161011 - Aurelia L. Night - E-Book
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161011 E-Book

Aurelia L. Night

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Beschreibung

Was würdest du tun, wenn du nur dazu erschaffen wurdest, zu töten? * Als Gabriel und 161011 zum ersten Mal aufeinandertreffen, scheint ihr Schicksal besiegelt: sie, die Vampirjägerin, er, der Vampir. Gabriel entführt 161011 und zeigt ihr ein Leben, in dem sie eine fühlende Person und keine perfekte, namenlose Jägerin sein kann. 161011 will, trotz der Konsequenzen, die sie dort erwarten, ins Labor zurückkehren, denn sie erkennt, wie sehr sie die einzige Familie, die sie hat, vermisst. Als Gabriel nach einer Mission jedoch nicht zurückkehrt, muss sich die Jägerin zwischen ihrem alten Leben und den neuen Gefühlen entscheiden …

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Jessica StrangStapenhorststraße 1533615 Bielefeld

www.tagträ[email protected]

Buchsatz: André FerreiraLektorat / Korrektorat: Sabine Wagner

Umschlaggestaltung: Rica Aitzetmüller

Bildmaterial: © Shutterstock.com

Illustration © pixabay.com

ISBN: 978-3-946843-08-5

Alle Rechte vorbehalten

© Tagträumer Verlag 2017

AURELIA L. NIGHT

161011

Befreiung

Liebe ist die stärkste Macht der Welt, und doch ist sie die demütigste, die man sich vorstellen kann.

Mahatma Ghandi

Dieses Buch ist für dich,

weil du mich vor mir selbst rettest,

wenn ich mich zu verlieren drohe.

Auf ewig dein.

Kapitel 1Erwachen

161011

Vorsichtig hob ich meine Hand an das Glas, welches mich umhüllte. Dann drückte ich dagegen, aber es gab nicht nach. Die Welt um mich herum schien verstummt. Verwirrt sah ich meinen Kokon an.

Wie war ich hier hereingekommen? Warum war ich hier? Ich versuchte meine letzten Erinnerungen abzurufen, aber da war nichts. Als hätte ich gar keine. Mit den Fingerspitzen klopfte ich gegen das Glas, aber der Ton kam nur dumpf bei mir an. Als würde ich mich unter Wasser befinden. Ich zog die Stirn kraus und sah mich um, so gut es eben ging. Mein Körper war an irgendwelche Schläuche angeschlossen, die nach oben führten.

Ich schwebte in einer Röhre. Es gab nur ein kleines, schimmerndes Licht in Blau, welches mir ein wenig Helligkeit spendete, es verriet mir aber nicht, wo ich war.

Dann kam mir die Frage in den Sinn, wer war ich eigentlich? Ich erinnerte mich an gar nichts. Wie kann das sein?

Panik wallte in mir auf, ich wollte hier raus!

Ich versuchte tief einzuatmen, um mich zu beruhigen, doch stattdessen sog ich Wasser in meine Lungen. Mein Körper versuchte zu husten, doch dann würde nur noch mehr Wasser in meine Lungen gelangen.

Ich brauchte Luft! Schnellstmöglich!

Hektisch klopfte ich gegen das Glas, doch es rührte sich nichts. Unruhig sah ich mich um, folgte mit meinem Blick den Schläuchen, an die ich angeschlossen war. Oben mussten sie doch irgendwo hinauslaufen. Ich umfasste einen Schlauch und zog mich daran hinauf.

Doch dort erwartete mich schwarzes Plastik. Die Schläuche waren in passende Löcher gezogen worden, damit sie hinauskamen, aber mehr nicht. Ich musste doch irgendwie an die verflixte Luft kommen!

Plötzlich fiel mir etwas auf.

Ich hatte gar keine Atemnot. Verwirrt dachte ich darüber nach. Warum hatte ich keine Atemnot? Ich brauche Luft zum Atmen und hier gab es keine Luft.

Langsam sank ich wieder herab, bis meine Füße auf den Grund stießen. Das alles war mir ziemlich suspekt. Ich wusste nicht wer ich war, wo ich war und wieso ich im Wasser atmen konnte. Und hier war keiner, den ich fragen konnte.

Entschlossen schlug ich noch einmal gegen das Glas. Außer einem dumpfen Knall tat sich nichts. Ich schnaufte. Irgendwie musste ich doch hier rauskommen. War denn hier niemand, der mir helfen konnte? Wieder boxte ich gegen das Glas.

Nichts.

Wut stieg in mir auf und ich hämmerte und trat unerbittlich gegen mein Gefängnis. Wieso war hier keiner? Warum war ich gefangen?

Auf einmal hörte ich ein Knacken. Die ganzen Wassermassen, in denen ich gefangen war, krachten gegen den einen Riss, der nachgab, und ich landete auf dem kalten, nassen Fliesenboden.

Die Schläuche waren aus mir herausgerissen und hatten klaffende Wunden hinterlassen, die aber nicht bluteten. Normalerweise sollten sie doch bluten, oder nicht? Verwundert betrachtete ich in dem schwachen Licht eines der fingergroßen Löcher an meinem linken Arm. Ich runzelte die Stirn, das Loch schloss sich. Verwundert hielt ich meine Fingerkuppe dagegen. Nun spürte ich sogar, wie es enger wurde und sich unter meiner Kuppe schloss.

Ich nahm den Finger herunter und starrte fassungslos auf meinen Arm. Die Wunde war weg. Dann untersuchte ich meinen restlichen Körper, aber alle Stellen, auch die Schnitte durch das gesprungene Glas, waren verschwunden.

Plötzlich ging ein rotes, flackerndes Licht an, und eine Sirene ertönte durch den ganzen Raum.

Der Ton dröhnte in meinen Ohren. Erschrocken hielt ich mir die Ohren zu. Was bedeutete das alles?

Eine Tür zu meiner Rechten wurde aufgestoßen. Licht durchflutete plötzlich den Raum. Ich kniff die Augen zusammen, die aufgrund der plötzlichen Helligkeit brannten. »Objekt 161011 ist erwacht!« hörte ich eine Stimme sagen.

Objekt? Welches Objekt? Verwirrt sah ich mich um, konnte aber, abgesehen von mir, erstmal niemanden entdecken. Doch dann kamen zwei Männer in einer dunklen Uniform auf mich zu, ihre Waffen hatten sie gezogen und auf mich gerichtet. »Wir wollen dir nichts tun. Aber du musst uns dir helfen lassen. Verstanden?«

Was meinten die? Was sollte ich ihnen denn bitte schön antun? Sie hielten doch die Waffen auf mich gerichtet.

»Objekt 161011 scheint friedlich gesinnt.«

Meinten die etwa mich mit dem ‚Objekt‘?

Sie kamen weiter langsam auf mich zu. Einer von ihnen steckte seine Waffe in seinen Gürtel und reichte mir die Hand. »Magst du dir helfen lassen?«

Skeptisch betrachtete ich seine Hand. Wieso sollte ich ihnen etwas antun wollen? Und warum nannten sie mich Objekt? »Wir können dir all deine Fragen beantworten, wenn du uns lässt«, fügte er hinzu.

