Zerlegt - Ulrike Maier - E-Book

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Ulrike Maier

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Beschreibung

Ein Jahr ist es nun her, seit in dem kleinen Kahlgrunddorf Dörnsteinbach zwei Morde geschahen. Nun steht der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder bevor und die Metzgerfamilie Vormann hofft auf ein Urteil, das ihnen den Seelenfrieden wieder zurückbringt. Aber nicht nur das Gerichtsverfahren, auch der Neubau der kompletten Hauptstraße und sinkende Verkaufszahlen belasten den Betrieb. Seit hundert Jahren besteht die Landmetzgerei nun schon und jetzt kämpft sie um ihre Existenz. Die Tierärztin, Dr. Romy Raven-Vogt, hat die Fleischbeschau im Kahlgrund übernommen und während sie sich behutsam in ihr neues Revier einarbeitet, wird sie zum Beobachter der neuerlichen Ereignisse. Ein vermisstes Kind und ein Schatz werden gesucht und eine mysteriöse Leiche taucht auf. Das Chaos ist wieder im Kahlgrund erwacht!

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Inhaltsverzeichnis

Eins

Eins

Für Romy war es inzwischen zur schönen Tradition geworden, an jedem Freitagabend im Alzenauer Hotel Zum Freigericht essen zu gehen. Als notwendiges Übel dagegen sah sie es an, dass sie dort auch übernachten musste.

Die Wirtin Johanna und sie bezeichneten diesen Umstand spaßeshalber Gretas Herrenabend, was eigentlich nur als ein running gag gedacht war, denn Romy hatte keine Ahnung, was ihre ältere Schwester am Freitagabend in ihrer Wohnung trieb und sie deshalb von dort verbannte.

Tatsache war, dass Greta diesen Abend für sich haben wollte.

So setzte sich die Tierärztin nun, wie seit Monaten gewohnt, an den Tresen auf den Barhocker. Ihre Körpergröße von eins achtzig entsprach optimal der schon oft ausgeführten Besamungstätigkeit, da sie bequem, ohne sich strecken oder bücken zu müssen, das Rektum des bulligen Rindes erreichte.

Romy wusste, dass Johanna es genoss, wenn sie bei ihr an der Theke Platz nahm und sie so eine Unterhaltung führen konnten, die zwar oft durch andere Gäste unterbrochen wurde, aber nie den roten Faden verlor. Zwei Frauen eben, mitten im Leben stehend und schon so viel erlebt, dass der Gesprächsstoff nie erlahmte.

So auch an diesem Abend, wobei Romy feststellte, dass eine große Gruppe Wanderer zu verköstigen war, was vermutlich Johannas Redseligkeit auf ein Minimum sinken lassen würde.

„Dachte schon, du kommst heute nicht!“, rief die Wirtin lächelnd, als sie durch die Küchentüre heraustrat.

„Ja, bin etwas spät dran“, lächelte Romy zurück und bestellte das Tagesmenü mit Fleisch und ein Glas Apfelsaftschorle.

„Bin gerade ziemlich beschäftigt, aber die Jungs da drüben haben schon gegessen und gleich räume ich ab. Dann wird’s erst mal ruhiger.“

„Kein Problem.“ Romy schielte auf den Trupp Männer, Ü 50, tippte sie, der offensichtlich viel zu lachen hatte. Wie schon so oft, seit sie diese Wirtschaft besuchte, summte sie unbewusst das Lied Piano Man von Billy Joel. Nein, es summte in ihrem Kopf mit Mundharmonika und Klavier. Dies war eines ihrer Lieblingslieder, denn der Text berührte sie jedes Mal. Grob erzählt ging es um eine Kneipe, in der sich verschiedene Menschen trafen, die entweder einsam oder frustriert waren und dort eine Zuflucht fanden. Romy fühlte sich weder einsam noch frustriert, aber Johannas kleines Hotel, ja, das konnte sie bestätigen, war wie ein Obdach für sie.

Erst jetzt entdeckte sie auf dem Tresen den scheinbar verlassenen vollen Gin Tonic, mittig auf einem Bierdeckel stehend.

„Sitzt hier jemand?“

Johanna nickte, während sie Bier zapfte.

„Ein Gast, Frank Müller heißt er und hat heute eingecheckt. Unser Alter etwa“, sie senkte die Stimme, hauchte es beinahe, „und unfassbar gut aussehend!“

„Tatsächlich!“

Na, dachte Romy bei sich, da bin ich ja mal gespannt.

Als Johanna ihr dann die übliche Apfelsaftschorle reichte, fügte sie an: „Er ist Journalist und Buchautor! Hat er gesagt.“

„Oh mein Gott!“, entfuhr es Romy. Bücher waren für sie das Lebenselixier und wenn sie shoppen ging, endete sie immer in einem Buchladen.

„Müller?“, dachte sie laut, „sagt mir jetzt nichts. Klingt so gewöhnlich wie Meier oder Schmidt. Vielleicht schreibt er unter Pseudonym? Das würde ich tun, wenn ich Müller heißen würde.“

Die dünne Wirtin mit dem Kurzhaarschnitt hob die Schultern.

„Ich kenne ihn auch nicht, aber ich komme ja auch nicht zum Lesen. Ich glaube mein letztes Buch war Hanni und Nanni, Teil eins.“

Romy lachte beinahe lautlos, da sie immer befürchtete man entdeckte sie am Tresen und zwang ihr ein Gespräch auf, weil sie alleine zu sein schien. Nette Geste, zweifellos, aber sie war ja nicht einsam, ihre Freundin stand nur auf der anderen Seite. „Und ich lese gerade eine Geistergeschichte. England, 18. Jahrhundert, Witwer sucht Lehrerin für seine Kinder. Man lebt natürlich einsam und im Schloss. Da liegt die neue Gouvernante in der ersten Nacht im Bett und eiskalte Hände versuchen sie an den Knöcheln herauszuziehen. Jetzt traue ich mich kaum mehr das Licht auszuschalten.“ Sie bekam Gänsehaut, wenn sie nur an die Szene dachte.

„Klingt ein bisschen pervers, findest du nicht? Etwas zu lesen, das einem den Schlaf raubt.“

Ehe Romy antworten konnte, verschwand Johanna entschuldigend guckend an den Tisch der Wanderer und neben ihr tauchte ein großer, dunkelhaariger Mann in den Vierzigern auf.

„So, habe ich also Verstärkung bekommen? Das ist schön, fühlte mich schon ein wenig einsam an der Theke. Mein Name ist Frank Müller.“ Er hielt ihr die Hand hin und Romy rutschte vom Barhocker und sah an ihm hoch.

„Romy Raven-Vogt.“ Nie zuvor sah ich solch einen schönen Mann, durchfuhr es sie. Er überragte sie etwa um eine Kopfeslänge.

„Romy, wie Romy Schneider?“

Die Tierärztin seufzte innerlich. „Ja, tatsächlich wie die Schauspielerin. Meine Mutter stand auf sie. Sie wissen schon, wegen Sissi.“

Der Fremde grinste breit und nickte. „Wer kennt sie nicht? Ist ja Pflichtprogramm an Weihnachten.“

„Sie auch?“

Frank ließ nun ein sympathisches Lachen hören und präsentierte unfassbar weiße Zähne. „Nein, ich bin kein Sissi-Jünger, aber ich habe gehört, dass es so sein soll.“

Kurz sahen sie sich nur an, das Gespräch stockte.

„Darf ich Sie zu einem Glas Wein einladen?“

„Klar.“ Kommunikation mit Fremden war sonst nicht ihre Stärke, aber der Mann machte es ihr leicht. Keine zehn Sekunden dauerte es und sie fand ihn sympathisch, wobei sein ansprechendes Äußeres nicht schadete.

Beide setzten sich wieder auf die Barhocker und Frank begann mit den üblichen Kennenlernphrasen. Johanna war noch nicht hinter den Tresen zurückgekehrt.

„Doppelname, klingt nach verheiratet“, mutmaßte er etwas später.

„Wäre das ein Hindernis?“

Er sah sie irritiert an.

Romy lachte. „Entschuldigung, ich sage manchmal solche Sachen, die man eigentlich nicht sagen sollte.“

„Okay“, lächelte er.

„Wir machen es so“, sprach die Tierärztin rasch weiter,

„wir fragen abwechselnd und jeder muss antworten. Also wenn ich sage, geschieden, dann sagen Sie was?“

„Ledig.“ Er lächelte wieder so ein Lächeln zum Niederknien. „Kinder?“, fragte er sofort.

„Jetzt wäre ich eigentlich dran gewesen. Aber, ja, einen Sohn, schon erwachsen.“

„Und ich hoffe, ich habe keine Kinder, zumindest weiß ich von keinen. Also, Sie sind dran.“

„Woher kommen Sie?“

„Hört man das nicht? Out of Rosenheim.“

Romy schmunzelte über die Anspielung auf den Film mit MarianneSägebrecht. „Naja, vielleicht ein bisschen“, gab sie dann zu.

„Verdammt! Habe schwer daran gearbeitet diesen Dialekt loszuwerden“, meinte er schmunzelnd.

„Warum denn? Dialekte finde ich schön, vermutlich weil ich keinen spreche.“

Frank schnaubte. „Es gibt Menschen, die glauben man habe einen geringeren IQ wenn man Dialekt spricht, das hat mich immer geärgert.“

„Blödsinn!“, rief Romy, „der Dialekt ist quasi eine Fremdsprache, Frank. Sie sind bilingual aufgewachsen und ich beneide Sie darum.“

Dafür schenkte er ihr ein weiteres Lächeln.

Johanna trat hinzu. „Essen kommt gleich. Für beide.“

„Ja, und wir hätten gerne eine Flasche Wein, Johanna“, sagte Frank zu ihr und Romy dachte zugleich, dass jeder ihre Freundin Johanna nannte, die Frau offenbar ohne Nachnamen.

