Zwischen den Zeilen - Rona Cole - E-Book

Zwischen den Zeilen E-Book

Rona Cole

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Beschreibung

Sich in den heißen Floristen zu verknallen – damit hätte Josh auf der Hochzeit seiner Cousine wohl am allerwenigsten gerechnet. Doch Ben ist eine echte Zehn, Grund genug ihm für ein Date wenn nötig auch hartnäckig hinterherzulaufen. Und dann könnte alles so schön sein, wäre da nicht der leise Verdacht, dass Ben etwas zu verbergen hat. Denn Josh ist sich sicher: Jede Zehn hat einen Haken.

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Deutsche Erstauflage (ePub) März 2014

© 2014 by Rona Cole

Verlagsrechte © 2014 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Fürstenfeldbruck

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Umschlagillustration: Marek Purzycki

Bildrechte vermittelt durch Shutterstock LLC

Satz Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN ePub: 978-3-95823-518-2

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

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Klappentext:

Sich in den heißen Floristen zu verknallen – damit hätte Josh auf der Hochzeit seiner Cousine wohl am allerwenigsten gerechnet. Doch Ben ist eine echte Zehn, Grund genug ihm für ein Date wenn nötig auch hartnäckig hinterherzulaufen. Und dann könnte alles so schön sein, wäre da nicht der leise Verdacht, dass Ben etwas zu verbergen hat. Denn Josh ist sich sicher: Jede Zehn hat einen Haken.

Für Cathrin...

…die immer noch auf ihre Schneekugel wartet...

Ich schwöre, aufgeschoben ist nicht aufgehoben...

Und für meinen Papa,

der all meine Rezensionen im Internet liest...

Eigentlich wollte ich dir eines mit weniger Sex widmen...

aber ich hab keine Ahnung, ob ich je eins schreibe...

Gott und seine Jungs...

Josh

»Na komm schon!«, murmle ich genervt und trommle nervös mit den Fingern auf dem Lenkrad. Kann diese verdammte Ampel da vorne endlich mal grün werden? Ich bin ohnehin spät dran und wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe, verzeiht Nati mir das nie. Nicht heute. Nicht am Tag ihrer kirchlichen Hochzeit. Dem Tag, für den sie, wenn man dem, was sie seit Monaten so von sich gibt, Glauben schenkt, quasi geboren wurde. Und auch wenn ich, mangels irgendwelcher Alternativen, ihr Lieblingscousin bin, fürchte ich, das wird mir nichts nutzen. Sie wird mich also hassen, für den Rest ihres Lebens. Schließlich war ich schon vorgestern beim Standesamt zu spät.

Knapp zehn Minuten später erreiche ich die Kirche. Hoffe ich jedenfalls. Verdächtig leer hier, kein einziges der parkenden Autos kommt mir bekannt vor. Und da Nati an ihrem Einmal im Leben bin ich eine Prinzessin, bevor ich den Rest davon zur Strafe, dass ich ein Monatsgehalt für ein geschmackloses Kleid hingeblättert hab, mit einem Vollidioten verbringen muss-Tag vermutlich nicht vorhat, auch nur das kleinste Detail dem Zufall zu überlassen, müssten an den Antennen eigentlich längst Autoschleifen angebracht sein. Und zwar solche, die, wie ich vom Telefon weiß, farblich perfekt zur Tischdekoration passen. Und darüber hinaus natürlich zum Blumenschmuck, den Einladungen und zu allem, was es da im großen, mir zum Glück auf immer verwehrten, kirchlichen Hochzeitsuniversum sonst noch gibt.

Ich glaube, ich hab mein Gehirn schon nach ihren Ausführungen, dass sie ins Kirchenheft hinten in einem Zellophantütchen ein Tempotaschentuch klebt, ausgeschaltet. Und die Frage, was bitte schön ein Kirchenheft ist, hätte ich mir im Nachhinein wohl besser erspart.

Ich hab mich dann belehren lassen, dass dieses Teil, von dessen Existenz ich bisher, trotz offenbar zwingender Notwendigkeit, nichts mitbekommen hab, unerlässlich ist, um stilvoll zu heiraten. Und dass man sich danach sieben geschlagene Minuten darüber auslassen kann, in welcher Schriftgröße man da jetzt wohl am besten Für die Freudentränen reinschreibt. Ob man das wohl besser drüber oder drunter schreibt, nicht eingeschlossen.

Zum Glück bin ich schwul. Und für alle Heteros da draußen: Überlegt euch das, es nimmt selbst für meinen Geschmack überaus groteske Züge an.

Hektisch sehe ich auf meine Armbanduhr. Seltsam, eigentlich sollten sie seit drei Minuten angefangen haben. Aber wenn ich sofort einen Parkplatz gefunden hätte, wäre ich beinahe pünktlich gewesen.

Gar nicht so leicht, sich im Dauerlauf anständig eine Krawatte zu binden. Und das Scheiß-Etikett im Nacken des Sakkos kratzt auch. Aber dafür ist der Anzug wirklich todschick. Waffenscheinpflichtig. Leider nur geliehen, von einer Fotostrecke letzte Woche. Das Model sah darin allerdings zugegebenermaßen besser aus als ich. Und Claude, der Assistent aus der Fashion-Redaktion wird mich vierteilen, wenn ich das Teil nicht spätestens Montag unversehrt wieder dorthin zurückbringe. Und unversehrt bedeutet in diesem Fall dummerweise inklusive des kratzenden Preisschilds.

Vorsichtig öffne ich die schwere Kirchentür und schlüpfe in Erwartung sich nach mir umdrehender Köpfe und eines rügenden Blicks meiner Mutter, der mich aus der ersten Bank direkt tötet, hinein. Aber nichts dergleichen empfängt mich. Da ist einfach… nichts. Wobei, eigentlich sieht es schon sehr nach Hochzeit aus, aber die Kirche ist leer. Na ja, fast jedenfalls, denn irgendwo vorn, an einer der ersten Bänke, bastelt ein Typ an der Blumendekoration.

Oh Shit! Ich hab mich doch nicht etwa in der Adresse geirrt? Oder in der Zeit und die Party ist schon gelaufen? Das verzeiht Nati mir nie und ich kann mich auch selbst gleich hier und jetzt umbringen, aber ich glaube, so was sieht die Kirche nicht so gern. Riesenaufwand inklusive Neuweihe, wenn ich recht informiert bin. Vielleicht doch besser auf dem Vorplatz...

Oder hat Nati es sich im letzten Moment doch noch anders überlegt und der Kerl räumt hier nur auf? Wäre allerdings völlig idiotisch, verheiratet ist sie seit vorgestern sowieso und die Frist, das Ganze zu annullieren ist, glaub ich, auch vorbei. Also kann die Party steigen. Nur leider sieht es grade definitiv so aus, als würde sie das, wo auch immer, ohne mich.

Ein wenig unentschlossen, was ich jetzt tun soll, bleibe ich im Eingangsbereich stehen, tauche meine Hand ins Weihwasserbecken, weil eine kleine Abkühlung nach meinem Sprint nicht schaden kann, bekreuzige mich artig und hoffe, dass mich dafür nicht der Blitz trifft. Mein persönliches Verhältnis zu Gott und seinen Jungs ist... gespalten. Andererseits bin ich vermutlich nicht der erste Schwule, der sich bekreuzigt und es überlebt.

Und bevor ich mit Blitz und ewiger Verdammnis und dem ganzen Zeug an der Reihe bin, sind in diesem Laden wohl erst mal ein paar andere dran. Ich bin nämlich definitiv einer derjenigen, die sich nur für Männer interessieren, die ungefähr in meinem Alter sind. Und meist auch nur, wenn es auf Gegenseitigkeit beruht. Ach und hübsch wäre gut, wenn wir schon dabei sind. Kleine Jungs im Ministrantenkostüm sind definitiv nicht mein Ding. Trotzdem lasse ich mein Handy hier drin wohl besser stecken. Man sollte nicht alles ausreizen...

»Entschuldigung.« Obwohl ich nicht besonders laut spreche, hallt meine Stimme nach im leeren Raum.

