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Eva Karnofsky

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Auf dem Machu Picchu liegt eine Tote. Eigentlich wollten Rosa-Li Sauer und ihr kolumbianischer Kollege Roberto Pavón nur die berühmten Inka-Ruinen besichtigen, doch sie kannten die Tote. Auch sie war Journalistin. So wird es nichts mit dem Urlaub für die beiden, denn sie wittern eine heiße Story. Ihre Recherchen führen sie in die peruanische Hauptstadt Lima und in ein abgelegenes Urwaldnest. In dem Entwicklungsprojekt, das dort Familienplanung für arme Frauen anbietet, werden auffällig viele Frauen trotz Pille schwanger. Dann stirbt auch noch eine Krankenschwester, nachdem sie mit den beiden gesprochen hat. Rosa-Li und Roberto müssen um ihr leben fürchten, doch sie lassen nicht locker: Sie kommen einem Korruptionsgeflecht um gefälschte und abgelaufene Medikamente bis in höchste politische Kreise auf die Spur. Und auch in Deutschland wird daran verdient.

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Seitenzahl: 342

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Ähnliche


Eva Karnofsky

Abgelaufen

Ein neuer Fall für Rosa-Li Sauer

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Impressum neobooks

Impressum

Text: © Copyright by Eva Karnofsky

Umschlag: © Copyright by Claudia Janßen

Verlag: Eva Karnofsky

Kerschenkamp 14

46499 Hamminkeln

[email protected]

Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Kapitel 1

»Machista«, stößt Rosa-Li verächtlich aus, und Roberto schaut sie gequält an: »Was um Himmels willen habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?«.

»Du? Gar nichts. Der Kerl am Tisch hinter mir beschließt einfach, dass seine Begleiterin Fisch bestellen soll, weil der besser für die Figur ist. Unverschämt so was. Das sollte der mal mit mir machen! Mit Sicherheit ist er selbst zu fett.«

Wie so oft, spricht Rosa-Li eine Spur zu laut. Der Tischnachbar dreht sich um und tippt ihr mit dem Finger auf die Schulter. »Sie halten sich wohl...« In diesem Moment wendet auch Rosa-Li ihm das Gesicht zu. »Das ist doch nicht möglich! Rosa-Li! Du hier?«.

»Jorge! Na, so was, die Welt ist wirklich klein.«

Sie stehen auf und umarmen sich lachend. »Und kämpferische Feministin bist du auch immer noch!«.

Rosa-Li druckst, doch sie fängt sich sofort. »Jorge, darf ich dir meinen Freund und Kollegen Roberto Pavón aus Kolumbien vorstellen?«.

»Angenehm, freut mich wirklich, Sie persönlich kennenzulernen. Ihre Sendung läuft ja auch im peruanischen Fernsehen. Hut ab, Sie treffen genau den Ton, der junge Leute heute anspricht.«

»Ja, Roberto ist wirklich ein Genie vor der Kamera«, bestätigt Rosa-Li und klärt Roberto auf, dass sie vor einigen Jahren eine Reportage über Jorge Tovars Familienplanungsprojekt für arme Frauen in abgelegenen Gebieten gemacht hat und dass sie damals gemeinsam durch verschiedene peruanische Provinzen gereist sind. Jorge stellt seine Tischnachbarin als Alejandra Prieto vor.

»Kann es sein, dass ich Ihren Namen aus La Nación kenne?«, fragt Rosa-Li, und die elegante Mittdreißigerin nickt. »Ich bin da die Frau fürs Grobe. Korruption, politische Intrigen, uneheliche Kinder unserer Minister, Sie wissen schon.«

Machu Picchu scheint an diesem Wochenende eine besondere Anziehungskraft auf Journalisten auszuüben.

Nach dem Essen gesellen sich Jorge und Alejandra auf einen Kaffee zu ihnen. Sie halten Händchen und himmeln sich an. Frisch verliebt, konstatiert Rosa-Li, und fragt sich, was wohl aus Laura geworden sein mag. Als sie Jorges Frau zuletzt sah, war die engagierte Anwältin zur Präsidentenberaterin für Menschenrechte avanciert. Eine gute Entscheidung, wie Rosa-Li fand, denn Laura gehört zu den Leuten, die die Demokratie mit Zähnen und Klauen verteidigen, wenn ein Präsident sie mal wieder mit Füßen tritt.

Als Rosa-Li vom Klo kommt, fängt Jorge sie vor der Tür ab. »Rosa-Li, sei ein Schatz, und sag Laura nichts, falls du sie treffen solltest. Sie weiß nichts von meiner Affäre mit Alejandra und wenn sie davon erführe... Sie glaubt, ich hätte beruflich in Cusco zu tun.«

Sie werde schweigen wie ein Grab, versichert Rosa-Li, doch sie kann es sich nicht verkneifen, zu fragen, ob ihn nun auch die Midlife-Crisis ereilt habe.

Er zuckt die Schultern. »Weißt du, wenn man so lange zusammen ist wie Laura und ich... Aber sag mal, du warst doch auch verheiratet, wenn ich mich recht erinnere, mit einem Landsmann von dir!«. Er feixt. »Wer im Glashaus sitzt, meine Liebe...«

Sie hakt sich bei ihm ein. »Ich gebe zu, es war ein schlechter Scherz.«

Gemeinsam gehen sie zum Tisch zurück. Rosa-Li stellt fest, dass Roberto heftig mit Alejandra flirtet. Es versetzt ihr einen kleinen Stich, doch sie lächelt tapfer. Ein schönes Wesen, diese Alejandra, das muss der Neid ihr lassen. Hinreißend sieht sie aus, mit ihrer blauschwarzen Mähne und den Mandelaugen. Und bestimmt ist sie fünfzehn Jahre jünger als sie. Kein Wunder, dass Roberto von ihr angetan ist.

Sie beschließen, am nächsten Morgen gemeinsam das viel gepriesene Naturschauspiel zu erleben. Nirgendwo soll der Sonnenaufgang so überwältigend sein wie auf dem Machu Picchu.

Als Roberto ihr vorschlug, die Nacht in diesem Hotel auf dem Berg gleich neben dem Ruinenareal zu verbringen, war Rosa-Li sofort begeistert. Sie würden sich die Inkastätte ansehen, bevor die ersten Busse eintreffen, und Machu Picchu zumindest ein halbes Stündchen in aller Ruhe genießen können. Von ihren Honoraren als freie Journalistin hätte sie sich den sündhaft teuren Öko-Schuppen nie leisten können, doch für Roberto spielt Geld keine Rolle mehr, seit er sein Fernsehprogramm in ganz Lateinamerika verkauft. Für die erste gemeinsame Nacht nach drei Monaten sei dies genau der richtige Rahmen, meinte er, und sie konnte ihm nicht widersprechen.

