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Da kümmert sich der Wormser "Sozialadel" der regelmäßig auf dem Parkplafz vorm Dehner tagt, bei ein paar Bierchen um all das, was in Worms so abgeht und hat für alles ein "gutes Wort". Dabei geschehen so nebenbei in der Domstadt zwei Verbrechen, die Norbert, genannt Nobbe, den Hauptkommissar der Stadt, ganz schön "auf Trapp" halten. Quasi währenddessen meistert Wolfgang mit seiner Familie und seinen Arbeitskollegen auf seine schnorrisch, ironische Art so manche aus dem Leben gegriffene Situation und wird dabei zufällig Zeuge der polizeilichen Ermittlungsarbeit.
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Seitenzahl: 242
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das Buch widme ich meiner Mama und meinem Papa, meiner Frau und meinen beiden Kindern
Wolfgang B. Haeggersen
Zuviel heisse Liebe tut nicht gut
Ein Mordskrimi aus Worms
© 2023 Wolfgang B. Haeggersen
Umschlag:
Wolfgang B. Haeggersen
Lektoriat: Erika S. und Tina B.
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
Tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
ISBN
Paperback
978-3-347-93790-1
Hardcover
978-3-347-93791-8
E-Book
978-3-347-93792-5
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:
Wolfgang Brodhäcker, Bachstrasse 7a, 67596 Frettenheim, Germany.
Cover
Widmung
Titelblatt
Urheberrechte
Prolog
Sozialadel
Wie gelähmt
Blaulicht im Väddel
Feierabend
Worms am Rhein
Nobbe
Sozialadel II
Schorsch
Mercedes Coupe …tut auch mal weh!
Mordsbetrieb
Haken dran
Hoch die Hände Wochenende
Sozialadel III
Ungebetene Gäste
Wellness
Die Geschichte vom Heribert
Attest
Sozialadel IV
Weg … einfach weg!
Klo-Explosion
Finanzspritze
Arbeit ohne Ende
Anders als gedacht …
Sozialadel V
Falsch verbunden
Home sweet home
Der Flug des Adlers
Pandemiebedingte Online-Konferenz
Ruth und Paul
Gedankenblitz
Pfälzer Wald
M… M… Missverständnis
Sozialadel VI
Eiverbibsch
Linie 435
Nächtliche Erkundung
Kommt ein Auto um die Ecke …
Ermittlungen
Nächtlicher Einsatz
Bulldog
Kommt noch ein Auto um die Ecke …
Dorie klärt auf
Betthupferl
Norbert und Gundula
Sozialadel VII
Sozialadel VIII
Epilog
Danksagung
Cover
Widmung
Titelblatt
Urheberrechte
Prolog
Danksagung
Cover
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Prolog
„Was meinste Mick, echt genial, oder!? Das Fleisch ist genau nach meinem Geschmack!“ „Mhmm, joa … für mich persönlich dürfte es sogar noch ein wenig mehr abgehangen sein … du weißt ja …“ „Ja, Mick, ich weiß … für dich nur das beste „Dry Aged Fleisch" immer mit ordentlich Patina!“ „Ja, so find ich's lecker, darf auch gerne schon faulig schmecken…“, Mick schaute seinen Kumpel an und wenn er so etwas wie ein Augenlid besessen hätte, hätte er ihm wahrscheinlich sogar zugezwinkert.
„Wie kamen wir denn eigentlich zu dem Leckerbissen hier, sonst steht doch eigentlich eher nur „Wild“ auf der Tageskarte?“ „Keine Ahnung, Mick, ich glaube, das ist ganz frisch angeliefert worden, ich glaube sogar heute Nacht!“ „Was … wie heute Nacht?“ Mick rieb nachdenklich beide Arme aneinander und fuhr sich danach zwei Mal flink übers Gesicht. „Haste das beobachtet?“ „Nee, Mick, hab nachts ja Besseres zu tun, als die Nachbarschaft zu beobachten. Ich hab hier um die Ecke genächtigt und bin durch ein Motorengeräusch wach geworden.“
„Mhmm, sehr ungewöhnlich hier in der Gegend … Motorengeräusch mitten in der Nacht! Da hatte ich es deutlich ruhiger. Ich hab drüben auf dem Pferdehof geschlafen. War wie immer saubequem und nach einem lustigen Ausritt über die Koppel war, die Verpflegung mal wieder lecker und reichlich. Ich finde wirklich, dass es nirgends so leckere frische Pferdescheiße wie bei „Pferdesportbetriebe Leinemer" gibt."