Der Kerl, der mittlerweile an der vordersten Bank angekommen ist und dort mit Draht eine riesige Tüllschleife und Schleierkraut, oder wie das Zeug heißt, befestigt, scheint nicht bemerkt zu haben, dass ich neben ihn getreten bin. Hinter hübsch, kann ich, wenn wir grade bei Zielgruppe sind, gedanklich einen dicken Haken machen. Jedenfalls was seinen Arsch angeht. Die Oberarme sind ebenfalls nicht schlecht, auch wenn ich für die Figur natürlich erst abschließend Punkte vergeben kann, wenn er aufgestanden ist. Aber solange starre ich ihm einfach noch ein bisschen auf den Hintern. Ist ja kein allzu großes Opfer.

»Bitte?« Seine Stimme klingt tief und leise, als er sein Werk noch mal kurz begutachtet, sich dann zu mir dreht, und den Blick hebt.

Er hat hellbraune Augen und ein ziemlich hübsches Gesicht. Dreitagebart, breites Kinn, grade Zähne und ein paar Sommersprossen um die Nase. Ich schätze ihn auf ungefähr mein Alter, vielleicht ein bisschen älter, aber vermutlich noch keine Dreißig. Zweiter Haken.

Den dritten bekommt er für blond und die kurzen, etwas strubbeligen Haare, die irgendwie zum Rest seines Outfits passen, das aus einer olivgrünen Armeehose, einem hellgrauen Tanktop und ein Paar ziemlich mitgenommenen, ursprünglich wohl mal weißen Chucks besteht.

Gott… acht Wochen Praktikant bei der Stylish und ich nenne ein paar Arbeitsklamotten bereits ein Outfit. Heilige Scheiße! Claude wäre stolz auf mich. Aber ich glaube, ich sollte hier drin besser nicht mal in Gedanken fluchen, denn bis jetzt hatte ich echtes Glück mit dem Blitz. Und wenn ich alternativ nicht Bekanntschaft mit dem Cuttermesser machen will, das da aus der Seitentasche an seinem Knie ragt, sollte ich wohl auch aufhören, ihn derart anzustarren.

»Ich… hier… ist hier nicht eigentlich die Hochzeit von Nathalie Franke und Holger Thiel?«, frage ich den Kerl, der sich mittlerweile aufgerappelt hat und das Zeitungspapier, in dem wohl irgendwas eingewickelt war, in seiner Hand zerknüllt. Gar nicht so einfach, ihn nicht anzustarren, denn er ist ziemlich attraktiv. Vielleicht hat Nati ihn gesehen und es sich anders überlegt. Könnte man ihr nicht wirklich verübeln.

»Um drei«, teilt er mir mit, ohne mich wirklich anzusehen, zieht das Messer aus der Knietasche und steckt es, zu meiner Erleichterung, in eine der Taschen an seinem Hintern. Seine Brust ist muskulös und als er den Oberkörper dreht, kann man unter dem dünnen, grauen Stoff kurz einen seiner Nippel sehen. Oh Shit. Ich sollte echt woanders hinsehen.

Der Korb mit der restlichen Blumendeko ist da ganz dankbar. Nur leider nicht mal halb so attraktiv. Denn dieser Blumenkerl hat eine echt gute Figur. Ich steh auf trainierte Arme und eine definierte Brust. Wie viele Haken hat er jetzt? Fünf? Oder sind es mittlerweile schon sechs? Ach Scheiß drauf, der Typ ist 'ne Zehn. Definitiv. Scheiße! Eine Zehn vergeb ich echt selten. Ich schlucke. Ich selbst bin höchstens eine Acht. Den teuren Anzug schon mit reingerechnet.

»Drei?«, wiederhole ich dämlich. Typen, die eine glatte Zehn sind, machen mich nervös. Und ich muss verdammt aufpassen, dass ich mir nicht über die Lippen lecke. Aber ich glaube, dafür ist es schon ein bisschen zu spät. Also hoffe ich einfach, er hat's nicht gesehen.

»Um drei ist hier eine Hochzeit.«

»Oh…« Ich sehe noch einmal auf meine Armbanduhr. Es ist grade mal zehn nach zwei. Zu früh also... auch nett.

»Ich mach nur die Blumen«, fügt er erklärend hinzu. Für die Tatsache, dass er Florist ist, könnte man ihm eventuell wieder einen Punkt abziehen. Mein Freund ist Florist ist irgendwie nicht sehr sexy. Ich steh mehr auf so was wie Publizisten, Herausgeber, Kinderärzte oder Chirurgen. Zur Not tut's auch ein Redakteur.

Aber eigentlich ist das, was er da fabriziert, ja ganz hübsch. Und irgendwie hab ich, Publizist hin oder her, die kranke Angewohnheit auf Kerle zu stehen, die mit ihren Händen arbeiten. Ich mag es, wenn sie sich ein bisschen rau anfühlen und nicht so makellos auf meiner Haut.

»Na ja, ich hoffe, es ist wenigstens die richtige Kirche«, versuche ich einen Witz.

»Da bin ich leider überfragt.« Er dreht sich um und sammelt Draht, Schleifenband und eine Schere ein, die er beim Dekorieren wohl auf der Kirchenbank abgelegt hat.

»Das ist doch die Christopherus-Kirche, oder?«, vergewissere ich mich. »Und was steht denn da auf dem Kirchenheft?«

Ich stelle mich auf Zehenspitzen und versuche, über ihn hinweg etwas zu erkennen. Die Hefte sind fein säuberlich in regelmäßigen Abständen auf den Plätzen der vorderen Reihen verteilt. Nur die außen, direkt am Mittelgang, hat er wohl ein Stück zur Seite geschoben, um sie nicht zu beschmutzen. Wenn ich Glück habe, hat Nati vorne den Namen draufgeschrieben. Für Leute wie mich.

»Könnt ich vielleicht… das Heft?«, frage ich zaghaft und lasse mich wieder auf meine Fußsohlen sinken, bevor ich das Gleichgewicht verliere und mich hier noch flachlege. Denn offenbar hat er keine Lust, mal eben für mich nachzusehen, ob wenigstens Natis Name draufsteht und ich mich nur in der Zeit geirrt habe.

»Sicher.« Wider Erwarten macht er sich lang, greift nach einem der Hefte und reicht es mir. Seine Hände hinterlassen einen feuchten Fleck auf dem changierenden Papier und einen kurzen Moment lang treffen sich unsere Blicke. Aber dann sieht er, beinahe scheu, wieder zur Seite. Dabei hat er, bei zehn vollen Punkten, echt keinen Grund, schüchtern zu sein.

Kirchliche Trauung von Nathalie und Holger, lese ich erleichtert. Aber ich war mir eigentlich schon sicher beim Glitzerpapier. Gibt es online viel billiger als im Laden, weil... ach, lassen wir das.

»Tja, dann bin ich wohl… mal wieder zu früh gekommen.«

Seine Mundwinkel zucken amüsiert. Nur ganz kurz, aber natürlich lange genug, um mir klar zu machen, was ich da grade gesagt habe. Fuck! Erst denken, Josh, dann reden! Ich hab nur dieses mal wieder zu spät so drauf. Ich bin notorisch unpünktlich. Degenhardt, unser Chefredakteur, wird mir deswegen irgendwann noch mal den Arsch aufreißen.

»Das passiert mir eigentlich… nicht so oft«, stammle ich zu allem Überfluss, bevor ich endgültig rot werde.

»Schön, wenn es nicht die Regel ist.« Mr. Zehn grinst ein kleines bisschen anzüglich und fährt sich mit der freien Hand durchs Haar, bevor er, als sei nichts weiter gewesen, wieder meinem Blick ausweicht. Oh Gott… flirtet der grade mit mir? Eine Zehn? Ist der Anzug so cool? Heilige… öhm… Halleluja!

»Und besser jetzt als heute Nacht.«

»Heute Nacht?« Ich brauche eine Sekunde, bis ich checke, worauf er hinauswill. Schätze, er hält mich für den fürchterlich aufgeregten Bräutigam und meint, er muss mich beruhigen. Macht er vermutlich öfter.

