Zimmer ohne Wiederkehr - Gunnar Beuth - E-Book

Zimmer ohne Wiederkehr E-Book

Gunnar Beuth

0,0

Beschreibung

"Sie erschauderte bei dem Gedanken, in irgendeine letzte Ecke der Welt verschifft zu werden, in der sie als Prostituierte arbeiten würde. Fließbandarbeit für ein kleines Geld und letztlich abhängig von einer Droge, die ihr die Sinne benebelte. So lange, bis ihr Körper aufgab oder es niemanden mehr gab, der ihre seelenlose Gestalt penetrieren mochte ..." Ein totes Pärchen im Auto, ein ermordeter Drogendealer und ein Ring von Menschenhändlern, der es auf ahnungslose Studentinnen abgesehen hat. Der erste Fall für die Münsteraner Detektive Bosse Hoffmeister und Timo Zwilling.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 829

Veröffentlichungsjahr: 2022

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Prolog: Früher
Kapitel 1: Wohnungssuche
Kapitel 2: Ein neuer Auftrag
Kapitel 3: Immobilienverkauf
Kapitel 4: Details zum Fall
Kapitel 5: Zimmer oder nicht Zimmer
Kapitel 6: Früher
Kapitel 7: Dreharbeiten
Kapitel 8: Timo recherchiert
Kapitel 9: Abendplanung
Kapitel 10: Wohltätigkeit
Kapitel 11: Ermittlungen
Kapitel 12: Plan P
Kapitel 13: Haus gekauft
Kapitel 14: Das Telefonat
Kapitel 15: Zu Gast bei StudentLife
Kapitel 16: Drogenreise
Kapitel 17: Der Morgen danach
Kapitel 18: Hauptkommissar Lauser
Kapitel 19: Drogen
Kapitel 20: Vitamin B
Kapitel 21: Auswertung
Kapitel 22: Früher
Kapitel 23: Der Vermieter
Kapitel 24: Hoffi und Hoffi
Kapitel 25: Der Bauch voll mit Koks
Kapitel 26: Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 27: Verfolgung
Kapitel 28: Plausch unter Kollegen
Kapitel 29: Ein Job auf Umwegen
Kapitel 30: Der Fall Zwilling
Kapitel 31: Auf großer Reise
Kapitel 32: Sorgenfalten
Kapitel 33: Heimaturlaub
Kapitel 34: Magengrummeln
Kapitel 35: Suche nach Michelle
Kapitel 36: Schockschwerenot
Kapitel 37: Dem Träger seine Last
Kapitel 38: Kein Finderlohn
Kapitel 39: Früher
Kapitel 40: Das doppelte Schneewittchen
Kapitel 41: Leichen am Bahnhof
Kapitel 42: Gewisse Ungewissheit
Kapitel 43: Die inneren Werte
Kapitel 44: Der Schleier lichtet sich
Kapitel 45: Opfer oder Täter?
Kapitel 46: Was ist denn hier los?
Kapitel 47: Bessere B-Ware
Kapitel 48: Hausbesuch
Kapitel 49: Spaziergang mit Hindernissen
Kapitel 50: Fluchtreflex
Kapitel 51: Teuflischer Abholservice
Kapitel 52: Früher
Kapitel 53: Der Rapport
Kapitel 54: Auf ein Neues
Kapitel 55: Elternsprechtag
Kapitel 56: Nachschub
Kapitel 57: Wie ist der Stand in Münster?
Kapitel 58: Wo ist Bjarne?
Kapitel 59: Nachts auf dem Friedhof
Kapitel 60: Die Ruhe der Toten
Kapitel 61: Neuer Tag, neue Leiche
Kapitel 62: Morgenstund ….
Kapitel 63: Altbekanntes, neu verpackt
Kapitel 64: Austausch von Informationen
Kapitel 65: Traurige Gewissheit
Kapitel 66: Wiedersehen macht Freude
Kapitel 67: Daumen auf Wanderschaft
Kapitel 68: Der private Swimmingpool
Kapitel 69: Das ergibt doch keinen Sinn
Kapitel 70: Ein neuer Versuch
Kapitel 71: Duell in der Dunkelheit
Kapitel 72: Gutenachtgeschichten
Kapitel 73: Redebedarf
Kapitel 74: Metastasen
Kapitel 75: Gedankenspiele
Kapitel 76: Querverbindungen
Kapitel 77: Kontrollierte Offensive
Kapitel 78: Auf den Fersen
Kapitel 79: Recherche vor Ort
Kapitel 80: Hilfe von außen
Kapitel 81: Überlegungen
Kapitel 82: Der Dreh an der Sache
Kapitel 83: Timo allein zu Haus
Kapitel 84: Auf dem Laufsteg
Kapitel 85: Abend der Ruhe
Kapitel 86: Drohung
Kapitel 87: Informationen
Kapitel 88: Anruf aus der Zentrale
Kapitel 89: On the Road Again
Kapitel 90: Schießerei per Radio
Kapitel 91: Irren ist Polizei
Kapitel 92: Verwirrungen im Hause Kruger
Kapitel 93: Üppige Ernte
Kapitel 94: Ein freundliches Gespräch
Kapitel 95: Der doppelte Kruger
Kapitel 96: Nachgehakt
Kapitel 97: Auswärtsfahrt
Kapitel 98: Gewissheit
Kapitel 99: Abgründe
Kapitel 100: Unterschiedliche Sichtweisen
Kapitel 101: Schockmomente
Kapitel 102: Es muss Sinn ergeben
Kapitel 103: Wichtige Gefallen
Kapitel 104: Familie
Kapitel 105: Nicht über Los
Kapitel 106: Wahrheiten
Kapitel 107: In den Tiefen der Garage
Kapitel 108: Schwierigkeiten
Kapitel 109: Fluchtpläne
Kapitel 110: Die Camping-Waffe
Kapitel 111: Das Stück Holz
Epilog
Danksagung:

Gunnar Beuth

Zimmer ohne Wiederkehr

Ein Münster-Krimi

Ruhrkrimi-Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2022 Ruhrkrimi-Verlag Uwe Wittenfeld, Mülheim/Ruhr

Druck: BoD

ISBN 978-3-947848-46-1

1. Auflage 2022

Für das Coverbild wurden Fotos von Arnol Tyagri und Camilla Quintero Franco (aus Unsplash) verwendet.

Dieses Buch ist auch als

eBook (ISBN 978-3-947848-47-8) erhältlich.

Disclaimer:

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

Die Verwendung von Text und Grafik ist auch auszugsweise ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

https://www.ruhrkrimi.de

Der Autor:

Gunnar Beuth wurde 1977 in Münster geboren. Nach erfolgreichem Abschluss seines Studiums der Sportwissenschaften zog er nach Hamburg und war mehrere Jahre als Sportjournalist tätig. Inzwischen arbeitet er als Redakteur bei einer Hamburger Agentur.

»Zimmer ohne Wiederkehr« ist sein erster Roman um das Münsteraner Detektivduo Bosse Hoffmeister und Timo Zwilling.

Für Johnny

Prolog: Früher

Ihre Füße brannten und die Zweige peitschten ihr ins Gesicht. Auch, wenn das Adrenalin ihren geschundenen Körper in eine ausdauernde Maschine verwandelt hatte, merkte sie die Müdigkeit, die wie ein drohendes Todesurteil über ihr schwebte. Ein Damoklesschwert, das sie mit aller Kraft versuchte, weit über ihren Kopf zu heben.

Sie sah kaum die Hand vor Augen und der Puls dröhnte in ihren Ohren wie ein wütender Wespenschwarm auf der Jagd nach der Beute. Ihr Körper schmerzte und auf ihrer Flucht war sie bereits mehrfach gestürzt. Einzig die Panik verhinderte, sich einfach in den Untergrund fallen zu lassen und dem Schicksal die Haustürschlüssel in einem Anflug von Demut auf einem Silbertablett zu präsentieren.

Wie lange war sie gerannt? Seit ihrer Entführung war das Gefühl für Raum und Zeit verloren gegangen und noch immer wusste sie nicht, warum ausgerechnet sie diesen Albtraum durchleben musste. Ihr Gehirn spielte Flashbacks in Endlosschleife ab und immer wieder durchlebte sie den Moment, in dem ihr Leben eine Wendung genommen hatte, der sie nun mit aller Macht zu entfliehen versuchte.

Ihre Freundin Amelie hatte zu ihrem 18. Geburtstag eingeladen und am Abend war sie in die Cocktailbar Lé Synicat an der 51 Rue du Faubourg Saint-Denis im Zentrum von Paris gefahren. Nachdem sie in der Nähe des Louvre ausgestiegen war, hatte sie einen kurzen Spaziergang unternommen, um sich das berühmte Museum einmal mehr ansehen zu können. In früheren Jahren war sie mindestens einmal im Jahr mit ihrem Vater hergekommen – als kleine Annehmlichkeit einer seiner Geschäftsreisen. Zusammen waren sie durch die Hallen geschlendert und hatten die gemeinsame Zeit genossen.

Für einen Moment verdrängte sie den Gedanken an ihre prekäre Situation, als sie an die Ausstellung über Da Vinci dachte; ein Rettungsanker, der ihr Innerstes mit wohliger Wärme versorgte. Es war gleichzeitig ihr letzter Ausflug gewesen. Dieser Ort strahlte dennoch eine beruhigende Ruhe auf sie aus und brachte vergangene Erinnerungen zurück. Erinnerungen, die langsam verblassten und seit knapp zehn Jahren aufgewärmt wurden, wann immer sie sich einsam und verloren fühlte. Sie war vierzehn gewesen, als ihr Vater eines Morgens den Schlaf der Ewigen angetreten und ihre gemeinsame Reise ein Ende gefunden hatte. Mit dem Tod ihres Vaters änderte sich alles und ihr zerbrochenes Herz war kurz davor gewesen, den Sinn der eigenen Arbeit kritisch zu hinterfragen. Nur der Blick auf ihren Louvre ließ diese Tragödie zumindest zeitweise in den Hintergrund treten.

