ZentralStadion - Josef Schley - E-Book

ZentralStadion E-Book

Josef Schley

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Beschreibung

Die ‚Tennisplätze am Ku´damm‘ sind seit einer Saison unter neuem Namen wieder eröffnet, als einer der beiden Inhaber ganz in der Nähe der Courts umgebracht wird. Kriminalhauptkommissar Hans Stern vom LKA Berlin und das Team der Ersten Mordkommission übernehmen den Fall. Die Ermittlungen gestalten sich zunächst schwierig. Tatzeugen scheint es nicht zu geben, die Suche nach der Tatwaffe bleibt erfolglos. Ist das Motiv für das Verbrechen im engeren Umfeld des ZentralStadions zu finden oder doch im Privatleben des Opfers? Die Antwort auf die Frage weiß vielleicht der Obdachlose, der sich häufig in der Nähe des Tatortes aufgehalten hat. Die fieberhafte Suche beginnt.

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Seitenzahl: 266

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Die `Tennisplätze am Ku´damm` sind seit einer Saison unter neuem Namen wieder eröffnet, als einer der beiden Inhaber ganz in der Nähe der Courts umgebracht wird.

Kriminalhauptkommissar Hans Stern vom LKA Berlin und das Team der Ersten Mordkommission übernehmen den Fall. Die Ermittlungen gestalten sich zunächst schwierig. Tatzeugen scheint es nicht zu geben, die Suche nach der Tatwaffe bleibt erfolglos.

Ist das Motiv für das Verbrechen im engeren Umfeld des ZentralStadions zu finden oder doch im Privatleben des Opfers?

Die Antwort auf die Frage weiß vielleicht der Obdachlose, der sich häufig in der Nähe des Tatortes aufgehalten hat. Die fieberhafte Suche beginnt.

Erklärung

Einige der dem Inhalt zugrunde liegenden Details beruhen auf realen Gegebenheiten, dennoch handelt es sich bei dem vorliegenden Roman um reine Fiktion.

Die Romanfiguren sind frei erfunden und entsprechen nicht realen Personen.

Für Elke

Der Autor, Pseudonym Josef Schley, wurde 1952 in Neuwied am Rhein geboren. Seit 1978 lebt er, nur unterbrochen von Einsätzen als Tennistrainer und Skilehrer im europäischen Ausland, in Berlin. Bis 2013 arbeitete er hauptberuflich als Sportlehrer. Seit 2011 widmet er sich als Autor dem Schreiben von Kriminalromanen.

Er hat eine Tochter.

Der vorliegende Roman ZentralStadion entstand in den Jahren 2016/2017.

Ebenfalls im Verlag BoD, Norderstedt, erschienen:

Josef Schley

SKIFAHRT

Josef Schley

ROCKFEST

Weitere Informationen zum Autor unter:

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Josef Schley, Autor

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

1 Das gleichmäßige Rollen des Laufbandes war das einzige Geräusch, das in der großen Trainingshalle zu hören war, begleitet von dem rhythmischen Stakkato seiner Schritte. Außer ihm trainierte niemand mehr an den zahlreichen Geräten. In einem Teil des Raumes war bereits die Beleuchtung ausgeschaltet. Ungewöhnlich, dachte Bernd Schöne und spürte, dass ihm die Atmosphäre nicht gefiel. Das Fitness-Studio warb damit, vierundzwanzig Stunden geöffnet zu haben. Doch davon machte offensichtlich kaum jemand Gebrauch. Beim Blick durch die breite, gläserne Fensterfront hinaus auf die Straße stellte er fest, dass auch der Ku`damm heute Abend nahezu verlassen dalag. Nur vereinzelt fuhren hin und wieder ein paar Autos in Richtung Adenauer Platz oder stadtauswärts. Wurde heute ein Fußballspiel im Fernsehen übertragen? Schöne war es egal. Er interessierte sich nicht mehr für Champions-Ligue oder Europa-Ligue. Ihn nervte das grenzenlose Profitstreben aller Beteiligten, das zunehmend im Vordergrund stand. Noch vor dem Fußball. So kam es ihm jedenfalls vor. Seine Tenniskumpels zogen ihn zwar deshalb immer wieder mal auf. Aber das tangierte ihn nicht besonders. Im Gegensatz zu ihnen schaute er sich jedoch hin und wieder mal ein Berlin-Liga-Spiel des 1. FC Wilmersdorf an oder ging zum BSC in die Hubertusallee.

Schöne hörte, wie hinter ihm eine Tür ins Schloss fiel. Eine Reinigungskraft betrat grußlos den Raum und begann schweigend, den Müll aus den Abfalleimern in einen großen blauen Sack umzufüllen. Die Mitarbeiter rechneten wohl auch nicht damit, dass heute noch viele Kunden zum Training erscheinen würden. Vielleicht lag es auch an dem ungemütlichen Wetter, das schon den ganzen Tag in Berlin herrschte. Viele Leute zogen es vor, den Abend zu Hause zu verbringen.

Ungemütlich für ihn war auch die heutige Diskussion gewesen. Natürlich hätte er damit rechnen müssen. Hartmut wollte die neue Traglufthalle unbedingt. Er selbst hatte sich aus gutem Grund dagegen ausgesprochen. Dass ihre Auseinandersetzung so aggressiv geführt werden würde und in einem heftigen, wütenden Streit enden würde, hatte er nicht vorausgesehen. Ihm graute es schon vor dem morgigen Tag.