»Oh, ich bin nicht der Bräutigam«, erkläre ich. »Ich bin nur der Cousin der Braut.« Der schwule Cousin, um genau zu sein. Und wir beide sollten uns dringend verabreden. Ich muss da nämlich was richtigstellen... denn mit dem zu früh kommen hab ich eigentlich kein allzu großes Problem... Shit… mir ist heiß… er ist heiß. Ich muss echt aufpassen, dass ich nicht sage, was ich denke.

»Oder der Idiot, der keine Uhr lesen kann«, stelle ich also stattdessen fest und grinse über meinen Witz, in der Hoffnung, dass er es erwidert, aber das tut er nicht. Schade eigentlich, er ist wirklich süß, wenn er grinst, und wenn ich schon mal hier bin, können wir die Zeit, die wir noch haben, bis so langsam die Ersten der Gäste hier auftauchen, auch weiterflirten.

»Hey, Ben, wo soll das große Gesteck hin?« Leider beendet eine männliche Stimme mein eher einseitiges Unterfangen.

Ben heißt er also. Schöner Name. Sehr sexy. Passt gut zu ihm.

»Stell es mal seitlich vom Altar«, sagt Ben, lässt mich dann endgültig stehen und geht dem Kerl, der ein riesiges Bouquet vor sich herträgt, mit einem leise in meine Richtung gemurmelten Sorry entgegen. Ein bisschen dämlich sehe ich ihm nach und starre wieder auf seine breiten Schultern, die schmalen Hüften und den kleinen Hintern.

Wäre ja auch zu schön gewesen. Mit einem kleinen Seufzer mache ich einen Schritt nach hinten und setze mich in eine der hübsch dekorierten Kirchenbänke.

***

»Und?« Ich spüre den schweren Stoff von Natis Kleid, das gar nicht so schlimm ist, wie ich es eigentlich von ihr erwartet hätte, unter meinen Fingern. Die Pailletten kratzen ein bisschen, aber ansonsten ist es echt ganz okay. Auch, wenn das Teil es wohl kaum in die Hochzeits-Modestrecke der Stylish schaffen würde, aber das ist sowieso nicht Natis Stil. Sie ist trotzdem eine hübsche Braut und alles in allem war es tatsächlich ein schönes, stilvolles Fest.

Mal abgesehen von der Tatsache, dass sie es für eine gute Idee gehalten hat, mich neben Arno, den schwulen hab schon wieder vergessen was ihres Mannes zu setzen, der weder schön noch stilvoll noch sonst irgendwas außer verzweifelt ist. Aber nach Ben konnte es ja eigentlich sowieso nur schlechter werden.

Folglich ist Arno dummerweise nicht einmal annähernd eine Zehn. Er ist, wenn man es in Bezug auf Natis offensichtlich plumpe Absicht, mich mit ihm zu verkuppeln sieht, eine echte Unverschämtheit. Allerdings eine, von der ich mich, um bei meiner Cousine nicht in Ungnade zu fallen, zu einem Date habe breitschlagen lassen. Scheiße! Ich gehe mit einem notgeilen Nerd aus, dessen Lachen mich an ein Pferd erinnert. Kann ja heiter werden. Ich weiß jetzt schon nicht, über was ich mich mit ihm unterhalten soll. Und hier wird andauernd Wein nachgeschenkt.

»Schönes Fest«, sage ich, während mein Blick durch den Raum schweift. Kerzen brennen in großen, silbernen Leuchtern, die üppig mit Rosen und Grün dekoriert sind, und der Saal sieht toll aus in ihrem Licht. Ich tanze. Mit Nati. Die Ärmste ist seit dem Dessert dabei, ihrer Pflicht als Braut nachzukommen und jeden männlichen Gast aufzufordern. Die Schwulen sind am Ende dran. Die ersten Gäste sind bereits am Aufbrechen und die Band spielt leise, langsame Musik.

»Wirst du mit Arno ausgehen?«, fragt sie mich direkt.

»Mhm.« Ich nicke. »Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Er ist überhaupt nicht mein Typ.«

»Aber er ist nett und du bist doch schon eine ganze Weile Single«, bemerkt sie.

»Schon, aber dadurch verändert sich ja mein Typ nicht«, erwidere ich.

Keine Ahnung, wie sie darauf kommt, dass dieser Langweiler vielleicht doch irgendwann zu meinem Typ wird, nur weil mit Stephan echt schon eine Ewigkeit Schluss ist. Ich fand Arno schon damals auf irgendwelchen Fotos, als sie ihn mir anpreisen wollte, nicht toll. Und das hat nichts mit du solltest deine Ansprüche mal runterschrauben zu tun.

Der Kerl heute Mittag, die Blumen-Zehn, der war mein Typ. Und jetzt wiege ich mich sanft im Takt und denke dabei prompt wieder an ihn. An seinen Arsch, seine Augen, sein Gesicht, sein Lächeln und seine Hände. Wie sie sich wohl anfühlen würden, wenn er damit…

Gott, ich glaube, ich hab in der Hoffnung, dass Arno dann erträglicher wird, zu viel getrunken. Definitiv… sonst würde ich mir wohl kaum grade vorstellen, wie er aussehen würde in einem schmalen, schwarzen Anzug und mich lässig mit dieser unwiderstehlichen Mischung aus schüchtern und scharf fragen würde, ob ich vielleicht Lust hätte zu tanzen.

Eigentlich stehe ich gar nicht drauf, wenn zwei Typen miteinander tanzen. Weder so wie Nati und ich grade, noch irgendwie anders in einem Club oder so. Im Gegenteil, ich finde es ziemlich affig. Aber bei ihm würd ich mich gerne mal ein bisschen anschmiegen. Ich stelle mir Ben vor, mit offenem Jackett und gelöster Fliege, die Enden rechts und links auf seiner Brust. Und zu noch späterer Stunde dann ohne Klamotten in meinem Bett. Oh Shit!

Vielleicht sollte ich das jetzt besser lassen, sonst denkt Nati am Ende noch, ich sei in sie verliebt. Bin ich nicht. Und in ihn natürlich auch nicht. Aber diese Augen und dieses Lächeln… schon die Erinnerung daran macht mich total kribbelig.

Er hat heute Mittag in der Kirche ein paar Mal zu mir rübergesehen, während er mit dem anderen Typen das Altargesteck aufgebaut und die Stühle für das Brautpaar dekoriert hat. Und zweimal hat er dabei gelächelt. Und er ist, jedenfalls wenn ich ein paar Gläser Wein intus und Arno vor Augen habe, sogar eine verdammte Elf, wenn er das tut.

»Er fand dich total niedlich beim Standesamt«, höre ich Nati von irgendwoher.

»Was?« Ben fand mich scharf?

»Er ist ein bisschen schüchtern…«

»Wer?«

»Na Arno«, holt Nati mich endgültig wieder in die grausame Realität zurück.

»Ach so«, sage ich und seufze resignierend.

»Wer denn sonst?«, will sie sofort wissen. Dieses Biest.

»Keine Ahnung«, murmle ich leise. »Aber sag mal, wer hat eigentlich die Blumen gemacht?«

Cool Water-Modell

Ben

»Ben? Bist du das?« Daniels Stimme klingt fragend.

»Ja, bin hier unten.«

»Hey!« Er schiebt sich durch die halb offene Tür ins Zimmer hinter dem Verkaufsraum.

»Hey«, entgegne ich und sehe kurz von meiner Arbeit auf. Ich sitze auf dem langen Bindetisch, neben mir einen Bund Rosen, der von Anfang der Woche übrig ist. Es sind meine Cool Water, die ich wegen ihrer außergewöhnlichen Farbe irgendwo zwischen Altrosa und Lavendel unbedingt haben musste, aber ich hätte wohl wissen müssen, dass deutsche Mädchen dafür noch immer zu wenig experimentierfreudig sind. Die wenigsten haben Mut zur Extravaganz. Daniel hat es mir gleich gesagt. Sie wollen rote Rosen. Oder weiße. Vielleicht auch cremefarbene oder champagner, je nachdem, welche Farbe das Kleid hat. Dazu jede Menge Schleierkraut. Zum Glück sind wenigstens Wasserfallsträuße nur noch auf dem Land im Trend. Vor ein paar Jahren war es der Horror für mich. Ich hasse Wasserfallsträuße. Das ist floristische Körperverletzung. Noch schlimmer sind nur welche mit Glitzerspray.

