Ziegen bringen Glück - Anne Fleming - E-Book

Ziegen bringen Glück E-Book

Anne Fleming

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Beschreibung

Als die 11-jährige Kid mit ihren Eltern nach New York kommt, um auf den Hund eines Verwandten aufzupassen, bemerkt sie auf dem Dach des Hochhauses etwas, das aussieht wie eine kleine weiße Wolke. Die Leute sagen, dass dort oben eine Bergziege lebt. Aber kann das wirklich sein? Gemeinsam mit dem gleichaltrigen Will macht Kid sich auf die Suche und sammelt bei den faszinierenden wie schrulligen Hausbewohnern nach Hinweisen – denn demjenigen, der die Ziege sieht, winken sieben Jahre Glück!

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Anne Fleming: Ziegen bringen Glück

Als die 11-jährige Kid mit ihren Eltern nach New York kommt, um auf den Hund eines Verwandten aufzupassen, bemerkt sie auf dem Dach des Hochhauses etwas, das aussieht wie eine kleine weiße Wolke. Man munkelt, dass dort oben eine Bergziege leben soll. Aber kann das wirklich sein? Gemeinsam mit dem gleichaltrigen Will macht Kid sich auf die Suche und sammelt bei den faszinierenden wie schrulligen Hausbewohnern nach Hinweisen – denn demjenigen, der die Ziege sieht, winken sieben Jahre Glück!

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  Leseprobe

 

Für Kate

 

1  Es war einmal eine Bergziege, die in New York City lebte. Das Gebäude, auf dem sie lebte, bot eine herrliche Aussicht und viele stabile Vorsprünge und Brüstungen, um hoch über der Metropole zu stehen.

Leider wuchs auf dem Gebäude nicht viel. Nicht viel, was eine Ziege fressen konnte.

Sicher, auf der oberen Brüstung stand jeden Morgen ein Eimer Heu. Und auf der Terrasse des Penthouse wuchsen Zedern und gelegentlich stellten die Leute Blumenkästen nach draußen.

Aber der Eimer war bloß ein Imbiss, die Zedern hatte sie schon bis auf die Rinde abgenagt und Geranien halten auch nicht lange vor für eine Ziege.

Ein oder zwei Hausbewohner pflanzten hartnäckig weiter, fest entschlossen, mit irgendwelchen widerstandsfähigen Gewächsen Erfolg zu haben. Aber schließlich musste sogar Mrs Fenniford-Lysinski ihre Niederlage eingestehen.

Eine Zeit lang schien Weizengras die Lösung zu sein. Es wuchs schneller als alle Pflanzen, die Doris Fenniford-Lysinski jemals untergekommen waren. Aber Doris’ Weizengras wuchs nie höher als fünf Zentimeter, und eines Tages fand sie es bis auf die Wurzeln abgeknabbert.

»Wie kann Gras denn rückwärtswachsen?«, fragte Doris ihren Mann Jonathan.

»I ei i«, sagte Jonathan hinter seiner Zeitung.

Doris behielt das Weizengras scharf im Auge, aber nie sah sie irgendwen davon fressen. Das lag daran, dass die Ziege immer wartete, bis Doris auf die Toilette ging, ehe sie das Weizengras mit den Zähnen mähte.

»I e«, antwortete Jonathan, als Doris zurückkam und fragte, wie denn ihr Gras um Himmels willen schon wieder rückwärtswachsen konnte, während sie auf dem Klo war.

»I e« hieß »Ziege«, aber leider konnte Doris Jonathan nicht verstehen, denn Jonathan hatte einen Schlaganfall gehabt, was sein Sprachvermögen einschränkte. Weil er sich Doris nicht verständlich machen konnte, wandte Jonathan sich wieder seiner Zeitung zu.

In Wahrheit freute sich Jonathan zu wissen, dass die Ziege das Weizengras gefressen hatte und dass Doris es nicht wusste. Er hätte es auch aufschreiben können (wie er es zu tun pflegte, wenn er unbedingt mit Doris kommunizieren musste) oder eher in den kleinen Tablet-Computer tippen, den sie ihm gekauft hatte, aber ihm war nicht danach.

Jonathan war in letzter Zeit nach nicht viel.

Eines Morgens zog ein Mädchen namens Kid in das Gebäude. Kid wusste nichts von der Ziege. Wie sollte sie auch? Sie war aus Kanada, genauer gesagt aus Toronto.