Zwar begannen die Erinnerungen an ihr Leben bereits zu verblassen, doch war es eine schöne Feier gewesen, auf der sie einen netten Jungen kennengelernt hatte, der ihr am Ende des Abends anbot, sie nach Hause zu fahren. Mit der U-Bahn wären es gut und gerne 45 Minuten gewesen, die sie bis zu ihrem kleinen Appartement gebraucht hätte. Warum also dieses Angebot ausschlagen und auf die Stimmen hören, die ihr davon abgeraten hatten, dem fremden Jungen sofort das Vertrauen zu schenken? Sie erinnerte sich noch, wie sie die Bedenken über Bord geworfen, und Sekunden nachdem sie sich in den Sitz des Autos gefläzt, einen brennenden Schmerz im Nacken gespürt hatte. Danach verblassten die Erinnerungen vollends und sie war in einem Kofferraum aufgewacht, der ihr wie die personifizierte Hölle vorgekommen war. Ihr Gehirn wehrte sich gegen die Bilder, die danach aufgenommen worden waren. Sie versuchte den Schrecken nicht an sich heranzulassen und eine undurchdringliche Mauer zu bauen, die auch die Schmerzen in ihrem Unterleib miteinschloss. Wenn der Kofferraum die Hölle gewesen war, gab es keine Bezeichnung für die Qualen, die danach auf sie eingeprasselt waren.

Eine Eule beförderte sie zurück in die Realität, als sie über eine Astgabel stolperte und hart auf den Waldboden schlug. Der Vogel schien sich in seiner Ruhe gestört zu fühlen und quittierte ihr Eindringen mit einem boshaften Ausruf. Sie kauerte sich unter einem Baum zusammen und ihre Hand glitt über das nackte Bein. Zwar konnte sie ihre Verletzungen nicht wirklich sehen, doch das Blut an ihrer Hand spiegelte sich matt im Licht des Monds, der den dichten Wald immerhin mit ein wenig Leben füllte. Ein trügerisches Leben, von dem sie nicht wusste, wie viel davon ihr noch blieb.

Sie fror und ihr Körper sendete eine Flut an Bedürfnissen, die sie nicht befriedigen konnte. Inzwischen ging ihr Atem ruhiger und befand sich nicht mehr auf dem Level eines olympischen Sprinters nach erfolgreichem Absolvieren des 100 Meter-Laufs. Die Panik war auf ein erträgliches Level geschrumpft.

Auf der anderen Seite zog ihr die Kälte in die Knochen und umschloss ihren nackten Körper, der nur durch ein zerrissenes Top geschützt wurde, mit eisiger Hand. Zwar zeigte sich der Winter bisher von seiner wohlwollenden Seite und das Adrenalin legte ein zusätzliches Brikett auf den inneren Grill, doch war es ein trügerischer Moment des Wohlfühlens, den die Pause ihr bescherte. Sie musste weiterlaufen, um dem Tod durch Erfrieren und ihren Verfolgern zu entkommen. Zwei Feinde, die das gleiche Ziel verfolgten: ihr das Leben zu entreißen.

Plötzlich hörte sie das Knacken eines Astes zu ihrer linken Seite und spähte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben und sie schien nicht sicher, ob er ihr gerade einen Gefallen tun oder sie weiter in den Abgrund reißen wollte. Irgendwie sah diese Wolke aus wie ein Pfeil, der in süd-östliche Richtung zeigte. Weg von knackenden Ästen und drohenden Verfolgern.

Ihr Vater war auch mit ihr in den Wäldern um Paris gewesen, doch sie konnte sich an keine einzige Lektion erinnern, die er ihr beigebracht hatte. So nahm sie ihr Herz in die blutigen Hände und rannte dem Pfeil hinterher, der sich bereits in eine Kunstform verwandelt hatte, die aussah, wie ein Bild auf einer Karte beim Rorschach-Test.

Plötzlich hörte sie das Gebell von Hunden. Eine erneute Welle der Panik machte sich in ihr breit. Sie hatte die Kampfhunde in der Halle gesehen, in der sie und andere Mädchen gefangen gehalten wurden. Blutige Bestien, die nur darauf abgerichtet waren, menschliche Haut und Knochen zu zerstören. Die Bilder einer Reportage kamen ihr in den Kopf, in der gezeigt worden war, wie abgerichtete Rottweiler einen Menschen zerfetzen konnten. Rottweiler galten bei Kriminellen als legale Waffe, da sie ihrem Herrchen treu ergeben waren und den Feinden mit einer Beißkraft von knapp zwei Tonnen begegneten.

Sie zog sich das Top über den Kopf und warf es in die entgegengesetzte Richtung. Vielleicht würde es die Tiere auf eine falsche Fährte locken. Erneut änderte sie die Richtung und versuchte, die Schmerzen zu ignorieren. Es waren nicht nur äußerliche Wunden, die ihr das Leben zur Hölle machten. Erst hatte sie zusehen müssen, wie die Männer mehrere Mädchen vergewaltigt hatten, bevor ihr bewusst geworden war, dass sie auch auf der Liste stand, bisher aber noch nicht an der Reihe gewesen war. Als sie sich ihrer Zelle genähert hatten, war ihre Seele in tausend Stücke zerbrochen, die sie bei ihrer Flucht nicht hatte mitnehmen können. Ihr Überlebenswille zeigte sich robuster, doch waren sie übereingekommen, dass ihre Zusammenarbeit nur temporärer Natur war.

Erneut hörte sie ein Geräusch und drehte sich um. In der Dunkelheit konnte sie nichts erkennen und sie ärgerte sich über den Reflex, da ihre Schulter in dem Moment der Unachtsamkeit mit eine Stieleiche kollidierte. Das Geräusch der platzenden Haut zerriss die Stille des Waldes, doch immerhin blieb ihr die schimpfende Eule erspart. Dann kam der Schmerz, als sie lang auf den Boden aufschlug und mit dem Kopf ein Stück Holz in den Boden rammte. Ein Paralleluniversum bildete sich vor ihren Augen und versuchte die Schönheit des Himmels in ihren Kopf zu projizieren. Blut lief über ihre Augen und als sie den Kopf hob, sah sie eine Straße. 

Mit letzter Kraft kroch sie auf den Asphalt, der eine sonderbar wohlige Wärme ausstrahlte. Oder war das nur das Blut? Das Gefühl der Resignation kratzte an dem Platz, an dem sich einst ihre Seele befunden hatte und redete ihr gut zu. Wozu noch fliehen, wenn es keine Hoffnung gab? Wozu noch die Kräfte mobilisieren, wenn die Aussicht auf ein glückliches Leben neben den zerrissenen Kleidern in ihrem Gefängnis in Fetzen lag?

Mit einem lauten Schrei erhob sie sich, noch nicht bereit, ihrem Vater auf seinem Weg zu folgen. Ihre Füße übernahmen die Verantwortung und liefen einfach los. Kein Wegweiser, kein Kompass und auch keine trügerische Wolke konnten den Weg weisen, sie musste nur laufen und durchhalten, bis die Zivilisation die Rolle des rettenden Ufers übernahm. Dann sah sie das Licht.

Mit dem Licht kehrte die Hoffnung zurück und wenn das vorhin projizierte Kopf-Universum keine Supernova produzierte, war es ein Auto, das auf sie zugefahren kam. Sie warf die Arme in die Luft, schrie dem Fahrer entgegen und hoffte, dass der Schall die Botschaft über die Distanz tragen würde. All die zerbrochene Hoffnung wagte den Versuch, die einzelnen Scherben zu verkleben und sich zumindest für eine Zeit lang zu einem fragilen Gebilde zu formen. Das Auto kam näher und es wirkte, als ob es langsamer werden würde. Noch ein paar Meter, eine kleine Botschaft an den Fahrer sowie ein durchgedrücktes Gaspedal und schon wäre sie in der Freiheit. Sie hörte die verklebten Scherben zu Boden fallen und senkte resigniert den Kopf, als sie den Fahrer erkannte und die Hoffnung in tausend Stücke zerbrach. Er war es gewesen, der ihre Seele zerstört und im Käfig begraben hatte.

Kapitel 1: Wohnungssuche

Dieses verfickte Münsteraner Wetter. Entweder regnete es oder es schiffte in Strömen. Die Unterschiede waren vielleicht nur marginal und auch wenn der Münsteraner wahrscheinlich ein ganzes Lexikon mit Worten für die unterschiedlichen Arten des Regens füllen konnte, man wurde einfach immer nass. Natürlich gibt es kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung. Dieser schwachsinnige Spruch stammte wahrscheinlich von der Klamottenindustrie – die dürfte in Bangladesch ansässig sein und auch wenn die Arbeitsbedingungen katastrophal waren, unter ständigem Regen hatte man dort in den Sommermonaten sicher nicht zu leiden. Sie litt anscheinend unter Erste-Welt-Problemen.

Kommen Sie nach Münster, hatte es geheißen, es ist die lebenswerteste Stadt der Welt, hatte man ihr gesagt. Hier kann man noch mit dem Fahrrad fahren, ohne sich ständig über eine Lebensversicherung Gedanken machen zu müssen. Was auch immer hier lebenswert sei, das würde sich wohl noch zeigen müssen. Klar war nur, am Wetter sollte die Stadt definitiv noch arbeiten.