Jetzt sind meine Rosen ein wenig zu offen, um sie noch zu verkaufen, die ersten der äußeren Blütenblätter werden schon dunkel. Und bevor sie entsorgt werden, kann ich sie heute auch noch zu einem Strauß binden und ihn fürs Kundenalbum fotografieren. Falls irgendwann in diesem Leben dann doch noch mal ein Mädchen mit Geld und Geschmack hier auftaucht.

»Konntest es nicht lassen, was?« Daniel lacht.

»Nein«, gebe ich ein bisschen zerknirscht zu und grinse schuldbewusst.

»Sehr hübsch!« Er nickt anerkennend.

»Noch nicht fertig«, wiegle ich ab. Aber ich glaube, es wird tatsächlich nicht übel. Ich hab die Cool Water-Rosen mit ein paar cremeweißen und ein paar dunkelroten Rosen kugelförmig arrangiert. Wenn ich noch ein paar Stephanotis nehme und den Strauß damit spicke, sieht er beinahe genauso aus wie der auf dem Bild in einer dieser amerikanischen Hochzeitszeitschriften, die er mir neulich, nach tagelangem Quengeln meinerseits, übers Internet bestellt hat. Nur mit ein bisschen weniger Kitsch.

»Und, na ja, sie werden sonst schlecht.«

»Ich bin sicher, sie hätten auch noch bis Montag durchgehalten«, setzt er mich in Kenntnis. »Außerdem ist Sonntag und du hast frei.«

»Bin auch gleich wieder weg, muss nur eben meinem Chef einen hübschen Strauß binden«, sage ich grinsend, halte den Strauß am ausgestreckten Arm von mir und begutachte ihn kritisch. Ich finde ihn irgendwie schief, vielleicht sollte ich noch mal von vorne anfangen.

»Ja, sicher.« Seufzend verdreht Daniel die Augen, während er mir zusieht, wie ich wenigstens ein paar der Rosen noch einmal neu arrangiere.

»Willst du ihn nicht?«, frage ich ein bisschen kokett.

»Ich will nicht, dass du hier rumschleimst. Außerdem macht er sich draußen auf der Anrichte sowieso viel besser. Und die Phase, in der du mir Rosen schenkst, haben wir hinter uns.«

Damit hat er recht. Wenn man es genau nimmt, hatten wir diese Phase nie. Das mit ihm und mir hat irgendwie nicht wirklich was mit Romantik zu tun. Auch nicht mit Sex. Selbst wenn man uns das gemeinhin gerne unterstellt. Wir haben keinen. Und wir hatten ihn nie. Daniel ist mein Chef. Nein, eigentlich ist er mehr als das. Einem Chef verdankt man nicht so viel. Ich verdanke ihm alles. Er ist meine Familie. Oder das, was von ihr übrig ist.

»Vielleicht willst du sie Gerd vorbeibringen«, schlage ich vor. Gerd ist nicht mehr übrig.

»Lass nur. Die wären ihm viel zu schwul.« Er lächelt wehmütig und betrachtet dann seine linke Hand. Seit letztem Herbst trägt er beide Ringe dort, der Goldschmied hat sie verbunden.

»Hast auch wieder recht«, gebe ich zu. Gerd stand nicht so auf Blumen. Er war, nachdem er seinen Job als Restaurator aufgegeben hatte, eher für die Buchhaltung zuständig. Vordergründig war er auch nicht sonderlich romantisch. Aber er war siebzehn Jahre mit Daniel zusammen. Da nimmt einem diese Sache mit dem nicht romantisch niemand mehr wirklich ab. Ich jedenfalls nicht. Und ich glaube, es wäre ihm auch egal. Wenn Daniel diesen Strauß auf die weiße Marmorplatte, auf der sein Name steht, legen würde, dann wäre das für ihn okay.

Der Kranz, den wir ihm damals gemacht haben, war mit Dahlien, Zinnien, Solidago und vielen, unterschiedlichen Coleus. Farbenfroh, aber nicht aufdringlich. Hat perfekt zu ihm gepasst. Seither haben wie keine Zinnien mehr im Laden und ich verwende nur noch auf Wunsch Dahlien. Die ersten paar Male ist es mir schwer gefallen. Aber es wird besser. Auch wenn ich immer noch daran denken muss.

»Stell ihn auf die Anrichte. Vielleicht hast du ja Glück und irgendwer hat morgen was ausgefressen, das er wieder gutmachen will.« Daniel lächelt. Nicht mehr wehmütig. Im Alltag kommt er mittlerweile klar. Ich glaube, neulich hatte er sogar so was wie ein Date.

Mit der Anrichte meint er den alten, geweißten Küchenschrank, der im Laden steht und auf dem meist jahreszeitlich dekoriert ist. Für die Laufkundschaft und verzweifelte Kerle in letzter Minute. Sehr beliebt an sinnfreien Daten wie Valentins- und Muttertag. Intern nennen wir ihn manchmal ein bisschen zynisch den Das muss weg-Schrank.

»Vielleicht«, stimme ich ihm halbherzig zu. Möglicherweise finden meine Rosen so ja in letzter Minute doch noch einen Abnehmer, der sich seinen Wochenend-Fauxpas was kosten lässt.

»Sag Bescheid, wenn du gehst, ich bin im Büro«, sagt er.

»Sonntags?«, kontere ich.

»Ist viel liegen geblieben, als Sandra im Urlaub war.«

Das ist dann wohl so was wie ein Freifahrschein.

»Du solltest ein bisschen raus.«

»Ich war schon mit dem Hund«, widerspricht er.

»Wo ist sie eigentlich?« Für gewöhnlich folgt ihm Marlene, die in etwa die Größe eines Kalbes hat, auf den Fuß.

»Schläft hinten, auf ihrem Kissen«, teilt er mir mit.

»Toller Wachhund.« Ich verdrehe die Augen.

»Allerdings, irgendwas ist da schiefgelaufen.« Er lacht. Und ich stimme mit ein, denn Marlene ist so ziemlich das Gegenteil eines Wachhundes. Jeder Chihuahua ist besser darin, Einbrecher zu stellen.

»Kannst du mal eben…?« Auffordernd halte ich ihm den Strauß entgegen. Wenn er schon mal da ist, dann kann er mir auch helfen.

»Klar.« Er drückt seinen Zeigefinger auf den von mir geschlungenen Knoten.

»Die Materialliste von gestern hat Hannes dir ins Büro gelegt und der Schlüssel vom Transporter ist wieder in der Schublade«, sage ich.

»Danke. Ging alles glatt mit der Deko in der Kirche?«

»Ja, war alles in Ordnung«, bestätige ich.

»Ihr seid ziemlich spät los.«

»Ja, ich weiß, aber plötzlich war der Laden rammelvoll, da hab ich Silke schnell geholfen und eben noch zwei Sträuße gemacht, während Hannes verladen hat. Aber wir waren noch pünktlich. Die Location ist toll geworden, ich hab Fotos gemacht. Und bis auf einen verfrühten Gast hat uns in der Kirche auch niemand gesehen.«

Ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen, aber irgendwie muss ich beim Gedanken an diesen Typen grinsen. Er war ein bisschen verpeilt, aber echt süß und ich bin mir ziemlich sicher, dass er für mein Team spielt. Heteros interessieren sich in der Regel nicht so sehr für meinen Arsch. Und ich glaube, dass er ein bisschen mit mir geflirtet hat, als er uns beim Dekorieren des Altars zugesehen hat.

»Ein Gast also?« Daniel kennt mich mittlerweile wohl zu gut, um es nicht sofort zu bemerken.