„Mick, du bist und bleibst einfach ein alter Genießer …. sozusagen der Gourmet-Mick!“
„Ach Quatsch … ich verbinde das wohltuende Element halt gerne mit dem Nützlichen. Und so ein frisch hinterlassener Pferdedung schmeckt nicht nur phantastisch, sondern ist gleichzeitig die beste Brutstätte für die Nachkommen.“ „Oh Mick, Nachkommen, ist es bei dir schon wieder so weit?“ „Na hör mal, sicher … gestern hab‘ ich wieder eine klar gemacht! Die hat ganz aufgeregt vor mir hin und her gedanct … da hab’ ich sie direkt … na sagen wir … mit meinem Erbgut versorgt!“ „Direkt auf dem Pferdehaufen? Du bist echt ein Draufgänger, Mick!“
„Na hör mal, wenn sich die Gelegenheit bietet, darf man nicht lange fackeln … schließlich hat die Lady sich gefreut, dass sie anschließend die befruchteten Eierpäckchen direkt auf der warmen Pferdekacke ablegen konnte!“ Wow … hast du sie denn gekannt?“ Quatsch, nein, natürlich nicht, die war ganz neu hier… daher bot sie die besten Voraussetzungen für die breite Streuung meines Genmaterials … zackzack!“
Mick hob stolz seinen blaugrün schimmernden Hinterleib in die Höhe und fuhr sich mit den Beinen links und rechts über seine beiden Flügel.
„Ach nee, Mick, ich bin nicht so ein Draufgänger, ich mag’s lieber gemütlich …“ und mit diesen Worten würgte Micks Kumpel erneut Verdauungssaft hoch und kotze ihn genüsslich über das weiße Stück Fleisch, auf dem sie gerade saßen.
Vielleicht war es Intuition, vielleicht auch mehr ein Reflex, der Mick dazu veranlasste, sich gerade noch rechtzeitig abzudrücken und in einer ellipsenförmigen Linie in die Luft zu schnellen und so dem heranfliegenden Vogelangriff zu entgehen. Der schwarze Vogel erwischte Micks Kumpel aus einem für ihn wirklich sehr ungünstigen Winkel. Schmeißfliegen wie sie waren zwar mit Hochleistungsfacettenaugen ausgestattet, die ihnen fast einen 360 Grad Rundumblick ermöglichten … aber eben nur fast.
„Schnapp" machte es, und das Leben der gerade noch genüsslich Nahrungsbrei aufsaugenden Fliege war fortan Geschichte.
„Das war's dann wohl, du armer „Ich-mag‘s-lieber-gemütlich-Trottel!" dachte sich Mick mit Blick auf das, unter ihm liegende Gelände. Er drehte im Flug ab, Richtung Pferdehof, und warf einen letzten Blick auf das kleine Waldstück und das dort auf dem Waldboden unter einem Blätterhaufen herausschauende nackte weißhäutige Bein, auf dem sie eben noch so gemütlich gesessen und gefrühstückt hatten.
Sozialadel
Prooscht!“ Die Bierflaschen klirrten vielfach aneinander, und die Gemeinschaft postete sich als Zeichen der Zusammengehörigkeit mehr oder weniger lautstark gegenseitig zu.
Danach kennzeichnete ein Augenblick der relativen Stille den Moment, in dem die Versammlung der Männer und der Frau die nächste Runde Bier in sich hineinlaufen ließ.
„Boah, super … des Eichbaum schmeckt einfach am besten!“ grinste Harry in die Runde und erntete breite Zustimmung. „Jawohl, Harry, es geht doch nix üwwer e Ur-Eich!“ antwortete ihm Herbert „Wie sahn'se immer?“ Herbert hob die rechte Hand und streckte als Kommandozeichen den Zeigefinger aus…und alle wussten, was Herbert hören wollte…daher riefen sie zusammen im Chor:
„Eins steht fest …. ein Eichbaum!“
Johlend und sich selbst feiernd setzten sie erneut die Flaschen an, und auf einen Spruch wie ein Schlachtruf von irgendjemanden aus der Runde „Hau weg, die Scheiße!“, zogen alle miteinander ihre Flaschen ohne abzusetzen leer.