„Was mögen Sie, Frau Raven-Vogt?“

„Sie mag trockenen Roten, nicht wahr, Frau Doktor!“, antwortete die Wirtin an ihrer Stelle.

„Frau Doktor!“, meinte Frank bewundernd, aber sie winkte ab. Ihre Wangen verfärbten sich rosa. Romy verdrehte die Augen in Johannas Richtung.

Bald stellte sie Gläser vor ihre Gäste und entkorkte eine Flasche. Während sich Frank über den Wein aufklären ließ, der hier in der Region angebaut wurde, dachte die Tierärztin, dass genau solche Abende das Leben lebenswert machten. Früher wäre es ihr nie in den Sinn gekommen alleine essen zu gehen, aber seit sie einmal die Woche im Hotel Zum Freigericht nächtigen musste, hatte sie diese Scheu abgelegt.

Johanna machte es ihr natürlich leicht. Bat die Single-Frau an den Tresen und band sie anfangs in Gespräche ein, wenn andere Gäste eintraten. Inzwischen kannte Romy das Stammklientel und eigentlich gab es immer jemanden, der ein Schwätzchen mit ihr hielt, wenn er kam oder ging. Für eine nach vielen Jahren wieder Zugezogene, die sie ja war, ein Segen. Auch half man ihr anfangs sich zu orientieren, wenn sie bei den Ortschaften im Kahlgrund nicht mehr durchblickte. Immerhin war sie erst neun Jahre alt gewesen, als ihre Familie von Alzenau nach Kressbronn am Bodensee zog.

„Zum Wohl, Romy“, hörte sie jetzt Frank sagen und schrak auf. Er hielt schon sein Glas in der Hand.

„Zum Wohl, Frank“, lächelte sie und stieß mit ihm an, womit der förmliche Teil offensichtlich beendet war. Während er in große, blaue Augen blickte, sah sie einen Kerl, der das mutmaßlich vierzigste Lebensjahr erlangt, aber unbeschadet übersprungen hatte. Alles an ihm war wohl proportioniert, nur die Fingernägel waren für ihren Geschmack zu kurz. Vielleicht kaute er daran, der Herr Schriftsteller, wenn ihm nichts einfiel.

„Beruf?“, fragte er jetzt.

„Rate“, entgegnete Romy, die sich jetzt etwas gemein vorkam, weil sie seinen schon kannte.

„Nun ja, Ärztin?“

„Beinahe.“

„Zahnärztin?“

„Gott bewahre!“

„Na, doch nicht Tierärztin?“

„Doch.“

Das wollte er nun genauer wissen und sie erklärte ihm in einigen Worten, was sie seit letztem November machte. Fleischbeschau im Kahlgrund und Hygieneüberwachungen in Metzgereien.

„Klingt spannend“, meinte er und verhehlte nicht, dass er ein wenig enttäuscht war.

„Nun ja, Verbraucherschutz im Namen des Landratsamtes. Muss ja auch irgendwer machen.“

„Ich dachte, jetzt kommen dramatische Geschichten aus dem Praxisalltag.“

Romy lächelte. „Die kann ich dir auch erzählen. Ich war viele Jahre lang praktische Tierärztin, aber abgesehen von ein paar ganz tollen Stories, ist es im Endeffekt nicht mehr als eine Dienstleistung und dementsprechend anstrengend. Ich meine, die Tiere kommen ja nicht alleine in die Praxis.“

„Was soll ich da heraushören? Frustration?“

Sie wackelte ein bisschen mit dem Kopf. „Ja und nein. Sagen wir mal so, die Verabschiedung des Gedankens, Tierärztin wäre ein Traumberuf. Hat sich ausgeträumt.“ Sie nahm einen großen Schluck Wein, denn immer wenn sie das sagte, galt es viel herunterzuschlucken.

„Und nun zu dir.“

„Okay, dann rate.“

Was zum Teufel riet man, wenn man die Antwort schon kannte? Sie musterte ihn von oben bis unten. Er trug dunkle Jeans, ein weißes T-Shirt und ein helles kurzärmliges Hemd darüber.

„Du bist hier, weil du auf Geschäftsreise bist. Momentan aber im Freizeitlook.“

„Nein“, sagte er und Romy erinnerte sich an eine Fernsehsendung von früher, bei der jetzt eine Mark in ein Porzellanschwein gefallen wäre.

„So ein Monteur oder wie man das nennt?“

„Nein?“

„Urlaub?“

„Nein.“

„Keine Ahnung? Warum wohnt man denn bei der Johanna? Aus der Wohnung geflogen wegen Streit mit der Freundin?“

Er grinste. „Nein.“

„Gib mir einen Tipp.“

„Ich recherchiere hier.“

„Journalist?“

„Ja, auch. Aber ich schreibe momentan an einem Buch und aus irgendeinem Grund befindet sich mein Held“, er machte diese Gänsefüßchen in der Luft mit Mittel- und Zeigefinger, „in der Gegend Alzenaus. Ich sehe mir die Orte gerne selbst an, die ich dann beschreibe.“

„Ein Schriftsteller!“, hauchte sie gespielt überrascht, wobei sie nach wie vor geplättet war. Wann lernte man denn schon mal einen waschechten Autor kennen?

„Weniger glamourös als es scheint“, meinte er trocken. „Ist wie mit deinem Beruf.“

Sie nickte beipflichtend. Das Dumme nur am Rotwein war, dass Romy ins Labern kam und gegen dreiundzwanzig Uhr kannte Frank ihre halbe Lebensgeschichte. Wäre nicht Johanna dazu gestoßen, ihre Feierabendschorle in der Hand, hätte sie ihm vermutlich die andere Hälfte auch noch erzählt.

„Wie ich sehe, haben sich da zwei gefunden“, grinste sie.

Romy errötete erneut.

„Ja, kann man so sagen“, meinte Frank ehrlich. „Guter Buchstoff, dein Leben!“

„OMG“, lächelte sie tonlos und Johanna lachte. Sie kam um den Tresen herum und hievte sich auf einen der Barhocker.

„Meine Füße“, seufzte sie. „Aber ich könnte die Schmerzen vergessen, wenn Sie mir erzählen würden, um was es denn in Ihrem Buch geht, Herr Müller. Alzenau? Was gibt es denn Erzählenswertes hier in Alzenau?“

„Frank reicht. Zum Wohl, Johanna!“

Man stieß wieder an.

„Ich schreibe einen Krimi.“

„Aha“, sagte Romy plump und Johanna nickte lange.

„Nicht gut?“

„Doch, doch“, beeilte sich die Tierärztin zu sagen, „ich mag Krimis nur nicht mehr so besonders gerne. Zum einen sind sie inzwischen teilweise unfassbar grausam und zum anderen finde ich diese lustigen Bücher über kauzige Kommissare fürchterlich. Es sind trotzdem immer noch Krimis und jemand muss sterben, sonst macht es ja keinen Sinn, aber dennoch ist alles nur auf komisch gemacht. Verstehst du meine Kritik? Es widerspricht sich geradezu, weil ein Mensch gestorben ist!“

Nun wackelte Frank lange mit dem Kopf, dachte über eine Antwort nach. „Da hast du sicher Recht, aber der Buchmarkt ist ein hartes Geschäft. Krimis laufen halt gut, besonders in Deutschland, das sieht man ja auch am Fernsehprogramm. Der Leser, beziehungsweise der Zuschauer, entscheidet und ein Autor muss überleben. Also schreibt er Krimis, wenn er es denn kann.“ Er leerte sein Glas. „Ich schickte vor vielen Jahren mein erstes Skript ein, damals ging das noch per Post an einen Verlag. Das bekam ich wieder zurück mit dem Hinweis, dass es den Mord innerhalb der ersten zwanzig Seiten geben muss!“

Er lachte heiser. „Dieses wohl ungeschriebene Gesetz kannte ich nicht. Ich sah mich als Erzähler, als Konstrukteur meiner Geschichte. Das Verbrechen geschah eben erst später, sei es drum, der Krimi liegt immer noch in der Schublade.“

„Und trotzdem schreibst du jetzt wieder einen.“

„Ja, und der erste Tote taucht innerhalb der zwanzig ersten Seiten auf!“, sagte er ein wenig bitter. „Irgendwie muss ich meine Rechnungen bezahlen.“

„Ja, das müssen wir alle“, murmelte Romy und teilte den letzten Rest der Weinflasche auf.

„Wird Zeit für Mister Billy Joel“, meinte Johanna, sah durch den leeren, inzwischen dunklen Raum und stand auf. Nur über der Theke brannten noch die Lichter.

Romy lachte leise und Frank hob die Augenbrauen. „Wenn du eine rauchen willst, dann wäre jetzt ein guter Zeitpunkt. Johanna und ich singen nämlich mit.“

„Ich rauche nicht.“

Als die ersten Klänge von Piano Man zu hören waren, lächelte Frank. Wie jeder Ü 40 kannte er den Refrain und schlussendlich grölte auch er mit.

„So“, sagte Romy, nachdem der Klavierspieler Feierabend machte, „ich muss morgen früh raus. Frank, es hat mich gefreut dich kennenzulernen.“ Sie leerte den letzten Schluck.

Er erhob sich. „Mich auch. Danke für den Abend.“

„Ganz meinerseits“, nickte sie ehrlich.