Rosa-Li reibt sich den Schlaf aus den Augen, als Roberto sie weckt. »Komm, du Schlafmütze, wach werden. Kultur auf nüchternen Magen ertrage ich nicht, zumindest nicht nach einer Nacht mit einem liebestollen Weib. Ich brauche ein anständiges Frühstück.«

Sie wälzt sich aus dem Bett. Wo er nur die Energie hernimmt? Sie schaut auf die Uhr. Es ist gerade mal sechs, mehr als drei Stunden haben sie nicht geschlafen.

Als sie in den Frühstücksraum kommen, sitzt Jorge bereits dort. Alejandra sei noch mit ihrer Schönheit beschäftigt, entschuldigt er seine Freundin, sie werde später zu ihnen stoßen. Rosa-Li wirft Roberto einen triumphierenden Blick zu. Hat sie es sich doch gleich gedacht. Niemand sieht von Natur aus so perfekt aus.

Als sich draußen die Dunkelheit allmählich lichtet, unterbricht Rosa-Li die beiden Männer, die sich über Jorges Projekt unterhalten. »Also, ich gehe jetzt. Auch wenn mir kaputte Steine normalerweise ziemlich egal sind - den Sonnenaufgang hier oben will ich nicht verpassen. Wer weiß, ob ich in diesem Leben noch mal hier rauf komme.«

Auch Jorge schließt sich ihnen an, obwohl Alejandra noch immer nicht aufgetaucht ist. Es scheint ihn nicht zu wundern.

Während der indianische Führer von seinen Vorfahren und ihrer Art zu leben berichtet, schiebt sich die Sonne langsam hinter den Ruinen zum Himmel empor. »Ein goldener Ball, der einen Berg hinauf rollt«, flüstert Rosa-Li Roberto ins Ohr und hakt sich bei ihm unter, als der Führer eine Pause einlegt. Sie neigt selten zu Sentimentalitäten, und ihr historisches Interesse hält sich gewöhnlich in Grenzen, doch der Gedanke, dass sich hier, wo sie jetzt stehen, vor fünfhundert Jahren ein Inka-Pärchen beim gleichen Anblick umarmt haben könnte, hat schon etwas Romantisches. Roberto zieht sie an sich. »Schön, dich...«

Ein langgezogener Schrei zerreißt jäh die Stille, jemand will gar nicht mehr aufhören zu kreischen. »Eine Frau«, konstatiert Roberto. »Komm, lass uns nachschauen. Es klingt, als sollte jemand am Spieß gebraten werden.«

»Da hat sich jemand verletzt«, vermutet Rosa-Li und läuft hinter ihm her. Jorge und der Führer schauen einigermaßen verdutzt. »Wir sind gleich wieder da, macht ruhig weiter«, ruft sie ihnen noch zu. Neugier scheint nicht Jorges hervorstechendste Eigenschaft zu sein. Aber schließlich ist er Frauenarzt und nicht Reporter.

Sie müssen nicht lange suchen. Auf einer der Terrassen, die den Blick auf den Hang freigeben, auf dem die Inkas vor gut fünfhundert Jahren vermutlich ihr Gemüse anbauten, kniet ein Mann, dessen grau meliertes Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden ist. Vor ihm liegt bäuchlings jemand auf dem Boden. Rosa-Li sieht nur die leicht angewinkelten Beine, die in Jeans stecken. Als der Mann sich aufrichtet, schlägt sie sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Alejandra. Jemand hat ihr eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und auf der Höhe des Halses zugebunden, doch die blauschwarze Haarpracht quillt darunter hervor.

»Sie ist tot«, erklärt der Mann. »Vermutlich erstickt. Da kommt jede Hilfe zu spät.«

»Sind Sie Arzt?«, will Rosa-Li wissen, und der Mann nickt.

»Wer hat sie denn gefunden? Ich bin Journalistin.«

Der Arzt deutet auf eine kleine, kugelrunde Frau in einer knallbunten Flatterhose, die auf einem Mäuerchen sitzt, und immer wieder den Kopf schüttelt. Während Roberto ein paar Worte mit dem Arzt wechselt, setzt sich Rosa-Li neben die Frau. »Haben Sie sonst noch jemanden gesehen?«. Die Frau schaut sie fragend an. Rosa-Li versucht es auf Englisch und hat damit mehr Glück.

»Sie lag einfach nur da, es war sonst niemand zu sehen. Und da habe ich geschrien, so laut ich konnte. Dann kam gleich der Mann da und sagte, er sei Arzt. Ich war auf der Suche nach meiner Freundin, sie ist nach dem Frühstück schon mal vorgegangen. Ich brauche morgens immer...« Rosa-Li legt ihr die Hand auf den Arm, um den offensichtlich bevorstehenden Redeschwall zu verhindern. »Thanks a lot, Madam.«

Nachdem der Arzt sich verabschiedet hat, kniet sich Roberto neben die Tote und durchsucht ihre Taschen. Nichts. Nur ein zerknülltes Taschentuch. Ihr Presseausweis steckt in der Gesäßtasche. Auch eine Handtasche ist nirgends zu sehen. Merkwürdig, eine Frau ohne Handtasche, denkt Rosa-Li. Eine Journalistin noch dazu. Die hat doch zumindest immer etwas zu schreiben bei sich, ein Handy, ein Aufnahmegerät, Visitenkarten. Und Schminkzeug natürlich, für den Fall, dass sie auf den Mann ihres Lebens stößt.

»Wir müssen Jorge Bescheid sagen!«.

»Rosa-Li, das machst du am besten, ich laufe ins Hotel und alarmiere den Sicherheitsdienst. Womöglich weiß der noch nicht, was passiert ist. Die Polizei in Aguas Calientes muss gerufen werden. Bis die Jungs hier oben sind, kann ich noch schnell einen Blick in Alejandras Zimmer werfen. Für alle Fälle. Wir treffen uns später im Restaurant, okay?«.

Er drückt sie kurz und spurtet los in Richtung Ausgang. Gerade sind die ersten Busse aus Aguas Calientes eingetroffen, und Roberto muss sich durch die Massen kämpfen, die auf die Ruine strömen. Für den Rest des Tages ist es vorbei mit der Beschaulichkeit auf dem Machu Picchu.

Jorge dreht Rosa-Li den Rücken zu und lauscht dem Führer, der sein Programm abspult. Offensichtlich haben die beiden noch nicht bemerkt, was geschehen ist. Sie bittet den Führer mit einer Handbewegung, innezuhalten, und fasst Jorge am Arm. »Jorge, es ist etwas Schreckliches passiert. Alejandra... sie ist tot. Jemand hat sie ermordet.«

Der Gynäkologe schaut sie an, als verstehe er nicht, was sie gesagt hat.