„Rrrööööaaaahhh …und vor allem Rülpsen kann man darauf anständig!“, meinte Sven, der erst seit Kurzem ihrer Gruppe angehörte. „Muss ich für's Rülpsen eigentlich auch ne Mundschutzmaske aufziehen, oder überlebt der Virus den Bierdunst nicht?“ Die Meisten aus der Gruppe lachten laut. Harry nicht, er mochte diesen Sven nicht unbedingt, zumindest war er mit ihm bisher noch nicht wirklich warm geworden. Seit zwei bis drei Wochen kam dieser Mensch regelmäßig an ihren Treffpunkt auf dem Parkplatz des Dehner Gartencenters, direkt neben der Jet-Tankstelle.
Vor diesen zwei bis drei Wochen war dieser vorlaute Kerl zusammen mit seiner Freundin zu ihnen ins Viertel gezogen.
„Ins Väddel … wie man hier bei ihnen zu sagen pflegt!“, dachte Harry mit einem Grinsen für sich.
Viele in der Stadt sprachen auch abfällig von „den Trumpen", wenn sie vom Wormser Nordend sprachen und rümpfen dabei die Nasen. Dabei wusste Harry nicht, was es bei ihm in der Erlenstrasse geben sollte, worüber man sich hochnäsig echauffieren können sollte. Er selbst fühlte sich hier wohl, hatte viele Freundschaften in der Nachbarschaft geschlossen und war seit einigen Monaten sogar mit Mandy, einem Mädel aus der „kleinen Weide“ liiert, welches er seit Kindheitstagen kannte. Bei ihnen im Väddel zählte Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft und er empfand sein Zuhause keinesfalls als Ghetto, wie es manchmal gerne dargestellt wurde.
Harry selbst war 38 Jahre alt, gelernter Elektriker, und hatte momentan zu seinem Bedauern mehr Freizeit, als ihm lieb war. Weil, wie so viele Betriebe, litt sein Arbeitgeber Corona bedingt derzeit auch unter der stark eingebrochenen Auftragslage und hatte für große Teile der Belegschaft … so auch für ihn … Kurzarbeit anmelden müssen. Susanne, seine Chefin, legte seitens der Firma zwar noch etwas auf das ihm von gesetzlicher Seite zustehende Kurzarbeitergeld drauf, trotzdem mussten sie derzeit doch arg auf’s Geld achten … eigentlich zu arg!
Harry hatte schon versucht, seinen Bruder Paul zu kontaktieren, um bei ihm um etwas finanzielle Unterstützung zu bitten. Paul hatte als Maschinenbau-Ingenieur einen gut bezahlten Job in der BASF und hatte ihm in der Vergangenheit hin und wieder schon mal ausgeholfen. Aber er hatte ihn nicht ans Handy bekommen, und die Festnetz-Nummer wollte er nicht wählen, weil er nicht Gefahr laufen wollte, seine Schwägerin an die Strippe zu bekommen. Es wäre ihm einfach zu peinlich, wenn er Ruth gegenüber formulieren müsste, dass er mal wieder „blank" war.
„So, auf ihr Luschen … wir sind ja nicht zum Spaß hier … eine Runde Herrengedeck zum richtig warm werden … bitteschön!“ Judith war die einzige Frau in der von ihnen selbst so genannten „Stammtischrunde“, aber sie stand den männlichen Teilnehmern in puncto Trinkfestigkeit in nichts nach. Aus einer Plastiktüte holte sie eine Bierdose nach der anderen heraus, stellte diese wie Zinnsoldaten auf den Rand des Waschbeton-Blumenkübels, um den sie sich alle scharten und begann, auf jede einzelne Dose ein Fläschchen „Zinn 40“ zu drapieren.
„Aber hallo, Judith, dich kann man echt gebrauchen … das ist ja reichlich Stoff für alle!“ wurde sie von Heinz gelobt. „ Na, dann mal Prost … hau weg, die Scheiße!“ Ohne großartiges „Tamtam" hatte Heinz zusammen mit dem Schnaps eine Dose Bier gegriffen, diese aufgerissen, angesetzt und etwa zur Hälfte weggezogen. Auf ein aus seiner Sicht unnötiges, rituelles, gemeinsames Anstoßen hatte er großzügig verzichtet. Jetzt öffnete er geschickt mit einer Hand die kleine Zinn40-Flasche und ließ deren Inhalt in die noch halbvolle Bierdose laufen.