„Morgen ist Samstag.“

„Ja, und.“

„Du arbeitest?“

„Ja, da schlachten üblicherweise die Schäfer und Hauschlächter. Sagen wir es so, wer Wochenende will, sollte nicht Tierarzt werden!“

„Oder Wirtin.“

„Oder Journalist.“

Alle drei lachten und mit breitem Grinsen winkte Johanna Romy zum Abschied zu, die sich anschickte nach oben in ihr Zimmer zu gehen. Frank folgte ihr. „Romy?“

Sie drehte sich um. „Ja?“

„Ich bin noch eine Weile hier in Alzenau. Wie wäre es mit Sonntag, gemeinsames Abendessen?“

Die Mitvierzigerin nickte überrascht. Aber vermutlich interpretierte sie zu viel hinein.

„Halb sieben?“

„Ich werde da sein!“

Da die Tierärztin gar nicht die Haustüre benutzte, sondern sich durch den Schankraum entfernte, fragte Frank nach. Johanna erklärte ihm die Brisanz, wenn zwei ungleiche Schwestern plötzlich zwangsweise zusammen wohnen mussten.

Der Autor nickte verstehend, machte aber ein neutrales Gesicht.

„Aber das hat ja bald ein Ende, da Romy ein altes Haus renoviert. Sie ließ es komplett entkernen, aber vermutlich hat sie dir das alles schon erzählt.“

Hat sie nicht, dachte Frank, nickte aber.

Zwei

Nach der ganzen Sache, der Blonde schnaubte leise, hatte er gerade Sache gedacht? Nach der ganzen Katastrophe im letzten Jahr tauschte er, drei Wochen danach, die Schlösser aus. Das war sein gutes Recht, denn das Haus gehörte jetzt ihm. Moralisch zumindest fühlte er sich im Recht. Wohnen würde er hier nie mehr können, das war sicher, aber solange er lebte, sah diese Vormannbrut keinen Cent von Gelas Elternhaus.

Dafür würde er bis aufs Blut kämpfen!

Sein Plan war es jetzt, das Haus zu vermieten, um mit den Einnahmen den Kredit für seine neue Wohnung in Aschaffenburg abzubezahlen. In der unterfränkischen Stadt war er geboren, lebte dort zufrieden viele Jahre, bis er Gela kennenlernte und, aus Liebe zu ihr, in dieses Kaff Dörnsteinbach zog.

Dörnstamich, wie es hier im Eingeborenenjargon hieß.

Er mochte es wirklich gern, wenn Gela verbal in Fahrt kam und in ihrem Dialekt loslegte. Kreatives Deutsch nannte er das. Es war eine der Eigenschaften, die Gela ausmachten, ein Teil von ihr und er hätte nie verlangt, dass sie hochdeutsch sprach. Da nahm man doch der Person einen Teil ihrer Identität.

Herrgott, wie sehr hatte er sie geliebt, viel mit ihr gelacht und wie sehr vermisste er sie. Die Wunde, die ihr Tod schlug, blutete noch jeden Tag.

Sie beide waren schon im reiferen Alter gewesen und er gründete nie eine Familie, während Gela schon eine Lebensgeschichte hinter sich hatte, die ein Buch hätte füllen können.

Sie gebar drei Kinder in zwei Jahren, während sie ganztags in der eigenen Metzgerei arbeitete. Die Krönung aber war ein Adoptivkind, das ihr untreuer Mann anschleppte, ihr hinstellte und sagte, dies wäre nun das Vierte.

Hellmann schloss nun die Haustüre mit dem neu blinkenden Schlüssel auf. Das hatte er lange nicht mehr getan. Er dachte kurz nach. Ja, doch, als die Temperaturen zu sinken begannen, fuhr er einmal hierher, um nachzuprüfen, ob die Heizung funktionierte. Man sollte ein unbewohntes Haus nicht ungeheizt belassen. Er rechnete nach. Ende Oktober letzten Jahres war das gewesen, ach ja und er hatte im April die Heizung wieder ausgeschaltet.

Nun wollte er nach dem Rechten sehen, denn heute stand in der Samstagsausgabe des Main-Echos das Haus als Mietobjekt ausgeschrieben. Endlich hatte er diesen Schritt gewagt.

Matthias fand übers Jahr keine Kraft sich darum zu kümmern, womöglich noch Interessenten hindurch zu führen. Gelas Elternhaus im gottverdammten Dörnsteinbach, das momentan eine einzige scheiß Baustelle war!

Vielleicht nicht der optimale Zeitpunkt für neue Mieter. Er seufzte laut.

Das Gebäude am westlichen Ortseingang war, bis auf den Dachboden, inzwischen ausgeräumt worden, größtenteils von einer Firma. Nachdem er ein paar seiner Habseligkeiten rasch zusammenpackte, sollte das Unternehmen den kompletten Hausrat entsorgen. Unter der Aufsicht von Matthias Vater wurde das Schlafzimmer renoviert. Niemand konnte verlangen, dass er selbst noch einmal dort einen Fuß hineinsetzte. Seine Frau war im Ehebett ermordet worden und auf der Tapete stand mit ihrem Blut ein Name geschrieben: Janus!

Dieses, dieses, dachte er, und wie schon so oft fiel ihm kein Schimpfwort ein, das die Dimension seines Hasses auf den Mann beschreiben konnte.

Janus, dessen Vater sein bester Freund Thorsten war.

Nun atmete er tief durch und schob die Haustüre weit auf. Frische Luft konnte nicht schaden.

Matthias Hellmann glaubte nicht daran, dass Thorsten seine Frau Gela umbrachte. Nun, vielleicht hatte er es kurz geglaubt. Immerhin kannte er Thorsten Rickert sein ganzes Leben lang. Ein Mann mit Charisma konnte man sagen, nach außen hin, aber Matthias wusste es besser.

Rickert machte Karriere beim Bundeskriminalamt, nun nicht von Anfang an, aber das BKA war sein erklärtes Ziel. Dafür nahm er ein sehr bewegtes Leben in Kauf und griff nach allen Möglichkeiten, die sich ihm boten, um sich zu profilieren. Er entsprach einem ein Meter neunzig großen Hünen, der sich in brenzligen Situationen etwas breiter aufstellte und man konnte sich bildlich vorstellen, wie Thorsten eine Knarre hob, sie entsicherte und so ein Problem löste.

Matthias vergötterte diesen Mann, seinen Sandkastenfreund, der keine Beziehung führte, sondern Frauen verführte und dann weiter zog. Ja, wie ein richtiger Kerl!

Gebrochene Herzen säumten die Ränder der Straßen, die er beschritt. Ein beeindruckendes, offenbar tiefenentspanntes Mannsbild auf den ersten Blick, aber er hatte ihn auch schon anders in diversen Etablissements erlebt. Nicht in Deutschland oder gar in Europa, da blieb er der höfliche Gast. Matthias zog in seinen Junggesellenjahren manches Mal mit ihm durch Dritte-Welt-Länder, wo man auch mal eine Hure richtig verprügeln konnte, quälen und demütigen.

Dann kroch der Teufel aus Rickert heraus.

Alle Frauen betitelte er dann als Alice!

Matthias fand sich nun auf dem Dachboden wieder und blickte verwirrt umher. Wie war er nur hier hoch geraten? Er musste wohl sehr in Gedanken gewesen sein. Ja, gab er nun zu, auch hier oben war er nie mehr gewesen und wenn er Mieter haben wollte, musste er den Speicher auch noch aufräumen. Irgendwann.

Kurz nach Gelas Tod verspürte er so eine immense Kraft in sich. Vieles musste erledigt werden und er plante und organisierte wie ein Wahnsinniger. Bis der Absturz kam und er drei Wochen lang Urlaub nehmen musste, um sich den ganzen Schmerz von der Seele zu heulen. Aber er stand wieder auf, allerdings mit verringerter Kraft und schaffte zumindest seinen Job und die Wohnungssuche. Wohnung einrichten. Mehr Energie hatte er nicht. Bis heute kam er nicht mehr wirklich auf die Beine, denn dem Schock über den gewaltsamen Tod seiner Frau wich die Erkenntnis, dass es nicht umkehrbar war. Nichts brachte Gela jemals wieder zurück und wenn er diesen Gedanken dachte, glaubte er in einen Abgrund zu fallen. Nichts war schlimmer als das Bewusstsein, dass es nie mehr so sein würde wie es war. Nie, nie mehr!

Ein mittleres Chaos herrschte hier oben und dunkle Flecken waren noch auf dem Holzboden zu sehen. Blut! Thorstens Blut?

Er griff nach einem achtlos hingeworfenen Strick und drehte ihn in seiner Hand. Konnte ja nicht allzu schwer sein eine Schlinge zu knüpfen, um alles zu vergessen.

Oh Gela, geliebte Gela!

Aber die Zeit dafür war jetzt noch nicht reif. Er wollte es noch erleben, wie Janus Vormann im Staub kroch. Nicht Rickert war schuld, sondern dieser elende, elende…

Er hoffte so sehr, dass man Janus für unzurechnungsfähig erklärte und aus dem Verkehr zog, während Thorsten frei gesprochen wurde.

Die Chancen dafür standen gar nicht schlecht, so sagte ihm sein Freund, als er ihn besuchen durfte. Thorsten kannte, wie man so schön sagte, Gott und die Welt. Er hatte sich ein Anwaltsteam besorgt, das schon namhafte Persönlichkeiten aus diversen Schwierigkeiten herausmanövrierte. Sie forderten ein Gutachten über Vormann an und er wurde stundenlang befragt. Begutachtet.

Janus präsentierte sich offensichtlich nicht von seiner besten Seite. Der schlichte Metzgermeister wirkte verunsichert und wortkarg. Besonders sein gespanntes Verhältnis zur Adoptivmutter war ein gefundenes Fressen. Ein Junge, der geschlagen wurde, vielleicht auch von ihr gedemütigt, schlug als Erwachsener zurück. Er führte keine Beziehungen, zumindest keine, die länger andauerte und der Kerl war inzwischen Ende zwanzig.