Was blieb mir anderes übrig? Der zweite Mann hatte immer noch seine Waffe auf mich gerichtet. Ich nickte und ließ meine Hand in die mir angebotene gleiten.

Er half mir, aufzustehen. Meine Beine waren zittrig, sodass er mich stützen musste, damit ich nicht wieder hinfiel. »Ich bringe dich zu dem leitenden Doktor. In Ordnung?«

Wieder fragte ich mich im Stillen, was mir anderes übrigblieb, aber ich willigte ein und ließ mir von ihm helfen.

Wir liefen durch einen fensterlosen, weiß gekachelten Gang, von dem ein paar weiße Türen abgingen. In Gedanken versunken machte ich mir eine Liste mit den Sachen, die ich wissen wollte: Wieso nannte man mich Objekt? Warum brauchte ich keine Luft? Wer war ich? Was machte ich hier? Aus welchem Grund wurden Waffen auf mich gerichtet?

Jetzt musste ich diese Liste nur noch im Kopf behalten.

Der Mann führte mich durch eine Tür, die eine Zahlenkombination benötigte. Im nächsten Gang konnte ich endlich aus Fenstern hinaussehen. Es war mitten in der Nacht. Draußen sah ich, außer ein paar Laternen, die einen Weg beleuchteten und den Blick auf eine hohe Mauer samt trister Graslandschaft davor frei gaben, nichts.

Bei der nächsten Tür hielten wir endlich und der zweite Mann klopfte an.

Ein kahlköpfiger Herr machte die Tür auf und betrachtete meine Begleiter übellaunig. »Was?«

»Objekt 161011 ist erwacht. Sie scheint friedlich gesinnt zu sein.«

Überraschung machte sich in seinem Gesicht breit und er musterte mich. »Bringt sie hinein. Danach holt Kleidung für sie. Das Objekt kann nicht nackt hier herumlaufen.«

Ich schnaufte, schon wieder nannte man mich Objekt.

Die beiden Männer führten mich hinter dem Alten in den Raum.

Es schien ein Büro zu sein und das erste Zimmer, das nicht nur aus Kacheln bestand. Auf dem Boden war ein dunkelbrauner Teppich ausgelegt. Die Wände waren in einem helleren Braun gestrichen worden. Anscheinend mochte der Mann diese Farbe. An einer Wand stand ein Regal voller Ordner, die mit verschiedenen Daten beschriftet waren.

Skeptisch betrachtete ich den kahlen Mann. Er trug einen weißen Kittel, darunter ein grünes T-Shirt mit V-Ausschnitt. Der Stoff sah ein wenig aus wie Papier. Seine Hose war aus demselben Stoff und genauso grün. Er setzte sich hinter den großen Schreibtisch, der in der Mitte des Raumes stand. »Setz dich.« Er deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Vorsichtig ließ ich mich auf dem Stuhl nieder. Er gab ein wenig unter meinem Gewicht nach. »Gut, du hast bestimmt einige Fragen, oder, 161011?«

Ich nickte.

»Dann lass doch mal hören.«

Ich räusperte mich. »Ich …«, meine Stimme kratzte im Hals.

»Warte einen Moment.« Der Doktor stand auf, und lief zu einem Waschbecken, das hinter dem Regal versteckt war. Er ließ Wasser in einen Becher laufen und brachte ihn mir. Ich nahm ihn dankend an.

Als es meine Kehle herunterrann, fühlte ich, wie die Organe es in sich aufnahmen.

»Geht es jetzt besser?«, fragte der Doktor mich.

Noch einmal räusperte ich mich. »Ja, danke. Ich würde gerne wissen, wo ich bin, wer ich bin und wieso mich alle Objekt nennen?«

Der Doktor lachte. »Eines nach dem anderen, 161011. Du bist in einer Forschungsanstalt.«

»Wieso?«

»Weil wir dich entwickelt haben.«

»Was?!« Schrecken breitete sich in mir aus, wie konnten sie mich entwickelt haben? Aber würde das nicht auch einiges erklären? Ich hatte keine Erinnerungen, weil ich ein Objekt war, weil ich noch keine Zeit hatte, welche anzusammeln.

»Du bist kein Mensch. Du bist ein menschenähnliches Objekt.« Das nahm mir den Wind aus allen Segeln. Menschenähnliches Objekt?

»Was bedeutet das?« Besonders dieses ‚menschenähnlich‘ bereitete mir Sorgen.

»Für dich? Nicht wirklich etwas. Wir werden noch einige Tests an dir durchführen, um zu erkennen, ob du wirklich gut gesinnt bist und ab wann deine Sicherungen durchbrennen. Für uns hingegen bist du ein großer Durchbruch. Das erste Objekt, das friedlich ist.«

Perplex sah ich den Mann mir gegenüber an. Ich verstand es nicht. Ich war kein Mensch … Dieser eine Gedanke hatte sich in meinem Kopf breitgemacht. Ich war ein menschenähnliches Objekt. An mir würden Experimente durchgeführt werden. Wenn ich kein Mensch war, wieso fühlte es sich dann so falsch an?

»Ich weiß, das ist sehr viel zu verdauen für dich. Ich kann dir einige Daten über dich sagen, wenn du möchtest.«

»Was für Daten?« Ich wollte eigentlich nichts mehr hören, mein Kopf brummte und das ‚menschenähnliche Objekt‘ wollte sich einfach nicht aus meinem Hirn verflüchtigen, aber ich musste es mir anhören.

Ein leises Klopfen riss mich aus meinen Gedanken, der Doktor stand auf und nahm die für mich bestimmte Kleidung entgegen. »Zieh das bitte an, danach reden wir weiter.«

Ich nickte. Der Wächter hatte mir dieselbe Kleidung gebracht, wie der Doktor trug, nur, dass meine schwarz war.

Als ich fertig angezogen war, setzte ich mich wieder gegenüber von ihm hin. »Also?«, fragte ich.

»Du bist ein Experiment. Wir haben dich in einer Petrischale gezüchtet. Das ist neunzehn Jahre her. Du bist ein weibliches Objekt.«

Ein weibliches Objekt? Aber immerhin nannte er mich nicht mehr menschenähnlich. »Noch etwas?«

»Du bist 1,65 groß und wiegst 70 Kilogramm. Ein wenig zu viel für ein Idealgewicht, aber das stört hier keinen. Dein IQ liegt bei 115, ein wenig über der Norm. Du wirst dich in der Welt leicht zurechtfinden. Wir haben dir alle Kenntnisse über Elektronik, Sprache, Mathematik und einige andere Zusätze eingepflanzt.«

»Wieso züchtet ihr menschenähnliche Objekte?«

»Um die Menschheit zu schützen.«

»Wovor?«

»Vampiren. Sie trinken menschliches Blut. Und du bist halb Mensch, halb Vampir.«

»Halb Vampir?«

»Genau. Deswegen heilst du auch so schnell, das wirst du wohl gesehen haben, als der Tank um deine Ohren geflogen ist, oder?«

Ich nickte, doch dann stockte ich: Woher wusste er das? Hatte er meinen Kampf etwa beobachtet? Ich kniff die Augen zusammen und betrachtete den Doktor.

