zufällig glücklich - Nicole S. Valentin - E-Book

zufällig glücklich E-Book

Nicole S. Valentin

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Beschreibung

Eigentlich läuft in Annas Leben alles in ruhigen Bahnen. Einen sicheren Job, mit Anfang 30 eine Beziehung zu Thomas, die endlich den Ernst anzunehmen scheint, um auf eine eigene Familie zu hoffen. Auf der Hochzeit eines ehemaligen Studienkollegen von Thomas holt sie jedoch ihre Vergangenheit wieder ein. David! Eben dieser David, an den sie vor sieben Jahren in einem Urlaub unwiederbringlich ihr Herz verloren hat und von dem sie dachte, ihn nie wiederzusehen. Dass er sie nicht wiedersehen wollte. Plötzlich steht Annas Leben Kopf und ihre mühsam unterdrückten Gefühle für David drohen sie erneut zu übermannen. Wäre da nur nicht diese klitzekleine Wichtigkeit, die sie vor David geheim gehalten hat. Und Thomas spielt ja auch eine nicht unerhebliche Rolle in Annas Leben …

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Nicole S. Valentin

zufällig glücklich

Umschlaggestaltung: Casandra Krammer - www.casandrakrammer.deUmschlagmotiv: © Shutterstock/ sivilla - 192364898Korrektorat: Claudia Heinen – http://sks-heinen.de2.Auflage, Januar 2023Copyright © 2014 Nicole S. Valentin

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Danke

Impressum

ZUFÄLLIG

GLÜCKLICH

Liebesroman

Nicole S. Valentin

Umschlaggestaltung: Casandra Krammer - www.casandrakrammer.de Umschlagmotiv: © Shutterstock/ sivilla - 192364898

Korrektorat: Claudia Heinen – http://sks-heinen.de

2.Auflage, Januar 2023

Copyright © 2014 Nicole S. Valentin

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies gilt ebenso für das Recht der mechanischen, elektronischen und fotografischen Vervielfältigung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Handlung und handelnden Personen, sowie deren Namen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden und/oder realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.

Kapitel 1

Es regnet in Strömen und ich verspüre nicht die geringste Lust, auch nur einen Fuß vor die Türe zu setzen. Aber ein Blick auf meine Uhr genügt, um mir zu verraten, dass ich tatsächlich schon immens spät dran bin. Also atme ich einmal tief durch, als ich den Computer herunterfahren lasse.

Meine Tochter wird bereits an der Türe der Kita stehen. Ihre Fäuste in die Hüften gestemmt, wird sie ungeduldig mit ihren Zehen wippen und ihrem Unmut freien Lauf lassen.

Ich muss lächeln bei dem Gedanken an meinen sechsjährigen Trotzkopf. Elena kann es einfach nicht erwarten, dass im Sommer endlich die Schule losgeht. Sie ist eigentlich schon zu groß für den Kindergarten. Zumindest behauptet sie das steif und fest. Und jede dort verbrachte Minute ist die reinste Zeitverschwendung in ihren Augen.

Nein, Geduld gehört wirklich nicht unbedingt zu Elenas Stärken.

Schnell krame ich mein Zeug vom Schreibtisch, knipse mein Licht aus und schnappe mir den Wollmantel vom Garderobenhaken hinter meiner Bürotür. Der Job in der Personalabteilung der Bank ist bestimmt nicht aufregend, aber zumindest sicher und die einzige Geldquelle, um für Elena und mich eine Basis zu schaffen, die auch mal Platz für die Erfüllung kleinerer Wünsche gibt, wie zum Beispiel das neue Fahrrad für meine Tochter im letzten Monat.

Gerade will ich mich ins Wochenende verabschieden, als das hübsche Gesicht meines Abteilungsleiters in der Tür erscheint.

„Frau Lorenz, haben Sie noch eine Minute für mich?“

Natürlich, für SIE doch immer …

Ich schlüpfe durch seine Tür, nicht ohne mich einmal zu vergewissern, dass niemand im Flur steht, der meinen Abstecher bemerken könnte. Thomas Hagedorn schließt die Türe hinter mir und zieht mich an sich.

„Sehen wir uns heute Abend?“ Er haucht einen Kuss auf mein Ohrläppchen und ein Schauer läuft über meinen Nacken. Ich lege meine Hände um seine Mitte und sehe zu ihm auf.

„Ich fürchte, daraus wird heute nichts. Ich habe Elena versprochen, dass wir zusammen ins Kino gehen.“ Seine braunen Augen sehen enttäuscht auf mich herab.

Entschuldigend füge ich hinzu: „Wir sehen uns doch morgen. Ich könnte Chris fragen, ob er bei uns übernachtet, dann haben wir etwas mehr Zeit.“

Thomas presst die Lippen zusammen und atmet tief durch die Nase ein. „Gut, dann eben nur morgen. Ich hole dich um 18 Uhr ab.“

„Um 19 Uhr. Dann kann ich noch mit Elena und Chris zu Abend essen.“ Flüchtig küsse ich seinen Mundwinkel und schiebe ihn von mir. „Ich muss los. Elena steht bestimmt schon in den Startlöchern.“ Widerwillig lässt Thomas von mir ab und ich lege meine Hand auf seine glatt rasierte Wange. „Sei nicht sauer, mich gibt es eben nur mit Kompromiss.“ Er schmiegt seine Wange in meine Hand. „Es ist schon in Ordnung. Wir sehen uns morgen.“

Ich verlasse das Büro mit einem flauen Gefühl in der Magengegend. Meine Lippen kräuseln sich. Diese Heimlichtuerei zerrt mittlerweile ordentlich an meinen Nerven. Ich wüsste zu gern, wann er endlich Nägel mit Köpfen macht und mich offiziell in die Gesellschaft einführt. Immerhin treffen wir uns bereits seit einigen Wochen auch privat und doch heimlich.

Und ob er sich jemals zu mir bekennen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt Papier. Hin und wieder erwische ich mich bei der Frage an mich selbst, ob ich eine solche Beziehung überhaupt bereit bin zu führen. Immerhin ist Thomas Hagedorn der erste Mann seit Jahren, auf den ich mich überhaupt einlasse, und so verständlich mir sein Zögern zu Beginn erschien, umso fraglicher wird es für mich, ob aus unserem Tête-à-Tête jemals etwas wird, was man ruhigen Gewissens auch Beziehung nennen kann.