Nun, er kam wohl ganz nach dem Vater. Frauen benutzen und dann wegwerfen! Vermutlich latentes Aggressionspotential Frauen und Homosexuellen gegenüber. Auch das klang gut. Ob Tobias Jordan, das erste Opfer, nun schwul war, ließ sich nicht klären, aber auch nicht widerlegen.

Rickert grinste damals breit. Janus Vormann, sein leiblicher Sohn, den er so sehr hasste, war ein ergiebiges Reservoir an möglichen Mordmotiven.

Matthias legte nun den Strick beiseite und seufzte. Gela würde nicht mehr lebendig werden, aber wenn er wenigstens seinen besten Freund wiederhaben könnte, war er bereit alles dafür zu tun, auch einen Meineid vor Gericht zu leisten, wenn nötig. Sofern er Janus Vormann so ans Messer liefern konnte!

Er war der Mann, der nie hätte geboren werden dürfen, denn seine Geburt war der Anfang vom Ende!

Als Matthias Hellmann Schritte hörte, stutzte er.

Drei

Er parkte den weißen Transporter derart, dass die Längsseite direkt der Eingangstür gegenüber stand. Janus eilte um den Wagen herum und der Bewegungsmelder erfasste ihn. Großzügiges Licht aus mehreren Neonröhren ergoss sich über den Innenhof und er öffnete die Schiebetüre mit dem Emblem der Vormannmetzgerei. Rasch entlud der junge Mann den Transporter und nestelte dann in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel des Betriebs. Als er ihm aus den Fingern glitt, fluchte er.

Es war kurz vor halb neun an diesem 1. September, Samstagabend, und er hatte noch etwas vor.

„Kann ich dir helfen?“, fragte jemand und kam um den Wagen geschlendert.

„Nina!“

Seine Schwester lächelte. „Wir fragten uns schon, wo du bleibst?“

Er schnaubte. „Partyservice!“ Dann lächelte er auch. „Du siehst toll aus!“

Sie senkte den Blick und sah verlegen an sich herab. Nina war nicht mehr ganz so schrecklich dünn und trug ein knielanges orangefarbenes Sommerkleid und gleichfarbige Flip-Flops. Offensichtlich hatte sie sich auch von den meisten Piercings im Gesicht getrennt. Bunte Perlen an Lederschnüren zierten ihren schmalen Hals.

„Ja, all die schwarzen Klamotten waren auf Dauer langweilig. Nun, Finn fand das auch.“

Janus Vormann hob die Augenbrauen. „Wer?“

Eine leichte Röte überzog ihre blassen Wangen.

„Mein Freund Finn“, lächelte sie. „Ich habe ihn mitgebracht.“

Janus vergaß seine leeren Styroporkisten und schloss Nina in die Arme. „Das freut mich für dich und ich freue mich, dass du gekommen bist.“

„Blieb mir ja nichts anderes übrig, da ich vorgeladen wurde. Wir machen deshalb gezwungenermaßen zwei Wochen Ferien im Kahlgrund. Gestern Nacht sind wir angekommen, aber ich habe den ganzen Tag verschlafen.“

Sie kuschelte sich an ihren Bruder und steckte die Nase in seine warme Halsbeuge. Die Geschwister hatten sich fast ein Jahr lang nicht gesehen und als Mitglied der Vormannfamilie nahm man sich erst einmal ordentlich in den Arm.

„Wie geht es dir denn?“

Er barg sein Gesicht an ihrem sehr kurzen, schwarz gefärbten Haar. Die Stoppeln kitzelten ihn. „Keine Ahnung?“

Seine Schwester nickte ein wenig.

Lange schwiegen sie und genossen nur die Anwesenheit des Anderen. Dann löste sich Nina von ihm und fuhr sanft über seine linke Wange. „Ich helfe dir, da alle schon nebenan bei Katja im Garten sind und auf dich warten.“

„Ich dachte, du betrittst keine Metzgerei mehr?“, lästerte Janus nun, nur damit sie nicht bemerkte, wie er kurzfristig in ein tiefes, melancholisches Loch gefallen war.

„Finn ist kein Veganer, nicht mal Vegetarier. Was will man da machen? Die große Liebe des Lebens deshalb zum Teufel jagen?“

Nina war offensichtlich noch in der Phase hochgradiger Verliebtheit, in der man den Namen des Angebeteten gerne und oft aussprach. Finn aß Fleisch, ergo betrat sie jetzt auch wieder die Metzgerei der Vormanns, ihrer Familie.

„Da müssen wir Finn also dankbar sein.“ Er hob schmal grinsend endlich den Schlüsselbund auf und öffnete mit einer Hand die Türe.

Nina lachte. „Kann man so sagen. Ist das nicht ein schöner Name? Finn“, schwärmte sie. „Man suggeriert doch gleich positive Eigenschaften wie Zuverlässigkeit und Freundlichkeit damit.“

„Äh, ja, Nina, ohne Zweifel.“

Sie lachte wieder. „Dir ist das scheißegal, nicht wahr?“

Seine Schwester erwartete keine Antwort und zu zweit hatten sie schnell alles aufgeräumt. Er versprach Nina in einer Viertelstunde aufzutauchen, damit er sich jetzt noch duschen und umziehen konnte.

Fünfzehn Minuten später erreichte er mitsamt Eik, dem blonden Schäferhundmix, die beleuchtete Terrasse seiner Schwester Katja. Janus Stimmung hob sich nun endgültig, als er Tom lachen hörte, der hinter dem Gartenstuhl seiner Frau stand. Paula war hochschwanger und ihr liefen die Lachtränen über das Gesicht. Die sehr attraktive Flugbegleiterin hielt sich den runden Bauch.

Offensichtlich erzählte Athos Witze und Katjas Gesicht war auch schon ziemlich rot. Henning, ihr Lebensgefährte, bewachte den Grill und wischte sich ebenso die tränennassen Augen. Janus wollte Athos nicht unterbrechen und fischte sich vorsichtig ein Bier aus einem mit Eis gefüllten Trog. Ein fremder, hünenhafter Mann mit hellem Vollbart und Pferdeschwanz reichte ihm ein Feuerzeug anstelle eines Flaschenöffners.

„Finn“, stellte sich der Nickelbrillenträger vor und zeigte auf Nina, die Athos Tochter gerade Zöpfchen flocht. „Du bist Jonas, nicht wahr?“

„Nah dran, Janus“, entgegnete er grinsend.

„Der Doppelgesichtige.“

„Das höre ich nicht zum ersten Mal, Finn.“

„Blond, weiß, hell. Das soll mein Name bedeuten, kommt aus dem Gälischen. Eine andere Theorie besagt, Finn bedeute Wanderer oder Vagabund.“

„Okay“, meinte Janus teils irritiert, teils interessiert und kaum hatte er das Bier geöffnet, als Noah und Niklas neben ihm auftauchten. Seine beiden Neffen, zehn und elf Jahre alt.

„Endlich!“, seufzte Noah vorwurfsvoll. „Wir warten schon total lange auf dich. Komm mit, Fußball spielen!“ Er wies auf den Rasen hin, der sommerwelk wirkte. Ein dritter Junge mit Handschuhen, offensichtlich der Torwart, starrte mit verschränkten Armen zu ihm herüber. Tippte mit einem Fuß ungeduldig auf das trockene Gras. Athos Sohn Mark.

„Einen Schluck wenigstens, bitte?“, flehte Janus und die drei nickten großzügig. Wieder brandete nach einer Schlusspointe lautes Gelächter auf und erst jetzt wurde Janus von allen anderen registriert.

„Na endlich!“, rief sein Vater Ivo erleichtert, „können wir etwas essen!“

„Die Letzten werden die Ersten sein, so heißt es schon in der Bibel“, sagte Bettina grinsend und eilte mit einem Teller zum Grill. „Du kriegst das erste Steak, Janus.“

„Danke, aber ich muss zuerst Fußball spielen!“, meinte er bedauernd zu Ivos Frau und drückte Finn seine Flasche in die Hand.

Athos Frau Meike sah ihm nach, dem adoptierten Sohn von Ivo Vormann. Sie kannte ihn kaum, da ihr Mann Fleisch und Wurst immer mit nach Hause brachte. Es gab keinen Grund für sie in der Metzgerei einzukaufen. Meike saß bewusst ein wenig abseits angesichts eines solch geballten Vormanntreffens. Man lud sie, Athos und die Kinder doch nur ein, weil ihr Mann inzwischen hier als Metzger arbeitete. Früher gab es solche Einladungen nicht, da rief man nur hektisch an und hoffte, dass der gutmütige Athos rasch einsprang wenn Not am Mann war. Er verdiente jetzt etwa so viel wie zuvor im Schlachthof Aschaffenburg, allerdings leistete er mehr Stunden für die Vormanns. Meikes Mann hatte diesen Job unbedingt gewollt als er hörte, dass hier in Dörnsteinbach ein Metzger gesucht wurde. Er sei glücklich hier, meinte er und sie schnaubte innerlich.

Glücklich!

Was war denn das für eine Aussage? Sicherlich sollte man seinen Job mögen, aber zuallererst musste er das Auskommen sichern. Zufriedener vielleicht, aber glücklich?

Ihre Augen fixierten jetzt auf dem schlecht beleuchteten Rasen den großen Mann, der sich lachend von drei Jungen beim Fußball austricksen ließ. Ein ansehnlicher Kerl, das gab sie zu, aber laut Athos verhandelte er hart, als es um dessen Gehalt ging.

Natürlich hatte Athos Verständnis dafür. „Warten wir es mal ab, Schatz“, flötete ihr Mann damals, „wie die Filiale in Geiselbach anläuft! Dann gibt es sicher mehr Geld.“

Nicht ganz so gut lief die Zweigstelle, tuschelten die Leute, wobei die Vormanns inzwischen die letzte Metzgerei in der Gemeinde Geiselbach betrieben. Nichtsdestotrotz wurde laut geflüstert, dass Janus geerbt haben sollte und das nicht zu knapp. Aber beim Altgesellen knausern, dachte sie jetzt grimmig, ja, das konnte er!