»Ermordet?«, fragt er schließlich.

Rosa-Li nickt.« Sie liegt auf der Terrasse da drüben. Komm, ich bringe dich hin, wenn du willst.«

Er nickt nur, und sie zieht ihn hinter sich her. Zwei Männer des Sicherheitsdienstes in braunen Uniformen eilen ebenfalls gerade herbei und bemühen sich sofort, die Menschen von der Leiche fernzuhalten, denn immer mehr Leute drängen sich um den Tatort. Rosa-Li zeigt den Wachmännern ihren Journalistenausweis, und sie lassen sie vorbei. Jorge starrt mit versteinertem Gesicht auf die Leiche. »Lass uns gehen. Du kannst ihr nicht mehr helfen«, sagt Rosa-Li und zieht ihn weg.

Schweigend laufen sie zum Hotel. Rosa-Li dreht sich am Ausgang noch einmal um und schaut auf die Ruinen der Inkastadt. Viel hat sie nicht davon gesehen, aber das ist nun auch egal. Machu Picchu ist ihr offensichtlich nicht vergönnt.

Im Restaurant des Hotels bestellt sie zwei Cognacs. Jorge nimmt dem Ober den Schwenker aus der Hand, leert ihn in einem Zug und ordert gleich einen zweiten.

»Kanntest du sie schon lange?«, will Rosa-Li wissen.

Er schüttelt den Kopf. »Nein, erst seit ein paar Wochen.«

»Und eine Idee, wer sie auf dem Gewissen haben könnte, hast du nicht?«.

Jorge zuckt die Schultern. »Natürlich nicht. Aber Feinde hatte sie genug. Das gesamte Kabinett hat sie ebenso gehasst wie die übrige Prominenz dieses Landes. Ihr Job war es schließlich, schwarze Flecken auf weißen Westen zu entdecken und sie dann der Öffentlichkeit zu präsentieren. Selbst der Präsident war stocksauer auf sie. Sein uneheliches Kind war eines ihrer Lieblingsthemen.«

»Woran arbeitete sie denn zuletzt?«.

»An irgendeiner Korruptionsgeschichte. Doch sie hat mir so gut wie nichts darüber erzählt. Angeblich hat wieder mal ein Kabinettsmitglied irgendwo abgesahnt, das Übliche eben. Ich weiß nur, dass sie sich heute Morgen mit einem Informanten vor dem Hotel verabredet hat. Er wollte ihr irgendwelche Papiere geben. Aber was? Keine Ahnung.« Wieder zuckt er mit den Schultern.

»Und wer es war, hat sie dir auch nicht verraten?«.

Wieder nur Kopfschütteln. »Bevor ich zum Frühstück ging, hat sie mir nur gesagt, dass sie etwas später zu uns stoßen würde, weil sie dieses Treffen habe, aber es dauere nur ein paar Minuten.«

»Der Informant war womöglich ihr Mörder. Doch er wird im wahrsten Sinne des Wortes über alle Berge sein, denn es hat bestimmt niemand den Zufahrtsweg abgesperrt. Wenn der Mörder den ersten Bus ins Tal genommen hat, ist er längst untergetaucht. Womöglich ist er auch zu Fuß runter, da entdeckt ihn erst recht niemand.«

Jorge kippt bereits seinen dritten Cognac, als Roberto sich zu ihnen gesellt. Die Polizei sei gerade eingetroffen, berichtet er. »Du wirst mit ihnen reden müssen, Jorge. Schließlich war Alejandra in deiner Begleitung hier oben.«

Doch Jorge schlägt vor, den nächsten Bus zu nehmen und sang- und klanglos zu verschwinden. Er fürchtet, die Angelegenheit könnte an die Presse gelangen. »Dann kann ich meinen Job an den Nagel hängen. Ich habe gerade in Deutschland neue Gelder für mein Projekt beantragt. Wenn ich mit einem Mord in Zusammenhang gebracht werde, bekomme ich die nie. Das wäre das Aus. Ich müsste Dutzende von Leuten im ganzen Land entlassen. Und meine Ehe kann ich auch vergessen, wenn Laura erfährt, dass ich mit Alejandra hier oben war.«

Rosa-Li und Roberto schauen sich erstaunt an. Roberto runzelt die Stirn, doch er sagt nichts.

»Aber vielleicht könntest du dazu beitragen, den Mörder zu finden«, wendet Rosa-Li ein.

»Ich habe dir doch schon gesagt, was ich weiß. Gar nichts. Sie ist tot, und das tut niemandem mehr leid als mir, das kannst du mir glauben. Ich mochte sie sehr. Doch was hilft es ihr, wenn ich jetzt auch noch in Teufels Küche komme? Inzwischen sind bestimmt mehrere Hundert Touristen hier oben, die Polizei wird gar nichts herausfinden. Und glaubt ihr, in diesem Kaff wissen sie, wie man einen Mordfall untersucht? Die werden ziellos ein bisschen herumstochern, und das war es dann.« Seine Stimme klingt ungehalten. »Und dass ich es nicht war, der ihr die Tüte über den Kopf gestülpt hat, könnt ihr schließlich bezeugen. Oder glaubt ihr, ich habe sie vor dem Frühstück dort auf die Terrasse geschleppt?«.

»Nein, Jorge, theoretisch wäre das zwar möglich, aber sie war noch warm, als ich sie angefasst habe. Sie lag noch nicht lange dort, das hat mir auch der Arzt bestätigt«, erwidert Roberto.

»Worauf warten wir dann noch? Lasst uns den nächsten Bus nehmen«, drängt Jorge.

»Gut, aber wir müssen noch packen«, erwidert Rosa-Li.

Jorge hat seinen Rucksack bereits vor dem Frühstück an der Rezeption abgegeben, er will auf der Plattform vor dem Hotel, auf der die Busse ankommen, auf die beiden warten.

»Du kennst diesen Jorge doch nun schon eine Weile. Findest du sein Verhalten nicht auch seltsam? Da wird seine Geliebte ins Jenseits befördert, und er will sich nicht einmal mit der Polizei unterhalten«, meint Roberto, als sie allein sind.

»Stimmt, das ist ganz schön merkwürdig. Und findest du es nicht auch seltsam, dass Polizei und Sicherheitsdienst nicht längst alles abgesperrt und die Menschen vernommen haben?«. Noch gut erinnert sie sich an die Zeiten, als der Leuchtende Pfad das Land terrorisierte, da glich ganz Peru einer Festung, es wimmelte überall von Polizisten und Soldaten. Inzwischen fühlt man sich offenbar wieder sicher, und die Wachsamkeit hat nachgelassen.