„So, die Herrschaften … ich wäre soweit … dann mal Prost …!“ auffordernd hielt Heinz die Büchse in die Höhe und forderte somit alle anderen auf, es ihm gleich zu tun …
Er war der einzige in ihrer Runde, der nicht unmittelbar in der Gegend der Nordendsiedlung wohnte. Harry hatte ihn vor ein paar Wochen einmal nach seiner Adresse gefragt und war über dessen Antwort doch einigermaßen überrascht gewesen. Heinz kam nämlich gar nicht, wie von Harry eigentlich vermutet aus dem benachbarten Neuhausen, sondern hatte doch tatsächlich sogar ein eigenes Haus oben in Herrnsheim, in der Nähe des Krankenhauses.
Heinz hatte ihm damals wohl an seinem verdutzten Blick angesehen, wie blitzartig ein riesengroßes Fragezeichen hinter seiner Stirn entstanden war und hatte ihm ganz gelassen geantwortet: „Bei passender Gelegenheit erzähle ich dir mal ein bisserl mehr von dem, was ihr alles nicht von mir wisst … dann wird dir klarer, was hinter dem ungepflegten Zottelbock mit den verlumpten Klamotten so steckt!“
Bisher war die Gelegenheit wohl nicht mehr passend gewesen, denn seither hatten sie weder über Heinz selbst noch über dessen Herkunft gesprochen. Und jetzt stand er da und prostete ihnen allen mit seinem Bier-Schnaps-Gemisch zu.
Harry war jetzt wirklich kein Schnapstrinker und eigentlich waren ihm die beiden Eichbaum-Biere für nachmittags um 16:00 Uhr gerade genug. Er überlegte daher gerade fieberhaft nach einer gescheiten Ausrede, sich aus der Runde ausklinken zu können, ohne dabei als Weichei dazustehen, als mehrfaches Autosirenengeheule zu vernehmen war.
„Was ist dann do widder los, machen die Bulle en Betriebsausflug, oder warum iss do grad so e Jacht?“ Herbert reckte den Kopf wie ein Erdmännchen in die Höhe und machte den Hals lang. „Nee, Herbert, das sind gar keine Polizeisirenen ………… das sind Krankenwagen!“, korrigierte ihn Judith. „Die habe ich auch noch nie auseinanderhalten können.“, warf Sven ein. „Ja, abber egal was, die kummen immer mehr uff uns zu! Heinz, hoschte widder was ausgefresse….?“ „Das sind Krankenwagen, Herbert, und keine Polizei … merk' dir's doch mal!“ Judith schlug sich die Hand vor die Stirn. „Aach, ajo … jetzt seh' ich's aach … zwee Krankewesche … awwer guckt e mol, wo die hiemache' … die fahr'n jo zu uns ins Väddel noi! Was määnt'ern … ob do irgendwo bei uns in de Gegend oigebroche worr'n iss?“
Heinz schlug Herbert kumpelhaft auf den Rücken, schüttelte den Kopf und meinte in freundlichem Ton: „Herbert, ganz ehrlich … du bist echt so dumm, wie ein Stück Brot!“
Wie gelähmt
Unfähig sich zu bewegen, lag Wolfgang weit zurückgelehnt in seinem Bürostuhl und spürte, wie sich kleine Schweißperlchen auf seiner Stirn bildeten. Ungefähr so musste es sich anfühlen, wenn eine Querschnittslähmung einen Körper in fester Umklammerung hielt und den betroffenen Menschen an den Rollstuhl fesselte. Zumindest so ähnlich. Er stöhnte leise und griff nach einem zufällig in Reichweite liegendem Prospekt, um sich etwas Luft zu fächern. Und als wenn die Bewegungsunfähigkeit alleine nicht schon genug gewesen wäre, quälte Wolfgang in diesem Moment zusätzlich noch eine gewisse Kurzatmigkeit.
„Alles klar, Chef … siehst gar nicht so fit aus!“, meinte Marc, sein junger Mitarbeiter und mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht fragte er weiter, „Soll ich dir vielleicht mal einen kalten Lappen bringen?“
Wolfgang schaute ihn leidend an und schüttelte kaum merklich den Kopf: „ Nee, Marc, lass‘ gut sein, das geht schon gleich wieder weg. Ich brauche einfach nur ne kleine Pause …“
„Verstehe, Chef, ne Pause von der Pause … ich mach‘ dann einfach mal deine Bürotür zu, dann kannst du dich etwas erholen. Wie machen wir es mit Telefonanrufen … du bist wie immer gerade außer Haus?“
Wolfgang hob zur Bestätigung den Daumen der rechten Hand und nickte Marc zu, bevor der sich umdrehte und die Tür seines Büros ins Schloss zog.