»Wir sind in New York!«, sagte Kids Mutter, als ihr Flugzeug gelandet war. »Wo wir jetzt wohnen werden! Sehr kurze Zeit! Weil unser Theaterstück bloß eine Woche laufen wird!«

In Wirklichkeit würden sie mindestens vier Monate bleiben, vielleicht auch sechs – ganz egal, wie erfolgreich das Stück war –, das hing vom Cousin ab.

Der Cousin war ein entfernter Verwandter. Reich, etwas älter, setzte sich gern für vier bis sechs Monate in angenehmere Klimazonen ab. Normalerweise nahm er seinen Hund mit. Aber diesmal reiste er nach England, wo keine Hunde erlaubt waren.

»Was?«, fragte Kid. »In England sind keine Hunde erlaubt?«

»Doch, natürlich«, sagte ihr Vater. »Gassi gehen und alles.« Er ahmte einen berühmten britischen Hundetrainer nach, aus der Zeit, als Kid noch nicht geboren war. »Aber sie müssen unter Quarantäne. Wenn man mit einem Hund nach England ziehen will, muss er ein halbes Jahr in einem Zwinger bleiben.«

Sie kümmerten sich also um den Hund des Cousins. Und ließen Kids Katze zu Hause bei Oma. Was war daran gerecht?

Sie wohnten auch in der Wohnung des Cousins. In der Nähe des Central Park. Und jetzt gerade hielten sie vor dem Gebäude.

Kids Mutter fiel vor Aufregung beinahe in Ohnmacht.

»Sieh mal! Es hat eine Markise über dem Eingang«, rief sie.

Kid sah hin. Ja, ein länglicher grüner Stoffbaldachin streckte sich von der Tür bis zum Bürgersteig. Wow.

»Das ist toll, Lisa«, sagte Kids Vater. »Kannst du das Taxi bezahlen?« Er stieg aus. Kid raffte sich so weit auf, dass sie es auch schaffte.

Es war früh. Sie waren um vier Uhr morgens aufgestanden, um ihren Flieger zu kriegen. Sie war sehr müde.

»Ich bezahle einen Taxifahrer in New York!«, sagte Kids Mutter, dann klappte sie ihr Portemonnaie zu und stieg aus.

Ein Mann mit einer braun-roten Kapitänsmütze und passender Jacke mit Messingknöpfen öffnete die Tür unter der Markise.

»Es gibt einen Portier!«, flüsterte Lisa hörbar. »Portier!«, sagte sie dann mit normaler Stimme. »Hallo!«

»Meine Dame!«, sagte der Portier, als er Kids Vater die Koffer abnahm. »Könnten Sie mir wohl die Tür aufhalten?«

»Ich halte dem Portier die Tür auf!«, sagte Lisa. »In New York!«

Kid war zu müde, um viel mitzubekommen, aber als sie die Augen verdrehte, glaubte sie oben auf dem Dach des Gebäudes etwas verschwommenes Weißes zu sehen, wie eine winzige, tief hängende Wolke.

Die winzige, tief hängende Wolke war die Ziege. Sie war hungrig. Hungrig, hungrig, hungrig.

Direkt gegenüber, gleich da drüben, war Futter. Ein ganzes Tal voller Futter. Gras. Blumen. Blätter. Schilf. Baumrinde. Alles Mögliche.

Sie musste nur zum Fuß dieses Hügels gelangen, die klappernde schwarze Klippe hinabsteigen bis zum Boden, um die Ecke biegen, an dem nutzlosen grauen Felsvorsprung entlangbalancieren – wer braucht am Boden einen Vorsprung? – und dann den schwarzen Fluss mit den riesigen rasenden Klumpen überqueren.

Das würde sie jetzt gleich tun. Jawohl. Jawohl, sie war schon dabei. Sie trottete an der Kante der klappernden Klippe entlang. Sie schaute an der Klippe hinunter, dem einzigen Hindernis, das zwischen ihr und dem ganzen Futter lag …

Abgesehen von dem nutzlosen Vorsprung unten im Tal. Ach ja, und den lauten, baumähnlichen Wesen, die auf diesem Vorsprung herumstreiften. Und natürlich dem Fluss der riesigen rasenden Klumpen.

Wenn sie doch nur endlich der klappernden Klippe trotzen könnte. Der klappernden Klippe und dem nutzlosen Vorsprung und dem Fluss mit den Klumpen.

Könnte sie?

Ja. Sie konnte. Definitiv. Heute. Genau j–

– später. Jetzt musste sie was essen.