»Ja, wir haben überall Kameras installiert und als die Alarmanlage losging, habe ich natürlich nachgesehen und das Dilemma, welches du verursacht hast, gesehen.«

»Hätte man auf mein Klopfen reagiert, wäre es nicht so weit gekommen.«

Der Doktor grinste mich an. »Du hattest keinen Grund zur Panik. Aber darüber zu streiten, bringt nichts. Du hast morgen einen langen Tag vor dir. Die Wachen werden dich auf dein Zimmer bringen.«

Er stand auf, ich tat es ihm gleich, und er führte mich zur Tür.

»Sie bekommt das Zimmer 24-04.« Die Wachen nickten, nahmen mich in ihre Mitte und liefen mit mir in den vorherigen Gang.

Sie führten mich zu einer Tür, eine der Wachen legte seine Hand darauf und sie öffnete sich. Überrascht sah ich ihn an, ein Handscanner?

»Nacht, 161011.«

»Nacht.«

Die Tür schloss sich und ich sah mich in dem Raum um.

Es gab eine metallene Kloschüssel, eine Liege, die an der Wand montiert war, und sonst nichts. Ich seufzte und legte mich auf die Liege.

Gelangweilt starrte ich an die Decke, ich verspürte keine Müdigkeit. Wie sollte ich da schlafen?

Ungeduldig zuckte ich mit meinem Fuß zu einem imaginären Takt.

Brauchten Vampire Schlaf? Vielleicht brauchte ich gar keinen und musste nun bis zum Morgen hier rumliegen. Ich seufzte … das konnte ja heiter werden.

Gabriel

Meine Zähne glitten sanft in den zierlichen Hals der kleinen Blondine, die ich gerade auf dem Weg zu einer Bar abgefangen hatte. Ihr alkoholversetztes Blut rauschte in meine verdorrte Kehle.

Erleichtert seufzte ich, als die süßlich schmeckende Flüssigkeit in meinen Magen floss. Zu lange hatte ich schon kein Blut mehr zu mir genommen. Meine Mutter hätte mir, wenn sie wüsste, wie lange ich schon kein Blut mehr getrunken hatte, die Ohren langgezogen. Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen bei dem Gedanken an meine Mutter, wie sie fuchsteufelswild durch die Küche hopsen würde.

Als mein Durst gelöscht war, schlug ich die Blondine mit einem Handkantenschlag bewusstlos und legte sie an den Straßenrand. Man würde sie für eine Hure halten, die es übertrieben hatte, dem nach zu urteilen, was sie für Kleidung trug.

Die Nacht war noch jung, theoretisch könnte ich es noch zurück zu meinem Clan schaffen, aber ich hatte keine Lust auf die ewigen Diskussionen, die Nero abhalten wollte, damit die Vampire endlich in der Stadt sicher waren.

Gemächlichen Schrittes lief ich durch die Straßen der Stadt. Sie waren hell erleuchtet durch die ganzen Laternen, die in fünf Meter Abständen standen. Auf der Straße lungerten noch mehrere Nachtschwärmer herum. Die meisten rochen nach Alkohol, Erbrochenem oder Schlimmerem. Ein anderer Mensch hockte in einer Gasse und kotzte sich die Seele aus dem Leib, während Exkremente aus dem anderen Loch kamen. Ich verfluchte meinen Geruchssinn dafür, dass ich ein Leben in der Stadt nicht genießen konnte.

Die Menschen wussten nicht, dass Krieg herrschte. Sie waren wie Schafe, die friedlich auf der Weide grasten und nur darauf warteten, dass der böse Wolf kam.

Verächtlich schnaufte ich, dummes Pack. Ich betrachtete die Gegend, in der ich wohnte. Es war keine schicke Gegend, aber es genügte meinen Ansprüchen. Von dort hatte ich es nicht weit zu meiner Arbeitsstelle, ein Nachtclub. Ich war Barkeeper und niemals hätte ich mir vorstellen können, dass man so viele Bräute abschleppen konnte, wenn man nur dafür sorgte, dass der Alkohol gut floss. Betrunkene Weiber ließen wirklich jeden ran.

Heute hatte ich zum Glück freigehabt, war aber dennoch dort gewesen. Ich stieg in das heruntergekommene Treppenhaus, das nach Urin stank, und lief in den obersten Stock, wo sich meine Einraumwohnung befand.

Darin standen eine Küchenzeile, ein Sofa, ein Riesenfernseher, an dem eine Xbox One angeschlossen war, und ein Futonbett, auf dem ein Bettwäschehaufen lag.

Ich kickte meine Kampfstiefel von den Füßen, zog meine schwarze Jeans aus und setzte mich in Boxershorts auf das Sofa. Ich angelte mir den Controller von der Xbox und schaltete sie ein. Assassins Creed Syndicate war eingelegt und ich begann damit, die Londoner Stadt von dem Bösen zu reinigen.

Das Bett war eigentlich nur ein Dekostück, na ja, fast. Ich brauchte einmal die Woche ein paar Stunden Schlaf, wenn ich mich regelmäßig ernährte. In letzter Zeit war es ein wenig mehr Schlaf gewesen, da zu viele Soldaten mit ihren komischen Brillen in den Straßen rumgelaufen waren. Verfluchte Teile, dachte ich, und fing an zu spielen.

Jacob Frye hangelte sich über die Straße Londons, um mehr Anhänger für seine Gang, die Rooks, zu finden, als ich etwas bemerkte. Ich stellte das Spiel auf Pause und ging in mich.

Ich konnte es nicht fassen: Etwas zupfte an meinem Bewusstsein. Genervt seufzte ich.

Ich schloss die Augen und ballte meine Hände zu Fäusten. Wut brandete in mir auf. Immer hatte ich gehofft, von diesem Schicksal verschont zu bleiben. Von dieser Last nicht getroffen zu werden. Doch nun machte sich jemand in meinem Bewusstsein breit, ohne die Konsequenzen zu kennen, die uns beide treffen würden. Ohne das Ausmaß des Fluches zu kennen. Zitternd atmete ich ein und versuchte, es zur Seite zu drängen.

Ich würde dieses Band ignorieren, das versuchte, uns aneinander zu binden. Ich würde nicht zulassen, dass ich von einem ‚Menschen‘abhängig war. Niemals würde ich es erlauben, einen von ihnen in mein Leben zu lassen. Die Person am anderen Ende bekam plötzlich Panik, die sich jedoch schnell wieder legte. Wahrscheinlich ein Albtraum, dachte ich und beachtete es nicht weiter. Ich würde auf diese Verbindung nicht eingehen und vor allem würde ich nicht danach suchen. Ich würde es ignorieren. Für immer.