Kurz musste er an ihren „alten Bekannten", den Kroaten Marian denken, der im vergangenen Jahr unter Zuführung einer ordentlichen Dosis Kugelfischgift aufgrund immer stärker werdender Lähmungserscheinungen bis hin zum Lungenversagen sein Leben am Strand von Viareggio gelassen hatte.
„Ach, du Trottel!“ schimpfte sich Wolfgang daraufhin gedanklich dann aber selbst, „Du weißt, dass du keine aufkommenden Lähmungserscheinungen hast! Du befindest dich eben einfach nur im „Fresskoma"! Und warum? Weil du mit Holger nach so langer Zeit in der Mittagspause mal wieder ins Schnitzelparadies gehen musstest, jetzt wo es seit Anfang der Woche wieder möglich war. Und dann durfte es ja gleich das Bolognese Schnitzel sein, mit Pommes-Frites und Salat. Natürlich nicht vom günstigeren Mittagstisch-Angebot, sondern das richtig große Teil, mit etwa einem halben Pfund Hackfleischsoße drauf.“
Und selbstverständlich hatten sie beide nicht abgelehnt, als die Hausherrin ihnen zur Feier dieser ersten Woche nach dem Corona-Lockdown ein Stück Erdbeerkuchen mit einer Tasse Kaffee zu einem Freundschaftspreis angeboten hatte.
Naja und so saß er jetzt da, vollkommen überfressen, kaum in der Lage sich zu rühren, und spürte, wie sein Blut sich mehr und mehr Richtung Körpermitte orientierte, um den Verdauungsvorgang in Schwung zu bringen. Infolgedessen fuhren die restlichen Körperfunktionen eher auf Notbetrieb herunter und er hatte größte Mühe, sich gedanklich auf die neunseitige Arbeitsanweisung zu konzentrieren, die noch seit vor der Pause auf seinen Bildschirm stand und scheinbar alle Neuerungen im Kundengespräch und dessen Dokumentation zusammenfasste.
„Jetzt reiß dich zusammen!“ murmelte Wolfgang zu sich selbst und begann die Anweisung nochmals von vorne zu lesen, um möglichst doch einmal alle Zusammenhänge zu verstehen. Nach dem ersten beiden einleitenden Textabschnitten – er konnte sich erinnern, diese bereits am Vormittag schon einmal überflogen zu haben – verwies das Dokument auf ein auf einem gesonderten Laufwerk hinterlegten Erklär-Video.
Schon direkt nachdem Wolfgang die Verlinkung tatsächlich angeklickt hatte, um das Video zu starten, bereute er seinen Eifer. Wie so oft war die vorhandene Datenleitung zu schwach, um das hinterlegte Filmchen aufzurufen, und sein Bildschirm zeigte wieder einmal nur den sich im Kreis drehenden Pfeil, der den gestarteten Ladevorgang anzeigte.
„Ach Scheiße!“ dachte er sich, der „Crazy Kringel“ verhieß selten etwas Gutes. Er bedeutete immer Wartezeit … manchmal vielleicht nur wenige Sekunden, manchmal eine willkommene Unterbrechung für eine Tasse Kaffee oder einen Gang zur Toilette, manchmal aber auch eine elendige unkalkulierbare Warterei, die gerade im Zustand aufsteigender Müdigkeit verhängnisvoll sein konnte.
Wolfgang beobachte den Crazy Kringel … eine Minute, zwei Minuten, drei Minu….
Das Klappern seines Mülleimers und das Rascheln der großen Plastiktüte riss ihn aus seinen Gedanken und er schaute direkt in das bärtige Gesicht des türkischen Putzmannes, der gerade seiner Arbeit nachging.
„Cheffe, warst du müde … war Arbeit arg schwer?“ fragte dieser ihn mit einem breiten Grinsen. „Kann ich jetzt? Der Mann deutete auf den bereitstehenden Staubsauger und blickte ihn erwartungsvoll an.