Auch die Wohnsituation passte sich immer mehr den anderen deutschen Großstädten an. Oh ja, Münster bestand darauf, als Großstadt wahrgenommen zu werden, da die Einwohnergrenze von 250.000 Bürgerinnen und Bürgern schon überschritten war. Zeitgleich schienen allerdings auch die Mieten angepasst worden zu sein – wenn man denn überhaupt das Glück hatte, eine Bleibe in der Westfalenmetropole zu finden. Zuletzt hatte in der Zeitung gestanden, dass eine Wohnung am Münsteraner Hafen für einen Quadratmeterpreis von mehr als 10.000 Euro über den Ladentisch gehen sollte. Kaum zu glauben, dass es Menschen gab, die solche Preise bezahlen. Der Volksmund nannte so manche Art des Pornos pervers, was sagte er dann wohl über diese Preise?

Klar, hier war es sicher angenehmer als in Bielefeld oder den anderen Teilen Ostwestfalens. Auch darauf legte man in Münster großen Wert. Aber dennoch, die Suche nach einer Wohnung war nicht unbedingt die Vorwärtsrolle beim Kunstturnen. Es glich mehr dem Bretschneider und überschaubare finanzielle Mittel sorgten nicht dafür, dass Isabella McRupert ihre schlechte Laune schnell ablegen konnte.

Die 21-jährige gebürtige Schottin war vor einer Woche nach Münster gekommen, um ihr Studium der Informatik abzuschließen und hatte aufgrund von außergewöhnlichen Leistungen bereits die Teilnahme am Master-Studiengang in der Tasche. Nun ging es nur noch darum, eine Bleibe zu finden. Eine WG kam nicht infrage. Isabella McRupert bezeichnete sich selbst eher als Soziopathin und konnte mit anderen Menschen – mit Studierenden ihres Alters – nicht viel anfangen.

Das zierliche Mädchen maß gerade einmal 1,62 Meter und bei ihrer schmalen Figur war sie ein gefundenes Fressen für den Wind und den Hagel, die sich bis auf ihre Knochen zu fräsen gedachten. McRupert stapfte trotzig durch das Hansaviertel in der Nähe des Münsteraner Hafens und trotz der 22 Grad, die der August spendierte, fror sie in ihrem schwarzen Kapuzenpullover und den schwarzen, knielangen Shorts. Immerhin hielten ihre Doc Martens das Wasser noch auf angemessene Distanz. Ihre Erscheinung würde wohl oder übel kaum dafür sorgen, das kleine Apartment in der Dortmunder Straße 73 zu bekommen.

Sie blieb unter der Eisenbahnbrücke stehen, die kurz vor der Bremer Straße für einen kurzen Moment den Regen fernhielt. Sie zückte ihr Smartphone und betrachtete den Stadtplan. In ihren Ohren dröhnte Das Ende der Welt von Rasta Knast und McRupert sah, dass sie ihr Ziel schon fast erreicht hatte. Sie rubbelte die Kapuze über ihre kurzen blauen Haare, die sie im Vorfeld versucht hatte, ein bisschen in Form zu bringen, um den Undercut zu kaschieren – ein kleines Zugeständnis an die kapitalistische Welt, in der leider auch die Optik zählte. Vielleicht hatte sie Glück mit diesem Makler, auch wenn sie nicht glaubte, dass diese Spezies auch nur ein kleines Zugeständnis ihrerseits an ihre Welt zu leisten gedachte.

Laut ihres Smartphones musste sie nur noch fünfhundert Meter überbrücken, die je nach Situation als Katzensprung oder Weltreise bezeichnet werden durften. Auf der anderen Seite trug sie schon ein mittelgroßes Schwimmbad in ihren Klamotten spazieren, da machte ein kleiner Swimmingpool den Braten auch nicht mehr fett. Ein Blick auf die Uhr machte deutlich, dass noch genügend Zeit blieb, um eine kleine Rast einzulegen und eine Zigarette zu drehen. Sie fluchte, als der erste Filter den Weg in eine Pfütze fand. Glücklicherweise zeigte sich das Inventar von seiner ausladenden Seite und sie fischte einen weiteren Filter aus ihrem Tabakbeutel. Ja, das Rauchen war vielleicht nicht gesund und der bröselige Tabak schmeckte nicht mehr richtig gut. Dennoch war es besser, die Kippe zu rauchen, als sie nicht zu rauchen. Sie skippte ein Lied weiter und gönnte sich einen kräftigen Zug zu Get what I need von Goldfinger. Den Rauch inhalierend, summte sie den Text des Liedes mit: Smoking weed on the streets in the California heat. Spray paint on the walls. Ein Tütchen würde sie sich später ebenfalls noch zu Gemüte führen, wenn sie die Freuden der Wohnungsbesichtigung hinter sich gebracht hätte.

Isabella McRupert fingerte den portablen Aschenbecher aus ihrem Rucksack, als ihr kleines Schwimmbad von einem Tsunami torpediert und mit Unmengen von dreckigem Wasser überschwemmt wurde. Sie sah das Auto davonfahren und dem Fahrer schien es latent egal zu sein, dass er gerade mit sechzig Stundenkilometer durch eine tiefe Pfütze gefahren war. Wie hatte sie den Fehler machen können, nicht auf den reißenden Bach zu achten, der sich unter der Brücke gebildet hatte? Ihr persönliches Malheur fand zumindest auf der gegenüberliegenden Seite großen Anklang, auf der sich eine kleine Gruppe von Pullunder tragenden BWL-Studierenden prächtig amüsierte. Eventuell handelte es sich auch um den Fachbereich Jura, wer konnte diese Verbrechen an der Mode schon genau einer Spezies zuordnen. Immerhin hatte sie das Kennzeichen erkennen und den Beifahrer sehen können. McRupert verfügte zwar nicht über ein fotografisches Gedächtnis, doch viel fehlte dazu nicht. Diese Fresse würde sie sich merken können und da man sich immer zweimal im Leben sah, kam diese Person auf ihre schwarze Liste, die sie hegte und pflegte.

Völlig durchnässt machte sich Isabella McRupert auf den Weg und ging die Hafenstraße entlang, wie die Karte ihr befohlen hatte. Auf der rechten Seite erkannte sie einen Headshop, der ihr vielleicht noch nützliche Dienste erweisen konnte. Es war immer gut, die Umgebung ihres möglichen neuen Zuhauses zu kennen. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht und zusätzlich spuckten ihre Haare einen reißenden Fluss aus, der ihr quer über das Gesicht lief. Sie fühlte sich wie in einer Waschanlage, während Goldfinger die Hitze der kalifornischen Sonne besangen.

McRupert überquerte die Kreuzung an der Bremer Straße und folgte dem Hansaring. Auf der linken Seite erkannte sie eine Bar, die sich Plan B nannte. Ein Schild am Eingang pries den morgigen Dienstag an, an dem es den halben Liter Bier für 2,50 Euro geben würde. Vielleicht ist Münster doch nicht so schlecht, dachte sie bei sich und bog kurze Zeit später rechts in die Dortmunder Straße ein, nachdem sie mit der Watusi Bar und Kitty’s Trinksalon zwei weitere potenzielle Wohnzimmer erspäht hatte.

Kaum um die Ecke gebogen, hörte sie den Anflug ihrer guten Laune zu Boden fallen und im Abfluss verschwinden. Zwar waren es nur noch gut vierzig Meter bis zum anvisierten Ziel, das neben einer Besichtigung auch einen Funken an Trockenheit versprach. Doch war McRupert auf ein in Deutschland oft gesehenes Tier gestoßen, das sich seit Jahren in der Immobilienbranche breit gemacht hatte: eine Schlange.

Verficktes Münster, dachte McRupert und betrachtete die Ansammlung von Menschen, die sich wohl schon länger auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum befanden. Die vielen Regenschirme erinnerten sie an eine Pilzkolonie im Starkwind und machten deutlich, dass man in der Westfalenmetropole nicht ohne einen passablen Schutz vor der Naturgewalt unterwegs sein sollte. 

Mehrere Menschen verließen gerade den Eingang des Hauses und die Schlange setzte sich zu einem Stop-and-go in Bewegung. Immerhin hatte sie Musik dabei. It can’t rain all the time von dem The Crow-Soundtrack kam ihr in den Sinn. Den Film hatte sie ewig nicht mehr gesehen und konnte sich nicht an die Interpretin erinnern. Aber der Titel schien bei einem Blick in den Himmel aus einem großen Lügengeflecht zu bestehen. Dann entschied sie sich für Let it Rain von Chuck Ragan. Scheiß auf den Regen!

Während McRupert in eine Egal-Stimmung verfiel, merkte sie, wie irgendein Idiot sie von der Seite anquatschte. Sie öffnete die Augen und sah einen jungen Mann, der unter einem Regenschirm stehend eine Konversation mit ihr betrieb. Ihre Finger glitten das Kabel der Kopfhörer hinunter und drückten mechanisch auf die Pause-Taste. Wieso in aller Welt verstanden die Menschen nicht, dass man nichts hören konnte, solange sich Kopfhörer in den Ohren befanden. Es gab gewisse Regeln, die an einen bestimmten Ort gebunden waren: In England fuhr man auf der linken Seite, in den Niederlanden durfte man offiziell Gras kaufen und wer in Japan bei einem Geschäftsessen nicht trank, würde vergeblich auf eine Unterschrift warten. Okay! Aber es gab eben auch Regeln, die allgemeine Gültigkeit besaßen. In ihrem Kopf formulierte sie bereits eine Petition, die das Ansprechen einer Person mit Stöpseln im Ohr unter die Todesstrafe stellte. 