Ich angelte mir mein Handy aus der Hosentasche und wählte Neros Nummer, der schon beim zweiten Klingeln abnahm. »Wo bleibst du schon wieder?«

»Mich hat etwas verhindert. Bleibe in der Stadt.«

»Irgendwann wirst du von den Soldaten gepackt! Wir könnten dich hier brauchen. Mutter ist schon außer sich vor Sorge.«

»Ich bin kein Kind mehr. Ich kann auf mich aufpassen.« Mit den Worten legte ich auf und versank wieder in der Spielwelt von Assassins Creed. Konzentrieren konnte ich mich nicht. Die Gefühle, die die Person durchlebte – Schock, Entsetzen und Wut –, lenkten mich ab, aber ich schob sie zur Seite. Nie und nimmer würde es mich interessieren, was die Person durchlebte.

Wirklich beachten tat ich dieses Zupfen wieder, als ich spürte, dass die Person genervt war. In den letzten Minuten hatte derjenige ein Wechselbad der Gefühle durchlebt.

Sollte ich vielleicht doch Kontakt zu ihr aufnehmen? Ich schüttelte mich. Nein, lieber nicht. Nachher wollte derjenige wirklich ein Band schließen. Mich schauderte es. Niemals würde ich mich auf solch eine Verbindung einlassen. Ich hatte gesehen, was es bei meiner Schwester angerichtet hatte.

Sie hatte sich verliebt und war wegen dem Menschen gestorben. Bis heute konnte ich dem Menschen nicht verzeihen, auch wenn er kurz nach meiner Schwester gestorben war, durch dieselbe Hand wie sie. Ein Knurren entwich meiner Kehle und alte Wut stieg wieder in mir hoch.

Wenn ich so darüber nachdachte, waren es schon immer die Menschen gewesen, die den Vampiren den Tod brachten. Entweder durch das Band, oder aber durch die Soldaten. Ein Mensch hatte mir meine Schwester geraubt. Ein Mensch war es gewesen, der all das Unglück auf uns gelastet hatte.

Das Band war ein Fluch von Apollon. Nur weil sich Kain an der Tochter eines Gottes vergriffen hatte. Dieser Gott war aber auch engstirnig, dachte ich.

Kain hatte damals in Troja gelebt, bevor das Drama mit Helena losging, und hatte die Menschenfrauen eine nach der anderen vernascht. Bis ihm Cassandra über den Weg lief. Sie war die Tochter des Gottes Apollon und das Orakel in Troja, doch Kain hatte sie nicht kommen sehen. Er machte ihr den Hof, er liebte es, dass sie nicht so leicht zu haben war wie der Rest der Frauen. Doch dann kam die Nacht, als Cassandra weich wurde, und Kain zu sich mit ins Zimmer des Schlosses nahm. Er nahm sie sich, hart und so oft wie er nur konnte. Doch Cassandra verkraftete die rabiate Seite nicht, sie verstand nicht, was aus dem netten Mann geworden war, der um sie geworben hatte. Und als Kain sie fallen ließ, wie er jede Frau fallen gelassen hatte, zerbrach Cassandra. Sie wurde zu einem Schatten ihrer Selbst.

Apollon war so erzürnt über die Tat von Kain, dass er ihn verfluchte und mit ihm seine ganzen Nachkommen. Sie würden einen Menschen in ihrem Leben finden, der ihnen das geben konnte, was sie wollten. Menschen, die perfekt auf die Vampire zugeschnitten waren. Doch wenn sie einmal von ihm getrunken hatten, durften sie niemals wieder von einem anderen Lebewesen trinken, ansonsten würden die Vampire dem Wahnsinn verfallen, genauso wie Cassandra.

Darauf hatte ich definitiv keine Lust. Ich wollte keinen Verbundenen, vor allem aber brauchte ich keinen. Mir ging es gut, ich war zufrieden, so wie es war. Es war mein Leben. Mein eigenes, das ich mit keinem teilen wollte.

Ich hatte die ganze Nacht die Xbox am Laufen gehabt, aber leider war ich nicht mehr weitergekommen. Die Gefühle meines Verbundenen hatten mich immer wieder abgelenkt, auch wenn sie nicht wirklich spannend gewesen waren. Mein Verbundener langweilte sich. Langweilte sich tierisch. Ich schloss daraus, dass derjenige nichts mit sich anzufangen wusste. Wie konnte man in dieser Zeit nichts mit sich anfangen? Man konnte sich so leicht beschäftigen, ein Buch zur Hand nehmen, mit seinem Handy spielen oder, oder, oder.

Die Sonne kroch langsam am Horizont hinauf, sodass ich die Vorhänge schließen musste. Vampire konnten zwar draußen sein wenn die Sonne schien, doch sie schadete unserem Organismus, sodass wir mehr Blut zu uns nehmen mussten. In Zeiten wie diesen war das wirklich ein Akt. Und ich hielt mich daran, dass ich so unauffällig wie möglich sein musste.

Gerade wollte ich mich wieder hinsetzen, als es an der Tür läutete. Ich seufzte, wer würde mir nun auf den Senkel gehen? Genervt lief ich zur Tür, doch als ich die kleine Vampirin vor mir sah, musste ich grinsen. »Hi, Sascha, was geht?«

»Ich muss bei dir unterkommen«, zischte sie.

Sie hatte wieder wunderbare Laune. Seufzend ließ ich sie hinein. »Was hat wer angestellt?«

»Erinnerst du dich an den Typen, den ich letztens mit heimgenommen hatte?«

»Du nimmst öfter welche mit heim.«

»Na ja, anscheinend steht der eine auf Stalking.«

»Ich hab dir schon oft gesagt: Triff dich immer bei denen.«

»Jaja, du Supervampir! Ich bleibe bei dir, solange ich keine neue Wohnung habe, klar?«

»Ich hatte nichts anderes erwartet«, zog ich sie auf.

Sascha grinste. »Gut. Hast du heute schon getrunken?« Ich nickte. »Du schaust immer noch ein wenig blass um die Nase aus.«

»Sascha, ich bin immer blass. Keine Sonne, und so, erinnerst du dich?«

Sie streckte mir die Zunge raus und verschwand in meinem Bad. »Deswegen trinke ich lieber ein paar Liter mehr, es ist so angenehm, die Wärme der Sonne zu spüren.« Kurz darauf hörte ich, wie meine Dusche betätigt wurde.

Ich ließ mich auf mein Sofa sinken und zappte durch das morgendliche Fernsehprogramm. Erleichterung floss durch das Band zu mir, anscheinend hatte der Verbündete endlich eine Beschäftigung gefunden.

Kapitel 2Training

161011

Freude überfiel mich, als die Tür meiner Zelle geöffnet wurde und ein Wachmann eintrat. »161011, ich hole dich für die Untersuchungen ab.«

Ich nickte und folgte ihm bereitwillig. Alles erschien mir besser, als in dieser trostlosen Zelle zu hocken.