Wie gerne würde ich ihn mit Elena bekannt machen, aber solange unsere, gut nennen wir es mal Beziehung, noch so in der Schwebe steht, bringe ich es einfach nicht übers Herz. Elena musste mich bislang noch nie mit einer dritten Person teilen. Wie wird sie darauf reagieren, dass es plötzlich einen Mann in meinem Leben gibt? Und was soll erst mal werden, wenn es dann doch nicht funktioniert?

Nein, solange Thomas nicht den nächsten Schritt macht, bleibt alles so wie bisher. Ich werde mich weiterhin um einen Babysitter kümmern müssen und nachts im eigenen Bett übernachten.

Mit einem Seufzen steige ich in meinen kleinen roten Möchtegernflitzer und mache mich auf den Weg zu meiner Tochter.

Wie vermutet, werde ich bereits sehnsüchtig erwartet. „Mensch, Mama, dass du immer auf den letzten Drücker kommen musst. Sogar Lea ist schon von ihrem Papa abgeholt worden.“ Äußerst missmutig stapft Elena zu ihrem Jackenhaken. Ich verdrehe grinsend die Augen. Selbstverständlich hinter ihrem Rücken. Aber sie ist noch lange nicht fertig mit mir. „Ehrlich, Mama, heute ist doch Freitag. Du hast mir versprochen, dass du dich beeilst. Wir wollen doch ins Kino gehen.“

Mit angezogenen Schultern hält sie ihre Arme meckernd vom Körper gestreckt. Ich beuge mich zu ihr herunter, um ihr einen Kuss in die Haare zu drücken. „Ja, du hast recht und es tut mir leid. Ich habe es leider nicht schneller geschafft. Aber dafür haben wir ja jetzt den ganzen Abend für uns. Wir gehen jetzt Pommes essen und danach überlegen wir uns, welchen Film wir uns heute ansehen.“ Ich helfe ihr in die Jacke und Elena wirkt bereits ein wenig versöhnt, als ich ihre Kindergartentasche ebenfalls vom Haken nehme und mir selbst um den Hals hänge, bevor wir uns endlich auf den Weg machen.

Unser entspannter Mutter-Tochter-Nachmittag mit Fritten und Cola inklusive Kino und Popcorn lässt sie meine Verspätung gänzlich vergessen und ich genieße diesen exklusiven Nachmittag mit meinem Töchterlein. Wer weiß schon, wie lange Elena mich noch so intensiv an ihrem Leben teilhaben lässt. Bald beginnt auch für sie die Schulzeit und im Nullkommanichts steckt sie mitten in der Pubertät. Schmerzlich wird mir bewusst, wie schnell die Zeit vergangen ist. Von dem Moment an, als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin.

Noch heute kann ich den Schrecken nicht vergessen, der damals in mich gefahren ist. Keine Frage, Elena ist wahrscheinlich das Beste, das mir bisher passiert ist. Dennoch hatte ich mit 25 Jahren eigentlich andere Pläne als die, ein Kind zu bekommen und es alleine aufzuziehen. Nach meiner abgeschlossenen Ausbildung zur Bankkauffrau wollte ich gerne studieren, ich wollte reisen, das Leben in vollen Zügen genießen.

Diese Träume habe ich eingetauscht. Gegen volle Windeln, lange Nächte und hysterisches Babygeschrei.

Von meiner Mutter hatte ich hierbei keine Hilfe zu erwarten. Nach der Scheidung meiner Eltern befand sie sich zum Zeitpunkt meiner Schwangerschaft auf einem Selbstfindungstrip. Leider war dieser Trip auch äußerst selbstsüchtig. In so vielerlei Hinsicht. Ihre Worte würde ich niemals vergessen. „Du hast dir ein Kind machen lassen, dann kümmere dich auch darum. Wie auch immer du das anstellen willst.“ Heute liebt sie Elena abgöttisch, aber jetzt sind seit damals auch sieben Jahre vergangen. Und bis hierher habe ich es auch alleine geschafft.

Gut, nicht ganz alleine. Ohne Christian hätte mich sicherlich oft der Mut verlassen.

Christian ist meine bessere Hälfte, mein Mojo, der Ruhepol, der mich auch wieder erdet, sollte es nötig sein.

Andere Frauen haben eine Busenfreundin, ich habe Christian. Und irgendwie ist er mir ja auch eine Freundin. Stockschwul und hin und wieder leider schrecklich zickig. Aber er steht dazu, und ich könnte mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.

Er übernimmt sehr gerne den männlichen Part in Elenas Erziehung, auch wenn hier die Männlichkeit manchmal fraglich ist. Denn einen Vater im klassischen Sinne gibt es für Elena nicht. Hat es nie gegeben. Sie ist das Ergebnis einer heißen Sommerurlaubsaffäre.

Groß, gut aussehend, dunkelhaarig mit glitzernden Augen, mehr hat er nicht benötigt, um mich von sich zu überzeugen. Die Sonne und das Meer machten das Sommerliebesgeflüster perfekt und ich habe mich, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, auf dieses Abenteuer eingelassen.

Noch heute schüttele ich den Kopf über meine eigene Naivität. Doch wenn ich in das Gesicht meiner Tochter sehe, dann danke ich David insgeheim für dieses Geschenk, welches er mir unwissentlich gemacht hat. Denn ich habe es ihm nie gesagt, dass er eine Tochter hat. Seine Telefonnummer habe ich nicht. Nicht mehr. Selbst wenn ich ihn angerufen hätte - ich meine, bevor ich seine Telefonnummer in einer feierlichen Zeremonie in einem Aschenbecher verbrannt habe - was hätte ich ihm sagen sollen?

Hallo David, hier ist Anna. Die, die du in Griechenland flachgelegt hast - ohne anständig zu verhüten – und stell dir vor, du wirst Vater. Sag schon, freust du dich? Ich hoffe doch, das ist kein Problem für dich!

Es wäre undenkbar gewesen, dass er sich über eine solche Nachricht gefreut hätte. Also habe ich mich alleine für das Kind entschieden und es nie bereut. Auch wenn dieser Weg manchmal alles andere als bequem war. Die Auseinandersetzung mit dem Standesamt, weil ich den Vater des Kindes nicht benennen wollte. Den damit vertanen Anspruch auf Unterhaltszahlungen durch das Jugendamt. Der Kampf um eine Anstellung in der Bank und nicht zuletzt das nicht angetretene Studium.