»Ja«, versuche ich es trotzdem möglichst unschuldig. »Hatte sich in der Zeit vertan.«

»Klingt nach einem ziemlich hübschen Gast.« Grinsend wischt er sich die Finger an meinem Oberschenkel trocken, während ich nach einer der angedrahteten Stephanotis greife. Kurz halte ich mir eine unter die Nase, atme den jasminartigen Duft ein und platziere die kleine, sternförmige Blüte dann oben in der Mitte des Straußes.

»Ging so«, behaupte ich und setze einen zweiten Pin zwischen die Rosen.

»Soso.« Es klingt eine Spur zu wissend. Definitiv.

Aber er hat schon recht. War ein ziemlich hübscher Gast. Ein bisschen jünger als ich, schmal, dunkelhaarig, feine Züge. Sehr hübsch. Und sexy. Blaue Augen, glaub ich. Weiß ich aber nicht mehr so genau. Und ein ziemlich scharfer Anzug.

»Außerdem wolltest du damit aufhören.«

»Womit?«

»Damit.« Er weiß genau, was ich meine. Nur, weil ich schon eine ganze Weile wieder Single bin, muss Daniel nicht in jedem Kerl, der meinen Weg kreuzt, gleich einen potenziellen Mann für mich sehen.

Manchmal glaube ich, seit Gerd nicht mehr da ist, ist seine vorrangige Freizeitbeschäftigung, mich unter die Haube zu bringen. Dabei leg ich eigentlich gar keinen gesteigerten Wert drauf. Und nur, weil ich nicht allzu oft jemanden mit nach Hause bringe, heißt das nicht, dass da nie jemand ist. Wir leben in Hamburg, die meisten Typen, mit denen ich vögle, haben ein Zuhause und mir ist es lieber, wenn ich selbst bestimmen kann, wann ich am Morgen danach auf Nimmerwiedersehen verschwinde.

Vielleicht sollte ich doch ausziehen. Aber ich fürchte, das würde ziemlich kompliziert. Außerdem mag ich meine Dachgeschosswohnung hier im Haus über dem Laden. Dass Daniel mit dem Hund die mittlere Etage bewohnt, ist etwas, womit ich leben kann. Er hat das Haus schon vor einigen Jahren gekauft. Es ist nicht sonderlich hellhörig, eher unwahrscheinlich also, dass er, selbst wenn ich wirklich mal nicht alleine bin, was mitbekommt.

Und meine Wohnung ist toll. Altbau, Gaubenfenster, viel Licht und eine tolle Dachterrasse. Und für den Preis finde ich in Hamburg nirgendwo was Besseres.

»Damit?«, fragt er grade unschuldig nach.

»In jedem Kerl, den ich irgendwie erwähne, einen potenziellen neuen Freund zu sehen. Ich fühl mich ganz wohl, wenn ich tun und lassen kann, was ich will.« Seit der Sache mit Felix bin ich irgendwie nicht mehr so der Beziehungstyp. Ich komme gut ohne zurecht.

»Ich mein ja nur…«

»Du meinst was?«

»Ich finde es eben schade, dass du dich so einigelst. Ich würde mir einfach wünschen, du hättest wieder jemanden.«

»Das klingt, als wäre ich ungefähr hundert und bräuchte einen Pfleger«, brumme ich, während ich eine der Stephanotis noch einmal aus dem Strauß ziehe und an eine andere Stelle setze.

***

Ich war bis zum Nachmittag im Laden und hab die Anrichte noch umdekoriert. Montags schaffen wir es meist sowieso nicht, denn da kommen die Stammkunden, um neue Blumendeko für die kommende Woche zu kaufen. Mehrere Arztpraxen, drei Anwaltskanzleien, mein Friseursalon, die Werbeagentur drei Blocks weiter und noch ein paar andere.

Ich hab ein weißes, schlichtes Gedeck auf der Anrichte arrangiert, den Strauß, so als hätte die Braut ihn kurz abgelegt, daneben platziert und die Stiele mit einem farblich passenden Satinband umwickelt, das nun von der Anrichte hängt. Die restlichen der Cool Water-Rosen hab ich in ein ziemlich üppiges Centerpiece eingearbeitet, mit dem ich den Leuchter dekoriert hab. Wird zwar nicht lange dauern, bis die Blumen endgültig den Geist aufgeben, aber für ein paar Tage sieht es noch ganz hübsch aus.

Ich mag das Centerpiece. Es ist ziemlich gelungen. Auch wenn das bei zehn Tischen vermutlich kein Mensch bezahlen kann. Aber manchmal kann ich da keine Rücksicht drauf nehmen...

»Hey Ben, gehst du noch mal weg?« Es ist wieder Daniel, dem ich im Treppenhaus begegne. Offenbar ist er mit Marlene grade von ihrer Nachmittagsrunde zurück. Aufgeregt quietscht sie, springt an mir hoch, leckt mir über die Wange und schlägt dabei mit dem wedelnden Schwanz rhythmisch gegen die Wand.

»Nicht so stürmisch«, warne ich sie lachend und tätschle ihr den Kopf, bevor sie ihre Vorderpfoten von meiner Schulter nimmt. Manchmal begleitet sie mich, wenn ich laufen gehe. Aber nachmittags sind an der Außenalster zu viele Leute unterwegs. Eigentlich muss man Hunde dort anleinen. Aber morgens, wenn keine Kinder da sind, sieht das dort niemand so eng. Und sie gehorcht aufs Wort. Gerd war mit ihr immer in der Hundeschule. Weil er meinte, dass so ein großer Hund gehorchen muss und alles andere nicht diskutabel ist.

»Ja, ich drehe noch mal meine Runde«, antworte ich und sehe demonstrativ an mir hinab. Ich hab Sportklamotten an. Ich laufe beinahe täglich. Eigentlich eher morgens, bevor der Laden öffnet, aber am Sonntag schlafe ich meist zu lange, um vor dem allgemeinen Andrang wieder weg zu sein. Also verschiebe ich es meist auf den frühen Nachmittag.

»Viel Spaß!«, wünscht Daniel.

Ich hebe die Hand, gehe an den beiden vorbei hinaus auf die Straße und stecke die Ohrstöpsel meines MP3-Players in die Ohren. Dann stelle ich die Musik an und mache mich auf den Weg. Das kleine Stück bis zur Außenalster gehe ich eigentlich immer normal. Ich finde es ziemlich peinlich, wenn einem auf dem Bürgersteig irgendwelche Passanten entgegenjoggen.

Am allerschlimmsten sind diejenigen, die auch noch an den Fußgängerampeln hektisch neben einem auf der Stelle trippeln. Das machen eigentlich nur Frauen. Und Schwule. Und manche Schwule, die das machen, finde ich sogar ganz süß.

Knapp fünf Minuten später habe ich die Außenalster und meinen Einstieg in die Runde erreicht. Gemächlich setze ich mich in Bewegung und steigere dann das Tempo.

Ich laufe meist sechs Kilometer. Wenn ich gut unterwegs bin und wie heute Zeit habe auch mal acht. Ich mag es, einfach zu laufen. Macht den Kopf frei, außerdem bleibe ich in Form. Ins Fitnessstudio gehe ich eher selten, im Grunde komme ich dienstags nach Ladenschluss nur Daniel zuliebe mit. Aber Sport mochte ich schon immer. Als Kind hab ich mal Fußball gespielt.

Ich überhole ein paar Rentner und weiche zwei Mädchen auf Inlineskates aus. Viel los für einen Sonntag und diese Uhrzeit. Muss wohl am Wetter liegen. Vermutlich nutzt jeder die warmen Tage, da es nächste Woche wieder kühler werden soll.

Irgendwie muss ich wieder an diesen Typen gestern in der Kirche denken. Und an mein Gespräch mit Daniel. Er hat schon recht, die Zeit verfliegt. Das mit Felix ist nächste Woche schon wieder zehn Monate her. Aber nachdem das Ende meiner einzigen Beziehung vermutlich die zweitgrößte Katastrophe meines Lebens war, brauchte ich einfach Zeit, mich davon zu erholen. Und ich glaube, ich brauche sie noch. So, wie Daniel sie auch braucht. Wobei ich nicht weiß, ob man nach solch einer langen Zeit überhaupt noch in der Lage ist, wieder jemanden zu finden.