Der Wachmann führte mich zu dem Raum, aus dem wir gestern Abend gekommen waren. Anscheinend war es das Labor gewesen. Der Doktor stand schon grinsend an einem Tisch und erwartete uns. »Guten Morgen, 161011. Gut geschlafen?«

»Anscheinend brauche ich keinen Schlaf«, erklärte ich.

»Interessant. Setz dich doch bitte auf den Tisch, damit ich anfangen kann.« Unsicher trat ich auf den Metalltisch zu. Ich wollte nicht, dass man mit mir irgendwelche Untersuchungen machte. »Wenn du das machst, was ich verlange, darfst du dir einen Zeitvertreib aussuchen.«

Böse starrte ich seinen Rücken an. Erpressung? Aber etwas zu haben, was die Zeit vergehen ließ, war gar nicht so schlecht. Ergeben seufzte ich und setzte mich auf den Tisch.

Der Doktor drehte sich mit einigen Spritzen um und kam zu mir. »Ich werde dir nun Blut abnehmen. Danach werden wir deine Gehirnströme messen und deine Belastbarkeit testen. Verstanden?« Ich nickte und beobachtete, wie die Nadel durch meine Haut stieß. Das Blut, das langsam aus mir herausfloss, hatte eine dunkelrote Färbung.

»Dein Blut fließt nicht gut. Ich glaube, die Viskosität ist zu hoch. Komisch, du müsstest eigentlich gesund sein.« Er runzelte die Stirn und sah mich nachdenklich an.

Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf: »Lasst einen Liter Blut bringen.« Was wollte er nun mit einem Liter Blut? »Wir werden etwas ausprobieren.« Ich nickte, was man nicht alles für einen Zeitvertreib tat.

Als der Liter Blut kam, riss der Doc den Beutel auf, gab es in ein Glas und hielt es mir unter die Nase. »Trink.«

Verdutzt sah ich ihn an. Der metallene Geruch des Blutes bereitete mir jetzt schon Übelkeit, und das sollte ich trinken? Angeekelt nahm ich das Glas entgegen, atmete noch einmal tief durch und exte das Zeug runter. Doch das Blut kam direkt wieder hoch, ich übergab mich auf den Boden.

»So wird das nichts«, murmelte der Doc und befahl den Wachen, die Sauerei wegzumachen und verschwand.

Nachdenklich sah ich dem Doc hinterher, war ich nun entlassen? Oder sollte ich warten? Ich entschied mich für das Warten, auch wenn ich es hasste.

»Also, Blut verträgst du nicht, aber wir müssen dein Blut verdünnen. Hast du genug getrunken?«, fragte der Doktor, als er kurze Zeit später wiederkam.

»Ich habe noch gar nichts getrunken. Ich verspüre keinen Durst.«

Der Doc sah mich musternd an. »Du wirst von nun an jeden Tag zwei Liter Wasser trinken. Egal, ob du Durst hast, oder nicht. Verstanden?«

Ich nickte, auch wenn ich diesen Befehlston nicht mochte. Er grunzte und begab sich zu dem Monitor, dort hingen verschiedene Kabel, die an ihrem Ende eine runde Fläche hatten.

»Mach deinen Oberkörper bitte frei und leg dich hin.«

Ich tat, was er sagte. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinem Körper, als meine nackte Haut die kalte Oberfläche des Tisches berührte.

»Ich werde dir die Sonden jetzt aufkleben. Sie messen deine Aktivitäten, aber das interessiert dich nicht.«

Verwirrt runzelte ich die Stirn, tat es nicht? Doch ich ließ das unkommentiert.

Nachdem ich die ganzen Untersuchungen über mich ergehen lassen hatte, führte mich der Doktor in einen Raum. Dieser war ausgestattet mit verschiedenen Boxsäcken und anderen Trainingsgeräten. Ich durfte wohl nun endlich lernen, wie man Vampire töten konnte.

»Ich werde gleich deinen Trainer hierherholen lassen. Er wird dich einweisen. Am besten ist es, wenn du schon einmal anfängst, dich warm zu machen.« Er deutete auf ein Laufband. »Lauf 20 Minuten lang«, befahl er und ließ mich dann alleine. Ich ging zu dem Laufband und betrachtete die verschiedenen Knöpfe, die mir entgegen leuchteten. Kurz überlegte ich, stellte mich dann aber auf das Band und drückte versuchsweise auf ein paar Knöpfen herum. Als es plötzlich anfing, sich zu bewegen, grinste ich. Ich begann zu laufen. Sogar die ablaufende Zeit konnte man auf einem Display sehen.

Als der Timer fast abgelaufen war, wurde die Tür zum Trainingsraum geöffnet und ein Mann kam herein.

»Du bist 161011?«, fragte er direkt. Ich nickte und lief weiter. Der Mann sah gut aus. Er hatte platinblonde Haare und eiskalte blaue Augen, aber was mir wirklich Respekt einjagte, war sein Körperbau. Der Mann schien nur aus Muskeln zu bestehen.

»Wie lange musst du noch?«

»Zwei Minuten.«

»Sir.«

Verwirrt zog ich die Augenbrauen hoch. »Bitte?«

»Ich werde noch zwei Minuten laufen müssen, Sir. So sprichst du mit mir. Verstanden?«

»Ja … Sir.« Verwirrt sah ich den Mann an. Hatten denn hier alle den Befehlston drauf?

Er nickte zufrieden und drehte sich weg. Ich konzentrierte mich die restlichen eineinhalb Minuten auf meine Laufweise. Als die Uhr piepte, drückte ich auf einen Knopf und stellte mich neben das Laufband.

»Komm her.«

Ich tat, wie er befahl und gesellte mich zu ihm. »Also. Chef sagt, ich soll dich trainieren, damit du mit uns gemeinsam nach Vampiren suchen kannst.«

»Sie sind Soldat, Sir?«

»Nein, ich bin Kommandant Zullen. Meine Aufgabe ist es, neue Rekruten wie dich auszubilden und zu perfekten Jägern zu formen.«

»Und wie, Sir?«

»Jeden Morgen wirst du hierher begleitet, um dann deine 20 Minuten zu laufen. Danach werde ich dich in Grund und Boden stampfen«, erklärte er mit ernstem Gesicht.

Der Kommandant weckte mein Interesse. Er wollte mich in Grund und Boden stampfen? Wenn er meinte … »Gut, Sir. Und was machen wir jetzt?«, fragte ich mit erhobener Augenbraue.

Tatsächlich wollte ich trainieren. Solange, bis ich wirklich erschöpft in den Schlaf sank.