»Dir ist bewusst, dass ich nichts hören kann, wenn ich diese Dinger hier im Ohr habe?« Isabella McRupert wedelte mit den Kopfhörern vor dem Gesicht ihres Gegenübers.

»Oh, ich habe das gar nicht gesehen. Entschuldige bitte. Ich wollte nur fragen, ob du dir auch die Wohnung anschauen möchtest?«

McRupert kniff die Augen zusammen. Meinte der Kerl das wirklich ernst? Im Grunde sah er recht freundlich aus und schien sich seinerseits nicht für die angebotenen vier Wände zu interessieren. Auf der anderen Seite war die gestellte Frage so unglaublich dämlich, dass sie ihm vielleicht auch erklären musste, wie das mit dem Anstellen so funktioniert. 

»Nein, ich komme aus Schottland und da wird uns beigebracht, sich überall dort anzustellen, wo wir eine Ansammlung von Menschen finden«, erklärte sie im subtil sarkastischen Tonfall.

Ihr Gegenüber schien unsicher, wie er diese Antwort zu deuten habe. Er entschied sich dafür, lieber in keine Falle zu tappen und den Satz einfach zu überspringen.

»Ah, okay. Das ist lustig«, flötete er. »Ich habe hier eine Karte. Ich arbeite für eine Organisation, die Wohnungen an Studentinnen vergibt, die sich eine Bleibe vielleicht nicht leisten können. Und die Wohnsituation in Münster hat sich in den letzten Jahren verschärft.«

Isabella McRupert nahm die Karte und betrachtete sie. Wenn das hier nicht totaler Mumpitz war, dann arbeitete der Kerl für eine Organisation, die sich StudentLife nannte.

»Schau doch mal auf unserer Seite nach«, fuhr er fort. »Wir sind nun auch in Münster…

(Wer hätte das gedacht)

aktiv und da du ja auch eine Wohnung suchst …

(Ich stehe nur aus Spaß in der Schlange)

brauchst du vielleicht eine Unterkunft.

(Ein kleiner Sherlock…)

Auf der Rückseite steht die Adresse und …

(Wer hätte das erwartet …)

wenn du die in einen Browser eingibst, findest du uns.«

(Halleluja …)

»Ja vielen Dank«, antwortete McRupert. »Ich schaue mir das mal an und vielleicht finde ich da ja was. Warum genau hast du mich angesprochen? Hier stehen doch zahlreiche Studentinnen rum.«

Der Kerl schaute verlegen auf den Boden, als er antwortete. »Na ja, du siehst anders aus als die anderen hier. Bei dir habe ich vermutet, dass du vielleicht nicht aus einem wohlhabenden Elternhaus kommst und du machst den Eindruck, als ob du dein Leben selbst in der Hand hast.«

McRupert überlegte kurz, ob sie diese Erklärung als Beleidigung oder Kompliment auffassen sollte. Sie vermerkte den Punkt auf ihrer imaginären Liste und speicherte ein Foto des Herausgebers ab. »Alles klar. Dann vielen Dank für die Karte und vielleicht sieht man sich ja noch.«

Damit drehte sie sich weg, stopfte sich die Ohrstöpsel in den Gehörgang und lauschte den Klängen von The answer is still no von No use for a Name: What's your name?Fuck you. Thats my name!

Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis sie endlich den Eingang zum Haus erreicht hatte. Von außen machte es einen durchaus passablen Eindruck. Klar, eine schöne Altbauwohnung wäre sicher eine feine Sache, doch für den Anfang tat es auch ein Neubau im zweiten Stock. Besser als eine Bleibe im Erdgeschoss war es allemal. 

Mit ihren Eltern hatte sie zwei Jahre in Hamburg gelebt, bevor sie für das Studium weitere zwei Jahre in Göttingen die Straßen unsicher machen konnte. Beide Städte waren ihr in guter Erinnerung geblieben. In Göttingen galt sie praktisch als Stammgast im Juzi, dem optischen und gesellschaftlichen Schandflecks Göttingens, wie das Jugendzentrum von Politikern gerne bezeichnet wurde. Auf der anderen Seite galten diese Bezeichnungen auch irgendwie als eine Art Qualitätssiegel. In Hamburg mochte sie das Pendant zum Juzi, die wesentlich größere Flora im Schanzenviertel. Die letzte Bastion des alten Hamburgs, bevor der Galao-Strich die alternative Szene unterwandert hatte. Aber auch das Monkeys, das Hafenklang oder die Hafenstraße vermisste sie und die langen Nächte im Zoo am Neuen Kamp fanden einen besonderen Platz in ihrem Herzen. Dort gab es wohl die absonderlichste Schnapskarte ganz Hamburgs. Stilecht kredenzte der Besitzer Getränke wie Affenhirn oder Feuerqualle. Seinerzeit hatte sie ein Referat zum Thema Schnaps gehalten. Quasi eine Legitimation, um das Gesöff später auch zu probieren. So hatte sie sich quer durch das Sortiment der Bar getrunken. Schnaps kam nämlich von Schnappen! Somit galt im Grunde jedes Getränk als Schnaps, sobald es sich in einem 4 cl Glas befand.

Isabella McRupert betrat die Wohnung und fühlte sich direkt unwohl. Der Schnitt war ansprechend, doch fehlte ein Balkon sowie die komplette Küche. Das hatte die Anzeige – vermutlich wissentlich – verschwiegen und sie überlegte kurz, ob es einen finanziellen Spielraum geben würde, um sich eine Küche zu beschaffen. Während sie die Zimmer, den Ausblick und den Sicherungskasten besah, spürte sie die Blicke des Maklers und hatte die Entscheidung längst getroffen. Sie bräuchte ein Dach über dem Kopf, doch nicht um jeden Preis. ...ButAlive kamen ihr in den Sinn, die in dem Song Es sei denn du bist Snake Plissken die Feststellung wagten:

Und wir mussten lachen, du sagtest noch:

»Bis wir was besseres finden

Und dann sind wir weg«

Das ist 3 Jahre her

»Bis wir was besseres finden

Und dann sind wir weg«

McRupert nickte dem Makler unfreundlich zu, verließ die Wohnung und trat ins Freie, das ebenfalls keine Veränderung am Status Quo vorgenommen hatte. Es regnete in Strömen. Was nun? Ihr Quartier hatte sie im Nordstern-Hostel im Kreuzviertel aufgeschlagen. Bei einer Zigarette ließ es sich besser überlegen und als sie nach ihrem Tabakbeutel fischte, fühlte sie die Karte dieser Wohltätigkeitsorganisation zwischen den Fingern. Gab es noch gute Menschen in dieser Welt? Wie dem auch sei, einen Versuch war's wert und sie tippte die Adresse in den ominösen Browser.

Kapitel 2: Ein neuer Auftrag 

Dieser verdammte Regen! Bosse Hoffmeister steuerte den Wagen durch die Straßen Münsters, die inzwischen wie eine schönere Variante Venedigs wirkten. Er liebte diese Stadt, in der er inzwischen fast dreiundvierzig Jahre wohnte und arbeitete. Der Münsteraner Privatdetektiv hatte einst mit dem Gedanken gespielt, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, während des Lehramtsstudiums war er jedoch zu dem Entschluss gekommen, keinerlei Interesse daran zu haben, sich mit pubertierenden Geschöpfen darüber streiten zu müssen, ob eine Anweisung Sinn ergab oder eben nicht. Dazu merkte Hoffmeister schnell, dass er über ein Talent für das Lösen von Geheimnissen und Rätseln verfügte. 

Innerhalb der letzten Jahre hatten er und sein Partner Timo Zwilling sich einen Namen gemacht und zusammen bereits zwei bedeutende Fälle gelöst, die überregional für Schlagzeilen gesorgt hatten. Einige Jahre war es her, als ein verrückt gewordener Chemiker die Stadt erpressen wollte und damit gedroht hatte, das Wasser Münsters zu vergiften. Dr. Nexus hatte sich der Mann genannt und Zwilling und er hatte den Fall schließlich gelöst, der Stadt ihren Frieden gebracht. Erst vor einem Jahr waren sie im Zuge einer Ermittlung auf einen Ring von Drogenhändlern gestoßen, die ihre teuflische Ware in Münster hatten vertreiben wollen. Auch hier durften sich die Detektive auf die Fahne schreiben, den Fall gelöst zu haben.

Während Hoffmeister einen Spurwechsler mit der Lichthupe bedachte, meldete sich sein Timo Zwilling, der den Griff oberhalb der Beifahrertür mit beiden Händen fest umklammerte, zu Wort.

»Diggi, fahr mal langsamer.«

»Diggi? Wie alt bist du, vierzehn?«

»Bist du neuerdings die Wortpolizei oder was?«

»Nope«, schloss Hoffmeister. »Ich weiß nur, was sich dumm anhört und gerade hat mein Radar bei dir gewaltig ausgeschlagen.«

Zwilling drehte sich weg, schüttelte den Kopf und sah, wie Bosse Hoffmeister in den Hansaring einbog und den Wagen beschleunigte. Er fuhr mitten durch eine riesige Pfütze und Zwilling sah, wie sich eine Fontäne über ein junges Mädchen ergoss, die unter der Brücke Schutz gesucht haben musste.

»Wie wäre es, wenn du ab und an mal auf die Uhr schauen würdest? Dann müssten wir uns nicht so beeilen. Und fürs Protokoll, du hast gerade eine Straftat begangen und eine Passantin unter einer Flutwelle begraben«, sagte Zwilling und sah dabei auf die Uhr. Ihnen blieben noch zehn Minuten, bis die neuen Klienten im Büro eintrafen.