Und ich weiß eigentlich auch gar nicht, ob ich überhaupt jemanden finden will. Dass das mit Felix schiefgelaufen ist, hat seine Gründe. Es ist nicht so leicht für mich. Ich bin zurückhaltend. Und kein Szenetyp. Ich fühle mich nicht unbedingt wohl unter Leuten, die ich nicht kenne, was dann wohl an der größten Katastrophe meines Lebens liegt.

Ich war fünf damals, als mein Vater diesen Unfall hatte. Meine Mutter ist nie drüber weggekommen. Sie bekam Depressionen und musste in eine Klinik. Ich war acht, als sie sich umgebracht hat. Mein Bruder Andi war grade mal achtzehn und steckte mitten in der Ausbildung. Anfangs hat er versucht, sich um mich zu kümmern, aber das hat nicht wirklich gut funktioniert. Also bin ich zu meiner Oma gezogen. Und hab damit aufgehört, Fußball zu spielen…

Blumen für die Blowjob-Diskussion

Josh

Mein Gott, wenn das mal nicht 'ne echt peinliche Aktion ist, dann weiß ich auch nicht. Aber irgendwie geht mir dieser Kerl von Natis Hochzeit nicht mehr aus dem Kopf. Also nicht Arno, sondern Ben. Arno, den würde ich gerne vergessen, denn mit dem hatte ich, damit er endlich aufhört, mir die Mailbox vollzuquatschen, mittlerweile ein grauenvolles Date.

»Wir hatten ja ganz vergessen, Nummern zu tauschen, zum Glück hat Nati mir deine gegeben«, hat er mir erklärt.

Und ich finde, ich sollte, trotz meinem gespaltenen Verhältnis zu Gott und seinen Jungs, in den Himmel kommen, weil ich ihm nicht gesagt habe, dass ich es keinesfalls vergessen hab, sondern mich stattdessen tatsächlich zu einem Date mit ihm durchringen konnte. Davon, dass es selbstredend das schlechteste meines Lebens war, will ich gar nicht erst anfangen. Dieser Kerl ist nämlich noch langweiliger, als ich ihn von der Hochzeit in Erinnerung hatte. Ich glaube, er hat in seinem Leben kein einziges Buch gelesen. Und auch sonst haben wir, außer, dass wir wohl beide schwul sind, nicht allzu viele Gemeinsamkeiten.

Nati zuliebe hab ich trotzdem beinahe zwei Stunden durchgehalten. Und weil ich höflich bin, hab ich ihn vor meiner Haustür dann angelogen, was für ein netter Abend es war. Hätt ich im Nachhinein mal besser gelassen, denn er hat das wohl als Einladung aufgefasst, mich zu küssen. Zum Glück hab ich in letzter Sekunde den Kopf weggedreht, sodass er nur meine Wange erwischt hat.

»Für so was brauch ich ein bisschen«, hab ich in die peinliche Stille gemurmelt und ihm erklärt, dass ich keiner von denjenigen bin, die gleich am ersten Abend mit jemandem ins Bett springen.

Eigentlich auch gelogen und vielleicht hätte ich ihn fairerweise zeitnah in Kenntnis setzen sollen, dass ich bei besonders unterirdischen Typen nicht nur ein bisschen brauche und dass diese Sache mit uns auch im nächsten Leben nichts wird.

Denn bevor ich jemanden wie Arno mit nach oben nehmen würde, muss echt einiges passieren. Alle schwulen Typen auf dem Planeten müssten zum gleichen Zeitpunkt sterben zum Beispiel. Und ich müsste meine Hände nicht mehr bewegen können. Aber selbst dann wäre ich nicht sicher, ob ich's nicht erst mal mit einer Runde Enthaltsamkeit versuchen würde…

Keine Ahnung also, wie er trotzdem auf den absurden Gedanken kommt, dass wir diese Katastrophe, miteinander auszugehen, unbedingt noch mal wiederholen sollten. Sollten wir nicht. Definitiv nicht.

Folglich meine ich, wenn ich an den scharfen Typen von Natis Hochzeit denke, nicht Arno, sondern Ben. Die Zehn mit den Blumen. Und da sein Laden, den ich Nati ja schon am Abend der Hochzeit aus dem Korsett geleiert hab, auch nur am anderen Ende der Stadt liegt, dachte ich, ich könne spontan mal vorbeischauen.

Der Laden ist an einer Ecke auf der Hauptverkehrsstraße in Pöseldorf. Ist eigentlich ganz nett da. Trotzdem verirre ich mich höchst selten in diese Gegend. Blattgold steht in schnörkelloser Schrift oben über der schwarzen Markise, die aussieht, als habe sie irgendwer mit goldener Farbe bekleckst.

Vor dem erhöhten Schaufenster stehen Zinkeimer in unterschiedlichen Größen mit blühenden Blumen auf dem Asphalt. Daneben gibt es einen Tisch, der aussieht, als sei er aus alten Brettern und Strandgut gezimmert und beinahe ein bisschen so wirkt, als würde er jeden Moment unter der üppigen Blumenpracht zusammenbrechen. Rechts und links davon stehen Buchsbäume, die meiner Mutter aufgrund der perfekt rund geschnittenen Krone Tränen der Rührung in die Augen treiben würden, und die Poller am Gehsteig sind mit Rosen dekoriert.

Unentschlossen bleibe ich vor dem Eingang stehen und beschließe dann, erst mal am Laden vorbeizugehen. Super! Dafür bin ich eigentlich nicht durch die halbe Stadt gefahren. Vielleicht sollte ich mir ein bisschen Mut anrauchen. Nervös fummle ich in der hinteren Tasche meiner Jeans nach meinen Zigaretten.

Eigentlich wollte ich schon längst aufhören, aber dummerweise kommt immer irgendwas dazwischen. Und womöglich ist es auch nicht so toll, wenn ich nach frischem Qualm stinkend in seinem Laden auftauche. Raucher stehen ja nicht bei allen hoch im Kurs. Also vielleicht lieber doch nicht. Ich geh da jetzt einfach rein, bevor ich weiter drüber nachdenken kann und mein leeres Feuerzeug sich gnädigerweise zu einem Funken hinreißen lässt. Ist ja gar nicht gesagt, dass er überhaupt da ist.

Vielleicht hätte ich mein Piercing doch besser rausnehmen sollen. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich es nicht drin, weil ich es eigentlich nie trage, wenn ich Gefahr laufe, auf meine Mutter zu treffen. Ich hab keine Lust, mir jedes Mal anzuhören, wie fürchterlich entstellend sie das findet, und die Diskussion, ob Typen beim Blowjob drauf stehen, ist keine, bei der ich das Bedürfnis verspüre, sie mit meiner Mutter zu führen. Piercings und meine Mutter ist ein echt schlechtes Thema. Deswegen weiß sie auch nicht, dass auch meine Brustwarzen gepierct sind, und ich eine Zeit lang sogar eines im Septum getragen hab. Ich glaube, wenn sie es wüsste, würde sie mich, wohl vor allem für letzteres, definitiv enterben. Gott sei Dank konnte ich diese Überbleibsel meiner Timo-Phase bisher erfolgreich vor ihr verheimlichen.

Timo war wohl das, was man meine erste große Liebe nennt. Er hatte auch Piercings. So ziemlich überall und ich stand irgendwie drauf. Die Zunge hab ich mir ziemlich schnell machen lassen, die Brustwarzen, als wir ein Jahr zusammen waren. Und nach der Testphase stand ich deutlich zu sehr drauf, wenn man an ihnen rummacht, als dass ich sie rausgenommen hätte, nachdem es mit Timo kurze Zeit später vorbei war.

Stattdessen hab ich mir die Unterlippe piercen lassen. Und dann das Septum. Aber das hatte ich nur kurz drin, denn das sah, objektiv betrachtet, dann wirklich scheiße aus. Das Labret mag ich und eigentlich findet auch jeder, dass es mir steht. Eigene Mütter zählen nicht. Die haben bei so was keine objektive Meinung.