»Mich freut es, dass du so bei der Sache bist«, meinte er. Ich folgte ihm zu den Boxsäcken, er nahm zwei Verbände hoch und fing an, meine Hände damit zu bandagieren. »Warum verbinden Sie meine Hände, Sir?«

»Damit sie geschützt sind. Wenn du Soldatin bist, bekommst du Handschuhe, die deine Knöchel schützen, hier beim Training wäre das zu hart und zu gefährlich. Daher verbinden wir sie.«

Ich nickte, das ergab Sinn. »Morgen wirst du deine Hände selbst verbinden, also sieh genau zu.«

»Ja, Sir.« Genau beobachtete ich, wie er Stück um Stück meine Fingerknöchel und meine Handgelenke stützte.

Nachdem meine Hände verbunden waren, griff der Mann nach meinen Armen, und hob sie vor mein Gesicht. »Vor Menschen schützt du dich da. Aber die Vampire haben es nicht auf dein Gesicht abgesehen, sie wollen an deine Halsschlagader.« Er senkte meine Hände. »Deswegen schützt du dich da, verstanden?«

»Ja, Sir.«

Er stellte sich mir gegenüber. »Imitiere nun einfach meine Bewegungsabläufe, okay?«

Ich nickte, und beobachtete ihn. Er hob die Hände schützend an den Hals, dann bewegten sie sich ruckartig nach vorne.

Diese Bewegung wiederholten wir immer wieder. Schützen, zuschlagen. Schützen, zuschlagen, bis ich die Bewegung im Schlaf vollführen konnte. Als der Kommandant merkte, dass ich die Bewegung draufhatte, nahm er immer neue hinzu, sogar die Beine wurden mit einbezogen.

Nach zwei Stunden schien es mir, als hätte ich jeden möglichen Kick und Schlag gelernt. Mein Lehrer kam zu mir, klopfte mir auf den Rücken. »Du bist gut. Wenn du so weitermachst, wirst du nicht mehr lange darauf warten, in den Außendienst zu kommen. Morgen machen wir erst einmal weiter.« Er zwinkerte mir zu.

Ich fühlte, wie etwas in mir wuchs, konnte es aber nicht benennen. »Danke, Sir«, meinte ich mit heißen Wangen.

Von zwei Soldaten flankiert, wurde ich zurück ins Labor gebracht, und wieder an die komischen Sonden angeschlossen.

»Und, wie hat dir das Training gefallen?«

»Es war sehr angenehm, ich mag es, meinen Körper anzustrengen und Neues zu lernen.«

Die Augen des Docs glitzerten. »Das ist erfreulich, zu hören. Wir haben dein Blut untersucht und den Strang gefunden, der dafür zuständig ist, dass du aufgewacht bist. Ist das nicht schön?«

»Ich weiß nicht, was kann man denn damit machen?«, fragte ich unsicher.

»Das ist der Durchbruch! Damit kann ich die ganzen anderen Experimente auch erwecken! Alle werden erwachen und wir werden die Bestien endlich vernichten können!«

Die Euphorie des Docs kam mir irgendwie falsch vor. Konnten Vampire wirklich so grausam sein, dass man sie vernichten musste? »Natürlich habe ich noch eine kleine Überraschung für dich. Kommandant Zullen hat erklärt, dass er mehr als zufrieden mit dir ist. Ich habe dir versprochen, dass du für gutes Benehmen Beschäftigung erhältst. Heute habe ich ein paar Filme herausgesucht, die das Wesen der Vampire gut zeigen. Möchtest du sie sehen?«

Ich nickte, alles war besser als Langeweile, die mich niederrang.

In meiner Zelle angekommen, stand auf meinem Bett ein Tablett mit Essen. Prüfend schnupperte ich daran und biss zaghaft in das Fleisch. Der Geschmack des Rinds machte sich in meinem Mund breit, ein wohliges Seufzen entstieg mir. Das war köstlich! Ich schlang alles hinunter, merkte, wie mein Bauch sich füllte. Eine angenehme Mattheit machte sich in mir breit. Plötzlich hörte ich ein Surren, das aus der gegenüberliegenden Wand kam. Neugierig trat ich näher.

Die weiße Fliese hob sich an und fuhr nach oben. Hinter besagter Fliese kam eine quadratische Fläche zum Vorschein. Fasziniert und interessiert beobachtete ich den Vorgang und fragte mich, was mich erwarten würde. Ich spürte, wie sich in mir Freude breitmachte, denn ich wusste, dass dies meine Belohnung war. Es konnte nur das sein.

Voller Erwartung legte ich mich auf das Bett und sah gespannt zu dem Gerät. Zunächst waren nur schwarze und weiße Punkte zu sehen, die wild umherwirbelten, bis ein Bild kam. Ein Mensch mit roten Augen blickte auf eine kleine zierliche Frau nieder, hob sie an der Kehle hoch und zerriss ihr den Hals mit nur einem Biss. Die nächste Szene spiegelte einen Vampir wider, der einen Menschen in eine eiserne Jungfrau steckte, die ihm Halsschlagader und Hauptschlagadern an den Armen aufschnitt. Sein Blut lief in ein System, und die Vampire badeten in dem Blut. Ekel und Hass machten sich in mir breit.

Das Nächste war, dass ein Mann an einem Holzbrett angekettet war, und in die Lüfte in ein Gewitter hineingehoben wurde. Derjenige, der das Gerät in die Höhe schob, war ein Vampir.

Von Szene zu Szene wurden die Bilder immer abscheulicher, blutrünstiger und man konnte sehen, dass Vampire nichts weiter als wilde Tiere waren. Mir wurde bei den weiteren Szenen schlecht, mein Magen rebellierte gegen die Nahrung, die ich gerade zu mir genommen hatte, und ich erbrach mich in meinem Edelstahlklo. Ich begann zu verstehen, wieso die Menschen wollten, dass wir Hybriden sie unschädlich machen sollten. Sie mussten in Angst und Schrecken leben, wenn solch ein Bildmaterial von den Vampiren herumging. Wie hatten die Menschen nur so lange auf uns verzichten können? Wir mussten ihre letzte Rettung sein, wenn es auf der Welt wirklich so aussah. Nun hoffte ich, dass dem Doktor der Durchbruch gelang, damit wir die Erde von den Wesen säubern konnten.

Stunden hatte ich dem Film schon zugesehen, immer mehr blutrünstige Szenen, die in mir Übelkeit hervorriefen. Ich wollte das nicht mehr sehen. Wie ein unschuldiger Fötus legte ich mich in mein Bett und vergrub meinen Kopf in meinen Armen, ich war zur Hälfte ein Vampir. Ich war zur Hälfte so ein Monstrum, was nichts anderes im Sinn hatte, außer zu töten und sinnlos Blut zu vergießen. Konnte die Seite in mir überwiegen? Konnte es tatsächlich irgendwann so weit sein, dass ich selbst zu einem dieser Monster wurde?

Ich schluckte, das musste ich den Doc fragen. Gab es irgendeine Maßnahme, die mich daran hindern konnte, so zu werden? Ich versuchte, mir die Fragen zu merken, bis ich den Doktor das nächste Mal sehen würde. Was würde passieren, wenn mein Strang kaputt war? Wenn etwas daran defekt war, dass die anderen genauso wurden wie ich? Fragen über Fragen stürmten auf mich ein, die mich in Angst und Unsicherheit versetzten und dabei hörte ich immer noch die schmatzenden, saugenden Geräusche der Vampire.