Er lenkte seine Gedanken wieder in die Gegenwart. Schließlich war er am Abend extra noch hierher ins Studio gefahren, um sich von der Aufregung abzulenken. Obwohl es schon spät gewesen war. Er schaute auf das Display seines Trainingsgerätes. Noch drei Minuten, dann war die Dreiviertelstunde um. Er würde sein Lauftempo beibehalten. Heute hatte er keine Lust, seinen Pulsschlag durch einen ausgedehnten Spurt am Schluss noch einmal in die Höhe zu treiben. Der Tag war anstrengend genug gewesen. Und der morgige würde ebenfalls sehr schwierig werden.

*

Der Wagen parkte in der kleinen Seitenstraße unweit vom Ku`damm. Hinter einem russischen SUV war er nahezu vollständig vor Blicken geschützt. Bei der Dunkelheit und dem Vorhang aus dichtem Nieselregen war seine Farbe kaum auszumachen. Auch die Kennzeichen des Wagens waren nicht zu erkennen.

Im Inneren des Fahrzeugs saß jemand. Die Person strich nervös über das Display eines Smartphones. Immer wieder schwenkte ihr Blick zu dem dunkelblauen BMW in einer Parkbucht ein Stück weiter vorne. Die Zeitansage im Radio, das ganz leise lief, vermeldete dreiundzwanzig Uhr und sechs Minuten. Die Person griff nach einer Zigarettenschachtel auf dem Beifahrersitz, nahm eine Zigarette heraus und führte sie zum Mund. Im Schutz der hohlen Hand ließ sie den Zigarettenanzünder kurz darauf folgen. Gleichzeitig war das Geräusch der Seitenscheibe zu hören, die ein Stück nach unten glitt und einen Spalt zum Abziehen des Rauches freigab. Nach einem tiefen Zug an der Zigarette suchte sich der erste Rauchfaden den Weg ins Freie. Das unterdrückte Husten war außerhalb des Wagens nicht zu hören. Ein Blick zur Uhr verriet, dreiundzwanzig Uhr und acht.

*

Bernd Schöne öffnete die gläserne Ausgangstür zum Lehniner Platz und stieß gleichzeitig einen leisen Fluch aus. Auch eine halbe Stunde, nachdem er sein abendliches Training mit ein paar eher lustlos ausgeführten Stretchingübungen beendet hatte, hatte es immer noch nicht aufgehört zu regnen. Außerdem wehte ein kühler Wind. Im Schutz des schmalen Vordachs über dem Eingangsbereich stellte er seine Sporttasche ab, griff in die Seitentasche seines Anoraks und fischte eine Schachtel Marlboro und ein Einweg-Feuerzeug heraus. Gewöhnlich rauchte er die Zigarette nach dem Training auf dem Weg zu seinem Wagen. Er mochte die besonders intensive Wirkung der ersten drei, vier Züge. Heute würde er einfach hier stehen bleiben und rauchen. Sein Auto würde er jedenfalls nicht verpesten.

Kurz darauf warf er die kaum zur Hälfte gerauchte Zigarette verärgert auf den Boden. Der böige Wind hatte sie nass werden lassen. Außerdem war ihm kalt geworden. Er schulterte seine Tasche, zog den Reißverschluss seines Anoraks bis zum Kinn hoch und begann zu laufen. Zum Glück hatte er es nicht weit bis zu seinem Auto. Kaum in die Albrecht-Achilles-Straße eingebogen, betätigte er bereits die Funk-Fernbedienung. Eilig verstaute er die Sporttasche im Kofferraum, dann saß er im Innern seines Wagens. – Geschafft!

Für einen Moment lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Ein gedämpftes Klopfen an die Seitenscheibe ließ ihn zusammenzucken. Bernd Schöne riss die Augen auf und fuhr herum. Mit klopfendem Herzen drehte er den Zündschlüssel und betätigte den Fensterheber. »Du?«, sagte er. Es ärgerte ihn, dass seine Stimme belegt war.

*

2 Die Sportanlage befand sich mitten in einer kleinen Wohnsiedlung, nur einen Steinwurf von Ku`damm und Schaubühne entfernt. Eingerahmt von einer Reihe alter, ehrwürdiger Pappeln und einem neuen, grün gefärbten Zaun wirkte sie wie eine kleine Oase inmitten der hektischen Großstadt.

Pawel Greskowiak schob sein Fahrrad auf das massive Eingangstor zu. Sein Blick schweifte über das neu gestaltete Gelände.

Die Arbeiten waren in den letzten fünf Tagen erkennbar fortgeschritten. Die rote Asche auf den vier Tennisplätzen im vorderen Teil der Anlage war frisch aufgetragen und intensiv gewalzt worden. Das Weiß der neu verlegten Linien bildete einen angenehmen Kontrast zum dunklen Rot des Ziegelmehls und der flaschengrünen Farbe der frisch gestrichenen Netzpfosten. Komplettiert würde das Bild, wenn sie heute die schwarzen Netze angebracht hätten. Herr Fender, einer seiner beiden Chefs, hatte eine gute Idee gehabt. Er wollte die Plätze nicht einfach nummerieren wie früher. Platz eins, zwei, drei und so weiter klingt viel zu langweilig, hatte er gesagt. Stattdessen hatten sie den Tennisplätzen Namen von berühmten Spielern und Spielerinnen gegeben. `Platz Steffi Graf`, `Platz Boris Becker`, `Platz Martina Hingis`. Der zentrale Platz direkt vor der Terrasse des Clubhauses war nach dem größten Tennisspieler aller Zeiten benannt. `Platz Roger Federer`.