Ihr Mann, der eigentlich Josef hieß und dem seine Barttracht den Spitznamen des beleibten Musketiers verlieh, trat hinzu.

„Kommst du, Meike? Du hast doch bestimmt Hunger!“

Athos Frau nickte, wuchtete sich aus dem Gartenstuhl um zuerst in die Küche zu gehen, wo ein Salatbuffet aufgebaut worden war. Morgens wurde es schon nebenbei vorbereitet, so jedenfalls berichtete es Katja. Die Idee eines Grillabends entstand spontan, aber die restliche Belegschaft hatte schon Pläne gehabt und sagte bedauernd ab. Ein kleines Fest ohne Grund sollte es werden, aber alle wussten sie Bescheid. Ab Donnerstag begann der Prozess.

Janus leiblicher Vater Thorsten Rickert wurde vor Gericht gestellt, da er versuchte seinen Sohn zu ermorden. Zudem wurde er verdächtigt Angela Hellmann und Tobias Jordan umgebracht zu haben.

Angela war Janus Adoptivmutter, Ivos erste Frau, und Tobi, der Geselle der Metzgerei gewesen und der Angeklagte Thorsten Rickert brachte ihn um, weil er ihn mit seinem Sohn verwechselt haben sollte.

Kompliziert alles, aber so lautete die Theorie.

Janus warf ihm außerdem vor, seine kanadische Mutter vor vielen Jahren ermordet zu haben, was ihm Rickert auch gestand, später aber als kompletten Humbug abtat. Es existierte bis heute keine Leiche und so stand Aussage gegen Aussage. Zudem war Rickert ein hohes Tier beim BKA und Janus ein Metzgermeister aus dem Kahlgrund, der es nie zuvor mit der Justiz zu tun gehabt hatte.

Katja jedenfalls erkor kurz entschlossen den Samstagabend zu einer Grillparty. Janus Schwester hoffte so, dass er nicht ständig über das Gerichtsverfahren nachgrübelte, das ihm mehr Angst einjagte, als er zugab.

Als Janus sich nun, nass geschwitzt vom Fußball spielen, sein Bier wieder holte, bog noch ein Gast um die Ecke. Er wischte sich über den Mund, nachdem er die halbe Flasche leerte und runzelte die Stirn. Da eilte sein Bruder Tom an ihm vorbei.

„Na, endlich Feierabend, Sarah?“

Kurz senkte sich ihr Blick, als sie Janus entdeckte, dann lächelte sie Tom an. „Ich hatte heute frei. Danke für die Einladung“, entgegnete sie schüchterner als von ihr zu erwarten war. So wirklich wohl schien sie sich nicht zu fühlen. Tom Vormann legte freundschaftlich seinen Arm um ihre schmalen Schultern. „Ich dachte, du gehörst heute Abend dazu.“

Janus reichte ihr etwas sachlich die Hand. „Sarah.“

Sie drückte zu, die Frau, die Kommissarin Lena Odenthal aus der Tatortserie wie eine jüngere Schwester glich.

„Lange nicht gesehen.“

Er nickte. „Ein halbes Jahr?“

„So in etwa.“

Sie ließen sich los.

„Dein Timing ist perfekt. Von allem ist noch genug da und die Steaks sind fertig.“ Tom begleitete die Mittdreißigerin lächelnd an den Tisch, wo man ihr rasch einen Gartenstuhl anbot und sie freundlich in ihrer Runde aufnahm.

Janus blieb wo er war. Er leerte den Rest aus der Flasche und verfolgte sie mit Blicken. Sarah Bonhomme begrüßte alle per Handschlag und nahm ein Glas Wein in Empfang.

Währenddessen trat Nina an seine Seite. „Also entschuldige mal, mir fiel da gerade etwas ein. Ich habe da eine Frau in Erinnerung. Rotblonder Zopf. Warum ist sie nicht hier?“

Janus holte tief Luft. „Du meinst Leonie.“

„Ja, richtig, die Tierärztin!“

Er nickte. „Wir haben uns getrennt.“

„Darf man erfahren warum? Ich meine, ich fand sie ganz nett, gut, ihr habt da einiges zusammen durchgemacht…“,

„Sie hat sich eigentlich von mir getrennt“, erklärte Janus rau. „Als sie unser Kind verlor.“

„Oh Scheiße, warum sagt mir niemand so etwas! Sonst hätte ich nie gefragt!“

„Schon gut“, beruhigte Janus sie. „Ist ja schon eine Weile her.“

Ninas Blick irrte über das Gesicht ihres Bruders und sie rang nach Worten.

Janus nahm ihr die Bürde ab, jetzt etwas Angemessenes sagen zu müssen, indem er sprach: „Wir beide hatten einfach einen schlechten Start. Diese ganze Geschichte, ich meine…“, er zögerte, „ich glaubte an so etwas wie ein glückliches Ende, aber Leonie war von Anfang an skeptisch. Ja, sie hatte wohl Recht. Sie war psychisch am Ende, verlor das Kind und beschloss, dass sie erstmal eine Pause von mir brauchte.“

Nina spürte, dass er damit alles ausgesprochen hatte, was er ihr sagen wollte. Janus war nie ein großer Redner gewesen und sie war ja jetzt grob informiert.

Mehr würde sie wahrscheinlich nicht mehr von ihm erfahren. Bei der nächsten Gelegenheit konnte sie Katja noch nach Einzelheiten fragen.

„Krass“, meinte sie leise.

Er hob den Kopf und sah über sie hinweg. „Es geht mir trotz allem gut, Nina. Tom und Katja sorgen schon dafür, dass ich nicht zum Nachdenken komme.“

„Das Geschäft meinst du wohl. Ja, die Metzgerei Vormann, der Lebensinhalt meiner drei Geschwister!“, lästerte sie.

Janus lächelte. Er kannte Ninas Abneigung gegen dasGeschäft! Aus ihrem Mund klang es eher wie ein Fluch.

„Es ernährt uns und die Mitarbeiter!“

Gespielt verächtlich verzog Nina das Gesicht. „Ja, hundert Jahre Metzgertradition, zum Teufel, warum konnte es keine Bäckerei sein!“

Janus lachte. „Komm, gehen wir endlich etwas essen. Wovon lebst du denn eigentlich?“

Sie besorgten sich einen Teller vom Stapel. „Ich suche gerade nach einer Doktorandenstelle.“

„Du hast also dein Studium beendet?“

„Ach längst. Dazwischen hatte ich aber so eine Selbstfindungsphase, naja, eine wilde Zeit. Finn hat mich wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Finn hat mich quasi gefunden“, sie lächelte, führte es aber nicht weiter aus, was sie damit meinte, „ich bin jetzt dreißig, da muss man sich langsam überlegen, wohin die Reise des Lebens gehen soll. Das findet Finn auch. Aber dir steht das ja noch bevor.“

„Die Reiseplanung?“

„Nein!“, sie lachte wieder, „dreißig zu werden! Du brauchst keine Planung, denn ich sehe dich noch lange Schweine schlachten in Dörnsteinbach.“

„Ja, das wäre nicht das Schlechteste. Sicher ist dir aber nicht entgangen, dass die Hauptstraße saniert wird. Zwei Jahre insgesamt soll der Neubau dauern und da sehe ich schwarz für die Metzgerei.“

Katja trat hinzu. „Ach, Janus, jetzt vergiss doch mal deine Sorgen! Wir trinken und essen lecker und du redest von der blöden Straße! Das wird schon, du wirst sehen.“

Er hob nur bekümmert die Schultern, mutmaßte er doch, dass Katja plante, demnächst aus dem momentan wenig lukrativen Familienbetrieb auszusteigen.

„Ein Wort noch über das Geschäft, Bruderherz, und du stehst die ganze nächste Woche im Laden! Was du hinten in der Produktion werkelst, kann ich auch und dort habe ich dann mal meine Ruhe!“

„Okay, abgemacht, aber einerseits sagt kein Mensch mehr Bruderherz und andererseits musst du zugeben, dass du ohne den Klatsch und Tratsch im Laden wie eine Primel eingehen würdest!“

Katja pflichtete ihm lachend bei.

Vier

Ich bin das Opfer!

Dieser Gedanke flackerte fortwährend in Thorsten Rickerts Gedanken auf, wie diese Scherzgeburtstagskerze, die man ausblies, um dann sofort wieder von selbst aufzulodern.

Hartnäckig klammerte er sich an die Opferrolle, ließ keine Selbstzweifel gelten und es wurde sein ständiges Mantra.

Ich. Bin. Das. Verdammte. Opfer!

Alles geschah doch aus Notwehr!

Inzwischen war er von Nürnberg nach Aschaffenburg-Strietwald in die Justizvollzugsanstalt überstellt worden. Rickert galt als tauglich genug für die Untersuchungshaft, auch wenn er sich größtenteils im Rollstuhl fortbewegen musste. Das Gehen fiel ihm noch sehr schwer und deshalb übte er wie besessen mit den Krücken.

Er gab ja zu, dass er dem Pferd einen Bolzenschuss verpasste, aber schlussendlich hatte doch diese Kriposchlampe ihm in den Rücken geschossen!

Dabei hatte Thorsten nur diesen Idioten beruhigen wollen, der nun frech behauptete, er habe ihn und seine Freundin angegriffen!

Vormann war doch nicht mehr ganz bei Trost!

Thorsten Rickert hatte da eine ganz andere Story zu erzählen, die er ständig verfeinerte. Aber den Anfang der ganzen verkorksten Geschichte, den behielt er lieber für sich.