Aber mittlerweile bin so fest verankert in meiner Mutterrolle, dass es gar keinen Zweifel an der Richtigkeit meiner Entscheidungen gibt.

Zu Hause angekommen schlüpft Elena in ihren Schlafanzug und kuschelt sich auf das Sofa. „Mama, sollen wir noch etwas im Fernsehen angucken?“

Verneinend schüttele ich den Kopf: „Nein, mein Schatz. Für dich wird es Zeit fürs Bett. Und außerdem hast du ja wohl genug ferngesehen heute.“

Doch Elena möchte das natürlich so nicht gelten lassen und zieht einen Flunsch. „Ich habe überhaupt noch kein ferngesehen. Wir waren doch im Kino.“ Ich hebe hierauf jedoch nur eine Augenbraue und sehe meine Tochter auffordernd an.

Mit einer störrischen Miene schält sie sich tatsächlich wieder vom Sofa und verschwindet im Bad, um sich die Zähne zu putzen. Genau diese Zeit nutze ich, um Chris telefonisch von seinem ausgedehnten Babysitterjob am nächsten Abend zu unterrichten.

„Natürlich bleibe ich über Nacht. Aber bist du sicher, dass du dich schon wieder mit diesem Bankschnösel treffen willst? Gottchen, mein Herz, geh aus und suche dir einen richtigen Mann.“

Ich verdrehe die Augen. „Du sollst nicht so über Thomas reden. Er ist nett und tut mir gut.“

Chris prustet in den Hörer. „Na klar, dann kaufe dir einen Hund. Hunde sind auch nett und Spaziergänge tun dir auch gut. Meinetwegen kannst du den Hund ja auch Thomas nennen.“ Gegen meinen Willen breche ich in Lachen aus.

„Du gehst zu weit, Christine. Wir sehen uns morgen. Und danke fürs Sitten.“

„Ich bin um 15 Uhr bei dir. Sag Elena, wir fahren ein paar Runden mit ihrem Fahrrad.“

„Mach ich, bis morgen.“

Chris ist eine Seele von Mensch, aber mit Thomas wird er einfach nicht warm. Aber ich befürchte, dass kein Mann ihn wirklich überzeugen könnte, der Richtige für seine Mädchen zu sein .

Kapitel 2

Wie verabredet, stehe ich am Samstagabend Punkt 19 Uhr vor meiner Haustüre und warte auf Thomas, als ich seinen Wagen auch schon um die Ecke fahren sehe. Pünktlich, wie erwartet.

Da er sich nicht mehr darüber geäußert hat, was wir heute unternehmen werden, habe ich mich einfach für eine Jeans und eine langärmelige Bluse entschieden. Der April ist doch noch recht kühl, auch wenn die Tage bereits freundlicher werden.

Mit einem Summen öffnet sich das Fenster der Beifahrertür, als der Wagen direkt vor mir zum Stehen kommt. Thomas lächelt mir entgegen. „Hey, steig ein, dann können wir sofort los.“

Also klettere ich in den BMW meines Abteilungsleiters, nur um sofort seinem abschätzenden Blick zu begegnen. „Jeans, Anna? Ich wollte dich schick ausführen.“

Mir gefriert mein Gesichtsausdruck. Seine zurechtweisende Art trifft mich mal wieder unvermittelt. Die Ungeduld in seiner Stimme gefällt mir nicht.

„Dann hättest du mir vielleicht ein Wort gönnen können, sicherlich hätte ich mich zu diesem Zweck in das kleine Schwarze gepresst.“

Er zieht die Stirn kraus. „Ich dachte nicht, dass ich dich noch mal daran erinnern muss. Ich habe einen Tisch für uns bestellt, das kannst du doch nicht vergessen haben.“

Zerknirscht muss ich mir jedoch eingestehen, dass ich eben genau das getan habe. „Entschuldige, ich habe tatsächlich nicht mehr daran gedacht. Aber wenn du kurz wartest, dann ziehe ich mir schnell etwas anderes an.“

Aber Thomas legt den Gang ein und fährt los. „Nein, wir sind sowieso schon spät dran. Ich wollte dich bereits um 18 Uhr abholen.“

Ich lege meine Hand vermittelnd auf seinen Oberschenkel. „Thomas, es tut mir leid. Diese eine Minute hätten wir jetzt sicher noch gehabt.“ Eigentlich habe ich mich auf den Abend mit ihm gefreut. Und jetzt ziehe ich mir seinen Unwillen zu. Er sieht mich kurz an, bevor er sich mit zusammengezogenen Augenbrauen wieder dem Verkehr vor ihm widmet.

„Tu mir bitte nur den Gefallen und denke an die Hochzeit am nächsten Wochenende.“

Wie könnte ich die vergessen?

„Nein, die vergesse ich schon nicht. Elena verbringt das Wochenende mit meiner Mutter und ich habe sogar noch einen Termin beim Friseur, ehe wir losfahren.“ Selbst überrascht von der Frustration in meiner eigenen Stimme ziehe ich meine Hand wieder zurück zu mir.

Thomas nickt wortlos in den Verkehr vor sich und hüllt sich ansonsten in Schweigen.

Und ich ärgere mich über mich selbst. Es sind genau diese Augenblicke, in denen ich Christian zustimmen muss. Dass er recht hat mit seinem Hinweis, dass ich mich besser von dem Gedanken an eine Beziehung mit Thomas lösen soll.

Diese unwirsche Art ist mir tatsächlich manchmal zu viel. Auch die Tatsache, dass er mich oft behandelt, als wäre ich ein kleines Kind.

Hätte er mich gestern noch mal daran erinnert, dass er heute vorhat, mit mir essen zu gehen, dann hätte ich mich doch dafür herausgeputzt. Vor allen Dingen hätte ich nicht bereits mit Elena und Chris gegessen.

Um den Abend jedoch nicht endgültig in den Sand zu setzen, behalte ich diesen kleinen Hinweis lieber für mich. Ich merke, wie sich meine Fingernägel in meine Handinnenflächen bohren. Die aufkeimende Wut unterdrücke ich, indem ich lieber noch mal tief durchatme.