Im hinteren Teil des ZentralStadions, wie seine beiden Chefs ihre Sportanlage genannt hatten, befanden sich zwei Beach-Felder, auf denen sowohl Beach-Volleyball als auch Beach-Tennis gespielt werden konnte. Daran angrenzend waren erst in diesem Jahr die neuen Minigolfbahnen aufgebaut worden, die die Besucherzahl ihres Sportparks beträchtlich erhöhen sollte. Pawel Greskowiak war ein bisschen stolz. Er selbst hatte die Idee dazu gehabt und den beiden Betreibern den Vorschlag gemacht. Die zwei Tennisplätze, die sich vorher auf der Fläche befanden, waren kaum gebucht worden. Der Abstand ihrer Grundlinien zum Zaun war zu gering.

Greskowiak hoffte, dass sich die zusätzliche Investition rentieren würde und die Kunden auch den ein oder anderen Euro im Club-Restaurant lassen würden. Das war auch dringend nötig. Seine beiden Chefs hatten das Gelände erst vor zwei Jahren von einer großen Investmentfirma gepachtet und er schätzte, dass sie mindestens zweihunderttausend Euro investiert hatten, bevor sie das ZentralStadion im letzten Jahr eröffnet hatten. Pawel gefiel die Anlage. Das Einzige, was den optischen Eindruck etwas störte, war der alte Geräteschuppen unmittelbar neben dem Eingang. Er nutzte ihn nicht, aber seine Chefs hatten ihn immer noch nicht abreißen lassen.

Der Platzwart griff in die Seitentasche seiner alten Armeehose und zog den schweren Schlüsselbund heraus. Um Torpfosten und Eingangstür war eine Sicherheitskette aus Stahl gewickelt. Einen seiner zahlreichen Schlüssel steckte er in das massive Vorhängeschloss, das die Kette zusammenhielt. Einen zweiten Schlüssel steckte er in das Torschloss und drehte ihn zweimal um. Die Sicherheitsmaßnahmen waren notwendig geworden, seit im angrenzenden Hochmeisterpark immer häufiger Obdachlose campierten. Seitdem war bereits zweimal probiert worden, ins Clubhaus einzubrechen. Neuerdings hatten sie im Innern des Hauses auch eine Überwachungskamera installiert.

Pawel Greskowiak schob sein Rad auf das Gelände, schloss das Tor sorgfältig und ging Richtung Clubhaus. Unter seinen Schuhen knirschte der Kies, mit dem der kleine gemütliche Biergarten ausgelegt war. Gerade als er sein Fahrrad neben dem Gebäude abgestellt hatte, klingelte sein Telefon.

»Chef?«, meldete er sich. Er hatte auf dem Display seines alten Nokia-Handys die Nummer eines der Betreiber erkannt.

»Pawel? Fender hier. Morgen. Ist Bernd schon da?«

»Nein, hier ist noch niemand. Ich hab gerade erst aufgeschlossen. Ich bin der Erste auf der Anlage. – Wieso fragen Sie?«

»Ich erreiche ihn zu Hause nicht. Und an sein Handy geht er auch nicht. – Mist!«

»Und Sie? Sie wollten doch auch um acht Uhr hier sein.«

»Deshalb ruf ich ja an. Ich muss noch was erledigen. Ich brauch noch `ne Stunde und wollte mit Bernd absprechen, wie heute alles organisiert werden muss. – Okay, ich beeil mich. Fang du schon mal mit den Netzen an. Ich komme so schnell wie möglich.«

Er legte auf.

Wütend packte auch Pawel sein Handy weg. Er runzelte die Stirn. Es blieben nur noch wenige Tage bis zur Eröffnung und es gab noch so viel zu erledigen. Aber seine beiden Chefs hatten Wichtigeres vor und die Arbeit blieb wieder an ihm hängen. Wie ferngesteuert verschwand seine Hand in der Innentasche seiner Jacke und brachte einen Flachmann aus mattiertem Edelstahl zum Vorschein. Er drehte den Verschluss auf und nahm einen kleinen Schluck daraus. Wenigsten rauche ich nicht mehr, dachte er, als er die flache Flasche wieder in der Innentasche verstaute. Mit dem Trinken würde er auch bald aufhören.

Ein Blick auf die Uhr trieb ihn zur Eile. Es war fast dreiviertel Neun und noch keiner hatte einen Handschlag getan.

*

3 Kriminalhauptkommissar Hans Stern öffnete die Tür zum Besprechungsraum der Mordkommission im ersten Stock des LKA-Gebäudes in der Keithstraße und stellte den Becher mit Kaffee und den runden Pappteller mit zwei belegten Käsebrötchen auf dem Tisch ab. Marieluise Gold, Michael Berg und Ingo Watzke, die unmittelbar hinter ihm den Raum betreten hatten, taten es ihm gleich. Beinahe synchron zogen sie die Stühle unter dem großen Tisch hervor und nahmen Platz.