Roberto nickt. »Wahrscheinlich halten sie sich zurück, weil sie die Touristen nicht verängstigen wollen.«

Wenn Rosa-Li es recht bedenkt, liegt Jorge wohl gar nicht so falsch: Was sollen die paar Polizisten aus Aguas Calientes schon ausrichten? Sie müssten Hunderte von Menschen vernehmen und zudem überall gleichzeitig sein, an der Straße nach Ollantaytambo, am Bahnhof, am Hubschrauberlandeplatz. Damit sind sie zweifellos überfordert. Der Mörder hatte Zeit genug, um zu entkommen. Selbst zu Fuß wäre er in einer halben Stunde in Aguas Calientes gewesen.

»Sag mal, warum hat Jorge schon heute Morgen gepackt?«. Rosa-Li schaut von ihrem Koffer auf.

»Gute Frage. Wenn ich bösartig wäre, würde ich sagen, weil er nicht wollte, dass seine Sachen in Alejandras Zimmer gefunden werden. Dabei fällt mir ein: Auch wenn die Polizei langsam ist – irgendwann wird sie ins Hotel kommen, um nachzufragen, ob Alejandra hier gewohnt hat, und dann werden sie feststellen, dass Jorge und sie ein Zimmer geteilt haben. Dann wird er nicht mehr darum herumkommen, eine Aussage zu machen.«

»Es sei denn, das Zimmer läuft nur auf ihren Namen«, gibt Rosa-Li zu bedenken.

»Und sie hat ihn nicht angemeldet. Ich werde gleich an der Rezeption nachfragen.«

»Gute Idee. Irgendwann werden sie auch im Hotel das Personal befragen und nach Fingerabdrücken suchen. Und sie werden die von Jorge finden...«, antwortet Rosa-Li.

»Das stimmt zwar, doch wenn er noch nie straffällig geworden ist, wird es eine Weile dauern, bis sie sie zuordnen können. Im Übrigen habe ich in ihrem Zimmer eine Visitenkarte gefunden, die ich eingesteckt habe. Sie gehört einem Henry Salinas aus Lima. Den sollten wir mal aufsuchen, wenn wir in der Hauptstadt sind.«

Rosa-Li schüttelt den Kopf. »Das ist Beweismaterial, mein Lieber, und das entwendest du so einfach?«.

Er lacht. »So was würde ich doch nie tun, Rosita. Ich recherchiere, das ist alles. Und sorge dafür, dass wir die Geschichte auch wirklich exklusiv haben.«

»Und du hast natürlich auch daran gedacht, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen?«.

»Klar, meine Süße! Was denkst du denn? Ich habe erstens nicht viel angefasst und zweitens ein Papiertaschentuch benutzt.«

»Und wie bist du an den Zimmerschlüssel gekommen?«.

Er schaut sie unschuldig an. »Bei dem ganzen Trubel war gerade niemand an der Rezeption. Und da fand ich ihn ganz zufällig.«

»Und als du ihn zurückgebracht hast, hat dich auch niemand gesehen?«.

»Du wirst lachen: Ich habe ihn einfach steckenlassen«, erwidert er.

Ächzend hebt sie ihren Koffer vom Bett und legt ihm dann die Arme um den Hals. »Ich dachte, wir wollten ein paar Tage Urlaub in Peru machen, ins Museum gehen, entspannen, ein bisschen quatschen.«

Er küsst sie. »Würde Jorge nicht auf uns warten, würde ich dich zur Entspannung auf der Stelle verführen.«

»Und du denkst, das schaffst du?«.

»Ich bin da sehr zuversichtlich.«

Sie verdreht die Augen. »Und ich hatte gehofft, du hättest in den letzten drei Monaten zumindest ein bisschen von deiner Arroganz abgelegt.«

»Ich dachte, du liebst mich so wie ich bin. So, und nun komm, wir müssen los, sonst haut dein Freund Jorge noch ohne uns ab. Und ich würde ihm zu gern noch ein bisschen auf den Zahn fühlen. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwas ist bei dem faul.«

»Wenn diese Alejandra tatsächlich einer großen Korruptionsgeschichte auf der Spur war – vielleicht ist da ja auch für mich eine gute Story drin.«

»Was glaubst du, woran ich, selbstlos wie ich bin, die ganze Zeit denke?«.

Kapitel 2

Als sie aus dem Hotel kommen, wartet gerade ein Bus vor der Tür, um Machu Picchu von einer Ladung Touristen zu befreien. Ein kaum zwanzigjähriger Polizist, der nicht so aussieht, als hätte er das Rad erfunden, verlangt ihre Reisepässe, bevor sie einsteigen, und notiert sich ihre Namen. Reine Beschäftigungstherapie, befindet Rosa-Li. Als ob der Mörder über eine Stunde ausharren würde, bis er das Weite sucht. Der junge Beamte fragt nun auch Jorge, ob er im Hotel übernachtet habe, doch Jorge schüttelt den Kopf.

Mit Hilfe einiger Dollar hat Roberto an der Rezeption herausgefunden, dass Alejandra auf der Anmeldekarte lediglich geschrieben hat, sie sei in Begleitung. Einen Namen hat sie nicht angegeben. Da hat Jorge Glück gehabt. Die Polizei würde so schnell nicht nach ihm fahnden. Vielleicht hat er ja darauf bestanden, nicht auf der Karte zu erscheinen. Doch überprüfen ließ sich das nicht, denn die Leute an der Rezeption waren nicht mehr die gleichen wie gestern. Ob Alejandra verheiratet ist? Sie würden Jorge fragen müssen.

Er sieht jetzt wie ein Häuflein Elend aus. Alejandras Tod scheint ihm doch nahezugehen. Kunststück. So eine Freundin muss er erst wieder finden: Sie sah toll aus, war intelligent und schätzungsweise zwanzig Jahre jünger als er. Jorge ist zwar klug und hat Humor, aber kaum der Typ, auf den die Frauen fliegen. Zumindest ihr Geschmack ist er nicht mit seinen schütteren, aschblonden Haaren und dem roten Bluthochdruckgesicht. Und vor allem ist er verheiratet. So wie sie.