»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube nicht, dass man Menschen unter Wasser begräbt. Und außerdem ging es nicht schneller, da ich nicht einfach die Dreharbeiten unterbrechen konnte«, antwortete Hoffmeister.

Hoffmeister bedachte Zwilling mit einem schelmischen Grinsen, da er um die Wunde wusste, die er Sekunden zuvor verbal aufgerissen hatte. Nach der Lösung ihres vergangenen Falls war Hoffmeister eine kleine Rolle im Münster Tatort angeboten worden. Eine kleine Art der Dankbarkeit, die der extrovertierte Detektiv nicht hatte ablehnen wollen. Allerdings galt diese Einladung nur für ihn und nicht für seinen Partner.

Tief in seinem Inneren bedauerte Hoffmeister diese Ausgrenzung, denn Zwilling hatte in den vergangenen Jahren einen enormen Sprung gemacht. Sie hatten sich praktisch in seinem Garten kennengelernt, als Zwilling sich über den dichten Rauch beschwerte, der aus dem hoffmeisterschen Kamin strömte. Aus der anfänglichen nachbarschaftlichen Abneigung waren längere Abende bei Bier, Gin oder auch Gras geworden und man hatte festgestellt, dass man die eine oder andere Gemeinsamkeit pflegte. Zwilling galt als ambitionierter Lehrer und befand sich auf einem guten Weg, um die Karriereleiter zu erklimmen. Nach einem Vorfall, über den er seit ihrem Kennenlernen kein Wort gesprochen hatte, hatte er die Ledertasche an den Nagel gehängt und war nach einer durchzechten Nacht bei Hoffmeister eingestiegen.

Timo Zwilling befand sich ebenfalls in seinem dreiundvierzigsten Lebensjahr und zum Missfallen seines Partners freute er sich über dichtes schwarzes Haar und dank seines Kampfsport-Trainings passte er noch immer in T-Shirts, die Hoffmeister nur mit viel Wohlwollen und zeitlichem Arrangement über den Körper bekam. Aus dem ambitionierten Lehrer war innerhalb der letzten Jahre ein passabler Partner geworden, den Hoffmeister nicht mehr missen wollte.

»Dann lern endlich mal deinen Text«, erwiderte Zwilling. »Es ist eh eine Frechheit, dass …« Zwilling winkte ab und sah das schelmische Lächeln, das Hoffmeister wie kleine Salven auf ihn abfeuerte, bevor er fortfuhr. »Die Story ist ohnehin Murks und die haben dich eh nur genommen, damit die ganzen Spacken bei deinem Anblick froh sind, nicht so scheiße auszusehen.«

Zwilling wusste um die mangelnde Kausalität und darum, dass er Hoffmeister nur eine weitere Steilvorlage geliefert hatte, um seinen bissigen Humor zu zünden. Er mochte seinen Nachbarn, aber warum musste er aus allen Dingen einen Wettkampf machen? Das Schlimme dabei war, dass Zwilling nahezu jeden Wettkampf verlor. Dabei war es völlig egal, ob es sich um Wortgefechte, Tischtennis oder andere Banalitäten handelte. Bosse Hoffmeister besaß viele Talente, darunter auch das Talent für Glück im Unglück. Es war manchmal schon beängstigend, mit welchem Pech er gestraft schien, das sich jedoch nach nur Sekunden in Wohlgefallen auflöste. Natürlich konnte Zwilling ihm nun, nach fünf Jahren Kampfsport, ordentlich die Fresse polieren. Auf der anderen Seite würde Hoffmeister wahrscheinlich dumm ausrutschen und ihn in Form einer absonderlichen Slapstickeinlage irgendwie besiegen. Vielleicht würden sie es eines Tages herausfinden.

»Sprichst du hier von deiner Mutter?« Bosse Hoffmeister machte sich nicht die Mühe, detaillierter auf den Kommentar seines Beifahrers einzugehen. Dafür würde es später sicher noch eine Gelegenheit geben. Zunächst musste er einen Parkplatz finden, um nicht zu spät zu kommen. Immerhin hatte sich ein neuer Klient angekündigt und ein bisschen Arbeit war nie verkehrt. Zurzeit befand sich Münster in einem kriminellen Tiefschlaf und auch wenn die Kassen der Detektei gut gefüllt waren, konnte ein bisschen Abwechslung nicht schaden.

Das kleine Büro grenzte direkt an den Hafen und Hoffmeister freute sich über diese kleine repräsentative Adresse. Normalerweise waren diese Immobilien nur mit persönlichen Einschränkungen finanzierbar, der Vermieter gehörte jedoch auch zu ihrer dankbaren Kundenkartei und diese Dankbarkeit zeigte sich in einer mehr als erschwinglichen Miete. In naher Zukunft müssten sie sich allerdings um einen Stellplatz kümmern, denn diese Suche nach einem Parkplatz stellte sie regelmäßig vor eine zu große Herausforderung. Der Blick über den Hafen entschädigte auf der anderen Seite für die Minuten der Qual.

Bosse Hoffmeister steuerte den Ford-Fiesta in die Dortmunder Straße und hatte Glück. Kurz vor ihrem Büro am Hafenweg ergatterte er einen Parkplatz am Pier House und von dort war es nur ein kurzer Fußweg zu ihrem Büro. Sie nahmen den Fahrstuhl und Zwilling drückte auf den Knopf mit der Nummer vier. Die Kabine nahm ruckelnd ihre Fahrt auf und Zwilling summte eine Fahrstuhl-Melodie, die er in irgendeinem Film gesehen hatte.

»Drei Minuten vor der Zeit«, kommentierte Hoffmeister die kurze Fahrt. »Ich bin wirklich mal gespannt, worum es gleich geht. Der Mann hat sich am Telefon leicht kryptisch ausgedrückt.«

Timo Zwilling trat aus dem Fahrstuhl und schloss die Tür auf. »Vielleicht ist es zur Abwechslung ein ganz harmloser Fall. Aber bei meinem Glück …«

Sie betraten das Büro. Es maß etwa siebzig Quadratmeter und versprühte den Charme eines industriellen Lofts. Zur linken Seite befanden sich zwei separate Räume, in denen sie jeweils ein kleines Büro für private Zwecke eingerichtet hatten, und von wo sie einen hervorragenden Blick auf das Wasser genossen. Gegenüber der Tür befand sich eine Küchenzeile, an der Bosse Hoffmeister des Öfteren kleinere kulinarische Meisterwerke anfertigte. In seiner Studienzeit, in der er Englisch und Sport auf Lehramt studiert hatte, wäre er fast an seiner eigenen Unfähigkeit verhungert. Glücklicherweise wuchsen die Geschmacksnerven potenziell zu seinem Alter und damals hatte eine kalte Packung Reis mit Uncle Bens Süß-Sauer ausgereicht, um dem Tod zu entgehen. Inzwischen nahm er es mit den Risottos und indischen Dals der Welt auf und servierte seine Gerichte nicht ganz ohne Stolz.

In der Mitte des Raums befanden sich ein Kicker sowie eine Tischtennisplatte, die Timo Zwilling anzustarren schien. Es war unvermeidlich, sich im Laufe des Tages noch eine gehörige Packung einzuholen. Aber vielleicht würde der Termin den Zeitrahmen sprengen und ihm eine 24-Stunden-Schonfrist schenken. Mit seinen zweiundvierzig Jahren war Zwilling durchaus dazu in der Lage, ein Match abzulehnen. Die Frage war nur, was schlimmer war: eine Niederlage oder das Gerede von einer vermeintlichen Niederlage, der er zu entfliehen versuchte. Zwilling nahm sich vor, bei Gelegenheit ein paar Trainingsstunden zu nehmen.

Rechts neben der Küchenzeile befand sich das kleine Bad mit einer Dusche und an der rechten Wand dominierte ein Holztisch aus alten indischen Kirchenbänken, die liebevoll restauriert worden waren. Der Tisch diente gleichzeitig als eine Art Konferenzraum und sollte laut Hoffmeister ein gewisses Maß an Dominanz ausstrahlen, dabei ihre Autorität untermauern. 

»Wie lange haben wir noch«, fragte Hoffmeister? »Ich müsste mal dringend aufs Klo.«

»Wenn sie pünktlich sind, hast du etwa zweieinhalb Minuten und aus Erfahrung kann ich dir sagen, dass du das nicht schaffen wirst. Dazu wäre es mir ein wenig unangenehm, falls einer der beiden Klienten das Bad nach dir benutzen möchte.«

Bosse Hoffmeister wippte auf seinen Füßen und wog die Chancen ab, dass er es noch schaffen könnte. Innerlich wusste er, dass sein Kollege recht behalten würde. Also stiefelte er in sein Büro, zog die Schublade seines Schreibtisches auf und zündete sich einen Joint an. Er öffnete das Fenster, besah sich den Hafen und inhalierte den Rauch. In diesem Moment klingelte es.

»Gib mir schnell noch einen Zug«, rief Zwilling und riss seinem Partner die Tüte aus der Hand.

»Aber, aber, Herr Zwilling, nicht so gierig.« Hoffmeister schlenderte zur Tür und drückte auf den Summer. In diesem Moment bemerkte er ein gewaltiges Rumoren in seiner Magengegend und hatte das ungute Gefühl, als ob sich eine Katastrophe anbahnen würde. Wie ein kleiner Schuljunge wedelte Zwilling inzwischen den Rauch aus dem Büro von Hoffmeister und schloss die Tür. Er stellte schnell ein paar Getränke auf den autoritären Konferenztisch, überprüfte das Aufnahmegerät und strich ein paar Falten aus seinem Hemd. Er dankte dem langsamen Aufzug und fand es fast ein wenig schade, dass Hoffmeister sich nicht doch der kleinen Peinlichkeit eines Klobesuchs hingegeben hatte. Aber wenn er sich nicht täuschte, musste sein Kollege schon jetzt einen gewissen Reiz unterdrücken und Zwilling blickte mit Freude auf das, was da noch kommen würde.