»Wir warten noch auf Grüber«, sagte Stern, bevor er in sein Brötchen biss. Seine Kollegen schienen dankbar zu sein, noch ein wenig Zeit zu haben, bis die Pflicht sie wieder vollends in Anspruch nehmen würde.

Zehn Minuten später hatte Grüber sich zu ihnen gesetzt. Stern schlug eine grüne Mappe mit seinen Unterlagen auf.

»Kollegen, seid ihr soweit?«

Alle wendeten den Blick ihrem Chef zu. Der Leiter der Ersten Mordkommission konzentrierte sich kurz und begann gewohnt sachlich.

»Heute Morgen wurde in der Albrecht-Achilles-Straße in Wilmersdorf der circa fünfundvierzig Jahre alte Bernd Schöne in seinem Auto erschossen aufgefunden. Sein Tod ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Folge zweier massiver Schussverletzungen im Kopfbereich. Die Schüsse wurden aus nächster Nähe abgegeben und trafen Schöne an der linken Schläfe, knapp oberhalb des Ohrs, sowie etwas versetzt Richtung Hinterkopf. Wir können von einem Tötungsdelikt ausgehen. Weder im Wagen des Opfers noch in der näheren Umgebung des Wagens wurde die Tatwaffe gefunden. Wir können auch davon ausgehen, dass der Fundort der Tatort ist. In unmittelbarer Nähe der Fahrerseite des Autos haben die Beamten der Spurensicherung zwei Patronenhülsen gefunden.«

Berg meldete sich per Handzeichen. Stern hielt inne und nickte ihm zu.

»Wurden die Hände des Opfers schon auf Schmauchspuren untersucht?«

»Wozu, wenn am Tatort keine Waffe gefunden wurde?«, entgegnete Watzke sofort.

»Damit wir Selbstmord von vornherein mit Sicherheit ausschließen können!«

»Maßgeblich wäre dann doch die linke Hand«, setzte Watzke nach. »Mit rechts kann man sich nicht in die linke Schläfe schießen. Außerdem wurden zwei Schüsse abgegeben, haben wir gerade gehört.«

»Wir müssen also auch herausfinden, ob – wie heißt der Tote nochmal?«

»Bernd Schöne.«

»Ob Bernd Schöne Rechts- oder Linkshänder war«, führte Berg seinen Satz ruhig zu Ende. Dass er sauer war über die Belehrung durch seinen Kollegen, war dennoch zu erkennen.

Hauptkommissar Stern nickte zustimmend, obwohl er der gleichen Meinung war wie Kollege Watzke.

»Wurden die Projektile schon gefunden?«, wandte sich Kriminalkommissarin Gold an Grüber.

»Nein. Die Spurensicherung dauert noch an. Und die Kollegen der Rechtsmedizin sind auch noch lange nicht fertig. Wir müssen ihre Berichte abwarten.«

Der Leiter der Mordkommission hatte den Eindruck, mit seinen Ausführungen fortfahren zu können, und klopfte mit der Hand dreimal kurz auf den Tisch. Sofort kehrte wieder Ruhe ein.

»Wir haben im Kofferraum des Wagens eine Sporttasche mit benutzter Trainingskleidung und feuchten Handtüchern gefunden. In der Nähe des geparkten Fahrzeugs befindet sich das FITX-Fitnessstudio. Auf dem Ku`damm, direkt vor der Schaubühne, am Lehniner Platz. Vielleicht hat Bernd Schöne dort trainiert, bevor er getötet wurde. Kollegin Gold und Sie, Kollege Berg, werden im Anschluss an unsere Besprechung zu dem Studio fahren und die Mitarbeiter befragen. Wir müssen wissen, ob sich Schöne und der Täter möglicherweise dort getroffen haben oder sich begegnet sein könnten.«

Stern machte eine kurze Pause und führte automatisch seinen Kaffeebecher zum Mund. Nachdem er festgestellt hatte, dass der Becher leer war, sprach er weiter. »Was wir nicht gefunden haben, sind Portemonnaie oder Brieftasche des Opfers mit seinen Papieren sowie sein Handy.«

»Raubüberfall?«, fiel Watzke seinem Chef ins Wort.

»Wissen wir noch nicht!«

»Und wie konntet ihr ihn identifizieren?«, wollte Berg wissen.

»Wie der Zufall es will, kenne ich den Mann.«

Die Beamten machten große Augen.

»Ich hab früher öfter Tennis gespielt auf der Anlage in der Cicerostraße. – Die ist nicht weit entfernt vom Tatort.«

»Sie waren im Tennisclub?«, rutschte es Marieluise Gold heraus.

»Was soll das denn heißen?«

Die junge Kommissarin erschrak. Sie wusste nicht, ob die heftige Reaktion ihres Chefs gespielt oder echt war. Überwerfen wollte sie sich mit ihm auf keinen Fall. Erleichtert registrierte sie, dass Stern in ruhigem Ton fortfuhr.