Rosa-Li schaut versonnen auf die Bäume am Hang, die sie aus dem Busfenster mit der Hand greifen könnte. David ist nun schon seit über einem halben Jahr verschwunden. Sie hat in den vergangenen Wochen in Deutschland alle Hebel in Bewegung gesetzt, sämtliche Freunde und Bekannten von ihm angerufen, doch vergeblich. Sie hat sogar eine Anzeige in seine Lieblingszeitung gesetzt, er möge sich melden. Sie würde ihn nicht finden, hieß es in dem Brief, den sie unter ihrem Computer fand, als sie von ihrer letzten Kolumbienreise nach Bonn zurückkehrte, und bis jetzt hat er Recht behalten. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Er hat seine Website geschlossen, seine Accounts auf Twitter und Facebook gelöscht, sein Handy abgemeldet und er antwortet nicht auf ihre Mails.

Immer wieder steigen Schuldgefühle in ihr hoch. Was wäre, wenn sie sich damals an ihre Abmachung gehalten und sich nicht wieder in diverse Abenteuer gestürzt hätte? Jedes Mal, wenn sie für ihre Recherchen unterwegs war, plagte David die Angst, ihr könnte etwas passieren. Sie hatte ihm versprochen, kein Risiko mehr einzugehen. Und ihr Versprechen gebrochen. Ob bei ihm da das Fass übergelaufen war? Wie oft hatten sie sich während ihrer Ehe wegen ihrer aus seiner Sicht gefährlichen Recherchereisen gestritten. Er hatte ihr dann immer Verantwortungslosigkeit ihm gegenüber vorgeworfen, und sie hatte ihn des fehlenden Verständnisses für ihren Beruf geziehen. Ob er sich nur an ihr rächen wollte? Oder von ihrer neuerlichen Affäre mit ihrem Ex-Lover Roberto etwas erfahren hatte? Sie stellt sich immer wieder die gleichen Fragen. Soll sie die Beziehung zu Roberto beenden? Aber hätte sie sie überhaupt begonnen, wenn das Konstrukt ihrer Ehe nicht bereits Risse gehabt hätte?

Ihnen kommt ein Bus entgegen, und Rosa-Li bricht der Schweiß aus. Schon auf der Hinfahrt gestern ist ihr angst und bange geworden, als sie sich die schmale, aus dem Hang gebrochene Schotterpiste hinaufquälten. Bei Gegenverkehr trennten sie nur wenige Zentimeter vom Abgrund. Gott sei Dank fahren sie nun auf der Hangseite. Doch was, wenn die Straße die beiden Busse nicht trägt? Gar nicht auszudenken. Sie greift nach Robertos Hand. Er scheint ihre Gedanken zu lesen und grinst. »Heldenhafte Reporterin überlebt Erdrutsch am Machu Picchu. Wäre doch ein toller Titel für deine heimischen Blätter!«.

»Du bist ein Scheusal. Was kann ich denn dafür, dass ich nicht schwindelfrei bin?«.

Roberto tut ihr gut. Nie hat sie ihn schlechter Laune erlebt. Und er redet, während David meist geschwiegen hat. Gelegentlich ertappt sie sich bei dem Gedanken, dass sie gern mit ihm zusammen leben würde. Doch schon damals, fast sechzehn Jahre ist es nun her, war ihr Verhältnis daran gescheitert, dass sie mehr wollte als eine lockere Beziehung auf Distanz. Ob sie sich jetzt damit abfinden kann? Sie weiß es nicht. Und will es im Moment auch gar nicht wissen. Vor ihnen liegt eine gemeinsame Woche. Sie ist fest entschlossen, sie zu genießen.

Für Aguas Calientes bleibt ihnen keine Zeit. Dabei wäre Rosa-Li gern ein Weilchen durch den kleinen Ort geschlendert. Schließlich hat sie Urlaub. Sie liebt die bunte peruanische Artesanía, und die wartet hier reichlich auf Kunden. Allerdings wäre es dumm, sich gleich am zweiten Ferientag den Koffer mit Decken, T-Shirts und Holzketten vollzustopfen, tröstet sie sich.

Darüberhinaus hat der Flecken wenig zu bieten. Staubige Straßen, die sich beim nächsten Regenguss in Schlammwüsten verwandeln, Kanalisation, die über die Straßen in den Bergfluss rinnt, und billig hochgezogene Hotels, die meisten im Plattenbaustil. Aber dafür ist Machu Picchu allgegenwärtig.

Auf dem kleinen Bahnsteig mitten im Ort drängen sich bereits die Menschen, die nach Cusco wollen. Ob der Mörder unter ihnen ist? Sie schaut sich die Leute genau an, doch niemand fällt ihr auf. Die meisten sind Touristen, aus den USA vor allem. Doch welchem Mörder steht schon seine Tat ins Gesicht geschrieben?

»Sag mal, Jorge, war Alejandra eigentlich verheiratet?«, fragt sie den Gynäkologen.

»Sie lebt von ihrem Mann getrennt und hat die Scheidung eingereicht. Oder ich muss wohl besser sagen, sie lebte von ihm getrennt.«

Ein verlassener Ehemann – auch der könnte ein Mordmotiv haben.

»Kennst du ihn?«, hakt sie nach.

»Nicht persönlich. Er stellt Textilien her, in großem Stil. Ich weiß nur, dass er seine Arbeiter ganz schön ausbeutet. Zahlt den meisten sogar noch unter Mindestlohn. Wir haben eine Familienplanungsstation in dem Viertel von Lima, in dem eine seiner Fabriken liegt. Die Frauen beklagen sich bitter über ihn.«

»Und Alejandra wollte natürlich Geld vom Herrn Gemahl.«

Jorge schüttelt den Kopf. »So war sie nicht. Sie hatte ständig Streit mit ihm, weil er seine Leute aussaugt. Hat ihm sogar mal damit gedroht, ihm ein paar Kollegen aus der Nación auf den Hals zu hetzen. Sie brauchte sein Geld nicht. Die Eltern sind nicht arm, und sie selbst hatte einen guten Vertrag bei der Zeitung.«

Sie würden sich nach dem Ehemann erkundigen müssen. Vielleicht wollte er ja einem Artikel vorbeugen, der seiner Firma geschadet hätte. Obwohl: Wen stört es schon in Peru, wenn jemand seine Mitarbeiter schlecht bezahlt? Korrupte Politiker, uneheliche Kinder von Präsidenten, koksende und fremdgehende Fernsehstars – darauf fahren die Leute ab. Aber Ausbeutung? Die meisten Reichen leben selbst davon, und die Armen sind froh, wenn sie überhaupt eine Arbeit haben. Dass Alejandra wirklich so ein Gut-Mensch war, der freiwillig auf Unterhalt vom reichen Ehemann verzichtete, nur weil dieser das Geld nicht auf ganz ehrenhafte Weise verdient hat, will Rosa-Li auch nicht so recht glauben.