Gabriel

Meine Verbundene hatte Angst. Ich fühlte mit jeder Faser meines Körpers, wie sie litt. Doch die Angst war nur das dominanteste Gefühl, zu diesem gesellten sich noch Abscheu, Ekel und Wut. Was brachte sie nur so in Aufruhr?

Erbost über mich selbst schüttelte ich den Kopf. Es hatte mich nicht zu interessieren, wie es meiner sogenannten Verbundenen ging. Sie war ein Hindernis, ein Wagnis, was ich niemals eingehen würde. Niemals würde ich so wie meine Schwester enden. Niemals würde ich mich auf einen Menschen einlassen, der mich eh nur verraten würde.

Ich schlug die Bettdecke zurück und sah mich verwundert in meiner Wohnung um. Sascha war schon weg. War ich etwa schon wieder eingeschlafen?, fragte ich mich. Wenn dem tatsächlich so war, musste ich dringend heute noch trinken. Mein Blick heftete sich an die Wanduhr und ich erschrak. Ich war nicht nur eingeschlafen, ich hatte den ganzen Tag verschlafen und fast meinen Arbeitsbeginn. Hektisch stand ich auf, duschte mich in Rekordzeit und hetzte durch die Straßen zur Bar.

Das Bite lag in einer belebten Straße und obwohl es ein klischeehafter Gothicschuppen war, war er jeden Abend gut besucht. Jeder dieser Gäste hatte den geheimen Wunsch, von einem Vampir gebissen zu werden. Ich grinste bei dem Gedanken. Wenn sie wüssten, wie nah sie ihrem Wunsch im Bite waren. Nicht nur, dass ich, ein Vampir, Barkeeper in dem Schuppen war, der Leiter war niemand Geringeres als Maximus selbst, einer der direkten Nachfahren von Kain. Niemand außer den Vampiren kannte seinen echten Namen, für alle anderen war er bloß Max.

Ich huschte zum Personaleingang der Bar und schloss auf. Als ich an den Schminkzimmern vorbeilief, wurde ich ein wenig langsamer und riskierte einen Blick. »Hallo, Ladies!«, rief ich neckend in den restlos überfüllten Raum der Tänzerinnen. Ein synchrones, hohes Kreischen kam aus dem Raum und ich hörte, wie etwas Wuchtiges gegen die Tür prallte, die ich zugezogen hatte. Lachend lief ich zum Umkleideraum der Männer und sah meinen Schichtpartner Hendrik. Ich grüßte ihn, hielt mich aber, soweit es ging, geschlossen ihm gegenüber. Er war ein Mensch und ich wollte keinen Kontakt pflegen.

»Hast du das Spiel von Dortmund gesehen? Kagawa hat ein legendäres Tor geschossen!«

Innerlich stöhnte ich. »Nein, sorry. Ich steh nicht auf Fußball.«

»Mann! Auf was stehst du denn? Ich habe es mit Handball versucht, Football, Wrestling! Und nun auch Fußball, du kannst doch nicht auf nichts stehen?«

»Anscheinend kann ich das«, grummelte ich. Ich verstand nicht, wie Max es schaffte, zu jedem in seinem Team ein freundschaftliches Verhältnis zu haben. Ich bekam schon Probleme mit meinem Schichtkollegen. Kopfschüttelnd lief er an mir vorbei, ich sah ihm fragend hinterher. Wieso war es ihm so wichtig, dass wir Freunde wurden? Wir sahen uns sonst nie - zum Glück. Ich schüttelte den Kopf und zog mir mein rotes Arbeitshemd mit dem schwarzen Wortlogo der Bar Bite an. Ich mochte den Namen, und Max lag mit ihm wirklich richtig. Spezielle Frauen konnte man auch buchen, die an einem ein wenig rumknabberten. Ich grinste, wie sehr man doch die Menschen täuschen konnte, wenn man die richtigen Werkzeuge hatte.

Lässig lief ich durch den Privatgang zum Herzen der Bar. Dröhnende Bässe und der Geruch von Schweiß schlugen mir entgegen, als ich die Tür öffnete. Ein paar Gäste waren schon auf der Tanzfläche. Rasch schritt ich zum Tresen und schwang mich darüber. Ich landete perfekt dahinter. »Angeber«, hörte ich Hendrik murmeln, der schon angefangen hatte, Gläser zu polieren. Mit einem überheblichen Grinsen lief ich an ihm vorbei. Dann begann ich, Zitronen, Limetten und Orangen vorzuschneiden.

Ab 22 Uhr begann sich die Bar zu füllen und immer mehr Menschen verströmten ihren verführerischen Duft.

»Weißt du, was ich gehört habe?«, hauchte eine Braunhaarige ihrer Freundin zu, die gefärbte rote Haare hatte. »Nein, was denn?«

»Der Barbesitzer, Max, soll angeblich manchmal Frauen mit zu sich nehmen und eine krasse Orgie mit denen feiern, aber anscheinend hat er einen kleinen Fetisch.« Neugierig beugte sich ihre Freundin weiter zu ihr, um sie besser hören zu können. Ein verschwörerischer Ton klang in ihrer Stimme mit. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Manchmal? Max tat es jeden Abend!

»Er soll wohl auf Blut stehen. Also wenn man sich kleine Verletzungen zufügt, leckt er darüber, und er ist ein Gott, was die anderen Bedürfnisse angeht, habe ich zumindest gehört.«

Max hatte einfach ein Händchen dafür, wie er verboten gut rüberkam. Mit Freuden mischte ich für die beiden Damen unseren hauseigenen Cocktail Sex on Blood.

Wodka, Organgensaft, Tomatensaft und roter Sirup, dazu ein Schirmchen und schon stellte ich die beiden Gläser vor die Damen. »Unser Sex on Blood, nur für euch, aufs Haus.«

Die Frauen bekamen rote Wangen. »Danke, und du schöner Mann mit den braunen Augen bist?«

»Euer Barkeeper«, meinte ich mit einem Zwinkern und ging zu anderen Gästen, die ihre Bestellungen aufgeben wollten. Ich hörte, wie die Frauen verlegen kicherten und spürte, wie sich Erregung in ihnen ausbreitete. Abendessen für heute war reserviert. Ein Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit.

»Sollen wir mit den beiden Ladys noch wohin?« Hendrik beugte sich zu mir herüber, als wolle er sich mit mir verbünden. Ich rückte ein Stück von ihm weg. »Was?«

»Na ich sehe doch, wie du die beiden schon den ganzen Abend bearbeitest. Ich dachte … Nun ja. Ach, egal.«

»Meinst du etwa, ich teile?«, fragte ich erstaunt. Wie kam Hendrik darauf, dass ich auf ein Doppeldate hinarbeitete? Er konnte froh sein, wenn er nach mir an die beiden ran durfte. »Sorry, ich wusste ja nicht, dass du lieber zwei warme Körper an dich drückst, anstatt einen«, brummte Hendrik und wandte sich seinem Cocktail wieder zu. Fassungslos schüttelte ich den Kopf, wie konnten Menschen nur so dumm sein?