»Das war kein Tennisclub. Dort konnte jeder, der wollte, einen Platz mieten. Man musste nicht Mitglied werden.«

Außerdem hatte ihm damals gefallen, dass auf dieser Anlage keiner großen Wert legte auf elitäres Gehabe. Weder war weiße Tenniskleidung vorgeschrieben noch war es üblich, jedem der Anwesenden die Hand zu schütteln, wenn man ankam, oder gar, sich per Bussi Bussi zu begrüßen.

»Bernd Schöne gab damals dort gelegentlich Trainerstunden für Leute, die nicht in seinem Verein waren. Auch im Frühjahr, wenn sein Club die eigenen Plätze noch nicht eröffnet hatte, war er mit seinen Spielern da und war bekannt wie ein bunter Hund.«

»Heute scheint er einer der Betreiber der Anlage zu sein. In seinem Auto haben wir Flyer und ein paar Visitenkarten gefunden mit seinem Namen«, warf Grüber ein. »Die Anlage heißt jetzt ZentralStadion. Als Betreiber werden Hartmut Fender und Bernd Schöne genannt.«

»Ich hab gestaunt«, erklärte Stern. »Soweit ich weiß, wurden die Tennisplätze vor Jahren schon geschlossen. Es hieß damals, der Senat habe das Gelände an eine Investorengruppe verkauft und diese wollte den Pachtvertrag mit der Vorgängerin nicht mehr verlängern. – Und warum?«, fragte der Kriminalhauptkommissar in die Runde. Seine Kollegen blickten ihn verständnislos an.

»Richtig! Luxuswohnungen! Auf dem riesigen Filetgrundstück direkt in der City-West sollen Luxusvillen mit Luxuswohnungen entstehen. Was brauchen die Berliner denn dringender als Luxuswohnungen?«

»Offenbar hat sich dann aber jemand schwer verkalkuliert«, grinste Berg. »Wenn nach so langer Zeit immer noch nicht mit dem Bauen begonnen wurde.«

»Soweit ich weiß, steht das ganze Ensemble, inklusive der Schaubühne und der Mietshäuser, unter Denkmalschutz und eine Bürgerinitiative, die geklagt hat, hat die Bebauung bisher verhindert.«

»Und jetzt haben die Beiden die Tennisanlage wieder in Betrieb genommen. Schön für dich!« Grüber grinste seinen Chef an. »Dann kannst du ja bald wieder dort spielen.«

»Stimmt!«

Stern räusperte sich mehrmals, griff dankbar nach dem Becher mit Wasser, den ihm Marieluise Gold hinhielt, und wurde wieder sachlich. »Kommen wir zurück zum Fall. – Der Leichnam Bernd Schönes wurde von einer Anwohnerin entdeckt. Die Frau wohnt in der Dahlmannstraße und geht jeden Morgen mit ihrem Hund in die kleine Grünanlage am Hochmeisterplatz. Sie hat ausgesagt, dass sie den Mann schon auf ihrem Hinweg in seinem Wagen sitzen sah. Als sie dann mit ihrem Hund zurückkam und der Mann sich immer noch in seinem Auto befand, wunderte sie sich. Das Seitenfenster war ganz heruntergekurbelt, obwohl es inzwischen in Strömen regnete und ein böiger Wind den Regen in den Wagen wehte. Der Mann schien sich auch überhaupt nicht zu bewegen. Deshalb trat sie an das Auto heran und bemerkte, dass er blutverschmiert war und am Kopf offensichtlich schwer verletzt. Daraufhin hat sie sofort den Notarzt alarmiert, kurz darauf wurden wir informiert.«

»Das war ziemlich genau um sechs Uhr heute Morgen«, ergänzte Grüber, nachdem Stern seine Ausführungen scheinbar beendet hatte. »Getötet wurde der Mann aber nach der ersten Einschätzung des Rechtsmediziners etwa sechs bis sieben Stunden früher. Also zwischen dreiundzwanzig Uhr und Mitternacht.«

Zustimmend nickte Kriminalhauptkommissar Stern. Eine wichtige Information hatte sich der Leiter der Mordkommission jedoch noch aufgehoben für sein Team.

»Das Beste zum Schluss«, lenkte er die Aufmerksamkeit seiner Ermittlungsbeamten wieder auf sich. »Ich hab mich heute Morgen ein bisschen in der Umgebung des Tatortes umgeschaut und dabei eine Entdeckung gemacht, die unsere Ermittlungsarbeit vielleicht voranbringen könnte.« Er machte eine kleine Pause, um die Spannung noch ein wenig zu steigern. »Genau gegenüber von dem Parkplatz, auf dem Bernd Schöne mit seinem Auto gestanden hat, befindet sich das Finanzamt Wilmersdorf. An dem Gebäude sind zwei Überwachungskameras angebracht. Eine über dem Eingangsbereich und eine zweite an der Außenfassade. Wenn wir Glück haben, finden wir auf den Aufnahmen des gestrigen Abends etwas, was uns weiterhelfen könnte. Ich hab uns bereits telefonisch dort anmelden lassen.«

In einem früheren Fall war ihm einmal eine für jeden deutlich sichtbar angebrachte Überwachungskamera entgangen. Ein Beamter der Spurensicherung hatte ihn auf das Gerät aufmerksam gemacht und er hatte sich sehr über seine eigene Nachlässigkeit geärgert. Seitdem war ihm das nicht wieder passiert. Auch heute Morgen hatte er ganz genau hingeschaut und dabei sein besonderes Augenmerk auf das langgezogene Gebäude des gegenüberliegenden Finanzamtes gelegt. Und er war fündig geworden. Grüber, der sich zu dem Zeitpunkt angeregt mit dem Rechtsmediziner Dr. Groß unterhielt, hatte er nichts von seiner Entdeckung erzählt. Diese Neuigkeit wollte er sich als Highlight zum Abschluss der heutigen Besprechung mit dem gesamten Team und als motivierenden Startschuss für den Beginn ihrer Ermittlungsarbeit aufheben.