Der Zug ist einsteigebereit, und ein Polizist bezieht vor der Tür Posten. Wieder werden ihre Namen notiert, und wieder werden sie gefragt, wann sie gekommen seien und wo sie übernachtet hätten. Und wieder sagt Jorge nicht die Wahrheit. Er sei mit dem ersten Hubschrauber gelandet, gleich hinaufgefahren, und nach einem Rundgang wieder hinunter. Seine Tickets? Im Abfall. Wenn jemand sich die Mühe machte, seine Angaben zu überprüfen, wäre Jorge schnell der Lüge überführt.

»Sag mal, hast du eigentlich keine Angst, dass jemand die Passagierlisten kontrollieren könnte?«, fragt Rosa-Li ihn leise, als sie schließlich im Zug Platz nehmen.

Er lacht auf. »Ich dachte, du kennst die Schlamperei unserer Behörden. Und du weißt auch, wie man solche Probleme gegebenenfalls löst.«

»Mit ein paar Scheinchen, ich weiß. Aber wenn trotzdem mal was rauskommt, machst du dich doch erst recht verdächtig.«

»Rosa-Li, du denkst immer noch zu Deutsch. Die ganze Sache wird jetzt ein paar Tage lang hochkochen, weil Alejandra nicht ganz unbekannt war, dann kommt ein neuer Skandal, und Peru hat ihren Tod vergessen. Ich helfe ihr nicht mehr, wenn ich meine Ehe und den Fortgang des Projekts riskiere. Stell dir vor, die Medien würden Laura da mit reinziehen, womöglich sogar behaupten, sie hätte aus Eifersucht die Freundin ihres Mannes auf dem Gewissen. Ihre Karriere wäre ruiniert. Und ich weiß nichts, gar nichts, was zur Aufklärung des Ganzen beitragen könnte.«

»Sie hat dir wirklich nichts von dem Informanten erzählt, den sie treffen wollte?«.

Er schüttelt energisch den Kopf. »So glaub es mir doch! Wir hatten eine Affäre, Rosa-Li, keinen Diskussionszirkel.«

Sie sieht Jorge an, dass er genervt ist.

Merkwürdig, das Ganze. Sie versucht, sich in Alejandra und Jorge hineinzudenken. Die Journalistin fährt mit ihrem Liebhaber zum Machu Picchu, klinkt sich dort jedoch kurzfristig aus dem Programm aus. Und erklärt ihm nicht genau, weshalb. Roberto hätte sie gelöchert, da ist sie sich sicher. Aber vielleicht ticken Reporter wirklich anders als Gynäkologen. Oder es ging bei den beiden nur um Sex, und sie hatten ansonsten kein Interesse aneinander. Doch gibt es das bei einer Journalistin? Rosa-Li hat da ihre Zweifel.

Kapitel 3

Die Sonne scheint, eine Seltenheit im Juni, und Rosa-Li öffnet das Fenster, um es gleich wieder zu schließen. Lima stinkt mal wieder, wie immer, wenn der Wind von den Fischmehlfabriken in Callao kommt. Jede Stadt hat ihren eigenen Geruch. Buenos Aires riecht nach Metall, La Paz nach ungelüfteter Wäsche, Bogotá nach der grünen Spülpaste, mit der die Leute ihr Geschirr abwaschen. Weckte man sie nachts und hielte ihr eine Tüte Luft vor, würde sie sofort erkennen, wo man sie eingefangen hat.

Roberto schläft noch, und auch Rosa-Li beschließt, wieder unter die Decke zu kriechen. Es wäre zu schön, wenn Alejandra wegen einer dicken Korruptionsgeschichte ermordet worden wäre. Sie müssten ihr nur noch auf die Spur kommen. Nur noch. Und es müsste mindestens ein Minister damit zu tun haben. Oder der Präsident. Internationale Verwicklungen wären noch besser. Das könnte sie verkaufen. Niemand im deutschen Blätterwald interessiert sich mehr für Lateinamerika, seit hier nicht mehr blutrünstige Diktatoren ihr Unwesen treiben, deren Menschenrechtsverletzungen die Empörung des deutschen Durchschnittsredakteurs verdienen. Doch Sex and Crime ziehen immer. David würde ihr Zynismus vorwerfen. Aber nun ist Alejandra schon mal tot, und da ist es wohl kaum verwerflich, dass sie von einer heißen Story träumt. Womöglich handelt es sich aber nur um ein ganz gewöhnliches Familiendrama. Reicher Unternehmer tötet Ex-Frau aus Geiz, wahlweise Eifersüchtige Menschenrechtsanwältin erstickt Geliebte des Ehemannes. Oder so ähnlich. Sie war noch nie gut im Titeln. Auch wenn Laura ihr immer sympathisch war und sie ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte bewundert hat – sie hatte ebenfalls ein Motiv, Alejandra zu ermorden.

Roberto räkelt sich, grunzt, schiebt die Hand unter ihre Bettdecke und schaut sie an. »Du hast wieder diesen entschlossenen Ich-mache-ganz-viel-Kohle-Blick. An welcher Erfolgs-Story strickst du denn gerade?«, will er wissen.

Sie setzt eine beleidigte Mine auf. »Du hast gut reden. Du schwimmst im Geld, ich dagegen kämpfe täglich ums Überleben.«

»Mir kommen die Tränen.« Roberto rutscht unter ihre Decke. »Glaubst du, du kannst deinen endgültigen Durchbruch zur Star-Publizistin ein paar Minuten verschieben und dich einem unbedeutenden, aber unwiderstehlichen Fernsehmoderator aus der Dritten Welt widmen?«.

Rosa-Li stöhnt. »Wenn es denn sein muss. Dass ihr Männer aber auch immer nur an Sex denken müsst!«.

Die Kellner räumen bereits das Frühstücksbüfett ab, als die beiden in den Speisesaal kommen, doch Roberto kann eine Serviererin mit einem schmachtenden Blick überzeugen, ihnen doch noch einen Kaffee und ein paar Rühreier zu bringen. Die junge Frau schmolz förmlich dahin, als er leise auf sie einredete. Sie musterte Rosa-Li von oben bis unten, und ihr war anzusehen, was sie dachte: Was macht so ein Traum von einem Mann mit einer etwas zu fülligen Fünfzigjährigen? Manchmal fragt sie sich das selbst. Wenn sie einen Durchhänger hat und mit sich und der Welt hadert. Damals, vor sechzehn Jahren, hat sie gelitten wie ein Hund, als er ihr sagte, er fände es toll, mit ihr gemeinsam zu recherchieren und dann zusammen ins Bett zu gehen, doch er wolle keine feste Beziehung. Lang, lang ist´s her. Sie hat dann David geheiratet, aber sie haben sich immer mal wieder gesehen, wenn sie in Kolumbien war, und Roberto hat sie sogar besucht, als sie als Korrespondentin für das Wochenblatt in Santiago de Chile lebte. Im letzten Jahr hat es dann wieder heftig zwischen ihnen gefunkt, als sie in Medellín nach den Entführern ihres Freundes Ottmar suchte. Drei Monate lang hat sie dann in Bonn ihre Kolumbien-Stories abgearbeitet, und sie haben fast täglich gemailt oder telefoniert. Zumindest im Moment ist das auch für sie okay. Sie hat geglaubt, das mit David sei fürs Leben, dann traf sie Roberto wieder, und David verschwand. Aus der Traum von der allabendlichen Gemütlichkeit am Kamin. Auch gut, zumindest hier und jetzt.

