit zum Lesen E-Book

Doris Zakrzewski

4,8

Beschreibung

"Zeit zum Lesen" ist ein literarischer, vielgestaltiger Themenkorb für Jung und Alt. Texte aus einem spannenden Alltag oder abenteuerlich, unter und über der Erde, auf den Wassern, in Eis und Schnee, durch magische Zeiten. Sie erzählen von einem neugierigen Besucher aus der Galaxie, von einem der am Abgrund fest saß, von einer Überraschung in der Reisetasche, von einem Tänzchen im Hausflur, von unterwegs in einem Glasbottich und das Buch weiß, was sonst noch ...

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gewidmet

Radek und Roman

Inhaltsverzeichnis

KG=Kurzgeschichten * M=Märchen * Gedichte

Geschichten krümeln G

Planetar vergeht die Zeit G

Die seltsame Uhr M

Menü zum Fest G

Die Erde G

Der kleine Herr Dusel KG

Notenbriefe G

Eichhörnchen jagen G

Das Gespenst im Theater M

Wintergrün G

Das Wort G

Die wandelnde Säule KG

Und lasse dich grüßen G

Der alte Rittersporn G

Drama im Frühlingsfeld G

Das Glück auf dem Dach KG

Der Wind als Künstler G

Ginsterblüte G

Augapfel KG

Der blaue Saphir G

Der Milan G

Flug nach Barcelona G

Lila Tulpe G

Der Zauberschlitten M

Im bunten Glas G

Kiwi G

Sekunden G

Seine halbe Insel KG

Zuversicht G

Flaschenpost G

Die gläserne Gondel M

Die köstliche Luise G

Das Kirschglas G

Der Kauz KG

Sofa am Kamin G

Auf Granit G

Fünf vor Zwölf G

Minzel KG

Das Spinnennetz G

In den Wänden die Zeit G

Das hohe Wasser G

Marliese M

Sie und Er G

Die karierte Reisetasche KG

Erste Eisblumen G

Der Schnitzer G

Eisig Land G

Geschichten krümeln

Aus Teufen quellen

wenn es kühl

Wölkchen vor die Münder

Verquirlen sich

zuweilen im Gespräch

Buchstaben reifen im Frost

In Frisuren knistern Worte

Geschichten krümeln auf Krägen

und

als würde das nicht reichen

klebt noch eine Graupel

an jeder Wimper

Planetar vergeht die Zeit

Planetar

vergeht die Zeit

Uhrwerke zermahlen

und zählen

ihren Hauch

Die seltsame Uhr

Der König saß auf seinem Thron und wartete mürrisch auf seine Höflinge. Ärgerlich ließ er seine Fingerkuppen auf den goldenen Armlehnen tanzen. Jeden Vormittag der gleiche Ärger. Nach der Frühstückspause musste er stets warten, bevor die Besprechung weiter gehen konnte. „Könnten sich die Herren beeilen? Wir wollen heute noch fertig werden!“ rief er in den Saal, doch die Höflinge achteten nicht auf ihn.

Um sich die Wartezeit zu verkürzen, kontrollierte der König den Zierrat des Saales. Zuerst die Vasen. Es durften nur zehn sein, denn bis zehn konnte er zählen. In lückenhafter Reihenfolge baumelten zehn blaue Quasten von jeder Samtgardine. Die Überzähligen hatte er in einer dunklen Nacht abgeschnitten. In der Ahnengalerie hingen zwei Gemälde zu viel. Inmitten eines tobenden Gewitters, hatte er die mit den Knurrgesichtern auf den Speicher getragen und hinter einem Schrank versteckt. Nun die Bücher. Hübsch sortiert nach Größen und Farben, standen in jedem Schrankfach zehn, ganz so wie es sein durfte.

Die Höflinge wanderten um den wuchtigen Tisch und schnitten Grimassen. Das wollten sie tun bis einer lacht. Der Verlierer musste am Nachmittag alle Schreibarbeiten am Tisch vor dem Saal erledigen, wo es kalt und zugig war, denn für einen der Höflinge gab es keine Schreibkammer. Die Gewinner des Spiels genossen den gemütlichen Teil des Tages jeder in einem Schreibraum. Dort legten sie ihre Füße auf den Schreibtisch, naschten Schokolade, die sie mit keinem teilen mussten, pafften Zigarren, fütterten vom Fenster die Enten, oder sie verdösten die Zeit.

Der König horchte in die Stille des Saales und dachte: „Ich bin doch der König! Da dürfen sie nicht mit mir machen was sie wollen!“ und kurvte um den Alabaster Brunnen zum Frühstückstisch, dort zählte er die Höflinge. „Zehn und einer!“ rief er und sprang vom Thron. „Hagel, Blitz und Quasten! Sofort alle herkommen!“ Die Höflinge wussten nicht wie ihnen geschah. Entsetzt schauten sie auf den König, der sich die Haare raufte. Vorsichtig kamen sie näher und schauten ihn verwundert an. Dieser stieß der Reihe nach seinen Zeigefinger in ihre Bäuche: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun und zehn und noch einer! Der ist übrig, der muss gehen!“ und packte diesen beim Kragen. „Nehmen sie sich meinetwegen etwas zur Erinnerung mit! Aber nur ein Stück! Dann gehen sie und kommen nicht mehr zurück!“ blaffte ihn der König an.