»Ralph, wir beide werden nachher zusammen dorthin fahren. Anschließend gehe ich dann zu Fuß rüber zu den Tennisplätzen und schau mal nach, ob auf der Anlage jemand anzutreffen ist. Normalerweise müssten die jetzt mit der Vorbereitung der Plätze für die Saisoneröffnung beschäftigt sein.«

»Wieso rufst du nicht einfach an?«

»Ich setze gerne auf den Überraschungseffekt.«

Stern grinste, wurde aber sofort wieder ernst.

»Aber vorher müssen noch die Angehörigen informiert werden. Schöne hat einen Sohn, der müsste inzwischen etwa achtzehn Jahre alt sein. Er lebte früher mit seiner Mutter in Schöneberg. Die heißt genauso wie ein alter Freund von mir. Wahrscheinlich konnte ich mich deshalb noch an ihren Namen erinnern. Ruhmann. Karin Ruhmann heißt die Frau.«

Der Hauptkommissar blickte in seine Unterlagen. »Die Adresse ist Innsbrucker Straße sieben. Zum Mitschreiben: Zehn, acht, zwei, fünf Berlin. – Watzke, übernehmen Sie das?«

Der Kriminalkommissar nickte wortlos. Seinem Gesicht sah man an, dass er nicht begeistert war.

Ein paar Minuten später waren alle weiteren Arbeitsaufträge für den Rest des Tages an jedes einzelne Mitglied des Teams verteilt.

»Wir treffen uns wieder hier um achtzehn Uhr.«

Allen war klar, dass sie ihre privaten Termine für die nächsten Tage canceln mussten.

Stern schob seinen Stuhl zurück. »Viel Erfolg«, wünschte er seinen Kollegen, dann verließ er als erster den Besprechungsraum.

*

4 Der Raum war stockdunkel. Die schwarzen Vorhänge ließen nicht den kleinsten Lichtschein hinein. Durch die geschlossenen Fenster drang keines der Geräusche von der Straße in sein Zimmer. Wie in einem Grab, dachte Nico Ruhmann, während er seine Augen öffnete. Oder wie im Gefängnis. Aber irgendetwas hatte ihn geweckt. Er hörte, wie seine Mutter ihr Schlüsselbund auf der Kommode im Flur ablegte. Es musste schon zehn sein. Um diese Zeit kam seine Mutter gewöhnlich von ihrer Nachtschicht zurück. Wenn sie bemerken würde, dass er noch im Bett lag und nicht zur Schule gegangen war, würde sie explodieren. In letzter Zeit war sie wieder sehr dünnhäutig. Im Krankenhaus fehlte es an Personal und die, die da waren, verausgabten sich so, dass sie reihenweise krank wurden. Nur seine Mutter hielt tapfer durch. Selbst schuld, dachte er und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Seine Mutter war ins Bad gegangen. Vielleicht würde sie sich hinlegen, ohne vorher in sein Zimmer zu schauen.

»Du bist schon wieder nicht in der Schule?«, hörte er plötzlich seine Mutter schreien.

Karin Ruhmann stand im Zimmer ihres Sohnes und tastete nach dem Lichtschalter. Sie spürte eine unbändige Wut in sich aufsteigen.

»Ich quäle mich seit Wochen Tag für Tag zur Arbeit, um wenigsten ein bisschen Geld für uns zu verdienen, und mein Herr Sohn hält es nicht für nötig, zur Schule zu gehen! Liegt bis mittags im Bett! Ich mach das nicht mehr mit! Dann geh doch ab von der Schule! Such dir eine Arbeit! Du wirst in ein paar Monaten neunzehn!«

Die Mutter merkte, wie sie die Kontrolle verlor.

»Du Versager!«, schrie sie. »Du bist genauso ein Versager wie dein Vater. Der nimmt keinen vernünftigen Job an und du rührst auch keinen Finger! Weißt du, wann dein Vater zum letzten Mal einen Euro an Unterhalt gezahlt hat? Weißt du das? Wie willst du denn mal Geld verdienen? Und wann endlich!«

Sie fing an zu weinen. »Ich kann nicht mehr!«

Sie drehte sich um und verließ den Raum. Die Tür ließ sie offen.