»Sag mal, machen wir nun Urlaub und gehen ins Museum oder klemmen wir uns hinter die Geschichte?«, fragt sie ihn.

»Ich vermute, meine Liebe, dass es sich dabei wieder um eine deiner rhetorischen Fragen handelt. Wir recherchieren, warum sonst sind wir nach Lima zurückgeflogen?«. Roberto nippt an seinem Kaffee und schüttelt sich: »Pfui Teufel, das ist ja Pulverkaffee!«.

»Klar, die Peruaner haben eine Schwäche dafür. Aber sei froh, dass sie dir Pulverkaffee gebracht haben und keinen Kaffeesud.«

»Kaffeesud?«. Er schaut sie ungläubig an. »Das klingt ja scheußlich.«

Sie nickt. »Den stellen sie in kleinen Karaffen auf den Frühstückstisch, und du gießt ihn dir nach Belieben mit heißem Wasser auf. Ist gewöhnungsbedürftig. Ich hatte es völlig vergessen, aber hier bestellst du am besten Espresso.«

»Werde ich mir merken. Aber zurück zum Thema: Ich denke, wir sollten uns auf die Suche nach diesem Journalisten machen.« Er zieht die Visitenkarte aus der Jackentasche. »San Juan de Lurigancho. Kennst du das Viertel?«.

Rosa-Li nickt. »Ziemlich weit draußen. Ich war da vor Jahren mal, da liegt ein Knast, in dem ich ein paar linke Guerilleros interviewt habe. Ist keine besonders vertrauenerweckende Gegend.«

»Am besten, wir mieten uns ein Auto. Denn ich gehe mal davon aus, dass du keine Lust hast, dich mit dem öffentlichen Nahverkehrssystem der peruanischen Hauptstadt vertraut zu machen.«

»Das siehst du genau richtig. Aber miete keine Luxuskarosse, die klauen sie uns unter dem Hintern weg.«

»Höre ich da etwa eine feine Spitze gegen mein Auto heraus?«. Er grinst.

»Aber wo denkst du hin! Die Automobilindustrie muss schließlich auch leben.«

Wenig später sitzen sie in einem Jeep, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Roberto drückt Rosa-Li den Stadtplan in die Hand, denn einen Navi hat das Gefährt nicht, und sie sieht Schlimmes auf sich zu kommen. Nie hatte sie sich mit David so gezankt wie im Auto. Er vertraute seinem angeblich so untrüglichen Orientierungssinn und sie der Karte. Das Ergebnis ließ sich in Dezibel ausdrücken. Zum Glück ist heute Sonntag, da ist zumindest der Verkehr nicht so dicht. Und Roberto ist nicht David.

»Wäre ein Mietwagen mit Chauffeur nicht praktischer gewesen?«, fragt sie.

»Ich dachte, du warst schon tausend Mal in Lima. Da wirst du doch zumindest ungefähr wissen, wie wir fahren müssen.«

Warum hat sie bloß nie auf den Weg geachtet? Nach jeder Reise hat sie sich geschworen, sich künftig die wichtigsten Strecken zu merken, aber dabei blieb es dann. Auch beim nächsten Mal hockte sie sich wieder in den Fonds und vergaß die Straßenschilder.

»Ich schaue mir die Leute an, an denen ich vorbeikomme, denn schließlich will ich über die schreiben. Was interessiert meine Leser, wie ich irgendwo hingekommen bin?«, antwortet sie schnippisch. »Aber beruhige dich, ich werde den Weg schon finden. Schließlich kann ich Karten lesen. Und mein Handy hat ein Navigationssystem«, fügt sie noch hinzu.

„Meins auch, Süße, auch wenn ich aus der Dritten Welt stamme. Aber leider funktioniert es nicht. Weiß der Teufel, was mit dem Empfang los ist“, erwidert Roberto.

Ihr fällt dennoch ein Stein vom Herzen, als schließlich die kahlen, fast schwarzen Riesendünen auftauchen, die die Hauptstadt gegen den Rest des Landes abschirmen. »In den Dünen wohnen die Armen. Je höher du kommst, desto ärmer sind die Leute.«

»Wie in Medellín, aber bei uns wachsen auch weiter oben zumindest noch ein paar Bäume. Und es scheint die Sonne«, mault Roberto.

»Ist heute dein Bei-uns-ist-alles-besser-Tag? Zu deiner Beruhigung: Diese dicke, bleierne Suppe dauert nur ein paar Monate, ab August ist meist schon wieder tolles Wetter. Heute Morgen, als du noch süß von mir träumtest, kam schon mal kurz die Sonne durch. Hier schüttet es nie wie aus Badewannen. Hat auch seinen Vorteil. In Medellín habe ich mir nicht nur einmal nasse Füße geholt.«

»Ist schon gut, ich sage ja gar nichts mehr.«

Die Häuser sind inzwischen niedriger geworden, und kaum eines ist fertiggestellt: Dem einen fehlt der Anstrich, dem nächsten der Putz oder die zweite Etage befindet sich im Rohbau. Wie überall in Lateinamerika bauen auch hier die Leute ihre Häuser Stein um Stein, manchmal über Jahre hinweg, weil die Kreditzinsen unerschwinglich sind und sie warten müssen, bis sie wieder Geld haben für die nächste Tür, das nächste Fenster. Und ästhetische Perfektion kann man sich auch nicht leisten.

»Der graue Komplex da hinten ist das Gefängnis. Siehst du die lange Schlange an der Mauer? Heute ist Besuchstag für Frauen, immer mittwochs und sonntags, glaube ich.«

»Und da warst du drin?«, will er wissen.

Sie nickt. »Einen Tag lang, es war furchtbar. Da laufen die Ratten in den Zellen rum. Kann ich dir nachher ausführlich erzählen, denn ich glaube, wir sind da. Die Imbissstube muss das Haus von Henry Salinas sein. Hoffentlich ist sie geöffnet, schließlich ist Sonntag.«

»Scheint kein besonders erfolgreicher Mann zu sein, dieser Salinas. Der Laden sieht heruntergekommen aus«, meint Roberto, als er den Wagen parkt. Sie steigen aus und schauen durch die Glasscheibe in der Tür, doch es ist niemand zu sehen. Roberto drückt die Klinke herunter, es ist offen.