Der Betroffene schwankte rückwärts zur Tür. Mit bleichem Gesicht schleppte er sich durch Säle und Gänge. Obwohl seine Füße in Pantoffeln steckten, schienen sie ihm schwer wie Eisen. Aus der Palastküche verströmten brutzelnden Enten einen Appetit anregenden Duft. Einen Moment lang war er geneigt, einen dieser Vogelbraten mit auf seine unfreiwillige Wanderung zu nehmen. Doch er entschied sich für eine Uhr, die er in einer dunklen Nische entdeckte, weil ein Lichtschein über sie gehuscht war und zitternd auf dem Zifferblatt stehen blieb. Wie er sie auch drehte und wendete, der feinen Uhr fehlte ein Tragegriff. Ihm war klar, dass er einen Umweg zum Hufschmied machen musste. Der lugte mit einem dicken Käsebrot aus der Werkstatttür. Als er seine Berufsbezeichnung hörte, stellte er das Kauen ein. Hoher Besuch vor den verräucherten Wänden der Schmiede, das war ihm neu. Hinter den Palastfenstern gafften die Höflinge. Vom Balkon drohte der König mit dem Finger. Der Hufschmied sah nur seinen Besucher und verbeugte sich vor ihm. „Befestige hier oben einen Griff, aber verschwende keine Zeit!“ ordnete der Höfling an. Sofort machte sich der Hufschmied an die Arbeit. Bald saß an langen Nägeln, ein verrostetes Hufeisen auf dem polierten Schnitzwerk. Ohne ein Wort des Dankes, lief der Höfling mit der Uhr über dem verschneiten Kiesweg davon.

Im Winter wird es früh dunkel und es weht ein kalter Wind. Der Höfling hatte sich seine blaue Seidenschärpe mehrfach um den Hals und um seine Ohren geschlungen. Im einem Wald zweifelte er an sich selbst: „Clemens Holdrian! Warum hat es gerade dich so grausam erwischt? Waren da nicht genug andere, sogar Dümmere, die man hätte fortschicken können? Nun laufe ich frierend durch Täler und über Hügel, es dämmert schon und eine Uhr hängt an mir wie ein Klotz. Meine Arme werden sich gewiss verlängern, bis sie aus den Ärmeln baumeln.“ So stolperte er murmelnd weiter, über unbekannte Wege dahin, bis sich um Mitternacht der Mond in einem See spiegelte. Nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, stellte er die Uhr ins Geäst und ließ sich hinter einem dichten Haselstrauch auf einen Laubhaufen fallen. Das Ticken der Uhr besänftigte ihn. Er fiel in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen brauchte er eine Weile, bis ihn das Grauen seiner Notlage erneut erschütterte. Er war hungrig und wusste nicht, wie er den Tag überstehen sollte. Geheimnisvolle Nebelschwaden über dem See und glitzernder Raureif auf dem Geäst, konnten ihn nicht trösten. Traurig streckte er sich, probierte das Gehen mit eisigen Füßen. Alsbald knüpfte er an sein gestriges Gespräch mit sich selber an: „Nein die Uhr bleibt hier! Die ist zu schwer. Ich! Ja ich bin der Dümmste von allen, das weiß ich nun genau. Hätte ich nicht besser eine kleinere Uhr aus feinem Gold wählen können? Einen silbernen Degen? Den Vogelbraten oder besser gleich die Köchin? Diese Uhr bleibt hier!“ und ging ohne sein lästig gewordenes Gepäck weiter. Plötzlich hörte er eine schnarrende Stimme hinter sich: „Lass mich nicht zurück, ich bringe dir dein Glück!“ Clemens schaute sich gründlich um, aber er konnte niemanden entdecken. „Wer ist hier? Wer ist da? Will mir jemand Angst einjagen?“ fragte er ins Geäste und horchte bang in die Stille. Er suchte unter Zweigen und im Gebüsch. „Lass mich nicht zurück, ich bringe dir dein Glück!“ erscholl es erneut. Das Schnarren schien aus dem Uhrenkasten zu kommen. Weil er das nicht glauben wollte, versteckte er sich hinter einem dicken Baumstamm. „Lass mich nicht zurück, ich bringe dir dein Glück!“ ertönte es zum dritten Mal. Clemens begann die Uhr zu schütteln, presste sein Ohr auf das Gehäuse. Außer dem Wimmern der Unruhfeder, war weiter nichts zu hören. Clemens kratzte sich hinter dem Ohr und beriet sich selber: „Und nun Clemens? Du hast ja gehört wie fein die Uhr sprechen kann! Groß schaden kann´s ja nicht, wenn du sie noch eine Weile mit dir herumträgst!“ und setzte seine unfreiwillige Wanderung mit der seltsamen Uhr fort.