Sie sprang im Zick – klippklapp – und Zack – klippklapp – quer über die Klippe. Das Klappern war, das muss dazugesagt werden, nur ganz leise. Ihre Hufe hatten innen weiche Polster, die jede Landung dämpften. Die lauten, baumartigen Wesen schienen ihre Sprünge gar nicht zu hören.

Aber es war doch ein Klappern. Nach jedem Sprung hielt die Ziege inne und prüfte, ob Gefahr drohte. Sprang weiter. Bog um die Ecke.

Da war er, der Eimer. Voll, sagten ihre Nüstern. Sie trottete näher heran und hielt nach Gefahr Ausschau.

War die Höhlenklappe zu?

Ja. Ja, war sie.

Also gut. Es war sicher. Einigermaßen. Mmh, es roch so gut. Es schmeckte so gut. Essen war so gut. So, so gut. So, so …

Alle. Der Eimer war leer.

Zeit, mal nach dem Gras zu schauen. Das Gras war um die Ecke und einen Vorsprung tiefer.

War es nachgewachsen? Ja?

Nein, war es nicht.

Wieder hinauf aufs Dach. Auf dem Vorsprung entlang. Zurück zu den Zedern. Auf die Hinterhufe.

Kam sie dran? Kam sie nicht. Sie musste springen. Springen und beißen. Springen und beißen.

Die nächste Stunde verbrachte sie damit, an der Zeder hochzuspringen. Jeder Sprung weckte eine winzige Erinnerung tief in ihr drinnen: an Herumtollen, an ihre frühste Kindheit mit ihrer Mutter am Abhang.

Eines Tages würde sie wieder herumtollen. Eines Tages. Wenn ihr Magen voll war. Wenn sie in Sicherheit war.

Einigermaßen. Ganz sicher war man nie.

Da kam das freundliche wolfsartige Wesen mit den weichen Pfoten.

Guten Morgen. Pinkeln macht Spaß, nicht wahr?

Das freundliche wolfsartige Wesen mit den weichen Pfoten war ein Blindenführhund, ein gelber Labrador namens Michigan. Michigan ging von der Penthouse-Terrasse durch die Hundeklappe zurück in die Wohnung und rieb seine Nase an der Hand seines Herrchens.

»Was ist das für ein Geräusch, Michigan?«, fragte sein Herrchen Joff. »Dieses hufartige Geräusch. Als hätten die Tauben Holzschuhe an. Holzschuhe mit Filzsohlen.«

Michigan wedelte mit dem Schwanz. Er wusste, dass es eine Ziege war. Michigan und die Ziege waren Freunde. Aber Michigan hatte keine Möglichkeit, Joff davon zu erzählen.

»Ich komme nicht gut voran, Michigan«, sagte Joff.

Er arbeitete an einem Roman, der total anders werden würde als seine vorherigen Bücher. Keine Drachen. Keine Samurai. Die Platten von Barifna hieß der Roman. Joff arbeitete jede Nacht von eins bis sieben Uhr oder bis er zweitausend Wörter geschrieben hatte – je nachdem, was zuerst eintrat.

Jetzt war es fünf vor sieben.

Er hatte sechsunddreißig Wörter geschrieben.

Die Platten von Barifna waren keine Schallplatten und auch keine kalten Platten, sondern tektonische Platten. Barifna war ein Planet, dessen Kern sich stark erwärmte, sodass die Kontinentalplatten sich viel schneller bewegten, als sie es auf der Erde tun, und innerhalb von ein oder zwei Monaten krachend Gebirge auftürmten. Ständig brachen irgendwo an den Subduktionszonen Vulkane aus.

Barifna war ein glücklicher Planet gewesen, bis er von einem menschenähnlichen Volk ausgebeutet wurde. Es hatte ihn wie ein riesengroßes Bergwerk behandelt und das Erz abgebaut, das die Wesen als Antrieb für ihre interplanetarischen Reisen mit Warpgeschwindigkeit brauchten. Jetzt nahm der Planet Rache. Die Leute begriffen nicht, dass Barifna ein fühlender Planet in einer Galaxie fühlender Planeten war, aber am Ende des Buches würden sie es verstehen. Sie würden erkennen, dass sie in Wirklichkeit Parasiten waren und dass es nicht im Interesse der Parasiten liegen kann, ihren Wirt umzubringen.

Seine Hauptfigur Martin –

Was war das für ein Geräusch?

Joff ging mit Michigan bei Fuß auf die Terrasse hinaus. Die feuchte Luft benetzte seine Wangen.

War das ein Schnauben?