Nico wusste, dass sie recht hatte. Er hatte die unbezahlten Rechnungen gesehen, die sich auf dem Küchenschrank stapelten. Vor zwei Tagen war ein Schreiben der Hausverwaltung gekommen. Den Brief hatte seine Mutter noch gar nicht geöffnet. Noch eine Mieterhöhung würde sie mit ihrem Krankenschwestern-Gehalt nicht mehr finanzieren können. Und eine andere bezahlbare Wohnung in der Umgebung zu finden, war unmöglich geworden, das wusste er. Selbst schuld, dachte er schon wieder. Hätte sie den Unterhalt von seinem Vater eingeklagt und sich nicht immer wieder von ihm hinhalten und vertrösten lassen, würde es ihnen besser gehen. »Es dauert nicht mehr lange, dann kommt der große Geldregen«, hatte er ihr zuletzt am Telefon versprochen. »Dann zahl ich dir alles, bis auf den letzten Cent. Ehrenwort!«

Zahle alles, bis auf den letzten Cent, wie oft hatten sie das schon gehört.

»Hmm«, entfuhr es Nico. Er warf die Bettdecke zurück und stand auf. Schlafen konnte er sowieso nicht mehr. Zum Glück hatte seine Mutter nicht bemerkt, dass er seine Straßenkleidung noch trug. Zur Schule gehen wäre heute einfach unmöglich gewesen.

*

Sie hatten die Route über die Lietzenburger Straße gewählt. Der Verkehr floss hier etwas zügiger als auf dem stark befahrenen Ku`damm mit seinen Bus- und den vielen Abbiegespuren. Jetzt standen sie jedoch in der Xantener Straße und kamen nur langsam weiter. Es herrschte Tempo dreißig. Außerdem war die Grünphase an der Kreuzung zur Brandenburgischen Straße sehr kurz.

»Glaubst du, der Tod Schönes könnte etwas mit seinem Job zu tun haben?«, fragte Stern.

Grüber sah ihn von der Seite an, ohne dabei den Verkehr vor sich aus den Augen zu verlieren. Während er den Wagen ein kleines Stück weiter nach vorne manövrierte, entgegnete er: »Wie kommst du darauf? Was sollte der Grund sein, einen von zwei Betreibern einer Tennisanlage zu erschießen?«

»Ich weiß es nicht. Ich denke aber, der wird sicher nebenbei noch Trainerstunden gegeben haben. Und früher war der kein Kind von Traurigkeit. Wenn es darum ging, eine seiner Tennisschülerinnen flachzulegen, hat der nichts ausgelassen. – Das ist allerdings schon mehr als zehn Jahre her.«

»Du denkst an Eifersucht?«

»Ja, zum Beispiel.«

Inzwischen waren sie an der Kreuzung angelangt. Als die Ampel wieder auf Grün schaltete, gab Grüber Gas und steuerte auf die Paulsborner zu.

»Oder es gab finanzielle Probleme. Vielleicht hat er sich bei irgendeinem aus der Halbwelt Geld geliehen. Die müssen ein Vermögen investiert haben, um die Anlage wieder auf Vordermann zu bringen. Ich bin vor ein paar Jahren mal mit dem Fahrrad dort vorbei gekommen, da wirkte das Gelände schon verwildert und das frühere Clubhaus völlig verrottet. Das einzige, was dort noch an Tennisplätze erinnerte, waren die Reste einiger ehemaliger Spielfeldlinien und ein paar einzelne zurückgelassene Netzpfosten, die auf dem Gelände vor sich hin rosteten.«

Grüber hatte über die Spekulationen seines Chefs nachgedacht.

»Du denkst, er konnte das Geld nicht wie vereinbart zurückzahlen? Aber in dem Fall wäre es doch bekloppt gewesen, ihn zu erschießen. Wie soll man denn jetzt an sein Geld kommen?«

Stern hatte keine Antwort.

»Soll ich hier parken?«, fragte Grüber und trat abrupt auf die Bremse. »Vor dem Finanzamt werden wir sicher keinen freien Parkplatz finden.«

Kurz darauf betraten sie das imposante und unter Denkmalschutz stehende Gebäude mit der Hausnummer 62–64. Grüber hatte recht gehabt. In der gesamten Straße war kein einziger Parkplatz frei gewesen. Die Stelle, auf der Schönes Wagen heute früh gestanden hatte, war noch abgesperrt. Das Fahrzeug hatten die Kollegen von der Kriminaltechnik aber bereits gesichert und zu ihrem Dezernats-Gelände am Tempelhofer Damm transportiert. Dort wurde die Arbeit von ihnen fortgesetzt.

»Das war früher ein Krankenhaus. Ein Freund von mir lag mal hier drin«, wusste Grüber. Während sie auf die großzügige, verglaste Portiersloge zugingen, griffen beide automatisch in ihre Jackentaschen und hielten der Dame mittleren Alters, die sie neugierig und zugleich kritisch musterte, unaufgefordert ihre Ausweise hin.

»Guten Tag, Kriminalpolizei. Wir müssen wissen, wer bei Ihnen für die Kontrolle der Überwachungskameras zuständig ist«, begann Grüber knapp. Er hatte keine Lust, sich von der angriffslustig dreinschauenden Empfangsdame beeindrucken zu lassen.

»Das macht unser Hausmeister, Herr Heckmann. Der hat sein Büro unten im Keller«, antwortete die Dame friedfertig.

Geht doch, dachte Grüber und grinste innerlich.

»Ich weiß aber nicht, ob der überhaupt jetzt hier ist. Der hat noch weitere Gebäude zu betreuen«, ergänzte sie.