Als er mich im letzten Monat gebeten hat, ihn auf die Hochzeit eines alten Freundes zu begleiten, dachte ich schon, dass er sich endlich ganz zu mir bekennen wird. Voll überschwänglicher Freude habe ich also zugesagt. Nur um einen Satz später zu erfahren, dass die Hochzeit in Hamburg stattfindet - also weit genug entfernt, um überhaupt Gefahr zu laufen, einem Kunden der Bank oder noch schlimmer, einem Kollegen zu begegnen.

Nein, so habe ich mir das alles tatsächlich nicht vorgestellt.

Nun werde ich also mit zu dieser Hochzeit fahren und wir werden eine gemeinsame Nacht in einem Hamburger Hotel verbringen. Und von diesem Ausflug werde ich meine Zukunft abhängig machen. Entweder mit oder ohne Thomas.

Entgegen meiner ersten Befürchtung wird unser Abend doch noch nett. Er entscheidet sich einfach für ein anderes Restaurant. Selbstverständlich ein ungefährliches. Möglichst keine Kunden, keine Kollegen. Eines, in dem ich auch in Jeans eine gute Figur mache und er in seiner Stoffhose und dem Hemd nicht zu verkleidet wirkt. Nach der Vorspeise findet er sogar seinen Humor wieder und ich beginne, die Zeit mit ihm doch noch zu genießen. Meine vorherigen Bedenken schüttele ich mal wieder ab, so wie ich es oft zu tun pflege.

Vielleicht reagiere ich ja auch einfach nur überempfindlich auf viele Dinge.

Immerhin ist Thomas der erste Mann seit Elenas Geburt, der es überhaupt über einen Restaurantbesuch hinaus geschafft hat, mich für sich einzunehmen. Und der Sex mit ihm ist auch in Ordnung. Er ist zärtlich, zuvorkommend und kümmert sich auch um meine Belange.

Das ist wahrscheinlich schon wesentlich mehr, als manch andere von ihrem Sexleben behaupten kann.

Wen kümmert es dann schon, dass er danach sofort einschläft und meistens schon gar nicht mehr mitbekommt, wenn ich mich aus seiner Wohnung schleiche, nur um vor Sonnenaufgang wieder zu Hause bei Elena zu sein. Damit diese erst gar nicht merkt, dass ihre Mutter fast die komplette Nacht nicht zu Hause war.

Und wer glaubt schon an die Leidenschaft, wie sie in Büchern beschrieben steht? An den alles um sich herum vergessend machenden Sex zwischen zwei Menschen, die sofort wissen, dass sie füreinander geschaffen sind.

Oh, natürlich möchte ich auch daran glauben, aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann wäre ich eine Idiotin, nach solchen Gefühlen zu suchen.

Nein, da bietet mir Thomas eine gewisse Sicherheit. Eben diese Art der Sicherheit, die Frau benötigt, um sich ein Nest zu bauen.

Er hat einen sicheren Job, die Vernunft eines erwachsenen Mannes, und wenn er sich im Umgang mit Elena bewährt, wäre mein Glück einfach perfekt. Oder etwa nicht?

Von Chris ernte ich hierfür lediglich ein Schmunzeln. Seiner Meinung nach ist Thomas zu spießig. Außerdem kränkt es ihn bald mehr als mich selbst, dass er mich vor allen verheimlicht. Er ist der Meinung, dass sein Mädchen etwas Besseres verdient, als vor aller Welt versteckt zu werden.

Aber darüber kann ich hinwegsehen. Noch.

Als ich mich in dieser Nacht nach Hause stehle und feststelle, dass mein eigenes Kopfkissen mit den wirren braunen Locken meiner Tochter belegt ist und ein schnarchender Christian den Rest des Bettes vorzüglich ausfüllt, schalte ich grinsend den laufenden Schlafzimmerfernseher aus und rette die Chipsschüssel aus dem Bett. Die Party hier ist wohl gelungen. Ich decke Elena zu und hauche ihr einen Kuss auf ihre Wange, bevor ich mich kurzerhand in Elenas Bett verkrieche.

Doch die so dringend benötigte Bettschwere lässt auf sich warten. Meine Gedanken schweifen immer wieder ab.

Nach Griechenland vor sieben Jahren.

Da hatte ich diese Leidenschaft. Wundervolle zwei Wochen lang. Mit David. Aber das wäre doch niemals alltagstauglich gewesen. Mit einem fast schwermütigen Aufseufzen ziehe ich mir die Bettdecke mit Prinzessin Lilifees Antlitz bis unters Kinn.

Nein, das wäre sie niemals. So etwas überlebt den Alltag nicht.

Mit der Erinnerung an Davids funkelnde tiefblaue Augen, die Elenas so verflucht ähnlich sind, falle ich in einen unruhigen Schlaf.

Die nächste Woche vergeht wie im Flug und ehe ich mich versehe, sitze ich auch schon im Friseursalon und lasse mir die Haare aufdrehen und feststecken. Elena habe ich bereits bei meiner Mutter abgesetzt, natürlich mit dem Versprechen, mich unverzüglich zu melden, sobald ich in Hamburg angekommen bin. Meine Tochter weiß von der Hochzeit, aber natürlich nicht, mit wem ich dorthin fahre. Ihre kindliche Neugier ist mit der Erklärung befriedigt, dass es sich um eine frühere Freundin handelt, die ich aufgrund der Entfernung nicht mehr so oft sehen kann.

Die kirchliche Trauung wird um 16 Uhr beginnen. Wir haben demnach noch genügend Zeit, um nach Hamburg zu fahren, im Hotel einzuchecken, um uns umzuziehen und zur Kirche zu kommen. Auch wenn ich niemanden auf dem Fest kenne, freue ich mich auf diesen Tag und Abend mit Thomas. Endlich werde ich ihn in einer privaten Umgebung erleben.

Natürlich weit genug entfernt von zu Hause und dennoch handelt es sich bei dem Bräutigam immerhin um einen alten Freund von ihm. Das lässt zumindest darauf schließen, dass er sich sicher genug fühlt, mich als seine Begleitung mitnehmen zu wollen. Aus diesem Grund werde ich mir auch heute mit allem besonders viel Mühe geben. Mein Kleid ist eine Sünde aus hellgrauer Seide, das meinen braunen Haaren und Augen schmeichelt, die Unterwäsche, die ich mir extra für diesen Anlass zugelegt habe, ist ein Traum aus weißer Spitze ebenso wie die halterlosen Strümpfe. Eigentlich hasse ich das Gefühl von Nylon- oder in diesem Fall Seiden-Bestrumpfung jeglicher Art, aber für meinen Abteilungsleiter will ich es heute mal krachen lassen. Um das Make-up kümmere ich mich später im Hotel. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass sich mein Galant auch als der Traumprinz herausstellt, den ich gerne hätte.