Wolfgang fuhr sich mit der Hand über Augen und Stirn, hustete kurz und blickte verstohlen auf seine Armbanduhr. „Ooh!“ entfuhr es ihm leicht erschrocken, „schon zwanzig vor fünf!“ Und mit Blick Richtung Putzmann meinte er: „Glaube, da bin ich wohl ne Viertelstunde eingenickt!“
„Ja Cheffe … Viertelstunde! antwortete der Mann gehorsam, nickte und drückte auf den Startknopf des Staubsaugers.
Das Geräusch eines startenden Kampfjets erfüllte Wolfgangs Büro. Er warf daher nur noch einen kurzen Blick auf seinen Bildschirm. Das Erklär-Video war irgendwann abgespielt worden, ohne dass er es mitbekommen hatte. „Kacke!“ dachte er so für sich, während er sich ordnungsgemäß aus dem Arbeitszeitprogramm abmeldete und den Computer herunterfuhr.
Und während er anschließend die Zweigstelle verließ und mit seiner Tasche über der Schulter hängend Richtung Parkplatz trottete, überlegte er, ob er sich nicht mal wieder über die Putzfirma beschweren sollte. Richtig gründlich sauber machen taten die Putzkräfte schon lange nicht mehr, dafür reichten einfach die 30 Minuten nicht, die für die Reinigung einer Zweigstelle wie dieser hier veranschlagt wurden, aber wenigstens etwas leiser arbeiten würde man doch wohl erwarten können. Aus dem Büroschlaf hatte ihn zumindest bisher noch keine Reinigungskraft gerissen.
Blaulicht im Väddel
Das Wormser Nordend war auf den Beinen! Und zu den echten Anwohnern mischten sich einige Sensationstouristen, die mit ihren Smartphone-Kameras ordentlich „drauf hielten", um brutale Bilder und Filmchen für die Social-Media-World zur Verfügung zu stellen.
Polizeihauptkommissar „Nobbe" verachtete diese Menschen, machten sie seine polizeiliche Ermittlungsarbeit doch wahnsinnig schwer und nervten ihn durch ihre Pseudohilfsbereitschaft und ihre Ignoranz.
„So Leute“, herrschte er die Menschen um ihn herum mit seinem lauten Organ an, „jetzt gehen Sie alle mal schön weiter … hier gibt's nämlich nix mehr zu seh'n! Gar nix mehr, versteh‘n wir uns? Oder müsse mer zuerst die Hunde aus'm Einsatzwagen holen?“
Und als die Gaffer nicht sofort reagierten, rief er zwei herumstehenden Polizisten zu: „Meine Herr'n … holen sie bitte mal die beiden Schäferhunde aus dem Bus, wir brauchen hier Platz!“
Die beiden Männer schauten ihn zuerst ratlos an und wollten ihn gerade fragen, welche Schäferhunde er denn eigentlich meinte, als er ihnen zu donnerte: „Na los … auf …. und bringen Sie gleich Verbandszeug und Desinfektionsmittel für die Bisswunden der Möchtegernreporter hier mit … und reichlich Absperrband, sowie den Vorhang!“ Und zu den Gaffern um ihn herum meinte er scharf: „So … wir wollen doch wohl den Onkel Norbert jetzt net unnötig SAUER MACHEN, ODER?!“
Fünf Minuten später war die Situation vor Ort geklärt.
Norbert konnte sich jetzt endlich dem armen Tropf zuwenden, der ziemlich ungelenk im Hauseingangsbereich des Mehrparteienhauses lag. Dessen Reanimation hatten die Damen und Herren Rettungssanitäter schon abgebrochen, bevor sie wirklich damit begonnen hatten. Einfach, weil es überhaupt gar nichts mehr zum Reanimieren gab.
„Ach du lieber Gott,“ meinte Norbert, „so etwas Unappetitliches sieht man aber auch nicht alle Tage! Iss dem ne Dampfwalze auf'n Kopf gefallen?“ „Nee, Nobbe,“ flüsterte Stephanie die junge Notärztin aus dem städtischen Klinikum, die als allererste von Anwohnern zur Unfallstelle gerufen worden war, „das sieht eher so aus, als ob der Mann da oben aus dem dritten Stock vom Balkon gefallen und dann mit dem Kopf genau auf die freistehende Briefkastenanlage geklatscht ist. Das würde zumindest zum gebrochenen Genick und dem Schädelbasisbruch passen, den der Verunglückte erlitten hat … und zu den verbogenen Briefkasten!“
„Der Verunglückte … oder das Opfer … je nachdem …!“
„Mmh?“ Stephanie schaute Norbert fragend an. „Naja, vielleicht isser nur gefallen, vielleicht wurde ja aber auch nachgeholfen!“ Der Polizeihauptkommissar schaute gemäß seiner Prämisse „größtmögliche Kompetenz ausstrahlen bei vollkommener Ahnungslosigkeit" sehr bedeutungsschwanger und hob dabei auch noch den rechten Zeigefinger. Diese Pose hatte er sich mal bei Sherlock Holmes abgeschaut und hatte sich in den vergangenen dreißig Dienstjahren zu so etwas wie seinem Markenzeichen entwickelt.