»Herzlich Willkommen«, begrüßte Hoffmeister die neuen Klienten und gab ihnen die Hand. 

»Bitte, kommen Sie herein.«

Hoffmeister betrachtete die Besucher. Es handelte sich um einen Mann und eine Frau. Der Mann war gut zehn Zentimeter größer als er selbst, was zugegeben auch keine große Kunst war. Der Detektiv maß mit viel Wohlwollen ein Meter und fünfundsiebzig. Der Klient trug einen Anzug, dessen Marke Hoffmeister nicht kannte. Auch das war keine große Kunst. Irgendetwas an der Erscheinung irritierte ihn und er konnte nicht sagen, ob es der sehr rundliche Bauch oder die schütteren roten Haare waren, die er sich schräg über den Kopf hatte frisieren lassen. Dazu sprach er mit einem leichten Akzent, den er nur schwer einordnen konnte.

»Vielen Dank«, antwortete der Mann, der sich als Lennard Kruger vorstellte. 

»Das ist meine Frau, Hillevi Kruger.«

Hoffmeister schüttelte auch ihr die Hand und bedeutete ihnen mit einer Geste, sich in Richtung des Tisches zu bewegen, an dem Zwilling sich nun erhoben hatte. Die Frau überragte Hoffmeister ebenfalls. Sie hatte braune, fast schon schwarze Haare, die mit dezent wirkenden blonden Strähnen gespickt waren. Zwilling schätzte sie auf Mitte Vierzig. Sie sah jedoch wesentlich jünger aus. Ihre ganze Erscheinung wirkte wie ein Mix aus gelungener Seriosität und Sympathie. Da hatte er schon schlimmere Klienten gehabt – die allesamt natürlich Zwilling angeschleppt hatte.

»Das ist mein Partner Timo Zwilling«, ergänzte Bosse Hoffmeister und sie schüttelten sich die Hände. 

»Setzen Sie sich doch bitte. Können wir Ihnen einen Kaffee anbieten?«, schloss Hoffmeister.

»Vielen Dank«, antwortete Hillevi Kruger. »Ein Wasser reicht völlig.«

»Timo, wärest du so freundlich? Ich hole in der Zeit schnell ein paar Unterlagen. Entschuldigen Sie mich einen Moment.«

Zwilling konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Hoffmeister machte sich nie Notizen und verließ sich darauf, dass er die wichtigen Informationen zusammentragen und danach aufbereiten würde. An dem Gesichtsausdruck seines Partners konnte er genau ablesen, dass die nun kommenden Minuten eine Qual werden würden. Obwohl Hoffmeister beim Betreten seines kleinen Büros die Tür schloss, konnte Zwilling hören, dass es Hoffmeister nicht um Unterlagen, sondern darum gegangen war, sich seiner ausbreitenden Darmwinde zu entledigen. Ob die Krugers es gehört hatten? Er hoffte es. Jedoch ließen sie es sich nicht anmerken. Wie schon in vielen Fällen zuvor, stellte Zwilling dann die Frage, die ihm letztlich viele schlaflose Nächte bereitet und das eine oder andere Mal fast Kopf und Kragen gekostet hatte.

»Dann erzählen Sie doch mal in Ruhe. Wie können wir Ihnen helfen?«

Kapitel 3: Immobilienverkauf

Roman Rehhagel trommelte nervös mit seinen Knöcheln auf der Schreibtischplatte. Ihm blieben noch etwa fünfzehn Minuten, bis seine neuen Klienten eintreffen würden. Der Münsteraner Makler witterte ein sehr einträgliches Geschäft, war sich dennoch darüber im Klaren, dass er einmal mehr die Grenzen des Erlaubten würde strecken müssen. Viel wusste er nicht über die neuen Auftraggeber. Genug, um einen Heidenrespekt zu haben, zu wenig, um sich ernsthaft Sorgen machen zu müssen. Der Kontakt war über einen Kollegen aus Frankreich zustande gekommen, den er auf mehreren Seminaren sowie Preisverleihungen kennengelernt hatte. Ja, auch die Zunft der Makler prämierte die besten Verkäufer und diese Trophäe fehlte ihm in seinem Portfolio.

Rehhagel streckte sich in seinem Sessel und sein Blick wanderte durch sein Büro, das sich im Münsteraner Kreuzviertel befand. Nicht die schlechteste Adresse und er hatte seinerzeit den richtigen Riecher gehabt. Kurz nach seinem Realschulabschluss hatte er an einer Gabelung gestanden und sich gefragt, wie sein Leben weitergehen sollte. Die Bundeswehr war eine Alternative, eine Ausbildung zum Koch die andere. Über Umwege war er auf eine Anzeige gestoßen, die eine Ausbildung zum Makler versprach. Das war nun fast zwanzig Jahre her und mit seinen inzwischen siebenunddreißig Jahren musste er sich wohlwollend eingestehen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.

Die Anfangszeit war hart gewesen, denn die Immobilienpreise lagen kurz nach der Jahrtausendwende noch in einem gemäßigten Bereich. Erst in den letzten zehn Jahren hatte die Westfalenmetropole ordentlich angezogen und befand sich mittlerweile nicht weit entfernt von den anderen Metropolen wie Berlin, München oder Hamburg. Kaum zu glauben, dass ein ehemaliger Freund seinerzeit nur knapp eine Woche auf ein Zimmer im Studentenwohnheim an der Boeselagerstraße hatte warten müssen und das Zimmer für schlappe 350 Euro pro Monat über den Ladentisch gegangen war. Diese Zeiten waren vorbei und aus dem ehemaligen Realschulabsolventen war ein recht wohlhabender Mann geworden.

Vor rund acht Jahren hatte Rehhagel das Immobilienbüro übernommen, als sein Chef in Rente gegangen war. Dank einiger Modernisierungen blühte das Geschäft und neben den Social Media Auftritten auf Instagram, Facebook und YouTube arbeitete Rehhagel gerade daran, einen Blog aufzubauen, der die schönsten Immobilien der Welt präsentierte. Alles in allem zeigte sich das Leben von seiner besten Seite, doch der Durst war noch lange nicht gestillt.

Der Aufstieg in die Oberliga brachte Begleiterscheinungen mit sich. Die Restaurants wurden edler, die Frauen kostspieliger und sein eigenes Domizil fraß ihm Löcher in das Konto. Immobilien sind das Gegenteil einer Hure, pflegte Rehhagel zu sagen. Als Makler hast du zwar mehrere an der Hand, aber wenn du sie loswerden willst, kleben sie wie Pattex an den Händen. Das Jahr war bisher nicht schlecht gelaufen, doch seit ein paar Monaten zogen sich die Verhandlungen wie Gummi und erst zuletzt war ein potenzieller Käufer abgesprungen. Kein Käufer, keine Provision!

Sein Blick fiel auf eine Flasche Ron Zacapa 23 Centenario Sistema Solera. Dieser Rum sollte ihm heute Abend Gesellschaft leisten, vorausgesetzt, er würde den Deal gleich eintüten können. Der köstliche Rum war vom Beverage Testing Institute in den USA mit 97 von 100 Punkten ausgezeichnet worden und Rehhagel lief allein beim Gedanken an ein kleines Gläschen ein leichter Schauer über den Rücken. Er streckte sich erneut und sah auf die Uhr. Ihm blieben noch fünf Minuten Zeit. Ein letztes Mal überprüfte er den Sitz seines vollen Haupthaares und betrachtete sich im Spiegel. Mit seinen 1,90 Metern und den breiten Schultern wirkte er durchaus einschüchternd, auch wenn er sich in den letzten Monaten einen kleinen Bauch angefressen hatte. Er musste mal wieder zum Sport gehen und sich in Form bringen. Sein Glück bei den Frauen tat der gesteigerte Umfang seiner körperlichen Mitte jedoch keinen Abbruch. 

Rehhagel merkte, dass er nervös wurde und spielte mit dem Gedanken, sich eine kleine Portion Koks zu gönnen. Wer in der Oberklasse mitspielen wollte, musste sich an die Spielregeln halten. Koks gehörte dazu, wie das Fahrrad zu Münster. Er zog seine Schreibtischschublade in dem Moment auf, als seine Sekretärin ihm meldete, dass sein Besuch soeben eingetroffen war. Er verfluchte die Überpünktlichkeit mancher Menschen, setzte sein einstudiertes Lächeln auf und bat seinen Besuch herein.

Roman Rehhagel erhob sich aus seinem Sessel, als die Sekretärin die Tür öffnete und den Kunden in das Zimmer geleitete. Rehhagel hatte mit mehreren Besuchern gerechnet und blickte nun auf einen schlaksigen Mann in den Vierzigern, der ihn fast noch um einen halben Kopf überragte. Seine Nackenmuskeln spannten sich, er war es nicht gewohnt, selbst einen halben Stock in den Himmel blicken zu müssen. Sein Gegenüber trug einen kostspieligen Anzug und ging geradewegs auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen.