»Wer ist da?«, fragte er, obwohl er eigentlich nicht glaubte, dass jemand da war. Aber irgendwas hatte eine Art Klappergeräusch gemacht. Irgendwas hatte geschnaubt.

War das Atmen, was er da außer seinem eigenen und Michigans hörte? Er konnte es nicht sagen.

Er hörte Tauben gurren, Rufe von der Straße zwölf Stockwerke tiefer. Das Scheppern von Lastwagenklappen, die sich öffneten. Die Räder von geschobenen Handwagen.

»Spiderman mit Clogs? Clogman? Superman mit Erkältung und Bleifüßen?«

Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht und fühlte die Stoppeln am Kinn.

»Vielleicht brauche ich bloß ein bisschen Schlaf.«

Sein Computer piepte ihn an. Sieben Uhr. Er ächzte.

»Na gut«, sagte er. »Ich lege mich schlafen. Ich werde schlafen, und heute Nacht kriege ich es hin. Ich setze mich hin, tipp-tipp-tipp-tipp-tipp, und zweitausend Wörter erscheinen wie von Zauberhand. Ich kriege es gebacken.«

Er putzte sich die Zähne, wusch sich das Gesicht, steckte seine Ohrstöpsel ein, fiel ins Bett und dann in einen tiefen Schlaf.

Drei Stockwerke tiefer wachte Jonathan in Wohnung 908 auf. Er öffnete das linke Auge. Das rechte blieb halb zu.

Wieder ein Tag. Grummel. Doris war im Bad und sang. Sie hatte die Kaffeemaschine angeschaltet. Das konnte er riechen. In einer Sekunde würde sie reinkommen.

Guten Morgen, würde sie fröhlich sagen und die Bettdecke wegreißen wie eine übermütige Krankenschwester. Dann wollen wir die Glieder mal in Bewegung bringen!

Da kam sie schon. Ihre weißen Haare waren ordentlich gebürstet, ihr Halstuch ordentlich geknotet. Meine Güte, sie sah aus wie eine Stewardess!

»Guten Morgen«, sagte sie fröhlich. Sie riss ihm die Bettdecke weg. »Dann wollen wir die Glieder mal in Bewegung bringen!«

Jonathan stöhnte. Sie hob sein rechtes Bein an und bewegte es so, dass sein Knie gebeugt und dann wieder gestreckt wurde, gebeugt und gestreckt, gebeugt und gestreckt.

»Jetzt du«, rief sie.

Ich kann dich hören, schäumte er im Kopf.

Er hob sein Bein fünf Zentimeter vom Bett hoch und ließ es dann wieder fallen.

»Noch mal. Linkes Bein. Na, komm schon«, rief Doris.

Heben. Fallen lassen. Bäh.

»Arm«, rief Doris. »Komm, Jonathan.«

Lass mich in Ruhe.

Sie rang mit seinem Arm und nahm seine telepathische Botschaft überhaupt nicht wahr – und wenn doch, dann ignorierte sie seine Aufforderung.

»So, und jetzt hoch mit dir.« Doris half Jonathan, sich aufzusetzen. Sie brachte seinen Rollator ans Bett, half ihm beim Aufstehen, half ihm in seinen Morgenmantel und ließ ihn ins Badezimmer tappen.

Immerhin durfte er inzwischen alleine pinkeln. Jonathan erledigte das, wusch sich und schlurfte grummelnd zum Frühstückstisch.

»Heb die Füße, Liebling«, sagte Doris. »Versuch es wenigstens.«

Jonathan blickte finster.

»Ich habe dir einen herrlichen heißen Haferbrei gemacht.«

Und so ging es weiter. Gnadenlose Fröhlichkeit. Maximale Anstrengung für minimale Bewegung. Ganze Helfertruppen marschierten in die Wohnung und wieder hinaus, um »ihn bei der Genesung zu unterstützen«. Physiotherapeuten, Beschäftigungstherapeuten, Massagetherapeuten, Sprachtherapeuten. Alle irre gut drauf, alle Berufsoptimisten.

Und er konnte nichts dagegen machen, nicht mal Doris auffordern, die Klappe zu halten.

»Welchen Geschmack soll dein Weizengrassaft heute haben? Banane-Erdbeer? Kiwi-Limette? Heidelbeere?«

Erbrochener Essig, dachte Jonathan.

»Ich weiß, du magst ihn nicht, mein Lieber, aber er wirkt Wunder! Das ganze Chlorophyll!«

Ich bin doch keine Pflanze. Du bist schon wieder auf einen blöden Gesundheitstrend reingefallen.