Mein eigener Anblick im Spiegel bringt mich dann doch ins Staunen.

„Meine Güte, bin das tatsächlich ich?“ Überwältigt beuge ich mich in meinem Stuhl vor und drehe den Kopf andächtig von links nach rechts, um mich von allen Seiten betrachten zu können.

„Susi, du hast dich selbst übertroffen.“

Unbeeindruckt lässt Susanne eine Kaugummiblase zerplatzen. „Quatsch nicht, Süße. Ich habe deine Haare nur mal anständig zur Geltung gebracht. Das hübsche Gesicht hattest du vorher schon.“ Mit einem frechen Grinsen hält sie mir den Handspiegel hinter die Frisur, damit ich tatsächlich das ganze Ausmaß ihres Könnens begutachten kann.

Kunstvoll hochgesteckt glänzen meine Haare wundervoll. An den Seiten sind üppig aufgedrehte Korkenzieherlöckchen drapiert, die mir weich wippend auf die Schultern fallen.

„Na, hoffentlich passt dein Typ auch gut auf dich auf heute Abend, nicht dass es sich der Bräutigam bei deinem Anblick sonst noch anders überlegt.“

Skeptisch wandert meine Augenbraue in die Höhe. Durch den Spiegel blicke ich in ihr Gesicht.

„Na klar, dazu genügt eine Frisur.“

„Das ist meine Frisur, Süße! Es wurden schon Ehen aus anderen Gründen geschlossen.“

Ich lache laut auf, während ich aufstehe und meine Haarstylistin umarme. „Ich danke dir, dass du den Laden extra so früh aufgeschlossen hast, um mir noch die Haare zu wickeln.“

Pikiert schiebt Susanne mich ein wenig von sich. „WICKELN? Das ist Kunst auf deinem Kopf, Herzchen.“ Ich drücke ihr ein Küsschen auf die Wange. „Das weiß ich doch, und es ist wundervoll.“

Das Klingeln meines Handys unterbricht unser freundschaftliches Geplänkel.

„Wie sieht es aus bei dir? Ich wäre so weit und könnte jetzt losfahren.“

Bei dem Gedanken an Thomas’ Blick, wenn er mich mit meiner Frisur erblickt, beschleicht mich eine aufregende Vorfreude. Während ich mit ihm telefoniere, studiere ich meinen Anblick in den ausladenden Spiegeln des Salons.

„Ich bin fertig. Wenn du magst, kannst du mich gleich abholen kommen.“

„Gut, dann bin ich in 20 Minuten bei dir.“

Schnell krame ich mein Portemonnaie aus der riesigen Handtasche, überreiche feierlich ein großzügiges Trinkgeld und mache mich auf dem schnellsten Weg nach Hause. Meine Tasche ist bereits gepackt, mein Kleid ordentlich in seiner Schutzhülle verborgen und alles andere wird sich innerhalb der nächsten 24 Stunden fügen. Aber ich bin zuversichtlich. Nach diesem Wochenende bin ich offiziell in einer festen Beziehung.

Ja, genau das wird passieren.

Pünktlich 20 Minuten später steht Thomas Hagedorn vor meiner Tür, um mich einzusammeln. Er hilft mir, die Reisetasche in den Kofferraum zu wuchten und mein Kleid knitterlos zu verfrachten, ehe er endlich meine Haare würdigt.

Langsam dreht er eine der kunstvoll gedrehten Löckchen um seinen Finger und lächelt zärtlich zu mir hinab. „Die Frisur sieht schon mal vielversprechend aus.“

„Warte ab, bis du den Rest siehst.“ Anzüglich lasse ich meine Augenbrauen auf und ab tanzen, bevor ich ins Auto steige.

Aber natürlich ist er zu beherrscht, um auf meine Anspielung einzugehen, und eigentlich habe ich das auch nicht erwartet.

Kapitel 3

Die Fahrt nach Hamburg verläuft ohne Zwischenfälle und Staus und nach gut vier Stunden Fahrt bin ich doch erleichtert, endlich im Hotel angekommen zu sein. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass wir noch gut zwei Stunden Zeit haben, um uns für die Hochzeit frisch zu machen. Langsam überkommt mich auch eine gewisse Nervosität.

Wie seine Freunde wohl sind?

Aber vor allen Dingen interessiert es mich doch brennend, wie er mich vorstellen wird. Als seine Freundin? Das wäre natürlich ein riesiger Schritt nach vorne. Ein unruhiges Flattern macht sich in meinem Unterleib breit.

Während mein Begleiter für diesen Abend bereits in der Dusche verschwindet, versuche ich noch mal schnell, Chris zu erreichen. Ich benötige dringend jemanden, der mich beruhigt.

„Hey, mein Herz, das wird schon schiefgehen. Und wenn du es gar nicht mehr aushalten kannst oder er sich danebenbenimmt, dann rufst du mich an und ich hole dich noch heute Nacht ab.“

„Na, ich will hoffen, dass es nicht so weit kommt. Ich wollte nur noch mal deine Stimme hören, und dass du mir sagst, dass ich das Richtige tue.“

„Herzchen, alles ist gut, solange du meinst, dass der Kerl der Richtige für dich ist. Sollte er sich jedoch danebenbenehmen, dann kann er etwas erleben. Und jetzt mach dich hübsch und genieße diesen Abend in vollen Zügen.“

Ein wenig leichter ums Herz, packe ich meine Tasche aus und verstaue alles Notwendige in die vorhandenen Schränke. Natürlich viel zu viel Zeug für eine einzige Nacht in diesem Hotel. Aber was wäre ich für eine Frau, hätte ich lediglich Unterwäsche zum Wechseln eingesteckt.

Nachdem ich auch mit Elena kurz gesprochen habe, verschwinde ich ebenfalls ins Bad. Thomas steht bereits mit einem Handtuch um die Hüften vor dem Waschbecken und putzt sich die Zähne.