»Herr Rehhagel, schön, dass es geklappt hat. Mein Name ist Christian van der Meijster.«

»Die Freude ist ganz meinerseits. Bitte, setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

Van der Meijster setzte sich auf den Besucherstuhl, schlug die Beine übereinander und stellte die anscheinend schwere Tasche neben sich ab. »Gerne. Einen Kaffee, wenn Sie haben.«

Rehhagel setzte sich in Bewegung und eilte quer durch sein Büro. An der Tür angekommen, drehte er sich zu seinem Besucher. »Wie trinken Sie ihn?«

»Gerne schwarz mit zwei Stück Zucker.«

»Tanja, machst du uns bitte zwei Kaffee? Schwarz, mit zwei Stück Zucker.«

Er ärgerte sich über seine Nervosität und hoffte, dass seine Sekretärin den Auftrag einfach so hinnehmen würde. Normalerweise trank er kaum Kaffee und wenn, dann nur mit viel Milch. Irgendwo in seinem Kopf rief ihm eine Stimme zu, bloß keine Schwäche zu zeigen und Milch schien irgendwo auf der Welt eine krude Übersetzung dieses Wortes zu sein.

Rehhagel ging zurück zu seinem Schreibtisch und setzte sich. Er legte die Fingerspitzen aneinander und schaute van der Meijster direkt in die Augen. »Ich freue mich wirklich, dass es so schnell geklappt hat. Mein Kollege aus Paris hat mir in höchsten Tönen von Ihnen vorgeschwärmt und er meinte, Sie möchten gerne auch in Münster investieren. Habe ich ihn da richtig verstanden?«

»Das haben Sie, Herr Rehhagel. Und die Schwärmerei bezog sich tatsächlich auch auf Ihre Person. Ich kenne den deutschen Markt sehr gut, aber bisher bezogen sich meine Interessen eher auf den osteuropäischen Markt und Südamerika. Daher war ich angenehm überrascht, einen Mann mit Ihren Qualifikationen vorgeschlagen zu bekommen.«

Es klopfte an der Tür und die Sekretärin brachte die beiden Tassen herein. Rehhagel spürte den irritierten Blick auf ihrem Gesicht, als sie die Tasse vor ihm abstellte. Er schüttelte kaum merklich den Kopf, als er sich bei ihr bedankte und war froh, als sie mit wippendem Gang das Büro wieder verließ. Tanja Frommer hatte den Job nicht ganz ohne Grund bekommen. Rehhagel galt in der Szene als ein kleiner Macho, der Frauen nicht unbedingt als das ansah, was sie waren. Gleichberechtigung war nur eins dieser Schlagwörter, das in seinen Augen nicht mehr Tiefe besaß als eine Diskussion mit einem Dreijährigen über Quantenphysik. Frauen gehörten an den Herd und wenn sie besonders gut aussahen, durften sie durchaus repräsentative Aufgaben übernehmen, die diese Vorzüge in den Vordergrund stellten. Da Rehhagel das Feld für einen stetigen Aufstieg bereits bestellt hatte, ergab es Sinn, eine repräsentative Sekretärin einzustellen. Er sah die Blicke seines Klienten mit Wohlwollen, als die kleine Frommer die Getränke brachte. Sie ging vielleicht nicht als eine klassische Schönheit durch, doch verfügte sie über Charakter, der sich nicht auf den ersten Blick offenbarte. Beim zweiten Hinschauen hatte sie zumindest die männlichen Klienten mit dem magnetisierenden Blick ihrer hellblauen Augen oftmals in den Bann gezogen.

»Wie kann ich Ihnen also helfen, Herr van der Meijster?«

»Es geht um Folgendes: Ich vertrete die Eerie Immobilien Ltd. und wir sind an einer ganz speziellen Immobilie interessiert, bei der aus meinen Unterlagen hervorgeht, dass Sie der richtige Ansprechpartner sind. Dabei geht es um das Haus in der Wilhelmstraße 17. Momentan ist dieses Haus an meine Auftraggeber vermietet, soll aber nun in ihren Besitz übergehen.«

»Lassen Sie mich kurz in meine Unterlagen schauen«, erwiderte Rehhagel und tippe einige Befehle in seinen Computer ein. Zu seinem Leidwesen stand die Immobilie nicht zum Verkauf und nach einem missmutigen Blick auf die schon fast entkorkte Flasche Rum stützte er sich auf die Ellenbogen und legte die Finger aneinander. »Hören Sie, Herr van der Meijster. Diese Immobilie befand sich vor einigen Jahren in meinem Portfolio, allerdings habe ich damals einen Käufer gefunden und aktuell steht sie nicht zum Verkauf. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen da wirklich helfen kann.«

»Wie hoch war der damalige Kaufpreis?«, fragte van der Meijster.

»Unter uns, denn eigentlich darf ich darüber keine Angaben machen, kann ich Ihnen sagen, dass aufgrund der hervorragenden Lage und der kurz zuvor erfolgten Modernisierung ein Preis von 750.000 Euro verhandelt wurde. Das Haus liegt direkt im Kreuzviertel und in den letzten Jahren ist hier viel passiert. Der Immobilienpreis hat inzwischen deutlich angezogen.«

Van der Meijster nippte an seinem Kaffee, bevor er nach seiner Tasche griff, die er erst öffnete und dann auf den Tisch legte – direkt vor die Augen des Maklers.

»Schauen Sie, in dieser Tasche befinden sich genau 1,3 Millioen Euro. Ich bin mir sicher, dass Sie mit ein bisschen Überredungskunst einen Abschluss für uns erzielen können. Wenn Sie klug verhandeln, können Sie eine ordentliche Provision einstreichen. Der Grund, warum ich zu Ihnen gekommen bin, ist Ihr guter Ruf. Mir ist bewusst, dass eine solche Summe an Bargeld zu Fragen führen kann. Meine Auftraggeber sind an keinerlei Fragen interessiert und möchten den Kauf diskret abwickeln, wenn Sie verstehen. Ich baue ganz und gar auf Ihre Verschwiegenheitspflicht und darauf, dass Sie sich nicht mit den Behörden in Verbindung setzen werden. Nun meine Frage: Können Sie mir helfen?«

Roman Rehhagel merkte, wie sich die kleinen Steinchen in seinem Kopf zu einem Bild zusammensetzten. Barkäufe rochen stark nach Geldwäsche und da der Auftraggeber unter der Flagge einer ausländischen Holding agierte, verfestigte sich der Verdacht. Mit wem würde er sich hier einlassen, was waren die Risiken und würden vielleicht weitere Aufträge folgen? Sein Blick wanderte über die offene Tasche und er betrachtete die Geldbündel, die ihn wie die Sirenen Himeropa oder Peisinoe zu bezirzen versuchten. Der Gesang des Geldes berauschte ihn dermaßen, dass kein Strick der Welt ihn an seinem ledernen Mast hätte festhalten können.

»Herr van der Meijster, die Grundbücher sind mittlerweile zwar digitalisiert, jedoch nur auf Bundes- oder sogar Kommunalebene. Das System ist veraltet und erst im Jahr 2024 wird es nach aktuellem Stand möglich sein, diese Bücher zentral zu durchsuchen. Weiterhin bin ich nur dazu verpflichtet Auskünfte über eine Transaktion zu geben, falls ich einen konkreten Verdacht einer Straftat habe. Das scheint mir hier nicht der Fall zu sein.«

Rehhagel beugte sich vor und wagte einen zögerlichen Griff in Richtung der Tasche, die kurz davor schien, seinen gesamten Schreibtisch in einem Feuerball verschwinden zu lassen. Prüfend schloss er die Finger um den Griff und zog den zentnerschweren Flächenbrand auf seine Seite. »Ich werde mich um den Kauf kümmern und Ihnen in wenigen Tagen Bescheid geben.« 

Kapitel 4: Details zum Fall

Bosse Hoffmeister öffnete die Fenster und fluchte leise. Er musste wirklich dringend auf die Toilette, doch das ging definitiv nicht in diesem Moment. Das Büro verdiente viele Attribute, die Diskretion schallgeschützter Wände gehörte nicht dazu. Er erinnerte sich an ein Video aus Neuseeland oder Australien. Dort war es zu einer unfassbaren Peinlichkeit gekommen, als ein Abgeordneter während einer Sitzung das stille Örtchen aufgesucht und vergessen hatte, sein Mikrofon auszuschalten. Ein unfassbar witziges Video, das natürlich geteilt worden und viral gegangen war. Diese Peinlichkeit wollte Hoffmeister sich in seiner eigenen Geschichte ersparen.

Denn die folgende Sitzung würde nicht lautlos über die Bühne gehen, der erste Testlauf hatte ein ohrenbetäubendes Ergebnis geliefert. Und das, obwohl er sich auf die Sitzfläche seines Schreibtischstuhls gedrückt hatte. Es war nicht zu ändern, nun musste er das Beste aus der Situation machen. Vielleicht würde eine Banane helfen. Hieß es nicht, dass diese Dinger stopfen? Er griff sich einen gelben Lebensretter aus der Obstschale und verließ sein kleines Büro. Zwilling saß bereits am Konferenztisch. Er hatte sich auf die linke Längsseite positioniert, mit dem Rücken zur Wand. Mit festem Schritt bewegte sich der Detektiv auf die neuen Klienten zu und setzte sich auf seinen Lieblingsplatz, an den Kopf des Tisches. Zwilling saß zu seiner Linken und so hatte er alle Parteien genauestens im Blick und zeigte, wer hier der Chef des Büros war.

»Wolltest du nicht ein paar Unterlagen holen?«, fragte Zwilling und Hoffmeister sah das diabolische Lächeln, dass die Mundpartie dieses Sadisten umspielte.

»Da du ja bestens ausgestattet bist, können wir in meinen Augen anfangen. Da wir uns nun alle bekannt gemacht haben, schlage ich vor, Sie erzählen uns, was Sie zu uns führt.«

Hoffmeister verlagerte sein Gewicht nahezu unmerklich auf die rechte Seite und Zwilling sah, wie sich die Lippen zusammenpressten und die Augen verengten. Das könnte ein sehr interessantes Gespräch werden. Ein Blick zum Fenster verriet, dass für frischen Sauerstoff gesorgt war. Sie würden ihn brauchen.