»Ist hier jemand?«, ruft er, und Rosa-Li schaut sich um. Nackter Betonboden, schon etwas ausgetreten, und an der Wand stehen ein paar billige Holztische mit einfachen Stühlen. Die gelb getünchten Wände könnten einen neuen Anstrich vertragen. Doch es ist sauber. Und die Anticuchos auf der Theke sehen appetitlich aus. Hinter einem bunten Fliegenvorhang aus Plastikstreifen scheint die Wohnung der Familie zu liegen.

Roberto ruft erneut, und eine kleine, ältere Frau mit indianischen Zügen kommt angelaufen, sie trocknet sich mit einem Handtuch die Hände ab. »Ich habe gerade gespült«, entschuldigt sie sich und mustert die beiden von oben bis unten, denn nur selten verirren sich Fremde in diesen Teil der Stadt. Es sei denn, sie wollen Angehörige im Gefängnis besuchen. Aber die Familien der Inhaftierten tragen gewöhnlich keine Lederjacken aus feinem Handschuhleder, wie Roberto sie liebt.

»Was darf es denn sein? Die Anticuchos sind ganz frisch, und ich habe gerade Ceviche gemacht.«

Roberto überhört die Frage, stellt sich vor und fragt nach Henry Salinas.

Ihr zerfurchtes Gesicht verfinstert sich. »Mein Sohn ist nicht da.«

»Und wo können wir ihn erreichen?«, schaltet sich Rosa-Li ein.

Die Frau seufzt. »Wenn ich das nur wüsste. Er ist seit drei Tagen nicht mehr heimgekommen. Worum geht es denn? Ist es beruflich?«. Ihr ist die Sorge um den Sohn anzusehen.

Roberto nickt. »Gewissermaßen. Ihr Sohn wollte uns Informationen zukommen lassen.«

»Informationen? Mein Sohn? Und wozu?«, will die Frau wissen.

»Er wollte einer Kollegin von uns von einem Skandal erzählen. Sie ist nun... verhindert, und wir arbeiten weiter an ihrer Geschichte. Es geht um Korruption in der Regierung. Es wäre sehr wichtig für uns, mit ihm zu sprechen.«

Wie gut er blufft! Rosa-Li schaut auf den Boden, um nicht zu lachen. Roberto setzt noch nach: »Wir sind uns nicht sicher, aber es könnte sein, dass Ihr Sohn in Gefahr ist. Unsere Kollegin wurde nämlich ermordet, nachdem sie mit ihm gesprochen hat. Und wir vermuten, dass man sie zum Schweigen bringen wollte. Wir würden ihn gern warnen, damit ihm nicht auch etwas passiert.«

Ganz schön skrupellos, der Kollege Pavón. Versetzt die arme Frau in Angst und Schrecken, nur, damit sie redet. Die Frau stützt sich schwer auf ihre Theke, und ihr steht das Entsetzen im Gesicht. »Um Himmels willen! Das ist ja furchtbar!«, ruft sie aus. Dann richtet sie sich mühsam auf, geht zu der Tür, aus der sie gekommen war, und teilt den Fliegenvorhang mit der Linken. »Kommen Sie doch mit nach hinten, da lässt es sich ruhiger reden.«

Sie treten in eine kleine Wohnstube, die von zwei knallrot geblümten Plüschsesseln und einem Fernseher beherrscht wird. In einem Wandregal drängt sich Nippes, Porzellantänzerinnen auf einem Bein in Rosa, eine Barbiepuppe in einer Tracht des Andenhochlandes und ein großes Foto in einem breiten Goldrahmen, den Plastikblumen zieren. Das Bild zeigt einen jungen Mann mit ernsten Augen und von Gel glänzendem, schwarzen Haar. Das muss ihr Sohn Henry sein.

Frau Salinas bittet die beiden, in den Sesseln Platz zu nehmen, und will sich einen der Holzstühle aus dem Gastraum holen, doch Roberto, ganz Kavalier, springt wieder auf und erledigt das für sie. Rosa-Li versinkt fast in dem Plüschmonster.

»Hat Ihr Sohn Ihnen nicht gesagt, wo er hingefahren ist?«, hebt Roberto von Neuem an. Die Frau schaut ihn an. »Wie soll ich denn wissen, ob ich Ihnen trauen kann?«, fragt sie.

»Haben Sie schon mal Los amigos de Roberto gesehen?«, fragt Rosa-Li, »das Programm aus Kolumbien?«.

Da hellt sich Frau Salinas´ Gesicht auf, und sie strahlt Roberto an. »Sie kamen mir doch gleich so bekannt vor. Natürlich! Sie sind Roberto! Ja, das ist aber eine Überraschung! Dass ich Sie nicht sofort erkannt habe! Aber wer kann denn damit rechnen? Da wird sich mein Henry aber freuen.« Sogleich wird sie wieder ernst. »Also, er ist am Freitag nach Cusco gefahren, er wollte sich dort gestern mit jemandem treffen. Es ging um Geld. Mama, wenn ich zurück bin, kann ich dir endlich den neuen Gasherd kaufen, hat er gesagt. Aber bis jetzt ist er nicht wieder aufgetaucht. Nicht einmal angerufen hat er mich. Das ist sonst gar nicht seine Art. Und sein Handy ist auch ausgeschaltet. Er ist mein einziges Kind, und er weiß, dass ich mir immer Sorgen um ihn mache.« Sie schaut Roberto bekümmert an. »Ihm muss etwas passiert sein, sonst hätte er sich längst gemeldet.«

»Wenn er sich verstecken wollte: Haben Sie eine Idee, wo er hingehen würde?«, fragt Rosa-Li.

Sie nickt. »Nach Satipo. Da wohnt Elena, Elena Cruz, seine Freundin. Sie ist Krankenschwester, wissen Sie, und hat dort eine gut bezahlte Stelle gefunden. Er fährt häufig dorthin. Immer, wenn seine Arbeit es zulässt.«

»Satipo? Wo liegt denn das?«. Roberto schaut Rosa-Li fragend an, doch auch sie zuckt die Schultern.

»So genau weiß ich es auch nicht, aber es ist sehr weit. Er ist immer etliche Stunden mit dem Bus unterwegs. Man muss die Kordilleren überqueren. Und es ist sehr warm dort, das hat Henry mir erzählt«, erklärt seine Mutter.