Begonnen hatte es mit dieser wahnsinnig hübschen Göre in Las Vegas, die er heiratete, als er absolut hackedicht war. Sehr jung war er noch dazu und Zora, die eigentlich Alice hieß, übrigens auch. Sie erlebten ein paar Tage zusammen, hauptsächlich im Bett und Thorsten dachte damals naiv, dass diese Eheschließung bestimmt gar nicht legal war.

Eine Schnapsidee mit einem Elvis-Imitator!

Alice und er trennten sich auf dem Flughafen mit tausend Liebesschwüren auf den Lippen und er vergaß sie, kaum dass sein Hintern den Sitz im Flugzeug berührte. Thorsten reiste ab, ja hakte ab, während ihm seine junge Ehefrau ständig lustige Postkarten schickte, die er ungelesen fortwarf.

Acht Monate später flog sie ihm hinterher.

Verdammt noch mal hatte er sich erschrocken, als sie ihn damals vom Bahnhof aus angerufen hatte. Zum Glück waren seine Eltern zusammen mit den Nachbarn im Skiurlaub gewesen und er hatte sich als Haussitter angeboten, weil er auf eine Prüfung lernen musste und das konnte er genauso gut auch in Aschaffenburg tun.

Er holte Alice ab, die so glücklich schien ihn wiederzusehen und verfrachtete die Hochschwangere in das Haus der Nachbarn. Es war eine kurzfristige Entscheidung gewesen, irrational vielleicht und im Nachhinein doch weitsichtig. Als sie tot war, wäre vielleicht beim geringsten Verdacht, der auf ihn fiel, das Haus seiner Eltern als möglicher Tatort durchsucht worden. Aber so weit kam es ja nie.

Jedenfalls setzten bei Alice sofort die Wehen ein, er verfrachtete sie auf eine alte Matratze im Keller und bald darauf kam das Baby. Er hätte wahrlich kotzen können, als er all das Blut, den Schleim und diesen roten Wurm sah, der da aus ihr herauskroch!

Seither litt er unter Erektionsstörungen. Er war unfreiwillig bei der Geburt dabei gewesen, wurde quasi von deren Schrecken überrumpelt und war schlicht fassungslos. Seit er gesehen hatte, was da auf dieser Matratze passierte, bekam er kaum mehr einen hoch.

Dieses kanadische Flittchen war doch an allem selbst schuld!

Sie versäumte es beim Sex zu verhüten, dann trieb sie nicht ab und schlussendlich bildete sie sich ein, dass er für diesen Balg aufkommen würde! Den Papa spielen! Hatte die noch alle Tassen im Schrank? Er war zu jung dafür und seine berufliche Karriere steckte noch in den Kinderschuhen. Das war einfach zuviel für Thorsten, zu bescheuert, zu naiv!

Er ließ die junge Frau dann einfach alleine, ging irgendwo ein Bierchen trinken, es mögen auch mehrere gewesen sein, ein paar Schnäpse waren auch mit dabei und überlegte, was er tun sollte?

Er stand unter Schock, weil sich sein Leben nun komplett verändern würde! Er war dem einfach nicht gewachsen und innerlich zitterte er bei der Vorstellung nun Windeln wechseln zu müssen und Verantwortung zu übernehmen!

Er musste Alice und das Kind wieder loswerden! Niemand wusste bisher von ihrer Existenz und er hatte kein Bedürfnis, dass sich daran etwas änderte.

Als er mit ziemlich viel Promille und dem Plan zurückkam, Alice mitsamt dem Balg aus seinem Leben zu tilgen, da war das Kind fort und sie blutete wie ein Schwein. Ein unversorgter Dammriss. Er schlug sie, aber sie verriet nicht, wo das Baby hingekommen war, da drückte er ihr wutentbrannt den Hals zu. Viel Kraft war nicht mehr vonnöten.

Dann schlief er erschöpft ein paar Stunden neben der Leiche, betrunken wie er war. Panisch wachte er wieder auf, suchte nach dem Kind, aber die amerikanische Military Police hatte es schon gefunden. Thorsten erfuhr es aus der Zeitung. Er zwang sich Ruhe zu bewahren, einen Tag, zwei Tage, drei Tage, aber nichts geschah. Dann entsorgte er Alice, die Matratze und ihr Gepäck und vertraute darauf, dass er nie mehr etwas von seinem Kind hören musste.

Er kehrte nach Wiesbaden zurück, lebte sein Leben weiter und das viele Jahre lang.

Dann trat Gela in sein Leben. Eigentlich in das seines besten Freundes Matthias. Gela, die ihn von Anfang an nicht besonders gut leiden konnte, aber einen Blick für Menschen besaß, jahrelang geschärft in einer Metzgerei. Eine Frau, die in einem Gesicht lesen konnte und feinste Nuancen aufspürte, auslotend, ob es dem Gegenüber gut oder schlecht ging.

Plötzlich nannte sie ihn manchmal aus Versehen Janus, wie ihren adoptierten Sohn, und sie lachten darüber. Aber in ihm wuchs ein schrecklicher Verdacht auf und ein paar unauffällige Recherchen später, wurde er bestätigt.

Ja, verdammt, er sah ihm ähnlich.

Überraschung!

Er war ja sein Sohn! Janus war das Aschaffenburger Findelkind!

Hellmanns Frau bohrte nach und dann tauchte auch noch dieser Privatdetektiv bei ihm auf, Harris, und sprach von Alice, dass sie doch mit ihm verheiratet wäre, von einem mutmaßlichen Kind und einem großen Erbe. Rickert bekam das Geld nur, wenn es zweifelsfrei keine Gattin und kein Kind gab. Thorsten versicherte dem Kanadier, dass er nie mehr etwas von Alice seit Las Vegas gehört und nichts von ihrer Schwangerschaft gewusst hatte.

Harris erklärte ihm, dass Alices Freunde anderes aussagten, aber Thorsten blieb bei seiner Version. Er spielte sogar perfekt den verblüfften Mann, der plötzlich Vater geworden war und den man um seine mutmaßliche Vaterschaft sogar betrogen hatte!

Nicht nur die Aussicht auf viel Geld war der Grund, weshalb Rickert erneut zum Mörder wurde. Er begriff rasch, dass bald weitere Fragen aufkommen würden, falls Harris nicht aufgab zu suchen. Alice war definitiv hochschwanger gewesen, also konnte ein Kind existieren, nun, zu fünfzig Prozent.

Eine Lebend- oder eine Totgeburt.

Der Privatdetektiv war natürlich in der Lage selbst zu rechnen und all das war siebundzwanzig Jahre her. Wenn er weiterhin recherchierte, fand er vielleicht die Zeitungsartikel, die damals über das Findelkind geschrieben wurden. Dazu kam Gelas Eifer, die sich als Hobbydetektivin in Sachen Janus betätigte.

Es wurde eng für Thorsten!

Man würde vielleicht bald massiver in ihn dringen.

Wo ist Alice Rickert?

Dabei hatte er diese Episode so sehr verdrängt, dass er inzwischen glaubte, sie wäre gar nie geschehen. Ein Albtraum, mehr war es nicht. Rickert war doch kein Mörder!

Er war ein Mann, der eigentlich keine Fehler beging. Einen einzigen verdammten Fehler hatte er offenbar in seinem Leben aber doch gemacht. Als er jung und besoffen war. Diese bildhübsche Kleine zu heiraten und es als harmlosen Spaß zu betrachten. Sie zu schwängern! Du Vollidiot!

Hätte er jemals mehr Fehler gemacht, wäre seine Bilderbuchkarriere gar nicht möglich gewesen.

Ein Mann, wie er einer war, musste gemachte Fehler wieder ausradieren. Seinen Mist wegräumen! Alice war lange schon tot, längst vermodert, aber da lief noch dieser Junge umher, den sie schreiend aus sich herauspresste und der ihr den Unterleib zerriss. Vermutlich hatte sie Rickerts Mordlust trotz allem registriert, als er sie verächtlich beim Gebären betrachtete. Dann war er entsetzt und schlussendlich sexuell ruiniert. Er konnte kaum mehr in eine Frau eindringen, ohne an dieses furchtbare Schauspiel denken zu müssen.

Alice schleppte, wie auch immer sie es schaffte, das Neugeborene ein paar Häuser weiter und setzte es aus. Sie hätte sich selbst auch retten sollen, unterließ es aber aus Gründen, die nur ihr bekannt waren. Rickert hatte nie darüber nachgedacht und es lag ihm auch nichts daran, dieses Rätsel zu lösen. Einzig wurmte es ihn, dass Janus damals überlebte und nun auch noch Lügen über ihn verbreitete!

Aber Thorsten war sicher, dass man ihn nicht für seine Taten verurteilen würde. Er war zu perfekt und sein Ruf tadellos. Er würde mithilfe seiner Anwälte den dreckigen, kleinen, verlogenen Metzger fertig machen!

Er sah nun auf seine abgemagerten, schwächlichen Beine.

Die Prognosen der Ärzte waren sehr vorsichtig gestellt worden. Aber mit Geld ließe sich viel bewirken. Es bedurfte eben einer anderen Lösung das Erbe alleine anzutreten, das er nun noch dringender brauchte, um die besten Kliniken der Welt aufsuchen zu können.

Pass bloß auf, Janus Vormann, ich werde wieder aufstehen, auch wenn es vielleicht nur metaphorisch gesprochen ist. Ich hole dich mir! Irgendwann! Ich befördere dich doch noch zu deiner Mutter! Darauf kannst du Gift nehmen!

Es lächelte grimmig und dachte an einen Spruch, den man über Las Vegas sagte:

What happens in Vegas stays in Vegas!