Norbert ging ein paar Schritte auf den leblosen Körper zu und betrachtete in gewisser Weise fasziniert dessen komplett verdrehte Körperhaltung. Jetzt konnte er aber auch deutlich den aufgeplatzten Schädel und die daraus ausgetretene Gehirnflüssigkeit sehen, die innerhalb der entstandenen Blutlache seitens der Farbkombination fast schon als „schön" zu beschreiben war.
Norbert wandte sich zur jungen Ärztin und meinte: „Schau mal Stephanie, das hier erinnert mich irgendwie an „Heiße Liebe“ …
zumindest hat man früher so dazu gesagt … heute redet man wohl eher nur noch von Vanilleeis mit warmer Himbeersoße …!“
„Ja, stimmt, Nobbe, oder es sieht auch ein bisschen aus wie Pommes rot/weiß!“
„T'schuld'schung, Herr Wachtmeister, dürft ich dann mol dorch die Haustür? Ich wohn do owwe im zwedde Stock und misst mol dringend uff de Klo!“ Norbert schaute das Männlein erst überrasch an, ergriff dann aber sofort die Gelegenheit. „Das trifft sich ja hervorragend, dass Sie hier wohnen …“ „Warum … müssen Sie aach mol pinkle?“ Norbert konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen. „Nein, das nicht, ich wollte Sie aber fragen, ob sie den Toten hier identifizieren können … also, ob sie ihn vielleicht kennen?“
„Ajo, klar kann ich den infiziere … des iss de Pierre aus'm dritte Stock, der wohnt do owwe z'amme mit soim alte Vadder. De Vadder kann abber net mer richtisch laafe … naja … de Pierre jetzt jo aach net mehr.“ „Okay, vielen Dank … und sie sind der Herr …?“, erkundigte sich Norbert.
„Ich bin de Herbert!“
Norbert nahm Herberts weitere Personalien auf und entließ ihn in Richtung dessen Wohnung. Danach durchsuchte er Pierres Taschen nach so etwas wie einem Schlüssel für dessen Apartment und orderte danach, aufgrund seines mäßigen Erfolges, den polizeilichen Schlüsseldienst, um dessen Wohnungstür öffnen zu lassen.
Gemeinsam mit einem Polizeikollegen schaute sich Norbert in Pierres Wohnung ein wenig um, ob sich eventuell Anzeichen eines Gewaltverbrechens finden lassen würden. Sie fanden in der Wohnung einiges … schmutziges Geschirr von mindestens zwei Wochen, Leergut in Form von Flaschen- als auch Dosenpfand in Höhe etwa einer Wohnungsmiete und im Wohnzimmer einen Sessel, der über und über mit Klamotten übersäht war, so dass man vom Sessel an sich eigentlich nichts mehr erkennen konnte. Aber bis dato fanden sie keine Anzeichen dafür, dass Pierre gewaltsam über die Balkonumrandung geschubbst worden sein könnte. Und noch etwas fanden sie in der Wohnung nicht … Pierres Vater!