Ich küsse ihn zwischen seine Schulterblätter. „Wie schade, dass wir gleich noch etwas vorhaben. Ich wüsste da einen netten Zeitvertreib.“ Mit dem Finger fahre ich seine Wirbelsäule entlang.

Er spült sich den Mund aus und dreht sich zu mir, um mich ein wenig von sich zu schieben. Er küsst meine Nasenspitze. „Liebend gern, aber ich fürchte, das muss warten, bis wir heute Abend wieder hier sind.“ Mit diesen Worten verlässt er das Bad. Und ich klettere unter die Dusche, eine Plastiktüte über der Frisur.

Leidenschaft gibt es nur in Filmen oder Büchern. Alle anderen Möglichkeiten sind einfach nicht alltagstauglich.

Als ich eine Stunde später fix und fertig aus dem kleinen Raum trete, hat sich Thomas schon in seinen Anzug geworfen und fummelt seine Manschettenknöpfe in die Hemdsärmel.

Als er mich erblickt, hält er den Atem an und ich genieße die Bewunderung in seinem Blick. Genauso habe ich mir das vorgestellt. Triumph breitet sich in mir aus.

Ja, sieh nur her. Das kann alles dir gehören, wenn du dich endlich zu mir bekennst.

Das Cocktailkleid umschmeichelt meine frauliche Figur, in meiner Unterwäsche fühle ich mich begehrenswert und sexy und sogar die Strümpfe lassen sich ertragen. Mein Make-up ist gewählt dezent, meine Augen betont, die Lippen glänzen vom Lipgloss, das ich jetzt in meinem kleinen Täschchen verschwinden lasse. Vielleicht brauche ich es ja später noch mal.

„Deinem Blick nach zu urteilen, gebe ich dir heute keinen Anlass, über mein Outfit zu meckern.“ Ein schelmisches Lächeln umspielt meinen Mund, als Thomas sich ertappt räuspert.

„Anna, du siehst umwerfend aus.“ Seine Stimme ist leise. Er macht einen Schritt auf mich zu und küsst mich. Ich lasse mich in seine Arme fallen und atme tief den Duft seines Aftershaves ein. Ja, so mag ich es. Warum kann es nur nicht immer so zwischen uns sein, denke ich ein wenig wehmütig, während ich meine Hände in seinen blonden Haaren vergrabe.

Die Kirche ist wunderschön geschmückt. Kleine Blumenbuketts von gelben und cremefarbenen Rosen beherrschen den Mittelgang. Die Gäste haben sich bereits auf die Sitzbänke verteilt. Hübsch gestylte Mädchen in weit schwingenden Röcken halten ihre Blumenkörbe fest in den Händen. Alles ist voll gespannter Erwartung, dass die Braut endlich eintrifft.

Wir setzen uns mittig in das Kirchenschiff und lauschen den andächtigen Klängen der Orgel.

Ich kann nichts gegen die Gänsehaut tun, die sich zwangsläufig auf meiner Haut bildet. Das alles hier ist traumhaft in Szene gesetzt. Auch wenn ich für mich selbst eine solche Hochzeit nie vorgesehen habe, begreife ich doch die Aufregung der Bräute, die sich auf eben diesen Tag vorbereiten. Alles soll perfekt sein, vom eigenen Aussehen, über den Sektempfang bis hin zum Menü. Und wie perfekt ist ein solcher Tag, wenn sich jeder Gast gut unterhalten fühlt. Das beginnt bei der Musikauswahl und endet in diesen langweiligen Gesellschaftsspielchen, die sich die Gäste meistens für das Paar des Abends ausdenken.

Nein, ich halte mich nicht dafür geschaffen, ein solches Fest für jemanden auszurichten, geschweige denn für mich selbst. Aber dennoch bestaune ich das Geschick der Frauen, denen es dann letztendlich gelingt, sich DEN großen Tag als das Besondere zu gestalten, das dieser Tag eben sein soll.

Der Bräutigam steht bereits wartend vor dem Altar und zupft sich sichtlich nervös am Jackett, bis sein Trauzeuge ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legt. Die Luft vibriert förmlich, als der Hochzeitsmarsch von Felix Mendelssohn erklingt und sich alle Gäste erheben und ihre Köpfe drehen, um einen Blick auf die einziehende Braut zu erhaschen.

Aus Thomas’ Erzählungen weiß ich, dass Pia erst vor zwei Jahren nach Hamburg gezogen ist, um in der Werbeagentur seines Freundes zu arbeiten.

Ihr Kleid ist ein cremefarbener, raschelnder Traum im Empirestil mit einer langen Schleppe. Kein Schleier verdeckt ihre vor Glück strahlenden Augen und ihre Haare sind kunstvoll hochgesteckt. Unzählige kleine Perlen funkeln in den braunen Haaren. An der Hand ihres Vaters, zumindest gehe ich davon aus, dass es ihr Vater ist, schreitet sie den Gang entlang in Richtung ihres Bräutigams.

Die Rührung steht Alexander Hofer ins Gesicht geschrieben, als er die Frau erblickt, die in andächtigen, langsamen Schritten dem Altar näher und näher kommt. Ich meine sogar sehen zu können, dass er sich eine Träne aus den Augenwinkeln wischen muss.

Auch Thomas scheint der Anblick zu rühren. Er verschlingt seine Finger in meinen und küsst zart meine Fingerknöchel.

Ich drücke seine Hand und lächele ihn an. Mein Herz wird leicht und die Erfüllung meines Wunsches, dass es endlich ernst werde zwischen uns beiden, scheint immer näher zu rücken.

Die Zeremonie ist kurzweilig und unter lautem Getöse verlässt das frisch getraute Paar anschließend die Kirche, nur um von reiswerfenden Gratulanten empfangen zu werden.

Wie es sich gehört, wird das Paar vor dem Gotteshaus geherzt, beglückwünscht, umarmt. Als Thomas an der Reihe ist, haucht er der Braut links und rechts einen Kuss auf die Wange und nimmt seinen Freund in die Arme. „Mensch, dass du dich noch mal traust, mein Freund.“

Alexander lacht ein tiefes, sympathisches Lachen und sieht verliebt zu seiner Frau, die bereits dem nächsten Gast die Hände schüttelt.