Es war mittlerweile nach zwei Uhr nachts, die Tanzshows hatten aufgehört, nun kam der Auftritt von Max. Wer öfter in den Laden kam, wusste, dass nun der Chef kommen würde, um seine Dame oder Damen der Nacht zu erwählen, denn jeden Abend, um dieselbe Zeit, spielte dasselbe Lied, Highway to Hell. Die meisten Frauenaugen wurden nun glasig und starrten gebannt zu der Treppe, die Max für seine Auftritte nutzte. Die Treppe war aus schwarzem Marmor und führte zu ein paar Gästezimmern für Notfälle sowie seiner eigenen Wohnung. Als Max diese lasziv hinunterstolzierte, ging ein kollegiales Stöhnen der Frauen durch den Raum und alle sahen gebannt zu, wie Max die Treppe hinunterkam. Sein Blick strich über die Menge, ließ sie spüren, wie sehr er sich freute, dass sie da waren.

Er trug einen schwarzen Ledermantel, seine braunen Augen stachen aus dem blassen Gesicht hervor. Unter dem langen Mantel trug er ein schwarzes, halb offenes Hemd, darunter eine schwarze Lederhose und Bikerstiefel. Er grinste in die Masse und wieder kam ein synchrones Stöhnen aus der Menge. Ich verdrehte die Augen und mischte für Max seinen Bloody Mary. Max kam zu mir, zwinkerte mir zu und nahm mir den Drink ab, er lehnte sich lässig gegen die Theke. »Voll heute Abend, oder?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht voller als sonst.«

»Hm. Na gut.« Er schlürfte seinen Drink leer, stellte das Glas vor mich und gab den Damen, die ich mir reserviert hatte, jeweils einen Handkuss. »Darf ich bitten?«

Sie kicherten und nickten verlegen, folgten ihm aber willig, wie die dummen Schafe, die sie waren, in sein Zimmer.

Sein ganzer Auftritt hatte nicht einmal das Lied überdauert, ich seufzte. Nun brauchte ich neue Opfer, von denen ich mich nähren konnte.

»Das nennt man dann wohl Karma«, hörte ich Hendrik murmeln. Ich knurrte. Dummes, dummes Menschlein, ging es mir durch den Kopf, als ich Hendrik fixierte. Dieser Mensch hing nicht an seinem Leben, sonst hätte er doch sicherlich schon bemerkt, dass man mit mir nicht zu spaßen hatte. »Was hast du gesagt?« Meine Stimme glich einem Donnergrollen. Abwehrend hob Hendrik die Hände.

»Sei jetzt nicht gleich eingeschnappt! Du bist immer so unnahbar und fies, da hast du es verdient, dass der Boss dir die Frauen wegschnappt.«

Ich knurrte noch einmal und wandte mich, schlecht gelaunt, dem nächsten Gast zu. Wieso war ich denn so unnahbar? Weil Menschen einen verrieten, wo sie nur konnten! Weil man ihnen nicht trauen konnte. Gab man ihnen den kleinen Finger, rissen sie einen komplett an sich.

Am Ende meiner Schicht hatte sich meine Laune immer noch nicht gebessert. Mit einem Murren schloss ich die Kasse ab. Wir hatten viel Gewinn heute Nacht eingefahren und das Trinkgeld konnte sich auch sehen lassen. Obwohl ich es mit Hendrik teilen musste, hatte ich immerhin noch 200 Euro abgestaubt.

Sollte ich mir eine der Frauen aus dem Club mitnehmen? Doch bei dem Gedanken schauderte ich, wo die schon überall gewesen waren, wollte ich gar nicht wissen.

Hendrik stand abwartend am Personaleingang, als ich aus der Kabine kam. »Worauf wartest du?«, fragte ich, obwohl ich wusste, dass ich es nicht hören wollte, was seinen Mund gleich verließ.

»Ich dachte, wir könnten noch etwas abhängen. Ich kann nach der Arbeit nie direkt schlafen.«

»Ich aber«, murrte ich.

Wie treudoof konnte ein Mensch sein? War da nicht irgendwann mal eine Grenze? Ohne ihn weiter zu beachten, lief ich an Hendrik vorbei in Richtung Stadtstrich.

Eilige Schritte rannten mir hinterher, ich stöhnte innerlich. »Nur, weil Max dir deine Bräute weggeschnappt hat, brauchst du doch nicht ’ne Bordsteinschwalbe nehmen.«

»Hast du nichts Besseres zu tun, als mir hinterherzulaufen?« Meine Stimme klang genervt.

»Na ja, um ehrlich zu sein: Nein.«

Ich knurrte. Wenn Hendrik dabei bleiben würde, konnte ich mich nicht ernähren. Und Sex mit einer Schwalbe zu haben, da hatte ich keine Lust drauf. Ergeben seufzte ich. »Okay. Was willst du?« Hendriks Augen begannen zu strahlen. Hatte er keine anderen Menschen, die mit ihm rumhängen wollten?, fragte ich mich.

»Ich kenne da einen Club, nicht weit von hier, der noch aufhat. Da sind die Weiber auch ziemlich leicht rumzukriegen.« Hendriks Stimme zitterte vor Aufregung, ich nickte und folgte ihm. Das mit den Weibern hatte mich überzeugt, ich brauchte Nahrung.

Der Club hieß Herzdame, verwirrt runzelte ich die Stirn, war das deren Ernst? Kopfschüttelnd folgte ich Hendrik, dieser begrüßte die Türsteher mit dieser typisch menschlichen Begrüßung, an der man sich an den Händen fasste und sich dann gegen die Schulter des anderen fallen ließ. »Das ist Gabriel, mein Arbeitskollege«, stellte Hendrik mich vor, ich hob die Hand zum Gruß und wartete darauf, dass wir endlich hineinkonnten. »Yo, Hen, du kommst zum richtigen Zeitpunkt, viele übervolle Weiber, die nur darauf warten, flachgelegt zu werden.«

Hendrik strahlte die Türsteher an, und gemeinsam liefen wir in das Innere des Clubs. Die Bässe dröhnten noch lauter als im Bite, der süßliche Gestank der Nebelmaschinen biss mir in der Nase. Wie konnten Menschen das nicht riechen? Ich atmete flacher, damit der Geruch mir nicht alle Sinne vernebelte.

Hendrik führte mich zielsicher zu der Tanzfläche, auf der jede Menge Frauen tanzten, aber kaum noch Männer. Die meisten hatten sich wohl schon zurückgezogen. Mein Blick glitt über die Frauen. Sie waren alle, wie auch im Bite, zu sehr geschminkt. Ich seufzte und ging auf die Tanzfläche.