Zweiter Teil

Im fremden Land

Ein holperiger Weg endete vor einer hohen, endlos scheinenden Mauer. Eine Weile lief Clemens daran entlang, doch er fand keine Öffnung zum Hindurchgehen. Als er noch überlegte, ohne die Uhr darüber zu klettern, schnarrte die Stimme aus der Uhr: „Lass mich nicht zurück, ich bringe dir dein Glück!“ Verärgert stampfte Clemens mit dem Fuß auf, aber dann sammelte er Gesteinsbrocken und stapelte sie zu einer Treppe. Darauf kam er bequem bis zur Mauerkrone. Aus kahler Ebene wehte der gleiche eisige Wind und brachte seine Hosenbeine zum Schlottern. Er verglich die Landschaften beider Länder und das Firmament darüber. Er fand keinen Unterschied, was ihn enttäuschte und gleichzeitig beruhigte. Seufzend löste er die Seidenschärpe, die er sich wegen der Kälte um den Kopf geschlungen hatte und band sie um das Hufeisen. Daran senkte er den hölzernen Kasten in das fremde Land. Bald wanderte Clemens mit seiner seltsamen Uhr weiter.

Gegen Mittag erreichte er eine am Meer gelegene Stadt mit einem Königschloss, das auf dem Deich wie eine Möwe hockte. Fröhliche Töne lockten ihn zum Trubel eines Marktes. Er drängte sich an farbenfrohen Verkaufsständen vorüber. Einige Händler hatten ihre Waren auf Tische ausgebreitet, andere priesen sie aus Bauchläden oder aus Körben an. Jeder hatte mit sich zu tun, nur zwei junge Bummler nahmen sich Zeit für ihn: „Schau dir den an! Der sieht aus, als wäre er von einer Theaterbühne gefallen!“ höhnte der mit der blauen Mütze. Er könnte auch ein Tierbändiger aus einem Zirkus sein!“ feixte der andere. „Unmöglich! Dann trüge er anstatt einer schweren Uhr, einen Löwen auf seiner Schulter. Aber er könnte ein Händler sein. Einer der Zeit aus seiner Uhr verkauft!“ antwortete sein Kollege und lachte sich krumm.

Bei Clemens prallten die Hänseleien ab wie gepfefferte Bälle gegen eine Wand, aber Kälte und Hunger verwandelten die hässlichen Worte in neue Möglichkeiten. Bald hörte er sich rufen: „Wertvolle Zeit zum Mitnehmen. Einen Taler die Handvoll!“ Die Burschen lachten so laut, dass Marktbesucher aufmerksam wurden. Der mit der blauen Mütze rief: „Hört euch den Wucherer an. Einen ganzen wertvollen Taler möchte er für eine Handvoll Zeit! Wo gibt’s denn so-was?“ Clemens kümmerte sich nicht um die beiden. Er stemmte den Uhrenkasten in die Höhe, damit ihn auch die Leute hinter der Menschentraube sehen konnten und tönte weiter: „Gönnen sie sich heute das Besondere. Gönnen sie sich freie Zeit, frisch aus dieser Uhr!“ Dass die Uhr auch sprechen kann, behielt er vorsichtshalber für sich. Einige lachten über Clemens, sie hielten ihn für einen Narren. Andere dachten ernsthaft darüber nach. Das ging solange, bis ein Obsthändler klagte: „Von morgens bis abends bin ich auf den Beinen. Heute leiste ich mir so viel freie Zeit, dass es für ein Mittagschläfchen reicht. Das habe ich mir lange gewünscht. Das ist mir des Talers wert.“ Auch andere schlossen sich dem merkwürdigen Handel an. Bald saßen welche an ihren Warentischen in dicke Decken gewickelt, ihre Köpfe auf die Arme geschmiegt und schnarchten. Die sonst geizige Gewürzfrau forderte ihren Mann auf, reichlich von der wertvollen Zeit zu kaufen, weil sie die Trommeltöne des Tamburins zum Tanze lockten. Auch dem Bäcker zuckten die Beine. Der nutzte die frisch erworbene Zeit für ein flottes Tänzchen mit der Metzgerin. Während die einen schliefen und die anderen tanzten, hatten die Bauchladen- und aus dem Korb Verkäufer alle Hände voll zu tun. Clemens klimperte mit Talern und kaufte sich Wurst und Gebäck. Als er meinte, dass es keiner sieht, tätschelte er den Uhrenkasten: „Du bringst mir ja wirklich Glück. Wie gut, dass ich dich nicht zurück gelassen habe!“

Durch ein Fenster seines Ladens am Marktplatz, hatte ein Uhrmacher den Fremden beobachtet und genau mitgezählt, wie vielen Menschen er wertvolle Zeit aus seiner Uhr verkaufen konnte. Nun fegte der Wind über dem Menschen leeren Platz. Er löste sich vom Fenster, trat vor den Spiegel und übte ein freund