Keine leichte Entscheidung, die Sache mit der Zigarette, denn jetzt, wo ich dran gedacht hab, hab ich natürlich wahnsinnig Bock drauf. Vielleicht sollte ich sie mir später gönnen und erst mal reingehen, statt weiter wie ein Depp vor dieser Hofeinfahrt zu stehen und mein Feuerzeug zu verfluchen.

Ein Hupen reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist ein Lieferwagen, ebenfalls mit Blattgold-Schriftzug und goldenen Farbklecksen, dem ich offensichtlich im Weg stehe. Artig trete ich einen Schritt zur Seite und er fährt in Schrittgeschwindigkeit an mir vorbei. Inhaber Daniel Haug und Gerd Wilkens, lese ich. Okay, anscheinend ist Ben wenigstens nicht der Chef.

Immer noch nervös betrete ich den Laden. Der Verkaufsraum ist größer, als ich erwartet hab. Nicht, dass ich Erfahrung mit Blumenläden hätte, denn die hab ich nicht. Wenn ich mal welche kaufe, dann von Blume2000 am Gänsemarkt. Denn mal ehrlich: Blumen sind ein Wegwerfprodukt. Der Sinn, Unsummen dafür auszugeben, erschließt sich mir irgendwie nicht.

Drinnen stehen ebenfalls Blumen. Da gibt es Rosen in allen erdenklichen Farben, einige fertige Sträuße und jede Menge anderer Schnittblumen, deren Namen ich nicht kenne. Vermutlich wäre ich ein miserabler Hetero geworden, der seiner Frau nie Blumen schenkt. Und schon gar nicht von hier. Dreißig Euro für Grünzeug wäre mir definitiv zu teuer. Selbst wenn ich's mir leisten könnte. Ich glaube, das da drüben könnten Nelken sein. Außerdem gibt es Kübel mit Stängeln, Ästen und keine Ahnung, was das noch so alles ist. Es ist grün. Das meiste jedenfalls. Einiges ist auch weiß. Dahinter, auf einem viereckigen Block, stehen Topfpflanzen und eine Menge anderer Krempel, Teller, Tassen, silberne Schalen, Kerzenleuchter und sonstiger Kram. Elle Decoration meets Verlegenheitsgeschenk oder so was in der Art.

Alles wirkt eher schlicht und dadurch irgendwie edel. Und es riecht auch echt gut. Nach den Blumen vermutlich. Ich muss zugeben, dass Blume2000 dagegen mal abstinken kann.

Ich gehe ein paar Schritte in Richtung des Verkaufstresens. Es ist ein Schrank, auf den meine Mutter völlig abfahren würde, so eine alte Anrichte, die leicht geweißt ist. Rechts steht die Kasse, und links eine silberne Champagnerschale voller cremefarbener Blumen, ein paar davon sind, glaube ich, Hortensien. Sollte ich je das Bedürfnis haben, mich mit meiner Mutter über meine Brustwarzenpiercings zu unterhalten, werde ich vorher definitiv noch mal hier vorbeischauen und investieren. Ich glaube, für so was verzeiht sie mir alles.

»Guten Tag.« Es ist tatsächlich Ben, der aus der halb offenen Tür rechts hinter dem Tresen kommt.

»Hi«, stammle ich und ziehe die Kugel in meiner Unterlippe hinter meine Schneidezähne. Dämliche Angewohnheit. Ich muss aufpassen, dass sich der Stab dabei nicht in der kleinen Lücke dazwischen verklemmt.

Oh Scheiße… sah der wirklich so gut aus? Ich meine, klar, in der Kirche war er definitiv eine Zehn, aber so scharf hatte ich ihn gar nicht in Erinnerung. Ich schlucke. Oder es liegt an diesem Shirt, das er trägt. Es ist schwarz. Und noch enger als das Tanktop aus der Kirche. So eng, dass man seine definierte Brust sehen kann. Sogar der Ansatz eines Sixpacks ist unter dem Stoff zu erahnen.

Blattgold steht in der gleichen Schrift wie auch schon auf dem Lieferwagen und der Markise quer auf seiner Brust. Und auch das Shirt sieht aus, als habe er es nachlässig mit goldener Farbe bekleckst. Dazu trägt er eine Jeans, die so tief auf seiner Hüfte hängt, dass ich seinen Gürtel sehen kann. Gott, so gut kann man doch nicht aussehen. Der Gedanke daran, wie es sich wohl anfühlt, sich an diese Brust zu schmiegen, ist nicht grade hilfreich.

Lass die Zunge in deinem Mund, Josh... nicht die Lippen... keinesfalls die Lippen...

Ein paar Sekunden schießt mir durch den Kopf, dass ich vielleicht grade versuche, außerhalb meiner Liga zu spielen, aber Arno und der Rest der Welt tun das auch und haben offensichtlich kein Problem damit. Außerdem bin ich durch die halbe Stadt gegurkt und wenn ich mich jetzt umdrehe und wieder gehe, denkt er ja, ich bin ein totaler Vollidiot.

»Kann ich helfen?« Sein Lächeln ist professionell-freundlich. Ich bin nicht sicher, ob er mich erkannt hat.

»Oh… ich… hätte gerne ein paar… Blumen«, stammle ich wenig geistreich. Ist ja schließlich ein Blumenladen.

»Für einen besonderen Anlass?«

Vielleicht hätte ich meinen letzten Satz doch besser mit deine Telefonnummer beendet. Dann hätte ich es wenigstens hinter mir. Eigentlich bin ich ja ganz gut darin, mir irgendwelche Storys aus den Fingern zu saugen. Die Sache mit Arno und dass ich ein Weilchen brauche zum Beispiel. Und auch sonst bin ich selten um eine Geschichte verlegen. Ich rede generell ein bisschen viel. Und streng genommen war diese Sache mit Arno auch nicht komplett gelogen. Ich gehe tatsächlich lieber mehrmals mit einem Typen aus, bevor ich mit ihm in die Kiste springe. Ich bin irgendwie gerne ein bisschen verliebt dabei, jedenfalls, wenn ich die Wahl hab. Ich bin ein anständiges Mädchen. Ich muss nicht halb Hamburg in meinem Arsch gehabt haben, bevor ich dreißig bin. Ich glaub an diesen Scheiß mit dem Richtigen. Sieht ganz so aus, als hätte meine Mutter mir zu viele ihrer Bücher mit Prinzessinnen und Prinzen vorgelesen. Ich sollte ihr vielleicht Blumen dafür schenken…

»Für meine Mutter. Einfach so, also… kein Anlass.«

»Einen Strauß oder eher eine Topfpflanze?«, fragt er freundlich. Anscheinend ist es nichts Besonderes, seiner Mutter einfach mal Blumen zu schenken. Macht mir direkt ein schlechtes Gewissen.

»Eher ein Strauß«, antworte ich und räuspere mich dann ein bisschen. Da ist ein Kratzen in meinem Hals. Hoffentlich muss ich nicht husten.

»Haben Sie sich schon umgesehen?«

»Nein, ich… bin ziemlich planlos«, gebe ich zu und lächle. »Ich kauf nicht so oft Blumen.«

»Vielleicht suchen Sie einfach ihre Lieblingsfarbe aus. Ich kann Ihnen aus so ziemlich allem hier einen Strauß binden.«

»Oh, okay.« Ich trete vom Verkaufstresen zurück und sehe mich um. Auf einer weiteren Anrichte ist ein Gedeck vor einem Kerzenleuchter arrangiert, der so ähnlich geschmückt ist wie neulich auf Natis Hochzeit. Ein bisschen extravaganter vielleicht. Gefällt mir besser. Links daneben liegt ein kugeliger Strauß aus Rosen und anderen Blumen. Es sind auch ein paar Äste drin.

»Rosen?« Er ist hinter mich getreten. Ziemlich nah. Oh Gott…

»Ich… der hier ist ganz hübsch.« Zaghaft deute ich auf den Strauß. »Sie haben sowieso… sehr schöne Blumen.«

Sie haben sehr schöne Blumen? Shit… so bescheuert, dass er mir jetzt noch seine Nummer gibt, kann er gar nicht sein.