Nachdem Doris ihm seinen erbrochenen Essig serviert hatte, holte sie das Weizengras wieder herein.

»Die Tauben fressen das bestimmt nicht«, sagte sie. »Aber was kann es sonst sein? So weit nach oben kommen doch keine Ratten, oder?«

Jonathan antwortete nicht.

»Jonathan, ich wünschte, du würdest mit mir reden«, sagte Doris.

»I a i«, rief er.

»Sei nicht albern«, sagte sie. »Natürlich kannst du.«

Zwei Stockwerke weiter oben, in der Wohnung 1103, summte Kenneth P. Gill während seiner morgendlichen Erledigungen vor sich hin. Er holte den leeren Heueimer von der Brüstung herein und ließ das Fenster offen, nur zur Sicherheit. Er duschte, rasierte sich, zog sein ordentlich gebügeltes Hemd und seinen gut sitzenden Anzug an, dazu seine schicken Schuhe. Er rief seine Mutter an, schickte eine Mail an seine Ex-Frau, verabredete sich mit Freunden zum Abendessen und versuchte, nicht allzu viel an die Ziege zu denken.

Ziege?, sagte er zu sich selbst. Welche Ziege?

 

2  Unten im Foyer streckte ein großer Mann, neben dem ein weißer Hund mit mächtigem Kopf stand, Kids Vater beide Hände entgegen.

»Bobby!«, rief er aus und legte Kids Vater die Hände an die Wangen, als wäre der ein zehnjähriger Junge. »Sieh mal an, wie groß du geworden bist. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du so groß wie dieses Kind!«

Er schlenkerte den Kopf von Kids Vater zwischen den Händen hin und her. »Hallo! Willkommen!«

»Ich bin Doug«, sagte er zu Kid und deren Mutter. Kid tat extra müde, damit es nicht so aussah, als sei sie vor Schüchternheit erstarrt. Doug schaute auf seinen Hund. »Das ist Cat.«

Cat? Kid hatte ihre echte, richtige Katze zu Hause gelassen, um sich hier um einen Hund mit großer Nase und winzigen Äuglein zu kümmern, der »Katze« hieß?

Cat wedelte mit dem Schwanz.

»Das ist Lisa«, sagte Kids Vater. »Und das ist Kid.«

Doug schüttelte Kid die Hand. Seine war groß und warm, und wie sein Gesicht, das auf sie herablächelte, strahlte sie Wohlwollen aus. Ihr Blick reichte jedoch nur bis zu seinen Ohren. So war das immer, wenn sie neue Leute kennenlernte.

»Doug und Cat?«, fragte Kids Mutter und zog ungläubig die Augenbrauen hoch.

»Kid?«, fragte Doug mit dem gleichen Gesichtsausdruck.

Nach einer kurzen Pause bewegten beide die Schultern auf eine Art, die Ich mag dich bedeutete.

»Ich bin so erleichtert«, sagte Doug im Fahrstuhl. »Ich dachte mir schon, dass du dich nicht verändert hättest, aber man kann ja nie wissen. Ich könnte Cat schließlich nicht in jedermanns Obhut lassen.«

Die Fahrstuhltüren gingen auf.

»Ihr richtiger, voller Name lautet Lady Catherine, aber wir haben sie immer Cat genannt, stimmts?«, sagte Doug und kraulte Cats Lefzen. »Jawohl, das haben wir.«

Kid hielt die Augen offen, ob noch jemand auftauchen und das »wir« erklären würde, aber in der Wohnung gab es nur eine sehr kleine Küche, ein Wohnzimmer mit Essecke, ein kleines Schlafzimmer und noch ein winziges Zimmer mit Schreibtisch und Klappbett, das in der Wand verschwand – von weiteren Menschen keine Spur.

»Cat ist natürlich der beste Hund der Welt«, fuhr er fort. »Aber das werdet ihr schon selbst merken. Ich lasse euch das Buch Alles über Cat hier.« Er zeigte ihnen ein Buch mit festem Einband, das er selbst zusammengestellt hatte, und erklärte ihnen, was darin stand: welches Futter sie mochte, wann sie es gern hätte, wo sie es zu sich nahm, wo sie im Park gern Gassi ging und so weiter.

Kid ließ sich auf das Sofa fallen. Cat sprang ebenfalls hinauf, drehte sich zweimal im Kreis, rollte sich neben ihr zusammen und legte das Kinn auf Kids Bein.