Fünf

Kerzen verströmten dezentes Licht und zwei Wärmepilze schufen in der nun kühler werdenden Dörnsteinbacher Sommernacht eine wohlige Atmosphäre auf der Terrasse, die sich schon leerte. Athos hatte sich mit seiner Familie verabschiedet und auch Ivo war mit Bettina aufgebrochen. Tom brachte seine müde, schwangere Frau mit dem Auto nach Hause, erschien aber wieder, da er es sehr genoss mit seinen Geschwistern den Abend zu verbringen.

Henning und Finn saßen neben seinen Schwestern und lauschten Sarah Bonhomme, die ein wenig aus ihrem Alltag als Kommissarin berichtete, was alle als sehr spannend, gar fremdartig empfanden. Der Wein hatte ihre Zunge gelockert und ihre anfängliche Scheu war wie weggeblasen.

Sarahs Beruf führte sie manches Mal in menschliche Abgründe, zu Schicksalen und Dramen, die sprachlos machen konnten. Aber die Bonhomme hatte ein Gespür dafür, die Stimmung nicht ganz kippen zu lassen und so erzählte sie auch noch von lustigen Begebenheiten.

Toms Gedanken schweiften währenddessen ab und er fragte sich, ob die Menschen, die gerne mal jammerten, inklusive er selbst, vielleicht meist doch nur unter Luxusproblemen litten? Aber dann dachte er an seine ermordete Mutter, an Tobi, der abgeschlachtet wurde und an Janus, der letztes Jahr durch die Hölle ging. Zu viele Tote für so ein kleines Sechshundert-Seelen-Dorf, zu viel Leid für eine Metzgerfamilie. Dennoch machten sie alle weiter, versuchten wacker nach vorne zu blicken, besonders er, da er bald Vater wurde.

Wie aber konnte es sein, dass sie mit all dem zurechtkamen?

Nach der Schockstarre nahm man buchstäblich den alten Faden wieder auf und strickte am Leben weiter, weil man ein Geschäft führen und an die Zukunft denken musste. Ja, es gab Zeiten, da trauerte er mehr um seine Mutter, aber diese Momente teilte er nur mit seiner Frau Paula.

Katja dagegen konnte monatelang kaum den Namen Gela hören, ohne in Tränen auszubrechen.

Ja und Janus? Tom hatte keine Ahnung wie es in ihm aussah.

Jeder trauerte auf seine Art und er selbst versuchte vor allem Normalität zu leben. Regelmäßig traf er am Sonntagabend ein paar Freunde auf ein Bier und Pizza in der Wirtschaft Zur Sommerfrische in Oberschur. Seiner Clique erklärte er relativ rasch, dass sie aufhören sollten ihn so betrübt anzublicken. Er brauchte belanglose Gespräche, blöde Sprüche wie immer und dumme Witze. Es erschien ihm, als checkten sie jedes ihrer Worte ab, bevor es den Mund verließ, nur um es nicht an Pietät fehlen zu lassen.

„Ich muss damit leben!“, sagte er streng, „der Mord an meiner Mutter ist nun Teil meines Lebens, also hört auf zu stocken, wenn ihr erzählen wollt, dass irgendeiner gestorben ist. Ich merke das und genau dieses Verhalten regt mich auf! Behandelt mich bitte nicht anders als zuvor!“

Hin und wieder rauchte Sarah eine Zigarette, was sie aber aus Rücksicht auf die vielen Nichtraucher, manchmal mit und manchmal ohne Finn abseits tat. Über Ninas Freund hatte sie während der Länge einer Zigarette nicht viel erfahren, aber er schien nett zu sein, sprach perfektes Hochdeutsch und arbeitete in irgendeinem Bürojob.

Sarah war nicht so der Typ, hey, ich spreche mit jedem über irgendetwas, nur dass gesprochen wird und keine peinliche Stille entsteht. Sie konnte Schweigen aushalten und Finn offensichtlich auch.

Als Janus aus dem Kinderzimmer seiner Neffen zurückkehrte, wo er ein neues Computerspiel begutachten musste, trafen sie in der Raucherecke aufeinander. Dieses Mal war sie alleine.

„Na, wie geht es dir denn?“, fragte sie ein wenig hektisch. Vermutlich befürchtete sie, dass er ihr sonst auswich, wie schon den ganzen Abend lang. Vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Er redete bisher hauptsächlich mit Nina, wahrscheinlich deswegen, da sich die beiden so selten sahen.

Janus blickte jetzt kurz hinauf in den klaren Sternenhimmel. Er trug nun eine warme Fleecejacke, aber nach wie vor kurze Hosen und Flip-Flops.

Dann atmete er tief durch. „Mir wäre wohler, wenn der ganze Zirkus vorbei wäre.“ Er kam gleich zum Punkt.

„Ja, das kann ich mir vorstellen. Ist eine andere Welt, so ein Gerichtssaal.“

Er fuhr sich mit einer Hand müde über das Gesicht. „Ich werde kaum da sein. Das sei nicht notwendig sagt mein Anwalt. Ich mache meine Zeugenaussage und das war es. Mir graut aber davor, diesen Mann wieder zu sehen.“

„Rickert?“ Dieser Mann, dachte sie erschüttert, ist dein Vater!

Er nickte, seine Hände tief in den Jackentaschen verborgen.

Katja trat hinzu und nahm der Situation die Schärfe. „Schlafen die Jungs?“

„Noch nicht, aber sie versprachen es gleich zu tun.“ Janus lächelte schmal.

„Gut.“ Sie streichelte ihrem Bruder über den linken Arm, dabei sah sie Sarah an. Wie ein wenig verwundet wirkte die Kommissarin, fand sie. Dann wandte sich Katja ab.

Das Gespräch zwischen Sarah und Janus war abrupt beendet worden.

„Ich besorge uns noch etwas zu trinken“, entschied Vormann.

Sarah blickte ihm nach und presste kurz die Lippen zusammen. Sie wusste über die Trennung von Leonie Bescheid. Wegen des Rickertfalls tauchte die Bonhomme letztes Jahr gelegentlich hier auf, um Janus und seiner Familie über neue Entwicklungen zu berichten. Ermittlungstechnisch gesehen, soweit es möglich war. Aber längst war die Akte rund, wie man in ihren Kreisen sagte, also verhandelbar, aber wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Angeklagten konnte das Verfahren erst jetzt eröffnet werden. Mit Vorbehalt hieß es, da Rickert immer noch ziemlich angeschlagen war. Der ganze Fall beruhte sowieso hauptsächlich auf Indizien. Die Bonhomme sah schwarz für einen Schuldspruch was den Mord an Tobias Jordan und Angela Hellmann anging. Alles stützte sich eigentlich auf Janus Aussage, denn Rickert hatte ihm so einiges gebeichtet, da er davon ausging, dass sein leiblicher Sohn diesen Tag im August vergangenen Jahres sowieso nicht lebend überstehen würde.

Sie selbst schoss Rickert in den Rücken und rettete Janus so das Leben.

Nun kehrte er mit einer geöffneten Bierflasche und einem großzügig gefüllten Weinglas zurück und verscheuchte alleine schon durch seinen Anblick Sarahs allzu trübe Gedanken. Sie lächelte ihn schmal an, nahm das Getränk dankend in Empfang und stellte fest, dass ihre Raucherecke vom Tisch aus nicht einsehbar war. Auch reichte der Lichtschein kaum bis zu ihnen herüber. Sie sahen sich wortlos an und Sarah hob wie automatisch ihr Gesicht und plötzlich zerriss ein Schrei die Nacht. Sarah fuhr zusammen und schüttete beinahe den Wein aus.

„Das war nur ein Schwein“, beeilte sich Janus zu sagen.

Sie erinnerte sich, dass in zwei Buchten Schweine dösten, als sie über das Grundstück der Metzgerei hierher gegangen war. Sie nickte ein paarmal konfus und registrierte enttäuscht, dass der besondere Moment vorbei war.

Ich bin betrunken, dachte die Kommissarin, und ich Idiotin hätte ihn beinahe geküsst!

Seit sie Janus kannte, hatte er so ein Ziehen in ihrer Magengegend verursacht. Zuerst glaubte sie, man müsste diesem Kerl mit gesundem Misstrauen begegnen, immerhin war er ein Verdächtiger in der Mordsache Jordan und Hellmann gewesen. Kein Mann, nicht einmal solch ein attraktiver Mann, konnte einer taffen Bonhomme etwas vormachen! Seine optischen Qualitäten prallten an ihr ab und sie ließ ihn heftig spüren, dass er bei ihr auf Granit biss. Dabei bemerkte er in all dieser Zeit gar nicht wirklich, dass sie existierte, denn er war frisch in die Tierärztin Leonie Bendrick verliebt.

Sarah tauchte in seinem Bewusstsein erst aus ihrer Nichtexistenz auf, als Leonie ihn das erste Mal sitzen ließ, nachdem er mit seinem leiblichen Vater konfrontiert worden war, der ihn nur tot sehen wollte. Janus lernte aufgrund grässlicher Ereignisse seine biologische Großmutter kennen und hielt ein Teenagerbild der verschwundenen Mutter Alice in den klammen Händen. Da stand ihm die Bonhomme bei, mit dem Ergebnis, dass er auf Knien zu Leonie zurückrutschte. Die gab ihm dann ein zweites Mal den Laufpass, als sie ein Blutgemisch ausstieß, in dem ihr gemeinsames Kind davonschwamm.

Aus Sarahs Distanz zu Janus war längst Wissbegierde über diesen Menschen geworden, vielleicht sogar unterdrückte Liebe.

Nicht umsonst war ihr Lieblingslied seit längerem eine alte Cover-Version der Mädchenband Clout. Substitute. Ersatzmann quasi, Ersatzfrau vielleicht für Leonie? Unwahrscheinlich, aber der Liedtext hatte es in sich. Wort für Wort.