»Aber der Mann hat doch sicher ein Handy«, bemerkte der Hauptkommissar. »Wären Sie so nett und würden ihn anrufen?«

*

Die junge Kriminalkommissarin schloss die Fotos des FitX-Studios auf dem Bildschirm ihres Rechners und war beeindruckt. Die Außenaufnahme des Gebäudes zeigte eine komplett verglaste Fassade der ganzen ersten Etage, in der das Studio untergebracht war. Sie bot den Kunden während des Trainings einen tollen Ausblick auf den Kurfürstendamm und den gegenüberliegenden Teil des Lehniner Platzes. Auch das Ausmaß der Trainingsflächen und die Geräteausstattung waren kaum zu überbieten. Du bist nicht auf der Suche nach einem Fitness-Studio, wies sie sich zurecht, griff nach dem Telefon und gab die Nummer des Studios ein.

»Kriminalkommissarin Gold, LKA Berlin«, sprach sie kurz darauf in den Hörer. »Wir ermitteln in einem Tötungsdelikt und müssen davon ausgehen, dass der Tote, kurz bevor er starb, in Ihrem Studio trainiert hat. Können Sie das überprüfen?«

»Überprüfen?«

»Ja. Ich gehe davon aus, dass Sie bestimmt kontrollieren, wer zum Training zu Ihnen kommt. Vielleicht wissen Sie auch, wie lange Ihre Kunden bleiben.«

Marieluise Gold hatte keine Ahnung, wie das ablief in einem Fitness-Studio, sie war keine Kundin. Aber irgendwie mussten die Betreiber doch den Überblick behalten.

»Dann müssten Sie mir erst mal den Namen geben«, hörte sie die junge Frau am anderen Ende der Leitung sagen.

»Das mache ich natürlich nicht am Telefon«, entgegnete die Kommissarin. »Ich hab aber noch eine zweite Frage. Ich muss die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragen, die gestern Abend gearbeitet haben, im Zeitraum zwischen einundzwanzig Uhr und Mitternacht. Wissen Sie, ob die schon wieder im Einsatz sind?«

»Nein, da müsste ich unseren Geschäftsführer fragen. Wir arbeiten hier im Schichtbetrieb. Zumindest die Festangestellten. Es gibt aber auch viele Teilzeitkräfte. Die arbeiten manchmal nur ein- oder zweimal die Woche für ein paar Stunden.«

»Können Sie mich mit Ihrem Geschäftsführer verbinden?«

»Nein, leider nicht. Der ist gerade zur Pause. Dann schaltet der sein Handy immer aus.«

Recht hat er, dachte Gold.

»Aber ich kann ihm Bescheid sagen, wenn er zurückkommt. Dann kann er Sie zurückrufen.«

»Das ist sehr nett. Aber denken Sie bitte dran. Es ist sehr wichtig. Unsere Nummer haben Sie ja auf Ihrem Display. – Wie war noch mal Ihr Name?«

»Mia Sommer.«

»Vielen Dank, Frau Sommer.« Die Kommissarin legte auf.

»Hast du gehört, Michael? Wir müssen noch warten, bevor wir zu diesem Fitness-Studio fahren können.«

Berg war damit beschäftigt, eine Datei mit bereits hochgeladenen Tatortfotos zu studieren, und antwortete, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, mit hochgehaltenem Daumen.

Die Zeit kann ich nutzen, dachte Marieluise Gold. Sie gab `Tennisplätze Cicerostraße` in ihren Rechner ein. Ihr war nichts von dem bekannt gewesen, was ihr Chef über die ehemalige Tennisanlage erzählt hatte. Sie spielte nicht Tennis und war außerdem zu jung, um die Anlage von früher zu kennen. Aber wozu gab es das Internet? In ihrem Job war es von Vorteil, auf dem Laufenden zu sein, was Fakten zu aktuellen Fällen betraf. Besonders wenn man auch laufbahntechnisch weiterkommen wollte. Ein Lächeln huschte ihr beim Drücken der Eingabetaste über das Gesicht.

Eine Viertelstunde später war sie schlauer. Die ehemalige Tennisanlage gehörte zu dem sogenannten WOGA-Komplex, benannt nach der früheren `Wohnungs-Grundstücks-Verwertungs-Aktiengesellschaft`, der zwischen 1925 und 1931 nach den Plänen von Erich Mendelsohn gebaut wurde. Der Komplex sollte ein Ensemble bilden aus Kultur, Wohnen und Möglichkeiten zum Einkauf und umfasste unter anderem ein Kino, ein Kabarett sowie ein Café-Restaurant und ein Hotel. Auch eine Wohnanlage gehörte dazu, in deren Innenraum sich die Tennisplätze befanden. Sie wurden bis 2007 bespielt, bevor der Pachtvertrag nicht mehr verlängert wurde. So stand es zumindest in einem Zeitungsartikel. Eine Bebauung des Areals mit mehrgeschossigen Stadtvillen war geplant gewesen, jedoch wegen des bestehenden Denkmalschutzes des gesamten Komplexes über viele Jahre nicht realisiert worden. Und jetzt wird dort wieder Sport getrieben. Finde ich gut, dachte Marieluise Gold. Ihr gefiel es auch nicht, dass inzwischen jede noch so kleine freie Fläche in der Innenstadt zugebaut wurde. Die City war jetzt schon zu voll. Von fehlenden Parkplätzen ganz zu schweigen.

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