Ich stehe ein wenig abseits der Szene, was Alexander bemerkt und mir seine Hand hinhält. „Hallo, ich bin Alexander und Sie sind sicherlich Thomas’ Begleitung heute.“

„Ja, das stimmt. Anna. Das war ein schöner Gottesdienst. Vielen Dank für die Einladung.“ Ich lächele ihm entgegen. Ich kann gar nicht anders. Er wirkt so gelöst und glücklich und ich schließe diesen attraktiven Mann direkt ins Herz.

„Verdrehst du schon wieder fremden Frauen den Kopf, Chef?“, ich bemerke den neckenden Unterton in Pias Stimme und muss laut lachen, als er lediglich kleinlaut antwortet: „Das muss ich, meine Liebe, damit du niemals vergisst, was du an mir hast.“

Pia schnaubt abwertend, hält mir nun auch zwinkernd ihre Hand entgegen und reißt mich unvermittelt in ihre Arme, als ich sie ergreife.

Ein wenig erstaunt erwidere ich die Umarmung, bevor ich mich bei Thomas unterhake, der mich aus der Menge der Gratulanten schiebt.

„Was für ein schönes Paar die beiden.“ Verträumt lehne ich mich gegen seine Schulter.

„Ja, das sind sie wohl.“ Schulterzuckend führt er mich zu seinem Auto. „Komm, wir fahren schon mal zum Restaurant, das dauert hier bestimmt noch eine Weile.“ Schweigend steige ich ein und schnalle mich an. Der Zauber, der noch in der Kirche zwischen uns geherrscht hat, hat sich anscheinend verflüchtigt.

Nach dem Champagner-Empfang im Restaurant eines wunderschönen Gutes etwas außerhalb von Hamburg verschwindet das Paar für die Hochzeitsfotos und die Gäste bleiben für einige Zeit sich selbst überlassen. Wie ich feststellen muss, hat man außer am Brauttisch selbst auf eine feste Sitzordnung verzichtet, sodass wir uns einfach an einem der unzähligen Tische niederlassen. „Möchtest du noch etwas trinken?“ Thomas erhebt sich und sieht mich fragend an.

„Ja, danke. Ich glaube, ich hätte gern noch ein Gläschen Champagner.“ Er entschwindet in Richtung Bar und ich nutze seine Abwesenheit dazu, mich unter den Gästen umzusehen. Es ist eine illustre Gesellschaft. Die Frauen tragen Kleider in allen Größen, Längen und Farben und die Herren tragen ihre schicksten Anzüge.

Etwas gedankenverloren zwirbele ich einer meiner Locken um den Finger, als mir plötzlich unangemessen heiß wird. Mein Blick bleibt an der Bar haften. Ein großer dunkelhaariger Mann in einem hellen, gut sitzenden Anzug spielt mit einem Bierdeckel in seinen Händen und wartet ganz offensichtlich auf sein bestelltes Getränk. Ich erkenne ihn nur im Profil, dennoch ist mein Mund auf einmal staubtrocken und das Atmen will mir nicht so recht gelingen.

Jegliche Farbe muss aus meinem Gesicht gewichen sein, denn als Thomas das georderte Glas Champagner vor mir abstellt, bemerke ich den besorgten Ausdruck in seinen Augen.

„Geht es dir gut, Anna?“

Erschrocken blinzele ich mit den Augen. „Ja, sicher, es ist alles in Ordnung.“ Meine Stimme klingt sogar in meinen Ohren hohl. Ich hüstele einmal kurz, um genügend Zeit zu gewinnen, mich wieder zu sortieren. „Ich bekomme nur langsam Hunger, befürchte ich.“ Ich schenke ihm ein Lächeln und merke, wie mein Blick erneut zur Bar abschweift, aber der Mann ist verschwunden. Mein Herz klopft mir bis zum Hals.

„Pia und Alexander sind soeben wieder eingetroffen, das Büfett wird bestimmt gleich eröffnet.“

„Das ist gut“, nicke ich und lasse meinen Blick erneut durch die Menge schweifen. Aber der graue Anzug bleibt für meine Augen unsichtbar.

Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet. Wahrscheinlich einfach ein Gast, der eine Menge Ähnlichkeit mit ihm hat. Immerhin ist das letzte und einzige Zusammentreffen bereits sieben Jahre her. Ich schüttele über mich selbst den Kopf und starre auf mein Getränk.

Nach einem großzügigen Schluck Champagner bemerke ich, wie sich meine Nerven langsam wieder beruhigen.

Als das Essen beginnt, ist die Stimmung gelöst. Thomas sucht meine Nähe am Tisch und ich fühle mich wieder entspannt und zufrieden. Während des vorzüglichen Essens werden Reden geschwungen und es wird viel gelacht. Alles scheint so perfekt, dass ich, sollte ich jemals in diesem großen Stil heiraten, eben doch genauso feiern möchte.

Das Paar ist glücklich und nichts an ihnen wirkt ansatzweise aufgesetzt oder gestelzt.

Nachdem auch der letzte Teller von den Tischen verschwunden ist, eröffnen Pia und Alexander den Tanz und wieder bin ich hin und weg von der Innigkeit, die zwischen den Eheleuten zu herrschen scheint. Alexander führt seine Frau so geschmeidig über die Tanzfläche, als würden sie seit Jahren nichts anderes tun, als sich zu Walzerklängen zu bewegen. Sie scheinen alles um sich herum vergessen zu haben, während sie sich tanzend tief in die Augen sehen.

Ich beobachte meinen Begleiter aus den Augenwinkeln und habe sofort das Bild eines Walzer tanzenden Thomas vor Augen.

Ob er mich auch so ansehen würde wie Alexander seine Pia?

Aber welcher Bräutigam würde das nicht?

Das Paar wechselt unter Beifall der Zuschauer die Tanzpartner und somit ist die Fläche für alle Gäste freigegeben.

Meine Begleitung hält sich im Hintergrund, was ich mehr als schade finde. Wahrscheinlich bin ich selbst ein wenig eingerostet. Die Tanzschule ist doch schon einige Zeit her und mit Elenas Geburt habe ich einfach weder die Zeit noch eine Gelegenheit gefunden, dennoch wage ich einen Versuch. „Sollen wir auch?“, ich stelle mich direkt vor ihn. Er sieht zweifelnd auf mich herab.

„Nein, lieber nicht. Das würden mir deine Füße niemals verzeihen.“ Er zieht seine Stirn kraus und nippt noch mal an seinem Drink. Etwas enttäuscht drehe ich mich wieder der Tanzfläche zu, als ein älterer Herr vor mir stehen bleibt.