»Danke«, bedankt er sich artig.

»Ich war auf der Hochzeit. Samstag, vorletzte Woche…« Ich spüre, wie ich rot werde. Zum Glück steht er immer noch hinter mir.

»Ich weiß«, sagt er, tritt dabei neben mich und seine Stimme klingt rau und ein bisschen leiser als noch gerade eben. »Wir haben uns in der Kirche gesehen.«

»Ja, stimmt… ich bin... zu früh gekommen.«

»Stimmt, aber sonst passiert das nicht so oft«. Er grinst.

»Ich...« Jetzt werde ich vollends rot. Schnell weise ich mit dem Kopf in Richtung des Straußes auf der Anrichte. »Ich nehme dann... den da...«

»Sechsunddreißig Euro«, sagt er, hält mir den Strauß noch mal zur Begutachtung hin und dreht sich dann zum Tisch, an der Wand hinter dem Verkaufstresen. Ich fass es nicht, das sind... sieben Schachteln Zigaretten.

Er zieht eine Lage Folie von einer großen Rolle, die in einer Vorrichtung an der Wand hängt, und wickelt ihn ein. Ungehemmt starre ich auf seinen Hintern. Das muss bei diesem Preis echt drin sein.

»Alles in Ordnung?« Er lacht leise, als er sich umdreht.

»Oh ja, ich…« Ich kann spüren, dass ich schon wieder rot werde – oder es immer noch bin. Hektisch fummle ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche und nehme einen Fünfzig-Euro-Schein heraus.

»Danke.« Er greift danach und seine Finger kommen meinen so nah dabei, dass ich sie fühlen kann. Ich schätze, jetzt wäre dann wohl der Moment, ihn irgendwie in ein Gespräch zu verwickeln.

»Die Blumen auf der Hochzeit waren ziemlich schön«, sage ich also. Nicht gerade geistreich. Und ich glaube, das hab ich vorhin schon mal gesagt.

»Danke«, sagt er und tut so, als würde er es nicht bemerken.

»Ich wusste gar nicht, dass es hier in Pöseldorf so einen coolen Laden gibt. Ich bin selten in der Gegend.«

Er erwidert nichts, aber seine Augenbrauen zucken und er lächelt. Ziemlich hinreißend. Das interpretiere ich jetzt wenigstens mal nicht als Abneigung.

»Gibt ja auch ein paar ganz nette Kneipen und Restaurants hier«, werde ich also mutiger. Denn in der Tat kann man hier und im Grindelviertel ganz gut ausgehen. Vielleicht könnte ich einen Bericht darüber vorschlagen. In der Redaktion. Oder ich könnte so tun, als würde ich einen vorbereiten. Jetzt zum Beispiel.

»Mhm.« Er nickt.

»Wo kann man denn hier so ausgehen?«, frage ich ihn also und schiebe, als er ein bisschen komisch schaut, ein betont lässiges Recherche nach.

»Recherche?«

»Ich arbeite bei der Stylish. Kennst du vielleicht.«

»Nee«, sagt er mit einem Kopfschütteln. Fuck!

»Ist ein Lifestyle-Magazin. Ich bin Journalist«, erkläre ich und hoffe, dass es ihn beeindruckt. Dass ich eigentlich noch studiere, nur der Praktikant bin und dieses Schmierblatt auch nicht meine erste Wahl war, lasse ich, genau wie meinen Nebenjob in der Porno-Videothek, von dem ich meine Miete bezahle, mal eben unter den Verkaufstresen fallen. Denn falls er mich von dort kennt, behält er das sowieso lieber für sich.

Und außer in der miserablen Bezahlung unterscheidet sich mein Job in der Redaktion aktuell von dem eines Redakteurs sowieso nicht. Im Gegenteil, ich mache echt viel dort. Aber ich will nach meiner Bachelorarbeit unbedingt ein Volontariat. Oft nehme ich mir sogar noch Sachen zum Drüberlesen mit nach Hause.

»Wir planen in einer der nächsten Ausgaben einen Artikel über neue Restaurants und angesagte Locations in den großen, deutschen Städten«, behaupte ich wichtig. »Ich mache die Vorrecherche für Hamburg.«

»Oh«, ist alles, was ihm anscheinend dazu einfällt.

»Na ja, jedenfalls bin ich offen für Vorschläge und auf der Suche nach Leuten, die sich hier auskennen. Falls dir was dazu einfallen sollte, wäre es cool, wenn wir uns vielleicht mal treffen und uns unterhalten, oder so.«

»Ich gehe eigentlich nicht so oft aus«, sagt er ein wenig verlegen, legt das Wechselgeld auf den Tresen, nimmt den Strauß noch mal hoch und drückt einen Pflanzenstängel, der ein wenig absteht, zwischen die anderen, bevor er ihn mir hinstreckt. Mein Blick fällt auf seine Hände. Sie sind ein bisschen schmutzig an den Fingerkuppen, weil er den ganzen Tag mit Blumen und Blättern hantiert. Aber ich mag sie trotzdem irgendwie.

»Das macht nichts«, sage ich. »Vielleicht hast du ja trotzdem Lust, mir bei einem Kaffee was dazu zu erzählen. Also falls du mal Zeit hast.«

»Vielleicht«, sagt er zögerlich.

»Würd mich freuen«, setze ich nach und schenke ihm das schönste Lächeln, das ich anzubieten hab. Es ist gewinnend, sagt man mir allgemein nach. Ich bin zwar keine Zehn, aber ich hab Charme. Jedenfalls, wenn ich es will. Und grade will ich – und zwar nicht nur Charme haben, sondern ein Date.

Und darüber hinaus noch ein oder zwei andere Sachen, die nicht wirklich jugendfrei sind und über die ich im Moment besser auch nicht nachdenke.

»Am besten gibst du mir deine Nummer, dann ruf ich dich an«, schlage ich großzügig vor und ignoriere mein Herz, das mir bis zum Hals schlägt, während ich betont lässig das Wechselgeld in meiner Hosentasche verschwinden lasse. Ein vielleicht ist schließlich kein nein.

»Okay«, sagt er, aber bevor ich mich dem vollkommenen Enthusiasmus hingeben kann, holt er mich, indem er eine kleine, schwarze Visitenkarte über den Tresen in meine Richtung schiebt, auf den Boden der Tatsachen zurück.

Blattgold. Inhaber Daniel Haug, lese ich. Darunter die Geschäftsadresse und die Laden-Telefonnummer. Entweder ist er völlig bescheuert und rafft nicht, dass es mir eigentlich um eine ziemlich andere Art Recherche geht, oder er hat schlicht und ergreifend keinen Bock auf mich.

»Daniel?«, sage ich und sehe ihn fragend an.

»Ben«, antwortet er, was ich ja eigentlich schon weiß.

»Weißt du was, ich schreib dir zur Sicherheit noch mal meine Nummer auf«, schlage ich vor. Auch wenn ich inzwischen wenig Hoffnung hab, dass er wirklich nur schwer von Begriff ist. Eine Zehn ist wohl doch außerhalb meiner Liga. Aber wenn ich ihm jetzt meine Handynummer aufschreibe, rafft er's vielleicht…

Container-Fischen

Ben

»Was?«

»Nichts…« Daniel unterdrückt ein Grinsen. Jedenfalls bemüht er sich. Aber seine Mundwinkel zucken verräterisch und es gelingt ihm auch nicht, die Augen schnell genug von der Telefonnummer zu nehmen, die der Kerl, der grade den Strauß mit meinen Cool Water-Rosen gekauft hat, mir auf das Papier geschrieben hat.

Es war dieser Typ von neulich. Der aus der Kirche, der immer zu früh kommt. Keine Ahnung, was er hier wollte, aber irgendwie finde ich ihn immer noch ganz süß. Leider hat Daniel sich in einem denkbar schlechten Moment durch die Tür in den Verkaufsraum geschoben und ein klein wenig kam es mir beinahe so vor, als hätte der Typ sich ertappt gefühlt. Denn er hat fast hektisch seine Blumen genommen und ist ziemlich schnell verschwunden.

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