Ein Mann wartete auf seine Geliebte, aber sie kam nicht zurück und nun bot sich ein anderes Mädchen an sie zu ersetzen, wann immer er es wollte, wann immer er sie brauchte, weil er wiederum ihr Traummann war und sie unbeachtet blieb.

Nicht unbedingt die Worte, die man hinter einer Bonhomme vermutete, aber zum Teufel, so war es eben! Man konnte sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebte. Meistens geschah es einfach und man war dem apokalyptischen Gefühl wehrlos ausgesetzt. Nicht, dass sie dies alles nun in diesem Moment dachte, denken konnte, aber sie war wild entschlossen Ersatzfrau zu werden, wenn er es wollte!

Tom rief Eik zurück, der bellend aufgesprungen war, nachdem das Schwein schrie.

„Himmel nochmal!“, hatte Finn gekeucht. „Ich habe fast eine Herzattacke erlitten! Was sagen denn eure Nachbarn zu diesem Krach!“

„Das sind sie gewohnt“, kicherte Nina und streichelte beruhigend seinen Arm. „Der Krach, die Autos, die Menschen, tagein, tagaus.

„Deshalb lebst du ja jetzt in Bremen. Weit, weit weg!“, spottete ihr Bruder Tom. Aber Nina hörte heraus, dass er es nicht böse meinte.

Katja beendete das Geplänkel, indem sie die Samstagsausgabe des Lokalblattes Main-Echo auf den Tisch legte.

„Seht mal“, sagte sie aufgewühlt, „freistehendes Einfamilienhaus mit Garten und Keller, blablabla, in Mömbris-Dörnsteinbach zu vermieten. Ortsrandlage. Das kann doch nur Mamas Haus sein. Hellmann scheint es jetzt vermieten zu wollen.“

„Er hat sogar die Schlösser ausgetauscht. Wir besaßen immer einen Ersatzschlüssel von Gela“, schimpfte Tom.

„Es gehört ihm aber gar nicht alleine!“, wandte Katja ein.

„Nicht?“, wunderte sich Nina.

„Nein, wir alle vier Geschwister sind natürlich pflichtteilsberechtigt, das hatte ich dir aber mitgeteilt!“

„Ja, stimmt“, gab sie zu.

„Nun, Janus hat das Erbe schon im Vorfeld abgelehnt. Wir anderen drei müssen abwarten. Armin vertritt uns, aber Hellmann will auf jeden Fall um das Haus kämpfen. Sagte uns dessen Anwalt. Unsere Chancen stehen natürlich gut. Wir sind Gelas Kinder!“ Tom trank einen Schluck Bier. „Es könnte so einfach sein, aber Hellmann will Streit.“

Sie schwiegen eine Weile. Alle empfanden es als unwürdig um das Erbe zu zanken, aber nichtsdestotrotz war es Gelas Elternhaus gewesen und die Vormannkinder besaßen viele glückliche Erinnerungen daran. Jetzt, nachdem ihre Mutter dort ermordet worden war, spielten natürlich vor allem zwiespältige Gefühle eine Rolle, aber sie konnten es sich nicht leisten großzügig gegenüber dem Witwer Hellmann zu sein. Jede Finanzspritze und sei sie noch so klein wäre willkommen, gar lebensnotwendig für den Betrieb.

„Sein Nachbar, der Ernst Geis, berichtete mir, Matthias habe eine Firma beauftragt, die das Haus leerräumte und das Schlafzimmer komplett renovierte. Ist schon eine Weile her“, berichtete dann Katja.

„Verständlich“, meinte Nina leise. „Wo lebt er denn jetzt?“

„Das weiß ich auch nur von Geis. In Aschaffenburg hat er sich anscheinend eine Wohnung gekauft.“

Tom schnaubte leise. „Matthias kam ja mit Bewährung davon. Drei Monate, dass ich nicht lache! Er musste seinen Waffenschein abgeben, weil er auf Leonie geschossen hatte. Nun, er blieb bei seiner Version eines Jagdunfalls. Leonie konnte nicht aussagen, kann es wohl immer noch nicht, was natürlich beim Verfahren gegen Rickert fatal wäre.“

„Weißt du, Tom, aus deinem Mund klingt das wie eine Bagatelle. Leonie kann nicht aussagen! Ihr Leben wurde bedroht und sie sah, wie Janus Leben bedroht wurde. Sie erstickte beinahe und wachte schwer verletzt im Krankenhaus wieder auf. Dann verliert sie noch ihr Kind.“ Nina machte eine kurze Pause. „Ich habe viele Lehren aus dem Geschehen gezogen. Auch ich erlebte, wie Janus Leben bedroht wurde, aber ich sah auch seine Rettung. Mom konnte niemand mehr helfen und sie fehlt mir sehr.“ Katja nahm mitfühlend ihre Hand.

„Aber“, fuhr sie mit brüchiger Stimme fort, „ich habe mir geschworen, dass mich das alles nicht fertigmachen darf. Das Leben ist sehr kostbar.“ Sie lächelte kurz in Finns Richtung. „Leonie aber kommt vielleicht nie darüber hinweg, dass man es ihr fast nahm. Jeder Mensch verarbeitet ein Trauma eben anders. Ich wette, Janus hat gar nichts unternommen?“

Tom und Katja sahen sich an.

Ninas Lippen wurden schmal. „Er hat sich vermutlich mit Arbeit zugeschüttet und richtet seinen Fokus wieder auf das alte Ziel. Wie rette ich die verdammte Metzgerei Vormann? Alles andere ist zweitrangig. Ein durchgeknallter Vater, eine ermordete Adoptivmutter, eine wahrscheinlich tote leibliche Mutter, eine halbe Meter lange Narbe am Oberkörper und die verpasste Chance mit der Frau seines Lebens eine Familie zu gründen. Alles wurscht, im wahrsten Sinne des Wortes! Janus verdrängt alles und Leonie eben nicht. Vielleicht kann sie irgendwann einmal darüber sprechen, vielleicht auch nicht. Herrgott, Janus fand seinen Gesellen mit aufgeschlitzter Kehle im Schlachtraum! Es ist doch nur eine Frage der Zeit bis ihm die kompletten Sicherungen durchbrennen!“

„Jetzt machst du mir aber Angst, Nina!“, rief Katja.

„Du bist doch anscheinend auch aus Stein, mitsamt Tom. Tag für Tag steht ihr im Laden und verkauft Wurst, als wäre nichts gewesen!“

„Wir sind nicht aus Stein, Nina, aber es bleibt uns doch nichts anderes übrig. Katja hat Noah und Niklas zu versorgen und ich muss ein Haus abbezahlen. Zudem kommt jetzt mein erstes Kind.“ Er konnte seine Freude darüber nicht verhehlen. Kurz huschte ein Hauch von Glück über sein Gesicht. „Sollten wir alle nun zu einem Seelenklempner rennen und uns krankschreiben lassen? Das Geschäft…“,

Nina stöhnte auf. „Okay, lassen wir das. Die Vormanns lösen solche Probleme halt wie immer mit Pragmatismus, eine Leonie aber kann das offensichtlich nicht!“

Sechs

Die Bonhomme erwachte und starrte blinzelnd auf ein viereckiges blaues Stück Himmel. Zuerst dachte sie, es sei vielleicht ein Rollo, weil es so perfekt aussah. Sie schloss kurz die Augen wieder und blickte erneut nach oben. Es war tatsächlich ein Ausschnitt Himmel, es war Sonntagmorgen und wo war sie eigentlich?

Ihr rechter Handrücken meldete ihrem noch verschlafenen Gehirn samtige Wärme. Sie drehte ihr Gesicht ein wenig in dieselbe Richtung und neben ihr lag Janus. Er schlief auf dem Bauch, den Kopf von ihr abgewandt und umarmte sein Kissen. Die Decke lag schräg über ihm und entblößte seinen Rücken.

Janus, Bett, fremde Umgebung?

Sie schluckte trocken und zog entgeistert ihren Arm von ihm weg. Ihre Gedanken waren noch schleppend, schläfrig und führten sie fort in die Nacht, als schlussendlich nur noch Finn und Janus übrig geblieben waren. Es war schon spät oder wieder früh gewesen, das wusste sie nicht mehr. Leise redeten sie lange miteinander über Vergangenes, abgeschirmt von der tiefdunklen Nacht wie in einem Kokon.

In einer unbekannten Umgebung jedenfalls konnte sie nie ausschlafen und zudem war sie geschlossene Rollläden gewöhnt.

Ihr noch schlaftrunkener Verstand klarte zusehends auf und Erinnerungen an die letzte Nacht traten zwar zutage, aber wie sie in Janus Bett gekommen war, erschloss sich ihr nicht.

Vermutlich ein Filmriss!

Er regte sich jetzt auch und Sarah zog vorsichtig die ganze Bettdecke herüber, denn sie war splitterfasernackt und das ließ ja nur eine Schlussfolgerung zu!

Auch er wirkte im ersten Moment verstört und schnaubte in sein Kissen. Dann drehte er sich ächzend auf den Rücken. Er rieb sich über das ganze Gesicht und wandte es ihr zu. Auch ein Herr Vormann sah morgens nicht ganz so attraktiv aus. Die Augen noch ein wenig klein und das zerknautschte Kissen verursachte eine rote Spur über der linken Wange.

Er lächelte zaghaft. „Gut geschlafen?“

„Janus, ich weiß nicht…“, begann Sarah.

„Du warst gut.“

Mit solch einem blöden Spruch hatte sie nicht gerechnet.

„Janus!“ Sie klang empört, geschockt, alles zugleich.

„Jetzt muss ich aber wirklich aufstehen!“

Sarah schloss entsetzt die Augen, da er nackt war. Natürlich war er nackt!