„Sie möchten tanzen? Es wäre mir eine Ehre ...“ Er hält mir den Arm hin und ohne großartig darüber nachzudenken, hake ich mich unter und folge ihm zwischen die tanzenden Paare.

Er stellt sich mir als Georg vor, ein Onkel des Bräutigams.

Nach den ersten Schritten ist es mir, als hätte ich niemals mit dem Tanzen aufgehört. Aber was will man an einem Walzer schon falsch machen? Ich wirbele über die Tanzfläche und lasse mich von der Musik und von Georg führen.

Es ist herrlich. Aus den Augenwinkeln beobachte ich das offenbar überraschte Gesicht von meinem Tanzmuffel. Er hebt anerkennend sein Glas in meine Richtung, als er meinem Blick begegnet.

Dann verstummt der Walzer und die Paare beklatschen sich gegenseitig.

„Ich danke Ihnen, es war mir ein Vergnügen, Anna.“ Georg verbeugt sich höflich, was ich mit einem Kopfnicken meinerseits anerkenne „Dieses Vergnügen war ganz auf meiner Seite, Georg. Vielen Dank.“ Ich lächele ihm zu und wende mich von der Tanzfläche, als das nächste Stück angespielt wird.

Plötzlich spüre ich die Hände an meinen Hüften. „Darf ich um den Tanz bitten, Anna?“ Ich brauche mich gar nicht erst umzudrehen, um zu wissen, wer mich aufgefordert hat. Diese Stimme könnte ich niemals vergessen. Ich schließe die Augen, ganz so, als würde er verschwinden, wenn ich ihn nicht sehe, nicht sehen will.

So viel zum Thema alles pure Einbildung.

Mein Herz klopft heftig gegen meine Rippen und meine Kehle ist wie zugeschnürt.

Er dreht mich in seine Arme, passend im Takt der Musik. Unvermittelt atme ich tief ein und sein Duft umfängt mich sofort. Mir wird schwindelig. Mein Herz setzt einige Schläge aus, als ich den Blick hebe, nur um dem seinen zu begegnen.

Elenas Augen.

„David!“, flüstere ich heiser seinen Namen. Er grinst mich schief an, während er mich regelrecht über die Tanzfläche schweben lässt.

„Anna. Wer hätte gedacht, dass wir uns wiedersehen werden. Noch dazu in diesem Ambiente.“ Er hebt kurz den Kopf und lässt seine Augen flüchtig über die Menge gleiten, bevor er mich erneut fixiert. Ich spüre seine Hand auf meinem Rücken. Seinen Daumen, der sich durch den Stoff meines Kleides zu brennen droht. Meine Hand in seiner, eine vertraute Geste und doch so schrecklich fremd.

„Du siehst verdammt gut aus in diesem Kleid.“ Er raunt mir diese Worte mit seiner Samtstimme gegen mein Ohrläppchen und ich kann mich nicht gegen den wohligen Schauer wehren, der mich durchfährt. Das Flattern in der Magengegend, das es mir unmöglich macht, auch nur ein einziges Wort zu ihm zu sagen, vor Angst ins Stottern zu geraten. Als hätte sich mein Gehirn für einen Augenblick eine Auszeit genommen.

„Es hat dir doch wohl nicht die Sprache verschlagen, oder?“ Sein Lächeln bringt mich zum Schmelzen. Noch immer.

„Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass ich nicht überrascht sei.“ Unsicher lächele auch ich ihn an und bemühe mich darum, die Fassung zu bewahren.

Nur gut, dass er mich fest führt. Ansonsten würde ich hier mitten auf der Tanzfläche in mir zusammensacken.

Obwohl es sicher ein lohnenswertes Unterfangen wäre, würde er mich dann von der Tanzfläche tragen müssen.

Sofort spüre ich die Röte, die mir bei meinem Gedankengang in die Wangen steigt. Schnell wende den Blick ab, bevor er bemerkt, was es mit mir anstellt, hier mit ihm zu tanzen. Ich versuche mich lieber, auf die Schrittfolge zu konzentrieren. Wie peinlich wäre es, wenn ich ihm ausgerechnet jetzt wie ein Kamel auf seine Füße stapfe.

Er macht eine verdammt gute Figur in diesem grauen Anzug, der so herrlich zu meinem eigenen Kleid passt. Die dunkelbraunen Haare trägt er etwas kürzer als damals. Seine tiefblauen Augen, die mich zwischen diesen irrwitzig langen Wimpern anfunkeln. Seine Grübchen, wenn er lächelt, so wie jetzt gerade eben. Der Geruch, der ihn umgibt.

Was bitte wird das hier?

Ich habe das Gefühl, irgendetwas sagen zu müssen. „Bist du mit dem Brautpaar verwandt oder verschwägert, oder wie komme ich zu der Ehre, mit dir zu tanzen?“ Dieses verräterische Kribbeln in meinem Körper versuche ich geflissentlich zu ignorieren.

Sein Blick wandert unablässig über mein Gesicht. „Ich bin ein Cousin der Braut. Und wie erklärst du dein Hiersein?“

„Ich bin mit einem Freund des Bräutigams gekommen.“ Für den Bruchteil einer Sekunde verdunkeln sich seine Augen.

„Bist du verheiratet?“ Diese Frage trifft mich unvermittelt. Ich sehe ihn direkt an, während ich den Kopf schüttele.

„Nein, warum?“

„Reines Interesse.“ Er lässt mich nicht aus den Augen, was mich zunehmend nervöser werden lässt. Mit Erschrecken muss ich feststellen, dass er noch die gleiche Faszination auf mich ausübt wie schon damals in Griechenland. Und wohin das geführt hat, das weiß ich nur zu gut. Vielleicht wird es Zeit für mich, das Weite zu suchen. Na ja, gleich, sobald die Musik aufhört zu spielen.

Ich fasse mir ein Herz und gebe die Frage an ihn zurück. „Und du? Bist du verheiratet?“ Ich beiße mir auf die Unterlippe und wieder kommt Bewegung in seinen Blick.

„Nein, und du solltest lieber aufhören, dir auf der Lippe herumzubeißen. Sonst kann ich für nichts garantieren.

---ENDE DER LESEPROBE---