»Nun, es ist eine etwas delikate, wenngleich auch keine dramatische Geschichte«, begann Lennard Kruger. »Es geht um unsere Tochter.«

Er wechselte einen Blick mit seiner Frau, die sich merklich unwohl dabei zu fühlen schien, einen Privatdetektiv engagieren zu wollen. Dennoch nickte sie ihm zu und gab ihr stilles Zeichen der Einwilligung, um fortzufahren.

»Mareike ist ein wenig … wie soll ich es ausdrücken, schwierig. Im Grunde ist sie ein normales vierundzwanzigjähriges Mädchen. Sie ist sehr klug und kommt ganz nach ihrer Mutter. Damit möchte ich sagen, dass sie sehr hübsch ist.«

Lennard Kruger griff die Hand seiner Frau und schaute die Detektive an. »Aktuell studiert Mareike und macht ihren Master in Kommunikationswissenschaften. Später soll sie in das Familienunternehmen einsteigen und arbeitet schon jetzt nebenbei für meine Frau.«

Während Timo Zwilling sich einige Notizen machte, ergriff Bosse Hoffmeister das Wort.

»Wir haben Ihren Werdegang natürlich recherchiert, aber könnten Sie uns in eigenen Worten sagen, was genau Sie beruflich machen und wie Ihre Tochter dort eingebunden ist?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Lennard Kruger und schenkte sich ein Glas Wasser aus der Karaffe ein, die Zwilling vorsorglich deponiert hatte. »Ich führe mit der TransPort GmbH ein international operierendes Speditionsunternehmen. Meine Frau ist ebenfalls in der Geschäftsführung aktiv, ich übernehme allerdings das operative Geschäft.«

Hillevi Kruger räusperte sich, bevor sie erstmals das Wort ergriff. Sie legte die Hände flach auf den Tisch und schien für einen Moment nach den richtigen Worten zu suchen. »Wir sind wirklich gesegnet und führen ein Leben, das sich viele Menschen nicht erlauben können. Die Firma floriert und wir konnten uns alle erdenklichen Wünsche erfüllen – natürlich im normalen Maße. Aber dennoch. Deswegen habe ich vor einigen Jahren eine Wohltätigkeitsorganisation gegründet, die sich StudentLife nennt. Unser Ziel ist es, Mädchen aus ärmeren Verhältnissen zu unterstützen. Sie sollen sich auf ihr Studium konzentrieren können und deswegen stellen wir die Wohnung und übernehmen die Studiengebühren.«

Bosse Hoffmeister nickte ihr aufmunternd zu und ließ sie weitersprechen.

»Ich habe viel damit zu tun, neue Spenden zu akquirieren, Immobilien zu finden und unser Angebot weiter auszubauen. Deswegen übernimmt mein Mann die Leitung der Spedition und ich konzentriere mich voll auf StudentLife.«

»Ein sehr löbliches Engagement«, kommentierte Zwilling die kurze Zusammenfassung. »Woher bekommen Sie die Spenden und sind Sie nur hier in Nordrhein-Westfalen aktiv?«

»Nein, wir arbeiten inzwischen an sechs Standorten innerhalb Deutschlands und bauen das Angebot sukzessive aus. Unsere Firma gehört natürlich auch zu den Spendern und die Kontakte machen es einfacher, neue Unterstützer an Land zu ziehen. Es könnte mehr sein, aber wir sind bisher sehr zufrieden.«

Hoffmeister schaute zu Zwilling, der damit beschäftigt war, ein Protokoll anzufertigen. Die Informationen hatten sie zwar schon im Vorfeld recherchiert, dennoch war es immer eine gute Idee, die Klienten erzählen zu lassen. So konnten sie sichergehen, alle Fakten zu kennen. Hillevi und Lennard Kruger gehörten zur Oberschicht Münsters. Sie engagierten sich für soziale Zwecke und lebten eher zurückgezogen. Skandale oder erwähnenswerte Zwischenfälle privater sowie beruflicher Natur hatte es nicht gegeben – zumindest keine, die der Öffentlichkeit zugespielt worden waren.

»Herr und Frau Kruger«, begann Bosse Hoffmeister. »Wenn ich es richtig verstehe, sind Sie wegen Ihrer Tochter hier. Was genau meinen Sie mit schwierig?«

Hillevi Kruger reagierte kaum merklich und zog ihre Schultern hoch. Es wirkte, als ob ein Schwall kalter Luft sie umhüllte und ein inneres Unwohlsein hervorrief.

»Ich möchte gleich betonen, dass ich gegen den Besuch bei Ihnen war. Mein Mann hat mich dazu überredet. Ich bin der Meinung, dass Familienangelegenheiten intern behandelt werden sollten und das Leben meiner Tochter nicht in fremde Hände gelegt gehört.«

So wie die Anspannung gekommen war, so legte sie sich. Die Schultern von Hillevi Kruger sackten zwei Stockwerke zu Boden, bis die Notbremse griff. Sie legte ihre Hände auf die Unterarme und strich über den weißen Wollpullover, der allein ob des Kaufpreises eine regelmäßige Streicheleinheit verdient hatte. »Sehen Sie, Mareike hat sich verändert. Früher war sie ein sehr lebensfrohes Kind, dann kam die Pubertät und es wurde schwierig. Sie hat sich in sich zurückgezogen und nachdem auch die schulischen Leistungen merklich schlechter wurden, haben wir sie in die Obhut eines Internats gegeben. Wir dachten, dass sie nach dem Abschluss und einigen Aufenthalten im Ausland die Kurve bekommen hätte. Dann haben wir bei ihr Drogen gefunden.«

Sie schaute ihren Mann an. Ein Schleier legte sich über die braunen Augen und ließ die Pupillen fast schwarz wirken. Die zusammengekniffenen Lippen wirkten mit dem dezent aufgetragenen Rot wie ein fröhlicher Gegensatz, dessen Beabsichtigung allenfalls sarkastischer Natur war. »Während ihres Studiums hier in Münster hat sie ein Mädchen kennengelernt.«

»Michelle Benoist«, warf Lennard Kruger ein.

»Sie hat einen sehr schlechten Einfluss auf unsere Tochter. Wir erreichen sie kaum noch und machen uns große Sorgen, dass es nicht einfach bei leichten Drogen bleiben wird. Ihre Leistungen sind inzwischen tadellos. Ich meine, sie arbeitet nebenbei für StudentLife und übernimmt die PR-Arbeit. Aber …« Eine Träne entschwand ihrem Augenwinkel und Bosse Hoffmeister sah ihr die Sorgen merklich an. Seine eigene Frau war schwanger und er begriff, wie sehr ein eigenes Kind an den Nerven zu kratzen vermochte. Franziska Hoffmeister arbeitete als Forensikerin und Dozentin bei der Westfälischen Wilhelms- Universität und in ein paar Monaten musste er sich mit den Sorgen einer Vaterschaft beschäftigen – auch wenn ihm für die wirklichen Probleme noch Zeit blieben.

»Wie genau können wir Ihnen helfen? Vielleicht wäre ein Termin bei einem Psychologen die bessere Idee«, kommentierte Bosse Hoffmeister die Ausführungen und reichte Hillevi Kruger ein Taschentuch.

Lennard Kruger atmete tief durch und sah Hoffmeister in die Augen. Sein Blick hatte sich verändert und anstelle der Sorgen konnte Hoffmeister eine Spur Wut erkennen. »Wir möchten, dass Sie den Dealer, der ihr das Zeug verkauft, finden und ihn hinter Schloss und Riegel bringen. Das mag nicht die schlauste oder nachhaltigste Lösung sein, aber wir brauchen einen Anfang und keine Therapie wird helfen, wenn sie weiterhin uneingeschränkten Zugang zu dem Zeug hat. Die Frage ist, ob Sie uns dabei helfen können. Ihr Ruf ist ausgezeichnet und wir möchten das gerne so diskret wie möglich durchführen. Unsere Tochter darf selbstverständlich nichts von unserer Vereinbarung erfahren. Wir möchten nicht, dass sie sich weiter von uns entfernt. Letztlich ist es zu ihrem Wohl und wir möchten für sie nur die beste Zukunft.«

Timo Zwilling legte seinen Stift beiseite. Der ehemalige Lehrer kannte diese Probleme und in seiner Zeit an einer Münsteraner Schule war er als Vertrauenslehrer oft in Kontakt mit Jugendlichen geraten, die auf die schiefe Bahn abzudriften drohten. Er selbst gönnte sich regelmäßig einen Joint, härtere Drogen hatte er nie angefasst – abgesehen von einer kleinen Eskapade mit Magic Mushrooms. Die ganz wilden Zeiten lagen jedoch hinter ihm. »Wieso gehen Sie nicht zur Polizei? Die wäre für Hinweise sicher sehr dankbar?«

»Wir möchten diese Angelegenheit gerne diskret behandeln«, antwortete Lennard Kruger. »Wir wissen nicht genau, wie tief sie in dieser Welt steckt und wir vermuten, dass sie eventuell auch selbst hin und wieder mit Drogen handelt. Auch ihre Freundin Michelle würde da mit reingezogen und uns wäre es ganz lieb, wenn die Geschichte aus der Welt geschafft werden könnte, ohne dass die beiden Mädchen mit der Polizei in Kontakt kommen.«

Bosse Hoffmeister nickte seinem Kollegen zu und wandte sich an das besorgte Elternpaar.