„Was meinste Nobbe, ist Pierres Vater vielleicht doch nicht so fußkrank, wie Bewohner Herbert aus dem zweiten Stock eben angegeben hat?“
„Mhmm …“, dachte Norbert für einen Moment nach, „vielleicht ist der alte Knabe ja auch entführt worden! Ich denke wir bestellen vorsichtshalber die Spurensicherung hierher und erkundigen uns in der Zwischenzeit nach Angehörigen, die zu verständigen wären und bei denen wir noch ein paar Nachforschungen betreiben können!“
Feierabend
Wolfgang fuhr zu Hause auf den eigenen Stellplatz und parkte dort den Opel ordentlich ein. Die Garage nutzte seine Frau Tina für den kleinen Renault. Der hatte dort ausreichend Platz und zusätzliche Dinge wie Fahrräder, Roller, Skateboard und Puppenwagen ebenso. Sie wohnten jetzt schon fast zehn Jahre in der Doppelhaushälfte und hatten den Umzug raus auf's Land bisher nicht einen Tag bereut. Klar, hatte das Leben in einer der kleinsten rheinhessischen Ortschaften auch seine Schattenseiten, und so war tatsächlich an dem als Witz gemeinten Spruch „Auf'm Land geh‘ste geschwind rüber zur Nachbarschaft, um ein Päckel Butter auszuleihen … und kommst drei Stunden später besoffen zurück … ohne Butter!“ mehr Wahres dran, als man sich das als Städter vorzustellen vermag, aber sie fühlten sich im Ort doch rundum pudelwohl.
Wolfgang lugte vorsichtig durch die Beifahrer-Fensterscheibe unter der Blätterkrone des großen Baumes durch, der ihren Teil des Vorgartens zierte und versuchte zu erspähen, ob an der Sitzgruppe ihrer Nachbarin Caro bereits wieder die halbe Straße mit gefüllten Gläsern verweilte. Schon allzu oft war es ihm passiert, dass er aus dem Büro nach Hause gekommen war, sich auf ein Radlerchen zur Freibierrunde gesellt hatte, in der die Frauen zumeist schon mit Aperol-Spritz versorgt waren, und dann zusammen mit Tina erst gegen halb zehn die eigenen vier Wände betreten hatte, weil Charlotte dringend ins Bett gebracht werden musste. Er überlegte, ob er sich tatsächlich unbemerkt links aus der Fahrertür fallen lassen und zum Gartentürchen robben sollte, falls die Small-Talk-Gang wieder einmal bestens gelaunt in Lauerstellung dasäße. Oder, ob er alternativ den Fahrersitz blitzartig in Liegeposition bringen und auf den Einbruch der Dunkelheit warten würde.
Beide Versionen erschienen ihm letztlich aber doch ziemlich unpraktikabel, wobei sie für heute auch gar nicht notwendig waren, da die Sitzgruppe völlig vereinsamt alleine rumstand.
„Puuh!“, dachte Wolfgang für sich, der eben gerade auf ein paar Stündchen Schwätzchen mit zwei, drei Bierchen so gar keinen Bock gehabt hätte. Und so marschierte er mit dem Schlüssel in der Hand über die Hofeinfahrt zur Haustür und schloss auf.
„Na Schatz, wie war dein Tag heute?“ Tina begrüßte ihren Mann Kartoffeln schälend bei ziemlich lauter „Toten Hosen" Musik. „Es ist übrigens komplett abgesagt worden!“ Wolfgang feuerte erst einmal seine Arbeitstasche in die Ecke und fragte dann nach : „Was‘n!“ Es kam keine Antwort. „Tina …was denn?“ Wieder gab es keine Redaktion.
„Hast du's gehört, Schatz?“ Wolfgang lief in die Küche „Ja, ich hab's gehört …. aber, was ist denn abges…?“
„Oaaah, ziehst du bitte gleich die Schuhe aus, ich habe heute nämlich die ganzen Böden gewischt!“
„Ääh, ja, ich wollt' doch nur wissen, was komplett abge…“
„Sonst kannst du dir gleich Schippe und Besen nehmen und die ganzen Dreckbollen von deinen Schuhen wieder aufkehren!“
„Schnucki, ich komme mit den Bankschuhen gerade von der Arbeit. Der Putzdienst ist zwar nicht mehr so gründlich wie früher, aber Erdschollen haben wir noch keine in der Schalterhalle…!“
„Akzeptierst du das bitte, schließlich bin ich hier nicht die Putzfrau!“
Wolfgang machte wieder kehrt und versuchte am Schuhschrank, neben der Eingangstür lässig seine Schuhe ohne Einsatz seiner Hände abzustreifen. Vergeblich! Die Schnürschuhe, die er an hatte, waren von ihrer Machart her, seitlich am Knöchel etwas höher geformt, und zusätzlich hatte er sie wohl so eng gebunden, dass ein komfortables Abstreifen ohne Öffnen der Schnürsenkel nicht möglich war.
„Kommst du dann bitte mal und hilfst mir gerade…!“